Ausgabe 2003 - Pfarrer- und Pfarrerinnenverein
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Übergänge von Widerspruch, Opposition<br />
oder Protest zum Widerstand sein<br />
können.<br />
Ilse Hartmann,<br />
Jahrgang 1911, machte 1934 ihr Erstes<br />
Theologisches Examen in eine völlig ungesicherte<br />
berufliche Zukunft hinein.<br />
Der Beruf <strong>Pfarrer</strong>in wurde ihr verwehrt;<br />
schließlich wurde die Frauenordination<br />
in Bayern erst 1976 eingeführt. 1937<br />
bekam sie immerhin einen Auftrag für<br />
Jugendarbeit im Kirchenkreis München<br />
mit Augsburg <strong>und</strong> Regensburg zusammen.<br />
Mädchen, die an den von ihr veranstalteten<br />
Freizeiten teilnehmen wollten,<br />
benötigten einen Urlaubsschein<br />
von der BDM-Führung <strong>und</strong> mussten<br />
sich durch ihre Eltern bei der GESTAPO<br />
registrieren lassen. Haben diese Eltern<br />
<strong>und</strong> ihre Kinder nicht auch eine Form<br />
von Widerstand geleistet, selbst wenn<br />
sie es sicher so nicht verstanden wissen<br />
wollten?<br />
Bekennende Kirche<br />
Im theologischen Teil zur Bekennenden<br />
Kirche erinnerte Christian Blendinger<br />
an Karl Barths christozentrischen Ansatz<br />
gegen die neulutherische Zweireichelehre<br />
<strong>und</strong> an die auch damit zusammenhängende<br />
Erkenntnis des bayerischen<br />
<strong>Pfarrer</strong>s Karl Steinbauer: »Öffentlichem<br />
Unrecht muss auch öffentlich<br />
widerstanden werden«. Was in unserer<br />
Zeit fast als selbstverständlich gilt, war<br />
damals höchst gefährlich <strong>und</strong> zugleich<br />
für viele evangelisch-lutherische Theologen<br />
unerhört.<br />
Eine ähnliche theologische Konfliktlinie<br />
machte Hermann Blendinger in den<br />
Auseinandersetzungen über die Wiederbewaffnung<br />
nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg aus.<br />
Wiederbewaffnung<br />
S. 140 KORRESPONDENZBLATT<br />
Nr. 8/9 Aug./Sept. <strong>2003</strong><br />
Landesbischof Meiser erklärte 1951 im<br />
Blick auf die bevorstehende Aufrüstung<br />
der BRD <strong>und</strong> einen Brief Martin Niemöllers<br />
mit der Überschrift »An die Gewehre?<br />
– Nein!«: »Aber dagegen ist Verwahrung<br />
einzulegen, dass eine rein politische<br />
Ermessensfrage zum Gegenstand<br />
kirchlicher Verkündigung gemacht<br />
wird.« Das Wort des Weltrates der Kirchen<br />
von 1948 (»Krieg soll nach Gottes<br />
Willen nicht sein«) wurde in Bayern lange<br />
Zeit kaum rezipiert. Dagegen stand,<br />
propagiert z.B. durch Walter Künneth<br />
die Frage nach der bolschewistischen<br />
Gefahr im Vordergr<strong>und</strong>. Erst 1961 bat<br />
der meist sehr zurückhaltende Bruderrat<br />
der Pfarrbruderschaft den Landeskirchenrat,<br />
sich um die Kriegsdienstverweigerer<br />
zu kümmern <strong>und</strong> dem Staat<br />
Vorschläge für den Einsatz von Ersatzdienstleistenden<br />
zu machen. 1967<br />
gründete sich die »Evang. Arbeitsgemeinschaft<br />
zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer<br />
in Bayern« (EAK), <strong>und</strong><br />
es wurde ein landeskirchlicher Beauftrager<br />
für diese Arbeit bestellt. Damit<br />
entstand letztlich auch eine Richtungsgruppe<br />
für kirchliche Friedensarbeit innerhalb<br />
der Landeskirche, deren Haltung<br />
vom Landeskirchenrat zwar nicht<br />
geteilt, aber geduldet <strong>und</strong> als Teil des<br />
kirchlichen Meinungsspektrums gedeckt<br />
wurde.<br />
Die bürgerliche Orientierung<br />
der Kirchengemeinden<br />
Zur gleichen Zeit <strong>und</strong> im Zusammenhang<br />
damit vertraten <strong>Pfarrer</strong> wie Dieter<br />
Helbig Ansätze, die fast ausschließlich<br />
bürgerliche Orientierung der Kirchengemeinden<br />
vom Evangelium her in<br />
Frage zu stellen. Die daraus resultierenden<br />
Konflikte waren auch für die<br />
Kirchenleitung völlig ungewohnt. Die<br />
Folge war eine Öffnung <strong>und</strong> Polarisierung<br />
der betroffenen Gemeinden zugleich.<br />
Bürgerversammlungen pro <strong>und</strong><br />
