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Heute Augsburg!

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no. 1 <strong>Heute</strong> <strong>Augsburg</strong> – Zeitung der 30. Bayerischen Theatertage 2012 11. Mai 2012<br />

<strong>Heute</strong> <strong>Augsburg</strong>!<br />

Der 1969 in Hann geborene Oliver Brunner ist bei den 30. Bayerischen Theatertagen<br />

als Projektleiter tätig und bezeichnet sich selbst als „Vernetzer und<br />

Ermöglicher“. Nach seinem Studium hospitierte er unter anderem bei Claus<br />

Peymann, sammelte Erfahrungen als künstlerischer Leiter der freien Theatergruppe<br />

„Die Theatermacher“ und war ab der Spielzeit 2005/2006 unter Dieter<br />

Dorn künstlerischer Produktionsleiter am Bayerischen Staatsschauspiel.<br />

Lena Kettner hat Oliver Brunner zu einem Gespräch getroffen.<br />

Die Theatermacher: Wer wählt die Theater<br />

aus, die an den Bayerischen Theatertagen<br />

teilnehmen dürfen?<br />

Oliver Brunner: Grundsätzlich dürfen<br />

sich alle Theater, die Mitglieder im Deutschen<br />

Bühnenverein, Landesverband<br />

Bayern sind, bei den Bayerischen Theatertagen<br />

präsentieren, sprich teilnehmen.<br />

Das sind im Moment 28, das Theater<br />

<strong>Augsburg</strong> mit eingeschlossen. Dazu gehören<br />

Staatstheater, kommunale Theater,<br />

Landestheater und freie Theater. Da zu<br />

den Staatstheatern auch zwei Musiktheater<br />

gehören (Staatsoper München, Gärtnerplatztheater),<br />

gibt es auch Musiktheaterproduktionen<br />

zu sehen, bei dem sonst<br />

reinen Schauspieltreffen. Mit wie vielen<br />

Produktionen die einzelnen Theater<br />

kommen, steht frei oder ergibt sich bei<br />

der Spielplandisposition (Spieltermine,<br />

Spielorte, Formate, zum Beispiel Kinder-<br />

und Jugendtheaterproduktionen). Dazu<br />

hatte ich die Möglichkeit, noch weitere<br />

spannende Ensembles und Produktionen<br />

einzuladen, je nach Möglichkeiten<br />

im Spielplan, aber auch im Budget. Und<br />

ein Festivalspielplan wird erst durch ein<br />

attraktives Rahmenprogramm komplett.<br />

In diesem Jahr fi ndet das Festival<br />

zum 30. Mal statt. Welche Rolle<br />

spielt es Ihrer Meinung nach in<br />

der bayerischen Theaterlandschaft?<br />

Eine Große! Alle bayerischen Theater<br />

können sich über zwei Wochen<br />

in einer Stadt präsentieren, Kollegen<br />

treffen, Städte und Theater kennenlernen,<br />

mit Zuschauern diskutieren,<br />

feiern. Perfekt. Ohne Druck. Die Auswahl<br />

