Vortrag Richter a.D. Rainer Kuhls - LAG Wohnen für behinderte ...
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„Freiheit bei geschlossenen Türen. Möglichkeiten und Chancen?“<br />
Tagung der Landesarbeitsgemeinschaft <strong>Wohnen</strong> für <strong>behinderte</strong> Menschen e.V.<br />
und des Regierungspräsidiums Gießen in Wetzlar am 18. November 2010<br />
Einführungsreferat <strong>Rainer</strong> <strong>Kuhls</strong>, Direktor des Amtsgerichts und<br />
Betreuungsrichter a.D.<br />
I. Einleitung<br />
Das Thema Freiheitsentzug ist naturgemäß sehr komplex.<br />
Es gibt erhebliche Spannungsfelder zwischen den individuellen Interessen kranker und<br />
<strong>behinderte</strong>r Menschen, den Interessen der Allgemeinheit und den Interessen des<br />
professionellen Umfelds.<br />
So garantieren Art. 1 und 2 GG den Schutz der Würde des Menschen und das Recht der<br />
Person auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit.<br />
Art. 104 Abs 2 GG gibt Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug:<br />
• Freiheitsentzug nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes<br />
• Verbot der seelischen und körperlichen Misshandlung festgehaltener Personen<br />
• nur der <strong>Richter</strong> kann über Zulässigkeit und Fortdauer des Freiheitsentzugs<br />
entscheiden<br />
• bei Freiheitsentzug ohne richterliche Anordnung ist unverzüglich eine<br />
richterliche Entscheidung herbeizuführen.<br />
Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass freiheitsentziehende Maßnahmen<br />
nur dann in Betracht kommen, wenn sie als ultima ratio unvermeidlich und -sollte dies der<br />
Fall sein- angemessen sind; bei der Beurteilung ist eine sorgfältige Güterabwägung<br />
vorzunehmen.<br />
Es darf aber nicht außer Acht bleiben, dass auch andere, d.h. a l l e Menschen Anspruch<br />
auf den Schutz der Verfassung und der Gesetze haben, nämlich die, die durch <strong>behinderte</strong><br />
oder kranke Menschen Nachteile erleiden (Angehörige, Nachbarn, Arbeitskollegen) oder<br />
solche, die in therapeutischen Einrichtungen oder Krankenhäusern täglich mit ihnen<br />
umgehen müssen, dies unter dem Druck eines umfassenden straf-, zivil-, arbeits-,<br />
disziplinar- und standesrechtlichen Haftungssystems.<br />
Hier einen gerechten und adaequaten Ausgleich zu schaffen, eine Abgrenzung vorzunehmen,<br />
ist die hohe Kunst der Rechtsanwendung und –fortbildung, die nicht pauschal, sondern<br />
„fallbezogen“ unter Abwägung der berechtigten Interessen aller Beteiligten erfolgen muss.<br />
Der Gesetzgeber hat lediglich einen Rahmen vorgegeben, der von den Anwendern in der<br />
Praxis und den Gerichten im Einzelfall umgesetzt, „mit Leben erfüllt“ werden muss.<br />
II. Zum Thema: Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen<br />
1. Unterbringung<br />
a. Formen
Zivilrechtliche Unterbringung gem. § 1906 Abs.1 BGB (Volljährige betreffend) oder gem. §<br />
1631 b BGB (Minderjährige betreffend, auf Antrag der gesetzlichen Vertreter);<br />
Öffentlichrechtliche Unterbringung nach Landes- und Bundesrecht (z.B. HFEG/PsychKG;<br />
InfSchG);<br />
Strafrechtliche/forensische Unterbringung als Maßregel der Sicherung und Besserung in<br />
Psychiatrischen Krankenhäusern, Entziehungsanstalten oder in der Form der<br />
Sicherungsverwahrung.<br />
