Zeitschrift der LBV-Kreisgruppe München - LBV München
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1 / 2013<br />
Vogelkunde<br />
Die Krähe und ihr Nussknacker<br />
Es war ein Bild, wie es sich im Herbst häufig bietet: Auf einer Straßenkreuzung<br />
in Pullach pickte eine Rabenkrähe an einer Walnuss; vergeblich<br />
versuchte sie, die grüne Außenschale zu lösen.<br />
Behutsam lehnte ich mein Fahrrad<br />
an einen Schil<strong>der</strong>mast. „Komm,<br />
ich helf dir! OK?“ Die Krähe beobachtete<br />
mich zwischen ihren Schnabelhieben<br />
aufmerksam, argwöhnisch<br />
und fluchtbereit. Würde sie –<br />
o<strong>der</strong> er? – meine freundschaftliche<br />
Absicht durchschauen und meine<br />
Hilfestellung annehmen?<br />
Die Idee, handelnd mit dem Tier<br />
zu kommunizieren, kam mir aus vorangegangenen<br />
Erfahrungen mit<br />
diesen hochintelligenten Singvögeln.<br />
Die planende, einsichtige Vorgehensweise<br />
<strong>der</strong> Krähen beim Nüsseknacken<br />
ist inzwischen weithin<br />
bekannt. In ihrem beharrlichen Eifer<br />
erinnern sie mich ein wenig an Scrat,<br />
das Erdhörnchen aus „Ice Age“.<br />
Aber Walnüsse sind für die Krähen<br />
nicht nur herbstliche Delikatessen.<br />
Ihr reicher Fettgehalt liefert ihnen<br />
wertvolle Reserven für den Winter<br />
und für die nachfolgende Brutzeit,<br />
da die Vögel Vorratsverstecke anlegen.<br />
Was tat nun meine Rabenkrähe?<br />
Sie strich natürlich vor mir davon,<br />
blieb aber in einiger Entfernung auf<br />
einem Zaun sitzen. Eilig pulte ich<br />
die grüne Schale von dem holzigen<br />
Innengehäuse <strong>der</strong> Walnuss. Zwischendurch<br />
krächzte <strong>der</strong> Vogel –<br />
Frust? O<strong>der</strong>, verhaltensbiologisch<br />
neutraler ausgedrückt, eine Übersprunghandlung?<br />
Schließlich hatte<br />
ich mit Daumenballendruck und<br />
Nean<strong>der</strong>talerbiss das weiße Walnussfleisch<br />
freigelegt. Dem Vogel<br />
servierte ich es auf dem Bürgersteig,<br />
stieg aufs Rad und entfernte mich.<br />
Nach einigen Augenblicken drehte<br />
ich mich noch einmal um. Und siehe<br />
da: Die Krähe glitt tief über die Straße<br />
hinweg zu <strong>der</strong> Stelle, wo ich die<br />
geknackte Nuss hinterlegt hatte.<br />
Vielleicht war es in diesem Fall auch<br />
keine beson<strong>der</strong>e Intelligenzleistung,<br />
eine zwangsweise unterbrochene<br />
Handlung wie<strong>der</strong> aufzunehmen, sobald<br />
die Luft rein war. Doch aus den<br />
Kopfbewegungen <strong>der</strong> Krähe gewann<br />
ich immerhin den Eindruck,<br />
dass sie mich bewusst beobachtete.<br />
Absicht durchschaut?<br />
Ob Rabenvögel sich in die Absichten<br />
und Gedanken an<strong>der</strong>er – auch<br />
Artfrem<strong>der</strong> wie uns Menschen – hineinversetzen<br />
können, wird immer<br />
noch diskutiert. Sicher dürfte sein:<br />
Die Rabenkrähen beobachten uns<br />
und machen sich ein Bild von unseren<br />
Verhaltensweisen, ziehen Schlüsse<br />
und treffen Vorhersagen. In so<br />
enger menschlicher Nachbarschaft<br />
wie in <strong>der</strong> Großstadt ist dies zweifellos<br />
ein Überlebensvorteil, mit dem<br />
die Krähen sich neue Ressourcen<br />
und Möglichkeiten erschließen.<br />
Vielleicht ist diese Fähigkeit, die<br />
über angeborenes Instinktverhalten<br />
weit hinausgeht, auch <strong>der</strong> Beginn<br />
einer kognitiven Mitgestaltung <strong>der</strong><br />
Umwelt.<br />
So schön und spannend es sein<br />
kann, Futter-Beziehungen mit Rabenvögeln<br />
zu knüpfen – meines Erachtens<br />
sollte man es nicht übertreiben<br />
und zur Gewohnheit werden<br />
lassen. Manche Rabenkrähe könnte<br />
die Almosenbereitschaft <strong>der</strong> Menschen<br />
als Auffor<strong>der</strong>ung missverstehen,<br />
zudringlich zu werden und mit<br />
Schnabelgewalt ihre Wünsche<br />
durchzusetzen. Eine naturnah bepflanzte<br />
Stadt bietet den Krähen genügend<br />
Nahrung und uns auch<br />
ohne Futterzahmheit <strong>der</strong> Vögel viele<br />
bereichernde Naturerlebnisse. Am<br />
wichtigsten ist es, eine bessere Einstellung<br />
zu ihnen zu entwickeln statt<br />
ihnen das Image eines Schädlings,<br />
<strong>der</strong> unter Kontrolle gehalten werden<br />
muss, aufzudrücken, und damit<br />
immer noch ihren Massenabschuss<br />
zu rechtfertigen.<br />
Dr. Anton Vogel<br />
Literatur:<br />
Immanuel Birmelin: Von wegen Spatzenhirn!<br />
Die erstaunlichen Fähigkeiten <strong>der</strong><br />
Vögel. Kosmos, 2012.<br />
Josef H. Reichholf: Rabenschwarze Intelligenz.<br />
Was wir von den Krähen lernen<br />
können. Herbig, 2009.<br />
Im Herbst sieht man häufig Rabenkrähen beim Versuch, Walnüsse zu knacken. Diese hier war erfolgreich<br />
Foto: Markus Gläßel, <strong>LBV</strong> Archiv