der Fachjury und die Preisgelder<br />

sind das Schmankerl obendrein.<br />

Dem Festivalprogramm nach zu urteilen<br />

scheinen sich viele Regisseure eher<br />

für Stücke zeitgenössischer Autoren wie<br />

John Clancy oder Tracy Letts zu interessieren<br />

als für die Werke klassischer Autoren.<br />

Oder ist dies nur Zufall, weil die<br />

Theater die Inszenierungen, die sie nach<br />

<strong>Augsburg</strong> schicken, selbst auswählen?<br />

Die Mischung macht’s. Und die stimmt<br />

meiner Meinung nach. Die Gegenstände<br />

werden zu dem in verschiedenen Formaten<br />

verhandelt. Zum Beispiel zwei<br />

Mal WOYZECK, als Schauspiel (Staatstheater<br />

Nürnberg) und als Musical von<br />

Tom Waits (E.T.A.-Hoffmann-Theater<br />

Bamberg). Oder zwei Handschriften bei<br />

den RÄUBERN (Theater <strong>Augsburg</strong>, Theater<br />

Ansbach). Dazu kommt ein großes<br />

Angebot im Kinder- und Jugendtheaterbereich,<br />

von heutigen Autoren mit<br />

heutigen Themen (Eskapismus, Selbstmord,<br />

Migration, rechte Gewalt), aber<br />

auch in phantasievoller, poetischer Erzählung<br />

(SIGURD DER DRACHENTÖ-<br />

TER, Bayerische Staatsoper München;<br />

ENTE, TOD UND TULPE, Theater Pfütze<br />

Nürnberg; ICH SEHE WAS, Das Papiertheater,<br />

Nürnberg) und ganz neu,<br />

ganz anders: die Projekte der 30. BTT<br />

Von wegen Lechkloake! Foto: Archiv<br />

2012 wie der RAUBZUG durch <strong>Augsburg</strong>,<br />

eine theatrale Stadtführung, und<br />

RÄUBER.HOOD.KNEISSL, ein Kinderbuchtheater<br />

− beide von Cindy Jänicke.<br />

1985 war <strong>Augsburg</strong> zum letzten<br />

Mal Gastgeber des Festivals. Warum<br />

hat man sich im Jubiläumsjahr<br />

wieder für diese Stadt entschieden?<br />

Die Theater beziehungsweise die Intendanten<br />

bewerben sich selbst. <strong>Augsburg</strong><br />

war unter der Intendanz von Juliane<br />

Votteler schon zwei Mal im Gespräch.<br />

Die Theatertage sind aber damals aufgrund<br />

der mangelnden Spielortmöglichkeiten<br />

(die Spielstätte Die Komödie<br />

musste aus sicherheitstechnischen<br />

Gründen geschlossen werden) nicht<br />

zustande gekommen. Jetzt, mit der neuen<br />

Interimsspielstätte, der brechtbühne,<br />

die erst am 27. April eröffnet wurde,<br />

ist es möglich, sich als guter Gastgeber<br />

präsentieren zu können. Die 30. Bayerischen<br />

Theatertage 2012 haben vier<br />

Spielstätten für die verschiedensten Formate<br />

zu bieten: Das Große Haus (947.


