Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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zelakte, bestimmte Situationen, beson<strong>der</strong>s in Anbetra<strong>ch</strong>t einer eingetretenen Güterverteilung,<br />
einzelne Ents<strong>ch</strong>eidungen und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Personen 27 . Au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />
Grundformel <strong>der</strong> Gere<strong>ch</strong>igkeit, suum cuique (Jedem das Seine) 28 , läßt si<strong>ch</strong> die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Gegenstände von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen bes<strong>ch</strong>reiben: Wer o<strong>der</strong> was<br />
jedem das Seine gibt, <strong>der</strong> o<strong>der</strong> das ist gere<strong>ch</strong>t; ein Verhalten, eine Ordnung, ein Gesetz,<br />
ein Verhältnis, in dem jedem das Seine gegeben wird, ist gere<strong>ch</strong>t 29 .<br />
Die Vielfalt <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Gegenstände ist aber nur eine s<strong>ch</strong>einbare. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
lassen si<strong>ch</strong> die Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils nämli<strong>ch</strong> so aufeinan<strong>der</strong><br />
beziehen, daß alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile ohne Inhaltsverlust mit einem einzigen<br />
Gegenstand formulierbar sind (Transponierbarkeitsthese) 30 . Die Wahl dieses Gegenstandes<br />
ist ni<strong>ch</strong>t zwingend 31 . Häufig bildet die Person den Bezugspunkt (Tugendlehre).<br />
Hier sei das Handeln (Tun o<strong>der</strong> Unterlassen) gewählt. Die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong><br />
Transponierbarkeitsthese läßt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> belegen, daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> aller mögli<strong>ch</strong>en<br />
Gegenstände auf eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Handelns übertragen wird 32 : Bezieht<br />
man alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile auf Handeln, so ist ein Gesetz genau dann gere<strong>ch</strong>t,<br />
wenn es gere<strong>ch</strong>tes Handeln gebietet o<strong>der</strong> erlaubt und ungere<strong>ch</strong>tes Handeln verbietet.<br />
Einzelne Institutionen o<strong>der</strong> die Gesells<strong>ch</strong>aft insgesamt sind gere<strong>ch</strong>t, wenn in ihnen<br />
gere<strong>ch</strong>tes Handeln geboten o<strong>der</strong> erlaubt und ungere<strong>ch</strong>tes verboten ist. Situationen<br />
sind gere<strong>ch</strong>t, wenn sie fortbestehen dürfen, weil das Unterlassen einer Verän<strong>der</strong>ung<br />
gere<strong>ch</strong>t ist 33 . Ents<strong>ch</strong>eidungen sind genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn sie zugunsten gere<strong>ch</strong>ten<br />
Handelns ausfallen. Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sind Personen gere<strong>ch</strong>t, wenn sie stets gere<strong>ch</strong>t<br />
handeln 34 .<br />
27 Zur Vielfalt <strong>der</strong> Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1960), S. 357 ff.; J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 233; J. Rawls, Theory of Justice (1971), §<br />
2, S. 7; I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 69 ff.; O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>?<br />
(1991), S. 13 f.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 98 f. Entspre<strong>ch</strong>end zur Vielfalt <strong>der</strong><br />
Gegenstände <strong>der</strong> Legitimation A. Aarnio, Zur Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts (1989), S. 143.<br />
28 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />
29 So die Begriffsbestimmung bei E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 20.<br />
30 Vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 98 ff. (101). Dreier spri<strong>ch</strong>t zwar ni<strong>ch</strong>t von <strong>der</strong><br />
'Transponierbarkeit', zeigt aber, wie si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>sten Gegenständen<br />
des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils jeweils auf Handlungen und handlungsleitende Normen zurückführen<br />
läßt.<br />
31 A.A. J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 234, <strong>der</strong> das Handeln als einzigen Gegenstand ansieht,<br />
auf den si<strong>ch</strong> alle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile beziehen lassen: Au<strong>ch</strong> Personen könnten zwar 'gere<strong>ch</strong>t'<br />
sein, wenn sie stets versu<strong>ch</strong>ten, gere<strong>ch</strong>t zu handeln; umgekehrt sei aber ein Handeln ni<strong>ch</strong>t<br />
bereits deshalb gere<strong>ch</strong>t, weil eine gere<strong>ch</strong>te Person es vorgenommen hat. Dieser Kritik muß hier<br />
ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>gegangen werden, da ohnehin das Handeln als Anknüpfungspunkt für eine Transponierung<br />
aller <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile gewählt wird.<br />
32 Ähnli<strong>ch</strong> R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 101.<br />
33 Das Unterlassen einer Verän<strong>der</strong>ung ist mindestens dann gere<strong>ch</strong>t, wenn kein ungere<strong>ch</strong>tes Handeln<br />
zu <strong>der</strong> Situation geführt hat; vgl. R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 150 ff. (gere<strong>ch</strong>te<br />
Aneignung).<br />
34 So au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 357: »Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eines Mens<strong>ch</strong>en<br />
ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> seines sozialen Verhaltens«; vgl. den Wortlaut <strong>der</strong> suum cuique-Formel<br />
oben S. 45.<br />
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