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Im rechten Lot

FREIZEIT & PRAXIS Ausrüstung – Sattel

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20<br />

FREIZEIT & PRAXIS<br />

Ausrüstung<br />

Sattelanfertigung ist ein Handwerk,<br />

das Können und Materialwissen erfordert.<br />

Damit der Sattel aber wirklich passt,<br />

muss die Anatomie des Pferdes,<br />

sein Trainingszustand und die korrekte<br />

Beurteilung des reiterlichen Könnens<br />

hinzukommen. Das weiß auch Karl Niedersüß<br />

von der gleichnamigen Manufaktur in Rohrbach.<br />

pferderevue 10 | 2012


<strong>Im</strong> <strong>rechten</strong> <strong>Lot</strong><br />

Was Wanderschuhe mit dem richtigen Sattel zu tun haben, wieso der gute Reiter<br />

meist kein Sattelproblem hat und warum ein Sattel zum Sündenbock werden kann,<br />

erzählen uns Spezialisten und Sattlermeister – und zwar die besten ihres Faches.<br />

Ausrüstung<br />

FREIZEIT & PRAXIS<br />

21<br />

FOTO: FA. KARL NIEDERSÜSS<br />

Es muss wohl irgendwann zwischen<br />

1871 und 1888 gewesen sein, als der<br />

deutsche Kronprinz und spätere Kaiser<br />

Friedrich III. nach England reiste. Von<br />

dort brachte er stolz seine Neuerwerbung,<br />

einen original englischen Sattel, heim nach<br />

Potsdam. Diesen legte er dem Hofsattlermeister<br />

Voigt vor. Genau so wünsche er<br />

sich künftig seine Sättel, lautete der allerhöchste<br />

Auftrag an den Sattler. Der aber<br />

hatte schon so eine Ahnung, was sich unter<br />

dem Leder verbergen mochte. Er fragte<br />

den Kronprinzen, ob er denn den Sattel<br />

genau untersuchen dürfe, öffnete vorsichtig<br />

eine Naht und zeigte lächelnd auf das<br />

Schildchen am Sattelbaum. „Voigt, Hofsattlermeister,<br />

Potsdam“ stand da drauf.<br />

Diese Anekdote findet sich in Carl Gustav<br />

Wrangels Standardwerk „Buch vom<br />

Pferde” (Stuttgart, 1927). Wir lernen daraus:<br />

Auch Sättel unterliegen Trends und<br />

Moden – und oft ist das vermeintlich Neue<br />

gar nicht so neu und anders.<br />

Entwicklungen & Trends<br />

Weit vor Christi Geburt schon setzten<br />

die Menschen Reitunterlagen und Gurte<br />

zu deren Befestigung ein. Die Kelten galoppierten<br />

bereits auf flachen Bocksätteln.<br />

Und die Entwicklung des ersten Sattelbaums<br />

fällt ziemlich exakt mit dem Beginn<br />

unserer Zeitrechnung zusammen: Das iranische<br />

Nomadenvolk der Sarmaten führte<br />

ihn ein, um im Kampf besseren Halt und<br />

damit mehr Sicherheit zu erreichen.<br />

So lange es den Sattel bereits gibt, so<br />

lange ist er auch Ausdruck modischer Vorlieben<br />

und Trends. Er war reich verziertes<br />

Statussymbol ebenso wie zweckmäßiges<br />

Gebrauchsutensil. Seine vorrangige Aufgabe<br />

aber ist, den Reiter ins rechte <strong>Lot</strong> zu setzen.<br />

Der Sattel muss die Kommunikation<br />

zwischen Reiter und Pferd (be)fördern und<br />

soll durch eine bessere Verteilung der auf<br />

das Pferd einwirkenden Kräfte Verschleißerscheinungen<br />

minimieren.<br />

Seit der Militär- und Bocksattel mehr<br />

und mehr vom Pritschsattel verdrängt<br />

wurde, hat sich der Sattel optisch und sitztechnisch<br />

den Bedürfnissen des Reiters<br />

bzw. der Reiterin (ja, es gibt sogar spezielle<br />

Damenmodelle) angepasst. Diente der<br />

Bocksattel noch im stunden-, oft tagelangen<br />

Arbeitseinsatz, so kommt der moderne<br />

