über Sr. Lia
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I n t e r v i e w<br />
18<br />
„Welche Wohltat,<br />
aufrecht zu gehen,<br />
Br. Martin Lehr OSB war fast 70 Jahre Mönch und<br />
Abtei San José in Caracas<br />
Br. Martin (rechts) als Koch in Maracay…<br />
von Johannes Mahr<br />
HINTERGRUND<br />
Bruder Martin Lehr wurde im Jahre 1912<br />
in Mainz geboren. Im Jahre 1934 legte<br />
er in der Notkirche von Münsterschwarzach<br />
seine zeitliche Profess ab. Nach den<br />
Kriegsjahren wurde er im Jahre 1947 in<br />
die Venezuela-Mission entsandt. Dort<br />
konnte er über 27 Jahre segensreich wirken.<br />
Nach anstrengenden Jahren seines<br />
missionarischen Wirkens verbrachte er<br />
seinen Lebensabend in der Abtei Münsterschwarzach,<br />
indem er Briefmarken<br />
sortierte und bei der Bearbeitung der<br />
Eingangspost behilflich war. Br. Martin<br />
starb am 14. Dezember 2001.<br />
Die Abtei St. Joseph wurde 1923 in Caracas,<br />
der Hauptstadt von Venezuela<br />
gegründet. Durch den Ausbau der Autobahn<br />
in Caracas entschlossen sich die<br />
Mönche im Jahre 1985, das Kloster dort<br />
aufzugeben und ca. 150 km süd-westlich<br />
von Caracas ein neues Kloster zu bauen.<br />
Es wurde im Jahre 1990 bezogen.<br />
In der Gemeinschaft leben zur Zeit 15<br />
Mitbrüder. Dort führen die Mönche ein<br />
spirituelles Zentrum, eine Farm sowie eine<br />
Schreiner- und Metallwerkstatt.<br />
Br. Martin dachte gerne mit bei dem, was<br />
um ihn herum geschah. Das war in seiner<br />
Generation – er wurde 1912 geboren<br />
– unbeliebt. Er bestand nicht auf seiner<br />
besseren Einsicht, gehörte scheinbar zu<br />
den Stillen im Lande. Auch seine Mitbrüder<br />
sahen ihn so. Aber er hatte sein eigenes<br />
Verfahren, zu ertragen, was er nicht billigte.<br />
Er schrieb es auf.<br />
Schon im Russlandkrieg, den der gelernte<br />
Gärtner, der 1934 Profess ablegte, von Beginn<br />
an mitmachte, kritzelte er Zettelchen<br />
voll. Das war verboten, der Feind hätte<br />
daraus die deutsche Strategie erkennen<br />
können. Wieder daheim schrieb Br. Martin<br />
im „kleinen, dunklen (gemeinsamen)<br />
Brüderzimmer“ seine Notizen ab. So viel<br />
Eigenständigkeit eines Bruders war ebenfalls<br />
nicht vorgesehen. Doch entstand ein<br />
bewegendes Dokument über den Kriegswinter<br />
1941/42 aus der Sicht einfacher<br />
„Muss-Soldaten“, die bei 30 Grad Kälte<br />
„wie Feldhasen bei einer Treibjagd“ durch<br />
wildfremde Gegenden hetzen, während<br />
„der Schweiß auf den Gesichtern gefriert“,<br />
die nichts mehr zu essen bekommen, weil<br />
die Verpflegungskompanie zurückbleibt,<br />
schließlich 500 Kilometer zu Fuß von Lemberg<br />
nach Polen laufen, um Züge mit der<br />
deutschen Eisenbahnspur zu erreichen. Als<br />
er in der „Genesungskompanie“ Verbesserungsvorschläge<br />
machen soll, erscheint das<br />
als Falle. Doch Br. Martin fürchtet sich nicht.<br />
Er schreibt „allerhand zusammen“ – wohl<br />
zu seinem Glück gibt es kein Echo. Später<br />
sagt er trotzig: „Man sollte den kleinen<br />
Landser über das Geschehen von höherer<br />
Warte aus Einblick nehmen lassen. Das<br />
gäbe neuen Mut und Durchhaltekraft.“<br />
Unangepasst<br />
Diese Einstellung hatte er auch, als er nach<br />
vier Kriegsjahren und Gefangenschaft ins<br />
Kloster zurückkam. Er verstand nie, dass<br />
dort Priester ihm, dem Fachmann in der<br />
Gärtnerei, nur aufgrund ihrer Weihe vorschrieben,<br />
was er tun sollte, und war überglücklich,<br />
als ihn Abt Burkard 1947 nach<br />
Venezuela schickte. Auf dem Atlas sah er<br />
nach, wo das liegt, und besorgte sich ein<br />
spanisches Wörterbuch. Er wollte mitreden.<br />
Dass er vor Begeisterung im Refektorium<br />
seiner Abtei eine Abschiedsrede hielt,<br />
schuf Ärger. Gärtner arbeiten und schweigen.<br />
Den 24 Stunden dauernden Flug erlebte<br />
er als großes Fest. Über der Karibik<br />
waren durch die winzigen Fenster nur noch<br />
Himmel, Wasser und Wolken zu sehen, so<br />
betete er in gehobener Stimmung das ganze<br />
Sonntagsoffizium, obwohl es Mittwoch<br />
war. Ihr Meere und alles was in den Wassern<br />
sich regt, lobpreiset den Herrn.