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Pure Physik

Artikel Andrea von Kerssenbrock, erschienen in Pferderevue 3/2013 Mächtigkeitsspringprüfungen polarisieren wie kaum andere Bewerbe im Springsport und führen meist zu emotional geführten Diskussionen. Doch wie gesundheitsschädlich sind sie für das Pferd tatsächlich?

Artikel Andrea von Kerssenbrock, erschienen in Pferderevue 3/2013
Mächtigkeitsspringprüfungen polarisieren wie kaum andere Bewerbe im Springsport und führen meist zu emotional geführten Diskussionen. Doch wie gesundheitsschädlich sind sie für das Pferd tatsächlich?

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68 SPORT Mächtigkeitsspringen<br />

FOTO: WWW.ARND.NL<br />

Mächtigkeitsspringprüfungen sind einerseits Publikumsmagneten andererseits Stein des Anstoßes für Tierschützer – Sb-Springen waren schon oft Grund für heftige Diskussionen.<br />

<strong>Pure</strong> <strong>Physik</strong><br />

Mächtigkeitsspringprüfungen polarisieren wie kaum andere Bewerbe im Springsport und führen meist<br />

zu emotional geführten Diskussionen. Doch wie gesundheitsschädlich sind sie für das Pferd tatsächlich?<br />

Ihre Gegner formieren sich in Foren,<br />

Blogger berichten mit großer Lust von<br />

grässlichen Bildern und ebensolchen<br />

Stürzen, Tierschützer starten Unterschriftenaktionen<br />

– die Gesundheit des Tieres<br />

ist stets dann ein Argument, wenn wieder<br />

einmal Bilder spektakulärer Stürze durch<br />

die Medien geistern. Fraglos ist der Hang<br />

groß, das Interesse von LeserInnen bzw.<br />

ZuschauerInnen über Aufsehen erregende<br />

Aufnahmen zu wecken. Damit werden<br />

nolens volens GegnerInnen und BefürworterInnen<br />

auf den Plan gerufen. In Sachen<br />

Mächtigkeit sind es in der Regel die<br />

GegnerInnen, die sich posieren. Oft sind<br />

es sogar Bilder gelungener Sprünge, die<br />

für einen Aufschrei sorgen. In der Folge<br />

ziehen ungezählte Postings ihre Runden<br />

im weiten Netz der Pferdecommunity –<br />

und nicht nur dort. Leider findet die kritische<br />

Auseinandersetzung nur selten auf<br />

sachlicher Ebene statt. Und dennoch: die<br />

Mächtigkeitsprüfung, auch Puissance oder<br />

Sb-Prüfung, erfreute und erfreut sich großen<br />

Publikumsinteresses. Mehr noch, sie<br />

erlebte in den vergangenen Jahren ein wahres<br />

Revival.<br />

Dieser Trend wurde auch von Pferdesportveranstaltern<br />

nicht übersehen. Sponsoren<br />

schätzen spannende Bewerbe, ein wenig<br />

Nervenkitzel ist durchaus gewünscht. Und<br />

ganz ehrlich – haben Menschen nicht schon<br />

immer Spektakel und Rekorde gesucht? Ist<br />

es nicht auch eine Form von Voyeurismus,<br />

den die ZuschauerInnen hier bedient (bekommt)?<br />

Und glaubt wirklich jemand, dass<br />

Stürze oder Verletzungen von ReiterInnen<br />

billigend in Kauf genommen werden?<br />

Dr. Clemens Mahringer – Fachtierarzt für Pferde und<br />

FEI Tierarzt – relativiert die Überbelastung der Sb-Pferde.<br />

FOTO: PRIVAT<br />

pferderevue 3 | 2013


Josef Konlechner mit Lance Missile, Gesamtsieger der High Fly Tour 2012: „Zwingen kann man ein Pferd nicht.“<br />