Pritschsattel im kurzzeitigen sportlichen<br />

Training zum Einsatz.<br />

Um den Aufbau eines Sattels zu verstehen,<br />

reicht jenes Basiswissen, das sich der/<br />

die ReiterIn vor jeder Reiterpassprüfung<br />

aneignet: Die sogenannten Bocksättel bestanden<br />

zunächst aus einem Holm auf jeder<br />

Pferdeseite. Zur Stabilisierung kamen Riemen<br />

zum Einsatz. Als das Pferd vom reinen<br />

Lasttier zum Reittier wurde, sorgten Felle<br />

und Polster für einen bequemen Sitz. Die<br />

Entwicklung des Sattelbaums gab dem Reiter<br />

mehr Halt und Sicherheit. Der Pritschsattel<br />

verfügt über einen Sattelbaum in der<br />

Mitte und verzichtet auf beidseitige Holme.<br />

Er soll vier Anforderungen erfüllen: die<br />

Schonung des Pferdes, die Ermöglichung<br />

fein dosierter Hilfengebung, Sicherheit<br />

und Komfort. Zur wesentlichen Ausstattung<br />

des Sattels gehören dessen Pauschen<br />

und der Gurt. Die Pauschen geben dem<br />

Reiterbein Halt und Sicherheit. Sie sollen<br />

vor dem Bein liegen und kein klemmendes<br />

Knie oder eine Überstreckung des Beins<br />

verursachen. Eine korrekte Sitzformung ist<br />

allein mit den Pauschen nicht möglich.<br />

Der Sattelgurt liegt in der tierindividuellen<br />

Gurtlage über dem breitesten Bereich<br />

des Rippenbogens. Senkrechter Zug gewährleistet,<br />

dass der Sattel nicht nach vorne<br />

oder hinten verrutscht. Eine mäßig feste<br />

Gurtung vermeidet unnötigen Druck, ein<br />

rutschender Sattel kann auch durch eine<br />

noch so feste Vergurtung nicht fixiert werden.<br />

Bei Kurzgurten muss darauf geachtet<br />

werden, dass die Verschnallung oberhalb<br />

des Ellenbogens liegt und dieser nicht in<br />

der Bewegung an die Schnallen stößt, da<br />

dies dem Pferd erhebliche Schmerzen bereitet.<br />

Passform & Beweglichkeit<br />

Jedes Pferd hat einen anderen Körperbau.<br />

Und jede/r ReiterIn unterscheidet sich von<br />

der anderen. Der Sattel zwischen beiden<br />

sollte im optimalen Fall (welcher der Regelfall<br />

sein sollte) beiden Parteien passen<br />

und daher stets vom Experten angepasst<br />

werden. Dazu gehört die Exterieurbeurteilung<br />

wie auch die Überprüfung von Futter-<br />

und Trainingszustand. Gegebenenfalls<br />

wird das Pferd vermessen.<br />

Die Beurteilung, ob ein Sattel passt,<br />

erfolgt in vier Schritten: im Stehen ohne<br />

Gurt, im Stehen mit Gurt, mit dem Reiter<br />

ohne Gurt und mit dem Reiter in der Bewegung.<br />

Das Gefühl des Reiters ist ebenso<br />

wichtig wie der Blick des Fachmanns von<br />

unten.<br />

Messungen ergaben, dass für das Pferd<br />

die Verteilung der Druckspitzen maßgeblich<br />

vom Sitz des Reiters abhängig ist. Zudem<br />

soll sich der Sattel bewegen können<br />

und nicht wie ein Korsett den Rücken umklammern.<br />

Die Kammerweite muss immer<br />

passen, da sich die Druckspitzen sonst in<br />

den vorderen Bereich verlagern – was<br />

umso massiver auf den Pferderücken wirkt,<br />

als auch das Gewicht des Reiters zu zwei<br />

Dritteln auf der vorderen Hälfte des Sattels<br />

liegt. Es ist also ganz im Sinne des Pferdes,<br />

wenn der Reiter oder die Reiterin gut in<br />

seinen Sattel passt. Denn je besser der Reiter<br />

sitzt, je besser er mit der Bewegung des<br />

Pferdes mitschwingen kann, desto komfortabler<br />

und losgelassener ist die Situation<br />