Plätze), die Spielstätte im Staatlichen<br />

Textil- und Industriemuseum, das tim,<br />

die brechtbühne und den Hoffmannkeller.<br />

1985, bei den 3. Bayerischen<br />

Theatertagen, war <strong>Augsburg</strong> 2000 Jahre<br />

alt; 2012 feiert <strong>Augsburg</strong> die 30.<br />

Theatertage. Schaun wir mal, wann<br />

<strong>Augsburg</strong> wieder Ausrichter sein wird.<br />

Nächstes Jahr, vom 01. bis 16. Juni<br />

2013, ist erst einmal Nürnberg dran.<br />

Sie haben lange Jahre am Residenztheater<br />

gearbeitet, waren dort von der<br />

Spielzeit 2005/2006 an künstlerischer<br />

Produktionsleiter. Mit welchen neuen<br />

Herausforderungen haben Sie sich<br />

konfrontiert gesehen, als Sie 2011 die<br />

Organisationsleitung der Bayerischen<br />

Theatertage übernommen haben?<br />

Erst einmal musste ich das Haus kennenlernen.<br />

Ein Vier-Sparten-Haus mit einem<br />

großen Produktionsplan, einer großen<br />

Energie und einer großen Leidenschaft.<br />

Ich wurde mit offenen Armen und Neugierde<br />

empfangen − ein gutes Arbeitsfeld.<br />

Der andere, sehr wichtige Punkt war für<br />

mich das Kennenlernen der Stadt und<br />

ihrer wichtigen künstlerischen Vertreter.<br />

Welche Netzwerke gibt es, welche<br />

Interessen, welche Möglichkeiten einer<br />

Zusammenarbeit? Ich habe mich naturgemäß<br />

auch mit wichtigen Festivals der<br />

Stadt, dem Brechtfestival, Lab30, dem<br />

MODULAR Festival beschäftigt und mir<br />

Tipps, insbesondere auch für die Kom-<br />

INTERVIEW<br />

munikation geben lassen. Hat sehr viel<br />

Spaß gemacht. Es sind Kontakte und<br />

Freundschaften entstanden, darunter<br />

eine Popkonzertreihe mit BWC. Because<br />

we care, Richard Goerlich, Georg Krauß,<br />

Matthias Strobel, Girisha Fernando und<br />

Dialoge mit Partnern (zum Beispiel für<br />

das Nachtpicknick / 800 Quadratmeter<br />

Kunstrasen! oder mit den Museen, dem<br />

Kunstverein / 6 OF 5. RAUBZUG DURCH<br />

AUGSBURG), die man fortführen sollte.<br />

Die Arbeit des Festivalleiters oder –machers<br />

unterscheidet sich nicht so sehr von<br />

der Arbeit eines Künstlerischen Produktionsleiters:<br />

zusammenbringen, vernetzen,<br />

kommunizieren, planen, vordenken,<br />

Oliver Brunner Foto: Archiv<br />

überwachen, anstoßen, motivieren…<br />

Sie haben eine besondere Beziehung<br />

zum Werk von Thomas Bernhard. Ihre<br />

erste Theatergruppe hieß sogar „Die Theatermacher“,<br />

nach Bernhards gleichnamigem<br />

Stück. Wann kamen Sie das erste<br />

Mal mit seinem Werken in Berührung?<br />

Das war 1991, als mir ein Freund das<br />

Stück DER THEATERMACHER von Thomas<br />

Bernhard in die Hand gegeben hat.<br />

Unspielbar, langweilig, dachte ich! Ein<br />

einziger, viel zu langer Monolog. Dann<br />

habe ich mir die Inszenierung von<br />

Hans Lietzau mit Lambert Hamel in den<br />

Münchner Kammerspielen angesehen<br />

und es hat mich gepackt. 1992 war meine<br />

Premiere DIE THEATERMACHER in<br />

einem alten Gasthaus, in einem Turn-<br />

und Tanzsaal mitten auf dem Land. Bernhard<br />

ist meine absolute Leidenschaft!<br />

Die Sprache, die Themen, die Geistesmenschen<br />

