«Ich möchte als Arzt für die Menschen in Not da sein» - bei Pro ...
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nicht <strong>die</strong> Lebensjahre, sondern versuche e<strong>in</strong>e Gesamtschau<br />
zu machen. Bei der Abwägung beziehe ich neben<br />
dem physischen und geistigen Zustand ebenfalls Lebenswille,<br />
Bereitschaft, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Therapie Zeit zu <strong>in</strong>vestieren,<br />
und <strong>die</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, <strong>da</strong>ss der Patient <strong>die</strong> Operation<br />
übersteht und <strong>die</strong> weiteren Lebensjahre selbstständig<br />
bewältigen kann, mit e<strong>in</strong>.»<br />
Allerd<strong>in</strong>gs dürfe es nicht <strong>da</strong>s Ziel der hoch technisierten<br />
Mediz<strong>in</strong> se<strong>in</strong>, <strong>da</strong>ss alle <strong>Menschen</strong> 100 Jahre alt werden.<br />
Die Bevölkerungsentwicklung mit der massiven Zunahme<br />
der Anzahl alter <strong>Menschen</strong> stelle <strong>die</strong> Gesellschaft<br />
vor grosse Herausforderungen. «Entscheidend ist, wer<br />
def<strong>in</strong>iert, was ethisch, sozial und moralisch <strong>in</strong> Zukunft<br />
noch verantwortbar ist.» Angesichts der sche<strong>in</strong>bar unbegrenzten<br />
Möglichkeiten der Mediz<strong>in</strong> ist es <strong>für</strong> ihn auch<br />
wichtig, <strong>Menschen</strong> nicht mit allen erdenklichen Mitteln<br />
am Leben zu erhalten. Vielmehr müsse man <strong>in</strong> bestimmten<br />
Fällen den Mut haben, Patienten auf <strong>die</strong> palliative<br />
Mediz<strong>in</strong> umzustellen und <strong>in</strong> Würde und ohne grosses<br />
Leiden sterben zu lassen. Dies könne allerd<strong>in</strong>gs <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e<br />
bestimmte Kl<strong>in</strong>ik <strong>da</strong>nn zum <strong>Pro</strong>blem werden, wenn sie <strong>in</strong><br />
Statistiken des Bundesamtes <strong>für</strong> Gesundheit im Vergleich<br />
e<strong>in</strong>e höhere Sterblichkeitsrate aufweist.<br />
Als Mensch <strong>für</strong> den <strong>Menschen</strong> <strong>da</strong> se<strong>in</strong><br />
Es ist <strong>für</strong> den Chefarzt äusserst anspruchsvoll, im Aufklärungsgespräch<br />
<strong>die</strong> Vor- und Nachteile e<strong>in</strong>er Operation<br />
<strong>da</strong>rzulegen und <strong>in</strong> kurzer Zeit <strong>da</strong>s Vertrauen zum<br />
Patienten aufzubauen. Da<strong>bei</strong> versucht er den <strong>Menschen</strong><br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtsituation, mit se<strong>in</strong>en Sorgen und Ängsten<br />
wahrzunehmen. Manche s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>sam, oder sie empf<strong>in</strong>den<br />
den bevorstehenden offenen E<strong>in</strong>griff am Herzen<br />
<strong>als</strong> Bedrohung und teilen dem <strong>Arzt</strong> <strong>in</strong> kurzer Zeit Intimstes<br />
aus ihrem Leben mit. In <strong>die</strong>sen Momenten grosser<br />
Nähe <strong>möchte</strong> Thierry Carrel <strong>als</strong> Mensch ganz <strong>für</strong> den<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>in</strong> <strong>Not</strong> <strong>da</strong> se<strong>in</strong>. Dies ist <strong>für</strong> ihn auch angesichts<br />
der vielen Ansprüche und Belastungen der Spitzenmediz<strong>in</strong><br />
selbstverständlich: «Es ist e<strong>in</strong>e Berufung, mit der e<strong>in</strong><br />