Die öffentlich/strafrechtliche Unterbringung ist gegenüber der zivilrechtlichen Unterbringung<br />
subsidiär.<br />
Thema dieses Referats werden im Folgenden ausschließlich die zivilrechtliche<br />
Unterbringung und die weiteren freiheitsentziehenden Maßnahmen gem. § 1906<br />
Abs. 4 BGB.<br />
Grundlage ist das Bürgerliche Gesetzbuch, 4. Buch (Familienrecht), Abschnitt Betreuung (§§<br />
1896 ff.) mit umfassenden Verweisen auf das Vormundschaftsrecht (§ 1908 i BGB).<br />
Wir sprechen im Folgenden von Freiheitsentzug/Unterbringungen/“Einweisungen“ in<br />
Psychiatrischen Krankenhäusern, Wohnheimen für psychisch kranke oder <strong>behinderte</strong><br />
Menschen sowie in gerontopsychiatrischen Bereichen von Alten- und Pflegeheimen.<br />
Dabei ist zu beachten, dass im Hinblick auf die unterschiedliche Klientel und deren<br />
individuellen Bedürfnisse sowie die Eigenarten der jeweiligen Einrichtungen erhebliche<br />
Unterschiede zwischen den einzelnen Unterbringungsformen bestehen.<br />
Alleiniges Ziel der zivilrechtlichen Unterbringung ist die Beseitigung der Eigengefährdung,<br />
grundsätzlich nicht der Fremdgefährdung; mittelbare Fremdgefährdungen sind denkbar<br />
(provozierte Notwehrreaktionen, Gefahr straf- und zivilrechtlicher Maßnahmen).<br />
b. Voraussetzungen<br />
aa. Die Entscheidung über das Erfordernis des Freiheitsentzugs trifft der gesetzliche Vertreter<br />
des Betroffenen (Betreuer oder Bevollmächtigter), der auch für die Durchführung zuständig<br />
ist; er unterliegt allerdings dem erwähnten Genehmigungsvorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) und<br />
muss daher beim Betreuungsgericht einen Antrag auf Genehmigung der Maßnahme stellen.<br />
Der Betreuer kann nur handeln, wenn ihm vom Gericht zumindest der Aufgabenkreis<br />
„Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über Unterbringungen und<br />
unterbringungsähnliche Maßnahmen“ übertragen wurde<br />
Eine Betreuungsverfügung muss, wenn sie freiheitsentziehende Maßnahmen umfasst,<br />
zwingend schriftlich getroffen werden und die Maßnahmen genau bezeichnen.<br />
Eine Vorsorgevollmacht, die sich auf die Entscheidung über Freiheitsentzug erstreckt, muss<br />
in<br />
der gleichen Form erteilt werden (§ 1906 Abs. 5 BGB).<br />
Die Genehmigung muss grundsätzlich vorher erteilt werden (§ 1906 Abs.2 S.1 BGB).
Ausnahmsweise reicht die nachträgliche Genehmigung (§ 1906 Abs.2 S.2 BGB), wenn mit<br />
dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung muss unverzüglich nachgeholt<br />
werden.<br />
Die drohende Gefahr muss so konkret sein, dass sie nur durch sofortiges Handeln<br />
abgewendet werden kann.<br />
Die Dringlichkeit muss mindestens durch ein ärztliches Zeugnis oder ein konkretes Ereignis<br />
belegt sein; Beispiele für letzteres: Drogenrausch, Entzugssymptomatik, Hilflosigkeit durch<br />
Krankheit, Drogen o.ä., Herumirren verwirrter Menschen, nicht steuerbare Aggressivität,<br />
suizidale Situation.<br />
Die Gefahr muss nicht auf gezieltem Tun beruhen; denkbar sind auch passive<br />
Verhaltensweisen wie Nahrungsverweigerung oder Ablehnung unvermeidlicher ärzlicher<br />
Maßnahmen.<br />
Ist ein Betreuer noch nicht bestellt oder verhindert und liegt keine Vorsorgevollmacht vor,<br />
hat<br />
der Betreuungsrichter in Abweichung vom üblichen Verfahren im Rahmen einer einstweiligen<br />
