COO Insights zum Thema Geschäftsmodelle - Roland Berger
COO Insights zum Thema Geschäftsmodelle - Roland Berger
COO Insights zum Thema Geschäftsmodelle - Roland Berger
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ROLAND BERGER Strategy CONSULTANTS<br />
<strong>COO</strong> INSIGHTS<br />
BUSINESS<br />
DEZEMBER 2011<br />
"Wir erfinden<br />
das Flugzeug<br />
neu", sagt<br />
der Airbus-<br />
Manager,<br />
Günter Butschek.<br />
Megatrends<br />
und die neue<br />
Macht der<br />
Kunden stellen<br />
nicht nur dieses<br />
Geschäftsmodell<br />
auf den Kopf.
2030<br />
1.<br />
DemograFie<br />
➔ Die Weltbevölkerung wächst auf über 8 Mrd.<br />
➔ Sie wird im Schnitt um 5 Jahre älter<br />
➔ Urbanisierung nimmt weiter zu<br />
SIEBEN MEGATRENDS<br />
prägen die zukünftige Entwicklung<br />
unserer Welt<br />
2. ➔ Das BIP der sog. "Next Eleven" wächst jährlich um knapp 6%<br />
3.<br />
Knappheit von Ressourcen<br />
➔ Der Verbrauch von Primärenergie wird sich weltweit um 26% erhöhen<br />
➔ Die weltweite Nachfrage nach Wasser steigt um 53%<br />
➔ Der tägliche Verbrauch von Nahrungsmitteln steigt um 27%<br />
4.<br />
Klimawandel<br />
➔ Bis 2030 wird der CO 2 Ausstoß um 16% auf 35.053 Megatonnen zunehmen<br />
➔ Die durchschnittliche globale Temperatur wird um 0.5-1.5°C ansteigen<br />
➔ Artenvielfalt wird sich von derzeit 70% ihres ursprünglichen Vorkommens<br />
➔ auf 65% reduzieren<br />
5.<br />
Technologien und Innovation<br />
➔ Die Zahl der Nutzer, die das Internet nur noch mobil nutzen, steigt um 34%<br />
➔ 60% der Weltbevölkerung wird bis 2030 auf diese Weise vernetzt sein<br />
➔ Die Nachfrage nach Medizintechnik steigt überproportional auf 300 Mrd. USD jährlich<br />
6.<br />
Globale Wissensgesellschaft<br />
➔ Die Bedeutung von Wissensnetzwerken nimmt weiter zu<br />
➔ Der Anteil von Frauen in der Arbeitswelt steigt erheblich<br />
➔ Der "Krieg um die besten Köpfe" wird härter<br />
7.<br />
Globale Verantwortung<br />
➔ Der Einfluss von NGO bleibt bedeutsam, aber ihre Zahl steigt nicht mehr so rasant<br />
➔ Staaten werden verstärkt kooperieren und gemeinsam Verantwortung übernehmen<br />
➔ Die Spendenbereitschaft bleibt hoch, aber Form und Richtung ändern sich<br />
Globalisierung und Zukunftsmärkte<br />
➔ Der Export wächst global um 5,3%, das BIP nur um 4%<br />
➔ Die Mittelschicht in Zukunftsmärkten wächst um 150% auf insgesamt 2 Mrd. Menschen<br />
http://www.rolandberger.com/gallery/trend-compendium/tc2030/
Umwelt, Ressourcenknappheit, Urbanisierung<br />
und Demografie sind globale<br />
Trends. Sie verändern die Geschäftsmodelle<br />
angestammter Industrien rapi-<br />
Why<br />
de und manchmal rüde. Nie zuvor waren<br />
Es sollte nur ein weiterer Flieger<br />
werden, doch es wird ein ganz neuer: Die<br />
A350 von Airbus, ursprünglich als Weiterentwicklung<br />
der A330 ins Rennen gegen<br />
Boeings Dreamliner geschickt, sieht aus<br />
wie ein Flugzeug, hört sich an wie ein<br />
Flugzeug, riecht nach Flugzeug. Und doch<br />
ist alles anders. Gut die Hälfte besteht nicht<br />
mehr aus Metall, sondern aus Faserverbundstoffen,<br />
der Rumpf sogar zu 90 Prozent.<br />
Was sich dahinter verbirgt, so Airbus-Vorstand<br />
Günter Butschek im Interview mit<br />
"think:act BUSINESS", ist schlichtweg<br />
eine Revolution: "Wir erfinden das <strong>Thema</strong><br />
Luftfahrt neu" (Seite 14). Günter Butschek<br />
weiß, wovon er redet. Er kommt aus der<br />
Automobilindustrie. Die läutet, 125 Jahre<br />
nach ihrer Geburtsstunde, gerade ein<br />
neues Zeitalter ein. Fahren mit Strom statt<br />
Sprit, völlig neue Spieler auf Zuliefererwie<br />
auf Herstellerseite und der Betrieb<br />
von Car-Sharing-Flotten als neues Geschäftsfeld<br />
sind nur der Anfang: Mobilität, gleich in<br />
welcher Form, und sei es zu Fuß. Ein über<br />
100-jähriges Geschäftsmodell steht auf dem<br />
Prüfstand wie nie zuvor ... Ausgang offen.<br />
Unternehmen so in Aufruhr. Nichts hat<br />
Bestand: Nokia, einst Gummistiefeln<br />
verschrieben, dann der Ausrüster der<br />
modernen Informationsgesellschaft,<br />
war gestern. Heute ist Apple. Und morgen<br />
ist – wer? Schicksal? Keineswegs. Veränderung<br />
ist planbar, machbar. Während<br />
die einen den Niedergang der Zeitungen<br />
beweinen, macht die "New York Times"<br />
E-Abos profitabel. Kaffee als Innovationsobjekt<br />
hat etwa die Faszination von<br />
Streichhölzern. Kann man damit Geld verdienen?<br />
Und ob! Nespresso-Trinker von<br />
Nestlé zahlen umgerechnet 80 Euro für<br />
das Kilo Bohnen. George Clooney sei´s<br />
gedankt, vielleicht. Auf jeden Fall aber dem<br />
innovativen Geschäftsmodell von Nestlé.<br />
Die Gedanken sind frei, neu sind sie nicht.<br />
Die Kraft der schöpferischen Zerstörung<br />
hat schon Joseph Alois Schumpeter, gestorben<br />
1950, beschworen. Nie war er<br />
lebendiger als heute. Innovative Geschäftsmodelle<br />
lassen grüßen – in jeder Branche.<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!<br />
Axel Schmidt<br />
Global Head of Operations Strategy<br />
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 3<br />
Why<br />
Editorial<br />
Thought Leadership<br />
"Supermacht" Kunde. Wie Kunden<br />
zu Unternehmensstrategen werden<br />
How<br />
Praxis<br />
"Wir erfinden das Flugzeug neu" –<br />
Airbus Manager Günter Butschek im<br />
Gespräch mit <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />
Automobilindustrie<br />
Intelligenz auf Rädern – Vom<br />
Einstieg in eine neue Mobilitätskultur<br />
Medienindustrie<br />
Überleben Zeitungen das Internet?<br />
Cloud Economy<br />
Die Datenrevolution verändert<br />
die IT-Branche<br />
Who<br />
7 Fragen an<br />
Cédric Ochsner, <strong>COO</strong> von Chocolat Frey AG<br />
What<br />
Mergers & Acquisitions<br />
Erfolgreiches PMI-Management<br />
Einkauf<br />
Gestärkt aus der Krise<br />
Energieeffizienz<br />
Chancen durch steigende Strompreise<br />
Automobilzulieferer<br />
Aktuell im starken Zwischenhoch<br />
Kiosk<br />
think:act BUSINESS<br />
<strong>COO</strong> <strong>Insights</strong><br />
3<br />
4<br />
12<br />
20<br />
24<br />
28<br />
32<br />
36<br />
36<br />
37<br />
38<br />
39<br />
Herausgeber: Axel Schmidt<br />
Gesamtverantwortung: Dr. Michael Zollenkop<br />
Projektmanagement: Dr. Katherine Nölling<br />
Layout: <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> DesignTeam<br />
Bestellung: Sie können dieses Magazin als pdf in Deutsch und Englisch bestellen unter:<br />
<strong>COO</strong>_<strong>Insights</strong>@rolandberger.com<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Expertenteam:<br />
Marcus Berret, Christian Böhler, Ralph Büchele,<br />
Robert Grimm, Prof. Torsten Henzelmann,<br />
Oliver Knapp, Dr. Christian Krys, Dr. Thomas<br />
Kwasniok, Jörg Lederbauer, Switbert Miczka,<br />
Felix Mogge, Robert Ohmayer, Thomas Rinn,<br />
Axel Schmidt, <strong>Roland</strong> Schwientek, Christian<br />
Steinbach, Dr. Michael Zollenkop
Why<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Die neue Art:<br />
Wie sich Industrien<br />
neu erfinden
BusinesS Geschäftsmodelle 5<br />
Marktforschung war gestern. Im Zeitalter von Facebook und Twitter<br />
sind Social Communities das neue Machtinstrument der Konsumenten.<br />
Jahrzehnte daran gewöhnt, Produkte mit teils hohen Incentives in die Märkte<br />
zu drücken oder gönnerhaft zu verteilen, sehen sich Unternehmen einer<br />
neuen Supermacht gegenüber: dem globalisierten, individualisierten, omnipräsenten<br />
Kunden, der innerhalb von Sekunden Kaufentscheidungen und<br />
Produktentwicklungen beeinflussen kann.<br />
Nicht nur die gewaltigen Netzwerke mit Millionen von Nutzern in aller<br />
Welt verändern das Kräftespiel zwischen Herstellern und Abnehmern<br />
radikal. Auch der aufkommende Wohlstand<br />
in großen Schwellenländern mit neuen Anforderungen<br />
an Waren, der demografische Wandel in den entwickelten<br />
Industriestaaten sowie die Durchdringung von Technologien<br />
und Innovationen beschleunigen den Richtungswechsel.<br />
Was können Unternehmen tun, um von der Bewegung zu profitieren?
g Why<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
„<br />
Supermacht<br />
Kunde<br />
“<br />
Wie Kunden zu Unternehmensstrategen werden<br />
und ganzen Branchen die Geschäftsmodelle der<br />
Zukunft diktieren<br />
Vorbei die Zeiten, in denen Kunden<br />
Produkte vorgesetzt wurden, die von<br />
Entwicklungsabteilungen kreiert und der<br />
Vertriebs- und Marketingabteilung übergeben<br />
wurden, um sie buchstäblich in den<br />
Markt zu drücken – die Zeiten, in denen der<br />
entscheidende Erfolgsfaktor darin zu bestehen<br />
schien, den Kunden zu umwerben, zu<br />
hofieren oder zu bezirzen.<br />
Vorbei die Zeiten, in denen Unternehmen<br />
sich auf die Marktforschung verlassen<br />
konnten, den Kunden zu verstehen, das<br />
Verstandene an die Entwicklungsabteilung<br />
zu kommunizieren und in marktreife<br />
Produkte umsetzen zu lassen.<br />
Vorbei auch die Zeiten, in denen es ausreichte,<br />
B2B- oder B2C-Kunden frühzeitig<br />
in die Produktentwicklung einzubeziehen,<br />
in großem Stil Produkttests auszusetzen<br />
oder zu Co-Entwicklern umzufunktionieren.<br />
Kundenintegration galt dabei als das non<br />
plus ultra erfolgreicher Produktentwicklung<br />
und das exakte Verständnis von Kundenbedürfnissen<br />
und deren Evolution im Laufe<br />
der Zeit als Erfolgsfaktor<br />
der Neuproduktentwicklung<br />
– die Zeiten,<br />
in denen gerne auch vom<br />
"Kunden als König" die Rede<br />
war und Unternehmen sich<br />
gegenseitig im Ausmaß an Kundenorientierung<br />
zu übertrumpfen versuchten.<br />
All das reicht nicht mehr – die Zeiten haben<br />
sich geändert. Nie war die Transparenz des<br />
Kunden gegenüber dem weltweiten Produktangebot<br />
und seinen Leistungs- und Preisunterschieden<br />
so groß wie heute. Nie waren Kundenbedürfnisse<br />
so stark an einer flexiblen Problemlösung<br />
statt an physischen Produkten mit fixen
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 7<br />
Leistungseigenschaften orientiert. Nie war<br />
aber auch die Transparenz von Kunden<br />
gegenüber den Geschäftsmodellen der Unternehmen,<br />
ihren Kompetenzen und Prinzipien<br />
sowie ihren Produktionsnetzwerken und Erlösmodellen<br />
so umfassend wie heute. Und nie<br />
zuvor waren die Kunden untereinander so vernetzt<br />
und auf Austausch bedacht wie zu Zeiten<br />
sozialer Netzwerke, Kunden-Communities<br />
und Mund-zu-Mund Propaganda – kritische<br />
Meinungen verbreiten sich rasend schnell in<br />
entsprechenden Communities Internet- und<br />
Social Media-affiner Käuferschichten – und<br />
via Sekundärberichterstattung in klassischen<br />
Offline-Medien bis hin zu jedweder Onlineunverdächtiger<br />
Kundengruppe.<br />
Damit einher gehen zwangsläufig ausdifferenziertere<br />
Kundenwünsche als je zuvor – kundengruppenbezogene<br />
Nischen differenzieren<br />
sich an der Schnittstelle dessen, was einerseits<br />
am Markt verfügbar ist und andererseits<br />
auf Grund der Transparenz<br />
gefordert wird. Nachhaltigkeit und<br />
Social Responsibility, kundenindividuell<br />
angepasste Leistungspakete,<br />
die richtige Mischung<br />
aus Funktionalität, Design und<br />
Emotionalität im Produkt<br />
– nie war die Palette an<br />
Forderungen seitens der<br />
Kunden so lang wie heute.<br />
Willkommen im Zeitalter<br />
der "Supermacht"<br />
Kunde.<br />
Hinter dieser<br />
Entwicklung<br />
steht eine<br />
grundlegende<br />
Veränderung von Kundenbedürfnissen,<br />
Nutzungsgewohnheiten,<br />
Informationsverfügbarkeit<br />
und finanziellen Gegebenheiten,<br />
getrieben durch eine Reihe globaler<br />
Mega-Trends, also langfristiger Entwicklungen,<br />
die sich massiv und in der Regel weltweit auf<br />
Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt auswirken.<br />
Zusammengenommen führen sie ganz<br />
wesentlich zu dieser Machtverschiebung in<br />
Richtung Kunde, im Geschäfts- wie Privatkundenbereich,<br />
in der B2B- wie in der B2C-Welt.<br />
... Willkommen im Zeitalter der "Supermacht" Kunde.<br />
Hinter dieser Entwicklung steht eine grundlegendeVeränderung<br />
von Kundenbedürfnissen,<br />
Nutzungsgewohnheiten, Informationsverfügbarkeit<br />
und finanziellen Gegebenheiten.<br />
1<br />
Die Globalisierung als ein solcher Mega-<br />