erfülltes Leben gestaltet werden kann; e<strong>in</strong>e Berufung, <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong> Mensch hat oder nicht und <strong>die</strong> nicht lernbar ist.»<br />
Er macht ke<strong>in</strong>e grossen Worte über se<strong>in</strong>e Ar<strong>bei</strong>t und<br />
me<strong>in</strong>t zum H<strong>in</strong>weis, er sei e<strong>in</strong> begnadeter Chirurg: «Dass<br />
ich täglich so viel Freude und Leidenschaft empf<strong>in</strong>de <strong>für</strong><br />
<strong>da</strong>s, was ich tue, sehe ich <strong>als</strong> Gnade an. Daraus erwächst<br />
mir <strong>die</strong> Kraft, im hoch technologisierten Spitalalltag <strong>für</strong><br />
Menschlichkeit, Wertschätzung und Zuwendung e<strong>in</strong>zustehen.<br />
Was br<strong>in</strong>gt dem <strong>Menschen</strong> e<strong>in</strong> perfekter chirurgischer<br />
E<strong>in</strong>griff, wenn er mit se<strong>in</strong>en Sorgen, Zweifeln und<br />
Ängsten alle<strong>in</strong> gelassen wird? Ich <strong>möchte</strong> <strong>als</strong> <strong>Arzt</strong> <strong>für</strong><br />
me<strong>in</strong>e Patienten <strong>da</strong> se<strong>in</strong>, auch wenn ich me<strong>in</strong>e Bedürfnisse<br />
<strong>da</strong><strong>bei</strong> h<strong>in</strong>tenanstellen muss.»<br />
Thierry Carrel be<strong>da</strong>uert, <strong>da</strong>ss heute der Aspekt der<br />
Berufung, der Überzeugung und Begeisterungsfähigkeit<br />
<strong>für</strong> den <strong>Arzt</strong>beruf wenig Beachtung und Förderung f<strong>in</strong>det<br />
und am Schluss <strong>die</strong> Ärzte nur noch Angestellte und<br />
Beamte mit wenig S<strong>in</strong>n <strong>für</strong> <strong>die</strong> Pflege der Mitmenschlichkeit<br />
s<strong>in</strong>d. Er versteht nicht, warum <strong>die</strong> verantwortlichen<br />
Gremien und Politiker <strong>für</strong> Spitäler und Ausbildung<br />
<strong>die</strong>s nicht erkennen, weder beachten noch honorieren.<br />
Er hat auch Mühe, wenn bloss Fakten und Zahlen und<br />
nicht Zusammenhänge und H<strong>in</strong>tergründe kommuniziert<br />
und Statistiken nicht <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />
Immer wieder äussert der Kl<strong>in</strong>ikdirektor se<strong>in</strong>e ernsthafte<br />
Sorge über <strong>die</strong> sche<strong>in</strong>bar unaufhaltbare, ungute<br />
Entwicklung der Mediz<strong>in</strong> und des Gesundheitswesens.<br />
«Anstelle von Wohlergehen und Zufriedenheit der Patienten<br />
s<strong>in</strong>d Zahlen und Fakten, f<strong>in</strong>anzielle Leistungsziele,<br />
massgebend <strong>für</strong> Erfolg und Misserfolg. Zu viele mischen<br />
heute im Gesundheitswesen mit, was zu e<strong>in</strong>er Veradm<strong>in</strong>istrierung<br />
geführt hat. Ganze Fachbereiche beschäftigen<br />
sich mit Stu<strong>die</strong>n und Statistiken, <strong>die</strong> null Mehrwert<br />
<strong>für</strong> den Patienten haben, jedoch <strong>die</strong> Kosten bee<strong>in</strong>flussen.<br />
Zudem fehlt es an e<strong>in</strong>er klaren Strategie <strong>für</strong> <strong>die</strong> nächsten<br />
zwanzig Jahre.» E<strong>in</strong>e Lösung sieht er nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er radikalen<br />
Umkehr und Veränderung. Doch waren es nicht <strong>die</strong>se<br />
Sorgen, sondern e<strong>in</strong>e zufällige Begegnung war der Auslö-<br />
6 <strong>Pro</strong> Senectute Kanton Luzern 2 | 13