FOTO: NINI SCHÄBEL<br />

Zumindest die letzte Frage lässt sich<br />

klar beantworten: Kein Reiter, keine<br />

Reiterin, kein Pferdebesitzer möchte<br />

seinem Pferd schaden. Jedes verletzte<br />

oder gar endgültig untaugliche Pferd<br />

ist für seinen Reiter ein tragischer Verlust.<br />

Denn neben jahrelanger Zusammenarbeit,<br />

gemeinsam erlebter Höhen<br />

und Tiefen und – natürlich – auch wirtschaftlicher<br />

Interessen ist die Reiter-<br />

Pferd-Beziehung eine zutiefst emotionale,<br />

die sogar das Publikum packt.<br />

Man denke hier nur an Publikumslieblinge<br />

wie E. T. oder Milton.<br />

Frei von Emotionen sieht hingegen<br />

Dr. Clemens Mahringer, Fachtierarzt<br />

FOTO: WWW.ARND.NL<br />

Mehr Sprünge, das höhere Tempo und enge Wendungen<br />

fordern die Pferde in normalen Springprüfungen.<br />

für Pferde und FEI Tierarzt, die Diskussion<br />

um Für und Wider der Mächtigkeit.<br />

Er benennt das Ausmaß der<br />

Belastungen kurz und prägnant: pure<br />

<strong>Physik</strong>. Denn letztlich ist es die Summe<br />

der Belastungen, die für ein Pferd<br />

bewältigbar sind – oder eben nicht. In<br />

herkömmlichen Springprüfungen werden<br />

die Pferde durch die an der Anzahl<br />

der Sprünge, dem höheren Tempo,<br />

den kniffligen Distanzen zwischen den<br />

Hindernissen und den engen Wendungen<br />

gefordert. Ferner beobachtet<br />

Mahringer, dass Parcoursbauer immer<br />

trickreicher wie auch technisch<br />

anspruchsvoller bauen. Fazit: Für das<br />

Pferd ist die Belastung in herkömmlichen<br />

Springprüfungen „mindestens<br />

indent“ mit jener in Sb-Prüfungen.<br />

Mut und Wille<br />

Klar ist für Mahringer auch, dass jedes<br />

Pferd nur in „mental bewältigbaren“<br />

Aufgaben eingesetzt werden kann. Insbesondere<br />

das Mächtigkeitspferd ist<br />

ein Spezialist, dessen besondere Fähigkeiten<br />

sich erst im Laufe der Zeit<br />

herauskristallisieren. Es braucht neben<br />

seinem Vermögen viel Mut. Was Josef<br />

„Sheriff“ Konlechner, der 2012 die<br />

Gesamtwertung der Mächtigkeitsserie<br />

High Fly Tour gewann, ausdrücklich<br />

betont. Sein sprunggewaltiger Schimmel<br />

Lance Missile hat alles, was ein<br />

Mächtigkeitspferd braucht. „Wenn der<br />

die Mauer sieht, gehen die Ohren vor.<br />

Der hat richtig Biss und will da drüber“,<br />

so Konlechner. „Zwingen kann<br />

man ein Pferd nicht, keine Chance“,<br />

betont der Top-Reiter aus Oberweiden.<br />

Seine Erfahrungen stützen sich auf<br />

jahrzehntelange Arbeit mit und Ausbildung<br />

von Pferden im Leistungssport.<br />

Lance Missile wird auf seine Aufgabe<br />

ideal vorbereitet. Die Höhe trainiert<br />

Konlechner nie mit ihm. Vielmehr<br />

<br />

3 | 2013 pferderevue


70 SPORT Mächtigkeitsspringen<br />

FOTO: W. ERNST<br />

Der Hochsprung bei einer Mächtigkeitsspringprüfung wird in sehr ruhigem Tempo angeritten –<br />

das Pferd kann sich gut auf die massiv wirkende Mauer konzentrieren und sie taxieren.<br />

