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Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für ...

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<strong>Johann</strong> <strong>Wolfgang</strong> <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong><br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Linguistik<br />

Seminar: Hessisch<br />

WiSe 2012<br />

Prof. Dr. Helmut Weiß<br />

Referat zum Thema „Pronomen“<br />

Klitisierung<br />

Generelle Begriffsklärung: Ein Klitikon ist ein schwach- oder unbetontes Wort, das sich an ein<br />

benachbartes Wort ‚anlehnt‘. Es ist aus syntaktischer Sicht ein freies Morphem, scheint aber<br />

aus phonetischer Sicht (und meist auch graphisch) ein gebundenes Morphem zu sein. Klitika<br />

können nicht isoliert und unabhängig auftreten, da sie an einen Träger gebunden sind. Sie<br />

sind daher keine freien, unabhängigen Wörter und nehmen eine Sonderstellung zwischen<br />

freien Wörtern und Affixen ein.<br />

Man unterscheidet zwischen Proklitika und Enklitika, bzw. Proklise und Enklise.<br />

Proklise: Anlehnung eines schwach oder nicht betonten Wortes (Proklitikon) an das folgende<br />

Wort, in der Regel unter gleichzeitiger phonetischer Abschwächung.<br />

Enklise: Anlehnung eines nicht oder schwach betonten Wortes (Enklitikon) an das<br />

vorangegangene Wort, bei gleichzeitiger Schwächung.<br />

Unterschied zur Affigierung:<br />

Klitisierung sieht auf den ersten Blick wie Affigierung aus: Sowohl bei Klitisierung als auch bei<br />

Affigierung wird ein Element, dass nicht allein stehen kann, an einen Träger angehängt.<br />

Bei Affigierung wird ein gebundenes Morphem (=Wortbindungs- oder Flexionsmorphem) mit<br />

einem Träger (=St<strong>am</strong>m) verbunden, bei Klitisierung wird ein freies Morphem, das einer<br />

lexikalischen Klasse angehört (=Verb, Substantiv, Pronomen, Präposition) mit einem Träger<br />

verbunden.<br />

Hier sehen wir anhand des Bairischen, wie sich die Klitisierung auf die verschiedenen<br />

Pronomen auswirkt. Man erkennt wie die Vollform im Singular und Plural in seine<br />

unbetonte, klitische Form umgewandelt wird. Die Vollform bezeichnet hierbei die<br />

unreduzierte, volle Form des Pronomens.


Singular voll klitisch Plural voll klitisch<br />

1P i a/e/3 mir ma<br />

mia ma uns/ins -<br />

di - uns/ins -<br />

2P du - ir/e:s -<br />

dia da eich -<br />

di de eich -<br />

3PM er a si s<br />

e<strong>am</strong> m eana -<br />

e<strong>am</strong> n(a) eana/si -/s<br />

si<br />

s<br />

es/des<br />

s<br />

In dieser Tabelle sieht man auch nochmal anhand einer Darstellung der Vollformen und der<br />

klitisierten Formen des Berndeutschen. Berndeutsch ist ein schweizer Dialekt, der im Berner<br />

Mittelland gesprochen wird und zählt zum Hochallemanischen.<br />

1.Person Singular und Plural: „ich“ und „wir“<br />

Sg. Vollfom Klitisch Pl. Vollform Klitisch<br />

Nom. ig/i i/ mier mir/mer<br />

Dat. mier mir/mer us is/nis<br />

Akk. mi mi: mi mi us is/nis<br />

2.Person Singular und Plural: „du“ und „ihr“<br />

Sg. Vollform Klitisch Pl. Vollform Klitisch<br />

Nom. du det dier dir/der<br />

Dat. dier dir/der öich nech/ech<br />

Akk. didi: di di öich nech/ech<br />

3.Person Singular und Plural „er, sie, es“ und „sie“<br />

Sg. Fem. Vollform Klitisch Sg. Mask. Vollform Klitisch<br />

Nom. seie/si/die si/se är/dä är/er<br />

Dat. ire/der ere/re/nere im/däm im/em/nim<br />

Akk. seie/si/die se in/dä in/ne<br />

Sg. Neutr. Vollform Klitisch Pl. Vollform Klitisch<br />

Nom. äs/das äs/s/(e)s seie/die si/se<br />

Dat. im/däm im/em/ nim ine/dene ine/ne<br />

Akk. ins/das es/s seie/si/die se


Klitisierung im Hessischen<br />

Die Klitisierung im Hessischen ist ein sprachlicher Mechanismus, bei dem die Vollform eines<br />

