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1 POLYPTYCHON Nr. 6 - 1989 blättern - POP Initiativgruppe ...

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

1<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Zur Online - Ausgabe des <strong>POLYPTYCHON</strong><br />

Das <strong>POLYPTYCHON</strong> erschien zwischen 1986 und 1995. Die von unserem<br />

ΠΟΠ-Mitglied, Jens Beucker in diesen Jahren editierten und<br />

redaktionell betreuten 16 Ausgaben des <strong>POLYPTYCHON</strong> stehen nun<br />

auch im Internet als interaktive SWF-Dateien und zum herunterladen<br />

als PDF-Dateien zur Verfügung.<br />

Zahlreiche deutsche Erstveröffentlichungen von Erzählungen, Gedichte,<br />

Buchbesprechungen Aufsätze mit vielen auch heute noch aktuellen<br />

Informationen zu Griechenland von deutschen und griechischen<br />

Autoren sowie Übersetzern sind in diesen Heften vertreten. Eine reine<br />

Fundgrube für jeden an der griechischen Kultur Interessierten. (J.R.)<br />

Impressum:<br />

Redaktion: Jens Beucker<br />

Umschlagentwurf: Rolf Schiel<br />

Umschlagzeichnung: Ivo Beucker<br />

Die Online Ausgabe des <strong>POLYPTYCHON</strong>S, einschließlich grafische<br />

Neugestaltung und Bereitstellung wurde realisiert von Jürgen Rompf<br />

2013<br />

Abdruck und Weiterverarbeitung in digitalen Medien, nur mit vorheriger<br />

Genehmigung.<br />

Mail: Juergen.Rompf@pop-griechische-kultur.de<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

EIN WORT ZU BEGINN<br />

Liebe Mitglieder der <strong>POP</strong>, liebe Freunde Griechenlands!<br />

Die Urlaubszeit hat begonnen, die Koffer sind gepackt und für viele heißt es<br />

wieder αδειοολα οτην Ελλαδα".<br />

Wie gewohnt, fällt in diese Zeit auch stets eine Ausgabe des Polyptychon,<br />

das, wie schon im vorigen Jahr erhofft, unsere Mitglieder und Freunde in<br />

südliche Gefilde begleiten wird.<br />

Wir haben diesmal Urlaubsthemen nur am Rande gestreift; dafür gibt es einen<br />

gewichtigen Grund, zwei der bedeutendsten Vertreter der neugriechischen<br />

Literaturlandschaft sind 80 Jahre alt geworden: Dido Sotiriu am 18. Februar<br />

und Jannis Ritsos am 1. Mai. Deswegen sind auch die ersten beiden Beiträge<br />

von ihnen und es sei somit ihnen auch dieses Heft gewidmet.<br />

Dido Sotiriu ist 1909 in Smyrna geboren und wie der Kenner neugriechischer<br />

Historie gleich richtig vermutet, hat die bekannte Schriftstellerin als junges<br />

Mädchen die "Kleinasiatische Katastrophe" aus nächster Nähe miterlebt. Ihr<br />

in deutscher Übersetzung vorliegendes, im RomiosiniVerlag erschienenes<br />

Meisterwerk "Grüß mir die Erde, die uns beide geboren hat" (matomena chomata)<br />

legt Zeugnis ab von eigenen Erlebnissen und man erkennt in Dido<br />

Sotiriu eine Schriftstellerin mit tiefem menschlichen Verstehen für beide<br />

Seiten, die Griechen und die Türken. Hier sei kurz bemerkt, daß in Köln<br />

Filmtage mit Werken aus beiden Nationen zum Zwecke der Freundschaft<br />

stattgefunden haben (siehe auch "Griechische Kulturszene in Deutschland").<br />

Jannis Ritsos, geb. am 1. Mai in Monemvasia (Peloponnes) ist uns natürlich<br />

schon eher ein Begriff. Sein Leben war hart, seine Mutter und sein Bruder<br />

starben 1921 sehr früh, er selbst litt zeitweise unter Tuberkulose, wobei er<br />

sich bis 1939 mitunter in Sanatorien aufhalten mußte. Er war als Schauspieler<br />

und Regisseur beim Athener Arbeiterverein tätig, nahm am Widerstand<br />

bis 1945 teil, auch am folgenden Bürgerkrieg und wurde deswegen auf die<br />

Sträflingsinseln Limnos, Makronissos und Ajios Efstratios in Verbannung<br />

geschickt. Er war Linkssozialist und Mitglied der EDA (Vereinigte Demokratische<br />

Linke), hatte für diese Partei 1964 kandidiert und wurde während<br />

der Militärdiktatur 1970 erneut in Verbannung geschickt. Seit 1974 lebt er in<br />

Athen.<br />

Der Umfang seines gesamten literarischen Werkes ist gewaltig; Epitaphios,<br />

Romiosini, Nachbarschaften der Welt, Milos geschleift, bis hin zu den zuletzt<br />

beim Verlag Romiosini herausgegebenen "Monochorden", das sind nur wenige<br />

Namen. Auch seine Auszeichnungen können sich sehen lassen, so ζ. B.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

der Preis für Poesie auf der Internationalen Biennale 1972 in Knokke/Belgien<br />

und der Internationale Lenin-Friedenspreis 1977. Daß er aber nun, trotz seiner<br />

Stellung in der linken Szene, auch Gedichte schreibt, die eine ihm eigene,<br />

tiefe religiöse Weisheit offenbaren, wissen vielleicht nur wenige. So haben<br />

wir einige bis jetzt noch nicht ins Deutsche übersetzte Prosagedichte aus dem<br />

Zyklus "Traum eines Sommermittags" (oniro kalokerinu messimeriu, Verlag<br />

Kedros 1981) ausgewählt, um den Leser auch mit dieser, vielleicht zu wenig<br />

beachteten Seite dieses großen Geistesmenschen bekannt zu machen.<br />

Die Geschichte von Panos Ioannidis "Fotografie <strong>Nr</strong>. 1" ist seinem Band "Drei<br />

Parabeln" (tris paravoles) entnommen. Es handelt sich hierbei um den Maler<br />

Fotos Lambrinos, der wie zu Anfang des Buches geschrieben, gestorben ist<br />

und von dem ein Freund alte Fotos entdeckt. Für die griechische Seite wurde<br />

diesmal Titos Patrikios ausgesucht mit zwei Gedichten aus seiner Sammlung<br />

"Spiegel in Spiegel" (andikristi kathreftes, Verlag Stigmi 1988). Titos Patrikios<br />

war im März anläßlich griechischer Kulturtage bei uns in Köln zu Gast.<br />

Näheres ist in "Griechische Kulturszene in Deutschland" zu lesen.<br />

Der Beitrag von Christoforos Milionis ist sicher wichtig für den Leser, der<br />

sich eingehender mit der jungen Autorengeneration in den ersten Nachkriegsjahren<br />

beschäftigen möchte.<br />

Wie stets an dieser Stelle bedankt sich die Redaktien für die interessanten und<br />

informativen Beiträge und Übersetzungen, sowie auch für die zur Verfügung<br />

gestellten Abbildungen; die Zeichnungen auf Seite 15 und Seite 24 stammen<br />

von Herrn Walter von Lom und die Abbildung auf Seite 40 von Frau Eva<br />

Beucker aus dem Nachlaß ihres Mannes. Ebenso sei Frau Niki Eideneier und<br />

Frau Nelly Weber für Durchsicht und Korrektur des Manuskriptes herzlich<br />

gedankt. Καλδ καλοκαίρι! Köln, im Sommer <strong>1989</strong><br />

Jens Beucker<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

INHALT<br />

LEBENDIG UND UNTERHALTEND<br />

Das Kind, das sich vor dem Mond fürchtete - von Dido Sotiriu 4<br />

Aus: Traum eines Sommermittags - von Jannis Ritsos 13:<br />

Gefälligkeit - von Petros Kyrimis 16<br />

Selbstmord - von Petros Kyrimis 16<br />

Die Prosa in Griechenland nach dem Kriege - von Ch. Milionis (I) 17<br />

Lefkada 1988 - von Rita Krieg 23<br />

Fotografie <strong>Nr</strong>. 1 - von Panos Ioannidis 25<br />

H AIAALKAMA, ENA IHMEIOMA - von Titos Patrikios 27<br />

Griechisches aus Unteritalien - vorgestellt von E. Popota 28<br />

WIR STELLEN VOR - Dr. Ing. Anastasia Kalpaki-Georgoulaki 30<br />

QUELLENVERZEICHNIS UND AUTOREN 32<br />

GRIECHISCHE KULTURSZENE IN DEUTSCHLAND 33<br />

NEUES AUS DER KULTURSZENE IN GRIECHENLAND 42<br />

FÜR FEINSCHMECKER - Fleisch mit Quitten 45<br />

Zuschriften bitte senden an:<br />

Jens Beucker Subbelratherstr. 129<br />

5000 Köln 30 Tel.: 0221/515983<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Dido Sotiriu<br />

Das Kind, das sich vor dem Mond fürchtete.<br />

Diese Begebenheit hat sich wenige Jahre, bevor der Mensch ins Weltall aufbrach<br />

und den Mond umrundete, zugetragen. Damals tauchte im verschlossenen<br />

Haus des pensionierten Lehrers Jorgos Sarijannis wie aus heiterem<br />

Himmel der kleine Viktor auf. Der Lehrer und seine Frau Eleni wohnten sicher<br />

schon eine geraume Zeit in dem abgelegenen Wohnviertel außerhalb<br />

Athens, trotzdem waren sie bei den Nachbarn kaum bekannt, man wußte nur<br />

vom Hörensagen, daß ihr Haus schwer vom Tod heimgesucht worden war.<br />

Drei Söhne hatten sie, drei prachtvolle Burschen, und alle drei mußten sie<br />

zu Grabe tragen. Niemand wußte genau Bescheid über das "Wie und Was",<br />

außer daß diese Familie von Grund auf zerstört war und die Eltern wie die<br />

Krähen übriggeblieben waren. Weder pflegten sie gesellschaftlichen Umgang<br />

mit den Nachbarn, noch verkehrten sie sonst viel mit ihnen. Es waren aber<br />

rechtschaffene Menschen und die Leute mochten sie gern. Des alten Lehrers<br />

Haupt war schlohweiß und ehrfurchtgebietend, seine Haltung war aufrecht<br />

und er trug stets einen schwarzen Anzug, der ihm, wenn auch abgenutzt, ein<br />

vornehmes Aussehen gab. Alle, die er traf, begrüßte er mit einem "Guten<br />

Tag", und wenn man seinen Gruß erwiderte, sagte er mit Güte: "Laßt's euch<br />

gutgehen!"<br />

Auch Frau Eleni schien eine Frau aus guter Familie zu sein, eine Dame des<br />

Hauses, fromm erzogen. Der tiefe Schmerz hatte auf ihren Lippen keine Spur<br />

hinterlassen. Auch im Haus trug sie ein schwarzes Tuch, wohl um sich zu<br />

quälen. Auf der Stirn hatte sie auch eine Furche, einem Schatten gleich, der<br />

ihr mit den von Trauer gezeichneten Augenbrauen das Aussehen eines Bildes<br />

der Muttergottes während der Kreuzabnahme gab. Den ganzen Tag machte<br />

sie sich im Haushalt zu schaffen, sie flickte und strickte. Und die Fensterläden<br />

blieben immer geschlossen, daß nur ja keine Sonne reinkam, kein Licht,<br />

ja keine Nachbarin stehen blieb und ein Gespräch anfing. Nur dienstags und<br />

samstags um neun Uhr morgens, sei es bei Regen, bei Schnee und auch, wenn<br />

die Sonnenhitze die Steine zerspringen ließ, machten sich Herr Sarijannis<br />

und seine Frau nach Athen auf, beladen mit kleinen Säcken und noch einigen<br />

Blumen aus ihrem Garten. Wo mochten sie wohl jeden Dienstag und Samstag<br />

so bepackt hingehen? Die Leute sind von Natur aus neugierig, und wenn<br />

jemand nicht reden will,<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

spricht ihre eigene Phantasie.<br />

"Sind es vielleicht Fremde? Was für Griechen sind das, die ihren Schmerz<br />

nicht mitteilen wollen, um sich zu erleichtern, damit ihr Herz sich lang- sam<br />

öffnet, damit auch wir ihnen wie Nachbarn zur Seite stehen..." Deswegen<br />

waren alle überrascht, als im Garten Kinderlärm vernommen wurde, und<br />

machten halt, um zu hören.<br />

"Oh' Herr und Jesus! Lachen bei den Sarijannis? Und sogar Kinderlachen?<br />

Woher ist dieser kleine Junge so unversehens aufgetaucht?" Im Haus standen<br />

auf einmal Türen und Fenster offen, um Luft und Sonne in die Zimmer zu<br />

lassen. Die Nachbarn hatten es nicht mehr eilig, am Gitterzaun des vom Unglück<br />

heimgesuchten Lehrers vorbeizukommen, nur um einen Augenblick<br />

lang den Jungen zu begutachten und zu bestaunen. "Hübsch, der Bengel!"<br />

"Vielleicht ein Enkelkind?" "Meinst du?"<br />

"Es gibt keinen Hinweis, daß die Söhne verheiratet waren". "War denn niemals<br />

eine Schwiegertochter hier aufgetaucht?" "Trotzdem, der Junge ist ganz<br />

der Lehrer, mit den dunklen Augen, der hohen Stirn und den abstehenden<br />

Ohren. Seht ihr's nicht?" Der kleine Viktor kam morgens in den Garten und<br />

stromerte ganz allein und fasziniert herum, als ob er die Welt zum ersten Mal<br />

zu Gesicht bekäme. Er schaute sich die Blumen an, die Bäumchen, die Ameisen,<br />

er griff nach einem Blättchen und hielt es in der Handfläche wie einen<br />

Schatz. Er versuchte, die Erde aufzustochern, um zu sehen, was darunter war<br />

oder warf Steinchen, so zaghaft und ungeschickt, daß die anderen Kinder ihn<br />

hänselten.<br />

"Heh, schaut mal, eine richtige lange Latte!"<br />

Die Wahrheit ist, daß Viktor bei den rauhen Kinderstimmen in sich zusammenfuhr.<br />

Trotzdem aber sehnte er sich danach, bei ihnen zu sein; er bewunderte<br />

ihr Geschick, wenn sie Ball spielten, die Bäume raufkletterten oder sich<br />

wie Raufbolde herumbalgten.Ein oder zweimal hatte er Anstalten gemacht,<br />

rauszukommen, um mit ihnen auf dem Weg zu laufen. Aber wenn er an die<br />

Gittertüre kam, hob er die Hand, berührte die Klinke, schaute nach allen Seiten<br />

und war schließlich unschlüssig, sie aufzumachen, man könnte meinen,<br />

jemand hinderte ihn daran. Eines Tages sahen ihn zwei Jungen und foppten<br />

ihn:<br />

"Heh, darfst du nicht raus? Ha, ha, ha!"<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

