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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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eson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia particularis) 71 . In <strong>der</strong> ausglei<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die einerseits aus <strong>der</strong> Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit (iustitia commutativa) und an<strong>der</strong>erseits aus<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutma<strong>ch</strong>ungs- und Strafgere<strong>ch</strong>tigkeit (iustitia restitutiva, iustitia vindicativa)<br />

besteht, muß jedem Besitzübergang und je<strong>der</strong> Verletzung eine glei<strong>ch</strong> gewi<strong>ch</strong>tige<br />

Gegenleistung o<strong>der</strong> Sanktion entspre<strong>ch</strong>en. In <strong>der</strong> verteilenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia<br />

distributiva) müssen Glei<strong>ch</strong>e proportional Glei<strong>ch</strong>es erhalten. Nun wäre es naheliegend,<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in Anlehnung an das aristotelis<strong>ch</strong>e Verständnis als »Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

in bezug auf Verteilung und Ausglei<strong>ch</strong>« 72 zu definieren, um so die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Facetten des Glei<strong>ch</strong>heitsbezugs in D 1 weiter auszudifferenzieren. Dagegen spri<strong>ch</strong>t<br />

aber, daß es oft nur eine Frage <strong>der</strong> Perspektive ist, ob man eine soziale Situation unter<br />

Verteilungs- o<strong>der</strong> unter Ausglei<strong>ch</strong>saspekten analysiert 73 . D 1 bietet demgegenüber<br />

den Vorteil, daß offen bleiben kann, ob eine Verteilungs- o<strong>der</strong> Ausglei<strong>ch</strong>sproblematik<br />

vorliegt. Im übrigen ergibt si<strong>ch</strong> kein Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Definitionsansätzen,<br />

weil je<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug entwe<strong>der</strong> unter Verteilungs- o<strong>der</strong> unter Ausglei<strong>ch</strong>s-,<br />

häufig sogar unter beiden Gesi<strong>ch</strong>tspunkten bes<strong>ch</strong>rieben werden kann. Es ist mit D 1<br />

folgli<strong>ch</strong> vereinbar, die im Begriff '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' in Bezug genommenen Glei<strong>ch</strong>heitsprobleme<br />

als Summe aller Verteilungs- und Ausglei<strong>ch</strong>sprobleme zu verstehen; allerdings<br />

wäre es wohl ein Trugs<strong>ch</strong>luß, davon eine höhere Spezifität des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

zu erwarten.<br />

Aristoteles unters<strong>ch</strong>eidet neben diesen Formen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (iustitia universalis), verstanden als den Gesetzesgehorsam<br />

<strong>der</strong> Bürger 74 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in diesem Gehorsamssinne setzt begriffli<strong>ch</strong><br />

keine Glei<strong>ch</strong>heit voraus, denn je<strong>der</strong> kann ungea<strong>ch</strong>tet des Verhaltens an<strong>der</strong>er Gesetzesgehorsam<br />

üben o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Diese weitere Konnotation des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs<br />

ist indes in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>ermaßen<br />

rezipiert worden. Dafür gibt es gute Gründe. Denn entwe<strong>der</strong> versteht man den<br />

Re<strong>ch</strong>tsgehorsam bezogen auf das positive Re<strong>ch</strong>t, dann bietet ein sol<strong>ch</strong>er Gere<strong>ch</strong>tig-<br />

71 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, S. V 5 (1130b 5 ff.). Zur Struktur <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe<br />

siehe P. Trude, Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und<br />

Staatsphilosophie (1955), S. 53 ff. (allgemeine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), 98 ff. (beson<strong>der</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>);<br />

R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 102 ff.; C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 9 ff.; U. Manthe, Die Mathematisierung dur<strong>ch</strong><br />

Pythagoras und Aristoteles (1996), S. 1 ff., 26 ff.; <strong>der</strong>s., Stois<strong>ch</strong>e Würdigkeit und die iuris praecepta<br />

Ulpians (1997), S. 8 ff. In <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>olastik deutete Thomas von Aquin die aristotelis<strong>ch</strong>e Klassifizierung<br />

weiter aus: iustitia distributiva ist die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten gegenüber <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft festlegende<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, iustitia commutativa hingegen die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> einzelnen untereinan<strong>der</strong><br />

ausglei<strong>ch</strong>ende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; vgl. Thomas von Aquin, ST, II-II, 61, 1 (Antwort zu 3. & 5.) in<br />

<strong>der</strong> Übersetzung von Groner: »Das Verteilen <strong>der</strong> gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Güter steht allein dem Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />

für die Gemeins<strong>ch</strong>aftsgüter zu. ... Verteilungs- und Taus<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur wie Eins und Viel, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> ihrem vers<strong>ch</strong>iedenen Ges<strong>ch</strong>uldetsein:<br />

etwas an<strong>der</strong>es ist es nämli<strong>ch</strong>, jemandem etwas vom Gemeingut, etwas an<strong>der</strong>es, ihm sein Eigengut<br />

zu s<strong>ch</strong>ulden.« Zu an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sstudien in <strong>der</strong> abendländis<strong>ch</strong>en Philosophie siehe<br />

I. Tammelo, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1977), S. 36 ff. m.w.N.<br />

72 R. Alexy, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit (1997), S. 105.<br />

73 So au<strong>ch</strong> R. Alexy, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Ri<strong>ch</strong>tigkeit (1997), S. 104 (Mutter-Kind-Beispiel).<br />

74 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, S. V 2 (1129b 11-14). Vgl. P. Trude, Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

in <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsphilosophie (1955), S. 54 – wörtli<strong>ch</strong>: Gesetzes- und<br />

Re<strong>ch</strong>tsgehorsam.<br />

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