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Die Bewegung der Planeten - Didaktik der Physik

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Abbildung 1: Marsschleifen 1990-1997 in den Sternbil<strong>der</strong>n Stier, Zwillinge und Löwe<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong><br />

Udo Backhaus<br />

Wie viele, denen die ” Kepler’schen Gesetze“ so leicht von <strong>der</strong> Zunge gehen,<br />

haben jemals einen <strong>Planeten</strong> gesehen, das heißt, nicht nur einfach als einen<br />

hellen Stern gezeigt bekommen, son<strong>der</strong>n sich etwas mit ihm angefreundet und<br />

seiner Wegspur durch die Sternbil<strong>der</strong>, seinem zögernden Gang, seinem heimlichen<br />

Aufglänzen? (Wagenschein 1967 [11])


1 Einleitung<br />

<strong>Die</strong> von Wagenschein geäußerte Skepsis ist heute ebenso aktuell wie 1967. Daran wird sich<br />

wahrscheinlich auch wenig än<strong>der</strong>n durch einen Astronomieunterricht, <strong>der</strong> innerhalb von<br />

60 Unterrichtsstunden einen Überblick über die gesamte Astronomie anstrebt und für die<br />

Behandlung des <strong>Planeten</strong>systems einen Rahmen von gerade 13 Stunden vorsieht, in denen<br />

neben <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bahnen auch noch die physikalischen Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> und des Mondes behandelt werden sollen (siehe z.B. [8]).<br />

Das von Wagenschein immer wie<strong>der</strong> eindrucksvoll beschriebene Missverhältnis zwischen<br />

” Gewusstem“ und ” Erfahrenem“ ist ein Problem nicht nur <strong>der</strong> Astronomie, son<strong>der</strong>n<br />

aller Naturwissenschaften, und die Diskrepanz wird, so glaube ich, heute eher größer als<br />

kleiner. Auch heute noch sind nur wenige Menschen mit den <strong>Planeten</strong> und ihren <strong>Bewegung</strong>en<br />

vertraut, obwohl es gerade bei diesem Thema sehr einfach ist, eigene Erfahrungen<br />

zu sammeln, und auch nicht sehr schwierig, aus den eigenen Beobachtungen Schlussfolgerungen<br />

zu ziehen. Darüberhinaus ist das Problem <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegungen nicht nur<br />

historisch sehr interessant, hat es doch eine entscheidende Rolle bei <strong>der</strong> Entwicklung<br />

unserer heutigen Vorstellung vom Aufbau <strong>der</strong> Welt gespielt, son<strong>der</strong>n es stellt auch ein<br />

physikalisch sehr instruktives Beispiel für das Verhältnis zwischen Erfahrung und Theorie<br />

dar.<br />

2 ” Schul“-Wissen als Scheinwissen<br />

Kepler formulierte am Anfang des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts drei heute nach ihm benannte Gesetze,<br />

die die <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> um die Sonne genau beschreiben:<br />

1. Kepler’sches Gesetz: <strong>Die</strong> <strong>Planeten</strong> bewegen sich auf Ellipsenbahnen, in <strong>der</strong>en einem<br />

Brennpunkt die Sonne steht.<br />

2. Kepler’sches Gesetz: <strong>Die</strong> Verbindungslinie Planet – Sonne überstreicht in gleichen<br />

Zeiten gleiche Flächenstücke, <strong>der</strong> Planet bewegt sich also in Sonnennähe schneller<br />

als in Sonnenferne (siehe Abb. 2).<br />

3. Kepler’sches Gesetz: <strong>Die</strong> Quadrate <strong>der</strong> Umlaufzeiten <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> verhalten sich<br />

wie die Kuben ihrer mittleren Entfernung von <strong>der</strong> Sonne.<br />

Dass die in dem Zitat von Wagenschein zum Ausdruck kommende Skepsis auch bei<br />

unserern Studenten angebracht ist, erfuhr ich durch den Eingangstest, den ich im Wintersemester<br />

1995 in meiner Veranstaltung ” Einführung in die Astronomie“ schreiben ließ:<br />

Etwa 75% <strong>der</strong> Befragten konnten die Namen aller o<strong>der</strong> <strong>der</strong> meisten <strong>Planeten</strong> angeben,<br />

zum großen Teil sogar in <strong>der</strong> Reihenfolge zunehmenden Abstandes von <strong>der</strong> Sonne. Immerhin<br />

35% kannten das 1. und das 2. Kepler’sche Gesetz. <strong>Die</strong> Antworten auf die an<strong>der</strong>en<br />

Fragen machten jedoch deutlich, dass kaum jemand jemals einen <strong>Planeten</strong> mit eigenen<br />

Augen gesehen, geschweige denn seine <strong>Bewegung</strong> verfolgt hat. So glauben 50% dass die<br />

<strong>Planeten</strong> am Sternenhimmel Ellipsenbahnen durchlaufen 1 , ein Beispiel für ein naheliegendes<br />

Missverständnis, das dadurch entsteht, dass die Phänomene unbekannt sind, die durch<br />

die Gesetze erklärt werden sollen.<br />

1 Am 4. Juni protestierten die Teilnehmer an meiner Astronomievorlesung gegen diese Interpretation<br />

ihrer Antworten: Sie hätten die Frage missverstanden.<br />

2


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Abbildung 2: Veranschaulichung einer Kepler-<strong>Bewegung</strong> für e=0.5<br />

Natürlich ” wissen“ alle Teilnehmer, dass nicht die Sonne um die Erde, son<strong>der</strong>n umgekehrt<br />

die Erde um die Sonne läuft. Aber kein einziger konnte auch nur ein Argument für<br />

diese Aussage nennen. <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>problems für die Entwicklung des heliozentrischen<br />