"Dreh den Schlüssel um, allein, und mach auf! Na doch, so..." Der Empfang,<br />

den ihm die Nachbarsjungen bereiteten, verschreckte ihn noch mehr. Er war<br />

sich überhaupt nicht sicher, ob er vor ihnen bestehen konnte. Er konnte zählen,<br />

lesen, konnte wie die Großen sprechen. Und die Großen bewunderten ihn<br />

allesamt, sie lachten nicht über ihn.<br />

Eines Abends - es war wohl kaum ein Monat seit der Ankunft des Jungen vergangen<br />

- befand sich Frau Martha in großer Not (wollen wir's mal glauben).<br />

Sie hatte Traubenkonfitüre angesetzt, aber ihr Kochtopf war dafür zu klein.<br />

Was sollte sie tun? Eine Tür weiter war das Lehrerhaus und sie nahm sich<br />

vor, hinzugehen, um sich einen auszuleihen. Sie ging nah ans Küchenfenster,<br />

wo Licht brannte. Sie sah Frau Eleni den Jungen füttern. Und mit welcher<br />

Zärtlichkeit! Sie erzählte ihm das Märchen von Rotkäppchen und der Kleine<br />

sagte zu ihr:<br />

"Oma, setz auch du ein rotes Käppchen auf! Warum trägst du alles in<br />

Schwarz? Rot lacht, Schwarz weint..."<br />

Und nichts wie das schwarze Tuch heruntergezogen. Sie faßte das aber als<br />

Scherz auf, packte seine beiden Händchen, küßte sie auf beide Seiten und<br />

mahnte ihn, den Bissen zu kauen, den er in der Backentasche hielt. Sie hatte<br />

aber nicht vor, ihr Tuch wegzuwerfen. Sie legte es nur beiseite und ließ ihr<br />

Antlitz andersartig scheinen, voller Licht. Sogar jene Furche auf der Stirn<br />

war verschwunden. "Was ein Kind nicht alles vermag, meine Lieben!"<br />

Die Nachbarin zog sich zurück, damit es nicht hieße, sie schaue heimlich zu,<br />

um zu tratschen. Sie klopfte an die halboffene Tür. (Frau Eleni ließ, seitdem<br />

das Kind da war, keine Türe geschlossen, da der Kleine zögerte, sie aufzumachen.<br />

"Wer ist da?", war ihre Stimme zu hören.<br />

" Ich bin's, Martha, entschuldigt bitte, daß ich so spät komme..." "Kommen<br />

Sie rein, liebe Frau Martha", sagte die Hausherrin und erhob sich. "Nun, ich<br />

füttere hier das Kind, um es zu Bett zu bringen, es ist Nacht geworden".<br />

Sie holte den großen Kochtopf und gab ihr noch gute Ratschläge, wie der<br />

Sirup zu binden sei. Aber zur großen Unklarheit, dem kleinen Viktor nämlich,<br />

kein Wort! Und dieser kleine Schelm macht hier drinnen den Mund auch<br />

nicht auf! Als ob er sich zur Schau stellen wollte. Frau Martha hielt nicht<br />

mehr an sich:<br />

"Daß ihn nur nicht der böse Blick trifft, wie ein Großer spricht er. Ein drei<br />

Jahre altes Kind und schon solch' schöne Worte! - Seht nur!" Als sie Frau<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Martha in den Garten hinausließ, lief auch der Junge hinzu. Aber beim Rauskommen<br />

verlor er die gute Laune, kauerte in sich zusammen und schaute<br />

mit verstohlenem Blick um sich. "Mach Licht an, mach Licht, Oma", bat er<br />

unruhig. In diesem Augenblick lugte hinter dem Hymettos der Mond hervor.<br />

Voll, und rund sandte er sein Licht auf das Armenviertel.<br />

Aber der kleine Viktor schrie sofort mit herzzerreißender Stimme und wie<br />

toll schoß er unter den Rock Frau Elenis, zitterte und heulte. "Aber um Gottes<br />

Willen, was hat das Kind? Was ist denn in es gefahren? Hat ihn vielleicht was<br />

gebissen?"<br />

Frau Martha redete noch mehr und dachte:"Das fehlte noch, daß sie sagt, ich<br />

hätte den bösen Blick darauf geworfen!"<br />

"Es ist nichts", versuchte Frau Eleni ihren Kummer zu verbergen. Sie nahm<br />

den Jungen in die Arme und bemühte sich, ihn zu beruhigen. Der aber drückte<br />

seine Handflächen gegen die Augen und zappelte. "Sei ruhig, mein Herzchen!<br />

Hab keine Angst! Der Mond ist lieb..." Sie wandte sich zur fremden<br />

Frau, die verlegen dreinschaute und entschuldigte sich:<br />

"Er hat schreckliche Angst vor dem Mond. Er kennt ihn nicht gut. Als er<br />

ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekam, drohte sein Herz zu zerspringen. Du<br />

siehst..."<br />

Sie redete nicht zu Ende, sie bereute. Sie wünschte noch schnell eine gute<br />

Nacht und ging ins Haus.<br />

"Bestreu ihn auf alle Fälle mit Weihrauch", rief Frau Martha ihr noch zu und<br />

verschwand.<br />

Dennoch aber nahm sie diese merkwürdige Neuigkeit mit sich und unterbreitete<br />

sie dem Urteil der Nachbarn. "Wieder ein Geheimnis das!"<br />

"Ein Kind, schon drei Jahre alt und kennt den Mond nicht?"<br />

Sie setzten sich hin und rechneten. Die drei Jahre von Viktor ergaben<br />

36 Monate Leben. Der Mond ging alle 29 Tage auf. Also?<br />

"Er muß ihn schon oft gesehen haben. Wie sollte er ihn nicht kennen?"<br />

"Ist er vielleicht verhaltensgestört und spielt deshalb nicht mit den<br />

Kindern?"<br />

"Was redet ihr da? Das? Der hat's tausendfach: Aufgeweckt, die Worte sprudeln<br />

nur so. Ihr sollt ihn mal reden hören! Glatt, kein Erwachsener kann das<br />

so!"<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Am nächsten Tag hielten sie es nicht mehr aus, sie nahmen das Kind beiseite:<br />

"Viktorchen, wo ist dein Vater?" "Der Großvater?"<br />

"Nicht der Großvater, der Vater, dein richtiger Vater". Das Kind öffnete seine<br />

übergroßen Augen, weitete sie und schaute mißtrauisch die Nachbarn an:<br />

"Hast du keinen Vater?"<br />

"Va - terr? Ich wei - ß nicht".<br />

"Seht den Bengel, wie schön er das "R" spricht", ließen sich die Nachbarn<br />

vernehmen.<br />

"Und meiner, ein richtiges Mannsbild, schafft es nicht, es zu sprechen..."<br />

Das Kind hörte zu und lachte. Es sagte kurz etwas und war sicher, daß es<br />

Eindruck machen würde: "Das vor - ge - tragene R!"<br />

Die Nachbarsfrauen standen da mit offenem Mund. Sie wußten nicht, ob es<br />

Griechisch oder ein Fremdwort war, was da eben gesagt wurde.<br />

"Oh, Jesus und Maria!" Einige bekreuzigten sich.<br />

"Und wer hat dir das beigebracht, mein Vögelchen?"<br />

"Meine Mama".<br />

"Wo ist die Mama?"<br />

Das Kind wurde ernst, nachdenklich. Es fragte sich auch selbst:"Wo ist<br />

Mama? Warum ist sie nicht mitgekommen?" "Wo ist die Mama?", beharrten<br />

die Frauen.<br />

Da schaute der Kleine um sich und richtete seinen Blick auf die Ecke,<br />

die Wache, wo der diensthabende Gendarm mit zwei anderen Kollegen aufund<br />

abging und sich mit ihnen unterhielt.<br />

"Bei ihnen ist sie", sagte er und zeigte auf die Gendarmen.<br />

Das war's nun oder auch nicht, was die Nachbarn verwirrte.<br />

"Eine Putzfrau ist deine Mutter?"<br />

"Nicht doch, quält das Kind doch nicht! Woher soll es wissen, was eine Putzfrau<br />

ist":<br />

"Viktor weiß, er weiß es", gab das Kind zur Antwort und verschwand mit<br />

einem kurzen Laufspurt.<br />

"Viktörchen! Komm doch her, Viktörchen!"<br />

Das Kind wandte sich nicht einmal mehr um. Es ließ sie mit ihrer fieberhaft<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

gestiegenen Neugier baff stehen. Am anderen Morgen klam- merten sich fünf<br />

oder sechs Buben an der hinteren Seite vom Zaun des Lehrers. In ihrer Hand<br />

hielten sie Schleudern und die Taschen ihrer kaputten Hosen waren voll mit<br />

Steinen.<br />

Der Junge saß auf einem kleinen Schemel und mit gebückter Haltung furchte<br />

er mit einem Finger die Erde, während Asprulis, seine geliebte Katze um ihn<br />

herstrich und sich anschmiegte.<br />

"Psst! Heh, Jung!", rief der Größte, der nicht älter als acht Jahre war, "Schau,<br />

sieh!"<br />

Sie hielten ein Stück Packpapier aus dem Metzgerladen hoch, das an einem<br />

Stück Holz befestigt war. Darauf hatten sie mit Kohlestift einen Mond gemalt,<br />

krumm und schief, darunter hatten sie geschrieben:<br />

"Viktörchen, Viktörchen. Der Mohnt wirt dich frässen!"<br />

Viktor hob den Blick, sah die Kinder, und sein Herz machte einen Sprung.<br />

Dann sah er die Schleudern und das hochgehobene Papier. Er bemerkte darin<br />

eine gewisse Feindseligkeit, irgendeine Gefahr und kauerte in sich zusammen<br />

ohne einen Laut.<br />

"Soll ich deiner Katze mal einen Stein aufs Fell brennen, damit du siehst, was<br />

Zielen heißt?", fing der Große wieder an.<br />

Das Kind geriet in Panik. Seine Katze? Seine Katze wollten sie treffen?<br />

Nein, nein! Seine Augen wurden feucht. Er wußte nicht, was er sagen sollte.<br />

Er stand auf. Verzweifelt schaute er einmal auf das Haus und dann auf die<br />

Schleudern, die schon gespannt waren, "Heh, du Waldheini, was tust du so?<br />

Wir spielen. Na, sieh doch!" Der erste Stein kam angezischt, verfehlte aber<br />

sein Ziel. Dann spannten sie alle Schleudern und schössen auf die Katze, die<br />

hin und her lief, rechts links, links rechts. Auch das Kind lief hinterher, um<br />

sie zu beschützen und schrie: "Nein, nicht!"<br />

Die Jungen lachten, Viktor heulte. Und je mehr er heulte, desto mehr fanden<br />

sie daran Gefallen und schössen. Ein Stein traf ihn an der Stirn. Da schrie er<br />

auf und fiel kopfüber aufs Gesicht. Bis Frau Eleni erschien und nachschaute,<br />

was passiert war, hatten sich die kleinen Missetäter schon aus dem Staube<br />

gemacht.<br />

Zitternd nahm die Frau das Kind in ihre Arme und befeuchtete seine Wunde.<br />

Es war eine Hautabschürfung. Gott sei Dank! Sie wusch sie aus, tat Jod<br />

drauf. Aber den Schrecken des Kindes, wie sollte sie den wegbekommen?<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Den ganzen Tag quälte es sich, in sich zusammengesunken und verloren im<br />

Haus. Mit liebevollen Worten wollte sie es nach draußen bringen. Nicht<br />

einmal in die Nähe des Fensters trat der Junge. Sie brachte die Katze ins<br />

Haus, damit er sah, daß ihr nichts geschehen war. Sie holte vom Schrank,<br />

was er an Spielsachen besaß. Wie ein kleines, furchtsames, wildes Tier saß<br />

er zusammengekauert in einer Ecke und schaute stumpf vor sich hin. Keinen<br />

Bissen nahm er in den Mund. Er bekam Fieberanfälle. Die alten Leute hatten<br />

keine Ruhe. Die ganze Nacht gingen sie im Zimmer ein und aus. Frau Eleni<br />

schimpfte die Kinder Strolche, schimpfte auch auf die Mütter, die sie auf der<br />

Straße sich selbst überließen und ihnen nicht ein Quentchen Erziehung zuteilwerden<br />

ließen. "Die sind schuld! Diese da! Mit ihrem Klatsch! Kaum hat die<br />

so schlaue Frau Martha gesehen, daß das Kind Angst vorm Mond hat, schon<br />

läuft sie hin und gibt's "zum Besten". Der Lehrer hörte ihr nachdenklich zu:<br />

"Die Nachbarn können nichts dafür, Eleni. Andere sind schuld, andere... Wie<br />

man's nimmt. Diese Christenmenschen hier haben auch ein Recht, sich Fragen<br />

zu stellen. Für sie sind wir geheimnisvoll, alles erscheint ihnen so unnatürlich.<br />

Nun ist auch das Kind hinzugekommen. Sie sehen es nicht spielen<br />

wie die anderen Kinder. Sie kennen seine altklugen Worte. Und die Szene mit<br />

dem Mond... All das!"<br />

"Nun sag noch, daß ich es nicht dazu bringe, ein bißchen rauszugehen, spielen!<br />

Und ich sagte es schon immer, ich sagte es zu mir selbst, daß uns mal so<br />

ein Mißgeschick treffen würde. Mein Vögelchen hatte noch keinen Umgang<br />

mit anderen Kindern, es kennt die Welt nicht. Was kann er denn dafür, daß er<br />

für Zerbrochenes zahlen soll? "<br />

Sie begann zu weinen.<br />

"Eleni, sei nicht traurig. Er wird's mit der Zeit begreifen, er wird sich schon<br />

machen. Andere Dinge sind es, die nicht mehr zu reparieren sind".<br />

Die Frau ging umher und rieb sich gedankenvoll die Hände.<br />

"Jetzt wird er sich noch viel mehr vor den Kindern fürchten". "Nein, du<br />

brauchst keine Angst zu haben, er wird sich daran gewöhnen. Es ist seine<br />

natürliche Welt. Ich werde ihm einen Ball kaufen und den Sohn von Frau<br />

Rina dazuholen, der ein weichherziges Kind ist. Der soll ihm das Ballspielen<br />

beibringen. Du wirst sehen, du wirst sehen! Bald wird er rauswollen und du<br />

wirst ihn nicht bändigen können". "Ich wollt1, es wäre so!"<br />

Der alte Herr ging zu Bett, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch sie<br />

ging sich hinlegen, aber sie bekam kein Auge zu. Sie steckte den Kopf unter<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

die Wolldecke und weinte leise vor sich hin.<br />

Am anderen Morgen wachte der kleine Viktor wie ein junges Rebhühnchen<br />

auf. Er fing wieder an zu spielen...<br />

Es war noch kein Monat vergangen, da wurde der pensionierte Lehrer auf die<br />

Wache bestellt, um ihn über alle Einzelheiten betreffs des Kindes zu befragen.<br />