Pronomens an ein Komplementärwort angelehnt wird und somit seine „klitische“, unbetonte<br />

Form erhält. Beispiele hier<strong>für</strong> wären:<br />

- Haben’se das Auto gesehen? Für - Haben sie das Auto gesehen?<br />

Oder<br />

- Kann’mer das jemand erklären? Für - Kann mir das jemand erklären?<br />

Pronomen<br />

Im Folgenden wollen wir nun die verschiedenen Pronomenarten auf ihre<br />

lautlichen/lexikalischen Besonderheiten untersuchen und herausfinden, wo die Klitisierung<br />

vorkommt.<br />

Allgemein: Wie beim Substantiv und beim Adjektiv fehlt auch beim Pronomen der Genitiv in<br />

den Mundarten. Infolge der unterschiedlichen Entwicklung von Lauten oder Lautgefügen in<br />

verschiedenen stark betonten Stellungen im Satz sind die mundartlichen Pronominalsysteme<br />

in Hessen formenreicher als die standardsprachlichen.<br />

a) Personalpronomen<br />

Im Allgemeinen tritt das Personalpronomen in drei Varianten auf: volltonig in stark betonter<br />

Stellung, komplett, aber lautlich abgeschwächt in nebentoniger Stellung und reduziert in<br />

unbetonter Stellung. Vom Reduktionsvorgang sind vor allem die Vokale betroffen.<br />

Beispiele <strong>für</strong> die lautliche Abschwächung und Reduzierung wären:<br />

- Hast‘də was zu esse? [Hast du was zu essen?]<br />

- əch kann’s net mehr höre. [Ich kann es nicht mehr hören.]<br />

Man erkennt hieran, wie die Vollform des Pronomens durch die Enklise seine unbetonte,<br />

klitische Form erhält.<br />

Im Mittelhessischen z.Bsp. reicht das Spektrum von Langvokalen und Diphtongen bis zu<br />

kaum hörbaren tonlosen –e [ə]: aich, ich, əch ich’, dau, du, də, du’, daich, d’ , dich’ , deer,<br />

der, r, ihr’ etc.<br />

Als lexikalische Abweichung ist das nördlich des <strong>Main</strong>s verbreitete he <strong>für</strong> ,er’ zu werten. Die<br />

Fürwörter ,wir’ und ,ihr’ sind in ganz Hessen mit der jeweiligen Form von ,mir’ und ,dir’<br />

zus<strong>am</strong>mengefallen. An die Dativformen kann bisweilen die Endung –e angehängt sein.


Beispiele <strong>für</strong> die lexikalische Abweichung des Dativ in rot und die lexikalische Abweichung in<br />

grün:<br />

- Mir sind doch die’n Plan habe! Dir habt doch kein Plan!<br />

[Wir sind doch die, die den Plan haben! Ihr habt doch kein Plan!]<br />

b) Demonstrativpronomen<br />

Bei den Demonstrativpronomen lässt sich keine Reduzierung fest stellen. Die<br />

Demonstrativpronomen sind in ihrer Form mit dem stark betonten bestimmten Artikel<br />

identisch, dem im Niederhessischen im Dativ Singular und Plural ein –e angehängt wird, in<br />

den südlicheren hessischen Mundarten nur gelegentlich im Plural.<br />

Beispiel hier<strong>für</strong> wäre:<br />

- Dem-e kannste net mehr helfe. [Dem kannst du nicht mehr helfen.]<br />

-[Uf dä mues me nid lose.]<br />

Auf den muss man nicht hören.<br />

(Beispiel aus dem Berndeutschen) (im Hessischen kommt keine Klitisierung vor)<br />

c) Interrogativpronomen<br />

Bei den Fragewörtern im Osthessischen und besonders in der Schwalm tritt eine<br />