Trend zeichnet sich u.a. an den enormen<br />
Wirtschaftswachstumsraten zahlreicher<br />
Schwellenländer und den in punkto Bevölkerungszahl<br />
und Wohlstand sich rapide entwickelnden<br />
Mittelschichten ab – allein in den<br />
BRIC-Staaten wird die Mittelschicht bis 2030<br />
um 150% auf etwa 2 Mrd. und in den sogenannten<br />
Next 11-Staaten auf rund 730 Mio.<br />
Menschen anwachsen.<br />
Unternehmen stellt dieses Potenzial zusätzlicher<br />
Kundenschichten im B2B- wie im B2C-<br />
Bereich vor enorme Herausforderungen:<br />
Im B2B-Geschäft mit Schwellenländern<br />
können westliche Hersteller traditionell nur<br />
eingeschränkt mit ihren auf Industrieländer<br />
ausgelegten Investitionsgütern reüssieren –<br />
zu teuer, zu überspezifiziert und zu wenig<br />
an regionale Bedürfnisse, Einsatzbedingungen<br />
oder Gewohnheiten angepasst ist das Standard-Produktportfolio<br />
typischerweise. Untersuchungen<br />
haben ergeben, dass Maschinenbau-Kunden<br />
in Industrieländern zu rund 70%<br />
auch mindestens 70% der Funktionen einer<br />
Standardmaschine im Routinebetrieb nutzen.<br />
In China hat dagegen nur rund ein Drittel der<br />
Kunden Verwendung für 70% oder mehr der<br />
standardmäßig einer Maschine inhärenten<br />
Funktionalität. Darüber hinaus differieren die<br />
gewünschten bzw. erforderlichen Funktionalitäten<br />
mitunter erheblich vom Standard westeuropäischer<br />
Prägung. Beispiel Medizintechnik:<br />
Für Radiologen in Schwellenländern wie<br />
Indien spielen bei der Anschaffung eines<br />
Röntgengeräts neben dem Preis besonders<br />
Unempfindlichkeit gegen Schmutz, Luftfeuchtigkeit<br />
oder Spannungsschwankungen im<br />
Stromnetz eine Rolle. Dafür reicht als technischer<br />
Anspruch, dass die Röntgenaufnahme<br />
manuell in der Dunkelkammer entwickelt<br />
werden muss anstatt innerhalb des Gerätes<br />
fertiggestellt zu werden; für Indikationen<br />
wie Knochenbrüche oder Tuberkulose, dem<br />
Gros des Bedarfs indischer Radiologen, ist<br />
ein solches Gerät der Quantensprung in der<br />
Diagnostik.<br />
Analog verhält es sich im B2C-Bereich, in dem<br />
der 2010 verstorbene indisch-amerikanische<br />
Management-Guru C.K. Prahalad den Begriff<br />
"bottom of the pyramid" prägte: Käufer am<br />
unteren Ende der Einkommenspyramide erwarten<br />
zeitgemäße Produkte von Markenanbietern,<br />
jedoch im Rahmen ihrer limitierten<br />
Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsbereitschaft.<br />
Erfolgversprechende Produkte müssen darüber<br />
hinaus lokale Nutzungsgewohnheiten<br />
berücksichtigen sowie auf Grund des erforderlichen<br />
Schulungsbedarfs der potenziellen<br />
Erstnutzer entsprechende Handhabungshinweise<br />
<strong>zum</strong> Produkt dazu liefern.<br />
Für westliche Produzenten bildet diese ungewohnte<br />
Bedürfnisstruktur oder sogar Anspruchshaltung<br />
der "bottom-of-the-pyramid"<br />
-Klientel eine spezielle Herausforderung.<br />
Während es in früheren Phasen der Globalisierung<br />
üblich war, zunächst in Europa gefertigte<br />
Güter zu exportieren und später
g Why<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
lokal auch jenseits der Triade in Schwellenländern<br />
zu fertigen, so bedeutet diese neueste<br />
Stufe der Globalisierung: Produkte werden<br />
maßgeblich auch in den Schwellenländern<br />
entwickelt und getestet – nur dann<br />
kann es gelingen, regionale Produktanforderungen<br />
oder kulturelle Spezifika im Produkteinsatz<br />
zu berücksichtigen und das Produkt<br />
nicht am Markt vorbei zu entwickeln.<br />
2<br />
Der demografische Wandel in Form von<br />
Urbanisierung und Alterung der Gesellschaft<br />
verändert ganze Industrien. Beispiel Automobil:<br />
Mehr und mehr leidet die Lebensqualität<br />
in Großstädten weltweit unter der massiven<br />
Zunahme des Verkehrsaufkommen,<br />
gleichzeitig nimmt die Bedeutung des Auto<br />
als Statussymbl, vor allem bei jüngeren Menschen<br />
ab. Konsumelektronik etwa hat einen<br />
höheren Stellenwert. Gebrauch statt Besitz<br />
lautet das Motto, und Hersteller reagieren –<br />
mit großflächigen Carsharing-Angeboten.<br />
Nie war die "Generation 60+" so aktiv wie aktuell<br />
– ältere Menschen nehmen heute erheblich<br />
intensiver am gesellschaftlichen Leben teil,<br />
bleiben länger mobil und möchten erheblich<br />
länger in den eigenen vier Wänden alt werden.<br />
Und: Noch nie lag ein derart hoher Teil der<br />
gesellschaftlichen Kaufkraft in den Händen<br />
dieser Altersgruppe. Bis 2035 wird zudem ein<br />
Drittel der deutschen Bevölkerung älter als<br />
60 Jahre sein. Für Unternehmen ist es nicht<br />
mehr damit getan, altersgerechte Geräte<br />
mit einfacherer Bedienung, größeren Tasten<br />
oder Schriften bereitzustellen. Unternehmen<br />
müssen sich auf die neue Lebenswirklichkeit<br />
"junger Alter" neu einstellen.<br />
Wer hat´s erfunden?<br />
Rangfolge der Ideengeber für Geschäftsmodellinnovationen in einem Unternehmen<br />
Mitarbeitende<br />
Kunden<br />
Geschäftspartner<br />
Wettbewerber/Konkurrenz<br />
Eigene Service-/Aussendienstmitarbeitende<br />
Wissenschaft/Forschung<br />
Konferenzen<br />
Messen und Ausstellungen<br />
Industrieverbände<br />
5er-Skala von komplett unwichtig bis sehr wichtig (n = 24)<br />
Stichwort "Ambient Assisted Living (AAL)":<br />
Dieser als "umgebungsunterstütztes Leben"<br />
übersetzbare Trend umfasst Konzepte, technologische<br />
Lösungen und Dienstleistungen,<br />
um das Alltagsleben der älteren Generation<br />
auch in Krankheit oder Gebrechlichkeit in<br />
größtmöglicher Selbstversorgung situationsgerecht<br />
zu unterstützen. Dabei sind diese<br />
Technologien in den Lebensraum der jeweiligen<br />
Personen integriert – etwa als elektronische<br />
Gesundheitsüberwachungsfunktion<br />
in der Bekleidung, als Sicherheitskomponente<br />
in Haushaltsgeräten oder in Form eines<br />
automatischen Hausnotrufsignals im<br />
Falle eines Schwächeanfalls. Unternehmen<br />
müssen also derartige Funktionalitäten von<br />
Vernetzung und pseudointelligentem Verhalten<br />
in ihre Produktpalette – vom Küchenherd<br />
bis hin <strong>zum</strong> sensordurchsetzten Fußbodenbelag<br />
– integrieren, was bei den betroffenen<br />
Herstellern Kompetenzaufbau oder<br />
Wertschöpfungsveränderungen teils in erheblichem<br />
Umfang nach sich zieht. Auf den<br />
Punkt gebracht: Statt eines einmalig verkauften<br />
Produktes werden langfristige Lösungen<br />
angeboten. Entsprechend sind anders qualifiziertes<br />
Personal, aber auch ein angepasstes<br />
Erlösmodell für die entsprechenden Lösungen<br />
erforderlich – von der Flat-Rate bis hin zur<br />
differenzierten Abrechnung.<br />
3<br />
Die Durchdringung von Technologien<br />
und Innovationen als dritter wichtiger Mega-<br />
Trend zeichnet sich heute durch Beschleunigung,<br />
Konvergenz und Ubiquität aus, wie sich<br />
an Beispielen von Digitalisierungstechnik bis<br />
hin zu auf Nachhaltigkeit fokussierte Innovationen<br />
zeigt: Technologien werden schneller<br />
übernommen, Innovationszyklen verkürzen<br />
sich und die Relevanz zusätzlicher Technologien<br />
in ehemals davon unberührten Branchen<br />
steigt. Darüber hinaus verbreiten sich<br />
Innovationen und damit Technologien heute<br />
nicht mehr wie im sogenannten "Wasserfallmodell"<br />
sequenziell, sondern in allen relevanten<br />
Märkten weitgehend simultan ("Sprinklermodell").<br />
Der technologische Abstand von<br />
Schwellen- und Entwicklungsländern zu Industrieländern<br />
schrumpft. Bei prinzipiellen<br />
Technologiewechseln gelingt es mitunter<br />
Unternehmen aus gänzlich anderen Branchen<br />
und Hemisphären, in die Phalanx etablierter<br />
Anbieter einzubrechen.<br />
2.8<br />
2,7<br />
2,5<br />
2,4<br />
2,0<br />
H<br />
1,9<br />
inter diesen Trends stehen<br />
signifikante Veränderungen auf<br />
1,6<br />
Kundenseite – Geschäfts- wie<br />
1,5<br />
Privatkunden, bestehenden und<br />
1,4 potenziellen neuen Kunden, Kunden in<br />
hochentwickelten wie in sich entwickelnden<br />
Ländern. Und in vielen Fällen eine
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 9<br />
Von den Profis lernen –<br />
Erfolgreiche Geschäftsmodelle sind auch<br />
auf andere Branchen übertragbar<br />
Manche Geschäftsmodelle sind auf einzelne Unternehmen zugeschnitten,<br />
andere gelten für ganze Industrien, wiederum andere<br />
gehen über Branchengrenzen hinweg. Für alle gilt: Motoren der<br />
Entwicklung sind Anforderungen und Wünsche von Kunden.<br />
Low-cost Geschäftsmodelle: Kunden möchten für<br />
wenig Geld ihre Wünsche erfüllen, verzichten dafür aber gerne auf<br />
aus ihrer Sicht unnötigen Komfort? Low-cost Geschäftsmodelle<br />
haben die potenzielle Teilhabe aller Kundenschichten<br />
<strong>zum</strong> Prinzip erhoben. Gestartet<br />
in Branchen wie Lebensmitteleinzelhandel<br />
oder Fluglinien haben Billig-Geschäftsmodelle<br />
mittlerweile zahlreiche Branchen durchdrungen<br />
– bis hin zur Kreuzfahrtindustrie.<br />
Fraktionalisierung: Geschäfts- oder Privatkunden möchten oder<br />
können kein komplettes Regionalflugzeug erwerben? Kein Problem –<br />
Flugzeughersteller wie NetJets verkaufen ihre Jets<br />
auch an eine Gruppe von Kunden, die den Jet dann<br />
gemeinsam besitzen. Für den Hersteller eines solchen<br />
Investitionsgutes bedeutet das, gänzlich<br />
neue Kompetenzen im Umgang mit Kunden<br />
aufzubauen, vielfach aber auch im Betrieb<br />
oder <strong>zum</strong>indest in punkto Verwaltung<br />
und Disposition seines Produkts.<br />
Produkt als Dienstleistung: Geschäftskunden möchten<br />
Lösungen oder Zwischenprodukte statt Investitionsgüter kaufen?<br />
Egal ob Kompressionsleistung statt Kompressoren, die Verfügbarkeit<br />
anstelle des Besitz an Werkzeugen oder Softwareleistung<br />
"on demand" statt Investition in Software<br />
(Software as a Service, SaaS) – der Kunde<br />
trägt weder Einsatz- noch Ausfallrisiko und<br />
profitiert von Kostenflexibilität bis hin <strong>zum</strong><br />
Betrieb des Produkts über die gesamte<br />
Lebensdauer durch seinen Hersteller.<br />
Freemium ("Free" und "Premium"): Verbraucher sind<br />
an die Gratiskultur im Internet gewöhnt? Unternehmen haben<br />
sich darauf eingestellt – mit kostenlosen Basisleistungen,<br />
die durch kostenpflichtige Premiumdienste<br />
subventioniert werden. Digitaler Content<br />
im Internet von Mailservices über Suchmaschinen<br />
und Kontaktplattformen bis zu<br />
Medienkonsum jeglicher Art – im Netz der<br />
ungeahnten Möglichkeiten lässt es sich<br />
"Supermacht Kunde" gut gehen.<br />
Symbol folgt<br />
Crowdsourcing: Kunden wollen zur Wertschöpfung beitragen<br />
und im Gegenzug die Beiträge anderer User konsumieren?<br />
Von solchen Kunden-Communities und entsprechender Auslagerung<br />
der Wertschöpfung profitieren Unternehmen von Wikipedia<br />
bis YouTube – finanziert durch Werbung,<br />
Spenden oder andere<br />
Erlösquellen.<br />
Machtverschiebung von Herstellern zu<br />
Kunden. Der Schlüssel liegt dabei entweder<br />
in neu aufkommenden Kundenbedürfnissen<br />
oder bislang schlecht oder nicht gedeckten<br />
bestehenden Bedürfnissen mit Potenzial<br />
zu einem Massenmarkt – und darin, den<br />
Kunden ein entsprechend verändertes oder<br />
zusätzliches Nutzenversprechen anzubieten.<br />
Wer als Hersteller diese Zusammenhänge<br />
erkennt und richtig interpretiert, hat im<br />
Zeitalter der "Supermacht Kunde" einen klaren<br />
Wettbewerbsvorteil.<br />
Der Harvard-Professor und Bestsellerautor<br />
Clayton Christensen ("The Innovator‘s Dilemma")<br />
hat für eine derartige Orientierung den<br />
Begriff "Disruptive Innovation" geprägt:<br />
Bewusste Fokussierung der Produktentwicklung<br />
auf nicht oder nur unzureichend<br />
abgedeckte Kundenbedürfnisse und dabei<br />
insbesondere auf potenzielle Kunden, die<br />
mangels eines adäquaten Angebots bislang<br />
gar nicht zu Kunden geworden sind. Zentrales<br />
Merkmal der disruptiven Innovation:<br />
Sie ist vorhandenen Standard-Lösungen<br />
Hinter diesen Trends<br />
stehen signifikante<br />
Veränderungen auf<br />
Kundenseite – Geschäftswie<br />
Privatkunden,<br />
bestehende und potenzielle<br />
neue Kunden, in hochentwickelten<br />
wie in sich<br />
entwickelnden Ländern.