Weltsystems ist also niemandem bekannt. Auch diese Erfahrung hat bereits<br />

Wagenschein beschrieben und aufgespießt:<br />

Ein nur nachgeredetes Kopernikanertum ist so viel wert wie ein Prachteinband<br />

von Goethes Werken, in dem <strong>der</strong> Text fehlt. Der naturwissenschaftliche<br />

Unterricht darf sich nicht zu dekorativen Zwecken erniedrigen lassen. Ein<br />

Kopfnicker ist noch kein Kopernikaner.<br />

Ich möchte Sie deshalb heute mit den Beobachtungen an <strong>Planeten</strong> vertraut machen,<br />

die bereits mit bloßen Augen o<strong>der</strong> mit einem kleinen Fernglas möglich sind. <strong>Die</strong>se Beobachtungen<br />

sind sehr einfach zu machen, erfor<strong>der</strong>n jedoch einen langen Atem – eine<br />

For<strong>der</strong>ung, die sich in unserer kurzlebigen Welt leichter formulieren als erfüllen lässt. Ich<br />

möchte darüberhinaus andeuten, dass manche Folgerungen, die die Griechen o<strong>der</strong> Copernicus<br />

und seine Nachfolger daraus zogen, nicht schwierig nachzuvollziehen sind. Beide<br />

Systeme, die geozentrische und die heliozentrische Sichtweise, erwiesen sich als weitgehend<br />

äquivalent, und erst Newtons Gravitationstheorie lieferte das entscheidende Argument für<br />

den endgültigen Sieg <strong>der</strong> Copernicanischen Revolution.<br />

Der Mars ist für eigene Beobachtungen beson<strong>der</strong>s geeignet, weil er als äußerer Planet<br />

einfach zu beobachten ist, seine <strong>Bewegung</strong> schnell und seine Helligkeitsän<strong>der</strong>ung sehr<br />

3<br />

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Abbildung 3: Mars im aufgehenden Löwen<br />

auffällig ist. Außerdem hat er bei <strong>der</strong> Entdeckung <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>gesetze durch Kepler die<br />

entscheidende Rolle gespielt, weil seine Bahn eine relativ große Exzentrizität aufweist.<br />

Lei<strong>der</strong> kommt Mars jedoch nur ca. alle zwei Jahre in günstige Beobachtungspositionen.<br />

(In dieser Hinsicht ist Jupiter geeigneter!)<br />

3 Beobachtbare <strong>Planeten</strong>phänomene<br />

Mars fällt durch seine Helligkeit am Himmel auf, die meist größer als die aller benachbarten<br />

Sterne (in Abb. 3 z.B. als die des Löwen) ist. Trotzdem ist er in keiner Sternkarte<br />

verzeichnet!<br />

Bereits nach einigen Tagen hat er seine Stellung relativ zu den benachbarten Sternen<br />

etwas, nach längerer Zeit deutlich verän<strong>der</strong>t (Abb. 4).<br />

Verfolgt man ihn über längere Zeit, bemerkt man, dass er sich vor dem unverän<strong>der</strong>lichen<br />

Hintergrund des Fixsternhimmels mit seinen Sternbil<strong>der</strong>n bewegt, meist ungefähr<br />

” geradlinig“ (d.h. auf einem Großkreis) von West nach Ost, man sagt: Mars bewegt sich<br />

rechtläufig. Manchmal aber beginnt er zu zögern, wird immer langsamer und setzt schließlich<br />

seine Wan<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> entgegengesetzten Richtung fort (er wird rückläufig) -nur<br />

um einige Wochen später abermals umzukehren. Während dieser Zeit <strong>der</strong> Rückläufigkeit<br />

erreicht er seine größte Helligkeit. <strong>Die</strong>se Wan<strong>der</strong>ung kann bei Mars leicht mit bloßen Augen<br />

bemerkt und verfolgt werden, insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn auffällige Sternkonstellationen<br />

in <strong>der</strong> Nähe sind (was bei den letzten drei Marsschleifen zutraf und auch bei <strong>der</strong> kommenden<br />

<strong>der</strong> Fall sein wird). Bei <strong>der</strong> Beobachtung mit einem kleinen Fernrohr beobachtet<br />

man außerdem eine deutliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> scheinbaren Größe des <strong>Planeten</strong> und seiner<br />

Phasengestalt.<br />

Während dieser <strong>Bewegung</strong>, die sich über mehrere Wochen hinzieht, verän<strong>der</strong>t sich<br />

nicht nur die Position von Mars relativ zum Sternenhintergrund, son<strong>der</strong>n auch die Stellung<br />

aller Sterne und Sternbil<strong>der</strong> relativ zum Horizont. Beobachtet man immer zum selben<br />

Zeitpunkt (z.B. um 23 Uhr), dann geht das Sternbild mit Mars am Anfang seiner Schlei-<br />

4


Abbildung 4: Mars im hochstehenden Löwen<br />

fenbewegung gerade auf (wie in Abb. 3), am Ende dagegen bereits fast unter (wie in<br />

Abb. 5).<br />

Voraussetzung für solche Beobachtungen sind also ein geeigneter Beobachtungsort –<br />

mit nicht zu hohem Horizont und nicht zu viel ” Lichtverschmutzung“ – und die Fähigkeit,<br />

bestimmte Sternbil<strong>der</strong> unabhängig von ihrer Stellung über dem Horizont wie<strong>der</strong>zuerkennen.<br />

Trägt man dann die beobachteten <strong>Planeten</strong>positionen in eine geeignete Sternkarte ein<br />

([10]), nachdem man sich Entfernungs- und Winkelbeziehungen zwischen Mars und den<br />

