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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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na<strong>ch</strong> ihrem Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong> annimmt. Walzers <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie liegt dabei eine<br />

Konzeption zugrunde, die er 'komplexe Glei<strong>ch</strong>heit' nennt. »In allen mo<strong>der</strong>nen Gesells<strong>ch</strong>aften«<br />

soll diese »ein gültiger Standard« sein 162 und glei<strong>ch</strong>zeitig ein Garant<br />

gegen Totalitarismus 163 . Komplexe Glei<strong>ch</strong>heit ist eine Konzeption <strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

innerhalb einer politis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft 164 . Sie grenzt si<strong>ch</strong> vom 'System<br />

<strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>heit' ab, die dem Idealbild folgt, daß alles käufli<strong>ch</strong> ist und alle<br />

glei<strong>ch</strong> viel Geld haben 165 . Selbst wenn eine sol<strong>ch</strong>e einfa<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>heit jemals bestehen<br />

sollte, sei sie als Verteilungssystem instabil, weil dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Begabungen<br />

und damit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Erfolge im Warentaus<strong>ch</strong> sehr s<strong>ch</strong>nell Monopole<br />

bei den drei dominanten Gütern Rei<strong>ch</strong>tum, Ma<strong>ch</strong>t und Bildung entstehen würden.<br />

Funktionsfähig wäre das System <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>heit nur dur<strong>ch</strong> fortgesetzte<br />

staatli<strong>ch</strong>e Intervention bei glei<strong>ch</strong>zeitiger politis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>tkontrolle. Die universellen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien, die in liberalen <strong>Theorien</strong> wie <strong>der</strong> von Rawls begründet<br />

werden, stellten si<strong>ch</strong> in diesem Zusammenhang als Interventionsregeln für eine Monopolkontrolle<br />

dur<strong>ch</strong> den Staat dar.<br />

Walzer vertritt demgegenüber die These, daß es keine einheitli<strong>ch</strong>en Verteilungsprinzipien<br />

für alle Gemeins<strong>ch</strong>aften und alle Güter geben kann. Vers<strong>ch</strong>iedene Verteilungssphären<br />

seien ni<strong>ch</strong>t kongruent zueinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n jeweils autonom 166 . Erstens<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e politis<strong>ch</strong>e Ordnungen und Ideologien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Verteilungen 167 . Vor allem aber gelte zweitens, daß »vers<strong>ch</strong>iedene Güter vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Verteilungsregeln innerhalb ein und <strong>der</strong>selben Gesells<strong>ch</strong>aft verlangen.« 168 Statt<br />

eines singulären Distributionskriteriums kommen im System <strong>der</strong> komplexen Glei<strong>ch</strong>heit<br />

vielmehr je na<strong>ch</strong> Distributionssphäre 169 drei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Distributionsprinzipien<br />

zur Anwendung: freier Austaus<strong>ch</strong>, Verdienst und Bedürfnis 170 . Walzer belegt<br />

mit zahlrei<strong>ch</strong>en Beispielen, wie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> die Verteilungsprinzipien in Daseinsvorsorge,<br />

Warenhandel, Ämterverteilung, Arbeit, Freizeit, Bildung, Verwands<strong>ch</strong>aft,<br />

Religion, sozialer Anerkennung und Politik ausfallen können und wel<strong>ch</strong>e Varianzen<br />

dabei dur<strong>ch</strong> Kulturunters<strong>ch</strong>iede und zeitli<strong>ch</strong>en Wandel eintreten 171 . Angesi<strong>ch</strong>ts<br />

<strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>en Zahl mögli<strong>ch</strong>er Lebensweisen folgert er, daß eine bestehende<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft dann gere<strong>ch</strong>t sei, wenn sie ihr konkretes Leben in einer Weise bestimme,<br />

die den Vorstellungen ihrer Mitglie<strong>der</strong> entspre<strong>ch</strong>e 172 . Was in einer Gemeins<strong>ch</strong>aft un-<br />

162 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 11.<br />

163 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 445.<br />

164 Vgl. M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 61 ff., 65 ff.<br />

165 Hierzu und zum folgenden M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 41 ff.<br />

166 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 448.<br />

167 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 26 ff.<br />

168 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 12.<br />

169 Vgl. M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 448 f. – Die Unters<strong>ch</strong>eidung na<strong>ch</strong> Distributionssphären<br />

bedeute wandelbare soziale Sinngebung für Güter je na<strong>ch</strong> Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>.<br />

170 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 51 ff.<br />

171 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 108 ff., insbeson<strong>der</strong>e S. 203 ff. (209 ff.) zur Meritokratie<br />

in Gestalt des <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Examenssystems für Ämter im kaiserli<strong>ch</strong>en Dienst und S. 336 ff.<br />

(338 ff.) zum Bürgerball als organisiertem Heiratsmarkt.<br />

172 M. Walzer, Sphären <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1983), S. 441.<br />

165

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