g Why<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
prognose reichen und wie stark sie auf das<br />
Gesamtbild abheben muss. Solche Trends<br />
kündigen sich, lange bevor sie wettbewerbsrelevant<br />
werden, als "weak signals" (schwache<br />
Signale) an. Das fand Igor Ansoff, Mitbegründer<br />
des strategischen Managements,<br />
bereits in den 1970er Jahren heraus. Heute<br />
versteht man darunter Signale, die zunächst<br />
von wenigen Stakeholdern für relevant gehalten<br />
werden, die viele Befragte bei näherer<br />
Betrachtung dann aber als unsicher<br />
oder hochrelevant einstufen. Ein Instrument<br />
zur schnellen Identifizierung solcher<br />
Veränderungen im Unternehmensumfeld<br />
stellt das 360°-Stakeholder-Feedback dar,<br />
das <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants in<br />
Kooperation mit der Handelshochschule<br />
Leipzig (HHL) entwickelt hat. Ziel ist es, im<br />
Im Online-Befragungstool des<br />
360 Grad Stakeholder werden<br />
interne und externe Perspektiven<br />
verglichen<br />
Wer treibt´s voran?<br />
Externe und interne Impulsgeber für Innovationen<br />
Innovationstreiber<br />
Extern<br />
Technologische Entwicklungen<br />
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung<br />
Globalisierung des Wettbewerbs<br />
Ökologische Entwicklungen<br />
1.24<br />
0.60<br />
0.56<br />
0.56<br />
Bi-polare 5er-Skala [-2,+2] von starkes Hemmnis bis starker Treiber (n = 24<br />
zunächst unterlegen und wird deshalb nicht<br />
als konkurrenzfähig angesehen – bedient<br />
dann aber aufgrund einer rasanten Entwicklung<br />
die Kundenbedürfnisse besser. "Disruptive<br />
Innovations" sind damit der Gegenpol<br />
zu "Sustaining Innovations", bei denen die<br />
Weiterentwicklung von Standard-Nutzenkategorien<br />
oder -Funktionalitäten im Mittelpunkt<br />
steht.<br />
Um in diesem Spannungsfeld nicht<br />
nur rechtzeitig reagieren, sondern im<br />
Idealfall proaktiv agieren zu können,<br />
müssen sich Unternehmen eingehend<br />
mit der Bedürfnisstruktur bestehender<br />
Kunden wie auch Nicht-Kunden befassen. Sie<br />
müssen verstehen, welche typischen Bedürfnishierarchien<br />
in unterschiedlichen Kundensegmenten<br />
auftreten – und wie die entsprechenden<br />
Zahlungsbereitschaften ausgeprägt<br />
sind. Und sie müssen lernen, welches<br />
die Treiber hinter Veränderungen der Kundenwünsche<br />
und -bedürfnisse sind. Und das<br />
alles nicht nur im Rahmen der aktuellen Lebenswirklichkeit<br />
des Kunden und im aktuellen<br />
Verwendungszusammenhang des Produkts,<br />
sondern vor allem in der potenziell zukünftigen<br />
Welt des Kunden – in drei, fünf oder zehn<br />
Jahren. Die Länge der Innovationszyklen bestimmt,<br />
wie weit in die Zukunft die Trend-<br />
Intern<br />
Unternehmenskultur<br />
Informations- und Wissensstand<br />
Fähigkeiten und Kompetenzen<br />
der Mitarbeitenden<br />
Kombination von Ressourcen<br />
0,52<br />
0.44<br />
0,40<br />
0,36<br />
Rahmen der strategischen Frühaufklärung<br />
neben schwachen Signalen auch sogenannte<br />
"blind spots" zu identifizieren. Damit bezeichnete<br />
der Management-Guru Michael Porter<br />
Einflussfaktoren, die Unternehmen wegen<br />
ihrer starken Binnensicht übersehen. Wir<br />
sprechen in diesem Zusammenhang von<br />
"blinden Flecken", wenn die externe Bewertung<br />
schwacher Signale einen stärkeren Einfluss<br />
oder eine höhere Unsicherheit ergibt als die<br />
Bewertung durch die unternehmensinternen<br />
Stakeholder.<br />
Dazu beschreiben Experten detailliert das<br />
aktuelle Geschäftsmodell sowie alternative<br />
Geschäftsmodelle, etwa von Wettbewerbern,<br />
und bewerten deren Zukunftsfähigkeit.<br />
Dynamisch macht die Betrachtung dann das<br />
erwähnte 360°-Stakeholder-Feedback. Die<br />
wichtige und schwierige Aufgabe besteht in<br />
diesem Schritt nicht darin, richtige Antworten<br />
zu finden, sondern die richtigen Fragen zu<br />
stellen. Das Ziel ist, Transparenz zu schaffen:<br />
im Hinblick auf Wirkmechanismen der betrachteten<br />
Geschäftsmodelle, auf abgedeckte<br />
Marktsegmente, auf adressierten Kundennutzen<br />
und viele zusätzliche Aspekte<br />
im Wettbewerbsvergleich. Lassen sich<br />
dann Wettbewerbsnachteile oder künftige<br />
Einflussfaktoren erkennen, sollte das<br />
Geschäftsmodell neu justiert werden.<br />
Oft hilft auch ein Blick auf andere<br />
Branchen – sowohl in punkto Identifikation<br />
zukünftiger Trends als auch im<br />
Hinblick auf mögliche Lösungsansätze<br />
im Umgang mit solchen zukünftigen<br />
Kundenbedürfnissen.<br />
Airbus geht genau diesen Weg, wie Airbus-<br />
Vorstand Günter Butschek berichtet:<br />
Modularisierung der Produktstruktur, Tests<br />
alternativer Materialien und Kraftstoffe<br />
in Zusammenarbeit mit Großkunden,
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 11<br />
Zusammenstellen vordefinierter Standardkonfigurationen<br />
an Flugzeugen oder Systempartnerschaften<br />
mit Schlüssellieferanten.<br />
Ob auf Lieferanten- oder Kundenseite, ob in<br />
Produktion, Supply Chain Management oder<br />
Vertrieb: Was airbus vorhat, ist nicht weniger<br />
als die Übertragung wesentlicher Elemente<br />
des geschäftsmodells der automobil- auf<br />
die Flugzeugindustrie. Und das ganze mit<br />
dem Ziel der Industrialisierung von abläufen,<br />
der Bewältigung der sprunghaft steigenden<br />
Komplexität und dem Schritthalten des<br />
geschäftsmodells mit den enormen absatzund<br />
Wachstumszielen.<br />
Zurück <strong>zum</strong> Beispiel des Medizintechnik-<br />
Herstellers, der röntgengeräte in Schwellenländern<br />
an den Mann bringen will. Die Entwicklungsabteilung<br />
dieses Herstellers<br />
muss zunächst die rahmenbedingungen<br />
wie gewünschte, benötigte oder technisch<br />
erforderliche Funktionalitäten in Erfahrung<br />
bringen. gegenüber bestehendem Wissen<br />
und routinen bedeutet dies einen zusätzlich<br />
erforderlichen Know-how-aufbau von u.U.<br />
signifikantem Umfang, während zahlreiche<br />
bestehende technologische, prozessuale<br />
Was will der kunde wirklich? Welche trends kennzeichnen den<br />
verbrauchermarkt in Zukunft? Und wie stellen sich Unternehmen<br />
am besten und am schnellsten auf veränderungen ein?<br />
Ein Frühwarnsystem hilft, rechtzeitig auf Signale zu reagieren.<br />
• Welche sich abzeichnenden Frühwarninformationen bzgl. zukünftiger Kundentrends<br />
wirken sich potenziell auf das bestehende geschäftsmodell aus?<br />
• Wie dynamisch entwickeln sich diese Trends?<br />
• An welchen Stellen oder Schnittstellen können diese Trends<br />
die Wirkungsbeziehungen innerhalb des geschäftsmodells<br />
verändern? Welche möglichen Konsequenzen hat dies<br />
für die Stimmigkeit des geschäftsmodells insgesamt?<br />
• Welche Akteure haben ein Interesse an der Begründung<br />
eines alternativen geschäftsmodells? In welcher Form<br />
profitieren sie von innovativeren geschäftsmodellen?<br />
• Welche Dimensionen des Kundennutzens erfüllt das bestehende<br />
geschäftsmodell nur unzureichend?<br />
Nie war also der Einfluss des Kunden auf<br />
das Geschäftsmodell von Herstellern jeglicher<br />
Branchen größer als heute. Und zu Ende<br />
gedacht, damit der Einfluss des Kunden auf<br />
die Operations-Bereiche des Unternehmens.<br />
Denn diese sind es ja, die sich vordringlich auf<br />
das innovative Geschäftsmodell einstellen<br />
müssen – ob auf Produkt-/Leistungs-Angebot,<br />
Konfiguration der Wertkette oder Erlösmodell.<br />
und produktbezogene Kompetenzen für das<br />
Projekt obsolet werden; relevante "Experten"<br />
müssen umfassend umgeschult bzw. in vielen<br />
Fällen durch neue, externe Fachleute ersetzt<br />
werden.<br />
Häufig lassen sich derart veränderte Produkte<br />
aus Herstellersicht auch nur durch<br />
Entwicklungskooperationen mit einheimischen<br />
Partnern realisieren – die eigene<br />
Entwicklungstiefe sinkt dann und Fähigkeiten<br />
wie Integration Externer in die<br />
Entwicklung oder Prozess- und Fortschrittskontrolle<br />
bei den Leistungsumfängen des<br />
Entwicklungspartner sowie die anschließende<br />
Systemintegration der verschiedenen Module<br />
müssen aufgebaut werden. In ähnlichem<br />
Umfang verändert sich das aufgabenspektrum<br />
von Funktionen wie Einkauf,<br />
Produktion und Supply Chain Management.<br />
Veränderungen von Inhalt und Umfang<br />
der intern erbrachten Leistungen, von<br />
relevanten Fähigkeiten bis hin zu neuen<br />
anforderungen an das risikomanagement<br />
sind die Konsequenz. Und wenn dann auch<br />
noch geänderte Finanzierungsformen,<br />
Schulungsintensitäten oder gar der Betrieb<br />
des geräts beim Kunden erforderlich sein<br />
sollten, dann sind auch Vertrieb und after<br />
Sales signifikant betroffen. Sukzessive<br />
entsteht so ein fundamental verändertes<br />
geschäftsmodell für das geschäft mit<br />
Schwellenländern – und in diesem Fall ein<br />
zweites geschäftsmodell<br />
neben dem bestehenden<br />
und weiter existierenden<br />
geschäftsmodell<br />
für Kunden in<br />
entwickelten Ländern.<br />
Die damit einhergehende<br />
Komplexität<br />
des Managens zweier<br />
geschäftsmodelle<br />
in den Operations-<br />
Bereichen kommt<br />
noch hinzu.<br />
D<br />
er Kunde hat sich also lich zur "Supermacht" gemausert,<br />
klammheimdie<br />
bis in die Operations-Bereiche,<br />
die ja typischerweise nicht oder nur<br />
sporadisch über direkten Kundenkontakt<br />
verfügen, hineinregiert. Welche geschäftsmodelle<br />
sich vor diesem Hintergrund durchsetzen,<br />
hängt also zu einem guten teil von<br />
der Kundenresonanz ab.<br />
Willkommen im Zeitalter der "Supermacht"<br />
Kunde!
How<br />
Es war einmal ...<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 13<br />
Ein Flugzeug ist ein Flugzeug. Ein Auto ist ein Auto. Eine Zeitung<br />
bleibt eine Zeitung. Stimmt das noch? Technologischer Wandel,<br />
Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung, Internet und das<br />
Informationsverhalten der Generation @ krempeln mehr als ein<br />
Jahrhundert alte Industrien in kürzester Zeit um.<br />
Im Flugzeugbau lässt die Massenmobilität Produktionsstrukturen<br />
aus der Automobilindustrie einziehen und Düsenjets fast<br />
wie von der Stange produzieren. Elektromobilität und die moderne<br />
Kommunikationstechnologie erfinden nicht nur das Automobil<br />
neu, sondern die Art individueller Fortbewegung schlechthin.<br />
Smartphones und iPad stellen das Informationsangebot der<br />
Medienkonzerne sowie die Nutzung von Informationen auf den<br />
Kopf. Schöne neue Welt? Nichts bleibt, wie es ist.
„<br />
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Wir müssen<br />
das <strong>Thema</strong> Luftfahrt<br />
neu definieren<br />
“<br />
Airbus-Produktionsvorstand Günter Butschek über die Revolution im<br />
Flugzeugbau, die neue Allianz zwischen Hersteller und Zulieferern<br />
und Verkehrsjets von der Stange<br />
RB: Herr Butschek, Sie sind seit fast neun<br />
Monaten Produktionsvorstand bei Airbus.<br />
Davor waren Sie mehr als ein halbes<br />
Berufsleben bei Mercedes und Daimler.<br />
Vermissen Sie die Autos?<br />
Butschek: Nein, überhaupt nicht, obwohl ich<br />
lange geglaubt habe, Autos seien mein Leben.<br />
Besonders wenn man das Glück hat, für eine<br />
Marke wie Mercedes zu arbeiten.<br />
RB: Ihr ehemaliger Vorstandsvorsitzender,<br />
Daimler-Chef Dieter Zetsche, spricht derzeit<br />
viel von der Neuerfindung des Autos. Da<br />
könnte reichlich Wehmut aufkommen.<br />
Butschek: Ich glaube, Sie unterschätzen die<br />
Faszination Fliegen. Und Sie übersehen vielleicht,<br />
in welch einer Umbruchphase sich die<br />
Flugzeugindustrie momentan befindet.<br />
RB: Mehr Umwälzung als beim Auto?<br />
Butschek: Das möchte ich so nicht sagen,<br />
aber auch wir erfinden, wenn Sie so wollen,<br />
das Flugzeug neu. Ich habe immer gesagt:<br />
Wenn etwas kommt, das mich fasziniert,<br />
dann mache ich das. Und bei Airbus ist<br />
das definitiv der Fall. Das liegt nicht nur<br />
an Produkten wie der A380 oder der A400M,<br />
sondern auch an den Menschen, die ich<br />
hier treffe. Da ist viel Leidenschaft im Spiel,<br />
für mich die Grundvoraussetzung für erfolgreiches<br />
Arbeiten.