Nachbarsternen eingeprägt hat (Mars auf einer Geraden mit zwei Sternen o<strong>der</strong> mit ihnen<br />

ein gleichseitiges, gleichschenkliges o<strong>der</strong> rechtwinkliges Dreieck bildend. Es ist erstaunlich,<br />

wie oft man solche Konstellationen finden kann!) o<strong>der</strong> photographiert man Mars mit feststehen<strong>der</strong><br />

Kamera und überträgt mit Hilfe <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> seine Positionen in die Karte, dann<br />

entsteht im Laufe einiger Wochen auf <strong>der</strong> Karte eine elegante <strong>Bewegung</strong>skurve. Manchmal<br />

könnte man die entstehende Kurve zunächst für den Beginn einer Ellipse halten (Abb. 6).<br />

Hat man aber genügend Geduld, dann zeigt sich, dass Mars seine rechtläufige <strong>Bewegung</strong><br />

nur vorübergehend unterbrochen hat (Abb. 7).<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bewegung</strong>sfiguren, die Mars seit dem Beginn meiner eigenen Beobachtungen aufgezeichnet<br />

hat, zeigt Abb. 1.<br />

4 Beschreibung und Erklärung <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegung<br />

Beobachtet man die <strong>Planeten</strong>bewegungen viele Jahre hindurch – und das taten bereits<br />

die Menschen sehr früher Kulturen –, dann offenbaren sich, bei aller Vielfalt z.B. in <strong>der</strong><br />

Gestalt <strong>der</strong> Schleifen, auffällige Regelmäßigkeiten:<br />

• <strong>Die</strong> Bahnen aller <strong>Planeten</strong> liegen sehr nahe an <strong>der</strong> jährlichen Bahn <strong>der</strong> Sonne durch<br />

den Sternenhimmel, <strong>der</strong> sogenannten Ekliptik.<br />

• Alle <strong>Planeten</strong> durchlaufen ihre Schleifen in regelmäßigen Abständen (z.B. Venus alle<br />

584, Mars alle 780 und Jupiter alle 399 Tage).<br />

5


Abbildung 5: Mars im untergehenden Löwen<br />

Abbildung 6: mehrere Marspositionen im Löwen<br />

6


Abbildung 7: Marsschleife im Löwen<br />

• Alle <strong>Planeten</strong> gewinnen während ihrer Rückläufigkeit deutlich an Helligkeit.<br />

• Je langsamer sich die <strong>Planeten</strong> durch die Sternbil<strong>der</strong> bewegen, desto kleiner sind<br />

ihre Schleifen.<br />

<strong>Die</strong>se Regelmäßigkeiten führten schon früh zu Versuchen, die <strong>Bewegung</strong>en nicht nur zu<br />

beschreiben, son<strong>der</strong>n mit Hilfe mathematischer Modelle vorherzusagen.<br />

4.1 geozentrische Epizykeltheorie<br />

<strong>Die</strong> Griechen beschrieben die <strong>Planeten</strong>bewegungen so, wie sie sie erlebten, nämlich als<br />

<strong>Bewegung</strong>en, in <strong>der</strong>en Mittelpunkt die Erde, bzw. sie selbst sich befanden. Dabei erhielten<br />

Kreisbewegungen als Sinnbild himmlischer o<strong>der</strong> göttlicher Vollkommenheit und Harmonie<br />

eine nicht hinterfragbare mystische Bedeutung.<br />

<strong>Die</strong> Grundidee kann durch ein mechanisches Modell o<strong>der</strong> durch Computersimulation<br />

leicht veranschaulicht werden (Abb. 8): Im Mittel bewegt sich <strong>der</strong> Planet mit konstanter<br />

Geschwindigkeit auf seiner Bahn um die Erde. Das wird wie<strong>der</strong>gegeben durch die<br />

gleichförmige <strong>Bewegung</strong> eines Punktes auf einem Kreis, dem sogenannten Deferenten, um<br />

die Erde. Um die Ungleichförmigkeit und die Rückläufigkeit <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> zu erreichen,<br />

läuft <strong>der</strong> Planet seinerseits, mit demselben Umlaufsinn, auf einem Kreis um diesen Punkt,<br />

dem sogenannten Epizykel.<br />

<strong>Die</strong>ses System wurde von Apollonios und Hipparchos etwa 200 Jahre vor Christi Geburt<br />

entwickelt und vierhun<strong>der</strong>t Jahre später von Ptolomäus zur Vollendung gebracht.<br />

Es beschreibt bereits in seiner Grundform, teils qualitativ, teils quantitativ wesentliche<br />

Eigenschaften <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegung, nämlich ihre Regelmäßigkeit, ihre Rückläufigkeit<br />

und die mit ihr verbundene Helligkeitsschwankung: So ist z.B. leicht zu erkennen, dass<br />

<strong>der</strong> Planet während seiner Rückläufigkeit <strong>der</strong> Erde beson<strong>der</strong>s nahe ist, also beson<strong>der</strong>s hell<br />

erscheinen muss.<br />

Mit Hilfe einiger Erweiterungen, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Neigung des Deferenten gegen die<br />

Ekliptik und seiner Exzentrizität (die durch einen zusätzlichen Epizykel ersetzt werden<br />