in ihrer Verzweifl ung, die<br />

Wahrheiten, der Witz: „Ich bin der größte<br />

Übertreibungskünstler der Menschheit!<br />

Und auch das ist noch untertrieben.“ Ich<br />

habe über den Roman AUSLÖSCHUNG.<br />

EIN ZERFALL meine Magisterarbeit geschrieben,<br />

bin − leider passives − Gründungsmitglied<br />

der Internationalen Thomas-Bernhard-Gesellschaft<br />

und spinne<br />

mit Stefan Hunstein schon seit Jahren<br />

herum, dass wir doch endlich mal einen<br />

Bernhard zusammen machen müssen. Inszeniert<br />

habe ich ihn nur einmal. Bis jetzt.<br />

Die Bayerischen Theatertage haben<br />

sich den Schlachtruf „Morgen<br />

<strong>Augsburg</strong>!“ aus Bernhards Werk<br />

„Macht der Gewohnheit“ auf die<br />

Fahnen geschrieben. Muss man<br />

hier noch auf das Morgen warten?<br />

MORGEN AUGSBURG meint eine Sehnsucht,<br />

eine Utopie, ein Versprechen, einen<br />

Plan. Und das Ziel einer Reise. Jetzt<br />

sind wir wieder dran. Begegnen wir uns<br />

in <strong>Augsburg</strong>! Willkommen in <strong>Augsburg</strong>!<br />

Wie der Zirkusdirektor Caribaldi, der<br />

mit seiner Truppe in <strong>Augsburg</strong> auftreten<br />

wird und hofft, dort endlich das geliebte<br />

„Forellenquintett“ aufführen zu können.<br />

Wie fi nden Sie es, dass unsere Zeitung<br />

„Die Theatermacher“ heißt?<br />

Passend. Weil ungefähr 1000 Theatermacher<br />

aus ganz Bayern hier zu Gast sein<br />

werden. Und als Aufforderung an eine<br />

spannende Festivalzeitungsredaktion…<br />

Wann haben Sie selbst zum ersten Mal<br />

die Bayerischen Theatertage besucht?<br />

Ich glaube im Rahmen eines Gastspiels mit<br />

den Münchner Kammerspielen, mit Shelagh<br />

Stevensons Stück DAS GEDÄCHT-<br />

NIS DES WASSERS, in der Inszenierung<br />

von Antoine Uitdehaag in Bamberg 1999.<br />

Auf welche Inszenierung freuen Sie<br />

sich am meisten bei den diesjährigen<br />

Theatertagen?<br />

Auf jede! Weil jede Einzelne es wert<br />

ist, gesehen zu werden. Hoffentlich<br />

lässt mir der Festivalbetrieb noch<br />

Möglichkeiten, Produktionen sehen<br />

zu können. Schaun wir mal.


HEUTE : THEATER!<br />

Grusswort<br />

Es war<br />

einmal...<br />

in <strong>Augsburg</strong>!<br />

Helden der Kindheit<br />

Helden der Politik<br />

Fotos: Archiv<br />

Am bekanntesten ist <strong>Augsburg</strong> vermutlich<br />

für seine Puppenkiste. Nicht nur<br />

den Grimmschen Märchen widmete<br />

sich das Marionettentheater: Gleichsam<br />

hingebungsvoll wie phantasiereich<br />

entführte die Puppenkiste in die arabische<br />

Märchenwelt von Tausendundeiner<br />

Nacht und.... Internationale<br />

Bekanntheit erlangte die <strong>Augsburg</strong>er<br />

Puppenkiste vor allem durch zahlreiche<br />

Fernsehproduktionen: 1953, nur ein<br />

paar Wochen nach der Premiere der<br />

Tagesschau, wurde die erste Folge mit<br />

PETER UND DER WOLF ausgestrahlt.<br />

Doch auch ernste Stücke stehen auf<br />

dem Spielplan des Theaters in der<br />

<strong>Augsburg</strong>er Altstadt, und so ist die<br />

<strong>Augsburg</strong>er Puppenkiste heute wie<br />

damals eine wichtige Institution in<br />

der deutschen Theaterlandschaft.