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 15<br />
günter Butschek,<br />
51, ist seit März 2011 airbus-Vorstand<br />
für Operations, Vorsitzender der<br />
geschäftsführung von airbus in<br />
Deutschland sowie Mitglied im airbus<br />
Executive Committee.<br />
Butschek begann seine Karriere 1984<br />
bei Mercedes-Benz als Projektingenieur<br />
in der zentralen Materialwirtschaft.<br />
Nach verschiedenen Stationen übernahm<br />
er 2000 in der geschäftsführung<br />
von DaimlerChrysler Südafrika die<br />
Operations, zwei Jahre später im<br />
niederländischen Born die Leitung des<br />
Nedcar-Werks, das Daimler zusammen<br />
mit dem japanischen autobauer<br />
Mitsubishi Motors betrieb.<br />
Für den internationalen Konzern<br />
airbus sind Butscheks Erfahrungen<br />
mit unterschiedlichen Kulturen ein<br />
wichtiger Vorteil.<br />
RB: Die a380 war bis zu ihrem Einsatz im<br />
Linienverkehr lange ein Problemkind. Der Militärtransporter<br />
a400M ist – <strong>zum</strong>indest, was<br />
die Finanzierung anbelangt – ein Desaster.<br />
Jetzt verspätet sich die a350. Das hört sich<br />
eher nach harter arbeit an.<br />
Butschek: Wir haben es hier mit einer ungeheuren<br />
Komplexität zu tun. Sie zu beherrschen<br />
und zu verbessern, davon kann eigentlich<br />
jeder Produktionsmann nur träumen.<br />
Erinnern Sie sich: als airbus anfing, die a380<br />
zu planen, gab es nicht wenige Menschen,<br />
die das für absolut verrückt und noch weniger<br />
für machbar hielten. Zu groß, zu teuer – und<br />
heute fliegen wir wie selbstverständlich damit.<br />
Und zwar mit drei Litern Sprit pro Passagier<br />
pro 100 Kilometer und hochrentabel für die<br />
Fluggesellschaften. Und unsere Kunden sowie<br />
ihre Passagiere sind absolut begeistert. Das<br />
müssen uns die automobilleute erst einmal<br />
nachmachen.<br />
RB: Ihr Schicksal wird bei airbus vor allem mit<br />
der Neuentwicklung des Langstreckenjets<br />
a350 XWB verbunden, dem Konkurrenzflieger<br />
<strong>zum</strong> Dreamliner von Boeing, der 16 statt 6<br />
Milliarden US-Dollar gekostet hat und als das<br />
Flugzeug in die annalen der Luftfahrtindustrie<br />
eingehen wird, das mit der größten<br />
Verzögerung auf den Markt gekommen ist.<br />
Butschek: Schicksal klingt schon sehr dramatisch,<br />
sagen wir doch lieber: die "größte<br />
Herausforderung".<br />
RB: Warum?<br />
Butschek: Wir betreten sowohl mit unseren<br />
Materialkonzepten als auch mit unserer<br />
Fertigungstechnologie absolutes Neuland.<br />
Die a350 XWB ist nicht nur einfach ein neues<br />
Flugzeug, es ist, in teilen, die Neuerfindung<br />
des Flugzeugbaus bei airbus.<br />
RB: thomas Enders, der airbus-Chef,<br />
spricht von einem Höllenritt. Für andere<br />
ist die a350 XWB die revolution des bisherigen<br />
geschäftsmodells. Was ist das<br />
außergewöhnliche daran?<br />
„<br />
Wir gehen von<br />
einer Verdopplung des<br />
Welt-Passagierverkehrs<br />
in den nächsten<br />
15 Jahren aus.<br />
„
g how<br />
ROLAND BERGER StratEgy CONSULtaNtS<br />
Butschek: Wir haben es mit einem komplett<br />
anderen Prozess zu tun – Stichwort "black<br />
metal". Das Flugzeug besteht zu 53% aus<br />
Kohlefaserverbundwerkstoffen. Sie ersetzen<br />
herkömmliche Materialien wie Stahl oder<br />
aluminium, weil leichtere Flugzeuge energiesparender<br />
und umweltverträglicher sind.<br />
Das hilft, die Kohlendioxidemissionen pro<br />
Passagier bei der a350 XWB im Vergleich zu<br />
heutigen Flugzeugen der gleichen Kategorie<br />
um 25% zu reduzieren. Mit der a350 XWB<br />
bauen wir jetzt erstmals ein Flugzeug, dessen<br />
rumpf fast komplett aus diesem Werkstoff<br />
besteht. Die anwendung dieses Materials in<br />
der gesamten rumpfproduktion ist also für<br />
uns neu, aber auch die Entwicklungsprozesse<br />
und die Produktion der Komponenten sind<br />
neuartig – ganz abgesehen von der Wartung.<br />
aber das ist nur die eine Seite der Medaille.<br />
RB: Die zweite wäre?<br />
Butschek: Wir haben unsere Lektionen aus<br />
dem a380-Programm gelernt. Das heißt:<br />
Wir setzen neue Standards bei Entwicklung<br />
und Industrialisierung: komplett integrierte,<br />
transnationale Entwicklungsplateaus,<br />
Harmonisierung aller Entwicklungstools<br />
und Fertigungsvorrichtungen. Dazu kommt<br />
der aufbau des "Extended Enterprises" mit<br />
einem neuen ansatz im risikomanagement,<br />
also erstmals die Einbindung großer "risk-<br />
Sharing-Partner". Damit delegieren wir gezielt<br />
Verantwortung in der Entwicklung, aber auch<br />
später in der Produktion an ausgewählte<br />
Lieferanten. Wir beziehen sie viel früher und<br />
konsequenter in die Entwicklungsprozesse<br />
ein, was auch an unsere Partner ganz andere<br />
Herausforderungen stellt. Früher waren sie<br />
unsere verlängerte Werkbank: Sie bauten<br />
teile/Komponenten, die wir zusammenbauten.<br />
Diese neue Form der Partnerschaft<br />
dagegen bedeutet ein hohes Maß an<br />
Verantwortung auf beiden Seiten.<br />
RB: Hört sich nach auto an.<br />
Butschek: Da haben Sie völlig recht.<br />
autohersteller haben schon vor fast 20 Jahren<br />
auf Systemlieferanten gesetzt und damit<br />
gezielt Verantwortung abgegeben. Sie haben<br />
zwar eine <strong>zum</strong> teil schwierige Lernkurve<br />
durchlaufen, aber am Ende war das der richtige<br />
Weg. anders stünde die Industrie bei weitem<br />
nicht so gut da, wie sie es heute tut.<br />
RB: auch airbus muss Lehrgeld zahlen.<br />
Butschek: Ohne Zweifel, eine solche fundamentale<br />
Veränderung der Zuliefererstruktur<br />
ist für alle Beteiligten ein schwieriger<br />
Prozess, in dem uns aber eine besondere<br />
Verantwortung zukommt.<br />
RB: Die a350-1000 wurde modifiziert und<br />
kommt daher später auf den Markt als<br />
zunächst angekündigt. Heißt das, die a380<br />
lässt freundlich grüßen? Die kam zwei Jahre<br />
zu spät.<br />
Butschek: Wir haben es in diesem Fall mit keiner<br />
Verzögerung aufgrund von Fehlleistungen<br />
zu tun. Die a350-1000, das größte Modell mit<br />
der größten reichweite, ist modifiziert worden<br />
und verfügt jetzt über verbesserte triebwerke,<br />
die sich noch in der Entwicklung befinden.<br />
Das nimmt Zeit in anspruch. aber die Kunden<br />
bekommen dafür auch ein leistungsfähigeres<br />
Flugzeug, welches noch besser mit ihren<br />
anforderungen übereinstimmt.<br />
RB: Ein anderer grund könnte der sein,<br />
dass Sie eben zu stark auf Zulieferer setzen<br />
und so die Prozesse aus der Hand geben.<br />
Beobachter meinen, dies sei das eigentlich<br />
Fatale am Dreamliner. Boeing habe das<br />
Know-how aus der Hand gegeben und so die<br />
Kontrolle verloren.<br />
Butschek: Ich mag nicht über die Probleme<br />
unserer Kollegen in Seattle urteilen. aber<br />
ich denke, dass wir uns an ein paar Stellen<br />
deutlich unterscheiden. Wir sind eng mit den<br />
Lieferanten in Kontakt, wir unterstützen sie<br />
mit unseren teams. Das bedeutet nicht,<br />
dass damit bereits alles reibungslos verläuft,<br />
aber wir begreifen die Verantwortung als<br />
gemeinsame aufgabe. Wir gehen auch vielleicht<br />
mit dem Werkstoff Kohlefaser etwas<br />
konservativer um, indem wir uns beispielsweise<br />
bewusst entschieden haben, den rumpf<br />
nicht in einem Stück, sondern aus Schalen<br />
herzustellen.<br />
RB: als hätten Sie nicht schon genug damit<br />
zu tun, stehen Sie zusätzlich vor einem Berg<br />
von Bestellungen und Kaufabsichten. Schon<br />
nach einem halben Jahr nach ihrer Vorstellung<br />
lagen allein für die für 2015 angekündigte<br />
a320neo rund 1.000 Orders vor. Dabei<br />
liegen bislang nur Computersimulationen<br />
vor. So etwas hat es noch nicht gegeben. Sie<br />
werden vom Erfolg Ihrer eigenen Flugzeuge<br />
erschlagen.<br />
Butschek: Im Ergebnis gilt für uns: Nie<br />
waren Kapazitäten so wertvoll wie heute.
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 17<br />
RB: Manche sprechen von einem<br />
Luxusproblem.<br />
Butschek: Das kann man so sehen. aber was<br />
wirklich dahinter steckt, ist eine gewaltige<br />
Herausforderung. Das Management eines solchen<br />
Wachstums ist ein hartes geschäft und<br />
hochkomplex. Besonders dann, wenn man<br />
gleichzeitig die Fertigungsstrukturen auf den<br />
Kopf stellt.<br />
RB: Wie hart?<br />
Butschek: aufgrund der hohen Nachfrage<br />
werden wir unsere Produktionsrate nennenswert<br />
erhöhen. Das ist eine riesenaufgabe.<br />
Wir realisieren jetzt praktisch eine<br />
rückwärtsintegration, indem wir versuchen,<br />
Fortschritte in den Fertigungsprozessen<br />
bei der a350 XWB und <strong>zum</strong> teil bei der a380<br />
zur absicherung der Stückzahlen und zu<br />
Produktivitätsfortschritten bei der a320-<br />
Familie zu nutzen.<br />
RB: Wie wollen Sie das erreichen?<br />
Butschek: Der eigentliche Engpass sind<br />
eigentlich nicht wir selbst, sondern <strong>zum</strong><br />
großen teil unsere Zulieferer. Dazu kommt,<br />
dass Qualität im Flugzeugbau oberste Priorität<br />
hat. Nachlässigkeit ist hier nicht erlaubt. Das<br />
Wachstum des Passagierverkehrs beträgt<br />
derzeit ungefähr 5% pro Jahr, wobei <strong>zum</strong><br />
Beispiel China deutlich schneller wächst.<br />
Wir gehen von einer Verdopplung des Welt-<br />
Passagierverkehrs in den nächsten 15 Jahren<br />
aus. Bis 2030 erwartet airbus insgesamt<br />
einen Bedarf von fast 28.000 Passagier- und<br />
Frachtflugzeugen im Wert von 3,5 Billionen<br />
US-Dollar. Wir profitieren davon. aber wie<br />
genau, das hängt vor allem davon ab, wie es<br />
uns gelingt, die Zulieferkette zu ertüchtigen.<br />
Sorgen machen uns dabei nicht einmal die<br />
sogenannten First tier Suppliers, also unsere<br />
direkten Zulieferer, sondern vielmehr deren<br />
eigene Zulieferkette.<br />
RB: Zurzeit schaffen Sie es, 38 Flugzeuge<br />
der a320-Familie im Monat zu produzieren.<br />
Ende 2012 sollen es 42 sein, später vielleicht<br />
auch 44. Das ...<br />
Butschek: ... ich weiß, was Sie jetzt sagen<br />
wollen.<br />
RB: Nämlich?<br />
Butschek: Dass das nicht gerade nach<br />
viel klingt.<br />
RB: So ist es. Knapp 100 Flugzeuge mehr im<br />
Jahr, das scheint bei der vorliegenden Zahl<br />
der Bestellungen ein tropfen auf dem heißen<br />
Stein.<br />
Butschek: Um die Komplexität bei uns und<br />
den Lieferanten zu verstehen, hier eine einfache<br />
Formel: Ein Langstreckenflugzeug der<br />
a330-Familie hat ungefähr den vierfachen<br />
arbeits- und Materialumfang wie ein Flugzeug<br />
„<br />
Airbus<br />
brauchte 40 Jahre,<br />
um von 0 auf 50%<br />
Marktanteil<br />
zu kommen.<br />
„
g how<br />
ROLAND BERGER StratEgy CONSULtaNtS<br />
„<br />
10 Jahre sind in diesem Geschäft kein<br />
Zeithorizont. Wir bauen ein Flugzeug 25 Jahre<br />
lang, mit dem Service erstreckt sich der<br />
Zeitraum auf vier Jahrzehnte.<br />
der a320-Familie. Bei der a380 rechnen wir<br />
schon mit Faktor acht. Wenn wir jetzt unsere<br />
geplante ratensteigerung zugrunde legen,<br />
von 38 auf 42 bei der a320-Familie, von 8 auf<br />
10 bei der a330-Familie und von 2,1 auf 3,5<br />
bei der a380 –, dann heißt das für einzelne<br />
Lieferanten bei vergleichbarem Lieferumfang<br />
innerhalb der nächsten 36 Monate eine 40-<br />
bis 50-prozentige Kapazitätssteigerung. Das<br />
muss man erst einmal hinkriegen.<br />
RB: Wie schafft der das?<br />
Butschek: Das ist genau die Herausforderung.<br />
Häufig nicht ohne unsere Hilfe.<br />
„<br />
RB: ... und wie sieht die aus?<br />
Butschek: Indem wir wesentlich enger<br />
zusammenarbeiten. Früher lautete der<br />
ansatz: Ich schicke dem Lieferanten das<br />
Programm und der wird‘s dann schon richten.<br />