Von Mund zu Mund ( Der junge Gendarm war der Schwager vom Inhaber<br />

des Kramladens) schlug die Neuigkeit wie eine Bombe ein. Der kleine<br />

Viktor war im Gefängnis auf die Welt gekommen und dort, so hieß es, hat<br />

er seine drei Lebensjahre verbracht. Sein Vater - er war der älteste Sohn des<br />

Lehrers - ist wegen politischer Umtriebe hingerichtet worden. Seine Mutter<br />

sitzt noch im Gefängnis.<br />

"Armer kleiner Viktor!", bekundeten die Nachbarn sofort ihr Mitleid. Deswegen<br />

hatte er Angst vor Mond und Nacht! Im Gefängnis, so heißt es, wird man<br />

um fünf Uhr nachmittags eingeschlossen. Dort verrichtet man seine Notdurft,<br />

dort, am Ort, alles...<br />

Von nun ab sprachen die Nachbarn offen mit Frau Eleni. Man kam auch auf<br />

den Mond zu sprechen. "Das Gefängnis", so sagte sie, "hatte einen Hof wie<br />

einen Brunnenschacht, ringsum von hohen Betonwänden eingeschlossen. Eines<br />

Nachts - wer weiß, wie's geschah - hat der Wächter die Zelle aufgeschlossen<br />

und die Mutter trat mit dem Kind auf dem Arm in den Hof. Das Kind<br />

- wohl ein Jahr alt damals - sah zum ersten Mal die Nacht und hoch oben über<br />

der "Brunnenöffnung" erblickte es auch erstmals den Mond. Ein kaltes Ding,<br />

wie ein ungeheures, gebrochenes Drachenauge dorthin plaziert. Der kleine<br />

Viktor war zutiefst erschrocken. Danach vergingen zwei Jahre und er hatte<br />

ihn nicht wieder gesehen...<br />

Jetzt fand man für alles eine Erklärung, sowohl für das Schweigen der neuen<br />

Nachbarn als auch für die Ängste des Kindes, das zögerte, allein die Tür zu<br />

öffnen, um spielen zu gehen.<br />

An den Tagen vor Ostern versammelte man sich im Haus von Eleftheria, die<br />

gut schreiben konnte. Man bat sie, einen Brief an den Herrn Minister auf- zusetzen.<br />

Die Worte sollten schön zusammenpassen. Sie sollte schreiben, daß<br />

an solchen Tagen der Liebe, die nun kommen würden, sie seine "Vornehmheit"<br />

bitten würde, dem kleinen Kind seine Mutter zurückzugeben. "Da es ein<br />

Waisenkind und ihm viel Schmerz zugefügt worden sei". Alle unterschrieben.<br />

Und der Besitzer des Kramladens war damit einverstanden, daß man<br />

seine Adresse angab.<br />

13


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Die Ostertage verstrichen, es kam Weihnachten. Man schrieb abermals einen<br />

Brief. Im nächsten Jahr das gleiche, auch im übernächsten. Und die Unterschriften<br />

wurden immer mehr. Aber ohne Erfolg.<br />

Der kleine Viktor war groß geworden, er stand vor dem Schulabschluß; noch<br />

immer wartete er auf seine Mutter. Er hatte keine Angst mehr vor Nacht und<br />

Mond. Er hatte Angst vor dem Dunkel des Hasses. Und fragte, wann sich<br />

diese Welt ändern würde. Es heißt, daß der Mensch zum Mond und anderen<br />

Sternen reisen wird. Aber auf Erden? Was wird mit ihm auf der Erde geschehen?<br />

Was wird mit ihm in Griechenland geschehen? (Geschrieben 1963)<br />

Übersetzt von Jens Beucker<br />

Mit dem Traum kommst du gut aus; er verlangt von dir<br />

keine Beweise.<br />

Jannis Ritsos<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Jannis Ritsos<br />

Aus: Traum eines Sommermittags<br />

Wir lassen uns von Schwalbenflügeln tragen, um im Himmel Blumen<br />

zu pflücken.<br />

Der Sommerwind kennt kein Geheimnis vor uns - wir laufen barfuß im<br />

Gras und reden zu den Zikaden in der Sonnensprache.<br />

Das Feuer war ganz niedergebrannt und hat sich wieder entfacht.<br />

Wir machen Ringe aus Blumen und verloben uns mit den Bäumen,<br />

dem Wind und dem ersten Schweigen.<br />

Jeder Stein kennt uns, und wir kennen jeden Stern, der im Wasser<br />

schläft.<br />

Abends kommen die Akazien an unser Fenster, springen über den<br />

offenen Fenstersims und lassen im Wasserglas einen Zweig in voller Blüte<br />

zurück.<br />

Den heiteren Gott der Weingärten haben wir wieder auf die weiten<br />

grünen Felder geholt. Aus seinem Bart tropft der Most, seine Füße sind<br />

wie Bocksfüße, aber er hat den gleichen weichen und zärtlichen Blick<br />

wie Christus.<br />

Gestern und vorgestern haben wir uns die ganze Nacht lang abgemüht,<br />

die Sterne zu zählen.<br />

Und die Sternenzahl ist so groß wie unser Herz, und unser Herz<br />

umfaßt alle Sterne.<br />

Niemand weiß was über uns, wenn wir leise in das Ohr eines<br />

Schmetterlings flüstern.<br />

Niemand weiß mehr, wie er mit der Morgenröte sprach. Damals,<br />

als die Blumen seine Stimme noch kannten, und die Vögel wie<br />

Bleisoldaten mit Fahnen und Trompeten auf der Straße des<br />

frühen Sonnenstrahls marschierten.<br />

Irgendwas erhellt unsere Erinnerung, wenn der Frühling die<br />

Fenster öffnet und im Licht die Bettlaken ausschüttelt.<br />

Irgendwo scheint das Meer.<br />

15


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Nun erscheint auch das Land wie eine grüne Schildkröte, die langsam<br />

aufwacht.<br />

Später wird das Land immer mehr zum Land und wir zu Kindern, die<br />

dort spielen.<br />

Wir schliefen dann, wenn wir nicht müde waren. Wir aßen dann, wenn<br />

wir keinen Hunger hatten.<br />

Wir zählten die Stunden mit der Armbanduhr, die man uns zum Namenstag<br />

geschenkt hatte. Wir vergaßen dabei aber die Uhr des Gartens,<br />

die den Sommer anzeigte.<br />

Jetzt möchten wir die Armbanduhr mit unserem Pulsschlag vereinen, um<br />

die Zeit zu wissen, die von den Uhrzeigern der Schatten auf dem<br />

goldgrünen Rasen angezeigt wird.<br />

Noch haben wir Zeit, Mohn zu pflücken, damit unsere Hände in den<br />

Bücherklöstern nicht alt werden.<br />

Christus, warum trägst du dieses lange Trauergewand und diese Dornen<br />

da auf dem Kopf? Gibt es denn keine Blumen mehr?<br />

Wenn du Mohnblumen in deinem ungekämmten Haar trägst, macht man dir<br />

dann die Tür zum Paradies etwa nicht auf?<br />

Lach nicht, weil auch ich meinen Kopf verbunden habe.<br />

Das kommt davon, weil ich vorgestern in den Büschen Schmetterlingen<br />

nachjagte und dabei ausgerutscht bin.<br />

Komm, wir nehmen uns wie Kinder bei der Hand und gehen auf die Felder,<br />

ich will dir das Flötenspiel beibringen.<br />

Zu deinem jungen Gesicht passen nicht die Grübchen der Mutter, wenn<br />

sie für einen Augenblick die Arbeit liegen läßt und vom Fenster<br />

aus den Neumond betrachtet.<br />

Komm, ich will dir die traurigen Haare schneiden - mit der gleichen<br />

Schere, mit der auch die Schafe geschoren werden.<br />

Du wirst sehen, Gott hat uns lieb, er läßt uns zu seinen Füßen sitzen<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

und wird dabei freundlich lächeln, wenn wir seinen langen<br />

Schnauzbart mit Margueriten schmücken.<br />

Und am Abend spannen wir vor seinen kleinen Wagen die Grillen an.<br />

Dann fahren wir mitten durchs Paradies und die Engel zünden die Sterne<br />

an, um auch den anderen Kindern Licht zu schenken, die unten auf der<br />

Erde geblieben sind.<br />

Übersetzt von Jens Beucker<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Petros Kyrimis<br />

Gefälligkeit<br />

Du verkaufst mir<br />

Gefälligkeit<br />

du verkaufst mir Freundschaft<br />

du verkaufst mir Liebe.<br />

Du redest sachlich mit mir.<br />

Ich rede sachlich mit dir.<br />

Ich kann's nicht entgelten<br />

ich kann<br />

nichts kaufen<br />

Auch ich befinde mich<br />

im Ausverkauf.<br />

Selbstmord<br />

Du willst sterben<br />

nur über das sprichst du<br />

mit uns in letzter Zeit.<br />

Wenn du sagst, ich geh' fort<br />

oder ich hab's satt<br />

werden deine Augen<br />

blickabwesend<br />

als wenn sie<br />

eine Welt sähen, leer von dir.<br />

Wir verstehen dich.<br />

Ermüdend wird's aber:<br />

Geht er nun oder geht er nicht?<br />

Auch wir müssen's wissen.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Christoforos Milionis<br />

Die Prosa in Griechenland nach dem Kriege -<br />

erste und zweite Autorengeneration (erster Teil)<br />

Das literarische Schaffen - wie auch jedes künstlerische andere Schaffen -<br />

wird gewöhnlich als die freieste Tat beurteilt. Aber dabei ist sehr viel Theorie.<br />

Weil der Schaffende nämlich in einer bestimmten historischen, sozialen und<br />

kulturellen Umgebung aufwächst, ist der Bezug des literarischen Werkes zur<br />

Epoche, in der der Schaffende aufgewachsen ist, sehr eng. Besonders ist das<br />

bei der Prosa und vor allem bei der Nachkriegsprosa der Fall, aus folgendem<br />

Grund, wie wir gleich sehen werden, so daß es unmöglich wäre, sie in ihrer<br />

Tiefe zu verstehen, würden wir nicht die historischen Gegebenheiten in Betracht<br />

ziehen, unter denen sie entstanden ist.<br />

Ich rufe also kurz in Erinnerung: Da ist zu allererst der Krieg von 1940, nicht<br />

provoziert und deswegen ungerechtfertigt, zugleich auch unverhältnismäßig.<br />

Da er zudem noch von einer diktatorischen Regierung gegen ein faschistisches<br />

Regime geführt wird, bekommt er für viele einen besonderen Inhalt<br />

und läßt Hoffnung aufkeimen, auch für eine innere Befreiung. Weiter: Die<br />

Siege an der albanischen Front richten die Moral eines Volkes auf, das sich<br />

noch nicht vom Leid der kleinasiatischen Katastrophe erholt hat. Die Euphorie<br />

wird von der deutschen Besatzung abgelöst: Hunger, Elend, Kollaboration<br />

und Schwarzhandel, aber auch Widerstand und nationale Spannung, auch<br />

Traumvorstellungen vom "Morgen". Und zugleich auch scharfe Konkurrenz,<br />

die ersten Truppenauf- stellungen gegeneinander, oft mit Blutvergießen. Jedenfalls<br />

herrschte der Eindruck vor, daß eine Welt zugrunde ging und eine<br />

neue bessere geboren wurde und - mehr oder weniger - fühlten alle die Verpflichtung,<br />

auf tausend- fache Weise dabei zu sein - gefahrvoll oder harmlos<br />

- je nach Gegebenheit und Umstand.<br />

Nach der Befreiung und den tragischen Umsturzwirren, die die Hoffnungen<br />

sogleich Lüge straften, folgten zwei Jahre (1944 - 1946) nicht nur zweifelhaften<br />

Friedens, sondern buchstäblich alptraumhaft, wo kriegslüsterne Opiumsüchtige<br />

Öl ins Feuer nicht allein der politischen, sondern auch der persönlichen<br />

Leidenschaften gössen; sie schafften Platz und bereiteten sich vor für<br />

den großen Haß im Bürgerkrieg.<br />

Die Jahre nach dem Bürgerkrieg , von 1949 - 1960, sind eine Zeit absoluter<br />

Dominanz des siegreichen Flügels, der ein Klima zum Ersticken auf- diktiert<br />

19


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

nicht nur für die, die irgendwie in den Bürgerkrieg verwickelt waren, sondern<br />

auch für diejenigen, die willens waren, am herrschenden Zustand Kritik zu<br />

üben oder damit nicht einverstanden waren. Und natürlich galt es als eins<br />

der schwersten Vergehen, während der Besatzungszeit in Widerstandsorganisationen<br />

Mitglied gewesen zu sein. Es ist sogar charakteristisch, daß erst in<br />

jüngster Zeit in Griechenland die Widerstandsbewegung als nationales Anliegen<br />

anerkannt worden ist.<br />

Unter diesem Klima begannen sowohl der Versuch einer wirtschaftlichen<br />

Neuordnung des Landes als auch seiner Industrialisierung. Aber die Jagd<br />

nach dem leichten Gewinn und der Mangel an staatlichen Programmen führten<br />

zur Zentralisierung der meisten Industrieanlagen in der attischen Ebene,<br />

wo sich fast die halbe Bevölkerung Griechenlands zusammenzog. Die gleichen<br />

Gründe sind auch für den starken Emigrationsfluß seitens des gesündesten<br />

Potentials des Landes ins Ausland verantwortlich. In den fünfziger<br />

Jahren suchen mehr als 400000 Arbeiter aus den dynamischen Elementen unserer<br />

Heimat Beschäftigung in den großen Industriezentren Europas, hauptsächlich<br />

in Deutschland und Belgien, aber auch in Australien, Kanada und<br />

Amerika. Die wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Folgen dieser Umgruppierungen<br />

waren bestimmend für die Gesichtsbildung des derzeitigen<br />

Lebens in Griechenland. Noch ernster waren die Folgen des Bürgerkrieges<br />

auf dem ideologischen und kulturellen Sektor, wo, wenigstens für eine gewisse<br />

