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Nützliches wiederverwenden statt entsorgen

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ENTSORGUNG<br />

<strong>Nützliches</strong> <strong>wiederverwenden</strong><br />

<strong>statt</strong> <strong>entsorgen</strong><br />

Eine Viertelmillion Tonnen Kehricht und Sperrgut fallen allein im Kanton Zürich pro Jahr an. Doch<br />

einiges davon fände dankbare Abnehmer, wenn diese Zugang dazu hätten. Etliche Gemeinden<br />

richten deshalb sogenannte Stöberecken als kostenlose Drehscheibe für Secondhand-Ware ein.<br />

Ein junges Paar zieht in eine gemeinsame<br />

Wohnung, das Haus der Grossmutter<br />

muss geräumt werden: Wohin<br />

mit den überflüssigen, aber noch<br />

brauchbaren Gegenständen? In solchen<br />

Situationen kann sich der Besuch<br />

von so genannten Stöberecken lohnen,<br />

wie sie immer mehr Gemeinden eingerichtet<br />

haben: Es sind gedeckte und<br />

meist überwachte Plätze, wo kostenlos<br />

Gegenstände deponiert beziehungsweise<br />

mitgenommen werden können.<br />

«Von Kleidern über Haushaltgegenstände<br />

bis zu Sportartikeln haben wir<br />

alles», sagt Jeannette Stasiowski vom<br />

Sammelstellenteam der Zürcher Gemeinde<br />

Gossau.<br />

Zusammen mit zwei Kollegen betreut<br />

sie die Hauptsammelstelle, an der Wertstoffe<br />

wie Altmetall, Sperrgut und Textilien<br />

entsorgt werden können. In einer<br />

speziell dafür eingerichteten Ecke von<br />

etwa 25 Quadratmetern finden sich seit<br />

über zehn Jahren auch Gegenstände,<br />

die nicht für die Wiederverwertung,<br />

sondern für die Wiederverwendung bestimmt<br />

sind. Angenommen wird alles<br />

noch Brauchbare ausser Möbeln und<br />

Unterhaltungselektronik; dies, weil früher<br />

zu viele defekte Geräte abgegeben<br />

wurden.<br />

Der Aufwand<br />

kann abschrecken<br />

Damit Stöberecken nicht zu Gerümpelhalden<br />

verkommen, müssen sie<br />

betreut sein. Für einige Gemeinden<br />

lohnt sich dieser Aufwand nicht. In<br />

der Stadt Dietikon beispielsweise<br />

wurde im Januar 2008 ein Postulat<br />

des Gemeinderats zur Einführung<br />

von Bring- und Holaktionen sowie<br />

zur Einrichtung permanenter Stöberecken<br />

abgelehnt. Argument dagegen<br />

waren hauptsächlich die Kosten, allein<br />

für den Tauschtag 10 000 Franken.<br />

Als Alternativen wurde auf den<br />

wöchentlichen Flohmarkt und auf<br />

das städtische Brockenhaus hingewiesen.<br />

Weitergeben <strong>statt</strong> wegwerfen: Besonders in Zürcher Gemeinden – wie hier in<br />