7


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Erde<br />

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Mars �<br />

Abbildung 8: geozentrische Beschreibung <strong>der</strong> Marsschleife mit Deferent und Epizykel<br />

kann) und <strong>der</strong> Einführung sogenannter Ausgleichspunkte wurdeesspäter auch möglich,<br />

die verschiedenen Schleifenformen und verbleibende Ungleichförmigkeiten befriedigend zu<br />

beschreiben.<br />

4.2 heliozentrische Theorie<br />

Für mich geht eine große Faszination von <strong>der</strong> Frage aus, wie die Menschheit auf die Idee<br />

kam, in den <strong>Bewegung</strong>en <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> am Himmel den Lauf <strong>der</strong> Erde um die Sonne zu<br />

entdecken. Es ist hier jedoch nicht <strong>der</strong> Platz, dieser Frage ausführlich nachzugehen (siehe<br />

dafür z.B. [5] und [4]!). Deshalb muss ich mich auf einige Bemerkungen dazu beschränken.<br />

Bereits Aristarch hatte im 2. Jahrhun<strong>der</strong>t v.Chr. die Idee, die Form <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bahnen<br />

darauf zurückzuführen, dass die <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> von <strong>der</strong> ihrerseits sich<br />

bewegenden, nämlich die Sonne umlaufenden Erde aus beobachtet werden. Deshalb war<br />

er so stark an <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Sonne (und damit an ihrer Entfernung) interessiert! <strong>Die</strong><br />

Idee konnte sich jedoch nicht durchsetzen, weil sie zu massiv <strong>der</strong> unmittelbaren Erfahrung<br />

wi<strong>der</strong>sprach (und noch heute wi<strong>der</strong>spricht!). Das war auch <strong>der</strong> Grund dafür, dass<br />

Copernicus, als er 1700 Jahre später aus Gründen mathematischer Einfachheit dasselbe<br />

Modell vorschlug und detailliert ausarbeitete, lange Zeit offenließ, ob er sein System als<br />

Rechenhilfsmittel o<strong>der</strong> als Modell für die Wirklichkeit verstanden wissen wollte.<br />

<strong>Die</strong> Grundidee des heliozentrischen Systems ist nicht sehr schwierig zu verstehen<br />

(Abb. 9): Durch die <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong> Erde um die Sonne verän<strong>der</strong>t sich die Blickrichtung<br />

zu einem <strong>Planeten</strong>; dieser verän<strong>der</strong>t dadurch seine Stellung relativ zum Hintergrund <strong>der</strong><br />

8<br />

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Sonne<br />

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Erde<br />

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Mars �<br />

Abbildung 9: heliozentrische Beschreibung <strong>der</strong> Marsschleife durch den Parallaxeneffekt<br />

durch die Beobachtung von <strong>der</strong> bewegten Erde aus<br />

sehr viel weiter entfernten Sterne. <strong>Die</strong>se Erscheinung nennt man Parallaxe. Bewegte sich<br />

die Erde auf einem Kreis um die Sonne und hätte <strong>der</strong> Planet eine feste Position im Weltraum,<br />

dann würde er im Takt <strong>der</strong> Erdbewegung vor den Sternen hin- und herpendeln,<br />

genauer: eine Ellipse ([7]) durchlaufen (die nichts mit einer Kepler-Ellipse zu tun hat!).<br />

<strong>Die</strong> tatsächlich beobachtete <strong>Bewegung</strong> ist eine Überlagerung dieser parallaktischen Ellipse<br />

mit <strong>der</strong> Eigenbewegung des <strong>Planeten</strong>: Den größten Teil des Jahres verän<strong>der</strong>t sich die<br />

Blickrichtung zum <strong>Planeten</strong> von West nach Ost, d.h. er ist rechtläufig. Wird <strong>der</strong> Planet<br />

jedoch von <strong>der</strong> Erde überholt, bzw. überholt er seinerseits die Erde, dann verän<strong>der</strong>t sich<br />

die Blickrichtung in <strong>der</strong> entgegengesetzten Richtung: Der Planet wird rückläufig.<br />

Das System kann wie<strong>der</strong>um mit einem mechanischen Modell o<strong>der</strong> durch eine Computersimulation<br />

veranschaulicht werden. Es erklärt wie das geozentrische System die Regelmäßigkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegung, die Rückläufigkeit und die damit verbundenen Helligkeitsän<strong>der</strong>ungen.<br />

Zusätzlich ermöglicht es, die relativen Abstände aller <strong>Planeten</strong> von<br />

<strong>der</strong> Sonne zu bestimmen ([1]). Nachdem Copernicus entsprechende Erweiterungen wie im<br />

geozentrischen System eingeführt hatte (Exzentrizität <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bahnen und Neigung<br />

gegen die Erdbahnebene), konnte er auch mit seinem System die <strong>Planeten</strong>positionen befriedigend<br />

vorhersagen. Da er jedoch an Kreisbewegungen festhielt, musste er weiterhin<br />

Epizykel benutzen.<br />

9<br />

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4.3 Vergleich bei<strong>der</strong> Theorien<br />

Für den Vergleich zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen System ist es<br />

zunächst wichtig zu betonen, dass die Grundformen bei<strong>der</strong> Theorien geometrisch äquiva-<br />

lent sind: Man kann die beiden Modelle durch eine einfache Koordinatentransformation<br />

von <strong>der</strong> Sonne auf die bewegte Erde o<strong>der</strong> umgekehrt ineinan<strong>der</strong> umwandeln!<br />

