16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Eine gemeinsame Behauptung <strong>der</strong> Diskurstheorien liegt darin, daß ein notwendiger<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> universellen Zustimmung unter idealisierten<br />

Bedingungen <strong>der</strong> Freiheit und Glei<strong>ch</strong>heit und <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit von Geltungsansprü<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie, also von Handlungsnormen, besteht. Dieser notwendige<br />

Zusammenhang kann in einem Theorem ausgedrückt werden, das gemeinhin<br />

'Diskursprinzip' genannt wird und in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Formulierung je<strong>der</strong><br />

Spielart <strong>der</strong> Diskurstheorie zugrundeliegt. Es sei hier in <strong>der</strong> Formulierung von Alexy<br />

wie<strong>der</strong>gegeben:<br />

D: »Ri<strong>ch</strong>tig und damit gültig sind genau die Normen, die in<br />

einem idealen Diskurs von jedem als ri<strong>ch</strong>tig beurteilt<br />

werden würden.« 498<br />

Wie anspru<strong>ch</strong>svoll dieses Diskursprinzip ist, zeigt si<strong>ch</strong> vor allem an einem Element<br />

<strong>der</strong> Diskursregeln: an <strong>der</strong> Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit des Diskurses. Denn Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit<br />

in Verbindung mit dem Diskursprinzip führt dazu, daß bei jedem Ergebnis, das<br />

auf <strong>der</strong> Ausübung von Zwang innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb des Diskurses beruht, die<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit ni<strong>ch</strong>t begründet werden kann. Es gibt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>em Verständnis<br />

keine anerkennungswürdige Begründung außer <strong>der</strong>jenigen, die in einem<br />

herrs<strong>ch</strong>aftsfreien Diskurs bestehen könnte. Das ist um so erstaunli<strong>ch</strong>er, als Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit<br />

im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie in <strong>der</strong> Realität nirgends vorzufinden ist.<br />

Kommunikation ist regelmäßig von sozialen Unters<strong>ch</strong>ieden beeinflußt, die Kommunikationsteilnehmer<br />

sind unentrinnbar in ihren jeweiligen Rollen befangen, sie finden<br />

si<strong>ch</strong> in Situationen <strong>der</strong> Verhandlung (bargaining), ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Verständigung (arguing),<br />

werden an freier und glei<strong>ch</strong>er Teilhabe teils aus Absi<strong>ch</strong>t, teils aus faktis<strong>ch</strong>er Unglei<strong>ch</strong>heit<br />

gehin<strong>der</strong>t. Selbst wenn es einmal das Ziel aller sein sollte, die herrs<strong>ch</strong>aftsfreie<br />

Teilhabe zu si<strong>ch</strong>ern, so bleiben zumindest äußere Sa<strong>ch</strong>zwänge: es besteht Ents<strong>ch</strong>eidungs-<br />

o<strong>der</strong> Handlungsdruck, jedenfalls aber ni<strong>ch</strong>t die Mögli<strong>ch</strong>keit, einen gefundenen<br />

Konsens, sofern er eintritt, je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in Frage zu stellen. Denn sol<strong>ch</strong>e<br />

Bindungslosigkeit würde die reale Verwertbarkeit von Diskursergebnissen<br />

grundlegend in Frage stellen. Es kann sie darum nur in akademis<strong>ch</strong>en Ausnahmesitutationen<br />

eines Diskurses als Selbstzweck geben. Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> geradezu 'diskursfeindli<strong>ch</strong>en'<br />

Rahmenbedingungen <strong>der</strong> sozialen Realität ist ein bloßer Hinweis darauf, daß<br />

die Bedeutung des Diskurses als Mittel <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsfindung si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on aus <strong>der</strong><br />

faktis<strong>ch</strong>en Teilnahme <strong>der</strong> Individuen s<strong>ch</strong>ließen ließe, ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end 499 . Es bedarf<br />

einer grundlegen<strong>der</strong>en Begründung dafür, daß <strong>der</strong> Diskurs – und nur <strong>der</strong> Diskurs –<br />

das geeignete Mittel zur Begründung von Handlungsnormen als ri<strong>ch</strong>tig und damit<br />

gültig ist.<br />

498 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 131. Fast inhaltsglei<strong>ch</strong> die Formulierung<br />

bei J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 138: »Gültig sind genau die Handlungsnormen,<br />

denen alle mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.«<br />

Ähnli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 25: »Gere<strong>ch</strong>t<br />

ist das, was in einem freien und glei<strong>ch</strong>en Diskurs aller mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen akzeptiert<br />

werden konnte.« Dem entspri<strong>ch</strong>t die Auffassung Perelmans, daß <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> ein universales<br />

Autitorium überzeugen will, nur sol<strong>ch</strong>e Normen vors<strong>ch</strong>lagen darf, die je<strong>der</strong>mann akzeptieren<br />

kann; C. Perelman, Fünf Vorlesungen über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1965), S. 153.<br />

499 So aber C.S. Nino, The Ethics of Human Rights (1991), S. 112 ff.<br />

231

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!