Hi. Ich bin 1, 83 groß. Früher wollte ich<br />

BWL studieren, weil ich später mal irgendwas<br />

mit Geld machen wollte, aber jetzt<br />

studiere ich Theater-, Film- und Fernsehkritik<br />

und mache was mit Theater, Filmen<br />

und Fernsehen. Sollte ich hierbei Geld<br />

fi nden, käme das meiner Traumbeschäftigung<br />

schon sehr nahe: Pierre Jarawan<br />

VORSPRECHEN<br />

Sternzeichen Krebs. Religion: mosaisch.<br />

Lieblingsautoren: Marcel Proust,<br />

Luigi Pirandello, Jean Paul. Lieblingskomponisten:<br />

Bach, Händel, Schostakowitsch.<br />

Lieblingsdramatiker: Shakespeare,<br />

Büchner, Kleist. Lieblingsgetränk:<br />

Champagner. Lieblingsspeise: Spaghetti<br />

aglio et olio: C. Bernd Sucher<br />

Zuletzt wurde mir gesagt, ich würde<br />

das Wort „underfucked“ zu häufi g benutzen.<br />

Außerdem begann ich einmal<br />

eine Kurzgeschichte mit dem Satz ‚Ich<br />

mag Frauen, die langweilige Bücher lesen‘.<br />

Außerdem trage ich gerne Sneaker<br />

in der Farbkombination Grün-Weiß<br />

und halte ‚Hey Jude‘ für den besten<br />

Beatles-Song. Reicht: Lukas Wilhelmi<br />

Was mag die Österreicherin an Bayern?<br />

Die gemütliche Mentalität und<br />

die unkomplizierte Bodenständigkeit,<br />

die der angrenzenden Heimat sehr<br />

ähnlich sind. Zudem die Biergartendichte,<br />

die Städte mit Weltstadtfl air<br />

aber dörfl ichem Liebreiz und die Nähe<br />

zu den Bergen, falls das Heimweh zu<br />

groß wird: Hanna Pfaffenwimmer<br />

Aufgewachsen bei Stuttgart, ereilte<br />

mich schon früh der Lockruf der<br />

Kultur. Aus dem Ländle zog es mich<br />

Richtung Köln, wo ich im zähen Ringen<br />

mit barockem Welttheater und<br />

Kuleschow-Effekten zum Magister heranreifte.<br />

An der Bayerischen Theaterakademie<br />

fand ich dann in die rauhe<br />

Wirklichkeit zurück: Marius Nobach


Geboren in Pfaffenhofen an der Ilm, der lebenswertesten<br />

Kleinstadt der Welt 2011<br />

– zumindest sieht das die Internationale<br />

Vereinigung der Gartenbauamtsleiter so.<br />

Studiert in der Stadt mit dem schönsten<br />

Universitätscampus Deutschlands – umgeben<br />

von der architektonischen Hässlichkeit<br />

der Passauer Neuen Mitte. Nun<br />

endlich angekommen – am Bernd-Eichinger-Platz<br />

in München: Lena Kettner<br />

Bildunterschrift xxxx xxxxxx<br />

VORSPRECHEN<br />

Aus Norddeutschland stammend,<br />

habe ich nach dem Abitur fahrlässiger<br />

Weise Rechtswissenschaften studiert<br />

- in Berlin, dem Sündenbabel an der<br />

Spree, wo es mich oft in die Schaubühne<br />

verschlug. Einige Stücke und<br />

Examina später versuche ich mich<br />

nun in München, dem rot-schwarzen<br />

Herzen Bayerns. Mein Theatermotto:<br />

Mit Ibsen kann man eigentlich nichts<br />

falsch machen: Arne Koltermann<br />

Im Jahr der Festivalgründung geboren<br />

und über die vergangenen Jahrzehnte zur<br />

Erkenntnis gekommen, dass Brecht immer<br />

Recht hat. Denn: Ja, mach nur einen<br />

Plan, sei nur ein großes Licht und mach<br />

dann noch 'nen zweiten Plan, gehn tun sie<br />

beide nicht. Die kommenden Jahrzehnte<br />

werden wohl auch im Brecht‘schen Erkenntnisraum<br />

stattfi nden, der aber nun<br />

mit eigenen Worten erdacht, erweitert<br />

und erschrieben wird: Britta Schwem<br />

Die Zeitungsmacher<br />

als Theatermacher<br />

Fotos: Benedikt Schwarzer<br />

„Ich passe nie ganz zu meiner Umgebung“<br />

steht auf einer orangenen Postkarte,<br />

die in meinem Zimmer hängt. In einer<br />

gemütlichen Runde, vor ein paar Jahren,<br />

erklärte mir meine Mutter liebevoll, dass<br />

ich schon immer irgendwie „komisch“<br />

war. Nun ja, ob Nicht-dazu-passen oder<br />

„komisch“, ich habe es geschafft Texte<br />

über Madonna, Susan Sontag, John<br />

Waters oder Rosa Luxemburg genauso<br />

wie über Israel, Dolce&Gabbana und<br />

Brecht zu schreiben. Bei der Vogue bin<br />

ich damit noch nicht gelandet. Aber<br />

irgendwo in dieser Umgebung, da fi ndet<br />

man mich: Claudio Musotto.