für das Pferd. Der gute Reiter kann den<br />

Druck eines geringfügig unpassenden Sattels<br />

kompensieren. Ein nicht ausbalancierter<br />

Reiter kann aber trotz eines passenden<br />

Sattels dem Pferderücken schaden.<br />

Für eine präzise Hilfengebung ist es essentiell,<br />

dass der Reiter in der richtigen Position<br />

sitzt und nicht in einen Stuhl- oder<br />

Spaltsitz geschoben wird. Mit einem gefestigten<br />

Sitz, der nicht starr sein darf, ist<br />

der Reiter in der Lage, mit feinen Hilfen<br />

einzuwirken. Die Sportwissenschafterin<br />

Dr. Christine Heipertz-Hengst ermittelte<br />

in Messungen, dass der Spielraum des Reiters<br />

im Sattel mindestens sechs Zentimeter<br />

nach allen Seiten betragen soll. „Reiten ist<br />

etwas Dynamisches. Es kann daher nicht<br />

Sinn des Sattels sein, den Reiter in einer<br />

bestimmten Position zu fixieren“, so Heipertz-Hengst.<br />

So weit, so gut – passt der Sattel Pferd<br />

und Reiter, steht die nächste Erkenntnis an:<br />

Der Sattel ist immer nur so gut wie der, der<br />

darauf sitzt. Das mag auch mit ein Grund<br />

dafür sein, dass es unter Profireitern durchaus<br />

üblich ist, ein und denselben Sattel auf<br />

verschiedene Pferde zu schnallen. Ideal<br />

wäre dennoch ein eigener Sattel für jedes<br />

Pferd.<br />

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10 | 2012 pferderevue


22<br />

FREIZEIT & PRAXIS<br />

Ausrüstung<br />

FOTOS: ALEKSANDRA PAWLOFF<br />

Der tiefste Punkt des Sattels sollte mit<br />

dem tiefsten Punkt des Pferderückens<br />

übereinstimmen (o. li.). Zwischen<br />

Widerrist und und Sattelkammer sollten<br />

zwei bis drei Finger passen (u. li.).<br />

Der Sattel darf nirgendwo auf<br />

der Wirbelsäule aufliegen (u. re.).<br />

Michael Johann Spirig, Sattlermeister aus der Schweiz, fertigt Maßsättel<br />

und beliefert auch die Spanische Hofreitschule in Wien.<br />

Ausbildungsdefizite & Unwissen<br />

„Der Reiter muss locker in der Bewegung<br />

mitgehen und im Gleichgewicht sein, das<br />

Pferd soll im Rücken schwingen – und<br />

beide zusammen müssen als Team arbeiten“,<br />

erklärt der Schweizer Sattlermeister<br />

Michael Spirig. Selbst der passendste Sattel<br />

kann Rücken- und Rittigkeitsprobleme<br />

nicht verhindern, wenn Reiterkönnen<br />

und Trainingszustand des Pferdes Defizite<br />

aufweisen. Das hänge auch mit der Rücken-<br />

und Bauchmuskulatur zusammen,<br />

bekräftigt die Tierärztin und Osteopathin<br />

Dr. Ines Mayerhofer: Der Rückenmuskel<br />

bildet sich durch die natürliche Bewegung<br />

des Pferdes aus. Das geschieht sowohl mit<br />

wie auch ohne Reiter, was sehr schön in der<br />

freien Bewegung zu sehen sein sollte. Aber<br />

der Rückenmuskel ist nicht in der Lage,<br />

250 Kilogramm Gedärm samt Sattel und<br />

Reiter zu tragen. Diese tragende Funktion<br />

kommt dem Bauchmuskel zu, dessen Konstruktion<br />

man sich wie die einer Zugbrücke<br />

vorstellen kann.<br />

Typische Folge eines untrainierten<br />

Bauchmuskels etwa ist der Senkrücken bei<br />

außer Dienst gestellten oder alten Pferden.<br />

Schlimmstenfalls entstehen als Folge<br />

eines falschen, rückenbetonten Trainings<br />

die gefürchteten Kissing Spines (siehe PR<br />

7/2011). Motiviert man die Bauchmuskulatur<br />

dazu, sich anzuspannen, reagiert das<br />

Pferd unmittelbar mit einem Aufwölben<br />