Inzwischen schicken wir crossfunktionale<br />
auditierungsteams zu unseren Partnern, die<br />
sich gemeinsam die Prozesse anschauen,<br />
Verbesserungen anschieben und Potenziale<br />
absichern. Bei airbus setzen wir neue<br />
Produktionsmethoden wie die "Moving Line",<br />
getaktete Fertigung oder kürzere takte ein.<br />
Das ist das, was bei uns wirkt. also sagen<br />
Faktor 4 bis 8: Die komplexe Fertigung bei Airbus<br />
funktioniert nur durch enge Zusammenarbeit.<br />
wir unseren Lieferanten: Lasst uns gemeinsam<br />
schauen, ob es auch bei euch wirkt. Die<br />
Schwierigkeit ist aber: Wir brauchen jeden<br />
Ingenieur, den wir <strong>zum</strong> Lieferanten schicken,<br />
eigentlich bei uns selbst. Das allein ist schon<br />
ein thema.<br />
RB: Einer der Hauptgründe, warum Flugzeuge<br />
lange Produktionszeiten beanspruchen,<br />
ist der hohe Individualisierungsgrad der<br />
Maschinen. Jede airline bekommt, grob<br />
gesprochen, ihr eigenes Modell.<br />
Butschek: Nehmen Sie den autokauf. Jeder<br />
weiß: reine Bauchentscheidung. Wir dagegen<br />
bauen ein Investitionsgut, dessen auswahl<br />
von den airlines detailliert geplant wird. Nach<br />
der Öffnung der Märkte in den vergangenen<br />
Jahren war Differenzierung für unsere Kunden<br />
sehr wichtig. Mit der a350 XWB gehen wir jetzt<br />
einen neuen Weg und bieten erstmals vorgefertigte<br />
Lösungen an, die die Kunden aus<br />
einem Katalog auswählen können.<br />
RB: Sie wollen den Fluggesellschaften vorschreiben,<br />
was sie kaufen sollen? Etwa<br />
regalware? Jets von der Stange?<br />
Butschek: Das ginge sicher zu weit. Mit<br />
der a350 XWB begründen wir eine neue<br />
Flugzeuggeneration. Natürlich bieten wir<br />
auch als Folge unserer Erfahrungen mit der<br />
a380 die Möglichkeit einer weitgehenden<br />
Individualisierung. aber wir sind auch dabei,<br />
unsere Kunden von der Vorteilhaftigkeit eines<br />
in teilen vorkonfigurierten Flugzeugs zu überzeugen,<br />
das heißt die Nutzung von vorausgewählten,<br />
abgestimmten Komponenten der<br />
Kabine.<br />
RB: Konfigurator? So bestellt man autos<br />
im Internet.<br />
Butschek: genau. Wir bieten ein hohes Maß<br />
an Flexibilität unter Berücksichtigung spezifischer<br />
anforderungen, aber wir müssen nicht
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 19<br />
Günter Butschek im Gespräch mit <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>-Partner Axel Schmidt<br />
mehr alles neu erfinden, definieren, entwickeln,<br />
berechnen, dokumentieren. Sondern wir<br />
sagen: Das ist der Katalog, das ist das, was du<br />
brauchst, und jetzt setzen wir uns gemeinsam<br />
hin und konfigurieren dein Flugzeug gemeinsam.<br />
Wir verknüpfen Standardisierung mit<br />
einem hohen grad von Individualität.<br />
RB: Und der Kunde, der mehr will ...<br />
Butschek: ... bekommt es auch, allerdings<br />
zu anderen Konditionen und mit möglichen<br />
Konsequenzen für die Lieferfähigkeit. Es ist ja<br />
nicht so, dass wir Lieferumfänge flexibel einund<br />
ausbauen können. Sonderwünsche haben<br />
teils starke auswirkungen auf die Struktur<br />
des Flugzeugs. Dazu braucht man viel<br />
Ingenieurleistung.<br />
RB: Wie reagieren die airlines?<br />
Butschek: Das wird Sie überraschen: äußerst<br />
aufgeschlossen. Die sehen den Punkt: attraktive<br />
Kosten bei flexibler Lösung.<br />
RB: trotzdem: Fluggesellschaften werden<br />
sich auch weiter teils auf lange Wartezeiten<br />
einstellen müssen. Könnten lange Lieferzeiten<br />
neue Konkurrenten beflügeln?<br />
Butschek: Das ist zu einfach gedacht.<br />
Fluggesellschaften planen ihre Flotten langfristig.<br />
Sie müssen ja auch in der Lage sein,<br />
Crews, Wartungskapazitäten und die gesamte<br />
Logistik zu planen und bereitzustellen. Daher<br />
werden Flugzeugeinphasungen traditionell<br />
über einen längeren Zeitraum geplant. Und<br />
bei Engpässen stehen Leasingunternehmen<br />
bereit, deren geschäftsmodell ja auf der<br />
kurzfristigen Lieferung von Flugzeugen aufgebaut<br />
ist. Ein neues Flugzeugmodell in die<br />
Flotte aufzunehmen, nur weil es bei anderen<br />
längere Lieferzeiten gibt? Das ist mit erheblichen<br />
risiken verbunden und keine wirkliche<br />
alternative.<br />
RB: Boeing kontert mit einer treibstoffsparenden<br />
modernisierten 737. Sie soll noch<br />
verbrauchsgünstiger fliegen.<br />
Butschek: Das wird sich zeigen, wenn<br />
das Flugzeug zwei Jahre nach unserer<br />
a320neo kommt. Wir wissen, dass manche<br />
Wettbewerber unsere heutige generation von<br />
Flugzeugen als referenzpunkt nutzen. aber<br />
was ist, wenn ich plötzlich 15% Ökoeffizienz<br />
auf diesen referenzpunkt drauflege?<br />
RB: Was macht Sie so gelassen? Keine angst<br />
vor neuen Wettbewerbern?<br />
Butschek: Wir beobachten die aktivitäten in<br />
Brasilien, China und russland sehr genau.<br />
aber wir haben eine äußerst starke Position im<br />
Markt. airbus brauchte 40 Jahre, um von 0 auf<br />
50% Marktanteil zu kommen. Neben dem Bau<br />
eines Flugzeugs muss man beweisen, dass<br />
das neue Produkt in Bezug auf Zuverlässigkeit<br />
und Effizienz besser ist als die existierenden.<br />
Infrastruktur, Kundenservice und Vertrauen<br />
müssen aufgebaut werden. Wir erwarten<br />
Wettbewerb, aber wir sind vorbereitet.<br />
RB: Wie sieht ein neuer airbus in 10 oder 15<br />
Jahren aus?<br />
Butschek: Ich bin gerade dabei zu verstehen,<br />
dass 10 Jahre in diesem geschäft kein<br />
Zeithorizont sind. Wir bauen ein Flugzeug<br />
25 Jahre lang, mit dem Service erstreckt<br />
sich der Zeitraum auf vier Jahrzehnte. Zumindest<br />
gehe ich davon aus, dass wir weiter<br />
in der heutigen transnationalen Struktur<br />
arbeiten werden, mit Fertigungs- und Entwicklungsstandorten<br />
in Europa, asien, russland<br />
und amerika. allerdings werden wir bis dahin<br />
eine schlagkräftigere Zulieferstruktur haben,<br />
die mit uns gemeinsam am sogenannten<br />
"game Changer" arbeitet.<br />
RB: Die automobilindustrie sucht angesichts<br />
knapper und teurer werdender rohstoffe nach<br />
neuen Energien. Flugzeugbauer kommen nicht<br />
darum herum.<br />
Butschek: airbus verfolgt mit "Flightpath2050"<br />
die Ziele der EU: 75% weniger CO 2 , 90% weniger<br />
Stickoxide, 65% weniger Lärm.<br />
aber wir bringen auch technologien aus der<br />
automobilbranche in die Luftfahrtindustrie.<br />
Wir arbeiten an Brennstoffzellen für den<br />
emissionsfreien Bodenbetrieb. Die Lufthansa<br />
testet Biokerosin in einem Linien-airbus a321.<br />
Das airbus Future Projects Office sponsert<br />
technologieprojekte an Universitäten, z.B.<br />
"e-genius" von der Universität Stuttgart.<br />
Mit "e-genius" wollen wir mehr über das<br />
Potenzial elektroangetriebener Flugzeuge<br />
lernen. Darüber hinaus arbeiten wir mit<br />
zahlreichen anderen Universitäten und<br />
Forschungseinrichtungen auf diesem gebiet<br />
zusammen. aber zunächst einmal gilt für uns<br />
genau das, was auch den autobau noch lange<br />
bestimmen wird: Herkömmliche Energien so<br />
effizient wie möglich nutzen.<br />
RB: Zehn Jahre im Leben eines Flugzeugs sind<br />
nicht viel. Im Leben eines Managers schon.<br />
Butschek: Das ist so. also müssen wir alles<br />
daransetzen, dass unsere Flugzeuge zu jedem<br />
Zeitpunkt und in jeder Beziehung Maßstäbe<br />
setzen. Wir müssen das thema Luftfahrt noch<br />
einmal neu definieren. Und das sehr schnell.
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANtS<br />
Raumklima<br />
Intelligenz<br />
auf Rädern<br />
Mit E-Mobility gerät das klassische GeschäftsModell der Automobilindustrie<br />
ins Wanken. Elektro-Autos und Carsharing-Projekte sind nur der<br />
Einstieg in eine neue Mobiltätskultur, in der unterschiedliche<br />
Industrien zusammenwachsen .<br />
Weiße Lichtblöcke huschen durch<br />
das Dunkel der Halle. Elektrobässe<br />
wummern auf die Zuschauer herab. Auf der<br />
riesigen Leuchtwand erscheint schemenhaft<br />
die Silhouette einer Stadt. Tänzer kommen<br />
auf die Bühne. Blaues Licht umfasst sie.<br />
Auf dem Halbrund des Schirms wirken die<br />
Projektionen ihrer milchigen Körper wie<br />
Geister in beweglichen Neonröhren-Käfigen,<br />
bis sie sich in einem goldenen Gesprenkel<br />
tausender Punkte auflösen und wie die<br />
gewaltige Masse eines wogenden Vogelschwarms<br />
am Himmel davonfliegen. So<br />
feiert BMW ein neues Auto.<br />
Nobert Reithofer, der Vorsitzende des Vorstands<br />
der BMW AG, kommt herbei. Es ist<br />
ein besonderer Moment. "Wir setzen einen<br />
Meilenstein in der Geschichte der BMW<br />
Group": die Weltpremiere der neuen BMW-i-<br />
Familie. Mit den Studien BMW i3 Concept und<br />
BMW i8 Concept stellt die BMW Group ihre<br />
Interpretation einer Mobilität der Zukunft<br />
vor. Sie gibt einen Ausblick auf die ersten<br />
elektrischen Serienautomobile unter der<br />
neuen Submarke BMWi, die 2013 als BMW<br />
i3 und 2014 als BMW i8 auf den Markt<br />
kommen. "Echten Pioniergeist und geballte<br />
Innovationskraft" sieht Reithofer darin.<br />
"Wir wollen als weltweit führender Premiumhersteller<br />
unseren Kunden auch maßgeschneiderte<br />
Automobile mit elektrischem<br />
Antrieb anbieten." Slogan: "Born electric".<br />
Mit der Aufforderung an die Automobilindustrie,<br />
"das Auto fast wieder neu zu erfinden",<br />
fuhr Bundeskanzlerin Angela Merkel zur<br />
Eröffnung der IAA vor zwei Jahren an den Main.<br />
Die Bundesregierung halte an ihrem Ziel fest,<br />
bis <strong>zum</strong> Jahr 2020 mindestens eine Million<br />
Elektromobile auf deutschen Straßen zu haben.<br />
In den nächsten Jahren werde es darum<br />
gehen, ob Deutschlands Autoindustrie weiter<br />
eine führende Rolle spielen werde. Die Hersteller<br />
müssten neue Wege einschlagen.<br />
"Zukunft serienmäßig", lautete das Motto des<br />
diesjährigen IAA-Spektakels – und damit die<br />
Botschaft: Wir haben verstanden. Elektromobilität<br />
verändert die Automobiltechnik<br />
gravierend. Doch in Wirklichkeit steht das<br />
gesamte Geschäftsmodell der Branche auf<br />
dem Prüfstand. Die Automobilindustrie, vor<br />
allem in Deutschland die Königsdisziplin, wird<br />
Teil eines Systems. Der schlichte Austausch<br />
von Benzin- und Dieselmotoren gegen einen<br />
batteriebetriebenen Antrieb ist nur der Anfang.<br />
Das Hightechszenario der Zukunft umfasst<br />
ebenso exklusives Design wie Personalisierung<br />
als differenzierende Merkmale einer Marke.<br />
Das Internet verwandelt die Gefährte zu<br />
rollenden Kommunikationsanlagen, elektrische<br />
und elektronische Systeme unterstützen<br />
Sicherheit und Bedienungsfreundlichkeit.<br />
Führende Automobilunternehmen, darunter<br />
besonders die deutschen Vorzeigemarken,<br />
wechseln das Gesicht. Aus Fahrzeugproduzenten,<br />
die Jahrzehnte ihrem Selbstverständnis<br />
vom immer größer, stärker und schneller<br />
hinterherjagten, werden Mobilitätsdienstleister.<br />
Sie stellen den Gebrauch des Autos<br />
vor den Besitz. Nicht mehr unbedingt leben<br />
mit dem Auto heißt das Gebot der Stunde,<br />
sondern mit und – wenn möglich – ohne Auto.<br />
Die Industrie steht in den kommenden 15<br />
Jahren vor dem größten strukturellen Umbau<br />
ihrer Geschichte. Neue Mobilitätskonzepte,<br />
die Einbindung von IT-Dienstleistern und<br />
Energielieferanten, Apps im Auto und neue<br />
Kundenanforderungen an Mobilität und Vernetzung<br />
fordern massive Investitionen in<br />
IT, Infrastruktur und die Entwicklung neuer,<br />
effizienter Lösungen. Sie bieten zugleich<br />
die Chance neuer Geschäftsmodelle für die<br />
Automobilindustrie.
