Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit!« sprach ... - Reuter Quartier
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thema<br />
Die Fotos auf Seite 1 und 3 sind in der offenen<br />
Siebdruckwerkstatt SDW-Neukölln<br />
entstanden. Die SDW versteht sich<br />
als offene Kiezwerkstatt, in der jedeR<br />
seine Siebdruckprojekte verwirklichen<br />
kann. Wer lernen will wie`s geht, kann<br />
einen Einführungskurs belegen. In der<br />
SDW gibt‘s auch Ausstellungen, Lesungen,<br />
Kickerturniere, Barabende u.v.m.<br />
SDW-Neukölln, Pflügerstraße 11, Di - Fr<br />
10 bis 19 Uhr, Tel: 51 05 97 45<br />
druckerei@sdw-neukoelln.de<br />
www.sdw-neukoelln.de<br />
KünstlerInnen und Kulturschaffende<br />
seien Vorboten des städtischen Wandels<br />
zu höheren Mieten und yuppisierten<br />
<strong>Quartier</strong>en. Eine Meinung, die<br />
gelegentlich anzutreffen <strong>ist</strong>. Doch was<br />
sagen die KünstlerInnen im Kiez und<br />
die aktuelle soziologische Forschung<br />
dazu?<br />
Mit einem vollen Eimer Farbe bewaffnet<br />
gehen die »Splasher« aus New<br />
York auf ihre Touren. Ihr Auftrag: Die<br />
Befreiung der Stadt. Jegliche Streetart<br />
wird mit einem dicken Schwall Farbe<br />
bedacht. Streetart sind me<strong>ist</strong> auf Papier<br />
gedruckte Motive, die mit Tapetenkle<strong>ist</strong>er<br />
als Collagen an Hauswände<br />
geklebt werden. Die Aggression der<br />
»Splasher« richtet sich dagegen, weil<br />
»Neukölln <strong>ist</strong> schon lange<br />
ein Mekka für Künstler,<br />
der Hype <strong>ist</strong> übertrieben.«<br />
<strong>Kunst</strong> als Ausweg<br />
– so schreiben sie in ihrem Manifest –<br />
sie nichts anderes als Werbung für eine<br />
hippe Künstlerkarriere sei. Außerdem:<br />
»Street art gives the green light to investors,<br />
becomes that repugnant drug<br />
of tourism, and speeds the process of<br />
gentrification. By making the ghetto<br />
›beautiful‹.«*<br />
»Die Fassaden werden bunter,<br />
die Bürgersteige sauberer. Auch<br />
Street-Art wurde gesichtet.«<br />
Das schöne<br />
Ghet to, ein Ausdruck,<br />
der für<br />
Nord-Neukölln<br />
wie die Faust aufs Auge passen könnte.<br />
<strong>Kunst</strong>- und Kulturräume vermehren<br />
sich. Die Fassaden werden bunter, die<br />
Bürgersteige sauberer. Nord-Neukölln<br />
entwickele sich zu einem der »agilsten<br />
und kreativsten Orte Berlins« <strong>ist</strong> in der<br />
Morgenpost zu lesen. Auch Street-Art<br />
SDW-Neukölln, Foto: Tim Zülch<br />
wurde schon gesichtet. Das <strong>ist</strong> keine<br />
ausgesprochen neue Entwicklung.<br />
Klaus Bartoluzzi von der Galerie R31<br />
glaubt, dass »Neukölln schon lange<br />
ein Mekka für Künstler« <strong>ist</strong>, der Hype<br />
sei übertrieben. Vor einigen Jahren<br />
schon habe es bereits international<br />
sehr bekannte<br />
Künst lerInnen hier<br />
gegeben.<br />
Für die <strong>Kunst</strong> im<br />
Kiez »entstehen<br />
[...] <strong>viel</strong>erlei Wirtshäuser, die das<br />
Gebiet noch interessanter machen«,<br />
schreiben InhaltundSinn auf Seite 5 und<br />
meinen das vor allem metaphorisch.<br />
In der Stadtforschung <strong>ist</strong> ziemlich unbestritten,<br />
dass Kreative und KünstlerInnen<br />
bei Veränderungsprozessen in<br />
städtischen <strong>Quartier</strong>en eine wichtige<br />
Rolle einnehmen. Die französischen<br />
Geografen Chr<strong>ist</strong>ophe Guilluy und<br />
Chr<strong>ist</strong>ophe Noyé beschreiben den<br />
Entwicklungsprozess eines Viertels<br />
in fünf Etappen. Dabei bilde die »Ankunft<br />
der Pioniere: Künstler, Studenten,<br />
alternative Hausbesetzer« den<br />
Ausgangspunkt der Veränderungen.<br />
In der Folge entstünden Kneipen,<br />
Galerien und Veranstaltungsorte. Die<br />
Pioniere jedoch würden zu einem späteren<br />
Zeitpunkt verdrängt. Am Ende<br />
stehe ein gänzlich »neuer Lebensstil«<br />
im <strong>Quartier</strong>. Eine »neue Mittelklasse«,<br />
so der amerikanische Geograf David<br />
Ley, würde einziehen.<br />
Vor allem für Neukölln sind die Entwicklungen<br />
allerdings <strong>viel</strong>fältiger.<br />
Nach einer Untersuchung des Stadtsoziologen<br />
Hartmut Häußermann<br />
von der Humboldt-Universität sei<br />
in Neukölln eher von einer zunehmenden<br />
Ghettoisierung zu sprechen:<br />
Die Probleme würden wachsen, Bildungsbürger<br />
wegziehen, bereits 50<br />
Prozent der BewohnerInnen seien auf<br />
Transferleitungen angewiesen. Eine<br />
Entwicklung, die das Gegenteil des<br />
oben Ausgeführten beschreibt. Die<br />
Ansiedlung von KünstlerInnen könnte<br />
aus soziologischer Sicht also ganz anders<br />
beurteilt werden: Als Chance für<br />
einen sonst aufs Abstellgleis rollenden<br />
Bezirk.<br />
Für den Berliner Soziologen Andrej<br />
Holm gibt es eine wichtige Voraussetzung,<br />
damit ein Gebiet lebenswerter<br />
wird, ohne die angestammten BewohnerInnen<br />
zu vertreiben: »Gelingt es<br />
[...] die Mietpreise zu kappen, können<br />
<strong>viel</strong>e der bisherigen BewohnerInnen<br />
weiterhin in der Nachbarschaft<br />
bleiben«, sagt er. Dann hätten die<br />
»Splasher« in Neukölln auch in einigen<br />
Jahren nichts zu tun. Tim Zülch<br />
* Streetart gibt den Investoren grünes Licht und wird<br />
zu einer widerlichen Droge des Tourismus, und beschleunigt<br />
die Gentrifizierung. Indem sie das Ghetto<br />
»schön« <strong>macht</strong>.