HINTERGRUND<br />

Morgen <strong>Augsburg</strong><br />

Vom Slogan, über die Erniedrigung zur Komödie<br />

Alles braucht einen Slogan, vor<br />

allem heutzutage. Denn unter einem<br />

Slogan lassen sich werbewirksam Hoffnungen<br />

und Wünsche, Herausforderungen<br />

und Gefälligkeiten subsumieren,<br />

die anderweitig hätten lange erklärt<br />

werden müssen. Und hierfür hat niemand<br />

Zeit, vor allem heutzutage nicht.<br />

So buhlt nicht nur der Konsumartikel oder<br />

die Dienstleistung mit einem Slogan launisch<br />

um Aufmerksamkeit, sondern auch<br />

das Theater. Vor allem dann, wenn sich<br />

die singuläre Theaterinszenierung, wie<br />

ein globales Erfrischungsgetränk oder<br />

eine digitale Suchmaschine, auch in einer<br />

Wettbewerbssituation behaupten muss.<br />

Ein Theaterfestival bietet eine solche<br />

und so präsentiert der Austragungsort<br />

der Bayerischen Theatertage seinen<br />

diesjährigen Slogan mit gebrochenen<br />

Großbuchstaben und im<br />

strahlenden Weiß: „Morgen <strong>Augsburg</strong>“.<br />

Der Slogan scheint glücklich gewählt,<br />

da der zur Devise erhobene Werbegedanke<br />

bereits im Heutigen das Morgige<br />

suggeriert. Und somit genügen diese<br />

beiden Worte, um das Konzept der Bayerischen<br />

Theatertage vollkommen zu<br />

erfassen: Denn jeden Festivaltag aufs<br />

Neue werden aktuelle Produktionen<br />

gezeigt, die bis zur Preisverleihung richtungsweisende<br />

Fragen und Ästhetiken<br />

thematisieren. – Ein gelungener Effekt!<br />

Dabei wurde mit dem Slogan „Morgen<br />

<strong>Augsburg</strong>“ in erster Linie eine<br />

Flucht nach vorne angetreten.<br />

Denn das Motto „Morgen <strong>Augsburg</strong>“ entpuppt<br />

sich bei genauerer Betrachtung seines<br />

Ursprungs als giftig-galliges Schicksal,<br />

das ähnlich wie erwähnter Konsumartikel<br />

oder zitierte Dienstleistung dem<br />

Fluch von (Zucker-)Schock oder (Daten-)<br />

Identitätsschaden schon nach sich zog.<br />

„Morgen <strong>Augsburg</strong>“ ist das Mantra eines<br />

zirkusgeborenen Quintetts, dass Schuberts<br />

Forellenmelodie spielen muss,<br />

sich aber im Gezänk nur zu einzelnen<br />

zartgezupften oder breitgestrichenen<br />

Tönen durchringen kann. In Thomas<br />

Bernhards viertem Stück DIE MACHT<br />

„Ich kann’s!“<br />

„Dieses Cello hab ich von Miller.“<br />

„Kolophonium – das ist’s!“<br />

„Schlechter Bogen!“<br />

Fotos: Archiv<br />

DER GEWOHNHEIT, das von Dieter<br />

Dorn 1974 uraufgeführt wurde, will<br />

die Sprachmaschine nach über zwanzigjährigem<br />

Drill nicht Recht in Gang<br />

kommen. Auch die Aussicht morgen in<br />

<strong>Augsburg</strong> auftreten zu können, tröstet<br />

den höhnischen Zirkusdirektor Caribaldi<br />

und seine linkische Truppe nicht.<br />

Denn in ihrer nach Rettich und Mundfäulnis<br />

stinkenden Welt, stellt <strong>Augsburg</strong><br />

nur einen olfaktorischen Höhepunkt dar.<br />

In Bernhards Bühnenstück ist <strong>Augsburg</strong><br />

ein „muffi ges verabscheungswürdiges<br />

Nest“, eine „Lechkloake“. Aber da<br />

das „Forellenquintett gespielt werden<br />

muss, wie das Leben gelebt werden<br />

muss“, werden sie auch dort auftreten.<br />

Denn nur mit „rücksichtloser Kunst“,<br />

die die <strong>Augsburg</strong>er „erpresst“, ist der<br />

