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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Lucas und Gauthier als irrational zurückgewiesen. Sol<strong>ch</strong>e grundlegenden Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>e<br />

in <strong>der</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> Verhandlungsprozedur belegen, daß si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong><br />

Spieltheorie selbst keine eindeutige Bere<strong>ch</strong>nungsmögli<strong>ch</strong>keit für Verhandlungen<br />

über soziale Kooperation ergibt. Darin liegt eine theorieimmanente Grenze <strong>der</strong><br />

Spieltheorie 71 .<br />

Innerhalb <strong>der</strong> bestehenden Spieltheorie und Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie ist in <strong>der</strong> neueren<br />

Kritik no<strong>ch</strong> eine weitere immantene Grenze aufgezeigt worden 72 . Dabei geht es<br />

um die Art, in <strong>der</strong> die individuellen Präferenzen bere<strong>ch</strong>net werden. Einer <strong>der</strong> größten<br />

Vorzüge <strong>der</strong> Spieltheorie gegenüber älteren utilitaristis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> ist <strong>der</strong>jenige,<br />

daß hier mit relativen Nutzenfaktoren gearbeitet wird 73 . Damit s<strong>ch</strong>eint das Problem<br />

<strong>der</strong> interpersonellen Nutzenverglei<strong>ch</strong>e überwunden, das entsteht, wenn man<br />

den individuellen (subjektiven) Nutzen einer Person mit demjenigen einer an<strong>der</strong>en<br />

Person abwägen will, ohne einen gemeinsamen (objektiven) Maßstab zu haben, auf<br />

den si<strong>ch</strong> alle Individualnutzen glei<strong>ch</strong>maßen beziehen ließen 74 . Relative Nutzenfaktoren<br />

sind das Fundament, auf dem die Spieltheorie ruht 75 . Ihre Bere<strong>ch</strong>nung basiert<br />

letztli<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> Voraussetzung, daß jede Person für si<strong>ch</strong> selbst und unabhängig<br />

von an<strong>der</strong>en sagen kann, wie sehr sie eine Handlungsmögli<strong>ch</strong>keit gegenüber einer<br />

Handlungsalternative bevorzugt 76 . In <strong>der</strong> neueren Kritik wird dem für die Handlungsalternativen<br />

innerhalb sozialer Bindungen entgegengehalten, daß die Präferenzen<br />

selbst wie<strong>der</strong>um von <strong>der</strong> Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Personen abhängen, si<strong>ch</strong> also<br />

gerade ni<strong>ch</strong>t für jede Person unabhängig von an<strong>der</strong>en bestimmen lassen 77 . Die Konsequenzen<br />

aus dieser Kritik sind no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t übers<strong>ch</strong>aubar. Es s<strong>ch</strong>einen aber Zweifel<br />

daran bere<strong>ch</strong>tigt, daß si<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e Verhaltensmuster auf alle an<strong>der</strong>en Berei<strong>ch</strong>e<br />

sozialen Handelns übertragen lassen. Wer beim Kauf eines Gebrau<strong>ch</strong>twagens und<br />

sogar bei <strong>der</strong> Partnerwahl im 'Heiratsmarkt' 78 seine relativen Nutzenfaktoren ohne<br />

fremde Hilfe 'bere<strong>ch</strong>nen' kann, <strong>der</strong> ist unter Umständen bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung über<br />

Erziehungsfragen o<strong>der</strong> bei politis<strong>ch</strong>en Wahlen dazu überhaupt ni<strong>ch</strong>t imstande, ohne<br />

vorher mit an<strong>der</strong>en Betroffenen über <strong>der</strong>en Präferenzen gespro<strong>ch</strong>en zu haben.<br />

71 Ähnli<strong>ch</strong> P. Ts<strong>ch</strong>annen, Stimmre<strong>ch</strong>t und politis<strong>ch</strong>e Verständigung (1995), S. 364.<br />

72 J. Nida-Rümelin/T. S<strong>ch</strong>midt/A. Munk, Interpersonal Dependency of Preferences (1996), S. 260 ff. –<br />

interpersonally dependent preferences.<br />

73 Vgl. oben S. 171 ff. (<strong>Theorien</strong> zur Optimierung relativer Nutzenfaktoren).<br />

74 Vgl. oben S. 154 (Harsanyis Utilitarismus).<br />

75 Vgl. oben S. 171 ff. (Nash, Harsanyi, Selten).<br />

76 Wenn A die Handlung X zur Verfolgung seine Interessen genauso nützli<strong>ch</strong> empfindet wie die<br />

Verhaltensalternative Y, dann besteht für X ein Nutzenfaktor von 0,5 (Indifferenz); repräsentiert X<br />

für A den größtmögli<strong>ch</strong>en Nutzen, dann ist <strong>der</strong> Nutzenfaktor für ihn 1,0; ist X für A völlig nutzlos,<br />

dann s<strong>ch</strong>milzt <strong>der</strong> Nutzenfaktor auf 0,0. Die beson<strong>der</strong>e Situation <strong>der</strong> Indifferenz wird in den<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialwissens<strong>ch</strong>aften gern für die Analyse von Verhaltensalternativen mittels<br />

Indifferenzkurven genutzt; dazu ausführli<strong>ch</strong> N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 106 ff.<br />

m.w.N.<br />

77 J. Nida-Rümelin/T. S<strong>ch</strong>midt/A. Munk, Interpersonal Dependency of Preferences (1996), S. 260 ff.<br />

78 Vgl. R.B. McKenzie/G. Tullock, Homo Oeconomicus (1984), S. 138 (Wahl des Ehepartners): »Das rationale<br />

Individuum wird bei <strong>der</strong> Wahl des Ehepartners versu<strong>ch</strong>en, seinen Nutzen zu maximieren,<br />

wie bei allen an<strong>der</strong>en Handlungen au<strong>ch</strong>.«<br />

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