des Rückens. „Den meisten Pferden passt<br />

ihr Sattel nicht, aber sehr vielen Pferden<br />

würde ihr Sattel besser passen, wenn die<br />

Bauchmuskulatur gut trainiert wird“, klärt<br />

die Tierärztin auf. Dies bestätigt auch Karl<br />

Niedersüß. „Rückenprobleme des Pferdes<br />

entstehen in den meisten Fällen durch<br />

schlechte Bauchmuskulatur. Die Ursache<br />

dafür ist beim Reiter zu suchen!“<br />

Wie aber nun die Bauchmuskulatur trainieren?<br />

Jeder gute Ausbilder weiß: wenn<br />

die Nase sich nach vorne unten bewegt,<br />

hebt sich der Rücken. Für die spätere Versammlung<br />

ist diese Basisarbeit somit unverzichtbarer<br />

Bestandteil des Trainings.<br />

Ein Wegdrücken des Rückens ist Gift für<br />

die Bauchmuskulatur. Hingegen kann sich<br />

auf einem schwingenden Pferderücken der<br />

Sattel gut mitbewegen. (Buchtipp: „Der<br />

passende Sattel“ von Beatrix Schulte-<br />

Wien)<br />

„Die Bewegung, das Training des Pferdes<br />

sind ausschlaggebend. Das korrekt trainierte<br />

Pferd und der ausbalancierte Reiter<br />

sind wichtig, dann kann ein passender Sattel<br />

nicht drücken“, so Karl Niedersüß. Und<br />

Rainer Thek, Österreichs einziger Sattelexperte<br />

mit FN-Qualifikation, bestätigt,<br />

dass ein passender Sattel mangelnde Ausbildung<br />

nicht wettmachen kann. Michael<br />

Spirig dazu: „Wer gut und geschmeidig<br />

sitzt, einen unabhängigen Sitz beherrscht<br />

und das Pferd nach klassischen Richtlinien<br />

auszubilden versteht, kann den Sattel des<br />

Pferdes sogar so weit beeinflussen, dass dieser<br />

sich der Körperform des Pferdes exakt<br />

anpasst.“<br />

Es ist in etwa so, als ob man einen Bergschuh<br />

eingeht. Wer ein Standardmodell in<br />

der passenden Größe kauft, hat nach einigen<br />

ausgedehnten Wanderungen einen<br />

„Maßschuh“ an seinem Fuß. Den Bergschuh<br />

bemüht auch Rainer Thek, er vergleicht<br />

den Tragekomfort eines Sattels<br />

samt Unterlage mit dem Gefühl von dicken<br />

oder dünnen Socken im passenden Wanderschuh.<br />

Der Sattel als Sündenbock<br />

Oft, zu oft schieben ReiterInnen, TrainerInnen,<br />

ja sogar TierärztInnen Bewegungsstörungen<br />

des Pferdes auf den vermeintlich<br />

unpassenden Sattel, den idealen<br />

Sündenbock. „Er passt nicht, weil er sich<br />

nicht wehren kann“, so Sattler Niedersüß.<br />

Tierärztin Mayerhofer sieht es als gegeben,<br />

dass man „Pferden helfen muss, indem man<br />

Reiter richtig ausbildet“. „Es gibt keinen<br />

besten Sattel, nur die beste Beratung“, ergänzt<br />

Rainer Thek.<br />

Günter Keglovits ist Sattler, Reiter und<br />

Ausbilder. Er vermisst eine gewisse Seriosität<br />

im Sattelverkauf. Manche Anbieter hätten<br />

keine Ahnung von der Anatomie eines<br />

Pferdes. Mobile Unternehmer, selbsternannte<br />

Experten und die unüberschaubare<br />

Vielfalt der Sättel verunsichern den<br />

Kunden. Dazu kommen Meinungen von<br />

Reitkollegen, Trainern und Tierärzten. Dabei<br />

würde es reichen, wenn diese schlicht<br />

erkennen, wenn ein Sattel tatsächlich nicht<br />

passt. Dazu braucht es Fachwissen.<br />

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pferderevue 10 | 2012


Rainer Thek, Sattelexperte mit FN-Ergänzungsqualifikation zur Sattelbeurteilung, ist österreichweit<br />

mit dem Sattelmobil unterwegs. Einen neuen Sattle gibt’s aber nur, wenn er auch wirklich passt.<br />

