16.04.2014 Aufrufe

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Knappheit (circumstances of justice 364 ) und um mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e wie gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Grunddaten (Psy<strong>ch</strong>ologie, Politik, Ökonomie 365 ), können Optimierungsstrategien zu<br />

ihrer Erlangung verfolgen 366 und verfügen über einen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn 367 sowie die<br />

Fähigkeit, eine individuelle Konzeption des guten Lebens zu entwerfen (conception of<br />

the good 368 ). Personen im Urzustand sind aber deshalb unparteiis<strong>ch</strong>, frei und glei<strong>ch</strong>,<br />

weil ihnen dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens ihre eigenen Fähigkeiten und Neigungen<br />

verborgen bleiben. Sie kennen we<strong>der</strong> ihren Platz in <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft, ihre<br />

Klasse o<strong>der</strong> ihren sozialen Status, no<strong>ch</strong> ihre persönli<strong>ch</strong>en Fähigkeiten (Talente, Intelligenz),<br />

Lebensziele o<strong>der</strong> Charaktereigens<strong>ch</strong>aften, ja ni<strong>ch</strong>t einmal die Generation, in<br />

die sie hineingeboren werden 369 . Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften, von denen sie<br />

Kenntnis haben, also <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn, die Vernunftbegabung und die Fähigkeit,<br />

eine Konzeption des Guten zu entwerfen, sind allesamt sol<strong>ch</strong>e, die bei den Parteien<br />

im nötigen Umfang glei<strong>ch</strong>ermaßen vorhanden sind 370 . Sie können also nur eine<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung treffen, die frei von persönli<strong>ch</strong>en Neigungen und in diesem Sinne 'autonom'<br />

ist. Autonom im Sinne des freien Willens bei Kant sind die Parteien im Urzustand<br />

au<strong>ch</strong> deshalb, weil Rawls sie als gegenseitig desinteressiert konzipiert, so daß<br />

niemand aus bloßem Neid o<strong>der</strong> bloßer Mißgunst eine Regelung ablehnt die Unglei<strong>ch</strong>heiten<br />

ermögli<strong>ch</strong>t und damit unter Umständen eine Besserstellung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

371 . So bleibt den Parteien ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es übrig, als die mögli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> Grundlage allgemeiner Überlegungen (general consi<strong>der</strong>ations)<br />

zu würdigen 372 . Die geda<strong>ch</strong>ten Parteien im Urzustand sind dur<strong>ch</strong> den<br />

S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens alle <strong>der</strong>art glei<strong>ch</strong> definiert, daß ein interesseorientiertes<br />

'Verhandeln' (bargaining) wie bei einem realen Vertragss<strong>ch</strong>luß o<strong>der</strong> bei hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialvertragstheorien überhaupt ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> ist 373 .<br />

364 Insoweit stützt si<strong>ch</strong> Rawls vollständig auf Hume; siehe J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 22,<br />

S. 126 ff. Dazu oben S. 79 (Umstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

365 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 137.<br />

366 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 25, S. 142 ff.<br />

367 J. Ralws, Political Liberalism (1993), S. 19: »A sense of justice is the capacity to un<strong>der</strong>stand, to apply,<br />

and to act from the public conception of justice whi<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>aracterizes the fair terms of social<br />

cooperation.«<br />

368 J. Ralws, Political Liberalism (1993), S. 19 f.: »[P]ersons also have at any given time a determinate<br />

conception of the good that they try to a<strong>ch</strong>ieve. Su<strong>ch</strong> a conception must not be un<strong>der</strong>stood narrowly<br />

but rather as including a conception of what is valuable in human life [... including] a view<br />

of our relation to the world – religious, philosophical, and moral – by reference to whi<strong>ch</strong> the value<br />

and significance of our ends and atta<strong>ch</strong>ments are un<strong>der</strong>stood.«<br />

369 Mit dieser Aufzählung J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 137.<br />

370 Vgl. J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 19: »The basic idea is that in virtue of their two moral<br />

powers (a capacity for a sense of justice and for a conception of the good) and the powers of reason<br />

(of judgment, thought, and inference connected with these powers), persons are free. Their<br />

having these powers to the requisite minimum degree to be fully cooperating members of society<br />

makes persons equal.«<br />

371 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 143 f.<br />

372 So ausdrückli<strong>ch</strong> J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 136 f.<br />

373 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 24, S. 139: »[S]ince the differences among the parties are<br />

unknown to them, and everyone is equally rational and similarly situated, ea<strong>ch</strong> is convinced by<br />

the same arguments. ... Thus there follows the very important consequence that the parties have<br />

no basis for bargaining in the usual sense.«<br />

202

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!