Zeit, die geistige Knebelung oder die Polarisation dominierten. Wir<br />

müssen erst zum Anfang der sechziger Jahre gelangen, wo die demokratischen<br />

politischen Kräfte sich vereinen und schicksalhaft mit dem Königshof<br />

aneinandergerieten (1965), der darauf bestand, das politische Leben des<br />

Landes zu bevormunden. 1967 drängt sich die Militärdiktatur auf, die dann<br />

bis 1974 bestehen bleibt. Aber mit diesen Ereignissen kommen wir in eine<br />

neue Periode auf dem Weg des heutigen Griechenlands. Die nationalen Abenteuer,<br />

die politischen und ideologischen Zusammenstöße und die sozialen<br />

Umstürze nach dem zweiten Weltkrieg haben unsere Nachkriegsliteratur entscheidend<br />

bestimmt. Das ist unter anderem der Grund, weshalb wir von einer<br />

Nachkriegsprosa sprechen, eine Charakterisierung, die in der Gesamtheit des<br />

literarischen Werks über den Krieg nicht auf- taucht, sondern im Werk der<br />

Nachkriegsschriftsteller, d. h. der Schriftsteller, die mittendrin unter den besonderen<br />

Nachkriegsbedingungen in unserem Land aufgewachsen (und zum<br />

ersten Mal an die Öffentlichkeit getreten) sind. Und vielleicht liegt in diesen<br />

Gegebenheiten die Tatsache begründet, daß, obwohl in den zwanzig Jahren<br />

von 1945 bis 1967 insgesamt etwa 50 erwähnenswerte Prosaschriftsteller in<br />

20


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Erscheinung getreten sind, keine nennenswerte zusammenfassende Arbeit<br />

veröffentlicht worden ist, die die nachkriegsprosa in ihrer Gesamtheit und<br />

Tiefe untersucht.<br />

Im Zeitraum, der uns beschäftigt, leben noch genügend Vorkriegsschriftsteller<br />

aus der "Generation der 30er", die ihre Bücher veröffentlichen (Myrivilis,<br />

Venesis, Tersakis, Kosmas Politis, Jorgos Theotokas u. a.) Noch charakteristischer<br />

ist der Fall von Nikos Kasantzakis (1883 - 1957), des vielleicht<br />

bekanntesten neugriechischen Schriftstellers im Ausland, der 1946 seinen<br />

ersten Roman "Alexis Sorbas" veröffentlicht , danach folgen "Christus wird<br />

immer wieder gekreuzigt", "Freiheit oder Tod" u. s. w. Indessen gehören die<br />

Thematik dieser Autoren, ihre Problematik, in der Hauptsache ihre Erlebnisse,<br />

ihr Empfinden, ihre Ausdrucksweise und ihre Sprache offensichtlich einer<br />

anderen Zeitepoche an. Besonders spürbar wird dies im Fall Kasantzakis,<br />

der im wesentlichen ein Schriftsteller der Anfänge unseres Jahrhunderts ist,<br />

wo er auch zum ersten Mal mit Tragödien, Gedichten und Übersetzungen<br />

in Erscheinung trat. Von großem Interesse ist ein Schriftsteller der dreißiger<br />

Generation, der die Grenze zu übersteigen scheint und den Nachkriegsautoren<br />

sehr nahe kommt. Es handelt sich um Jannis Beratis, der eines der besten<br />

- vielleicht sogar das beste - Buch der letzten 50 Jahre geschrieben hat,<br />

jedenfalls das beste Buch über den Krieg im Jahre 1940. Es ist der "breite<br />

Fluß", wobei es ihm ohne besondere Beredsamkeit gelingt, die dem Kampf<br />

eigene Moral wiederzugeben. Im zweiten Teil des Buches, der sich auf den<br />

Rückzug der griechischen Armee von der albanischen Front bezieht, werden<br />

die inneren Wirren wiedergegeben, die die Desorganisation eines Heeres mit<br />

sich bringt, wo schon das Gefühl des Selbsterhaltungstriebes die Oberhand<br />

gewinnt. Zugleich werden sporadisch auch gewisse Symptome erkennbar,<br />

die in der Periode der Besatzung Dimension gewinnen, wie Kollaboration<br />

und Schwarzhandel.<br />

Aber schon mitten in der Besatzungszeit beginnen die Schriftsteller der ersten<br />

Nachkriegsgeneration in Erscheinung zu treten, die dann im folgenden<br />

Jahrzehnt mehr werden, in den fünfziger Jahren. Von 1950 an und danach bis<br />

zur Diktatur sprechen wir von den Schriftstellern der zweiten Nachkriegsgeneration.<br />

Die meisten Prosaautoren - mit wenigen Ausnahmen - sind in den zwanziger<br />

Jahren geboren. So nahmen die Älteren am Widerstand aktiv teil, wie<br />

an ideologischen, aber auch bewaffneten Auseindersetzungen während der<br />

Besatzung und im Bürgerkrieg, während die Jüngeren mit der Seele an den<br />

Ereignissen teilhaben, genügend davon aber wiederum auch aktiv, trotz ih-<br />

21


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

rer jungen Jahre. Charakteristische Beispiele: Stratis Tsirkas arbeitete für die<br />

halblegale linke Presse der griechischen Siedlung in Ägypten in den Jahren<br />

der britischen Herrschaft während des Krieges. Rodis Rufos mischt sich unter<br />

die Reihen der rechten Widerstandskämpfer. Dimitris Chatzis ist während<br />

der Besatzung im Widerstand, danach nimmt er am Bürgerkrieg teil, wie<br />

auch Mitsos Alexandropulos. Gerade die beiden letztgenannten werden fast<br />

25 Jahre lang als politische Flüchtlinge in östlichen Ländern leben und 1974<br />

nach Griechenland zurückkehren. Andere leisteten während des Bürgerkrieges<br />

ihren Wehrdienst bei den Regierungstruppen ab und nahmen von dieser<br />

Seite aus am Krieg teil wie Renos Apostolidis. Ein Großteil derjenigen, die<br />

der Linken angehörten, bezahlte seine linksgerichtete Tätigkeit oder einfach<br />

seine ideologische Zugehörigkeit mit Verbannung, Haft und anderen Verfolgungen.<br />

Natürlich spiegelt sich das alles in ihrem Werk wieder.<br />

Ein Grundwesenszug also, der sich in den Werken der meisten Nachkriegsschriftsteller<br />

zu erkennen gibt, ist ihr politischer Charakter. Die Anwesenheit<br />

der Geschichte mit all ihren Folgen tritt überall offen zu Tage. Romane mit<br />

politischem Inhalt sind auch vor dem Krieg geschrieben worden (z. B. "Argo"<br />

von Theotokas), aber die Art und Weise, wie die politischen Phänomene jetzt<br />

erlebt und ausgedrückt werden, ist eine andere: Die Vorkriegsautoren sind<br />

Betrachter der Dinge, während die anderen daran teilhaben. Frangopulos,<br />

Rufos, Alexandros Kotzias, Kasdaglis, Tsirkas, Chatzis, Frangias und Kostas<br />

Kotzias, sie alle haben ihre Rolle gespielt, sind Personen mitten in der<br />

Geschichte. Und wenn sie der Geschichte Ausdruck verleihen, verleihen sie<br />

persönlichen Erlebnissen Ausdruck. Sie beschreiben nicht, sie schreiben in<br />

gewisser Weise ihr eigenes Leben..., so der Kritiker Alexandros Argyriu in<br />

der Zeitschrift "Lesen" (diavaso), Heft 5-6, 1976, Seite 78. Und der Dichter<br />

der Nachkriegsjahre, M. Anagnostakis, sagt: Mitten im labyrinthischen<br />

Trugschluß der Nachkriegswelt glaube ich, daß nur unsere Generation den<br />

aufklärenden Ariadnefaden besitzt, der geradewegs zum Zentralgedanken<br />

der Epoche führt... (Man. Anagnostakis, "Ergänzendes" (simpliromatika) in<br />

der Zeitschrift "Augenblick" 1985. Der bedeutendste Vertreter unter den<br />

Schriftstellern, dessen Werk eindringlichen politischen Charakter aufweist,<br />

ist Stratis Tsirkas (1911 - 1980). Geboren in Alexandria, verbrachte er dort<br />

den größten Teil seines Lebens. Als politisch hochgebildete Person nahm<br />

er noch vor dem Kriege teil am Internationalen Schriftstellerkongreß über<br />

die Verteidigung der Kultur gegenüber dem Faschismus (Valencia, Madrid,<br />

Paris 1937) und verfaßte den "Eid für Federico Garcia Lorca", den Louis<br />

Aragon las und den berühmte Schriftsteller aus 26 Ländern unterzeichne-<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

ten. Das Werk, welches ihn als einen der größten, vielleicht sogar als den<br />

größten unter den Nachkriegsautoren aufzeigte, ist der dreibändige Roman<br />

"Unregierbare Staaten" (akivernites polities) mit den Titeln "Der Club" 1960,<br />

"Ariagne" 1962, die "Fledermaus" 1965, deren Handlung sich in Jerusalem,<br />

Kairo und Alexandria jeweils von 1942-1944 abspielt. Ein Werk, das mittels<br />

Zusammensetzen von Geschehnissen eine damals noch frische und umstrittene<br />

Geschichte schreibt, während es, parallel dazu, uns unbekannte soziale<br />

Gesamtheiten vorn in Szene setzt - griechische Diaspora, kosmopolitischer<br />

Pöbel aus Palästina und Ägypten, verfolgte und unterdrückte Völker... Das<br />

Kernthema des Romans, dreht sich um die politischen Aktivitäten der griechischen<br />

Linken in Ägypten. Tsirkas benutzt in diesem Werk mannigfaltige<br />

Erzählweisen wie den abwechselnden Gebrauch der Person im Verb, die Abstufung<br />

der Erzählung vom Realismus bis zur Phantasie und dem inneren<br />

Monolog.<br />

Was die Thematik der Nachkriegsprosa angeht, so ist sehr treffend beobachtet<br />

worden (Alexandros Kotzias "Nachkriegsschriftsteller", Seite 15, Kedros<br />

1982), daß, während die Heldendichtung um 1940, die Besatzung, der Hader<br />

während der Besatzung, die Nebenwirkungen des Bürgerkrieges nach der<br />

Besatzung und die vielfältig farbigen Auswirkungen des schlimmen Jahrzehnts<br />

(1940 - 1950) viele und hochwichtige Prosawerke inspiriert haben,<br />

sich die Schriftsteller weigern, das Leid selbst während des Bürgerkrieges<br />

(1946 - 1949) zum Ausdruck zu bringen, "man könnte meinen, es wird wie<br />

ein traumatischer Komplex verdrängt - etwas ähnliches ist mit der kleinasiatischen<br />

Katastrophe geschehen".<br />

Aber unabhängig davon, ob die Gründe in innerer Verdrängung oder in den<br />

tatsächlichen Umständen zu suchen sind, bleibt es eine Tatsache, daß, wenn<br />

man das Buch von Renos Apostolidis "Pyramide 67" (1950), mehrere Erzählungen<br />

von Dimitris Chatzis wie die "Schutzlosen" (aniperaspisti) in der<br />

gleichnamigen Sammlung - 1964 in der "Kunstrevue" (epitheorissi technis),<br />

sie war aber schon früher in Rumänien erschienen - und einige Erzählungen<br />

von Spiros Plaskovitis (in "der Sturm und die Lampe" - i thiella ke to fanari)<br />

ausnimmt, wir ins Jahr 1963 gelangen müssen, als in der Zeitschrift "Epochen"<br />

(epoches) die Erzählung des jungen Schriftstellers Thanassis Valtinos<br />

"Der Marsch der Neun" (i kathodos ton ennea) veröffentlicht wird und dann<br />

später, d. h. 25 Jahre nach dem Geschehen, die "Kiste" (to kivotio, 1975) von<br />

Aris Alexandru und die "Akrokeravnia" von Christoforos Milionis folgen<br />

(1976). Ein anderes Thema, das ebenfalls in vielen Werken dieser Periode dominiert,<br />

sind die sozialen Umstände, wie sie nach dem Kriege auftraten und<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

die wir zu Anfang mit ihren psychologischen und moralischen Konsequenzen<br />

aufgezeigt haben, nämlich dem Umbruch der überlieferten Werte mit Gefühlen<br />

der Unsicherheit und Undurchdringlichkeit; die Menschen fühlen so, als<br />

ob nicht für alle Platz unter der heimatlichen Sonne sei. Natürlich tritt auch<br />

dieses Thema nicht unabhängig zu Tage, sondern es ist vom historischen und<br />

politischen Geschehen durchwoben und sogar auf besondere Art und Weise.<br />

Denn "es macht eines der in ihrer Stabilität unerbittlichsten Merkmale<br />

der griechischen Gesellschaft aus, die Tatsache nämlich, daß die politische<br />

Niederlage absolute Gefahren für die soziale wirtschaftliche Lage der Menschen<br />

mit sich bringt, die sie erlitten haben", wie ein Soziologe herausfand.<br />

Aus dieser Sicht sind die Bücher von Dimitris Chatzis und Andreas Frangias<br />

sehr charakteristisch. (Anmerkung des Autors: Ich weiß nicht, ob die heute in<br />

Deutschland lebenden Griechen sich selbst im Seelenaufbau, der Mentalität<br />

und den Gefühlen von Stavros und Stavrojännis wiederfinden würden, den<br />

Hauptpersonen des "Doppelten Buches". Aber vergessen wir nicht, daß Chatzis<br />

die erste Generation der Arbeiter gekannt hat).<br />

Wird fortgesetzt.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Rita Krieg<br />

Lefkada_1988<br />

Sternschnuppentraum<br />

Jähes Erwachen<br />

in kristallblauer Nacht<br />

schmerzende Stille<br />

Wasser wie Blei<br />

Wo finde ich dich, wo?<br />

Ein Stern<br />

fällt vom Himmel<br />

unendliches All<br />

dein Name - ein Schrei.<br />

Wo finde ich dich, wo?<br />

Sonnenaugenblick<br />

Jene Dolche mitten im Herz<br />

schautest du tiefe Horizonte<br />

sanft gefangen im goldenen Netz.<br />

Glaubtest zu fallen,<br />

gefesselt für kleine Ewigkeiten.<br />

Fassungsloses Ergründen<br />

unendlicher<br />

Seele<br />

ewige<br />

Trauer um das Verlorene.<br />

25


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Meeresewigkeiten<br />

Gedanken<br />

gleich Möwen<br />

fliegen lassen über das Meer<br />

sind Augenblicke<br />

jenseits der Zeit<br />

da du dich verlierst<br />

um zu dir selbst zu finden.<br />

Illusion<br />

Wenn ich<br />

diesem Stern<br />

nachschaue<br />

begegne ich<br />

deinem Blick.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Panos Ioannidis<br />