Maßregel die im Interesse des Betroffenen erforderlichen Entscheidungen selbst zu treffen<br />
(§1846 BGB).<br />
Der Betreuer muss aber nachträglich umgehend informiert bzw. umgehend bestellt werden<br />
und die weiteren Entscheidungen übernehmen.<br />
bb. Es muss ein Gefährdungstatbestand vorliegen (§ 1906 Abs.1 Z.1 BGB), d.h. die Gefahr<br />
der Selbsttötung oder eines erheblichen gesundheitlichen Schadens vorliegen<br />
und/oder<br />
das Erfordernis einer Untersuchung, einer Behandlung oder eines ärztlichen Eingriffs<br />
bestehen (§ 1906 Abs.1 Z.2 BGB).<br />
Die Maßnahme muss zum Wohl des Betroffenen erforderlich sein.<br />
Weniger einschneidende Maßnahmen sind stets vorrangig; es muss ein vertretbares<br />
Verhältnis zwischen den drohenden Gefahren und den Nachteilen einer Unterbringung<br />
bestehen.<br />
Eine große Rolle spielen hier Vermeidungsstrategien wie u.a.:<br />
eine sorgfältige Anamnese bei der Aufnahme, die Aufschluss darüber geben kann, ob<br />
bestehende Weglauftendenzen aus der subjektiven Sicht des Betroffenen als folgerichtige<br />
Handlungen im Zusammenhang mit früheren Lebensgewohnheiten zu sehen sind;<br />
die Klärung, ob der Betroffenen in der aktuellen Situation Argumenten zugänglich ist, die ihn<br />
bewegen könnten, in Zukunft gefährdende Handlungen zu unterlassen („Vertrag“!);<br />
die Feststellung von Ursachen, argumentatives Einwirken, Angebot von<br />
Handlungsalternativen, Training von Verhaltensweisen in kritischen Situationen<br />
und nicht zuletzt:<br />
die Anwendung von Deeskalationsprogrammen.<br />
Als Beispiel für ein solches Programm sei hier PART genannt (=Professional Assault<br />
Response Training/Professionell handeln in Gewaltsituationen).<br />
PART wurde –so das Konzept- entwickelt, „damit Professionelle, die in Betreuungs- und<br />
Behandlungseinrichtungen arbeiten, präventiv gewalttätige Krisen verhindern, mögliche<br />
Gewaltsituationen frühzeitig richtig einschätzen, angemessen und kompetent intervenieren,<br />
die Vorfälle konsequent auswerten und die Ergebnisse zur Prävention nutzen.“<br />
Oberstes Gebot dabei ist der Schutz von Mitarbeitern und Mitbewohnern unter Wahrung der<br />
Persönlichkeitsrechte und der Würde des gewaltbereiten –kranken!- Bewohners.
Behebbare Ursachen von Gefährdungssituationen wie Ataxien (Training durch<br />
Physiotherapeuten möglich!), dunkle Gänge (frei nach Goethe: „mehr Licht!“), Vereinsamung<br />
(emotionale Zuwendung, Besuchsdienste!) machen freiheitsentziehende Maßnahmen unter<br />
Umständen unzulässig!<br />
Im Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses vom November 2006, der in Hessen<br />
für verbindlich erklärt wurde, wird explizit darauf hingewiesen, dass nur dann, wenn alle am<br />
Versorgungsprozess Beteiligten persönliche Ängste, Sicherheitsdenken und<br />
Schutzbedürfnisse in den Hintergrund stellen, individuelle Lösungen möglich sind und die<br />
Würde des Pflegebedürftigen gewahrt wird.<br />
Diesem Gedanken tragen i.ü. auch Gerichtsentscheidungen zur Frage der Haftung Rechnung,<br />
so dass sich das Risiko auf ein erträgliches Maß reduziert.<br />
cc. Weitere Voraussetzung für eine Unterbringung ist das Vorliegen einer psychischen<br />
Erkrankung und/oder einer geistigen oder seelischen Behinderung und schließlich<br />