Opfikon – funktioniert die Stöberecke. (Bild: Rolf Gall)<br />

Die Grösse der Tauschecke<br />

bestimmt den Umschlag<br />

Während Hol- und Bringtage (siehe Kasten)<br />

in vielen Gemeinden regelmässig<br />

angeboten werden, sind fest eingerichtete<br />

Stöberecken noch selten. Im Kanton<br />

Zürich finden sie sich neben Gossau<br />

etwa in den Gemeinden Hinwil, Opfikon,<br />

Uster und Wetzikon. Gestaltung<br />

und Anbindung der Stöberecken sind<br />

von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich.<br />

Doch eine Kombination mit<br />

anderen Entsorgungskanälen macht<br />

Sinn: Steht die Drehscheibe für Gebrauchtes<br />

neben einer Sammelstelle,<br />

bringt das den Vorteil, dass die Leute<br />

wiederverwendbare Gegenstände gleich -<br />

zeitig mit Sperrgut und Wertstoffen abliefern<br />

können.<br />

«Trotz der Tauschecke kommt nicht weniger<br />

Sperrgut zusammen», bilanziert<br />

Stasiowski. Im Vergleich zu den jährlich<br />

rund 100 Tonnen abgeliefertem Recyclingmaterial<br />

sei die Menge angenommener<br />

Tauschwaren gering. Das Angebot<br />

steht nur Gemeindebewohnern zur<br />

Verfügung, aus diesem Grund wird auf<br />

Werbung verzichtet. Informiert wird le-<br />

diglich mit einem kleinen Hinweis auf<br />

der Gemeinde-Website in der Rubrik<br />

Abfall und mit dem Abfallkalender. «Anfangs<br />

gab es einen Tourismus von Auswärtigen,<br />

die das Tauschangebot nutzen<br />

wollten.» Doch werde die Stöberecke zu<br />

stark in Anspruch genommen, werde<br />

der Aufwand zu gross. Einen gewissen<br />

Umschlag braucht die Tauschecke jedoch,<br />

um für die Bevölkerung attraktiv<br />

zu sein. Tatsächlich wird das Angebot in<br />

Gossau rege genutzt: «Alles, was intakt<br />

ist, geht schnell weg.»<br />

Die Nachfrage nach Secondhand<br />

ist gross<br />

Einen anderen Weg zur Integration von<br />

Tauschangeboten ins Abfallwesen fand<br />

der Ökihof Zug, die städtische Entsorgungsstelle.<br />

Hier ist die Stöberecke das<br />

Brockenhaus der Frauenzentrale Zug,<br />

das in einem Gebäudeteil des Ökihofs<br />

eingerichtet ist. An die 130 freiwillige<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen<br />

den Betrieb sicher, wobei nur jene<br />

entlöhnt werden, welche die Artikel annehmen.<br />

Die Einnahmen aus dem Verkauf<br />

finanzieren den Betrieb und erlau-<br />

38 Schweizer Gemeinde 4/09


en es der Frauenzentrale, diverse Beratungsangebote<br />

und Projekte zu unterstützen.<br />

Die Annahmestelle des «Brockehuus<br />

beim Ökihof» ist von Montag bis Samstag<br />

während fünf bis sieben Stunden<br />

geöffnet, der Verkauf hingegen nur am<br />

Mittwochnachmittag und am Samstagvormittag.<br />

«Der Andrang ist teilweise<br />

enorm», sagt Esther Caviezel, die als eine<br />

von insgesamt fünf Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern in der Warenannahme<br />

arbeitet. Am Samstag würden oft 30 bis<br />

40 Bring- und Holwillige warten, bis das<br />

Brockenhaus seine Türe öffnet. Der<br />

grosse Andrang ist möglicherweise auf<br />

die gute Finanzlage des Kantons Zug<br />

zurückzuführen, die eine Wegwerfmentalität<br />

begünstigt. «Es ist wichtig, bei<br />

der Entgegennahme ein gutes Auge auf<br />

die Ware zu werfen, um keinen Abfall<br />

untergejubelt zu bekommen», berichtet<br />

Caviezel, sonst werde der Entsorgungsaufwand<br />

gross. Gebracht werden können<br />

gut erhaltene Gebrauchsgegenstände<br />

von Möbeln, Haushaltwaren,<br />

Kleidern über Bücher bis hin zu Sportgeräten<br />

– die Annahme ist unentgeltlich.<br />

«Schuhe sind heikel und werden<br />

nur angenommen, wenn sie in einem<br />

sehr guten Zustand sind.» Was akzeptiert<br />

wird, ist auch saisonabhängig: So<br />

werden beispielsweise von Frühling bis<br />

Herbst keine Skier angenommen und<br />

im Winter keine Gartenartikel.<br />

Dass der Übergang von Sammelstellen,<br />

Stöberecken und Brockenhäusern fliessend<br />

ist, zeigt auch die Stadt Opfikon.<br />

Aus der ehemaligen Tauschecke in der<br />

offenen Hauptsammelstelle im Rohr ist<br />

mittlerweile das Brockenhaus Sammelsurium<br />

geworden. Es wird betreut von<br />

der «Pischte», einem Projekt für Lang-<br />

Schnäppchenjagd zum Nulltarif<br />

zeitarbeitslose des Vereins Plattform<br />

Glattal. Das Brockenhaus befindet sich<br />

immer noch in der Sammelstelle, ist jedoch<br />

räumlich getrennt. «Das Projekt ist<br />

ein gutes Beispiel für eine soziale und<br />

ökologische Abfallpolitik», meint Rolf<br />

Gall, Umweltbeauftragter der Stadt Opfikon.<br />

Gut erhaltene Gegenstände<br />

finden einen neuen Besitzer<br />

Ökologische Werte sind auch im Firmenkonzept<br />

des WinWin-Markts in Herisau<br />

verankert, der vor sechs Jahren von der<br />

Stiftung Tosam gegründet und eröffnet<br />

wurde. Das Ziel der Organisation ist, Arbeitsmöglichkeiten<br />

für Menschen zu<br />

schaffen, die im primären Arbeitsmarkt<br />

Vom 24. bis 27. Juni ist es in Thun wieder so weit: 40 bis 50 Mitarbeiter der Holund<br />