�r EP<br />

(Verbindungslinie Erde - Planet) =<br />

�r P<br />

(Deferent) −<br />

�r E<br />

(Epizykel)<br />

Deshalb blieb auch so lange unklar, ob Copernicus selbst sein System als Bild <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit verstand, und darum insbeson<strong>der</strong>e drehte sich auch die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

zwischen Galilei und <strong>der</strong> katholischen Kirche.<br />

Bevor man voreilig das Copernicanische System für das ” richtige“, das Ptolomäische<br />

für ” falsch“, ” naiv“ o<strong>der</strong> ” überholt“ erklärt, sollte man außerdem in Rechnung stellen,<br />

dass Copernicus, um zu befriedigen<strong>der</strong> Übereinstimmung zwischen Beobachtungsdaten<br />

und Berechnungen zu kommen, so viele Verfeinerungen einbauen musste, dass sein System<br />

schließlich nicht mehr einfacher als das Ptolomäische war. Trotz dieser Verfeinerungen<br />

ermöglichte das heliozentrische System darüberhinaus zunächst keine genaueren Vorhersagen<br />

als das geozentrische.<br />

Um noch einmal Wagenschein ([11], S. 334) zu zitieren:<br />

Wer . . . dem Gedankengang . . . bis hierher folgen konnte, <strong>der</strong> darf nun freilich<br />

nicht mehr als die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit sehen, dass es sich so<br />

verhalten könnte.<br />

Für das Copernicanische System spricht zweifellos seine größere Eleganz (Abb. 10),<br />

dagegen allerdings die ungeheure Zumutung, die es für die unmittelbare Anschauung darstellt:<br />

Es erfor<strong>der</strong>t, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass man aufgrund <strong>der</strong> täglichen<br />

Rotation <strong>der</strong> Erde mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1600 km/h herumgewirbelt wird<br />

und mit <strong>der</strong> Erde gar mit <strong>der</strong> unglaublichen Geschwindigkeit von 108000 km/h (=30<br />

km/s) durch den Weltraum saust – und das alles ohne auch nur das Geringste davon zu<br />

spüren!<br />

5 Kepler-<strong>Bewegung</strong>en<br />

Bisher war nur von Kreisbahnen die Rede, sogar (fast) nur von konzentrischen Kreisen.<br />

Dabei weiß doch ” fast je<strong>der</strong>“, dass sich die <strong>Planeten</strong> auf Ellipsenbahnen bewegen, und ist<br />

deshalb geneigt über unsere Vorfahren zu lächeln, die so lange an <strong>der</strong> Kreisform festhielten.<br />

Wie wir gesehen haben, lassen sich bereits mit <strong>der</strong> Annahme konzentrischer Kreisbahnen<br />

die <strong>Planeten</strong>bewegungen am Himmel recht gut erklären. <strong>Die</strong> Notwendigkeit, exzentrische<br />

Kreise o<strong>der</strong> gar Ellipsen in Betracht zu ziehen, ergibt sich erst bei wesentlich höheren<br />

Ansprüchen an die Genauigkeit <strong>der</strong> Vorhersagen.<br />

Für die Bestimmung elliptischer Bahnen fehlen den meisten unserer Studenten die mathematischen<br />

Voraussetzungen. Das war aber zur Zeit Keplers nicht an<strong>der</strong>s! Kepler musste<br />

10


Abbildung 10: <strong>Die</strong> <strong>Bewegung</strong>en <strong>der</strong> innersten fünf <strong>Planeten</strong>, heliozentrisch und<br />

geozentrisch betrachtet.<br />

ganz neue geometrische Methoden entwickeln und wesentliche Schritte auf dem Weg zur<br />

Infinitesimalrechnung zurücklegen, bevor er seine Gesetze aufstellen konnte 2 . Vielleicht<br />

sollte man deshalb, anstatt vorschnell die Kepler’schen Gesetze an die Tafel zu schreiben,<br />

den Schülern einen Eindruck von den Schwierigkeiten zu vermitteln versuchen, die Kepler<br />

überwinden musste – und seine Zeitgenossen und Nachfahren, bis sie die Bedeutung <strong>der</strong><br />

Gesetze erkannt hatten!.<br />

Keplers Kampf mit <strong>der</strong> Marsbahn wird von Koestler ([5]) eindrucksvoll geschil<strong>der</strong>t.<br />

Dabei zitiert er auch ausführlich aus <strong>der</strong> ” Neuen Astronomie“, von <strong>der</strong> glücklicherweise seit<br />

kurzem wie<strong>der</strong> eine deutsche Übersetzung erhältlich ist ([3], siehe auch [2]). In diesem Buch<br />

stellt Kepler nicht nur sein fertiges System vor, son<strong>der</strong>n er beschreibt auch ausführlich<br />

seine Überlegungen und Irrwege. Er begründet das selbst folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

” ...mirkommen die Wege, auf denen die Menschen zur Erkenntnis <strong>der</strong> himmlischen<br />

Dinge gelangen, fast ebenso bewun<strong>der</strong>ungswürdig vor wie die Natur<br />

dieser Dinge selber. Daher zeige ich diese Wege mit Sorgfalt auf; freilich wird<br />

sicher <strong>der</strong> Leser einigen Überdruss dabei empfinden. Es macht einem jedoch<br />

ein Sieg, <strong>der</strong> mit Gefahr errungen worden ist, mehr Freude, und heller geht<br />

die Sonne aus den Wolken hervor.“ (Zusammenfassung des 45. Kapitels, [3],<br />

S. 47)<br />

Ich denke, diese Begründung hat bis heute nichts von ihrer Überzeugungskraft verloren<br />

– auch wenn man ihr sicher nur anhand weniger Beispiele wird folgen können.<br />

2 Kepler beklagt an mehreren Stellen seiner ” Neuen Astronomie“ [3] die fehlende Eleganz seiner Beweisführung<br />

und formuliert mehrfach Auffor<strong>der</strong>ungen an die ” Geometer“ seiner Zeit.<br />

11


Kepler erreichte zunächst eine wesentliche Vereinfachung des Copernicanischen Systems<br />

und wesentlich genauere Vorhersagen, indem er auf die For<strong>der</strong>ung nach konstanter<br />

Bahngeschwindigkeit <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong> verzichtete. Um verbleibende Diskrepanzen zwischen<br />