dd. die Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen.<br />
Eine Unterbringung mit Zustimmung des Betroffenen ist kein Freiheitsentzug.<br />
Für die Zustimmung ist natürliche Einsichtsfähigkeit (unterhalb der Schwelle der<br />
Geschäftsfähigkeit) erforderlich.<br />
Die Freiwilligkeitserklärung muss tragbar und damit von therapeutischem Wert sein.<br />
Eine Unterbringung ist nicht gerechtfertigt bei Gefährdungen, die nicht auf Erkrankung oder<br />
Behinderung beruhen, wie Genusssucht, Leichtsinn, übermäßiges Essen oder Trinken,<br />
Rauchen, Drogenkonsum, Verwahrlosung, Vermüllung, es sei denn, die Grenze zum<br />
Krankheitswert wird im Einzelfall überschritten; dasselbe gilt für einen bei voller<br />
Einsichtsfähigkeit geplanten Suizid.<br />
Von der Norm abweichendes Verhalten, Skurrilität, Querulantentum, Starrsinn müssen von<br />
der Gesellschaft toleriert werden; Grenzen und Sanktionen ergeben sich allerdings aus der<br />
allgemeinen Rechtsordnung.<br />
Dies gilt auch für „unausstehliches“ Verhalten in einer Gemeinschaft.<br />
Nonkonformität ist nicht regelmäßig ein Krankheitssymptom, so dass sie Konsequenzen<br />
haben kann, die sich aus den Regeln der Einrichtung (Vertrag, Hausordnung) ergeben.<br />
c. Dauer und Beendigung der Unterbringung<br />
Dauer: maximal 1 Jahr, ausnahmsweise 2 Jahre (§ 70 f Abs.1 Z.3 FGG).<br />
Verlängerung -jeweils wieder um maximal 2 Jahre- ist möglich.<br />
Bei einer Gesamtunterbringung von mehr als 4 Jahren muss das erforderliche Gutachten von<br />
einem Arzt erstattet werden, der bisher nicht behandelt oder begutachtet hat und nicht der<br />
Unterbringungseinrichtung angehört.<br />
Einstweilige Anordnung (vorläufige Unterbringung bei „gesteigerter Dringlichkeit“): maximal<br />
6 Wochen mit der Möglichkeit der Verlängerung auf insgesamt 3 Monate.<br />
Ende: bei Fristablauf ohne vorherige Verlängerung per se<br />
beim Wegfallen der Voraussetzungen (§ 70 i Abs.1 FGG) durch Gerichtsbeschluss<br />
durch Entscheidung des Betreuers mit unverzüglicher Mitteilung an das Gericht<br />
(§ 1906 Abs.3 BGB).
Mit der Aufhebung durch das Gericht ist die Genehmigung verbraucht und muss ggf. erneut<br />
beantragt, geprüft und erteilt werden.<br />
Unterbrechungen einer Unterbringung nach § 1906 BGB sind -im Gegensatz zum HFEG- im<br />
Gesetz nicht vorgesehen.<br />
Sie sind aber nach Absprache zwischen dem Betroffenen, Betreuer/Bevollmächtigten, der<br />
Unterbringungseinrichtung und in streitigen und Grenzfällen dem Betreuungsgericht zu Recht<br />
nicht üblich.<br />
Lockerungen erfolgen in der Regel sukzessiv: befristetes (nicht zu frühes!) Verlassen der<br />
Station/des Wohnbereichs, später Verlassen des Gebäudes, danach auch des Geländes bis<br />
hin zur Probebeurlaubung nach Hause zwecks Vorbereitung der anstehenden Entlassung.<br />
d. Verfahren<br />
aa. Antrag des gesetzlichen Vertreters<br />
(Einzelheiten s. II1b).<br />
bb.<strong>Richter</strong>liche Anhörung<br />
Wesentlicher Kern des Verfahrens ist die richterliche Anhörung des Betroffenen.<br />
Teilweise ist keine Kommunikation mit ihm möglich, der unmittelbare persönliche Eindruck<br />
des <strong>Richter</strong>s ist aber nicht minder entscheidungsrelevant.<br />
Die Anhörung erfolgt in der gewohnten Umgebung des Betroffenen, bei Akuteinweisungen<br />
am Ort des Geschehens, im Bedarfsfall auch an anderen Orten (Polizeistation nach<br />