Fotografie <strong>Nr</strong>; 1<br />

Auf seiner Enklave in Karmi: Draußen im Garten, inmitten der wenigen Blumen<br />

und dem Gemüse, das er bestellte. Hochaufgeschossen, hager; Haare,<br />

Bartwuchs, Zähne, alles spärlich; winzige Augen - kleine Edelsteine voll<br />

gutmütiger Ironie; Hände, unverhältnismäßig lang, niemals wuß- te er sie<br />

so recht zu gebrauchen, sie baumelten dauernd hin und her ungeschickt, sie<br />

ließen Gläser fallen, brachten Papiere durcheinander und befanden sich an<br />

Orten und Stellen, wo es nicht sein sollte. Stets mit Jeans und Sandalen bekleidet,<br />

Sommer wie Winter; dauernd hatte er zerknitterte Hemden an, aber<br />

sie waren sauber, er wusch sie selbst mit "grüner Seife, Marke Papagallo!"<br />

"Der vor der zypriotischen Malerei Flüchtige!" So sprach er mit Ironie über<br />

sich selbst.<br />

"Der Eremit", verbesserten ihn seine Freunde.<br />

In der Tat, das Haus, nein, es war kein Haus, es waren insgesamt zwei Räume,<br />

eine Küche und eine Toilette - eine richtige Eremitenklause. Auf ein Felsplateau<br />

gesetzt, ein Kilometer vom letzten Haus des Dorfes entfernt, ohne jeglichen<br />

Stufengang oder eingehauenen Pfad, verlangte es schon das Geschick<br />

eines Bergsteigers, um hinzukommen. Irgendein Onkel des Malers hatte es<br />

gebaut, ein echter Menschenhasser. 35 Jahre hatte er in Afrika am Kongo<br />

gelebt, mit 65 Jahren kehrte er nach Zypern zurück und ließ sich in Karmi,<br />

seinem Geburtsort nieder. Er baute das Häuschen und lebte darin 15 Jahre<br />

lang isoliert. Die Bewohner von Karmi tratschten über ihn, daß er göttliche<br />

Weisheiten, Joga und Freimaurerliteratur läse, daß er merkwürdige Übungen<br />

machen würde wie ein Tänzer in Bali, daß er schwere Duftstoffe verbrenne,<br />

deren Geruch bis ins Dorf herunterkam.<br />

Mit den Dorfbewohnern pflegte der Onkel keinen Kontakt. Nur im Krämerladen<br />

oder auf der Post ließ er sich ab und zu mal sehen. Beim Metzger oder<br />

im Fischladen nie. Und die Worte, die er mit ihnen wechselte, waren dürftig.<br />

Aber allein in seinem Häuschen war er redselig. Das berichteten wenigstens<br />

die, welche ihm nachspionierten. Stundenlang redete er, aber in Suaheli oder<br />

in Sanskrit, niemand verstand ein Wort. Auch sahen sie niemals, mit wem er<br />

sprach.<br />

Als er starb, ledig und ohne Nachkommen, hinterließ er sein Häuschen ihm,<br />

dem anderen "Verrückten" der Familie, wie er ihn nannte. Es war der einzige<br />

27


<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Besitz, den Lambrinos jemals erworben hatte. Die Freude, die er empfand,<br />

als er erfuhr, daß er endlich ein eigenes Dach über dem Kopf hatte,' war<br />

die eines Kindes. Er lud Freunde und Bekannte ein und eröffnete ihnen, daß<br />

"sein Karma sich in Karmi erfüllt habe..." Seinen drei engsten. Freunden, N.<br />

Keis, L. Nikolaou und dem Arzt Man. Marangos, vertraute er an, daß nun der<br />

Alptraum der Mietzahlungen von ihm genommen sei und er sich nun seinen<br />

Leidenschaften widmen würde: "Unserer Volkskunst!"<br />

Er wollte Gemälde, Collagen, Stiche, eigene Plastiken zu Schleuderpreisen<br />

verkaufen, um gewisse ungewöhnliche Dinge zu erstehen, die er ins Auge gefaßt<br />

hatte: ein vierhundert Jahre altes Kochgeschirr, eine aus Holz geschnitzte<br />

Truhe, verziert mit Ähren und Sperlingsvögeln, iwei Mühlsteine, die beim<br />

Mahlen melodische Töne hervorbrächten - die "Karpasitissa", wenn man von<br />

rechts nach links mahlt, die "Avgoritissa", wenn man in umgekehrter Richtung<br />

mahlen läßt. Dann würde er noch zwei seltene Stickereien aus Kokonseide<br />

kaufen, einen aus Feuerstein gemeißelten Lampenständer, ein Metallkännchen...<br />

was ihm in die Finger kam. Er würde aus seinem Häuschen in<br />

Karmi ein Museum machen!<br />

Vergebens versuchten ihn seine drei Freunde davon abzuhalten. Alle ihre<br />

Argumente über die Vorzüge des Stadtlebens verfehlten ihre Wirkung. Desgleichen<br />

auch ihr Versprechen, ihm beim Aufbau eines eigenen Museums in<br />

Nikosia behilflich zu sein; er könne ja, so sagten sie, sein Häuschen in Karmi<br />

vermieten oder selbst als Landsitz oder Refugium benutzen, wenn er allein<br />

sein und malen wolle. Umsonst. "In mir ist der ewige Bauer erwacht", sagte<br />

er. "Ich gehe!"<br />

Aus "tris paravoles" (Drei Parabeln)von Panos Ioannidis<br />

Verlag Kinyras, Nikosia 1988<br />

Übersetzt von Jens Beucker<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Τίτος Πατρίκιος<br />

Η ΔΙΔΑΣΚΑΛΙΑ<br />

Συχνά μιλούν και με διδάσκουν<br />

οαν νΰ "σαν δράστες μαζί και θεατές<br />

για γεγονότα που δεν έζησαν<br />

για πράγματα που γνώρισαν απδ μακριά<br />

για σπίτια που δεν τα κατοίκησαν<br />

για φίλους που πέθαναν προχτές<br />

κι δμως χαμένους απδ χρδνια<br />

για γυναίκες που κανείς δεν το φαντάζεται<br />

πως κάποτε ήσαν ωραίες.<br />

Στο τέλος δλα μου φαίνονται σαν να υπήρξαν<br />

σε άλλη. παράσταση μ' άλλα σκηνικά<br />

κι αφήνομαι να τα ξαναμαθαίνω<br />

στη ούγχρονη καινούργια τους διδασκαλία.<br />

ΕΝΑ ΣΗΜΕΙΩΜΑ<br />

Καθώς τίποτα δεν πετάω<br />

μα ούτε και τίποτα ταχτοποιώ<br />

ανακυκλώνονται χάρτια μες στα συρτάρια<br />

σα λαχνοί μέοα σε κληρωτίδα.<br />

Κατά καιρούς έρχεται στην επιφάνεια<br />

εκείνο ακριβώς που δεν χρειάζομαι<br />

δπως προχτές ένα σημείωμα γραμμένο<br />

απδ συμμαθητή την ώρα των αρχαίων<br />

στην τελευταία τάξη του γυμνασίου:<br />

1 Θέλω να ζήσω τόσο πλούσια<br />

ώστε να πω έζησα'.<br />

Πάνε τριάντα πέντε χρδνια<br />

που δεν τον έχω ξαναδεί.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Griechisches aus Unteritalien<br />

Daß in einigen Regionen Süditaliens - in den Provinzen Apulien (Region<br />

Salento) und Kalabrien - seit etwa 3000 Jahren ein griechischer Dialekt gesprochen<br />

wird, ist sicher einigen unserer "Hobbygräzisten" schon bekannt.<br />

Unser Mitglied, Frau Eleftheria Wollny-Pöpota, hat sich eingehend mit den<br />

griechischen Minoritäten in Süditalien beschäftigtmanche mögen sich an ihren<br />

aufschlußreichen Vortrag im Vorjahr an der Universität Köln erinnern<br />

- und stellt uns hier eine "matinata", ein Liebeslied des Dichters Vito Domenico<br />

Palumbo aus dem Ort Calimera (!) vor, es ist eins der bekanntesten und<br />

beliebtesten Lieder in den griechisch-salentinischen Dörfern Apuliens.<br />

Wer die griechische Sprache beherrscht, wird vieles verstehen können, nicht<br />

zuletzt dank der Übersetzung von Frau Eleftheria Wollny-Pöpota.<br />

Kalinifta<br />

Ti en glitsea tusi nifta t' en oria<br />

ivo e plono penzeonta se sena,<br />

eis ti fenestra a tin agapi mu<br />

tis kardias mu su nifto ti pena.<br />

Ivo e plono penzeonta se sena<br />

tse jia sena psichi mu agapo,<br />

ma pu pao, pu sirno, pu steo<br />

eis ti kardia mu panta sena vasto.<br />

Kai su mai m1 agapise oria mu<br />

e su ponise mai asse mena,<br />

itta Chili su en anitse mai<br />

pi ta lojia ta' agapi(s) vloimena.<br />

K' itt' ammai su, atse mago, glitseo,<br />

en anitse mai jia mena ftecho,<br />

ma pu pao, pu sirno, pu steo<br />

eis ti kardia mu panta sena vasto.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Gute Nacht<br />

Wie lieblich diese Nacht ist, wie schön!<br />

Und ich schlafe nicht, da ich an Dich denke,<br />

und vor dem Fenster meiner Liebe<br />

verrate ich Dir den Schmerz meines Herzens.<br />

Ich schlafe nicht, da ich an Dich denke.<br />

Und Dich, meine Seele, liebe ich,<br />

wohin ich gehe, mich hinschleppe, wo ich stehe,<br />

trage ich Dich stets in meinem Herzen.<br />

Und Du hast mich nie geliebt, meine Schöne,<br />

und hast niemals Schmerz für mich empfunden,<br />

nie hast Du Deine Lippen geöffnet<br />

gesegnete Worte der Liebe mir zu sagen.<br />

Und Dein zauberhaftes, süßes Auge,<br />

hat mich, den Armen, nie eines Blickes gewürdigt,<br />

doch wohin ich gehe, mich hinschleppe, wo ich stehe,<br />

trage ich Dich stets in meinem Herzen.<br />

"Die Griechin" 1983<br />

gemalt auf Seide j von A. Kalpaki Georgoulaki<br />

(siehe nächste Seite)<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

WIR STELLEN VOR<br />

Dr. Ing. Anastasia Kalpaki-Georgoulaki<br />

Ihre Großmutter stammt aus Triglia in Kleinasien und übte den Beruf einer<br />

Lehrerin aus. Nebenbei beschäftigte sie sich auch auf dem künstlerischen<br />

Sektor und insbesondere mit dem Malen auf Seide, wobei sie Naturfarben<br />

benutzte.<br />

Von ihr hat auch die Enkelin, die wir heute vorstellen wollen, Frau Dr. Anastasia<br />

Kalpaki-Georgoulaki, die Liebe zur Kunst und besonders zur Seidenmalerei<br />

geerbt und viele zauberhafte, der Feinheit des Materials entsprechende<br />

Werke geschaffen, mit verdientem Erfolg, wie es auf recht vielen<br />

Ausstellungen zu spüren war.<br />

Für jemanden, der sich zum Großteil in einem fremden Land weiterbilden<br />

und dort auch studieren muß, ist ihre berufliche Karriere beachtlich und gereicht<br />

vielen von uns Deutschen zum Vorbild.<br />

Frau Dr. Kalpaki-Georgoulaki ist 1952 in Nea Triglia (im neuen Triglia) auf<br />

der Chalkidiki in Nordgriechenland geboren. 1969 bestand sie das Abitur auf<br />

dem Fünften Mädchengymnasium in Thessaloniki und 1972 händigte man<br />

ihr an der Fachhochschule der gleichen Stadt das Diplom für Elektronik aus.<br />

Sie verließ im Lauf der siebziger Jahre ihre griechische Heimat und studierte<br />

an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen,<br />

wo sie dann 1980 ihr zweites Diplom für Architektur entgegennehmen<br />

durfte.<br />

Während ihres beruflichen Werdegangs vergaß Frau Kalpaki-Georgoulaki<br />

aber ihre Liebe zu der bildenden Kunst nicht. Sie besuchte nebenher viele<br />

verschiedene Kurse und Seminare über Malerei, Bildhauerei, Bildnerische<br />

Gestaltung und Baugeschichte in Thessaloniki, Aachen und Wuppertal. Von<br />

1980 bis 1986 arbeitete sie an einer Dissertation über "das Haus in Canea/<br />

Kreta in der Zeit von 1212 - 1645 unter dem Einfluß der politischen, sozialen<br />

und kulturellen Ordnung der venezianischen Herrschaft", die übrigens auch<br />

als Buch erschienen ist, wobei ihr dann im Mai 1986 der Titel des Dr. Ing.<br />

im Bereich Kunstund Baugeschichte, Architektur verliehen wurde. Für diese<br />

Promotion erhielt sie 1983 ein Stipendium vom Deutschen Akademischen<br />

Austauschdienst (DAAD).<br />

Seit 1980 lebt sie in Wuppertal und arbeitet dort als Architektin und Malerin,<br />

auch dies beruflich. Ab 1982 sind ihre Werke auch in vielen Ausstellungen zu<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

sehen, dabei sind zu nennen: Rathaus Wuppertal, Schloß Lüntenbeck, Commerzbank<br />

in Hilden, Ev. Stadtakademie Düsseldorf, Galerie Gold und Seide<br />

in Solingen, Theatergalerie in Remscheid, Stadtgalerie in Münster u. a.<br />

Seit 1984 hält die Künstlerin auch selbst Vorträge über griechische Anonyme<br />

Architektur und Kunst, über byzantinische Ikonenmalerei, die Moderne und<br />

natürlich über Seidenmalerei.<br />

1985 bekam sie einen Lehrauftrag in Wuppertal an der Gesamthochschule für<br />

Kunstgeschichte und Architekturtheorie, an der dortigen Volkshochschule ist<br />

sie Dozentin für Seidenmalerei und Ausländerseminare. Ab 1986 arbeitet sie<br />

freiberuflich bei verschiedenen Zeitungen mit. Auch ihre Mitgliedschaft in<br />

mehreren fachbezogenen Organisationen weisen die Künstlerin als äußerst<br />

engagierten Menschen aus. So ist sie heute z. B. Mitglied der Architekturkammer<br />

in NRW, Mitglied des Berufsverbandes bildender Künstler, Mitglied<br />

der Kulturpolitischen Gesellschaft in Hagen und gewähltes Mitglied des Ausländerbeirates<br />