FOTO: RAINER THEK<br />

Tipps & Tricks<br />

Einfacher Sattelcheck<br />

ˆDen Sattel ohne Unterlage in korrekter Position auf den Pferderücken legen und normal<br />

gurten:<br />

ˆDer Sattel soll ausbalanciert und gleichmäßig auf dem Pferd aufliegen.<br />

ˆDer tiefste Punkt des Sattels soll über der tiefsten Stelle des Pferderückens sein.<br />

ˆDie Wirbelsäule des Pferdes soll genügend Freiraum haben.<br />

ˆNach dem Reiten darf sich das Fell unter dem Sattel nicht gegen den Strich verstrubbelt<br />

haben.<br />

ˆSchwitzt das Pferd, muss die Sattellage gleichmäßig feucht sein, der Wirbelkanal soll<br />

trocken bleiben.<br />

ˆFaustregel I: Zwischen Widerrist und Sattelkammer sollen mindestens zwei bis drei Finger<br />

passen, wenn der Reiter im Sattel sitzt.<br />

ˆFaustregel II: Der Sattel darf nirgends auf der Wirbelsäule aufliegen, man soll vom Widerrist<br />

nach hinten „durchschauen“ können.<br />

ˆFaustregel III: Um den tiefsten Punkt des Sattels zu überprüfen, legt man eine Gerte<br />

quer auf den Sattel und schaut, ob diese in die Mitte des Sattels rollt.<br />

ˆFaustregel IV: Der Steigbügel soll senkrecht unter dem korrekten Schwerpunkt hängen.<br />

Mögliche Anzeichen dafür, dass der Sattel nicht passt:<br />

ˆUnlust beim Satteln – Wegdrehen, Schnappen, Angst<br />

ˆSchmerz- und Druckempfindlichkeit im Bereich des Widerrists bzw. in der Sattellage<br />

ˆDas Pferd arbeitet unwillig<br />

ˆDas Pferd läuft dem Reiter „unter dem Hintern davon“.<br />

ˆDas Pferd verspannt sich im Rücken, drückt den Rücken weg.<br />

ˆZähneknirschen<br />

ˆDas Pferd schlägt mit dem Kopf.<br />

ˆDas Pferd schlägt mit dem Schweif oder hält ihn schief.<br />

ˆKlamme Gänge, Taktstörungen<br />

ˆLahmheit<br />

ˆVeränderungen in der Muskulatur, insbesondere der Rückenmuskulatur<br />

ˆWidersetzlichkeit (buckeln, durchgehen)<br />

10 | 2012 pferderevue


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FREIZEIT & PRAXIS<br />

Ausrüstung<br />

FOTOS: STÜBBEN<br />

FOTO: FA. KARL NIEDERSÜSS<br />

Mit der Polsterung kann man manches ausgleichen, einen schlechten reiterlichen Sitz allerdings nicht. So manche Innovation,<br />

die einen tieferen Sitz und eine bessere Schenkellage verspricht, ist bloße Augenauswischerei.<br />