Tanken<br />
Für andere Branchen wiederum ergeben sich<br />
neue Chancen. Wie eine gemeinsame Studie<br />
von VDMA und <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> zeigt, kann der<br />
deutsche Maschinen- und Anlagenbau in den<br />
kommenden Jahren vom Ausbau der Elektromobilität<br />
stark profitieren. Denn durch die<br />
Einführung von Fahrzeugen mit elektrischem<br />
Antriebsstrang sind auch jene Kompetenzen<br />
des Maschinenbaus gefragt, die bislang nur<br />
selten in der Automobilproduktion genutzt<br />
wurden. Daraus ergeben sich attraktive Marktchancen<br />
für Anlagen- und Maschinenbauer.<br />
Durch neue Produktionsanlagen für Elektrothink:<br />
act BUSINESS Geschäftsmodelle 21<br />
Beschleunigung<br />
Navigation<br />
Einparken<br />
Risiken birgt der Übergang zu alternativen<br />
Antrieben (Hybrid, Elektromotoren oder Brennstoffzelle)<br />
allemal. Das gegenwärtige Knowhow<br />
im Bereich konventioneller Antriebe wird<br />
entwertet. Zwar zählt Vorsprung durch Technik<br />
unter der Haube noch lange – aber nicht<br />
ewig. Wichtige Wertschöpfungsstufen wie<br />
Klimaanlagen oder Bremssysteme müssen<br />
modifiziert oder durch neue ersetzt werden<br />
(z. B. Elektroantriebe inklusive Batterie und<br />
Leistungselektronik statt Verbrennungsmotor).<br />
Manche fallen ganz weg, <strong>zum</strong> Beispiel<br />
Abgasanlage oder Antriebsstrang.<br />
Jahrzehnte war die Automobilindustrie darauf<br />
fixiert, Geld in Fabriken zu stecken, die Produktion<br />
auf Maximalauslastung zu trimmen,<br />
immer neue Varianten kostenoptimierter<br />
Basismodelle mit teils hohen Rabatten in die<br />
Märkte zu drücken. Nun müssen die Akteure<br />
erkennen, dass ihr Push-Modell nur noch von<br />
begrenzter Haltbarkeit ist.<br />
Besonders junge Menschen, die in der<br />
Ära teurer Energie, des Klimawandels<br />
und der Urbanisierung aufwachsen<br />
und als Imageträger den GTI gegen<br />
das iPad eintauschen, verlangen nach individueller<br />
Mobilität. Sie entspricht eher ihren<br />
wechselnden Ansprüchen und Lebensstilen<br />
als die klassische Wachstumsphilosophie der<br />
Hersteller. Nicht, wie sich die Generation i<br />
bewegt, ist entscheidend, sondern was sie<br />
bewegt. Autos, in welcher Form auch immer,<br />
sind auch in weiter Zukunft nicht wegzudenken.<br />
Unverzichtbar sind sie nicht. Noch<br />
schwelgen Autohersteller in Euphorie. Der<br />
steigende Wohlstand in Schwellenländern und<br />
der Run auf westliche Technik und Marken<br />
besonders auf dem Milliardenmarkt China<br />
bescheren ihnen Traumergebnisse in Serie.<br />
Volkswagen, Audi, Daimler, Porsche, BMW &<br />
Co. eilen von einem Verkaufs- und Ergebnisrekord<br />
<strong>zum</strong> nächsten. Allein in China stieg der<br />
Absatz von Daimler und BMW zwischen 2006<br />
und 2010 auf zusammen rund 1,5 Millionen<br />
Einheiten. Zwei neue Werke werden eröffnet.<br />
Umso schwerer fällt der Blick auf das, was<br />
kommt. Viel steht auf dem Spiel. Die Automobilindustrie<br />
und ihre Zulieferfirmen sind von<br />
zentraler Bedeutung für Wertschöpfung und<br />
Beschäftigung entwickelter Industrieländer.<br />
Die Branche und verbundene Industrien wie<br />
Kunststoff oder Gummi stellen rund 20% des<br />
Gesamtumsatzes des verarbeitenden Gewerbes<br />
und knapp 1,8 Millionen Arbeitsplätze.<br />
Schon sind in Deutschland nach Berechnungen<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
bis zu 300.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie<br />
in Gefahr, weil immer mehr Beschäftigung<br />
und Produktion in Wachstumsmärkte<br />
abwandert und hierzulande Fachkräfte fehlen.<br />
Büßen deutsche Premiumhersteller am<br />
Beginn einer neuen Mobilitätsepoche ihre<br />
Technologieführerschaft ein, kommt es<br />
womöglich noch schlimmer.<br />
Elektro-Autos sind, bis auf die Batterie,<br />
technisch wenig anspruchsvoll. Produktion<br />
ist auf Dauer keine Kernkompetenz<br />
mehr – die Chance für<br />
Nischenanbieter und vor allem für die aufkommende<br />
Konkurrenz aus Asien. Sie überspringt<br />
eine ganze Entwicklungsstufe konventionell<br />
angetriebener Autos und stürzt sich mit aller<br />
Macht auf die neue Technik. China fördert Entwicklung<br />
und Bau von batteriebetriebenen<br />
Autos massiv. Niederlassungsvoraussetzung<br />
für ausländische Hersteller in China ist die<br />
Kooperation mit lokalen Anbietern. Konsequenz:<br />
Westliche Firmen müssen ihre Technologien<br />
offenbaren – und stärken so langfristig<br />
die Konkurrenz. Volkswagen hat für die in<br />
China geplanten Elektro- und Hybridautos die<br />
Marke Kaili eingerichtet. Daimler ist mit dem<br />
chinesischen Hersteller BYD verbandelt.<br />
Auch BMW gründet eine eigene Automarke im<br />
Riesenreich der Mitte – ohne die Marke BMW<br />
preiszugeben.
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY Consultants<br />
batterien wird sich bis 2020 ein Geschäftspotenzial<br />
von 4,8 Milliarden Euro ergeben.<br />
P<br />
remiumautos aus Deutschland sind<br />
eine Klasse für sich, hocheffiziente<br />
konventionelle Antriebe das Maß der<br />
fossilen Übergangstechnologie, die<br />
mehr für die Umwelt tun kann als Autos mit<br />
der Kraft aus der Steckdose. Auch beim<br />
Einstieg in Dienstleistungen zur Umsetzung<br />
von nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätskonzepten<br />
bewegt sich etwas. Kaum ein<br />
Großserienhersteller, der nicht an Carsharing-<br />
Projekten feilt, E-Bikes oder aufgerüstete<br />
Fahrräder in die Ausstellungsräume stellt.<br />
Nachhaltige Mobilität freilich sieht anders aus.<br />
Solche Konzepte verknüpfen eine neue Form<br />
der Automobilität (nutzen statt besitzen) mit<br />
einem barrierefreien Übergang zwischen Pkw,<br />
öffentlichem Transport und nichtmotorisiertem<br />
Verkehr. Dabei geht es darum, die knap-<br />
„<br />
pen Ressourcen Energie, Raum und Zeit so zu<br />
organisieren, dass eine lebenswerte, funktionsfähige<br />
und nachhaltige Stadtentwicklung<br />
möglich ist. Die Grabenkämpfe Auto versus<br />
Bus oder Bahn sind passé,<br />
sagen die Berliner<br />
Mobilitätsforscher<br />
Andreas Knie und Weert<br />
Canzler. Sie fordern "eine<br />
ganz neue postfossile<br />
Mobilitätskultur". Sie<br />
beginnt beim Verzicht<br />
auf das eigene Auto in<br />
der City.<br />
Carsharing-Programme<br />
wie Daimlers "car2go",<br />
"DriveNow" von BMW<br />
und Sixt, Volkswagens<br />
"Quicar"-Flotte oder "Mu by<br />
Peugeot" können das Verkehrschaos zwar<br />
nicht abwenden, aber zur Entlastung übervoller<br />
Innenstädte beitragen.<br />
Ein geteiltes Auto, hat <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> ermittelt,<br />
kann bis zu 38 andere Fahrzeuge<br />
ersetzen. Allerdings schlägt der Effekt erst<br />
mit dem Einstieg privater Gesellschaften<br />
und großflächiger Verbreitung voll durch.<br />
Der Haken: Carsharing, oft verpönt als<br />
Das<br />
Auto der<br />
Zukunft<br />
wird<br />
vernetzt<br />
sein<br />
Spielwiese für Bildungsbürger mit Weltverbesserungsanspruch,<br />
drückt in großem<br />
Umfang nicht nur auf den Absatz der Autofirmen.<br />
Flotteneinkäufer sind auch Gift für<br />
die Marge. Das wiederum schwächt den angestammten<br />
Handel. Der aber wird dringend<br />
gebraucht: Individuelle Mobilität ist beratungsintensiv.<br />
Andere Einnahmequellen und Geschäftsmodelle<br />
werden gesucht. Um die<br />
gewaltigen Investitionen zu schultern und<br />
Wissenslücken zu schließen, die der Aufbruch<br />
in das Ökozeitalter der Mobilität erfordert,<br />
schließen sich Autounternehmen reihenweise<br />
zusammen. Jeder kooperiert mit jedem – und<br />
darüber hinaus, wie das Beispiel Siemens und<br />
Volvo zeigt. Die Ausweitung der automobilen<br />
Wertschöpfungskette auf neue Dienstleistungen<br />
rund um das "intelligente Fahrzeug"<br />
ist entscheidend für ein nachhaltiges Wachstum<br />
der Branche – so eine weltweite Studie<br />
von IBM. Das vernetzte Automobil werde eine<br />
Schlüsselrolle bei der Etablierung neuer automobiler<br />
Mobilitätsprodukte und Dienstleistungen<br />
spielen. Telematik biete als Schlüsseltechnologie<br />
signifikante Entwicklungsmöglichkeiten<br />
für die Automobilindustrie.<br />
Der Markt, so die<br />
Untersuchung, werde sich<br />
„<br />
besonders durch das Zusammenspiel<br />
von Mobilitätsservices<br />
mit verschiedenen<br />
Verkehrsträgern<br />
stark verändern: "In diesem<br />
Ökosystem der neuen Mobilität<br />
ist es unverzichtbar,<br />
Allianzen sowohl mit<br />
industrienahen als auch<br />
industriefremden Partnern<br />
zu schließen, um schneller<br />
innovative Angebote bereitstellen<br />
zu können."<br />
Autobauer, Energie- und Informationsdienstleister<br />
suchen den Schulterschluss – der entscheidende<br />
Schritt zu einer neuen Industrieund<br />
Mobilitätskultur.<br />
Für die Automobilhersteller heißt das: Trends<br />
erkennen und sich an die Spitze der Bewegung<br />
setzen. Ältere Menschen etwa brauchen eine<br />
Technik, die leicht zu handhaben ist und<br />
Meilenstein in der Geschichte<br />
von BMW: Autos aus Kohleverbundstoffen<br />
deren Funktionen intuitiv zu steuern sind. Ihre<br />
Kinder und Kindeskinder hingegen wollen<br />
ihren Untersatz konfigurieren wie ihr Smartphone.<br />
Autos müssen perfekt in ihr Lebensmodell<br />
passen, ständig mit ihren Netzwerken<br />
verbunden sein – kaufen muss man sie dafür<br />
nicht unbedingt. Hauptsache sie sind da,<br />
wenn man sie braucht. Immer online, immer<br />
verbunden: "Das Automobil der Zukunft wird<br />
vernetzt sein – mit dem Umfeld, der Verkehrsinfrastruktur<br />
und mit der Welt des Internet",<br />
sagt Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender<br />
der Audi AG. Das Auto selbst wird zu einer rollenden<br />
Datenempfangs- und Sendestation,<br />
gesteuert von Stimmen, Touchscreen<br />
und Wischbewegungen wie beim iPhone.<br />
Eingebunden in neue Verkehrskonzepte<br />
und Informationssysteme erreicht es schneller,<br />
sicherer und umweltschonender sein Ziel.<br />
Autohersteller definieren ihre Rolle neu. Statt<br />
Schnittstellen zu bestimmen, agieren sie<br />
zunehmend als Integratoren elektronischer<br />
und elektrischer Anwendungen.
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 23<br />
Die Telekom hat dafür das eigene Geschäftsfeld<br />
"Vernetztes Fahrzeug" etabliert. Es soll<br />
"Wachstumspotenziale erschließen, die sich<br />
aus den veränderten Anforderungen an die<br />
Mobilität ergeben". Dabei setzt die Telekom<br />
auf Lösungen für sicheres und effizientes<br />
Fahren, eine ökonomisch und ökologisch<br />
sinnvolle Flottensteuerung und Möglichkeiten<br />
für vernetzte Elektroautos. Bei 350 Millionen<br />
Fahrzeugen allein in Europa sieht die Telekom<br />
"erhebliche Marktchancen".<br />
Daimlers car2go ist das Vorzeigeprojekt,<br />
das die Telekom mit umfassenden<br />
Leistungen in der M2M-Kommunikation<br />
(machine to machine) und in<br />
der Informationstechnik unterstützt. Es liefert<br />
spezielle M2M-SIM-Karten für den Einbau in<br />
die Smart-car2go-Autos und konfiguriert die<br />
entsprechenden Kommunikationsschnittstellen.<br />
Darüber hinaus übernimmt T-Systems<br />
wesentliche ICT-Services (Information and<br />
Communications Technology).<br />
Aus Sicht der Telekom ist die car-<br />
2go GmbH ein klarer Beleg für die<br />
wachsende Bedeutung von ICT für<br />
eine zukunftsorientierte Mobilität.<br />
Moderne M2M-Lösungen sind ein wesentlicher<br />
Baustein. "Die Anwendung, die wir für unseren<br />
Kunden car2go realisieren, zeigt das Potenzial<br />
für neue Geschäftsmodelle mit vernetzten<br />
Lösungen, die mit der immer leistungsstärkeren<br />
M2M-Technik möglich sind", sagt<br />
Horst Leonberger, Leiter des Konzerngeschäftsfelds<br />
Vernetztes Fahrzeug der Deutschen<br />
Telekom.<br />
In der Schnittstelle zwischen Elektrofahrzeug<br />
und Stromnetz wirken moderne IT-Technologien.<br />
Sie ermöglichen die Steuerung von Betriebs-,<br />
Abrechnungs- sowie Controllingprozessen<br />
und sorgen für den Austausch notwendiger<br />
Informationen zwischen Verkehrsnetz,<br />
Energieversorgung und Elektrofahrzeugen,<br />
z. B. für die Routen- und Ladeplanung, die<br />
Überwachung des Batterie- und Ladezustands,<br />
aber auch für die spätere Netzintegration von<br />
Elektrofahrzeugen in intelligente Stromnetze<br />
("smart grids"). Verkehrsmanagementsysteme<br />
entlasten die Straßen und sorgen<br />
für einen besseren Verkehrsfluss: Standstreifen<br />
werden freigeschaltet, Höchstgeschwindigkeiten<br />
geregelt. Individuelle Systeme<br />
navigieren um Staus herum und machen<br />
den Fahrer auf vor ihm liegende Gefahrenpunkte<br />
aufmerksam. Das Ziel: "Car-to-Car"-<br />
Kommunikation. Vorausfahrende Autos geben<br />
Informationen quasi in einem elektronischem<br />
Kettenbrief nach hinten weiter. Sie sehen<br />
"um die Ecke" – mit einem Durchbruch ist<br />
jedoch vor 2025 kaum zu rechnen. Künftige<br />
Assistenzsysteme machen das Fahren noch<br />
komfortabler. Videokameras beobachten<br />
andere Verkehrsteilnehmer und erkennen<br />
deren Absichten. Neue Navigationssysteme<br />
verwandeln die Fahrt in eine Erlebnistour.<br />
"Freude am Fahren" – für BMW hat der Slogan<br />
eine ganz besondere Bedeutung. Mit BMWi<br />
reklamiert die Gruppe nicht nur ihre Position<br />
als innovativster, sondern auch als "nachhaltigster<br />
Automobilhersteller der Welt". In New<br />
York legten die Bayern parallel <strong>zum</strong> Start ihrer<br />
i-Fahrzeugreihe die Beteiligungsgesellschaft<br />
iVenture auf. 100 Millionen Dollar sollen in<br />
die Entwicklung intelligenter Mobilitätsdienstleistungen<br />
fließen.<br />
Im Fokus: Lösungen zur besseren Nutzung<br />
von Parkraum, intelligente Navigationssysteme<br />
mit ortsabhängigem Informationsangebot,<br />
intermodale Routenplanung und<br />
Carsharing-Angebote. MyCityWay und ParkatmyHouse<br />
sind erste Beteiligungen an Unternehmen<br />
für internetbasierte Mobilitätsdienstleistungen.<br />
Bei ParkatmyHouse können Privatpersonen<br />
in London per Internet oder Smartphone-App<br />
ihren privaten Autostellplatz<br />
vermieten. MyCityWay ist eine mobile App,<br />
die für mehr als 40 Städte in den USA öffentliche<br />
Verkehrsmittel, verfügbare Parkplätze<br />
und lokale Unterhaltungsangebote anbietet.<br />
Weitere 40 Städte sollen folgen. Und es kommt<br />
noch dicker. "Wo endet das Auto und wo beginnt<br />
das Telefon?" fragt Chris Anderson,<br />
Chefredakteur von "Wired" im Rahmen der<br />
Audi Urban Future Initiative. Für ihn wird das<br />
Auto über kurz oder lang zu einem Computer<br />
auf Rädern, der mit allem und jedem kommuniziert,<br />
während sich der Fahrer fahren lässt wie<br />
von einer Geisterhand gesteuert. Neu? Alles<br />
schon dagewesen: Knight Rider lässt grüßen...