Tycho Brahes Beobachtungen und seiner Theorie zu beseitigen, musste er schließlich die<br />

Kreise durch Ovale“ ersetzen. <strong>Die</strong> Schwere dieses Schrittes kann man heute nur noch mit<br />

”<br />

Mühe nachempfinden: In <strong>der</strong> vollkommenen Symmetrie <strong>der</strong> Sphären und Kreise hatte für<br />

die Menschen bis dahin eine tief beruhigende Anziehungskraft gelegen – sonst hätte sich<br />

die Vorstellung nicht zweitausend Jahre gehalten. Ein Oval dagegen ist eine willkürliche<br />

Form. Sie entstellt den ewigen Traum <strong>der</strong> Harmonie <strong>der</strong> Sphären“ ([5], S. 332). Zur Be-<br />

”<br />

stimmung <strong>der</strong> genauen Form einer unbekannten Kurve müssen viele ihrer Punkte genau<br />

vermessen werden. Voraussetzung dafür ist die genaue Kenntnis <strong>der</strong> Erdbahn, bei <strong>der</strong>en<br />

Untersuchung sich <strong>der</strong> ungleichförmige Umlauf <strong>der</strong> Erde bestätigte und Kepler schließlich<br />

(vor dem ersten) sein zweites Gesetz fand.<br />

Wie schwierig es für Kepler gewesen sein muss, die Ellipsenform zu finden, kann man<br />

durch einen Vergleich <strong>der</strong> Marsbahn mit einem Kreis veranschaulichen, dessen Radius mit<br />

<strong>der</strong> großen Halbachse <strong>der</strong> elliptischen Bahn übereinstimmt:<br />

• Identifiziert man die Brennpunkte <strong>der</strong> beiden Figuren (Abb. 11), dann erkennt man<br />

deutlich die Exzentrizität <strong>der</strong> Marsbahn. <strong>Die</strong>se war aber bereits den Griechen bekannt.<br />

��<br />

Abbildung 11: Vergleich <strong>der</strong> Marsbahn mit einem Kreis bezüglich <strong>der</strong> Brennpunkte<br />

• Legt man jedoch die beiden Figuren mit ihren Mittelpunkten übereinan<strong>der</strong> (Abb. 12),<br />

dann zeigt sich, dass die volle Druckerauflösung gerade ausreicht, die ” Elliptizität“<br />

<strong>der</strong> Marsbahn darzustellen: <strong>Die</strong> Marsbahn ist ein fast perfekter Kreis!<br />

12


❄<br />

✻<br />

a − a√1 − e2 ≈ 1<br />

2ae2 ��� �<br />

✲ ✛<br />

ea<br />

Abbildung 12: Vergleich <strong>der</strong> Marsbahn mit einem Kreis bezüglich <strong>der</strong> Mittelpunkte<br />

Der Grund dafür liegt darin, dass die Abweichung zwischen Mittelpunkt M und<br />

Brennpunkt F linear mit <strong>der</strong> Exzentrizität e <strong>der</strong> Ellipse zunimmt:<br />

d(M,F) =ae,<br />

dass aber <strong>der</strong> Unterschied zwischen großer Halbachse a und kleiner Halbachse b<br />

quadratisch von <strong>der</strong> Exzentrizität abhängt:<br />

b = a √ 1 − e2 =⇒ a − b ≈ a e2<br />

2 .<br />

Dadurch wird einerseits verständlich, dass für einfache Genauigkeitsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

Kreise ausreichen, an<strong>der</strong>erseits deutet es an, wie schwierig es gewesen sein muss, die<br />

Ellipsenform zu finden.<br />

An<strong>der</strong>s als seine Vorgänger konnte Kepler die winzige Unstimmigkeit von acht Bogenminuten<br />

zwischen Beobachtung und Theorie nicht ignorieren o<strong>der</strong> wegdiskutieren. Der<br />

Grund dafür lag insbeson<strong>der</strong>e in Keplers Einführung <strong>der</strong> physikalischen Kausalität in<br />

die formale Geometrie des Himmels: Er beschrieb die Marsbewegung als Folge des Zusammenwirkens<br />

zweier Kräfte: <strong>der</strong> Sonnenkraft“ und <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>kraft“. Solange die<br />

” ”<br />

Kosmologie rein geometrischen Spielregeln gehorchte, konnten Unstimmigkeiten durch<br />

Einführung zusätzlicher Epizyklen behoben werden. In einem Universum, das von wirklichen,<br />

physikalischen Kräften bewegt wird, war das nicht länger möglich.<br />

Keplers Gesetze gehören nicht zu denen, die im Rückblick selbstverständlich erscheinen.<br />

Sie machen eher den Eindruck von Konstruktionen“ als von Entdeckungen“. Tat-<br />

” ”<br />

sächlich bekamen sie ja erst im Lichte <strong>der</strong> Mechanik Newtons einen Sinn. Kepler konnte<br />

13


keine logische Begründung sehen, warum die Bahn elliptisch statt z.B. eiförmig sein sollte.<br />

Deshalb erwiesen sich auch seine Zeitgenossen, einschließlich Galileis, als unfähig, die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Gesetze zu erkennen. <strong>Die</strong> Kepler’schen Entdeckungen waren nicht von <strong>der</strong><br />

Art <strong>der</strong>er, die ” in <strong>der</strong> Luft liegen“ und häufig mehrmals fast gleichzeitig, aber unabhängig<br />

gemacht werden. Sie waren vielmehr außerordentliche Leistungen eines Einzelnen.<br />

