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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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damit eine Situation <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Unbestimmtheit ein, aus <strong>der</strong> heraus nur no<strong>ch</strong><br />

Verfahren legitime Ents<strong>ch</strong>eidungsgrundlagen bieten können. Auf diese Weise ist das<br />

relative Primat des <strong>Prozedurale</strong>n mit <strong>der</strong> Grundents<strong>ch</strong>eidung gegen einen Wissensabsolutismus<br />

verbunden. Weil die 'ri<strong>ch</strong>tige' soziale Ordnung ni<strong>ch</strong>t unmittelbar inhaltli<strong>ch</strong><br />

erkannt werden kann, bleiben nur Verfahren, um Ents<strong>ch</strong>eidungen über diese<br />

Ordnung zu treffen. Das hat au<strong>ch</strong> Folgen für den Charakter <strong>der</strong> Institutionen in einer<br />

Re<strong>ch</strong>tsordnung. Der Staat, seine Organe und Funktionsträger, sind ni<strong>ch</strong>t selbst<br />

Ziele im Sinne eines Ordnungsideals, son<strong>der</strong>n bloße Mittel zur Ermögli<strong>ch</strong>ung von<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren 132 .<br />

3. Zu einigen realen Verfahren: Diskurs, Abstimmung, Verhandlung, Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

Unabhängig von <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung gibt es in allen Sozialordnungen<br />

ein Spektrum realer Verfahren, die als Mittel prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung<br />

anerkannt sind. Das sind keinesfalls nur Diskurse 133 . Das eigennützige<br />

Verhalten von Marktteilnehmern bestimmt die privatautonome Re<strong>ch</strong>tserzeugung,<br />

wie sie dur<strong>ch</strong> vertragli<strong>ch</strong>e Bindung im Rahmen <strong>der</strong> Gesetze von Markt und<br />

Wettbewerb stattfindet. Die von egoistis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung getragene Verhandlung,<br />

die zu sol<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tsetzung führt, ist kein Diskurs und wird denno<strong>ch</strong> als<br />

Verfahren zur Erzeugung gere<strong>ch</strong>ter Ergebnisse anerkannt 134 . Au<strong>ch</strong> die Abstimmung<br />

im Parlament und bei Wahlen ist eine Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidung und kein Konsens im<br />

Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie. Selbst die s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te Dezisionsgewalt, die einer Regierung<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Gesetze bleibt, kann als gere<strong>ch</strong>tigkeitserzeugende Verfahrensregel<br />

angesehen werden, obwohl die Ents<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> Regierung mit Diskursivität – jedenfalls<br />

unmittelbar – ni<strong>ch</strong>ts zu tun hat.<br />

Im folgenden werden nur die Anfor<strong>der</strong>ungen untersu<strong>ch</strong>t, die an die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Verfahren vom Verfahrenstyp des realen Diskurses gestellt werden. Das ist nur<br />

s<strong>ch</strong>einbar eine gewi<strong>ch</strong>tige Bes<strong>ch</strong>ränkung auf einen Teil <strong>der</strong> anerkannten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsverfahren.<br />

Denn tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> besteht bei allen Verfahren eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Einhegung. Der privatautonom ges<strong>ch</strong>lossene Vertrag genießt nur solange Anerkennung,<br />

wie er si<strong>ch</strong> an die zwingenden Bestimmungen des Vertragsre<strong>ch</strong>ts hält, etwa<br />

das Wu<strong>ch</strong>erverbot 135 ; die Wahl von Abgeordneten ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> (verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en)<br />

Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätzen und den Re<strong>ch</strong>tsnormen <strong>der</strong> Wahlordnung; die<br />

Abstimmung im Parlament unterliegt (verfassungs-)re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> fixierten Mehrheitsregeln.<br />

Wenn, wie im folgenden, die Verfahren des Re<strong>ch</strong>ts als reale Diskurse angese-<br />

132 Vgl. zu diesem Charakterwe<strong>ch</strong>sel K.-H. Ladeur, Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Ordnungsbildung unter Ungewißheitsbedingungen<br />

und intersubjektive Rationalität (1996), S. 410: »azentris<strong>ch</strong>er Charakter komplexer<br />

Ordnungsbildung«. Zu Verfahren als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgaranten für bena<strong>ch</strong>teiligte Min<strong>der</strong>heiten<br />

vgl. T.W. Simon, Democracy and Social Injustice (1995), S. 196 ff.<br />

133 Vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84 ff., <strong>der</strong> außer Diskurs, Verhandlung, Abstimmung<br />

(eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Personalabstimmungen, d.h. Wahlen) und autoritativer Ents<strong>ch</strong>eidung no<strong>ch</strong> den<br />

S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), das Los (<strong>ch</strong>ance) und den Wettkampf (contest) nennt.<br />

134 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 114; C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva<br />

im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 44 ff., 48 (»Ri<strong>ch</strong>tigkeitsgewähr des Vertragsme<strong>ch</strong>anismus«),<br />

50 und 58 (»Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit«).<br />

135 C.-W. Canaris, Die Bedeutung <strong>der</strong> iustitia distributiva im deuts<strong>ch</strong>en Vertragsre<strong>ch</strong>t (1993), S. 51 ff.<br />

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