Ingewahrsamnahme, „neutrale“ Orte wie Pfarramt, Café etc.).<br />
cc. Ärztliches Gutachten<br />
das ärztliche Gutachten ist unabdingbar erforderlich und muss, falls im Eilfall nur ein<br />
ärztliches Zeugnis zur Verfügung stand, unverzüglich eingeholt werden.<br />
dd. Stellungnahme der Betreuungsstelle<br />
Zunehmend wird die Betreuungsstelle -leider!- in Betreuungsverfahren nur noch<br />
eingeschränkt und in Unterbringungsverfahren in der Regel nur bei Ersteinweisungen, nicht<br />
bei Verlängerungen tätig; die Praxis ist örtlich unterschiedlich.<br />
ee. Verfahrenspfleger<br />
Soweit dies zur Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen erforderlich ist, bestellt das<br />
Gericht einen Verfahrenspfleger (§ 70 b FGG), vor allem dann, wenn von der persönlichen<br />
Anhörung des Betroffenen ausnahmsweise abgesehen werden soll.<br />
ff. Genehmigungsbeschluss<br />
Nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen entscheidet das Gericht durch Beschluss.<br />
gg. Die Durchführung der Unterbringung obliegt dem Betreuer/Bevollmächtigten.<br />
Auf Ersuchen wird die Betreuungsstelle unterstützend tätig, die zudem gesetzlich die<br />
Möglichkeit hat, im Bedarfsfall die Polizei hinzuzuziehen.
Die Betreuungsstelle wird primär bei ehrenamtlichen Betreuern oder bevollmächtigten<br />
Personen, weniger bei Berufsbetreuern tätig.<br />
2.Unterbringungsähnliche Maßnahmen („Fixierungen“)<br />
a. Zweck<br />
Zweck einer unterbringungsähnlichen Maßnahme ist ausschließlich der Schutz des<br />
Betroffenen vor Gefährdungen der Gesundheit und des Lebens, i.w. bei:<br />
• Weglauftendenzen<br />
• Herumirren<br />
• Sturzgefahr<br />
• Auto-/teilweise auch Fremdaggressionen<br />
• Verweigerung der erforderlichen Behandlung und Pflege:<br />
♦ ärztliche Untersuchungen und Eingriffe<br />
♦ Katheterisierung<br />
♦ Sicherung der PEG-Sonde, von Infusionen etc.<br />
♦ Sicherung der Medikation<br />
♦ Schadensbegrenzung in der prä- und postoperativen Phase<br />
♦ Beruhigung vor größeren diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen.<br />
Ungeeignet und damit einer Genehmigung nicht zugänglich sind Maßnahmen, die<br />
ausschließlich sozialorientiert oder organisationsbedingt sind; Beispiele:<br />
• Maßnahmen zur Verhinderung des Betretens fremder Zimmer, des Benutzens<br />
• fremder Betten, der Wegnahme fremden Eigentums, des Fremdurinierens bzw.<br />
• Personalmangel, bauliche Einschränkungen, schlechte Sachausstattung, Erleichterung<br />
der Pflege durch teilweisen Zimmereinschluss.<br />
b. Mittel<br />
aa. Mechanische/elektronische Mittel<br />
(nur beispielhaft):<br />
• Bettgitter, „Käfige“<br />
• Gurte/Fesselungen (Hüften, Hände, Füße; mehrfach, diagonal) im Bett und (Roll-)<br />
Stuhl<br />
• Therapietische, unter die Tischplatte geschobener (Roll-)Stuhl ohne<br />
Rückzugsmöglichkeit aus eigener Kraft,<br />
• Feststellen der Bremsen am Rollstuhl<br />
• Schutzdecken, Schürzen, Leibchen, Overalls, Handschuhe<br />
• Verdeckte Türen oder Öffnungsmechanismen, Trickschlösser<br />
• Ortungsanlagen am Körper, Sensoren an Türen, Funkchips, Bewegungsmatten<br />
• Kameraüberwachung (in Ausnahmefällen, z.B zum Schutz von Bewohnern einer<br />
Apallikerstation, die Schluckstörungen haben und einer erheblichen Erstickungsgefahr<br />
