Rundbrief 42 - Fachverband Deutsch
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<strong>Fachverband</strong> <strong>Deutsch</strong> Diskussion <strong>Rundbrief</strong> <strong>42</strong> (2010)<br />
auch, diese Aufgabenarten gezielt einzuüben. Bisher war es üblich, ihre Beherrschung<br />
am Ende einer Unterrichtseinheit im Rahmen einer 4- oder 5-stündigen<br />
Klausur zu überprüfen. Keiner der sechs Aufgabentypen ist jedoch auch nur<br />
ansatzweise in einer 90-minütigen Klausur umsetzbar. Ein Blick auf die Beschreibung<br />
der Aufgabenart »Interpretation eines literarischen Textes«, wie<br />
sie in den Fachanforderungen für die Abiturprüfung [MBK09, 3] festgelegt<br />
ist, mag das verdeutlichen:<br />
Ein literarischer Text wird erschlossen durch eine – auf Vollständigkeit<br />
zumindest angelegte – Untersuchung der ihn konstituierenden<br />
inhaltlichen, formalen und sprachlichen Elemente. Die<br />
Interpretation stellt deren Zusammenhang dar und bezieht dabei<br />
auch z. B. literaturgeschichtliche, biografische, poetologische,<br />
motivgeschichtliche o. ä. Kontexte in die Untersuchung ein. (Hervorhebungen<br />
der Verf.)<br />
Die damit verbundenen Gedankenprozesse sind in 90 Minuten nicht leistbar<br />
und der postulierte Anspruch auf »Vollständigkeit« ist erst recht nicht<br />
einlösbar. Daraus folgt, dass die sechs Aufgabentypen für 90-minütige Klausuren<br />
entfallen müssen. Und aus dieser Folgerung ergeben sich zwei weitere<br />
Konsequenzen:<br />
1. SchülerInnen können zukünftig nicht mehr angemessen auf die abiturrelevanten<br />
Aufgabentypen vorbereitet werden.<br />
2. Es müssen völlig neue Aufgabenarten für 90-minütige Klausuren gestellt<br />
werden.<br />
Zu 1: Befürworter des Erlasses könnten vorschlagen, aufgrund der Zeitknappheit<br />
in den Klausuren statt der komplexen Aufgaben lediglich Teilkompetenzen<br />
abzuprüfen. Das Trainieren von Teilkompetenzen, z. B. das<br />
Erstellen von Gliederungen und das Verfassen einzelner Teile von Aufsätzen,<br />
ist seit jeher sinnvoller Bestandteil der vorbereitenden Unterrichtseinheit.<br />
Doch die Beherrschung der Teilkompetenzen lässt überhaupt keine Aussage<br />
darüber zu, ob der komplexe Schreibprozess auch beherrscht wird. Es ist<br />
also unverzichtbar, die einzelnen Teilkompetenzen in einem komplexen Text<br />
zusammenzuführen, wie es die SchülerInnen ja im Abitur auch leisten müssen.<br />
Diese umfassende Kompetenz, nämlich Strukturierung, Abfassung und<br />
Überarbeitung des Schreibproduktes, ist ein wesentlicher Baustein für die Förderung<br />
der Schreibkompetenz und muss langfristig geübt werden. Im Rahmen<br />
einer Klausur sind dafür aber mindestens vier Schulstunden notwendig. Bei<br />
90-minütigen Klausuren findet also keine angemessene Abiturvorbereitung<br />
statt.<br />
Zu 2: Grundsätzlich ist anzumerken, dass eine didaktisch-methodische Absicherung<br />
dieses Erlasses aussteht. Das Fehlen entsprechender Fortbildungsangebote<br />
führt zu einer allgemeinen Verunsicherung und einer Vielzahl neuer<br />
Klausurtypen, die eine vergleichbare Vorbereitung auf das Abitur unterbinden.<br />
Bei 90-minütigen Klausuren müssen Aufgabenarten gestellt werden, die nicht<br />
annähernd den Abituranforderungen entsprechen, da sie entweder kurze Texte<br />
mit gezielter bzw. isolierter Aufgabenstellung in den Vordergrund treten<br />
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