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FMH Services - Schweizerische Ärztezeitung

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Begegnung mit …<br />

Horizonte<br />

zum Beispiel. «Ich pflege einen partizipativen Führungsstil<br />

mit flachen Hierarchien, lasse viele mitreden<br />

und höre ihnen zu. Ich glaube, dass ich gutmütig<br />

bin, manchmal vielleicht zu gutmütig. Nur<br />

etwas ärgert mich: der Kostendruck im Gesundheitswesen<br />

und der Machtkampf in den Spitälern<br />

zwischen Verwaltung, Direktion und Ärzteschaft.<br />

Wer die Hauptleistung erbringt, hat am wenigsten<br />

zu sagen. Diese Diskrepanz macht mich grantig.»<br />

Dazu kommt der Druck der Patienten mit ihren Erwartungen.<br />

Und, last but not least, die Familie mit<br />

ihren legitimen Ansprüchen, die allzu oft zu kurz<br />

kommen. Kurz: «Wir Spitalärzte sind wie in einem<br />

Schraubstock.»<br />

Nach all den Stunden am Operationstisch warten<br />

auf dem Tisch im Büro die Papierstapel. Jonathan<br />

Spycher macht keinen Hehl daraus: Dieser Teil<br />

seiner Arbeit gefällt ihm am wenigsten, bringt ihn<br />

manchmal sogar ins Zweifeln. «Es gibt viele Widerwärtigkeiten,<br />

die mit meinem klinischen Hintergrund<br />

nichts zu tun haben. Es weht ein starker Gegenwind.<br />

Die Empathie und die eigentliche ärztliche<br />

Kunst des Heilens drohen verloren zu gehen. Aber<br />

ich will nicht einfach ein Zahnrad in einem Getriebe<br />

sein. Sollte der Druck einmal grösser werden als die<br />

Freude – ja dann müsste ich mir halt etwas Neues<br />

überlegen.»<br />

Fast wehmütig schweift der Blick jetzt nach<br />

draus sen, wo es leise schneit. Und dann auf den<br />

Computerbildschirm, wo ein kleines, exotisches<br />

«Wer die Hauptleistung erbringt, hat am wenigsten<br />

zu sagen. Diese Diskrepanz macht mich grantig.»<br />

Dorf in einer grünen Landschaft zu sehen ist. Dort,<br />

im östlichen Hochland von Papua-Neuguinea, ist<br />

dieser Mann aufgewachsen, hat er die ersten rund<br />

15 Jahre seines Lebens verbracht. Es gab dort eine<br />

Sanitätsstation, geleitet von einer deutschen Krankenschwester.<br />

«Die war super», erinnert sich Spycher,<br />

«sie machte alles, von der Wundversorgung bis<br />

zur Geburtshilfe.» Brandwunden, Arbeitsunfälle und<br />

Verletzungen aus Stammeskriegen waren häufig. Ein<br />

archaischer Ort. Welcher Kontrast zur hiesigen Welt!<br />

«Dort hatten wir nichts – aber konnten alles<br />

machen. Und hier hat man so unglaublich viel, ist<br />

aber gleichzeitig unglaublich eingeschränkt.»<br />

Die Sehnsucht<br />

Pidgin spricht Spycher noch, die Stammessprache<br />

Tairora hat er vergessen. Geblieben ist ihm vor<br />

allem die Sehnsucht. Der Traum, einmal Arzt in<br />

Afrika zu sein. Es ist der Traum vom einfachen<br />

Leben und der einfachen Medizin. Geträumt in<br />

e iner Hightech-Welt, wo junge Menschen von<br />

Felsen springen, um das Leben zu spüren.<br />

Ben kommt ihm in den Sinn, ein junger Base-<br />

Jumper, den er mal zusammengeflickt hat. Später<br />

fand ihn Spycher im Internet, auf der sogenannten<br />

«Fatality-List». «Dort stehen die Namen von denen,<br />

die in den Tod sprangen. Ben war auch darunter. Das<br />

beschäftigt mich schon. Aber ich akzeptiere den<br />

Lauf der Natur.»<br />

Die Adrenalin-Junkies verurteilt Spycher nicht.<br />

Denn im Herzen ist er selber ein Abenteurer. Gross<br />

geworden in einer Gegend, wo sich Häuptlinge mit<br />

Äxten und Pfeilen bekämpften und es einst sogar<br />

Menschenfresser gab. «Als Kind wollte ich Kriegsoder<br />

Katastrophenchirurg werden.» Als Jugendlicher<br />

wollte er auswandern. In Australien machte er das<br />

Privatpilotenbrevet und kam dann, als das Geld ausging,<br />

via China und Russland zurück in die Schweiz.<br />

Im Militär war er bei den Grenadieren. Und auch in<br />

der Freizeit sucht er manchmal die Action, in einer<br />

Felswand zum Beispiel. Interlaken ist für ihn auch<br />

deshalb ein guter Ort, «nur habe ich fast keine Zeit<br />

mehr für Freizeitaktivitäten». Das ist ein roter Faden<br />

im Leben dieses Orthopäden – und etwas auch, was<br />

ihn mit vielen seiner Patienten verbindet: «Ich war<br />

immer risikofreudig, unsichere Situationen faszinieren<br />

mich seit jeher.»<br />

Wobei «unsicher» keineswegs «unruhig» bedeutet.<br />

Im Gegenteil. «Je hektischer es hier wird, desto<br />

ruhiger und fokussierter werde ich. In aller Seelenruhe<br />

geht es besser und meistens auch am schnellsten.»<br />

Die nächste «Begegnung mit …»<br />

Am ende jeden Monats stellt die <strong>Schweizerische</strong> Ärztezeitung eine Persönlichkeit vor, die sich im<br />

Gesundheitswesen engagiert. im April schildert Daniel Lüthi seine Begegnung mit Andreas oesch, Gefäss-Chirurg,<br />

Krampfadern- bzw. Venenspezialist, Berner Chansonnier.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

<strong>Schweizerische</strong> Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2012;93: 13 519

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