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Mensch und Natur* - Otto Friedrich Bollnow

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kann, ohne sie in einem sicheren Wissen fassen zu können. Aber trotzdem darf diese Ahnung<br />

nicht als Spiel einer trügerischen Phantasie abgetan werden, sondern muß als Botschaft mit<br />

ihrem eigentümlichen Wahrheitsgehalt ernst genommen werden.<br />

Ein weiteres Beispiel zeigt die Erfahrung eines kosmischen Augenblicks in einer etwas anderen<br />

Abwandlung. Theodor Storms Gedicht „Meeresstrand“ beginnt mit einer ganz einfachen<br />

Schilderung eines Abends am Meer, so wie er täglich erlebt wird:<br />

Ans Haff nun fliegt die Möwe,<br />

Und Dämmerung bricht herein,<br />

Über die feuchten Watten<br />

Spiegelt der Abendschein.<br />

Graues Geflügel huschet<br />

neben dem Wasser her.<br />

lm unbestimmten Licht der Finsternis verschwimmen die festen Umrisse <strong>und</strong> das Alltägliche<br />

wird geheimnisvoll. Unversehens wandelt sich die Welt ins Traumhaft-Magische. Das wird<br />

sogleich auch ausdrücklich ausgesprochen:<br />

Wie Träume liegen die Inseln<br />

Im Nebel über dem Meer.<br />

Wo die sichtbare Welt entgleitet, beginnt eine geheimnisvolle Tiefe zu sprechen. Dem entspricht,<br />

daß sich die Aufmerksamkeit vom Sehen zum Hören verschiebt:<br />

Ich höre des gärenden Schlammes<br />

Geheimnisvollen Ton. Einsames Vogelrufen<br />

...<br />

Noch einmal schauert leise<br />

Und schweiget dann der Wind.<br />

Vernehmlich werden die Stimmen,<br />

Die über der Tiefe sind..<br />

Es sind die „Stimmen über der Tiefe“. Damit wird deutlich hervorgehoben: Was in der beschriebenen<br />

St<strong>und</strong>e ergreift, sind die Untergründe des Seins, die hier „vernehmlich“ werden.<br />

Und dann kommt der entscheidende, den Fortgang unterbrechende (<strong>und</strong> darum zunächst fortgelassene)<br />

Vers:<br />

So war es immer schon.<br />

Wir sind unvermerkt der Zeit entglitten <strong>und</strong> in das Reich des Zeitlosen eingetreten. Das zeitliche<br />

Geschehen des alltäglichen Lebens verliert seine Wichtigkeit, weil ein tieferes Sein spürbar<br />

geworden ist. Das ist es, was an dem kleinen Gedicht so unmittelbar ergreift.<br />

3. Das Staunen<br />

Die erste Reaktion des <strong>Mensch</strong>en auf die unvorbereitet auf ihn eindringende Stimme der Natur<br />

ist ein aufgeschrecktes, fast ungläubiges Staunen. Nun hat schon Platon gelehrt, daß das<br />

Staunen am Anfang der Philosophie steht, <strong>und</strong> man hat es seitdem häufig wiederholt. Was

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