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Kann Print das<br />
Internet überleben?<br />
Anzeigenerlöse bröckeln, Jugendliche sitzen mehr vor dem Computer als vor<br />
dem Fernseher – das Internet und digitale Technologien werfen die Geschäftsmodelle<br />
der Medienindustrie über den Haufen. Gibt es bald keine Zeitungen mehr?<br />
Erstmals wurde 2010 auch in den<br />
USA mehr Geld für Werbung im<br />
Internet als in Printmedien ausgegeben:<br />
25,8 Milliarden Dollar. Zeitungen und Zeitschriften<br />
kamen nur auf 22,8 Milliarden Dollar.<br />
Seit 2006 hat sich der Etat für Printmedien<br />
mehr als halbiert. Für 2014 prognostizieren<br />
Marktbeobachter in den USA einen Etat<br />
für Onlinewerbung von 40 Milliarden Dollar.<br />
Grund: Das Internet bietet vielfältigere Werbeformen<br />
und einen direkteren Zielgruppenkontakt.<br />
Printmedien können da nicht mithalten.<br />
Der US-Zeitungsmarkt ist ein einziges<br />
Krisengebiet. Sogar die würdige "New<br />
York Times", das Leitmedium der globalen<br />
Intelligenz, rutschte in die Miesen. Von 2006<br />
fiel der Jahresumsatz der "Times" von<br />
3,3 Milliarden Dollar um über 27% auf 2,4<br />
Milliarden Dollar. 250 Millionen Dollar steckte<br />
der mexikanische Telekom-Milliardär Carlos<br />
Slim, angeblich der reichste Mann der Welt, in<br />
das Blatt, um es vor der Insolvenz zu retten.<br />
Jetzt ist der Kredit getilgt – dreieinhalb Jahre<br />
vor dem fälligen Termin. Wie das? 160 Jahre<br />
wurde die "Times" von Männern geführt. Jetzt<br />
befehligt erstmals eine Frau das Flaggschiff<br />
der US-Medienindustrie. Jill Abramson soll<br />
die "Graue Lady" fest im digitalen Zeitalter<br />
verankern. Vorbei sind seitdem die Zeiten der<br />
unbegrenzten und kostenlosen Nutzung der<br />
Website und der mobilen Angebote. Für den<br />
Zugang zur drittgrößten Zeitung der USA sind<br />
mindestens 15 Dollar für vier Wochen oder<br />
195 Dollar im Jahr fällig, wenn man mehr als<br />
20 Artikel im Monat auf der Website lesen will.<br />
Abonnenten der gedruckten Ausgabe haben<br />
weiter freien Zugang. Damit will die Zeitung<br />
den anhaltenden Rückgang bei den Print-<br />
Anzeigen kompensieren. Es ist der dritte Versuch,<br />
mit dem Internetangebot Geld zu verdienen<br />
– und der erste mit Erfolg. Rund 900.000<br />
Printverkäufe zählt das Blatt und schon annähernd<br />
230.000 digitale Abonnements.<br />
Deutschland steht nicht nach. Fast eine Ewigkeit<br />
scheint es her, da holten Tageszeitungen<br />
noch an die 70% ihrer Umsätze über das<br />
Anzeigengeschäft. 2009 rutschten die Anzei-
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 25<br />
generlöse in Deutschland um 700 Millionen<br />
Euro (minus 15,9%) auf etwa 3,9 Milliarden<br />
Euro ab. Mit knapp 4,5 Milliarden Euro (plus<br />
2,3%) verdienten die Verlage erstmals mehr<br />
Geld mit dem Verkauf ihrer Blätter als mit<br />
Anzeigen. Der Trend setzt sich fort. In den<br />
ersten Monaten 2011 ging nach Angaben<br />
des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger<br />
das Volumen der Zeitungsanzeigen<br />
um 4,2% zurück.<br />
Die Umverteilung von klassischen in digitale<br />
Medien hält an, der Vorsprung von TV und Zeitungen<br />
gegenüber der Onlinewerbung schmilzt.<br />
Der digitale Werbemarkt stieg nach Zahlen des<br />
Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband<br />
Digitale Wirtschaft 2010 um 26% auf<br />
5,4 Milliarden Euro. Der Anteil am Mediamix<br />
beträgt mit annähernd 20% fast ein Fünftel des<br />
Gesamtwerbemarkts. Damit hat das Internet<br />
2010 <strong>zum</strong> ersten Mal die Zeitungen (19%)<br />
knapp geschlagen und sich als zweitstärkstes<br />
Werbemedium im Mediamix positioniert.<br />
Für 2011 prognostiziert der OVK ein weiteres<br />
Wachstum der Online-Werbung von 16% auf<br />
über 6 Milliarden Euro Bruttowerbevolumen.<br />
Es zielt auf eine gewaltige Masse. Die Zahl der<br />
weltweiten Internetnutzer hat die Zwei-Milliarden-Marke<br />
überschritten. Im Jahr 2000 hatten<br />
gerade einmal 250 Millionen Menschen auf der<br />
Erde einen Internetanschluss.<br />
Die Internetverbreitung in Deutschland erreicht<br />
neue Rekordmarken: 51,7 Millionen Internetnutzer<br />
zählt die bundesweit repräsentative ARD/<br />
ZDF-Onlinestudie 2011. Dies entspricht einem<br />
Bevölkerungsanteil von 73,3% (2010: 69,4).<br />
Gegenüber dem Vorjahr kamen 2,7 Millionen<br />
neue Onliner hinzu. Neu ist, dass der Zuwachs vor<br />
allem auf das Interesse älterer Menschen zurück<br />
geht. 34,5% der über 60jährigen hängen mehr<br />
oder weniger regelmäßig im Netz, 23% mehr als<br />
2010. Auch die Anteile weiblicher und männlicher<br />
Internetnutzer nähern sich: 68,5% der Frauen<br />
(+ 8%) und 78,3% der Männer (+ 4) nutzen das<br />
Internet. Seit 2002 hat sich die tägliche Internetzeit<br />
von 30 auf 95 Minuten pro Tag erhöht.<br />
Die Hoffnungen ruhen auf dem<br />
Internet: 2010 gaben Advertiser<br />
in den USA erstmals mehr Geld<br />
für Werbung im Internet aus als<br />
in den Printmedien.
"In der App-Welt fangen wir gar nicht mit Gratiskultur<br />
an", sagt Georg Konjovic, Leiter der Premium<br />
Content Unit der Axel Springer AG selbstbwusst.<br />
4,6 Milliarden Dollar ließen sich Internet-Nutzer<br />
2010 weltweit ihre Musik-Downloads kosten – für<br />
Konjovic Grund genug, auch an "paid content" für<br />
Internet-Journalismus zu glauben. Und nicht nur<br />
daran: "Man darf den Leser nicht mit Dumpingg<br />
How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY Consultants<br />
2009 rutschten die Anzeigenerlöse<br />
in Deutschland um 700<br />
Millionen Euro (minus 15,9%)<br />
auf etwa 3,9 Milliarden Euro ab.<br />
Mit knapp 4,5 Milliarden Euro<br />
(plus 2,3%) verdienten die<br />
Verlage erstmals mehr Geld mit<br />
dem Verkauf ihrer Blätter als<br />
mit Anzeigen.<br />
Online-Nachrichtenportale von Zeitungen, Magazinen<br />
und TV-Stationen wachsen kontinuierlich<br />
mit. Die Zahl der Besuche stieg zuletzt nochmals<br />
um 25%. Die 20 größten Nachrichtenportale in<br />
Deutschland brachten es 2010 auf rund 8 Milliarden<br />
Visits. Spitzenreiter ist "Bild.de" mit einem<br />
Zuwachs von 46,3% auf 1,8 Milliarden Besuche.<br />
Dahinter folgt "Spiegel online"<br />
(1,5). Beide Portale erreichen zusammen einen<br />
Marktanteil von 40% unter den Top 20. Akribisch<br />
listete denn auch der "Spiegel" am Beispiel der<br />
Reaktorkatastrophe von Fukushima die<br />
Überlegenheit digitaler Nachrichtenverarbeitung<br />
auf: Am Freitag, 11. März 2011, bebte in<br />
Japan die Erde. Bald darauf überrollte der Tsunami<br />
weite Teile der nordöstlichen Küste Japans<br />
– die Topmeldung der Tagespresse am darauffolgenden<br />
Samstag. Doch nur Zeitungen mit<br />
relativ spätem Redaktionsschluss wussten, dass<br />
Japans Regierung den atomaren Notstand erklärt<br />
hatte, was Online schon freitags um 15.26 Uhr<br />
zu lesen war. Von den Ereignissen am Samstag –<br />
Kernschmelze, das Aufflammen der Atomdebatte,<br />
Reisewarnungen, die erste massive Explosion,<br />
beginnende Demonstrationen in Deutschland<br />
und Massenevakuierungen in Japan – erfuhren<br />
Zeitungsleser, die weder ihren Computer noch<br />
Fernsehen oder Radio eingeschaltet hatten, erst<br />
am Montag mit zweitägiger Verspätung. Deutlicher,<br />
folgert der "Spiegel", habe man selten vor Augen<br />
geführt bekommen, in welchem Maße das gedruckte<br />
Werk der Echtzeit-Berichterstattung bei elektronischen<br />
Medien heutzutage hinterherhinke.<br />
Die Umverteilung von klassischen Medien<br />
in digitale Medien hält an, der Vorsprung<br />
von TV und Zeitungen gegenüber der<br />
Online-Werbung schmilzt.<br />
Mit ihren eigenen Online-Medien schaden sich<br />
die Zeitungshäuser theoretisch zwar selbst,<br />
aber sie haben keine Wahl: Das Aktualitätsrennen<br />
haben Papier-Zeitungen schon lange verloren.<br />
Jetzt spielen ihre virtuellen Ausgaben auch bei<br />
Darstellung und Verfügbarkeit ihre Überlegenheit<br />
aus. 360-Grad-Fotos, HD-Videos wie aus dem<br />
Fernsehen und personalisierte Nachrichten –<br />
neue Möglichkeiten, mit denen sich etwa Rupert<br />
Murdochs iPad-Zeitung "The Daily" gegen etwa<br />
9000 andere Nachrichten-Apps durchsetzen<br />
will. "Neue Zeiten verlangen nach einem neuen<br />
Journalismus", sagte Murdoch bei der Präsentation<br />
im New Yorker Guggenheim-Museum.<br />
"Das iPad zwingt uns, unser Handwerk ganz neu<br />
zu erfinden". Er spricht von "digitaler Renaissance".<br />
Richtig Freude hat niemand daran, wenigstens<br />
im Moment noch nicht. Für den<br />
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger<br />
(BDVZ) warten im Online-Geschäft<br />
"vor allem Herausforderungen". Zwar machten<br />
manche Verlage inzwischen "erfreuliche Umsätze",<br />
dennoch befinde sich die Branche "nach wie vor<br />
in einem schwierigen Transformationsprozess".<br />
Das Internet werde auch im Jahr 2011 die sinkenden<br />
Einnahmen der gedruckten Zeitungen<br />
in Deutschland nicht ausgleichen können. Der<br />
Appell: Beim Umgang mit den neuen Techniken<br />
"sollten wir nicht Fehler und Versäumnisse beklagen,<br />
sondern die Herausforderungen annehmen".<br />
Jahrelang hatten die Verlage ihre satten Profite<br />
wie mit dem Bagger ins Online-Geschäft geschaufelt<br />
und die geneigte Leserschaft mit immer<br />
neuen, besseren und schnelleren Angeboten an<br />
den kostenlosen Nachrichtenkonsum gewöhnt.<br />
Jetzt, wo das Geld knapp ist, sind Bezahl-Modelle<br />
umso schwieriger durchzusetzen.