6 Newton’sche Gravitationstheorie<br />

Keplers Theorie setzte sich aufgrund <strong>der</strong> gewaltigen Genauigkeitssteigerung als Rechenvorschrift<br />

schnell durch, nicht jedoch als Modell für die Wirklichkeit. <strong>Die</strong>ser Anerkennung<br />

standen entgegen<br />

• die kirchliche Tradition und Autorität,<br />

• die ungeheure Zumutung, die das System für die Anschauung darstellte,<br />

• die anscheinend völlig willkürliche Ellipsenform und<br />

• nicht zuletzt <strong>der</strong> Umstand, dass eine Wi<strong>der</strong>spiegelung <strong>der</strong> Bahnbewegung <strong>der</strong> Erde<br />

um die Sonne am Himmel nicht nachweisbar war.<br />

Als die parallaktische <strong>Bewegung</strong> naher Sterne um 1850, also mehr als 200 Jahre<br />

später, endlich nachgewiesen werden konnte, war diese Beobachtung interessanterweise<br />

für die Durchsetzung des Copernicanischen Systems fast bedeutungslos: Inzwischen zweifelte<br />

nämlich kein Wissenschaftler mehr an <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong> Erde um die Sonne ([12])!<br />

Woran lag das?<br />

Newton hatte 1687 sein Hauptwerk, die ” Mathematischen Prinzipien <strong>der</strong> Naturphilosophie“<br />

([6]) veröffentlicht. <strong>Die</strong> darin enthaltenen drei ” Newton’schen Gesetze“, insbeson<strong>der</strong>e<br />

aber die universelle Theorie <strong>der</strong> Gravitation, hoben die bis dahin geltende Trennung<br />

zwischen Himmel und Erde auf, indem die <strong>Bewegung</strong>en himmlischer und irdischer Körper<br />

denselben Gesetzen unterworfen wurden. Dadurch wurde es möglich, die <strong>Bewegung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Planeten</strong> um die Sonne als Folge nur einer Kraft, <strong>der</strong> Massenanziehung zwischen Sonne<br />

und Planet, nicht nur zu verstehen, son<strong>der</strong>n auch zu berechnen (Abb. 13). Nicht nur erwies<br />

sich die elliptische Form <strong>der</strong> Bahnen als eine Folge des Gravitationsgesetzes, auch die<br />

Geschwindigkeitsän<strong>der</strong>ung wurde einfach verstehbar: Auf dem Weg vom sonnenfernsten<br />

(Aphel) zum sonnennächsten Punkt (Perihel) ist die Gravitationskraft auf den <strong>Planeten</strong><br />

stets etwas nach vorn, das heißt in <strong>Bewegung</strong>srichtung gerichtet. Dadurch wird er immer<br />

schneller, so dass er im Perihel seine größte Geschwindigkeit erreicht. Das 2. Kepler’sche<br />

Gesetz erweist sich als Spezialfall des Drehimpulserhaltungssatzes.<br />

<strong>Die</strong>se Beschreibung war so elegant, einfach und fruchtbar 3 , und ihre Aussagen bestätigten<br />

sich in so vielen völlig verschiedenen Phänomenbereichen, dass sich diese Zurückführung<br />

auf tieferliegende Prinzipien o<strong>der</strong> Gesetze schnell als Erklärung auch <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegungen<br />

durchsetzte.<br />

3 So erlaubt das 3. Kepler’sche Gesetz zusammen mit dem Gravitationsgesetz die Berechnung <strong>der</strong><br />

Masse eines Zentralkörpers aus Bahnradius und Umlaufzeit eines seiner Satelliten.<br />

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Abbildung 13: Erklärung <strong>der</strong> Kepler-<strong>Bewegung</strong> durch das Gravitationsgesetz: <strong>Die</strong> Pfeile<br />

zeigen Größe und Richtung <strong>der</strong> auf den <strong>Planeten</strong> wirkenden Kraft an.<br />

7 Schlussfolgerungen<br />

Es hat sich gezeigt, dass ein sehr weiter Weg von <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegungen<br />

zu ihrer heliozentrischen Beschreibung und Erklärung und ein noch weiterer zu den<br />

Kepler’schen Ellipsen zurückgelegt werden musste. <strong>Die</strong> dabei aufgetretenen Schwierigkeiten<br />

ähnelten sehr denen, die Lernende heute bei ihrer Entwicklung zum ” Copernicaner“<br />

überwinden müssen. <strong>Die</strong> Entwicklung unserer Vorstellungen über das <strong>Planeten</strong>system ist<br />

deshalb ein gutes Beispiel für die Parallelität zwischen Phylo- und Ontogenese, und gerade<br />

Lehramtsstudenten können viel daraus lernen.<br />

<strong>Die</strong> entscheidenden Punkte <strong>der</strong> Entwicklung sind auch heute noch schwierig zu verstehen:<br />

• <strong>der</strong> Übergang vom geo- (o<strong>der</strong> ego-) zentrischen Standpunkt auf den heliozentrischen,<br />

• <strong>der</strong> erst aus sehr hohen Genauigkeitsanfor<strong>der</strong>ungen resultierende Schluss auf die<br />

Ungleichförmigkeit <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegung und die Form ihrer Bahn und schließlich<br />

• die Ableitung <strong>der</strong> Kepler-<strong>Bewegung</strong> aus dem Newton’schen Gravitationsgesetz (das<br />

berühmte ” Kepler-Problem“ <strong>der</strong> theoretischen Mechanik).<br />

Deshalb kann <strong>der</strong> Weg, auf dem die Gesetze <strong>der</strong> <strong>Planeten</strong>bewegung gefunden wurden,<br />

eine Ahnung von den Schwierigkeiten vermitteln, die dabei überwunden werden mussten,<br />

und bewusst machen, dass wir mit unserer Copernicanischen Überzeugung ” auf den<br />