Bringtage nehmen Gegenstände entgegen und sortieren sie in drei Hallen<br />

von 800 bis 1000 Quadratmetern. Die Aktion, die alle zwei Jahre <strong>statt</strong>findet, wird<br />

vom Tiefbauamt Thun in Kooperation mit den Nachbargemeinden Steffisburg,<br />

Heimberg und Uetendorf veranstaltet. Gegründet wurde sie mit der Idee, ärmeren<br />

Menschen wie Asylsuchenden gratis zu Gebrauchsgegenständen zu verhelfen.<br />

Mittlerweile holen diese Leute aber nicht mehr nur Ware, sondern bringen<br />

selbst auch nicht mehr Benötigtes. An den Bringtagen, jeweils von mittwochs<br />

bis freitags, können Alltagsgegenstände aller Art kostenlos abgegeben werden.<br />

Der Samstag ist als Abholtag reserviert. Die Leute kämen in Scharen und stürzten<br />

sich regelrecht auf die Ware. «Zwei Drittel der Gegenstände findet einen<br />

neuen Besitzer», erzählt Kurt Zwahlen, Abfallbeauftragter der Stadt Thun. Er berichtet<br />

von Dutzenden von Kleiderstangen, an denen bis zum Schluss nur wenige<br />

Stücke hängen blieben. Der personelle und damit der finanzielle Aufwand<br />

ist mit rund 100 000 Franken allerdings hoch. Die Qualität der abgelieferten Ware<br />

gibt immer wieder Anlass zur Diskussion, ob die Hol- und Bringtage weiter veranstaltet<br />

werden sollen. Gleichzeitig habe man sich überlegt, eine Tauschecke<br />

fest einzurichten. Der Aufwand dafür sei jedoch zu gross, und man wolle die Brockenhäuser<br />

nicht konkurrenzieren.<br />

Schweizer Gemeinde 4/09<br />

keine Stelle finden. «Die Nachfrage<br />

nach Beschäftigungsmöglichkeiten im<br />

ergänzenden Arbeitsmarkt stieg stetig»,<br />

erzählt Eugen Brunner, Bereichsleiter<br />

des WinWin-Markts. «Gleichzeitig war<br />

die Organisation der Sammelstelle Herisau<br />

im Umbruch.» In der öffentlichen<br />

Entsorgungsstelle wird der Abfall fachgerecht<br />

entsorgt. Wiederverwendbare<br />

Ware hingegen wird entweder in einen<br />

der sechs Secondhandläden des Win-<br />

Win-Markts oder in die Brockenhäuser<br />

Flawil und Degersheim gebracht. Der<br />

Betrieb wird unterstützt von Subventionen<br />

und Spenden, erwirtschaftet jedoch<br />

85 Prozent des Aufwands selber. Insgesamt<br />

werden 70 Mitarbeiter beschäftigt,<br />

die von drei Leitungspersonen und zwei<br />

Praktikanten unterstützt werden.<br />

Im WinWin-Markt können Gegenstände<br />

aller Art kostenlos abgegeben werden.<br />

Pro Tag werden an die Recyclingstelle<br />

durchschnittlich neun Tonnen Material<br />

abgeliefert, davon gelangen etwa eineinhalb<br />

Tonnen in den Wiederverkauf.<br />

Bei der Annahme von Waren erlebe man<br />

häufig den sogenannten «Tante-Emma-<br />

Effekt»: Die emotionale Bindung der<br />

Leute an gewisse Gegenstände sei<br />

gross, entsprechend die Enttäuschung,<br />

wenn Ware zurückgewiesen werde.<br />

Viele Menschen sähen ihr gutes Stück<br />

lieber in der Wiederverwendung als im<br />

Kehricht. Dass im Verkauf immer wieder<br />

Artikel liegen bleiben, ist nicht zu vermeiden,<br />

doch die Kosten sind bescheiden.<br />

Brunner: «Uns belastet das pro<br />

Monat nur mit ein paar hundert Franken.»<br />

Stefanie Strauch<br />

ENTSORGUNG<br />

In Thun hat sich der zweijährliche Bring-Holtag zu einem Grossanlass gemausert.<br />

(Bild: zvg)<br />

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