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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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) Zur konzeptuellen Inkommensurabilität<br />

aa) Mikro-, Meso- und Makrotheorien<br />

In <strong>der</strong> zweiten (<strong>der</strong> konzeptuellen) Variante wird die Inkommensurabilitätsthese<br />

kaum diskutiert 339 , obwohl sie in dieser Form eine sehr viel dringen<strong>der</strong>e methodis<strong>ch</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung für die verglei<strong>ch</strong>ende Kritik von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien darstellt<br />

als in <strong>der</strong> (nur s<strong>ch</strong>einbar problematis<strong>ch</strong>en) 'politis<strong>ch</strong>en' Variante. Eine Inkommensurabilität<br />

würde nämli<strong>ch</strong> vor allem dann entstehen, wenn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien na<strong>ch</strong><br />

dem Gegenstand <strong>der</strong> behandelten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile <strong>der</strong>art unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>e<br />

abdecken, daß ihnen ein kleinster gemeinsamer Nenner verlorengeht und deshalb<br />

die Verglei<strong>ch</strong>barkeit endet (konzeptuelle Inkommensurabilitätsthese). Immerhin rei<strong>ch</strong>t<br />

das Gegenstandsspektrum <strong>der</strong> behandelten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile von genau definierten<br />

Einzelents<strong>ch</strong>eidungen in sehr kleinen Personengruppen (Mikrotheorien) über<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Verteilungsprobleme in gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Teilberei<strong>ch</strong>en (Mesotheorien)<br />

340 bis hin zu <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen über die Grundstruktur einer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt insgesamt (Makrotheorien) 341 . Damit stellt si<strong>ch</strong> die methodis<strong>ch</strong>e Frage<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Theorien</strong>, in denen zwar jeweils von '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

gespo<strong>ch</strong>en wird und bei denen es immer au<strong>ch</strong> um politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gehen<br />

kann 342 , die aber letztli<strong>ch</strong> kaum Übers<strong>ch</strong>neidungen beim Gegenstandsberei<strong>ch</strong> aufweisen,<br />

weil sie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mal im Kleinen, mal im Großen untersu<strong>ch</strong>en. Teilen<br />

die sol<strong>ch</strong>ermaßen differenzierten <strong>Theorien</strong> ledigli<strong>ch</strong> eine gemeinsame »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssemantik«<br />

343 , o<strong>der</strong> gibt es Verbindungslinien, dur<strong>ch</strong> die eine Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

begründet wird? Diese Frage kann mit <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese beantwortet werden,<br />

die einen methodis<strong>ch</strong>en Brückens<strong>ch</strong>lag zwis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Gegenstandsberei<strong>ch</strong>e<br />

unternimmt.<br />

339 Eine positive Ausnahme bildet V.H. S<strong>ch</strong>midt, Bounded Justice (1993), S. 19 – bezogen auf die Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> von Walzer und Rawls.<br />

340 Mesotheorien bes<strong>ch</strong>äftigen si<strong>ch</strong> mit dem Phänomen <strong>der</strong> 'lokalen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' (local justice), na<strong>ch</strong><br />

dem si<strong>ch</strong> in einzelnen Institutionen und Aufgabenberei<strong>ch</strong>en bestimmte Präferenzen für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverfahren<br />

(z.B. Organspendenverteilung) herausbilden; J. Elster, Local Justice (1992), S. 18<br />

ff.; V.H. S<strong>ch</strong>midt, Soziologis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanalyse als empiris<strong>ch</strong>e Institutionenanalyse (1995),<br />

S. 173 ff.; H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 3.<br />

341 Von einer Mikrotheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t man allgemein, wenn sie ihren Fokus auf das<br />

Individuum ri<strong>ch</strong>tet; von einer Makrotheorie, wenn es um die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

geht: H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 2 f. – dort allerdings<br />

mit spezifis<strong>ch</strong> sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en Differenzierungen zum <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sempfinden, auf<br />

die es in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ni<strong>ch</strong>t ankommt.<br />

342 Vgl. oben S. 78 (politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und die S<strong>ch</strong>werpunktthese) – ‚politis<strong>ch</strong>e' <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als diejenige im Zusammenhang mit Re<strong>ch</strong>t und Staat. Ein Verteilungsproblem bei staatli<strong>ch</strong> geregelter<br />

Organtransplantation (Mesotheorie) o<strong>der</strong> eine Frage <strong>der</strong> Legitimität von Ma<strong>ch</strong>tausübung<br />

bei Vertragsgestaltungen (Mikrotheorie) gehört ebenso zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wie die verfassungskräftige<br />

Garantie von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten (Makrotheorie).<br />

343 Vgl. V.H. S<strong>ch</strong>midt, Bounded Justice (1993), S. 19: »[I]t simply makes no sense to juxtapose works<br />

whose subjects barely overlap and whi<strong>ch</strong> share little more than a common semantic – in this case,<br />

the semantic of justice.«<br />

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