Wuppertal. So darf es auch nicht weiter wundern, wenn Uber<br />

ihr Schaffen mehrfach in Funk und Fernsehen berichtet wurde.<br />

Mehrere Werke befinden sich ständig in privaten und öffentlichen Sammlungen,<br />

in Deutschland (Artothek Wuppertal), in Griechenland (Orthodoxe<br />

Akademie in Kreta u.a.), in Kanada, USA u.s.w. Kurz über ihre Stilrichtung<br />

in der Seidenmalerei: Zu Anfang bevorzugte die Künstlerin Mischtechniken<br />

mit Themen aus der griechischen Mythologie und mit Landschaftsthemen,<br />

wobei ihr Schaffen realistischer Natur war und sie mit Linien arbeitete. Vor<br />

drei bis vier Jahren entwickelte sie ihren eigenen persönlichen Stil, wobei<br />

sie prägnante Ereignisse in Griechenland, Deutschland und der übrigen Welt<br />

zum Thema hatte, z. B. den Flugzeugabsturz in Remscheid und die Landschaftszerstörung.<br />

Die Formen gibt sie nicht mehr mit Linien, sondern mit<br />

griechischen "Farben", wie der Erdbräune, dem Blau des Meeres und des<br />

Him- mels, dem Rot des Klatschmohns.<br />

Daß Frau Anastasia Kalpaki-Georgoulaki trotz ihres beruflichen und künstlerischen<br />

Erfolges eine bescheidene, auf überaus angenehme Weise Zurückhaltung<br />

übende Frau geblieben ist, macht sie besonders liebenswert.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

QUELLENVERZEICHNIS UND AUTOREN<br />

Das Kind, das sich vor dem Mond fürchtete - Geschichte von Dido Sotiriu,<br />

zum ersten Mal veröffentlicht in der Zeitung "Avji" 1963. Siehe auch "Ein<br />

Wort zu Beginn".<br />

Aus: Traum eines Sommermittags. Prosagedichte von Jannis Ritsos, Verlag<br />

Kedros 1981. Siehe auch "Ein Wort zu Beginn".<br />

Gefälligkeit, Selbstmord. Noch kaum bekannte Gedichte von Petros Kyrimis,<br />

geb. 1944 in Moschato zwischen Piräus und Athen. "Ich verbrachte<br />

die meiste Zeit meines Lebens auf Reisen und wohne in Deutschland aus<br />

Gründen, die unabhängig von meinem Willen sind". Der Autor lebt zur Zeit<br />

in Bonn, ist freier Schriftsteller und Liederdichter. In der bekannten Buchhandlung<br />

Moll & Eckhardt sind zwei von ihm zusammengestellte Kassetten<br />

erhältlich: "Ich liebe dich, weil du der Liebe gleichst" (s'agapo, jati me tin<br />

agapi miasis) und "Du Mensch allein" (anthrope mone).<br />

Die Prosa in Griechenland nach dem Kriege. Essay von Christoforos Milionis,<br />

einem der bedeutendsten Prosaschriftsteller Griechenlands (Kalamas<br />

ke Acherondas), Im Epirus geboren, lebt er heute in Athen und übt den Beruf<br />

eines Oberschulrats aus.<br />

Lefkada 1988. Von Rita Krieg, geboren 1942 in Frankfurt am Main. Sie ist<br />

Mitglied unserer <strong>POP</strong> und unter anderem als freie Mitarbeiterin für die VHS<br />

tätig. Lebt heute in Meerbusch bei Düsseldorf.<br />

Fotografie <strong>Nr</strong>. 1. Aus "Drei Parabeln" (tris paravoles) von Panos Ioannidis,<br />

geb. in Famagusta auf Zypern. Studium in Zypern, Kanada, USA. Arbeitete<br />

als Journalist für mehrere zyprische Zeitungen und für den zyprischen Rundfunk.<br />

Heute ist er Direktor der zyprischen Rundfunk und Fernsehanstalt.<br />

Verfaßte Gedichte, Romane, Theaterstücke und wurde dafür mit mehreren<br />

Preisen ausgezeichnet. Mehrere seiner Werke sind in europäische Sprachen<br />

übersetzt, darunter in Deutsch das Theaterstück "Die Ballade der Arodafnussa"<br />

und die Geschichte "Monolog eines unverbesserlichen Zyprioten" (in der<br />

Anthologie "Zyprische Miniaturen), beides erschienen im Verlag Romiosini<br />

Köln.<br />

H AIAALKAMA, ENA IHMEIOMA - Von Titos Patrikios, entnommen<br />

seinem Band "Spiegel in Spiegel" (andikristi kathreftes). Siehe auch "Griechische<br />

Kulturszene in Deutschland".<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Griechisches aus Unteritalien Kalinifta. Vorgestellt von Frau Eleftheria<br />

Wollny-Popota, geb. in Athen. Heute lebt sie in Bonn und ist auch die Präsidentin<br />

der dortigen Deutsch-Griechischen Gesellschaft. Sie ist freiberufliche<br />

Kunsthistorikerin und freie Mitarbeiterin beim WDR. Ebenfalls Mitglied in<br />

unserer <strong>POP</strong>. Autorin des Buches "Lakonisches Reisebuch" und mehrerer<br />

Veröffentlichungen in "Hellenika", dem Jahrbuch der Deutsch-Griechischen<br />

Gesellschaften.<br />

GRIECHISCHE KULTURSZENE IN DEUTSCHLAND<br />

Griechische Impressionen in Köln, März <strong>1989</strong><br />

Unter dem Motto "Griechische Impressionen" haben die Griechische Gemeinde<br />

Köln, das Griechische Generalkonsulat in Köln und unsere "<strong>POP</strong>"<br />

vom 3. - 18. März einige, nicht nur für Griechenlandfreunde interessante Kulturabende<br />

stattfinden lassen, die auch recht gut besucht waren und durchaus<br />

eine lobende Würdigung verdienen.<br />

Am Tag der Eröffnung begann die Architektin Dr. A. Kalpaki - Georgoulaki<br />

mit einem Vortrag über Seidenmalerei, wobei die Vortragende eigene Werke<br />

im Haus der Griechischen Gemeinde ausgestellt hatte, welche bis zum<br />

12. März zu besichtigen waren. Der Vortrag beinhaltete unter anderem die<br />

Technik der Seidenmalerei und auch etwas über die Motive der ausgestellten<br />

Stücke. So mancher Zuhörer wird sicher Anregungen zu eigenem kreativen<br />

Schaffen bekommen haben. Mit einer Diskussion zwischen Künstlerin und<br />

Publikum schloß die Veranstaltung ab. ( Siehe auch "Wir stellen vor")<br />

Am folgenden Sonntag, den 5. 3. wurde ins Atelier-Theater eingeladen zu<br />

einer Theater-Performance mit Jorja Lambropulu, die die Medea des Euripides<br />

spielte.<br />

Am Montag, den 6. 3. fand in der Zentralbibliothek Köln am Neumarkt in<br />

Zusammenarbeit mit der Griechischen Botschaft eine Dichterlesung mit Titos<br />

Patrikios statt, wobei der Dichter selbst aus seinem Werk vorlas und Niki<br />

Eideneier moderierte. Yvonne Eckhardt las die deutschen Übersetzungen vor.<br />

Titos Patrikios, geb. 1928 in Athen, gehörte im 2. Weltkrieg der Widerstands-<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

bewegung an, studierte in Paris Philosophie und Soziologie. Nach dem Obristenputsch<br />

1967 emigrierte er wieder nach Paris und arbeitete später als Berater<br />

von der Unesco in Rom. Er wurde bekannt durch Werke wie "Staubstraße"<br />

(1954), "Meer der Verheißung" (1977) und "Spiegel vis a vis" (1988) etc.<br />

Vier Tage später, am 10. 3. wurden im Haus der Griechischen Gemeinde<br />

vertonte Gedichte des bekannten Dichters K. Kavafis vorgetragen. Gesang:<br />

Alekos Karosas und Aleka Grisopulu. Den Einführungsvortrag hielt Frau Dr.<br />

Danae Coulmas, Kulturattache' an der Griechischen Botschaft in Bonn. Der<br />

nächste Abend am 11. 3. war einem griechischen Fest in der Gesamtschule<br />

Köln-Holweide gewidmet.<br />

Am Donnerstag, den 16. 3. gab es in der Comedia Colonia ein Konzert mit<br />

der nun schon vielen Freunden griechischer Folklore bekannten Grup- pe<br />

Lakis & Achwach mit "Rebetika" und anderer Musik aus dem östlichen Mittelmeerraum,<br />

der "Levante".<br />

Am 18. 3. gingen die "Griechischen Impressionen" mit einem Diavortrag des<br />

Malers St. Mavromatis aus Saloniki über die moderne griechische Malerei<br />

und eigenem Werk dem Ende entgegen. Kurz über den Künstler und sein<br />

Werk: Er ist Mitglied der Künstlerkammer Griechenlands, Werke von ihm<br />

befinden sich in der Nationalgalerie Griechenlands, in der Galerie der Stadt<br />

Saloniki, sowie in Privatsammlungen innerhalb und außerhalb Griechenlands.<br />

Der Künstler ist Autodidakt und bevorzugt Mischtechniken. Werke<br />

von St. Mavromatis waren bis in den Mai hinein in dem Olivenbaum- Feinkostgeschäft<br />

von Th. Moschos ausgestellt.<br />

Zweites Griechenland-Seminar der DGG in Bonn - Byzanz I -<br />

0 Ελληνιαμδς είναι δυοκολος, ναι, μα γι'αυτδ αξίζει τον κδπο. Dieses Wort<br />

von Jorgos Seiferis - vor allem, daß sich die Mühe lohnt - konnten die etwa<br />

55 Teilnehmer am 2. Griechenland-Seminar <strong>1989</strong> nur bestätigen. Hierzu hatte<br />

die Deutsch-Griechische Gesellschaft in Bonn, die 1988 ihr 30-jähriges<br />

Bestehen feierte, unter Vorsitz von Eleftheria Wollny-Popota am 15. und 15.<br />

April <strong>1989</strong> eingeladen und setzte damit die 1988 mit allgemeinen Themen<br />

begonnene landeskundliche Seminarreihe erfolgreich fort.<br />

Die abwechslungsreiche Palette von Vorträgen erstreckte sich einerseits vom<br />

geschichtlichen Überblick über 1000 Jahre Byzanz über die vor allem politischen<br />

Hintergründe des 4. Kreuzzuges (der bekanntlich mit der Eroberung<br />

Konstantinopels durch die Lateiner 12o4 endete) bis hin zur Geschichte<br />

der "Megali Idea" und ihrem Fortleben in der Neuzeit. Andererseits kam die<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Kunst nicht zu kurz: So gab es interessante Beitrage zur Entwicklung byzantinischer<br />

Ikonenmalerei bzw. zur Monumentalkunst in der orthodoxen Kirche<br />

(mit Dias) und eine Gegenüberstellung der Musiktradition Südosteuropas mit<br />

der des Abendlandes (mit Klangbeispielen). Es stellt sich hier nicht die Aufgabe,<br />

eine Bewertung vorzunehmen, die den einzelnen Referenten gegenüber<br />

zweifellos ungerecht wäre. Trotzdem sei der abschließende Vortrag über die<br />

Gegenwart der byzantinischen Kulturtradition in der orthodoxen Literatur<br />

hervorgehoben, der keinesfalls nur durch den engagierten Vortrag des Referenten<br />

als ein Höhepunkt em- pfunden wurde.<br />

Auf die zahlreichen Fragen der Teilnehmer konnte nicht immer erschöpfend<br />

eingegangen werden; zum einen aus Zeitgründen, zum anderen aber auch,<br />

da die umfassende Behandlung Gegenstand eines ganzen Vortrages gewesen<br />

wäre. Grund genug, die ohnehin geplante Fortsetzung dieses Seminars für<br />

1990 endgültig ins Auge zu fassen.<br />

Krönender Abschluß war ein Besuch der Griechisch-orthodoxen Metropolie<br />

in Bonn mit der Besichtigung der Kirche, durchgeführt von Erzpriester Sokratis<br />

Dallis.<br />

Rita Krieg<br />

Manolis Anagnostakis in Köln<br />

Wer sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, kam am 22. 5. 89 nach<br />

Köln in die Zentralbibliothek. Dort fand im Rahmen der Jahrestagung des<br />

PEN-Zentrums mit Unterstützung des Kulturamtes Köln und unserer <strong>POP</strong><br />

eine Dichterlesung mit Manolis Anagnostakis statt.<br />

Eröffnet wurde der Abend durch die bei der Verbreitung der griechischen<br />

Kultur stets hilfeleistende Frau Biedermann von der Zentralbibliothek. Darauf<br />

gab Frau Niki Eideneier einen Überblick über Lebenslauf und Werk<br />

Anagnostakis1. Sie teilte auch ihren persönlichen Eindruck mit, den sie von<br />

Manolis Anagnostakis bei ihrem Versuch gewann, sich ihm als Übersetzerin<br />

und Herausgeberin seiner Gedichte zu nähern. Demnach sei er ein eher verschlossener<br />

Mensch, dem keinerlei Aussage über sein Dichten zu entlocken<br />

war. So stammten die im folgenden vorgetragenen Aussagen zu Motivation<br />

und Selbstverständnis des Dichters, seiner Stellung zur Geschichte Griechenlands<br />

und dem literarischen Geschehen aus einem Interview, das Anagnostakis<br />

der Literaturzeitschrift "Das Wort" (i lexi) 1982 gegeben hatte. Nach<br />

dieser Einführung ging das Wort an Anagnostakis, der sich bedankte und gespannt<br />

war, nun seine Gedichte zu hören. Es begann mit einem musikalischer.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Auftakt, nämlich dem ersten Teil der von Mikis Theodorakis vertonten "Fünf<br />

kleine Themen", weiter ging es mit Gedichten aus den Zy- klen "Zeiten",<br />

"Fortsetzung", das "Ziel" und "Marginalien", die - vorgetragen auf deutsch<br />

von Schriftsteller Wolfgang Schiffer und auf griechisch von Anagnostakis<br />

selbst - durch 30 Jahre dichterisches Schaffen vor dem Hintergrund von deutscher<br />

Besatzung, Bürgerkrieg und Militärdiktatur führten. Das Publikum<br />

zeigte sich beeindruckt und interessiert. Anagnostakis beantwortete bescheiden<br />

aber bestimmt die an ihn gestellten Fragen. Zum Beispiel die nach dem<br />

Verhältnis von Dichter und Volk, Dichtung und politischem Engagement. Ja,<br />

"engagiert" könne man seine Lyrik wohl nennen, aber nicht im Sinne parteipolitischer<br />

