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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Diskussion einläßt und die Argumente <strong>der</strong> T anhört, begründet eine Chance, daß die<br />

M <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t irgendwann au<strong>ch</strong> Taten folgen läßt und das Tas<strong>ch</strong>engeld erhöht. T<br />

wird also um so mehr darauf drängen, den Diskurs neu aufzunehmen. Erst wenn<br />

klar ist, daß überhaupt keine Chance besteht, dur<strong>ch</strong> den Diskurs einen Einfluß auf<br />

das Handeln zu gewinnen, wenn also M niemals <strong>der</strong> argumentativen Einsi<strong>ch</strong>t Taten<br />

folgen läßt, wird T si<strong>ch</strong> auf neue Diskurse ni<strong>ch</strong>t mehr einlassen.<br />

Aus alledem ist <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>luß zu ziehen, daß die Bereits<strong>ch</strong>aft zur Teilnahme an Diskursen<br />

und damit die Existenz von Diskursen s<strong>ch</strong>on dann realistis<strong>ch</strong> ist, wenn immerhin<br />

eine Chance zur Einflußnahme auf das Handeln besteht und si<strong>ch</strong> deshalb die<br />

Diskursbereits<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> in Zukunft für die Beteiligten lohnt. Wenn <strong>der</strong> kooperative<br />

Geist des Diskurses ni<strong>ch</strong>t in jedem Fall vollständig in reales Handeln umgesetzt<br />

wird, ma<strong>ch</strong>t das Diskurse ni<strong>ch</strong>t unmögli<strong>ch</strong>. Eine geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme<br />

in dem Sinn, daß alle Beteiligten stets vorgeben, au<strong>ch</strong> im Handeln die Autonomie<br />

aller an<strong>der</strong>en umfassend und ausnahmslos anzuerkennen, gehört ni<strong>ch</strong>t zu den<br />

diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Notwendigkeiten.<br />

Gegen dieses Ergebnis könnte eingewandt werden, daß <strong>der</strong>lei entwertete Diskurse<br />

eine wirkli<strong>ch</strong>e Legitimation sozialer Ordnung ni<strong>ch</strong>t tragen können. Das stimmt.<br />

Do<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t notwendig auf eine wirkli<strong>ch</strong>e<br />

Legitimation sozialer Ordnung. »Man kann an Diskursen teilnehmen, ohne an<br />

<strong>der</strong> Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im geringsten interessiert zu sein« 221 , also<br />

ohne ein subjektives o<strong>der</strong> motivationales Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Dann bleibt nur<br />

ein objektives o<strong>der</strong> institutionelles Interesse. Das ist wie<strong>der</strong>um dur<strong>ch</strong> die langfristige<br />

Stabilität <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aft bedingt. Der Tyrann hat nur insoweit ein objektives Interesse<br />

an Ri<strong>ch</strong>tigkeit, als die Legitimation seiner Herrs<strong>ch</strong>aft notwendige Voraussetzung<br />

für <strong>der</strong>en längerfristige Stabilität ist. Nun zeigt si<strong>ch</strong> aber, daß zwar einige Unre<strong>ch</strong>tsregimes<br />

instabil sind, do<strong>ch</strong> längst ni<strong>ch</strong>t jede Bes<strong>ch</strong>ränkung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten<br />

und Demokratie zu einem revolutionären Herrs<strong>ch</strong>aftsumsturz führt. Jedenfalls während<br />

<strong>der</strong> Lebenszeit eines autokratis<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>ers kann die Stabilität andauern, solange<br />

sie ni<strong>ch</strong>t als offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Unre<strong>ch</strong>tsregime den latenten Wi<strong>der</strong>stand zusätzli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ürt 222 . Selbst für einen friedli<strong>ch</strong>en Übergang von autokratis<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>aft zu<br />

demokratis<strong>ch</strong>er Organisation gibt es historis<strong>ch</strong>e Beispiele 223 . In aller Regel bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> das empiris<strong>ch</strong> belegbare objektive Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit folgli<strong>ch</strong> darauf,<br />

daß die Herrs<strong>ch</strong>enden zumindest pro forma die Legitimität ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft behaupten<br />

und jedenfalls eine Chance dafür eröffnen, daß eine Sozialordnung entsteht, die in<br />

Diskursen gere<strong>ch</strong>tfertigt wird o<strong>der</strong> werden könnte. So ist zu erklären, daß Militärdiktatoren<br />

mit einigem Erfolg immer wie<strong>der</strong> demokratis<strong>ch</strong>e Wahlen ankündigen, vers<strong>ch</strong>ieben<br />

und annullieren, selbst wenn sie zu keinem Zeitpunkt zur Ma<strong>ch</strong>taufgabe tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

bereit sind. Ein »diskurstheoretis<strong>ch</strong>es Tyrannendilemma« 224 zwingt zwar zur<br />

Vers<strong>ch</strong>leierung des Terrors, begründet aber no<strong>ch</strong> kein objektives Interesse an <strong>der</strong><br />

vollständigen Anerkennung von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten und Demokratie.<br />

221 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 151.<br />

222 Zur reinen Ma<strong>ch</strong>therrs<strong>ch</strong>aft als eines labilen, aber glei<strong>ch</strong>wohl mögli<strong>ch</strong>en Grenzfalles vgl. H. Dreier,<br />

Staatli<strong>ch</strong>e Legitimität, Grundgesetz und neue soziale Bewegung (1987), S. 140 f. m.w.N.<br />

223 Beispiele aus <strong>der</strong> jüngeren Zeit sind die Demokratisierung Chiles, Osteuropas und Südafrikas.<br />

224 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 153.<br />

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