Archivnachrichten Nr. 36 , März 2008 - Landesarchiv Baden ...
Archivnachrichten Nr. 36 , März 2008 - Landesarchiv Baden ...
Archivnachrichten Nr. 36 , März 2008 - Landesarchiv Baden ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ezeichnen. Skrupellose Geschäftemache-<br />
Freie tummelt sich auf Bahn diesem Gebiet hem-<br />
dem Schund?<br />
mungslos aus. Die oftmals schon rein<br />
äusserlich Kunst und völlig unzulänglichen Kultur in der Auffüh-<br />
Nachkriegszeit<br />
rungen sind in ihrer peinlichen Primitivität<br />
nicht mehr mit der Ungunst der Verhältnisse<br />
zu entschuldigen. […] Wir bitten<br />
Sie, mit allen Kräften darauf hinzuwirken,<br />
dass hier Wandel geschaffen wird.<br />
Das Ministerium dachte allerdings<br />
nicht daran, eine gelenkte und bevormundete<br />
Entwicklung auf kulturellem Gebiet<br />
zu befördern. Nachdem die inhaltliche<br />
Lenkung des Kultur- und Geisteslebens<br />
im NS-Staat gerade erst abgestreift worden<br />
war, sah es seine Rolle darin, Anregungen<br />
zu geben, auf keinen Fall aber<br />
die Freiheit, die der geistigen Auseinandersetzung<br />
notwendig garantiert sein muss,<br />
einzuengen.<br />
Diese Meinung wurde aber nicht von<br />
allen Kulturinteressierten und Kulturschaffenden<br />
geteilt. Daher wuchs der<br />
Druck auf das Ministerium, insbesondere<br />
Maßnahmen zu ergreifen auf dem<br />
Gebiet der bildenden Kunst. Denn die<br />
Überschwemmung des Marktes mit<br />
Schund sei in der bildenden Kunst besonders<br />
groß, wie der Verband der bildenden<br />
Künstler in Württemberg im<br />
November 1946 konstatierte. Er wies in<br />
einer öffentlichen Erklärung auf diesen<br />
schreienden Missstand hin und bat die<br />
massgebenden Behörden dringend, die<br />
nötigen Schritte zur Überprüfung der Verkaufsstellen<br />
und zur Heranziehung der<br />
Schundproduzenten zu einer ehrlichen<br />
Arbeit zu tun. Ursache der Verbreitung<br />
von minderwertigen Erzeugnissen sei der<br />
Warenhunger auf der einen und die<br />
mangelnde Möglichkeit, das vorhandene<br />
Geld in Dinge des täglichen Bedarfs zu<br />
investieren, auf der anderen Seite.<br />
Das Ministerium sah sich daher veranlasst<br />
zu prüfen, ob und gegebenenfalls<br />
mit welchen Mitteln der Staat Schund<br />
und Kitsch bekämpfen solle und könne.<br />
Unter Leitung von Ministerialdirektor<br />
Bäuerle – ab August 1947 Kultminister<br />
von Württemberg-<strong>Baden</strong> – fand im<br />
Februar 1947 eine Sitzung in Stuttgart<br />
zu eben dieser Frage statt. Zugrunde lag<br />
ein Referat von Ministerialrat Dr. Kaufmann,<br />
in dem dieser ausführte, dass seit<br />
Kriegsende die Produktion von Kitsch<br />
und Schund außerordentlich gewachsen<br />
sei. Dem Materialmangel der bildenden<br />
Künstler stehe eine Materialvergeudung<br />
für wertlosen Schund und Kitsch entgegen.<br />
Eine staatliche Einwirkung sei zwar<br />
möglich, auf der anderen Seite solle aber<br />
dem Kunstschaffen größte Freiheit eingeräumt<br />
werden; schwierig sei nur die<br />
Frage der Grenzziehung. Mit der Weiterbehandlung<br />
der Frage wurde schließlich<br />
eine Gutachterkommission betraut, die<br />
in den folgenden Monaten mehrfach zusammentrat<br />
und den Missständen mit<br />
Richtlinien zu begegnen suchte. Diese beinhalteten<br />
unter anderem die Anwendung<br />
strengerer Maßstäbe bei der Zulassung<br />
von Unternehmen, die sich dem<br />
Kunsthandel widmen wollten. Die Erfolge<br />
waren jedoch bescheiden.<br />
Eine ganz eigene Meinung zur Bekämpfung<br />
des Kitsches vertrat Ministerialrat<br />
Bäuerle: Es wäre ganz interessant, einmal<br />
dem Problem Kitsch näher auf den Leib<br />
zu rücken. Man würde dann vielleicht<br />
zu dem Ergebnis kommen, dass es nicht<br />
nur einen künstlerischen, sondern auch<br />
einen gesellschaftlichen und sogar politischen<br />
Kitsch gibt, dessen Bekämpfung<br />
allerdings ganz besondere Schwierigkeiten<br />
bereiten dürfte.<br />
Nicole Blickhoff<br />
Schreiben der Stuttgarter Nachrichten an Kultminister<br />
Theodor Bäuerle vom 15. Juli 1949 mit der<br />
Bitte um Äußerung zum Motto „Freie Bahn dem<br />
Schund?“ auf deren Diskussionsseite.<br />
Vorlage: <strong>Landesarchiv</strong> HStAS EA 3/201 Bü. 45<br />
<strong>Archivnachrichten</strong> <strong>36</strong> / <strong>2008</strong> 21