Heute Augsburg!
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HINTERGRUND<br />
Morgen <strong>Augsburg</strong><br />
Vom Slogan, über die Erniedrigung zur Komödie<br />
Alles braucht einen Slogan, vor<br />
allem heutzutage. Denn unter einem<br />
Slogan lassen sich werbewirksam Hoffnungen<br />
und Wünsche, Herausforderungen<br />
und Gefälligkeiten subsumieren,<br />
die anderweitig hätten lange erklärt<br />
werden müssen. Und hierfür hat niemand<br />
Zeit, vor allem heutzutage nicht.<br />
So buhlt nicht nur der Konsumartikel oder<br />
die Dienstleistung mit einem Slogan launisch<br />
um Aufmerksamkeit, sondern auch<br />
das Theater. Vor allem dann, wenn sich<br />
die singuläre Theaterinszenierung, wie<br />
ein globales Erfrischungsgetränk oder<br />
eine digitale Suchmaschine, auch in einer<br />
Wettbewerbssituation behaupten muss.<br />
Ein Theaterfestival bietet eine solche<br />
und so präsentiert der Austragungsort<br />
der Bayerischen Theatertage seinen<br />
diesjährigen Slogan mit gebrochenen<br />
Großbuchstaben und im<br />
strahlenden Weiß: „Morgen <strong>Augsburg</strong>“.<br />
Der Slogan scheint glücklich gewählt,<br />
da der zur Devise erhobene Werbegedanke<br />
bereits im Heutigen das Morgige<br />
suggeriert. Und somit genügen diese<br />
beiden Worte, um das Konzept der Bayerischen<br />
Theatertage vollkommen zu<br />
erfassen: Denn jeden Festivaltag aufs<br />
Neue werden aktuelle Produktionen<br />
gezeigt, die bis zur Preisverleihung richtungsweisende<br />
Fragen und Ästhetiken<br />
thematisieren. – Ein gelungener Effekt!<br />
Dabei wurde mit dem Slogan „Morgen<br />
<strong>Augsburg</strong>“ in erster Linie eine<br />
Flucht nach vorne angetreten.<br />
Denn das Motto „Morgen <strong>Augsburg</strong>“ entpuppt<br />
sich bei genauerer Betrachtung seines<br />
Ursprungs als giftig-galliges Schicksal,<br />
das ähnlich wie erwähnter Konsumartikel<br />
oder zitierte Dienstleistung dem<br />
Fluch von (Zucker-)Schock oder (Daten-)<br />
Identitätsschaden schon nach sich zog.<br />
„Morgen <strong>Augsburg</strong>“ ist das Mantra eines<br />
zirkusgeborenen Quintetts, dass Schuberts<br />
Forellenmelodie spielen muss,<br />
sich aber im Gezänk nur zu einzelnen<br />
zartgezupften oder breitgestrichenen<br />
Tönen durchringen kann. In Thomas<br />
Bernhards viertem Stück DIE MACHT<br />
„Ich kann’s!“<br />
„Dieses Cello hab ich von Miller.“<br />
„Kolophonium – das ist’s!“<br />
„Schlechter Bogen!“<br />
Fotos: Archiv<br />
DER GEWOHNHEIT, das von Dieter<br />
Dorn 1974 uraufgeführt wurde, will<br />
die Sprachmaschine nach über zwanzigjährigem<br />
Drill nicht Recht in Gang<br />
kommen. Auch die Aussicht morgen in<br />
<strong>Augsburg</strong> auftreten zu können, tröstet<br />
den höhnischen Zirkusdirektor Caribaldi<br />
und seine linkische Truppe nicht.<br />
Denn in ihrer nach Rettich und Mundfäulnis<br />
stinkenden Welt, stellt <strong>Augsburg</strong><br />
nur einen olfaktorischen Höhepunkt dar.<br />
In Bernhards Bühnenstück ist <strong>Augsburg</strong><br />
ein „muffi ges verabscheungswürdiges<br />
Nest“, eine „Lechkloake“. Aber da<br />
das „Forellenquintett gespielt werden<br />
muss, wie das Leben gelebt werden<br />
muss“, werden sie auch dort auftreten.<br />
Denn nur mit „rücksichtloser Kunst“,<br />
die die <strong>Augsburg</strong>er „erpresst“, ist der<br />
von Dummheit, Krankheit und Unverständnis<br />
verrohten Welt beizukommen.<br />
Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist<br />
Thomas Bernhards Zitat mehr Fluch als<br />
werbewirksamer Segen für <strong>Augsburg</strong><br />
und die 30. Bayerischen Theatertage.<br />
Denn vollkommen absurd erscheint<br />
dieses ständig übende Zirkusquintett,<br />
das aus gequälten und wundgelebten<br />
Körper besteht, die sich verweigern,<br />
aber nie aufgeben können.<br />
Und anders als bei Samuel Beckett<br />
warten die Figuren nicht mehr auf<br />
Godot. Hier gibt es keine Hoffnung,<br />
sondern nur <strong>Augsburg</strong> und das ewige<br />
Verweilen in einer Welt, die „eine Komödie<br />
ist, eine böse Erniedrigung“.<br />
Eine tragische Welt ist eine Komödie<br />
und ein gelungener Slogan? Wie kommt<br />
all das zusammen? Vielleicht muss man<br />
dem begnadeten Grandler Bernhard nur<br />
einen großen Philosophen zur Seite stellen,<br />
um Klarheit zu gewinnen. Denn, so<br />
erklärt Søren Kierkegaard, „überall, wo<br />
Leben ist, ist Widerspruch, und wo Widerspruch<br />
ist, ist das Komische anwesend.<br />
Das Tragische und das Komische<br />
sind dasselbe, insoweit beide den Widerspruch<br />
bezeichnen.“ Na bitte, also: „Morgen<br />
<strong>Augsburg</strong>“: Komisch, widersprüchlich,<br />
vielversprechend. Britta Schwem