contra wurden abgehalten, Nicht-Gedeihlichkeitsverfahren<br />
<strong>und</strong> die Aufforderung,<br />
sich anderswohin zu bewerben<br />
folgten.<br />
AEE<br />
Nicht als Widerstands,- sondern als<br />
kirchliche Reformbewegung verstand<br />
sich die »Aktionsgemeinschaft für Evangelische<br />
Erneuerung« (AEE), die im November<br />
1967 gegründet wurde. Altlandesbischof<br />
Hermann von Loewenich,<br />
damals neben Kurt Hoffmann <strong>und</strong><br />
Werner Schanz einer der drei Initiatoren<br />
erinnerte daran. Ausgangspunkt<br />
war die Sorge, dass sich eine Kirche, die<br />
auf überkommenen Positionen beharrt<br />
die Fähigkeit verlieren würde, sich den<br />
Wandlungen der Gesellschaft konstruktiv<br />
zu stellen. Stärkere Beteiligung der<br />
Kirchenglieder, insbesondere der Frauen<br />
<strong>und</strong> die Frauenordination waren<br />
wichtige Ziele. Dabei wurde der Ansatz<br />
ganz besonders bei der Arbeit der Landessynode<br />
gesucht. Auch da ging es<br />
nicht um Widerstand, sondern um offenen<br />
Disput. Die Gründung des synodalen<br />
Arbeitskreises »Offene Kirche« nach<br />
der Wahl 1971 war unmittelbar damit<br />
verb<strong>und</strong>en.<br />
Die Schwerpunkte auf der am Vorabend<br />
erstellen Zeitleiste zeigten, dass der<br />
Kampf gegen die NATO-Nachrüstung<br />
Anfang der 80er Jahre für viele Tagungsteilnehmer<br />
prägend war.<br />
Nachrüstung<br />
Klaus Rettig, Mitglied der DFG-VK <strong>und</strong><br />
des Bayreuther Friedensforums, berichtete,<br />
dass er damals wegen »methodisch-didaktischer<br />
Mängel« als Religionslehrer<br />
der Gewerblichen Berufsschule<br />
Bayreuth suspendiert wurde. In<br />
Wirklichkeit ging es wohl um den Verdacht<br />
politischer Unzuverlässigkeit.<br />
Doch vieles in der Kirche hatte sich<br />
inzwischen verändert: Nicht nur, dass die<br />
Kirche <strong>Pfarrer</strong> Rettig eine berufliche Zukunft<br />
garantierte. Rettig erinnerte sich<br />
auch daran, dass ihm gegenüber Landesbischof<br />
Hanselmann persönlich erklärte,<br />
auch er sei Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft.<br />
Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung<br />
der Schöpfung<br />
Zur gleichen Zeit wurde vom Ökumenischen<br />
Rat der Kirchen der Prozess für<br />
Frieden, Gerechtigkeit <strong>und</strong> Bewahrung<br />
der Schöpfung initiiert. Hans Harald<br />
Willberg benannte nicht nur die Ziele<br />
dieser Bewegung (die Probleme <strong>und</strong><br />
Nöte der Welt in ihrer Vernetztheit sehen),<br />
sondern auch die Arbeitsschritte:<br />
»Wahrnehmen – Prüfen – Handeln –<br />
Feiern«. In B<strong>und</strong>esschlüssen hatten sich<br />
die Teilnehmer des Konziliaren Prozesses,<br />
darunter ganze Kirchen seinerzeit<br />
verpflichtet, in Zukunft verstärkt für<br />
Frieden, Gerechtigkeit <strong>und</strong> Bewahrung<br />
der Schöpfung zu arbeiten. Die noch<br />
heute tätigen »Ökumenischen Netze«<br />
sind ein Ergebnis dieser Verpflichtung.<br />
Angesichts der unverfrorenen Selbstverständlichkeit,<br />
in der Krieg in unseren<br />
Tagen wieder als Mittel der Politik<br />
propagiert wird, ergebe sich die Aktualität<br />
der damaligen Anstöße <strong>und</strong> Methoden.<br />
»Die Unversehrtheit des menschlichen<br />
Lebens, die Menschenwürde, das<br />
Selbstbestimmungsrecht der Völker, der<br />
Kampf gegen die Armut in der Welt <strong>und</strong><br />
das schon so empfindlich gestörte Ökosystem,<br />
sie alle brauchen eine Lobby«,<br />
so H.H. Willberg. Gerade von den Nicht-<br />
Regierungsorganisationen würden heute<br />
die entscheidenden Anstöße zur Veränderung<br />
kommen; weitere Vernetzung<br />
an der Basis sei nötig.<br />
Atomenergie<br />
In diese Arbeit eingeb<strong>und</strong>en verstand<br />
sich auch der »Arbeitskreis Atomenergie<br />
<strong>und</strong> <strong>und</strong> Gemeinde«, mitbegründet<br />
von Gerhard Roth, damals <strong>Pfarrer</strong> in<br />
Schwandorf. Seit 1985 hing die Gefahr