ausgesetzt sind)<br />
• Zimmereinschluss<br />
• Zurückhalten am Ausgang.<br />
Aus ethischen und rechtlichen Gründen kommen folgende Maßnahmen ausnahmslos nicht in<br />
Betracht:<br />
• Wegnahme von Kleidung, Schuhen, Geh-, Seh- und Hörhilfen
• körperliche oder psychische Gewalt, es sei denn als unvermeidliche<br />
• Folge zulässiger und genehmigter Maßnahmen<br />
• Androhen von Strafe, Sanktionen.<br />
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Mittel sind nicht nur Art, Dauer und Befristung<br />
der freiheitsentziehenden Maßnahmen zu prüfen, sondern auch nicht beabsichtigte Folgen<br />
wie<br />
Quetschungen, Nervenverletzungen, Blutergüsse, Strangulation, Muskelabbau, (der<br />
wiederum die Sturzgefahr deutlich erhöht) oder Herztod durch Stress, Kopfüberhang o.ä.<br />
bb. Chemische/medikamentöse Mittel<br />
Hierunter fallen alle sedierenden Medikamente wie Psychopharmaka und Schlafmittel,<br />
letztlich alle Substanzen, die -zumindest als Nebenwirkung- den Bewegungsdrang<br />
einschränken.<br />
Nicht nur unter medizinischem, sondern auch unter rechtlichem Aspekt ist eine<br />
sorgfältige Medikation als Folge ebenso sorgfältiger Diagnostik mit dem Ziel der<br />
optimalen Einstellung des Patienten unter ständiger Anpassung im Falle von<br />
Veränderungen unbedingt sicherzustellen; ansonsten ist sie nicht<br />
genehmigungsfähig!<br />
In der Praxis ist die Medikation teilweise zu bemängeln, vor allem im Bereich der Schmerz-<br />
Therapie, der Suchtbehandlung und besonders bei der Behandlung alter Menschen.<br />
In diesem Zusammenhang sei auf die Studie der Universität Witten/Herdecke hingewiesen,<br />
die zu der sog. PRISCUS-Liste geführt hat, eine Aufstellung potenziell inadaequater<br />
Medikation für ältere Menschen.<br />
Wir finden hier viele aus der täglichen Praxis bekannte Präparate, wie z.B. Antidepressiva,<br />
die zu deliranten Symptomen, Hüftfrakturen und venösen Thromboembolien führen können.<br />
Es werden Neuroleptika aufgelistet mit der Folge der erhöhten Häufigkeit von<br />
Spätdyskinesien, v.a. bei älteren Frauen, ferner der Gefahr unerwünscht erhöhter<br />
Sedierungswirkung und häufiger Hypotonien.<br />
Bei den Sedativa wird generell vor lang wirksamen Benzodiazepinen gewarnt, die wegen der<br />
ausgeprägten muskelrelaxierenden Wirkung zu erhöhter Sturzgefahr führen, darüber hinaus<br />
zur Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens, u.U. auch zum Auftreten psychiatrischer und<br />
paradoxer Reaktionen wie Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, Verkennung, Wut, Alpträume,<br />
Halluzinationen, Psychosen, unangemessenes Verhalten und andere Verhaltensstörungen.<br />
In der Studie wird jeweils eine Alternativmedikation aufgezeigt.<br />
Es ist zu beachten, dass die Sedierung unter anderem der Distanzierung von Ängsten,<br />
teilweise auch der Schlafförderung dient.<br />
Sie darf aber nicht zum Verlust der bewussten Wahrnehmung und zum Verlust von<br />
Schutzreflexen oder zu Kreislauf- und Atemdepressionen führen.<br />
Bei tieferer Sedierung ist wie bei der Narkose eine Intensivüberwachung und Unterstützung<br />
möglichst durch einen Anästhesisten erforderlich.<br />
Es ist gelegentlich festzustellen, dass die Medikation den Patienten so unruhig oder noch<br />
unruhiger als zu Beginn der Applikation macht, dass er nicht mehr führbar ist und oft eine<br />
