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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Werte in dieser Stadt verstoßen 129 . Es kommt also ni<strong>ch</strong>t mehr darauf an, ob eine Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

individueller Re<strong>ch</strong>te aufgrund universeller Erwägungen überall zur Zulässigkeit<br />

von Verboten führen müßte. Die konkreten Sitten bilden einen eigenständigen<br />

und unter Umständen den einzigen Grund für die Legitimität eines Verbotes.<br />

Verallgemeinert man diesen Beispielsfall, so kann man sagen, daß Kommunitaristen<br />

eher bereit sind, Individualre<strong>ch</strong>te zur Wahrung traditioneller Lebensweisen und<br />

überkommener Wertvorstellungen <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft zu bes<strong>ch</strong>ränken. Bei dieser<br />

Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge wird au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, warum kommunitaristis<strong>ch</strong>es Gedankengut so<br />

aktuell in die politis<strong>ch</strong>e Diskussion Amerikas paßt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verfall von Sitten (moral<br />

community) und nationaler Identität (patriotism) beklagt wird. Abgesehen von sol<strong>ch</strong>en<br />

Tendenzaussagen lassen si<strong>ch</strong> die kommunitaristis<strong>ch</strong>en Strömungen aber ni<strong>ch</strong>t<br />

als Einheit verstehen, son<strong>der</strong>n müssen je für si<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t werden.<br />

2. Neoaristotelis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus (A. MacIntyre)<br />

Na<strong>ch</strong> dem neoaristotelis<strong>ch</strong>en Kommunitarismus MacIntyres liegt die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

allein darin, einen persönli<strong>ch</strong>en Standpunkt gegen Einwände dur<strong>ch</strong> immer<br />

bessere Gründe abzusi<strong>ch</strong>ern, bis Unstimmigkeiten, Auslassungen und Erklärungslücken<br />

mit <strong>der</strong> Zeit vers<strong>ch</strong>winden 130 . Die Bindung an einen persönli<strong>ch</strong>en Standpunkt<br />

wirkt si<strong>ch</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> als Bindung an eine bestimmte Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

aus 131 . Nur innerhalb einer sol<strong>ch</strong>en Traditionsgemeins<strong>ch</strong>aft sei überhaupt praktis<strong>ch</strong>e<br />

Erkenntnis mögli<strong>ch</strong> 132 . Wie an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien, insbeson<strong>der</strong>e die s<strong>ch</strong>on erwähnten<br />

Beoba<strong>ch</strong>tertheorien, grenzt si<strong>ch</strong> diese Konzeption von Vertrags- und Diskursrationalität<br />

ab. Sie erklärt jede Aussage über das ri<strong>ch</strong>tige Handeln für persönli<strong>ch</strong><br />

befangen und kommt konsequenterweise zu dem Ergebnis, daß die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Universalität<br />

glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>er Art fru<strong>ch</strong>tlos sei. MacIntyre hält deshalb den Liberalismus<br />

mit seinem Programm, universelle Vernunftprinzipien zu begründen, für ges<strong>ch</strong>eitert<br />

133 . Die vom Liberalismus geltend gema<strong>ch</strong>te Neutralität habe si<strong>ch</strong> ungewollt<br />

selbst zu einer Tradition entwickelt, sei also ni<strong>ch</strong>t traditionsneutral. Da <strong>der</strong> Liberalismus<br />

ni<strong>ch</strong>t begründbar sei, bleibe nur die Rückbesinnung auf die politis<strong>ch</strong>e Philosophie<br />

<strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition 134 .<br />

129 So das Beispiel bei A. Gutman, Die kommunitaristis<strong>ch</strong>en Kritiker des Liberalismus (1993), S. 79,<br />

die es einer mündli<strong>ch</strong>en Äußerung von Sandel zuweist.<br />

130 A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 144 f. (in Anknüpfung an das Verständnis praktis<strong>ch</strong>er Rationalität<br />

bei Aristoteles), 355 f. (für Entwicklungsstufen in <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft).<br />

131 MacIntyre unters<strong>ch</strong>eidet beispielhaft die aristotelis<strong>ch</strong>e, die augustinis<strong>ch</strong>e und die calvinistis<strong>ch</strong>e<br />

Tradition und spri<strong>ch</strong>t von einer »Rationalität <strong>der</strong> Traditionen«: A. MacIntyre, Whose Justice?<br />

(1988), S. 349 ff.<br />

132 So ausdrückli<strong>ch</strong> A. MacIntyre, Whose Justice? (1988), S. 350: »[T]here is no other way to engage in<br />

the formulation, elaboration, rational justification, and criticism of accounts of practical rationality<br />

and justice except from within some one particular tradition in conversation, cooperation, and<br />

conflict with those who inhabit the same tradition.«<br />

133 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 57 ff. (74). Deutli<strong>ch</strong> die Worte zu Begründbarkeit und<br />

Existenz von Natur- und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten, ebd., S. 98: »[D]ie Wahrheit ist einfa<strong>ch</strong>: es gibt keine<br />

sol<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te, und <strong>der</strong> Glaube daran entspri<strong>ch</strong>t dem Glauben an Hexen und Einhörner.«<br />

134 Vgl. A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 345: »Meine eigene S<strong>ch</strong>lußfolgerung ist absolut<br />

klar. Auf <strong>der</strong> einen Seite fehlt uns trotz <strong>der</strong> Bemühungen von drei Jahrhun<strong>der</strong>ten Moralphiloso-<br />

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