Auftragslyrik. Er glaube, es sei nur möglich, etwas schreiben zu<br />

können, wenn man es im Innersten empfindet und erlebt. Ob er denn kein<br />

Liebesgedicht habe, war eine weitere Frage, über die sich Anagnostakis sehr<br />

freute, gerade weil sein Werk ausschließlich mit dem Etikett "engagiert" versehen<br />

wird. Das Liebesgedicht, das er daraufhin spontan vortrug, gab dem<br />

Abend dann einen schönen Ausklang.<br />

Von Manolis Anagnostakis nicht bloß über bedrucktes Papier zu erfahren,<br />

bot diese Veranstaltung erstmalig Gelegenheit, denn, obwohl einer der berühmtesten<br />

zeitgenössischen Dichter Griechenlands, hatte er noch nie zuvor<br />

seine Gedichte öffentlich gelesen.<br />

Manolis Anagnostakis, geb. 1925 in Thessaloniki, studierte Medizin dort und<br />

in Wien. Er nahm am Widerstand gegen die deutsche Okkupation Griechenlands<br />

teil und kam 1943 ins Gefängnis. Im griechischen Bürgerkrieg wurde<br />

er 1948 wegen politischer Betätigung erneut inhaftiert und 1949 zum Tode<br />

verurteilt. 1951 im Rahmen einer allgemeinen Amnestie Begnadigung und<br />

Entlassung aus dem Gefängnis. Während der Junta wurde er zunächst erneut<br />

verhaftet, erhielt dann Berufsverbot und arbeitete in Thessaloniki als Buchhändler.<br />

1978 ließ er sich als Röntgenarzt in Athen nieder, wo er noch heute<br />

lebt. 1981 und 1984 kandidierte er bei den griechischen Parlamentswahlen als<br />

Mitglied der Eurokommunistischen Partei Griechenlands und 1984 bei der<br />

Wahl zum Europaparlament. Mit 16 begann er zu schreiben. Er veröffentlichte<br />

außer Gedichten auch Essays und literaturkritische Beiträge und arbeitete<br />

von 1944 bis 1973 als Herausgeber und Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften.<br />

1986 erhielt er den ersten griechischen Staatspreis für Dichtung.<br />

Seine Gedichte wurden von Mikis Theodorakis und Eleni Karaindru vertont.<br />

Griechischdeutsche Gedichtauswahl: Balladen, Verlag Romiosini 1987.<br />

Helena Pekalis<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Eine Ausstellung zu Ehren von Konstantinos Kavafis<br />

Am 21. Mai dieses Jahres wurde - wie vor einem Jahr in Polyptychon <strong>Nr</strong>. 3<br />

angekündigt - im Haus "Feldmaus" in Olzheim, nahe bei Prüm in der Eifel,<br />

eine Ausstellung mit künstlerischen Interpretationen zum Werk des berühmten<br />

Dichters K. Kavafis (1863 - 1933) eröffnet. Kavafis ist nicht nur einer<br />

der größten griechischen Dichter, sondern hat auch einen festen Platz in der<br />

Weltliteratur gefunden.<br />

Als Nationaldichter Griechenlands ist er weit über die Grenzen seiner Heimat<br />

bekannt geworden. Bereits 1988 fand im Haus "Feldmaus" eine Veranstaltung<br />

zu Kavafis statt, die für viele der an der diesjährigen Ausstellung beteiligten<br />

Künstler die erste Begegnung mit dem Dichter war. Auf Anregung des Veranstalters<br />

setzten sich die Künstler mit dem Werk von Kavafis auseinander<br />

und das Ergebnis - Objekte, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien<br />

- spiegelt auf der Ausstellung die Hauptmotive der Gedichte Kavafis wieder:<br />

philosophische, historische und erotische Elemente.<br />

Die Botschaftsrätin für kulturelle Belange der griechischen Botschaft, Frau<br />

Dr. Danae Coulmassis, eröffnete im Beisein zahlreicher Ehrengäste aus<br />

Kunst, Kultur und Politik die Ausstellung. Besonderer Gast war Manolis<br />

Anagnostakis, einer der bedeutendsten Dichter Griechenlands, der sich gerade<br />

auf Einladung des PEN-Zentrums in der Bundesrepublik aufhielt. Der<br />

musikalische Ausstellungsbeitrag wurde von Alexandras Karosas aufgeführt,<br />

der Gedichte von Kavafis vertont hat. Gesungen wurden sie von Aleka Grisopulu.<br />

Leider war dieser Beitrag nur am Eröffnungstag zu hören. Das breite<br />

Spektrum der in dieser Ausstellung vertretenen Kunstgattungen zeigt eine<br />

spannende Zusammenstellung unterschiedlicher Interpretationen, die auf Anerkennung<br />

der anwesenden Kunstkenner stieß. Nicht nur für Kunstkenner<br />

und Kavafisfans ist die Ausstellung sehenswert. Das ist noch bis zum 29.<br />

Juli möglich. Öffnungszeiten: Mittwoch-Freitag (17.00 - 19.00 Uhr) und<br />

Samstag-Sonntag (15.00 - 19.00 Uhr).<br />

Ausstellende Künstlerinnen und Künstler sind: Aris Georgiu, Ulla Horky,<br />

Olga Kaloussi, Alexandras Karosas, Brigitte van Laar, Helmut Obers, MAF<br />

Räderscheidt, Lothar Scheffler, Leif Skoglöf, Stelio, Silke Ulbricht.<br />

Stephan Trierweiler, Haus "Feldmaus", Tel. 06552/7814<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Natalia Thomaidi, Meisterin des Lichts<br />

Am 30. Mai wurde in dem sicher manchem unserer Freunde bekannten Feinkostgeschäft<br />

Olivenbaum, Inh. Theo Moschos, in Köln eine Ausstellung mit<br />

Bildern der Künstlerin Natalia Thomaidi aus Thessaloniki eröffnet. Es handelt<br />

sich hierbei ausschließlich um Ölbilder, die durch die unauf- dringlichen<br />

Farben und die Themen - es sind Räume mit einfachen Möbeln, in die Licht<br />

einfällt - gerade wegen ihrer Schlichtheit den Betrachter gefangen nehmen.<br />

Die Wahl der zarten Farbtöne Ocker, Hellgrün, Hellblau, dazwischen mal<br />

kräftige, dunkle Farben bei den Möbeln oder bei einem Paar abgelegter Schuhe,<br />

sowie das stets in vielerlei Varianten einfallende Licht aus dem Hintergrund<br />

geben den Bildern etwas Ikonenhaftes, Sakrales; nicht von ungefähr,<br />

wenn man bedenkt, "daß sich die Künstlerin mit byzantinischer Malerei und<br />

dem Nachbilden von Ikonen beschäftigt hat. Für Kunstkenner bedeutet ein<br />

Besuch der Ausstellung ein Genuß, die Bilder von N. Thomaidi sind bis in<br />

den Oktober dieses Jahres hinein zu sehen. Zu dieser Ausstellung gibt es auch<br />

einen ausführlichen Katalog, der im Feinkostgeschäft ausliegt.<br />

Die Künstlerin ist 1952 in Thessaloniki geboren, hat in der Kunstakademie in<br />

Athen studiert und ihre Werke waren schon oft zu sehen, so z. B. in der Galerie<br />

"Kochlias" in Thessaloniki, auch in Athen und außerhalb Griechenlands.<br />

Türkisch-griechische Filmtage<br />

In der Cinemathek Köln fanden in der Zeit vom 1. - 18. Juni <strong>1989</strong> türkischgriechische<br />

Filmtage statt.<br />

Initiiert und organisiert wurde diese Veranstaltung unter Mitwirkung unserer<br />

<strong>POP</strong> von der türkisch-griechischen Freundschaftsinitiative, die im Mai 1987<br />

nach dem Vorbild der bereits in der Türkei und Griechenland existierenden<br />

Freundschaftsinitiativen gegründet worden war. Gezeigt wurden Filme der<br />

griechischen Regisseure Theo Angelopoulos, Nikos Perakis und Pandelis<br />

Voulgaris, durch die ein Überblick über Leben, Menschen und Politik in<br />

Griechenland von 1949 an, dem Ende des Bürgerkrieges, über die Juntazeit<br />

bis heute geboten wurde. Das Spektrum der Filme reichte hierbei von der<br />

Tragödie bis hin zur Satire. Von den türkischen Regisseuren, die durch ihre<br />

Arbeiten vorgestellt wurden, beschäftigten sich hauptsächlich Yilmaz Güney,<br />

Omer Kavur und Zülfü Livaneli mit Politik, Leben und Tradition in der Türkei,<br />

während darüber hinaus Serif Gören und besonders Tevfik Baser sich mit<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

der speziellen Problematik der in der BRD lebenden Türken befaßt hatten.<br />

Beide Regisseure waren auch nach Köln gekommen, um in der Cinemathek<br />

mit dem Publikum über ihre Arbeit zu diskutieren.<br />

Somit wurde nicht nur den bundesdeutschen Kinobesuchern die Gelegenheit<br />

gegeben, sich besser über beide Länder zu informieren, sondern es war vor<br />

allem auch für hier lebende Türken und Griechen eine Möglichkeit, Alltag<br />

und Kultur des jeweiligen Nachbarlandes besser kennen und auch verstehen<br />

zu lernen.<br />

Michael Mrozek<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Zwei Neuerscheinungenaus dem Verlag Romiosini<br />

Jannis Ritsos Monochorde<br />

Übertragen von Asteris Kutulas<br />

Erschienen <strong>1989</strong>, DM 16,80<br />

Pünktlich zum 80. Geburtstag von Jannis Ritsos, neben Seferis und Elytis einer<br />

der größten zeitgenössischen Dichter Griechenlands, wurde in der Übersetzung<br />

von Asteris Kutulas über den Verlag Romiosini in Köln ein Bändchen<br />

herausgegeben, das diesmal kein episches Werk wie den "Epitaphios"<br />

oder "Griechentum" vorstellt, sondern eher wie japanische Haikus anmutende<br />

Kurzgedichte, die knappe Aussagen eines ungemein lebenserfahrenen und<br />

weisen Mannes sind - Jannis Ritsos schrieb seine ersten mit 70 Jahren. Laut<br />

dem Übersetzer A. Kutulas, der sich eingehend mit Ritsos1 Werk befaßt hat,<br />

basieren sie auf dem Leben des Dichters und der griechischen Geschichte.<br />

Ritsos schon 1962 in einem Essay: "Den flüchtigen Augenblick anhalten und<br />

dessen Beschaffenheit blitzartig erhellen" - etwas, was auch Charakteristikum<br />

japanischer Haikudichtung ist. Die 336 vorgestellten "Monochorde"<br />

erlauben kein schnelles überfliegen seitens des Lesers, es ist schon Einfühlungsvermögen<br />

gefordert; wer schon einiges an eigener lang- jähriger Lebenserfahrung<br />

besitzt, wird auch "Eigenes" in ihnen finden. "Erst das Leben<br />

- nicht der Gedanke - gibt dir das Recht zu sprechen". Die Grafiken von Gottfried<br />

Bräunung bilden zu den "Ein-Klängen" eine harmonische Ergänzung.<br />

Saloniki erzählt<br />

Niki Eideneier/ Periklis Sfyridis (Hrsg.)<br />

Noch im Druck, wird daher ausführlich<br />

im nächsten Heft besprochen<br />

Eine Anthologie von Erzählungen zeitgenössischer Schriftsteller aus "Griechenlands<br />

heimlicher Hauptstadt" Thessaloniki, Partnerstadt von Köln.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

NEUES AUS DER KULTURSZENE IN GRIECHENLAND<br />

Statuen fühlen sich einsam<br />

Für die alten Griechen bedeutete das Museum ein heiliger Tempel der Musen,<br />

die ihre schützende Hand über Dichtung, Musik und über die schönen Künste<br />

allgemein hielten. Für den heute lebenden Griechen dagegen bedeuten sie oft<br />

lediglich eine Anhäufung von Kunstgegenständen als Erinnerung; es ist der<br />

letzte Platz, dem er einen Teil seiner kostbaren Zeit zuwenden würde.<br />

In einem Land, das vor Museen und antiken Kultstätten überquillt, machen<br />

die Griechen nur einen kleinen Teil der Besucher innerhalb des Touristenstroms<br />

aus. Auch daß laut eines Regierungsbeschlusses die Landesbewohner<br />

freien Eintritt haben, hat daran nichts geändert.<br />

So besuchten z. B. gemäß den Angaben des Nationalen Statistischen Dienstes<br />

Griechenlands ( Ethniki Statistiki Ipiresia Elladas) im Juli 1988 die Akropolis<br />

ca. 200000 fremde Touristen, dagegen aber nur knappe 2000 Griechen.<br />

Auch in Epidaurus, Mykene und Knossos sah das Bild nicht besser aus. Es<br />

wird sogar vermutet, daß die Zahl der griechischen Besucher noch kleiner<br />

ist, bedenkt man, daß die Museumswärter es beim Kartenverkauf mitunter<br />

bei Fremden und Griechen nicht so genau nehmen. Der Grund für die geringe<br />

griechische Besucherzahl ist in folgendem zu suchen: Wenige elementare<br />

Hinweise bei der Bürgererziehung auf den Wert eines Museums und auch organisatorische<br />

Mängel, wie z. B. das Fehlen von Toiletten und auch Streiks<br />

seitens des Personals. Auch Fremdenführungen fehlen. Lobenswerte Ausnahme:<br />

Die Stadt Athen, die jeden Sonntag kostenlose Fremdenführungen<br />

organisiert.<br />

Abhilfe gegen das griechische Desinteresse ist nur zu erreichen, wenn die<br />

sozialen und kulturellen Strukturen geändert werden, und wenn bezüg- lich<br />

der Museen mehr Wert auf Bildungsfunktion als auf "Bewahren der Ausstellungsstücke"<br />

gelegt wird. (Aus "to vima" vom 22. Januar <strong>1989</strong>)<br />

Holzschnitte als Waffe des Widerstands<br />

Am 22. März wurde in der Nationalbank aus Anlaß des vierten Todestages<br />

von Spiros Vassiliu eine Ausstellung eröffnet. Gezeigt wurden Holzschnitte,<br />

politische Handschriften, Holzschnitzereien und Illustrationen des Künstlers,<br />

die hauptsächlich in der Zeit der deutschen Besatzung entstanden waren,<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

als der Mangel an Leinwand und Farben viele Maler dazu zwang, sich dem<br />

Holzschnitt zuzuwenden, wenn sie als Künstler überleben wollten.<br />

In puncto Holzschnitt Autodidakt, nahm Spiros Vassiliu sich D. Galanis zum<br />

Vorbild. Wie dieser arbeitete er mit "verwischten" Linien, die ihm eine nahtlose<br />