stationäre Einstellung erfolgen muss.<br />
Zu beachten ist auch die Gefahr der Toleranz bei vielen Sedativa.<br />
c. Verfahren
Das Verfahren entspricht im wesentlichen dem bei der Unterbringung; es sollen lediglich<br />
einige Besonderheiten hervorgehoben werden:<br />
aa. Die Frage der Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen stellt sich nur bei<br />
Betroffenen, die sich „in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtuung“<br />
befinden.<br />
Im privaten Bereich findet keine Überprüfung statt; Regulativ ist die allgemeine<br />
Rechtsordnung, v.a. das Strafrecht.<br />
bb. Genehmigungspflichtig sind Maßnahmen, die „regelmäßig“ oder „über einen längeren<br />
Zeitraum“, d.h. nach gängiger Praxis länger als 2 Tage erfolgen.<br />
Stellt sich eine Akutsituation nicht als Episode, sondern als fortdauernde Situation heraus,<br />
muss selbstverständlich die Genehmigung für den weiteren Freiheitsentzug eingeholt<br />
werden.<br />
cc. Die Genehmigungspflicht entfällt, wenn die tragfähige Zustimmung eines<br />
erklärungsfähigen Bewohners/Patienten vorliegt (natürliche Einsichtsfähigkeit reicht aus)<br />
oder von seiner mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden kann.<br />
Letzteres ist z.B. der Fall, wenn der Betroffene sich im Zustand völliger Verwirrtheit befindet,<br />
bei klarem Bewusstsein aber regelmäßig erklärt hat, er wünsche bei auftretender nächtlicher<br />
Unruhe die Hochstellung des Bettgitters.<br />
Vergleichbar sind auch Fälle, in denen der Betroffene zu keiner willkürlichen Fortbewegung<br />
mehr in der Lage ist und keine Willensbekundung mehr abgeben kann; anders, wenn er<br />
ablehnendes Verhalten durch Rütteln am Bettgitter oder Zerren am Gurt zeigt.<br />
dd. Wenn Handeln durch Notwehr, Nothilfe oder Notstand geboten ist, ist ebenfalls eine<br />
Genehmigung entbehrlich.<br />
Vorstellbar sind die plötzliche Verwirrtheit des Betroffenen mit Aggressionsausbrüchen oder<br />
das Auftreten von Krampfanfällen.<br />
In derartigen Fällen müssen die Verantwortlichen ohne vorliegende Genehmigung tätig<br />
werden; sie haben sonst die bereits angesprochenen haftungsrechtlichen Folgen wegen<br />
Nichthandelns zu befürchten.<br />
ee. Bei der Auswahl und Anwendung der Mittel ist eine Abwägung aller Interessen<br />
und Umstände vorzunehmen und der psychisch und physisch am wenigsten<br />
belastende Eingriff zu wählen.<br />
ff. Der erforderliche Antrag des Betreuers muss umfassen:<br />
• vorherige Rücksprache mit den professionellen Diensten und hinreichende Aufklärung<br />
• detaillierte Angaben über die Art der beabsichtigten Maßnahme, bei Medikamenten<br />
• den Wirkstoff, die Dosierung, die Menge, die bisherige Medikation, auch<br />
Bedarfsmedikation sowie den Grund für die Maßnahme oder deren Änderung<br />
• bei mechanischen Fixierungen außerdem die Angabe des zeitlichen Umfangs und der<br />
voraussichtlichen Dauer<br />
• ein ärztliches Zeugnis (ggf. Gutachten). Auch hier ist eine präzise Diagnostik<br />
erforderlich. In der Praxis wird z.B. oft eine Depression als Ursache erheblicher<br />
Unruhezustände verkannt, so dass die Medikation am Ziel vorbeigeht.<br />
gg. Die zur Unterbringung erteilte Genehmigung beinhaltet nicht per se die Genehmigung<br />
unterbringungsähnlicher Maßnahmen.