Veränderung des anlautenden w zu b ein: bann, wann, bii, wie’ , bass, was’ etc. Die<br />

genetivische Frage, wessen’ ist durch die dativische Frage „von wem“ und „wem sein“<br />

ersetzt.<br />

Beispiele:<br />

- Bann wolle’mer uns treffe? [Wann wollen wir uns treffen?]<br />

- Bii haste das geschafft? [Wie hast du das geschafft?]<br />

- Von wem / Wem sein Auto ist das? [Wessen Auto ist das?]<br />

d) Relativpronomen<br />

In den nördlichen hessischen Mundarten kennt man die Formen däär, dee, das, der, die, das’<br />

<strong>für</strong> das einfachste Relativpronomen und wäär und was, wer’ und ,was’ <strong>für</strong> das<br />

substantivische Pronomen; was kann dabei das einfachste das in allen Positionen ersetzen.<br />

Nach Süden zu tritt neben die einfachen Relativpronomen ein wo, das in den südlichsten<br />

Mundarten allein die Funktion des Relativpronomens übernehmen kann.


- Däär Paul hat dee Tür net zu gemacht. [Der Paul hat die Tür nicht zu gemacht.]<br />

- Wäär hat das Licht aus gemacht? [Wer hat das Licht ausgemacht?]<br />

- Der wo die Tür net zu gemacht hat. [Der, der die Tür nicht zu gemacht hat.]<br />

e) Possessivpronomen<br />

In den verschiedenen Mundartlandschaften decken sich die Endungen beim substantivischen<br />

Gebrauch mit denen des Adjektivs ohne Artikel im Nominativ. Bei den attributiv gebrauchten<br />

Possessivpronomen sind folgende Besonderheiten festzustellen:<br />

In den mittelhessischen und südhessischen Mundarten sind die Feminina im Nominativ<br />

Singular endungslos. Die Maskulina müssen an dieser Stelle eine Endung gehabt haben, denn<br />

das lautgesetzlich nach Diphtongen abgefallene n ist erhalten. Daraus ergibt sich folgendes<br />

Deklinationsschema im Singular:<br />

Maskulin Feminin Neutral<br />

Nominativ main [Mann] mai [Frau] mai [Haus]<br />

Dativ mai(ne)m [Mann] mai n a [Frau] mai(ne)m [Haus]<br />

Akkusativ mai mai mai<br />

Im Plural haben alle Geschlechter im Nominativ und Akkusativ mai, im Dativ main.<br />

An diesem Beispiel sieht man auch nochmal die Klitisierung des Possesivpronomens „meine“<br />

zu „mei“.<br />

[Gugge Sie manschmaa Taadort? Mei Fraa un isch gugge den manschmaa,<br />

awwer nur wenn‘s net zu viele Doode gibt.] Gucken Sie manchmal Tatort? Meine Frau<br />

und ich gucken den manchmal, aber nur wenn es nicht zu viele Tote gibt.<br />

Im Niederhessischen und Osthessischen dekliniert man die Possessivpronomen wie in der<br />

Standardsprache. Nur bei Verwandtschaftsbezeichnungen erscheint sie endungslos. Wegen<br />

weiterreichender Lautentwicklung sind die hörbaren Unterschiede zum Hochdeutschen – vor<br />

allem bei schwach betonten auslautenden Silben – Im Niederhessischen noch zahlreicher als<br />

im Osthessischen. Wie die niederhessischen Mundarten verhalten sich auch die<br />

osthessischen.<br />

Alle anderen Pronomen bilden ihre Formen analog den hier dargestellten, oder es bestehen<br />

keine wesentlichen Unterschiede zu den hochdeutschen Formen.


Referenten: S<strong>am</strong>ir Hourani, Alena Ranko, Svenja Burchards, Melanie Pausic<br />

Quellen<br />

Syntax des Bairischen. Studien zur Gr<strong>am</strong>matik einer natürlichen Sprache, Weiß, 1998<br />

Das hessische Dialektbuch, Friebertshäußer, 1987<br />

Hessisch- Ein Intensivkurs, Wolff, 2007<br />

Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte, Nübling,<br />

1992.

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