Mächtigkeitsspezialist Big Charly (mit Roland Fischer,<br />

Wiener Stadthalle, 1990) war fit bis ins hohe Alter.<br />

FOTO: W. ERNST<br />

wird der Wallach gewissenhaft gymnastiziert,<br />

alle 14 Tage gesprungen und regelmäßig<br />

ausgeritten. Bei guten Bodenverhältnissen<br />

steht auch ein paar Stunden auf<br />

der Koppel nichts im Wege. Mit seinen<br />

14 Jahren ist „Springbombe“ Lance Missile<br />

pumperlg’sund und hat es besser getroffen,<br />

als so manches Freizeitpferd. Denn er darf<br />

tun, was er gut kann und was ihm obendrein<br />

Spaß macht.<br />

Fit bis ins hohe Alter<br />

Besonders Mächtigkeitspferde sind auffallend<br />

oft gegen 15 Jahre oder älter. Mit Lance<br />

Missile hatte Konlechner seinen ersten<br />

Grand-Prix-Sieg bereits in der Tasche, als<br />

dieser acht Jahre alt war, das Talent zur Puissance<br />

hat sich jedoch erst später herausgestellt.<br />

Immer wieder kristallisiert sich die<br />

enorme Sprungkraft über einzelne Hindernisse<br />

zufällig heraus. Doppelbegabungen<br />

kommen vor, sind aber eher selten.<br />

Ikarus vom oberösterreichischen Springreiter<br />

und -trainer Roland Fischer war so<br />

ein Doppeltalent. Fischer erinnert sich gerne<br />

an seinen Mächtigkeitscrack, der es auf<br />

über 20 Sb-Siege brachte, den letzten im<br />

stolzen Pferdealter von 19 Jahren. Daneben<br />

startete er bei zwei Europameisterschaften<br />

(Aachen und Hickstead) und wurde mit der<br />

Mannschaft Dritter bei den olympischen<br />

Ersatzspielen in Rotterdam. „Der war echt<br />

ein harter Hund“, und bekräftigt, „eine<br />

richtige Rossantur“. Nach seiner Zeit im<br />

internationalen Sport erlebte der Wallach<br />

seinen 33. Geburtstag bei bester Gesundheit<br />

bis er aufgrund von Orientierungsund<br />

Hilflosigkeit eingeschläfert werden<br />

musste. Rechnet man nach, ergeben das<br />

ebensoviele Koppel- wie Turnierjahre –<br />

und das ohne Sportverletzungen und organische<br />

Leiden.<br />

Auch Fischers zweiter Mächtigkeitsspezialist<br />

Big Charly absolvierte ebenso fit wie<br />

Stallgenosse Ikarus seine aktiven Jahre im<br />

Spitzensport. 18-jährig platzierte er sich<br />

als Lehrpferd mit einer jungen Reiterin im<br />

Freudenauer Derby. Für Roland Fischer<br />

ist dies nur logisch, denn er arbeitet seine<br />

Pferde wie Sportler. Sie haben keinen<br />

Stehtag, aber eine Winterpause. Daran<br />

halten die Fischers seit Jahren fest – „wie<br />

früher“, sagt der Familienvater, dessen<br />

Kinder mittlerweile ebenfalls erfolgreich<br />

im Sport reiten. Für ihn ist es das schönstes<br />

Gefühl, wenn die Pferde im Herbst top-fit<br />

sind. Wenn sie die Pause nicht brauchen,<br />

aber bekommen.<br />

Eine Frage der Konzentration<br />

Pferde im internationalen Spitzensport<br />

müssen konditionell und mental immer in<br />

Schuss sein. Egal, ob es sich um Dressur-,<br />

Vielseitigkeits- oder eben Springpferde<br />

handelt. Im Sb-Springen spielen zwei wesentliche<br />

Faktoren mit: die hohe Konzentration,<br />

mit der die Sprünge angeritten<br />

werden, und das herabgesetzte Tempo,<br />

das eine ideale Linie und einen perfekten<br />

Absprung erlaubt. Damit wird das Risiko<br />

eines Strauchelns oder gar Sturzes stark<br />

reduziert. Wenngleich die Dramatik eines<br />

Sturzes – nicht zuletzt aufgrund des geringen<br />

Tempos – ungleich höher erscheint<br />

als im „normalen“ Parcours, wo alles recht<br />

schnell geht.<br />

Zum Glück verlaufen Abgänge meist für<br />

beide glimpflich. FEI Tierarzt Mahringer<br />

kann sich jedenfalls an keine Mächtigkeitsprüfung<br />

erinnern, in der ein Pferd sich verletzt<br />

hat. Hingegen behandelt er laufend<br />

Verletzungen von Pferden aus verschiedenen<br />

anderen Disziplinen. Mahringer findet<br />

ohnedies den Profisport vielfach verantwortungsvoller<br />

als den Amateursport.<br />

BerufsreiterInnen riskieren für einen Mauersprung<br />

mitnichten die Gesundheit ihres<br />

Pferdes!<br />

pferderevue 3 | 2013


Geschichte der Mächtigkeitsprüfungen<br />

Schneller, höher, stärker<br />

… das galt auch schon immer für den Pferdesport –<br />

Hochsprungbewerbe mit Pferden haben eine weit über 100-jährige Geschichte.<br />

Schon die erste Vergabe von olympischen Medaillen in Paris im Jahr 1900 erfolgte für den Weitund<br />

