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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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fenmodell legitimierbarer Ordnung zusätzli<strong>ch</strong>e diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Begründung zu<br />

entfalten, kann es sinnvoll sein, vers<strong>ch</strong>iedene reale juristis<strong>ch</strong>e Diskurse zu unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

die Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung und Verfassungsän<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />

Gesetzgebung, <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung und das Verwaltungsverfahren.<br />

Vom juristis<strong>ch</strong>en Diskurs als Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses muß<br />

in all diesen Fällen gespro<strong>ch</strong>en werden, weil juristis<strong>ch</strong>e Diskurse im Gegensatz zu<br />

allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskursen Bes<strong>ch</strong>ränkungen unterliegen. Juristis<strong>ch</strong>e Diskurse<br />

sind keine handlungsentlasteten Diskurse 148 , son<strong>der</strong>n dienen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit in einem<br />

materialen Ents<strong>ch</strong>eidungsrahmen 149 und unter formalen Ents<strong>ch</strong>eidungsbedingungen,<br />

die von Sa<strong>ch</strong>zwängen geprägt und dadur<strong>ch</strong> den Diskursidealen <strong>der</strong> unbegrenzten<br />

Zeit und Beteiligung abträgli<strong>ch</strong> sind (Zeitnot, Finanznot, Personalnot, Bedürfnis<br />

na<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit u.v.m.). Trotzdem bleiben sie als reale Diskurse identifizierbar,<br />

denn sie sind ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierte Begründungsverfahren, folgen also <strong>der</strong> regulativen<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen 150 .<br />

2. Die Verfassungsnormsetzung als realer Diskurs<br />

a) Die materielle Verfassungsordnung<br />

Demokratis<strong>ch</strong>e Verfassungsstaaten müssen keine ges<strong>ch</strong>riebene Verfassung haben,<br />

do<strong>ch</strong> sie verfügen als Teil ihrer Staatli<strong>ch</strong>keit jedenfalls über eine materielle Verfassungsordnung<br />

im Sinne von Fundamentalnormen <strong>der</strong> Staatsorganisation (leges fundamentales).<br />

Bei <strong>der</strong> Begründung dieser Verfassungsordnung wird die Souveränität<br />

des Volkes als verfassunggebende Gewalt (pouvoir constituant) wirksam, die si<strong>ch</strong> von<br />

allen an<strong>der</strong>en, erst mit dem Gründungsakt ges<strong>ch</strong>affenen Staatsgewalten (pouvoirs<br />

constitués) unters<strong>ch</strong>eidet 151 . Verfassungsnormen entstehen dur<strong>ch</strong> Verfassunggebung<br />

o<strong>der</strong> Verfassungsän<strong>der</strong>ung. Das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung o<strong>der</strong> -neugebung<br />

(Totalrevision) besteht regelmäßig in <strong>der</strong> Verabs<strong>ch</strong>iedung dur<strong>ch</strong> eine unmittelbar<br />

vom Volk gewählte Nationalversammlung o<strong>der</strong> in einem Referendum über den Verfassungsentwurf<br />

eines Verfassungskonvents. Die Verfassungsän<strong>der</strong>ung, die ni<strong>ch</strong>t<br />

Totalrevision ist, erfolgt regelmäßig dur<strong>ch</strong> einen verfassungsän<strong>der</strong>nden Gesetzgeber<br />

(pouvoir constituant constitué) in einem beson<strong>der</strong>en Verfahren, das die ers<strong>ch</strong>werte Abän<strong>der</strong>barkeit<br />

<strong>der</strong> Verfassungsnormen begründet 152 . In jedem Fall – bei Begründung<br />

148 Dazu oben S. 220 (handlungsentlasteter Diskurs).<br />

149 Ein Ents<strong>ch</strong>eidungsrahmen folgt selbst für Verfassungsdiskurse aus dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen,<br />

<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> unmittelbar begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen vorgegeben ist; siehe oben S. 317 ff.<br />

(unmittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

150 Vgl. J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 149 ff. sowie oben S. 218 (D Dr ), 221 (T Dr ).<br />

151 Vgl. zu diesen staatstheoretis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>lüsselbegriffen E.J. Sieyes, Was ist <strong>der</strong> Dritte Stand? (1789),<br />

Kapitel V (Unveräußerli<strong>ch</strong>keit des Verfassunggebungsre<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Nation); dazu E. Zweig, Die Lehre<br />

vom Pouvoir Constituant (1909), S. 116 ff. (137); aus jüngerer Zeit E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende<br />

Gewalt des Volkes (1986), S. 11 ff.; H. Dreier, Präambel (1996), Rn. 49 m.w.N. Die<br />

Bedeutung dieses Unters<strong>ch</strong>iedes für die Legitimation des positiven Re<strong>ch</strong>ts betonend H. Hofmann,<br />

Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 60 ff.<br />

152 Zum Charakteristikum <strong>der</strong> ers<strong>ch</strong>werten Abän<strong>der</strong>barkeit, das vielfa<strong>ch</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t ausnahmslos in<br />

einem qualifizierten Mehrheitserfor<strong>der</strong>nis besteht, vgl. H. Dreier, Artikel 79 II GG (1998), Rn. 7 f.<br />

(re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong>ende Bezüge), Rn. 11 (ers<strong>ch</strong>werte Abän<strong>der</strong>barkeit) m.w.N.<br />

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