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Abbildung 14: Marsschleife 2007/2008 in den Zwillingen<br />

Schultern von Titanen ruhen“. Darüberhinaus kann dabei Verständnis für die Relativität<br />

von <strong>Bewegung</strong>en entwickelt und eine vertiefte Einsicht in das Verhältnis von Erfahrung<br />

und Theorie gewonnen werden.<br />

Kepler selbst schließt seinen Nachweis, dass die Marsbahn eine Ellipse ist, mit den<br />

Worten:<br />

” Wenn jemand meint, die vorstehende Untersuchung sei deshalb schwer verständlich,<br />

weil meine Denkweise verworren ist, so gestehe ich eine Schuld meinerseits<br />

insofern ein, als ich diese Dinge nicht unberührt lassen wollte, obgleich<br />

sie schwer verständlich ...sind. Imübrigen möchte ich den Betreffenden, was<br />

den Stoff anlangt, bitten, er möge die Kegelschnitte des Apollonius lesen. Da<br />

wird er sehen, dass es Stoffe gibt, die durch keine noch so glückliche Denkweise<br />

so dargeboten werden können, dass man sie beim flüchtigen Lesen versteht.<br />

Man muss viel nachdenken und das Gesagte immer und immer wie<strong>der</strong>holen.“<br />

([3], S. 353)<br />

Eine gute Gelegenheit dazu könnte die Beobachtung <strong>der</strong> Schleife bieten, zu <strong>der</strong> Mars<br />

Mitte 2007 ansetzt und die dann wie<strong>der</strong> zu einem längeren Aufenthalt in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong><br />

Zwillinge führen wird (Abb. 14 4 ).<br />

4 Der erste Frühaufgang des <strong>Planeten</strong> und seine letzte Abendsichtbarkeit sind heute kaum noch zu<br />

beobachten. <strong>Die</strong> beiden Termine stecken aber doch grob den zeitlichen Rahmen ab, innerhalb dessen mit<br />

Aussicht auf Erfolg nach dem <strong>Planeten</strong> gesucht werden kann.<br />

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Marserscheinungen 2007/08<br />

Erscheinung Datum Mars Sonne Helligkeit<br />

erster Frühaufgang ca.1.4.2007 MA 5.00 Uhr SA 6.15 Uhr 1.3 mag<br />

Beginn <strong>der</strong> Rückläufigkeit 17.11.2007 MA 19.20 Uhr SU 16.40 Uhr -0.8 mag<br />

Opposition<br />

(letzter Abendaufgang) 25.12.2007 MA 15.50 Uhr SU 16.20 Uhr -1.4 mag<br />

Ende <strong>der</strong> Rückläufigkeit 1.2.2008 MA 12.50 Uhr SU 17.20 Uhr -0.4 mag<br />

letzte Abendsichtbarkeit ca. 1.9.2008 MU 20.05 Uhr SU 19.10 Uhr 1.9 mag<br />

Literatur<br />

[1] U. Backhaus: Bestimmung <strong>der</strong> Radien von <strong>Planeten</strong>bahnen mit Fernglas und Sternkarte,<br />

Praxis <strong>der</strong> Naturwissenschaften/<strong>Physik</strong> 39/5, 10 (1990) 5<br />

[2] U. Backhaus: Beobachtung und Interpretation von <strong>Planeten</strong>bewegungen, Der mathematische<br />

und naturwissenschaftliche Unterricht 45/8, 483 (1992) 5<br />

[3] J. Kepler: Neue Astronomie, übersetzt und eingeleitet von Max Caspar, 1. unverän<strong>der</strong>ter<br />

Nachdruck <strong>der</strong> Ausgabe von 1929, Oldenbourg: München 1990<br />

[4] T.S. Kuhn: <strong>Die</strong> Kopernikanische Revolution, Vieweg: Braunschweig<br />

[5] A. Koestler: <strong>Die</strong> Nachtwandler - <strong>Die</strong> Entstehungsgeschichte unserer Welterkenntnis,<br />

suhrkamp: Frankfurt 1980<br />

[6] I. Newton: Mathematische Prinzipien <strong>der</strong> Naturlehre, Wissenschaftliche Buchgesellschaft:<br />

Darmstadt 1980<br />

[7] W. Schlosser: Astronomische Musterversuche, Hirschgraben: Frankfurt 1983<br />

[8] Lehrplan Astronomie (Grundkurs) in Bayern, in: Staatsinstitut für Schulpädagogik<br />

und Bildungsforschung (Hrsg.): Handreichungen für den <strong>Physik</strong>unterricht im Gymnasium/Kollegstufe:<br />

Grundkurs Astronomie, Ludwig Auer Verlag: Donauwörth 1988<br />

[9] J. Teichmann: Wandel des Weltbildes, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1983<br />

[10] W. Tirion, B. Rappaport, G. Lovi: Uranometria 2000.0 Vol. I (The Northern Hemisphere)<br />

und Vol. II (The Southern Hemisphere), Willman-Bell, Richmond 1987 und<br />

1988<br />

[11] M. Wagenschein: <strong>Die</strong> Erfahrung des Erdballs, Der <strong>Physik</strong>unterricht 1, 1 (1967), nachgedruckt<br />

in: Naturphänomene sehen und verstehen, Klett: Stuttgart 1988 5<br />

5 kann von <strong>der</strong> Homepage des Verfassers heruntergeladen werden:<br />

http://www.didaktik.physik.uni-essen.de/∼backhaus/Heraeus<br />

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[12] E. Zinner: Entstehung und Ausbreitung <strong>der</strong> copernicanischen Lehre, C.H. Beck:<br />

München 1988<br />

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