Die z.T. vertretene Gegen-/Mindermeinung verkennt Ausmaß und Wirkung einer Fixierung<br />
und sieht diese zu Unrecht als „kleineres Übel“ im Verhältnis zur Unterbringung an.<br />
hh. Es soll nach langjährigen Erfahrungen in der Behandlungs- und Pflegepraxis an dieser<br />
Stelle ausdrücklich auf die vor dem Hintergrund des Freiheitsentzugs bestehende gesteigerte<br />
Dokumentationspflicht hingewiesen werden!<br />
ii. Ich darf mich zum Schluss noch auf die bekannte ReduFix-Studie beziehen, die jedem<br />
Praktiker wertvolle Denkanstöße und bis heute aktuelle Erkenntnisse vermittelt.<br />
Die Untersuchung, die von 2004 bis 2006 mit Unterstützung der Bundesregierung begonnen<br />
wurde und jetzt auf ehrenamtlicher Basis fortgeführt wird, hat sich die „Reduktion von<br />
körpernaher Fixierung bei demenzerkrankten Heimbewohnern“ zur Aufgabe gestellt, d.h. die<br />
Verhinderung oder Einschränkung von freiheitsentziehenden Maßnahmen durch gezielte<br />
Interventionen, ohne dass es zu negativen Konsequenzen für die Betroffenen kommt.<br />
Im Rahmen der Untersuchung wurden pflegerische, medizinische, psychosoziale und<br />
rechtliche Aspekte berücksichtigt.<br />
Es führt hier zu weit, auf Einzelheiten einzugehen.<br />
Es soll aber erwähnt werden, dass nach dem Ergebnis der Studie die Interventionen wirken:<br />
Bei insgesamt 20,8 % der Personen konnte die Fixierung vollständig beendet werden, bei<br />
23,8 % konnte die Fixierungszeit verkürzt werden.<br />
Es gab keinen Anstieg der Vergabe von Psychopharmaka.<br />
Es gab zwar mehr Stürze, jedoch keine höhere Verletzungsrate; im Bereich der fordernden<br />
Verhaltensweisen kam es sogar zu Verbesserungen.<br />
___________________________________________________________________________<br />
Ich habe mich bemüht, Ihnen den rechtlichen Teil der Problematik des Freiheitsentzugs<br />
wenigstens ansatzweise darzustellen, ohne –wie ich hoffe- den dogmatischen Aspekt zu sehr<br />
in den Vordergrund zu stellen.<br />
Das Thema verdient es, orientiert an den Interessen des Individuums, immer wieder<br />
„lebensnah“ und praxisgerecht erörtert und umgesetzt zu werden.<br />
Etwa 20 Jahre betreuungsrichterliche Tätigkeit, in der ich alles, was Menschen widerfahren<br />
kann, nicht nur einmal (mit-)erlebt, teilweise miterlitten habe, haben mir dies leichter<br />
gemacht.<br />
Wesentliches Fazit meiner Praxis ist das unverzichtbare Erfordernis einer ständigen<br />
interdisziplinären Kommunikation und Kooperation zwischen dem betroffenen Menschen (im<br />
Rahmen seiner Möglichkeiten), den Ärzten, Pflegediensten, Angehörigen, Betreuern/ Be -<br />
vollmächtigten -und nicht zuletzt dem Gericht, das sich nicht auf Subsumption und<br />
Beschlussfassung beschränken, sondern seine Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auch für<br />
die Zeit nach der Entscheidung sehen sollte!