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26 | Interview mit Prof. Dr. Manfred Grohnfeldt<br />
Prof. Dr. Manfred Grohnfeldt ist Ordinarius<br />
für Sprachheilpädagogik und<br />
Sprachtherapie an der Ludwig-Maximilians-Univ.<br />
München und leitet das Forschungsinstitut<br />
für Sprachtherapie und<br />
Rehabilitation (FSR). Sein Buch „Grundlagen<br />
der Sprachtherapie und Logopädie“<br />
finden Sie auf Seite 28.<br />
Was sind die häufigsten Störungen und Probleme, mit<br />
denen SprachtherapeutInnen heute konfrontiert werden?<br />
Am häufigsten sind Störungen in der Zeit des kindlichen<br />
Spracherwerbs, sogenannte Sprachentwicklungsstörungen.<br />
Sie machen ca. 70% der Sprachstörungen insgesamt<br />
aus. An Bedeutung zunehmend sind auf Grund<br />
des demographischen Wandels Sprachstörungen im<br />
(höheren) Erwachsenenalter: Aphasien (z.B. nach einem<br />
Schlaganfall), Dysarthrien und Dysphagien (Schluckstörungen).<br />
Etwa 25% der Krankenkassenleistungen zur Behandlung<br />
von Sprachstörungen entfallen darauf, wobei<br />
dieser Anteil vor 10 bis 20 Jahren deutlich geringer war.<br />
Daneben gibt es das in der Bevölkerung und in der Literatur<br />
sehr bekannte Stottern bei Kindern, Jugendlichen<br />
und Erwachsenen sowie Stimmstörungen (Dysphonien),<br />
Störungen der Nasalität (Rhinophonien) usw.<br />
Wenn man sich mit Eltern unterhält, könnte man manchmal<br />
den Eindruck bekommen, Logopädie und Sprachtherapie<br />
würden geradezu inflationär angewandt. Ist der<br />
Bedarf tatsächlich gestiegen, und woran liegt das?<br />
Das ist eine vielschichtige Fragestellung mit unterschiedlichen<br />
Einfluss nehmenden Variablen.<br />
Einerseits steigt der Anteil der Kinder, die auf Grund des<br />
medizinischen Fortschritts mit einer sogenannten „Defektheilung“<br />
am Leben bleiben. Sie haben dann häufig<br />
weitreichende Sprachstörungen, die zumeist zusammen<br />
mit kognitiven Störungen auftreten.<br />
Weiterhin sind Sprachstörungen auch eine Frage der<br />
Norm. Wenn heute nach Angaben der Krankenkassen<br />
21,9% der sechsjährigen Jungen eine Sprachtherapie erhalten,<br />
dann fragt man sich zuweilen, ob sich hier die<br />
Störungshäufigkeit an sich oder die Anspruchshaltung<br />
erhöht hat. Andererseits sinkt der Anteil der Behandlungen<br />
beim Stottern seit Jahren. Ebenso sind stotternde<br />
Kindern, die vor 50 Jahren ca. 60 – 70% der Klientel von<br />
Sprachheilschulen ausmachten, heute praktisch fast alle<br />
in Regelschulen. Hier hat sich die gesellschaftliche Einstellung<br />
sicher geändert.<br />
Eine dritte Variable ist die Anzahl der logopädischen und<br />
sprachtherapeutischen Praxen, die sich im letzten Jahrzehnt<br />
in Deutschland praktisch verdoppelt hat. Dadurch<br />
konnte eine Unterversorgung im ländlichen Bereich ausgeglichen<br />
werden, während es in manchen Städten be-