von Dummheit, Krankheit und Unverständnis<br />

verrohten Welt beizukommen.<br />

Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist<br />

Thomas Bernhards Zitat mehr Fluch als<br />

werbewirksamer Segen für <strong>Augsburg</strong><br />

und die 30. Bayerischen Theatertage.<br />

Denn vollkommen absurd erscheint<br />

dieses ständig übende Zirkusquintett,<br />

das aus gequälten und wundgelebten<br />

Körper besteht, die sich verweigern,<br />

aber nie aufgeben können.<br />

Und anders als bei Samuel Beckett<br />

warten die Figuren nicht mehr auf<br />

Godot. Hier gibt es keine Hoffnung,<br />

sondern nur <strong>Augsburg</strong> und das ewige<br />

Verweilen in einer Welt, die „eine Komödie<br />

ist, eine böse Erniedrigung“.<br />

Eine tragische Welt ist eine Komödie<br />

und ein gelungener Slogan? Wie kommt<br />

all das zusammen? Vielleicht muss man<br />

dem begnadeten Grandler Bernhard nur<br />

einen großen Philosophen zur Seite stellen,<br />

um Klarheit zu gewinnen. Denn, so<br />

erklärt Søren Kierkegaard, „überall, wo<br />

Leben ist, ist Widerspruch, und wo Widerspruch<br />

ist, ist das Komische anwesend.<br />

Das Tragische und das Komische<br />

sind dasselbe, insoweit beide den Widerspruch<br />

bezeichnen.“ Na bitte, also: „Morgen<br />

<strong>Augsburg</strong>“: Komisch, widersprüchlich,<br />

vielversprechend. Britta Schwem


HINTERGRUND<br />

Die geborene Dramaqueen: Modeikone Bruce Darnell in action Foto: Archiv<br />

Bayerische Schmankerl<br />

Blutwurz<br />

Hat der hochprozentige Kräuterlikör<br />

erst Feuer gefangen, leuchtet er in<br />

kräftigem Rot und erobert dabei auch<br />

gerne Frauenherzen, die vor allem<br />

seinen harmonischen Geschmack<br />

besonders schätzen“, heißt es auf der<br />

Homepage der Alten Hausbrennerei<br />

Penninger. Dabei reichen doch schon<br />

ein paar Bier, um die bayerischen Männer<br />

in Paarungsstimmung zu bringen.<br />

Foto: Archiv<br />

Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass<br />

auf Bühnen im deutschsprachigen Raum<br />

vier Schauspieler im Schnelldurchlauf F.<br />

Scott Fitzgeralds THE GREAT GATSBY<br />

durchsprechen, dass wir ANNA KARENI-<br />

NA in einer zweistündigen Theater-Light-<br />

Drama, Baby, Drama!<br />

Eine Liebeserklärung an das Theaterstück<br />

version dargeboten bekommen und dass<br />

uns sogenannte „Experten des Alltags“ –<br />

wahlweise gescheiterte Bürgermeisterkandidaten,<br />

arbeitslose Fluglotsen oder<br />

indische Call-Center-Mitarbeiter – ihr<br />

Leid klagen. Ist ja schließlich alles Theater.<br />

Nein, das hier wird kein Lamento über<br />

„episch verseuchte Spielpläne“, wie es<br />

ein bekannter Kritiker 2010 anstimmte.<br />

Und auch keine Streitschrift für das<br />

klassische Regietheater. Das hier ist die<br />

Verkündigung einer echten Theaterrevolution,<br />

und das ausgerechnet bei einem<br />

Festival in der bayerischen Provinz.<br />

Das Stück ist zurück, und das mit aller<br />

Macht! Inszenierungen klassischer und<br />

zeitgenössischer Dramen regieren den<br />

Spielplan der 30. Bayerischen Theatertage,<br />

von Schillers DIE RÄUBER über<br />

Tankred Dorsts MERLIN ODER DAS<br />

WÜSTE LAND bis Debbie Tucker Greens<br />

STONING MARY. Man ist sich offensichtlich<br />

wieder der Wirkung eines Dramen-<br />

Textes bewusst und vertraut auf die<br />