Flexibel, verstellbar, baum- & ratlos<br />

Die Auswahl an Sätteln ist heute groß<br />

wie nie, immer wieder gibt es vielversprechende<br />

Alternativen zum herkömmlichen<br />

Sattel: Sie heißen Biomex, Easy-Change<br />

und Ultraflex, sie sind stufenlos verstellbar<br />

oder gar baumlos. Bei Deuber und Partner<br />

beispielsweise, einem Spezialisten für<br />

baumlose Sättel, finden sich allein in der<br />

Sparte Barocksättel 39 Modelle, weitere 16<br />

englische, und immerhin elf verschiedene<br />

Modelle sind es in der Sparte Freizeit/<br />

Distanz.<br />

Neben dem gänzlichen Verzicht auf<br />

einen Sattelbaum gibt es auch flexible<br />

Baumvarianten. Besonders im Freizeitsektor<br />

oder in Nischensportarten findet diese<br />

neue Sattelgeneration ihre Anhänger – und<br />

sorgt mitunter für Ratlosigkeit. Denn zwischen<br />

innovativer Weiterentwicklung und<br />

kurzlebiger Neuerfindungen verläuft oft<br />

nur ein schmaler Grat. Um etwa die Vorund<br />

Nachteile eines verstellbaren Sattelbaumes<br />

einzuschätzen, braucht man schon<br />

einiges an Expertise, wie Karl Niedersüß<br />

bestätigt. Er unterscheidet zwischen verschiedenen<br />

verstellbaren Sattelbäumen:<br />

jenen, die durch Erhitzen in Form gepresst<br />

werden und jenen, die sich schrauben<br />

lassen. Bei letzteren ist zu beachten,<br />

dass niemals ein Laie den Sattelbaum verändern<br />

sollte. Problematisch sind eventuell<br />

die Schraubstellen und Schrauben, die<br />

verloren gehen oder auch abbrechen können.<br />

„Alles, was kombinierbar ist, ist verwundbar.“<br />

Ein Baum, der aus einem Stück<br />

ist, hat weniger Schwachstellen.<br />

In Australien greifen Reiter gerne auf<br />

wechselbare Kopfeisen zurück. Karl Niedersüß,<br />

der sich weder Neuheiten verschließt<br />

noch davor scheut, Prototypen zu<br />

testen, verweist auf die Problematik dieser<br />

Modelle: Das Kopfeisen ist für die Stabilität<br />

des Sattels zuständig und soll sich dem<br />

Exterieur des Pferdes anpassen. <strong>Im</strong> Idealfall<br />

laufen die Kopfeisenschenkel parallel zu<br />

Trapezmuskel und Widerrist. Unpassende<br />

Kopfeisen können enormen Druck verursachen.<br />

Doch welcher ReiterIn erkennt,<br />

ob das Kopfeisen passt? Wer wechselt aus?<br />

Wer passt an?<br />

Die viel gelobten baumlosen Modelle<br />

verlangen einen erfahrenen Reitsportler.<br />

Wie beim flexiblen Baum gilt auch hier:<br />

Der nicht ausbalancierte Sitz belastet das<br />

Pferd übermäßig. Da die Druckspitzen immer<br />

unter dem Gesäß sind, sind baumlose<br />

Sättel lediglich zum kurzfristigen Einsatz<br />

gut geeignet. Der Sattelbaum ist insofern<br />

sinnvoll, als er Druckspitzen und <strong>Im</strong>balancen<br />

besser kompensiert.<br />

„Bewegliche Bäume und Luftkissen“,<br />

betont Karl Niedersüß, „sind für Laien<br />

und Amateure nicht geeignet, da sensible<br />

Pferde stark auf den nicht ausbalancierten<br />

Sitz reagieren“. Er bietet eine recht einfache<br />

Lösung an: die Polsterung ermöglicht<br />

bis zu drei Zentimeter Ausgleich. Auch die<br />

hohe Lehne mancher Dressurmodelle bezeichnet<br />

er als wenig zweckmäßig, da im<br />

hohen Sattel nicht der Sitz tiefer, sondern<br />

nur der Sattel höher ist. Niedersüß mahnt<br />

die Reiter und Reiterinnen an dieser Stelle<br />

noch einmal zu mehr Geduld und weniger<br />

Stübben, das Traditionshaus<br />

in Krefeld, produziert seit<br />

100 Jahren Sättel der<br />

gehobenen Klasse für jeden<br />

Einsatzbereich. Leistungssportler<br />

testen die Produkte<br />

und sind in die Entwicklung<br />

involviert.<br />

Selbstüberschätzung. Viele technischen Innovationen<br />

im Reitsport reduziert sich bei<br />

näherer Betrachtung auf rein optische Lösungen.<br />

Auch die immer wieder publizierten<br />

Messergebnisse sind durchaus kritisch<br />

zu betrachten. Zum einen sind sie manipulierbar,<br />