Abstufung von Schwarz in Grau ohne störende harte Umrisse ermöglichten<br />

und seinen Arbeiten so ihre ungewöhnliche Plastizität verliehen.<br />

In seinen Holzschnitten zu Romanen, Erzählungen, Volksliedern und Gedichten<br />

bekannter griechischer Dichter stellte Vassiliu hauptsächlich den<br />

Freiheitskampf des griechischen Volkes dar. In vielen Werken verarbeitete<br />

er auch die Erfahrungen, die er an der Front gemacht hatte. Zwischen Jan.<br />

1942 und Dez. 1943 veröffentlichte Vassiliu einen Teil seiner Werke in der<br />

"Neuen Heimat" (nea estia). Andere konnten nur im Untergrund gedruckt und<br />

insgeheim verbreitet werden. Unter der Hand zirkulierten auch Doppelseiten,<br />

die von Hand geschrieben und mit einer schwarz-weißen oder farbigen Illustration<br />

versehen waren. So wurden seihe Holzschnitte zu einer Waffe des<br />

Widerstands»<br />

Auch nach dem Kriege wählte Spiros Vassiliu hauptsächlich patriotische<br />

Themen, die in den 50er und 60er Jahren jeweils zum Nationalfeiertag in<br />

der Zeitung "Freiheit" (elefteria) veröffentlicht wurden. (Aus "to vima" vom<br />

25. - 26. März <strong>1989</strong>)<br />

Aus dem Griechischen zusammengefaßt von Isa Hemmert<br />

Der "andere" Mikis<br />

Am 20. Mai hatte Mikis Theodorakis in Paris eine große Tournee gestartet,<br />

auf der er sich von einer Seite zeigte, die in Griechenland noch wenig bekannt<br />

ist: als Komponist symphonischer Musik.<br />

Theodorakis, der immer noch häufig mit seinen Liedern des Widerstands gegen<br />

die Militärdiktatur identifiziert wird, beschritt erstmals 1979 mit seiner 1.<br />

Symphonie neue musikalische Wege.<br />

Ein Doppelalbum mit seiner 3. Symphonie kam 1983 heraus; es wurde mit<br />

dem Chor und dem Orchester des Rundfunks im Ostteil Berlins aufgenommen.<br />

In diesem Werk verarbeitete Theodorakis alle Musikrichtungen, die<br />

ihn beeinflußt haben, von byzantinischer Kirchenmusik bis hin zu Mahler.<br />

Gleichfalls als Doppelalbum und mit deutschen Musikern erschien das Oratorium<br />

"Gegen die Sadduzäer" (kata saddukäon) nach einem Gedicht von M.<br />

Katsaru, in dem der Komponist bewies, daß er seine melodische Gestaltungskraft<br />

auch in strenger Form zum Ausdruck bringen kann.<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

1983 fand in Dresden die Uraufführung der Messe "Für die im Krieg getöteten<br />

Kinder" statt, die auf einem Gedicht von Tassos Livaditis basiert. Sie<br />

wurde 1987 bei "Julianos" eingespielt, einer von Theodorakis gegründeten<br />

Plattenfirma.<br />

1984 wurde in Paris seine 7. Symphonie mit dem Moskauer Philharmonischen<br />

Orchester und dem Lettischen Akademischen Chor uraufgeführt. Die<br />

Aufnahme der französischen Plattenfinna "Le Chant du Monde" fand auch<br />

in Griechenland Verbreitung.<br />

Im Mittelpunkt seiner letzten Tournee stand seine 4. Symphonie, die er 1987<br />

als Auftragswerk der Athener Hochschule aus Anlaß ihres 150jährigen Bestehens<br />

schrieb. Das 60minütige Werk, das bei "Julianos" eingespielt wurde,<br />

basiert auf den "Eumeniden" von Aischylos und den "Phönizierinnen" von<br />

Euripides.<br />

Die Tournee endete am 15. Juni in Anser/Frankreich. (Aus "to vima" vom 14.<br />

Mai <strong>1989</strong>)<br />

Aus dem Griechischen zusammengefaßt von Isa Hemmert<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

FÜR FEINSCMECKER<br />

Fleisch mit Quitten<br />

Zunächst die Zutaten:<br />

1.1/2 kg Fleisch von der Lammschulter 1 kg Quitten<br />

4 reife mittelgroße Tomaten<br />

1 Löffel Tomatenmark 3 Löffel Margarine<br />

2 geriebene Zwiebeln 1 Teelöffel Zucker<br />

1 Zimtstange (nach Belieben) Salz, etwas Pfeffer<br />

Wir schneiden das Fleisch in normale Portionen, waschen es und lassen es<br />

auf einem Sieb abtropfen. Dann pfeffern und salzen wir das Fleisch und<br />

braten es in einem Topf mit der Margarine und den Zwiebeln. Wir geben<br />

die passierten Tomaten und das in Wasser gelöste Tomatenmark und - falls<br />

erwünscht - den Zimt hinzu und lassen alles kochen. In der Zwischenzeit<br />

waschen wir die Quitten und schneiden sie in längliche Scheiben, also eine<br />

Quitte in fünf Scheiben, ohne sie zu schälen. Wir entfernen nur die Kerne und<br />

das harte Herz.<br />

Wir nehmen das Fleisch aus dem Topf und legen die Quitten in die Brühe,<br />

damit sie einmal aufkochen, dann legen wir das Fleisch wieder darüber und<br />

lassen alles auf kleiner Flamme kochen, ohne umzurühren. Ab und zu schütteln<br />

wir den Topf. Falls notwendig, geben wir ein wenig warmes Wasser hinzu.<br />

Zum Schluß fügen wir den Zucker zu. Es soll nur wenig Flüssigkeit bei<br />

der Speise zurückbleiben.<br />

Navsika Pavlopulu Athen<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

Die ΠΟΠ (Politistiki Omada Protovulias)<br />

oder <strong>Initiativgruppe</strong> für griechische Kultur in der Bundesrepublik hat folgendes<br />

auf ihrem Programm stehen:<br />

• Vorträge zu Themen der zeitgenössischen griechischen Geschichte, Literatur<br />

und allgemein zur Kultur des modernen Griechenlands in deutscher<br />

und griechischer Sprache<br />

• Informationsveranstaltungen zu Themen der 2. und 3. Generation von<br />

Griechen in der Bundesrepublik Deutschland<br />

• Theateraufführungen griechischer Theatergruppen auf griechisch und<br />

deutscher Theatergruppen auf deutsch mit zeitgenössischen Stücken in<br />

deutscher Übersetzung<br />

• Dichterlesungen mit griechischen Schriftstellern<br />

• Zeitgenössisches griechisches Filmschaffen<br />

• Konzerte mit griechischen Künstlern<br />

• Griechisches Schattenspiel<br />

• Präsentierung griechische und deutsche Künstler Kleinere und größere<br />

deutsch-griechische Feste<br />

Also: Initiativen in allen Sparten der neugriechischen Kultur.<br />

Die Geschäftsstelle der ΠΟΠ: Jürgen Rompf, Bachstelzenweg 1, 50829 Köln<br />

Tel. +49 (221) 789 409 60, Mail: juergen.rompf@pop-griechischekultur.de<br />

Bankverbindung: Deutsche Bank · 40670 Meerbusch · Kto<strong>Nr</strong>. 9854191 BLZ<br />

300 700 24<br />

Wer also Lust hat, mitzumachen, kann die folgende Beitrittserklärung abtrennen<br />

und an die Geschäftsstelle schicken.<br />

Jahresbeitrag: Einzel 26,- €, Paare 38,- €, Schüler/innen, Studierende, Auszubildende<br />

ALG II. Empfänger 15,- €<br />

Beitrittserklärung (Fassung 2013)<br />

Ich erkläre hiermit meinen Beitritt zur <strong>Initiativgruppe</strong> Griechische Kultur in der<br />

Bundesrepublik Deutschland - <strong>POP</strong><br />

Name:...........................................................................................................<br />

Vorname: ........................................................geboren:...............................<br />

Anschrift: .....................................................................................................<br />

Ort, Datum: ..................................................................................................<br />

Unterschrift: .............................................................<br />

Internet: Mitglied werden<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

ZU BEGINN<br />

Liebe Mitglieder der <strong>POP</strong>, liebe Freunde Griechenlands!<br />

Die Redaktion hofft, daß Sie alle gesund und wohlbehalten aus dem verdienten<br />

Sommerurlaub zurückgekehrt sind, und wünscht denen, die ihre Urlaubsreise<br />

noch vor sich haben, erholsame und erlebnisreiche Tage.<br />

In diesem Jahr, im September, findet „Neograeca Constantinopolitana“, eine<br />

wissenschaftliche Exkursion nach Istanbul unter der Obhut von Hans Eideneier<br />

statt, auf den Spuren byzantinisch-griechischer Vergangenheit. Die geistigen<br />

Früchte dieser Exkursion werden dann auch im nächsten Polyptychon<br />

zu kosten sein; als Vorgeschmack dienen die beiden Erzählungen auf Seite<br />

19 und 27. Zum Gedicht „Satori“ von Manolis Pratikakis auf Seite 7 weist<br />

die Redaktion darauf hin, daß der Terminus „Satori“ aus dem japanischen<br />

Buddhismus kommt und Erleuchtung bedeutet. Mit Sicherheit hat der Autor<br />

bei Verfassung des Gedichtes die altchinesische Zengeschichte „Der Ochs<br />

und sein Hirte“ im Sinn gehabt, wo der angehende Buddhist anhand von zehn<br />

Ochsenbildern zu eben diesem Satori geführt werden soll. Der Ochs ist hierbei<br />

Symbol des ursprünglichen, ichlosen Selbst, das vom noch ichverhafteten<br />

Buddhajünger aufgespürt werden soll. Miranda Ioannidu-Vosnaki ist eine<br />

einfühlsame, gefühlsbetonte, mitunter zart träumerische Dichterin, sie wird<br />

bei vielen von uns Herz und Seele berühren. Manch einer, der sich eingehend<br />

mit dem heutigen Griechenland beschäftigt hat und auch die neugriechische<br />

Sprache spricht, hat sich bestimmt Gedanken gemacht über die Volksliedvarianten<br />

„laiko“ und „dimotiko tragudi“ und ist dabei zu keinem befriedigenden<br />

Ergebnis gekommen. Der Artikel aus der griechischen Tageszeitung „TO<br />

ΒΗΜΑ“ auf Seite 13 und der Abschnitt aus einem Aufsatz Armin Ker¬kers<br />

mögen dem Leser dabei eine gewisse Hilfe geben, allerdings habe ich den<br />

Eindruck bekommen, daß beide Termini im Zeitungsartikel ineinander überfließen,<br />

also die Grenzen zwischen „laiko“ und „dimotiko“ hier nicht genau<br />

abgesteckt sind.<br />

„Das griechische Temperament“ von Freddy Germanos, das noch zu Lebzeiten<br />

von Onassis verfaßt wurde, beleuchtet die sogenannte „laiki mussiki“ auf<br />

humorvolle kritische Art von einer ganz anderen Seite.<br />

Die Übersetzung der Gedichte von Nikos Alexis Aslanoglu war mir ein<br />

persönli¬ches Bedürfnis, sie stammen aus seinem Gedichtband „Schwerer<br />

Tod“ (diskolos thanatos). Es war das erste neugriechische Buch, das ich, da-<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

mals 16 Jahre alt, 1956 in meinen Händen hielt, ein Geschenk des ersten<br />

Griechen, den ich kennengelernt habe. Er war auch der Autor des Gedichtbands,<br />

der heute bekannte Dichter Nikos Alexis Aslanoglu. Aufgrund der<br />

Lektüre von Werner Hellwigs „Raubfischer in Hellas“ hatte ich mich schon<br />

damals für die heutige Sprache Griechenlands interessiert und bei dem Leiter<br />

einer in der Nähe meines damaligen Wohnorts befindlichen Jugendherberge<br />

nachgefragt, ob nicht auch Griechen bei ihm übernachten würden, wenn ja,<br />

dann sollte er doch bitte einmal einen bei mir vorbeischicken. Eines Tages<br />

stand dann auch jemand vor der Tür und sagte: „Ich bin Grieche.“ Ich weiß<br />

heute noch genau, was ich antwortete: „Lege ellinika.“ Es hätte natürlich<br />

heißen müssen: „Mi 1 a ellinika.“ Nikos Alexis brach in herzliches Gelächter<br />

aus, an den folgenden Tagen seines Aufenthaltes verständigten wir uns in<br />

dem damals noch für mich leichteren Englisch. Wir sprachen viel über den<br />

Unterschied zwischen Alt- und Neugriechisch - we have ten „i“ - und er<br />

interessierte sich sehr für die Arbeit meines Vaters, der Bildhauer war. Zum<br />

Abschieds essen gab es dann noch einen von mir geangelten Hecht. Zu Weihnachten<br />

schickte er mir die deutsche Ausgabe von „Alexis Sorbas“, damit ich<br />

Griechenland kennenlerne - ston agapimeno mu Jens Beucker, ja na gnorisi<br />

tin Ellada. Dann wurde der Briefwechsel spärlicher, und wir haben nichts<br />

mehr voneinander gehört Nun, ich habe seinen Namen in „Thessaloniki - Bilder<br />

einer Stadt“ (siehe Bücher schau) wiedergefunden; das hat mich berührt<br />

und zur Übersetzung motiviert. Das Essay meines Freundes Costas Gianacacos<br />

über den Dichter Kostas Karyotakis, abgedruckt mit seiner Erlaubnis aus<br />

der Literaturzeitschrift „Sirene“, wird für jeden Liebhaber neugriechischer<br />

Poesie eine wesentliche Bereicherung seiner Kenntnisse sein. Auch auf der<br />

griechischen Seite steht ein Gedicht von Kostas Karyotakis.<br />

Zum Schluß möchte ich mich noch herzlich bei Nelly Weber und Hans Eideneier<br />

für Durchsicht und Korrektur, sowie bei Rolf Schiel für die zur Verfügung<br />

gestellten Zeichnungen bedanken.<br />

Köln, im August 1992 Jens Beucker<br />

Anschrift der Redaktion: Jens Beucker Subbelratherstr. 129 5000 Köln 30,<br />

Tel.: 0221-515983<br />

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<strong>POLYPTYCHON</strong> <strong>Nr</strong>. 6 - <strong>1989</strong><br />

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