Hochsprung zu Pferde. Gold gab es für eine übersprungene Höhe von 1,85 m und eine<br />

Weite von 6,10 m.<br />

Stets beschäftigten sich Reiter mit der Frage wie hoch oder weit ein Pferd überhaupt springen<br />

kann: Im Jahr 1906 überwand der Franzose Capitaine Crousse mit Conspirateur eine Höhe<br />

von 2,35 m. 1938 gelang es Rittmeister Antonio Gutierrez auf Osoppo in Rom 2,44 m zu überwinden.<br />

1947 übersprang der aus Chile stammende Capitano Alberto Larraguibel Morales auf<br />

seinem 15-jährigen Vollblut Huaso in Vina del Mar sagenhafte 2,47 m. Dieser Rekord hat bis<br />

FOTO: W. ERNST<br />

1985: Der Deutsche Willibert Mehlkopf und Wabbs sind<br />

die Weltrekordhalter über den Mauer-Hochsprung (2,30 m).<br />

heute Bestand, weil sich die Hindernisse<br />

verändert haben und die damaligen<br />

rampenartigen Hochsprunghindernisse<br />

längst nicht mehr zum<br />

Einsatz kommen.<br />

Im Springsport wurde die Mauer<br />

mit ihren einzelnen, leicht verschiebbaren<br />

Einzelteilen zur neuen Herausforderung.<br />

Das steile Hindernis stellt<br />

Pferd und Reiter vor eine extreme<br />

Herausforderung, da der Absprung<br />

exakt taxiert werden muss. Der Weltrekord<br />

dabei wird von Willibert Mehlkopf<br />

gehalten. Dieser übersprang im<br />

Jahr 1985 beim Weltfest des Pferdesports,<br />

dem CHIO Aachen, mit Wabbs<br />

eine Mauer mit 2,30 m Höhe.<br />

Heute werden Mächtigkeitsspringprüfungen<br />

als Springprüfungen<br />

mit einem Normalumlauf und<br />

drei oder vier Stechen ausgetragen.<br />

Nach dem dritten Stechen können<br />

sowohl Richtergremium wie auch die<br />

TeilnehmerInnen die Prüfung beenden.<br />

In diesem Fall gibt es mehrere<br />

Sieger. Mehr als vier Stechen sind<br />

jedenfalls nicht zulässig. Alle Stechen<br />

wie der Normalumlauf finden im Stil einer Springprüfung nach Fehlern, nicht aber gegen<br />

die Zeit statt.<br />

AK<br />

Roland Fischer weiß, dass es nicht<br />

nur Sportler unter Reitern gibt, sondern<br />

auch Pferde, die Sportler sind.<br />

Treffen die beiden einander ist es ideal:<br />

„Man trainiert, wenn das Pferd Talent<br />

zeigt. Und man fördert es auch, wenn<br />

man selber Sportler ist,“ so Fischer.<br />

Unterm Strich bleibt: Mächtigkeitspferde<br />

sind bestimmt keine gequälten<br />

Geschöpfe, im Gegenteil – sie sind<br />

bestversorgte, sorgfältig ausgebildete<br />

und dosiert gerittene Partner im Sport.<br />

Viele von ihnen gehen bis ins hohe Alter<br />

im Parcours. Sie blühen mit ihren<br />

ReiterInnen auf, und ihre Lebenserwartung<br />

ist um nichts geringer als<br />

die von Freizeit-, Western- und allen<br />

anderen Pferden.<br />

Und wenn sie schließlich in Pension<br />

geschickt werden, nach einem würdigen<br />

Abschied, auf einem Turnier, vor<br />

dem Publikum, das sie lieben, das sie<br />

stets angespornt hat und das ihnen fehlen<br />

wird, so ist dieses Lebewohl von<br />

der Bühne des Sports immer verbunden<br />

mit Wehmut und der Dankbarkeit,<br />

ein Stück weit zusammen gegangen<br />

zu sein. Und sei es nur als begeisterter<br />

Pferdenarr auf der Zuschauertribüne.<br />

Andrea Kerssenbrock l<br />

3 | 2013 pferderevue

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