und zum anderen dienen sie rein<br />

wissenschaftlichen Zwecken. Die Praxis<br />

unter nicht standardisierten Bedingungen<br />

kommt häufig zu anderen Ergebnissen.<br />

Zubehör & Ausstattung<br />

Keineswegs soll beim Zubehör gespart<br />

werden. Steigbügelriemen und Gurt dienen<br />

der Sicherheit, Satteldecken und<br />

Schabracken, Gelpads und Lammfell dem<br />

Komfort des Pferdes. Ein Lammfell ist besonders<br />

im Haarwechsel sinnvoll, meint<br />

Niedersüß, da sich die ausgehenden Haare<br />

bisweilen aufstellen. Unerreicht ist die<br />

Eigenschaft echten Fells, auf natürliche<br />

Weise für einen Temperaturausgleich zu<br />

sorgen. Es leitet die Feuchtigkeit ab, was<br />

sich besonders im Sommer angenehm auf<br />

den Pferderücken auswirkt.<br />

„Vor Fehlern schützen“, ist das Anliegen<br />

der Experten. Aus gutem Grund: „Das<br />

Schöne am Reitsport ist, dass zwei grundverschiedene<br />

Lebewesen eine Sportart<br />

teilen“, schwärmt Günter Keglovits. Der<br />

Sattel ist dabei das verbindende Element<br />

– und wie jede Verbindung spiegelt er die<br />

Stärken, aber auch die Schwächen beider<br />

Partner. Darum: Wer bei Problemen den<br />

Schuldigen sucht, ist gut beraten, sich alle<br />

drei anzuschauen. Am meisten aber sich<br />

selbst.<br />

Andrea Kerssenbrock l<br />

pferderevue 10 | 2012


Sattellose, flexible Sättel haben<br />

Vor - und Nachteile und sind<br />

nach Meinung der Experten<br />

nur für erfahrene ReiterInnen<br />

mit einem ausbalancierten<br />

Sitz geeignet.<br />

FOTOS: DEUBER & PARTNER GMBH<br />

Rat & Tat<br />

Eine Auswahl von Sattlern und ExpertInnen, die bei Sattelauswahl<br />

und Sattelproblemen helfen können.<br />

ˆAnton Katzengruber, Kilb<br />

Die kleine, feine Manufaktur im niederösterreichischen Mostviertel<br />

produziert sehr verhalten, die derzeitige Wartefristen beträgt etwa<br />

drei bis vier Monate. Der Ein-Mann-Betrieb ist somit bis zum Jahresende<br />

ausgelastet. Anpassen nur im Dreieck Wien-Linz-Graz möglich.<br />

ˆKarl Niedersüß, Rohrbach<br />

Seit über 300 Jahren arbeitet der Sattlerbetrieb im Dienste des Pferdes.<br />

Das Team punktet mit Erfahrung, handwerklichem Können und einer<br />

gelebten Offenheit für Innovationen. Prototypen werden von Profis<br />

getestet. Niedersüß verkauft seine Produkte zu 95 % ins Ausland, besonders<br />

Deutschland, Niederlande, Australien, Neuseeland und Japan.<br />

www.kn.sattlerei.at<br />

ˆMichael Johann Spirig, St. Gallen<br />

Sattlermeisterbetrieb in der Schweiz seit über 100 Jahren, Produktion<br />

von Maßsätteln, offizieller Ausstatter der Spanischen Hofreitschule in<br />

Wien, Spirig Saddlery USA, Sattelmobil mit Werkstatt, Stallbesuch in<br />

Europa und USA nach Vereinbarung.<br />

www.spirigsattel.ch<br />

ˆGünter Keglovits, Gramatneusiedl<br />

Sattlermeister, Turnierreiter, Sponsor und offizieller Ansprechpartner<br />

für alle Fragen rund um die Ausrüstung für Reiter und Pferd des Kompetenzzentrums<br />

Pferd im Österreichischen Pferdesportverband.<br />

www.keglovits.co.at<br />

ˆRainer Thek, Baden<br />

Inhaber Reitsport Equi-Thek, Betriebswirt, eigene Werkstatt, staatlich<br />

geprüfter Reitinstruktor, Sponsor, Sattelexperte mit FN-Ergänzungsqualifikation<br />

zur Sattelbeurteilung. Österreichweit mit dem Sattelmobil<br />

unterwegs: Erstgespräch, Besuch im Reitstall, Anprobe, Analyse,<br />

Bestellung oder Kauf (nur, wenn ein passender Sattel verfügbar ist),<br />

Check up und Nachbetreuung.<br />

www.equi-thek.at<br />

ˆDr. Ines Mayerhofer, Orth an der Donau<br />

Pferdetierärztin, DIPO-Pferdeosteotherapeutin, aktive Reiterin. Praktiziert<br />

hauptsächlich in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Steiermark,<br />

andere Bundesländer auf Anfrage.<br />

www.pferdeosteotherapeut.at<br />

10 | 2012 pferderevue

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