großen und kleinen Geschichten, die<br />

in diesen Theaterstücken erzählt werden.<br />

Das ist in der heutigen Theaterszene<br />

schon fast radikal. Und erfreulich.<br />

Lena Kettner


Erster Pendlertag<br />

Das Abenteuer begann am Mittwoch im<br />

Reisezentrum in München. Ein freundlicher<br />

Angestellter, ein bisschen gepierct<br />

und nicht tätowiert, ist unerwartet willig.<br />

Was ist preiswerter – nein: nicht billiger!<br />

– dreizehn Einzelfahrten hin und<br />

zurück, zwei Wochenkarten und Zusatzbillets<br />

oder gleich eine Monatskarte? Er<br />

rechnet fünf Minuten, er kalkuliert sieben<br />

Minuten: „Wochenkarte ist defi nitiv<br />

nichts für Sie!“ – „Das heißt?“ Er tippt<br />

Zahlen, kräuselt die Stirn und fasst sich<br />

an den Ohrring. Kurz und gut: Ich besitze<br />

jetzt eine Monatskarte. Bin Pendler.<br />

Und steige, 10.04 Uhr, in den Fugger-<br />

Express. Fugger: mag sein. Express: ist<br />

nicht. Halt an jeder Milchkanne, obwohl<br />

IMPRESSUM<br />

Die Theatermacher ist ein Projekt des<br />

Studiengangs Theater-, Film- und<br />

Fernsehkritik der HFF München<br />

Herausgeber:<br />

Theater <strong>Augsburg</strong><br />

ENDE<br />

<strong>Heute</strong> <strong>Augsburg</strong><br />

Unterwegs mit C. Bernd Sucher<br />

nirgends Kühe zu sehen sind. Klimaanlage<br />

entweder defekt oder ausgeschaltet.<br />

Das Wunder ereignet sich an der Haltestelle<br />

Haunstetterstrasse. Ein kühles<br />

Lüftlein, sechs Minuten vor der Ankunft<br />

am Hauptbahnhof. Nach 46 Minuten<br />

da! Warnung von Claudio, während er<br />

seinen Koffer auf ein Laufband hievt:<br />

„Setzen Sie sich nicht drauf!“ Ich lass<br />

es. Bahnhofsvorplatz: leer. Die Prinzregentenstraße<br />

entlang. Erst riecht es<br />

nach Bier und Wein, ein Treffpunkt für<br />

Penner und nicht für Pendler. Dann duftet<br />

es nach Flieder – besser. Baustellen,<br />

Baustellen, Baustellen. Eckkneipe, aber<br />

was für eine! „Nudelbar <strong>Augsburg</strong> – All<br />

You Can Eat Restaurant & Cocktailbar –<br />

Pizza, Pasta, Mexikanisch“. Seltsame Mischung.<br />

Das Beste: Ein Plakat verheißt<br />

V.i.S.d.P.: Prof. Dr. C. Bernd Sucher<br />

Redaktion: Pierre Jarawan, Lena<br />

Kettner (Redaktionsleitung), Arne<br />

Koltermann, Eva Mackensen, Claudio<br />

Musotto, Marius Nobach, Hanna Pfaffenwimmer,<br />

Anabel Schleuning, Britta<br />

Schwem, Lukas Wilhelmi<br />

montäglich: „Jeder Drink 3,66 Euro!“<br />

Schiete, heute ist Donnerstag. Nicht<br />

schlimm: Der nächste Montag kommt<br />

bestimmt! Vorfreude. Und endlich – der<br />

Traumblick aufs Theater: spätes 19. Jahrhundert.<br />

<strong>Heute</strong> Abend: RITTER BLAU-<br />

BART. Wäre ich gern hingegangen, aber<br />

ich bin Pendler. Dann: die brechtbühne.<br />

Nicht Tomaten-Rot, nicht SPD-Rot, nicht<br />

Kommunisten-Rot, nicht Sparkassen-Rot,<br />

nicht Rotkäppchen-Rot, sondern, wie<br />

langweilig, Theatervorhang-Rot. Wäre ich<br />

nicht drauf gekommen, aber die Intendantin<br />

hat’s erklärt. Also wird’s stimmen.<br />

Treppauf. Probebühne 2. Herzlicher<br />

Empfang. Alle und alles da –<br />

auch die verhießenen und im Vertrag<br />

zugesicherten Salzstangen.<br />

Juchhee! Die Arbeit kann losgehen.<br />

Wir danken unseren Unterstützern

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