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 27<br />
REVOLUTION MIT ANGRy BIRD<br />
DEr MarKt FÜr VIDEOSPIELE BEFINDEt SICH IM UMBrUCH.<br />
INDUStrIE UND SPIELEr WaNDErN INS INtErNEt aB.<br />
Preisen verwöhnen, wenn man eines<br />
tages den Digital-Inhalt zu Printpreisen<br />
verkaufen will." Seit langem experimentiert<br />
Springer mit solchen Modellen.<br />
Die Zwischenbilanz im Sommer 2011:<br />
"BILD" verkauft täglich 124.000 digitale<br />
ausgaben, die "Welt" gerade 17.000.<br />
Die Papier-"Bild" liegt derzeit bei 2,9<br />
Millionen. Für Konjovic sagen die Zahlen,<br />
dass die digitalen Verkäufe zwar weit<br />
von den Print-Zahlen entfernt liegen,<br />
angesichts der momentanen Marktdurchdringung<br />
von tablets aber durchaus<br />
vielversprechend seien. "Sie bestätigen<br />
uns darin, unsere Initiative für kostenpflichtige<br />
Inhalte fortzusetzen." aktuelle<br />
Studien gehen davon aus, dass sich die<br />
Zahl der tablet-PCs in Deutschland von<br />
rund 2,5 Millionen in diesem Jahr auf<br />
nahezu 10 Millionen bis Ende 2014 vervierfachen<br />
wird.<br />
Die größte Hürde der Verlage: Die<br />
gratiskultur im Web ist fest in<br />
der Nutzer-DNa eingebaut. Weil<br />
es laut "Economist" noch kein<br />
geschäftsmodell gibt, das ausschließlich<br />
über zahlende Leser funktioniert, setzen<br />
Verlage auf "Freemium" (siehe Seite<br />
9). Diejenigen, die wie das "Wall Street<br />
Journal", die "New york times" oder die<br />
"Financial times" den Lesern <strong>zum</strong>indest<br />
einen teil der artikel gratis zur Verfügung<br />
stellen, verzeichnen kaum Einbußen bei<br />
Leserzahl und Werbung oder gewinnen,<br />
wie das "Wall Street Journal", sogar dazu.<br />
Die Zahlen klingen immer noch beeindruckend:<br />
1,56 Milliarden Euro gab 2010 der deutsche<br />
Markt für Computer- und Videospiele her, die<br />
per Datenträger oder Download vertrieben wurden.<br />
Insgesamt gingen knapp 58 Millionen Spiele<br />
über Ladentisch und Netz. Computerspiele legten<br />
um 7% auf 443 Millionen Euro Umsatz zu. auch<br />
Spiele für die stationären Konsolen Nintendo Wii,<br />
Sony PlayStation 3 und Microsoft Xbox 360 machten<br />
Boden gut: 3% auf 884 Millionen Euro. Lange<br />
nur etwas für Nerds, die sich stundenlang in ihren<br />
Zimmern einschließen, ist elektronisches Spielen<br />
"ein Massenphänomen", so der Branchenverband<br />
Nitcom.<br />
3% Wachstum soll der Markt nach Einschätzung<br />
des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware<br />
(BIU) im laufenden Jahr wachsen; Newzoo<br />
sagt sogar einen Zuwachs von 6% voraus.<br />
Doch die Freude darüber hält sich in grenzen,<br />
denn die Branche steht vor einem grundlegenden<br />
Umbruch. Industrie und Spieler wandern ab ins<br />
Internet.<br />
Browserspiele, Download- und Handyspiele<br />
öffnen den Videospielmarkt für Millionen von<br />
Menschen. "Die Videospielbranche ist dabei,<br />
unterzugehen", wütet Nintendo-Präsident<br />
Satoru Iwata. "angry Birds", ein Spiel, bei dem<br />
wütende Vögel per Steinschleuder auf Schweine<br />
und affen abgefeuert werden, um möglichst<br />
großen Schaden anzurichten, knackte im Mai<br />
2011 die Marke von 200 Millionen Downloads.<br />
Spiele für Smartphones haben sich zu einem<br />
Bombengeschäft entwickelt. anwender satteln<br />
nach angaben von Newzoo konsequent um<br />
und stecken deutlich weniger geld in Konsolenspiele<br />
als früher. Online und besondere "Social<br />
Spiele" federn Verluste der Konsolenindustrie<br />
fast vollständig ab. In großbritannien brach das<br />
geschäft mit Konsolengames zeitweise um mehr<br />
als ein Viertel ein. Dafür legte der Onlinemarkt<br />
um 66% zu.<br />
große Spielehersteller, über Jahre auf PC oder<br />
Spielkonsolen konzentriert, reagierten anfangs<br />
zögerlich. Doch jetzt erlebt die Branche "eine<br />
revolution", titelt die "Financial times Deutschland".<br />
Videospielehersteller suchten ihr Heil<br />
zunehmend im Internet und verschärften den<br />
Wettbewerb mit Onlinespieleherstellern. Die<br />
drei größten konsolenunabhängigen anbieter<br />
vertreiben immer mehr Spiele über das Onlinenetzwerk<br />
Facebook oder auf eigens dafür eingerichteten<br />
Internetplattformen. Um nicht unterzugehen,<br />
so die "FtD", änderten etablierte Hersteller<br />
ihr geschäftmodell drastisch. Das Internet ist die<br />
Zukunft.<br />
grund: Spielen lässt sich allein, zu mehreren,<br />
zu jederzeit und überall – und das auch noch<br />
vielfach umsonst. Beim "Free-to-play"-Konzept<br />
kosten erst umfangreichere Software, abos oder<br />
individuelle Einstellungen und Zusatzfunktionen,<br />
so genannte virtuelle güter, geld. auf ungfähr<br />
14 Milliarden Dollar jährlich schätzt der<br />
US-Marktforscher In-Stat den Weltmarkt dieser<br />
virtuellen güter im Jahr 2014, annähernd 250%<br />
mehr als 2007 (7,3 Milliarden Dollar).<br />
reine Onlineanbieter setzen voll darauf, herkömmliche<br />
Videospielehersteller ziehen nach.<br />
Wo es lang geht, zeigt z.B. Ubisofts Mehrspieler-<br />
Kriegsspiel ghost recon Online. Die Basisversion<br />
ist gratis. Wer den Spielfortschritt verkürzen oder<br />
aufrüsten will, muss in Waffen und gerät investieren.<br />
Der Clou: Der Sieg ist am Ende womöglich<br />
teurer erkauft als das kostenpflichtige Spiel im<br />
Computerladen.
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY Consultants<br />
Leben in der Wolke<br />
Hype oder Buzz? Virtuelle Rechenzentren geben der IT-Industrie ein neues<br />
Gesicht. Das Interesse ist gewaltig. Die Chancen und Risiken sind es auch.<br />
Das Zauberwort fiel spät, aber es fiel.<br />
Nach all den überwältigenden Zahlen<br />
<strong>zum</strong> Geschäftsverlauf, den bejubelten<br />
Features neuer Betriebssysteme und den<br />
Standing Ovations war da endlich "one more<br />
thing", noch eine andere Sache. Andächtig<br />
hielten rund 4.000 Teilnehmer der Apple<br />
Worldwide Developers Conference in San<br />
Francisco den Atem an. Doch wer früh auf<br />
das iPhone 5 gehofft oder insgeheim einen<br />
iMac mit Touchscreen herbeigefleht hatte,<br />
wurde herbe enttäuscht. Die Überraschung<br />
verschwand in einer Wolke. iCloud nennt sich<br />
das virtuelle Gebilde, in dem sich die Apple-<br />
Gemeinde künftig vorwiegend aufhalten soll.<br />
"Mühsam" und "frustrierend" sei es, Daten auf<br />
unterschiedlichen Geräten immer wieder<br />
zu synchronisieren. "iCloud", ließ das Kultlabel<br />
aus seinem Hauptquartier im kalifornischen<br />
Cupertino verlauten, "hält alle wichtigen<br />
Informationen und Inhalte auf allen Geräten<br />
eines Anwenders auf dem aktuellsten Stand."<br />
Dokumente, Bilder, Musik – alles soll überall<br />
verfügbar sein. Auf dem Rechner zu Hause<br />
oder unterwegs auf dem Handy. Sobald sich<br />
etwas auf einem Gerät ändert, werden alle<br />
anderen aktualisiert. Automatisch, drahtlos,<br />
einfach, schnell und – weitgehend kostenlos.<br />
Die CeBIT hat "Cloud Computing" <strong>zum</strong><br />
Buzzword der IT-Industrie gemacht. Microsoft,<br />
SAP, Google oder Amazon surfen schon seit<br />
geraumer Zeit auf der Wolke.
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 29<br />
"Dramatische Veränderungen" in der IT-Industrie<br />
dämmern dem Bundesverband Informationswirtschaft,<br />
Telekommunikation und neue<br />
Medien (BITKOM) schon lange. Für den Münchner<br />
Elektronikriesen Siemens vollzieht sich<br />
sogar ein "Paradigmenwechsel". Cloud Computing<br />
manifestiere sich zunehmend im Markt<br />
mit innovativen Lösungen, "die das Geschäftsmodell<br />
etablierter IT-Anbieter bedrohen."<br />
Cloud Computing kombiniert bekannte Technologien<br />
mit neuen Konzepten und bietet für<br />
die Geschäftsmodelle von IT-Anwendern und<br />
-Anbietern völlig neue Möglichkeiten: IT-Leistungen<br />
– Software, Plattformen für die Entwicklung<br />
und den Betrieb von Anwendungen<br />
sowie Basisinfrastruktur wie beispielsweise<br />
Speicherplatz – werden bedarfsgerecht und<br />
flexibel in Echtzeit als Service über das Internet<br />
oder innerhalb eines Firmennetzwerks<br />
bereitgestellt und nach Nutzung abgerechnet.<br />
Einer der vielen Vorteile für die Anwender:<br />
Aus fixen Investitionen werden variable<br />
Kosten. Die Verarbeitung und das Speichern<br />
von Daten, die Bereitstellung der Ergebnisse,<br />
all dies geschieht in der Wolke, dem virtuellen<br />
Rechenzentrum eines Dienstleisters.<br />
Updates, Softwarepflege, Sicherungskopien,<br />
Wartung oder Hardware waren gestern.<br />
Schier unerschöpfliche IT-Ressourcen und<br />
ein System, das immer auf dem neuesten<br />
Stand und allzeit bereit ist – das ist heute<br />
und morgen. Dr. Martin C. Wittig, CEO von<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>, fühlt sich an das Ende des<br />
vergangenen Jahrhunderts zurückversetzt.<br />
Damals hatte die Just-in-Time-Produktion die<br />
deutsche Automobilproduktion revolutioniert.<br />
"Lieferung exakt <strong>zum</strong> sinnvollsten Zeitpunkt –<br />
von der Dimension her gilt das auch für<br />
die Cloud Economy. Nur geht es diesmal um<br />
Daten. Sie sind in Echtzeit exakt dann vorhanden,<br />
wenn man sie braucht."<br />
Beeindruckend", staunt der exzentrische<br />
Internet-Strategieberater, Autor<br />
und Blogger Sascha Lobo. "Dank Cloud<br />
Computing kannst du auf extrem komplexe<br />
Software zurückgreifen, für die du sonst<br />
ganze Serverfarmen unterhalten müsstest.<br />
Zusätzliche Rechenpower und Softwareintelligenz<br />
sind maßgeschneidert." Die Preise:<br />
"Lächerlich gering." Die Dimension von Cloud<br />
Computing ist neu, das Prinzip nicht. Cloud<br />
Services gibt es schon lange im Netz. Wer<br />
Mails über Microsoft oder Google verschickt<br />
und empfängt, wandelt schon lange im Nirgendwo.<br />
Die Daten werden nicht auf der<br />
Festplatte des Rechners, sondern auf Webservern<br />
gespeichert, von denen man nicht<br />
weiß, wo sie stehen. Unternehmen, die auf<br />
gehostete Exchange-Server zugreifen, geht<br />
es nicht anders. Doch was derzeit stattfindet,<br />
ist für Siemens "die Industrialisierung von<br />
IT-Dienstleistungen auf der Basis hochstandardisierter<br />
Applikationen". Die klassische,<br />
lineare Wertschöpfungskette von IT-Services,<br />
die sich von der Beratung über das Design,<br />
die Implementierung und den Betrieb von<br />
Lösungen und IT-Infrastrukturen bis hin zur<br />
Wartung erstreckt, verändert sich grundlegend.<br />
Kostensenkung und Vereinfachung<br />
sind die Treiber.<br />
Cloud Services gibt es schon lange im Netz. Wer z. B. Mails über Microsoft oder Google verschickt und empfängt,<br />
dessen Daten werden auf Webservern gespeichert, von denen man nicht weiß, wo sie stehen.<br />
"Evolution der Technik, Revolution im Geschäft",<br />
posaunt BITKOM. Jeder sei betroffen.<br />
Der Bedarf an technischer Infrastruktur sinke,<br />
weil die Dienste zentralisiert und konzentriert<br />
werden. Für Softwareanbieter verschiebt<br />
sich das klassische Lizenzgeschäft hin zur<br />
Bereitstellung und Betreuung von Software als<br />
Dienstleistung über das Internet ("software as<br />
a service"). "Hardware-Hersteller", so Martin<br />
Jetter, Vorsitzender der Geschäftsführung von<br />
IBM Deutschland, "werden wenige, dafür große<br />
Cloud-Rechenzentren beliefern." Kleine und<br />
neugegründete Unternehmen profitieren besonders.<br />
Durch das Internet werden Innovationen<br />
beschleunigt und kreative Ideen<br />
professionell umgesetzt. Gründer und Entwickler<br />
finden sich in virtuellen Unternehmensverbünden<br />
zusammen,<br />
um ihre Produkt- und Service-<br />
Angebote auszuweiten.<br />
Große Investitionen<br />
sind dafür nicht<br />
unbedingt nötig.<br />
25%<br />
sämtlicher<br />
IT-Leistungen werden<br />
bis 2013 voraussichtlich von<br />
Cloud Computing Lösungen<br />
erbracht.<br />
Mittelständische Firmen wiederum<br />
können im globalen Wettbewerb<br />
auf dynamische IT-Lösungen<br />
zurückgreifen, die bislang größeren<br />
Unternehmen mit entsprechenden<br />
IT-Abteilungen vorbehalten waren. Deren<br />
interne IT ist meist auf Höchstlast ausgelegt.<br />
Mit Cloud Computing können Bedarfsspitzen<br />
schnell und günstig abgefedert werden. IT-<br />
Dienstleister wie IBM oder der Softwareriese<br />
SAP mischen kräftig mit. Computerprogramme<br />
gibt es nunmehr nicht nur fein abgepackt<br />
in Geschäften, sondern auch im Netz. Mit<br />
Microsofts Office 365 etwa können Nutzer<br />
weltweit ihre Word-Dokumente und Power-<br />
Points bearbeiten und teilen – gleichgültig mit<br />
wem, wo und wann. Nur eine Voraussetzung<br />
gibt es: den Anschluss an das Internet. Chats,<br />
Videokonferenzen und geteilte Websites<br />
erleichtern die Teamarbeit. Office 365 ist<br />
Microsofts Antwort auf die kostenlosen Google<br />
Docs. Der Web-Editor gilt als einer der besten<br />
und umfangreichsten für Office-Dokumente.<br />
Die können in der Cloud von jedem Rechner
g How<br />
ROLAND BERGER STRATEGY Consultants<br />
geteilt und bearbeitet werden. Konkurrenz<br />
<strong>zum</strong> klassisch installierten Office-Paket ist<br />
Microsofts Cloud-Office-Version allerdings<br />
nicht. Im Gegensatz zu Windows SkyDive Live,<br />
das auf Privatnutzer zielt, richtet sich Office<br />
365 vor allem an kleine Unternehmen ohne<br />
eigene IT-Abteilung und Serverausstattung.<br />
"Mit Cloud Computing ist es nicht mehr nötig,<br />
dass jedes Unternehmen sein eigenes<br />
Rechenzentrum betreibt", sagt SAP-Vorstandssprecher<br />
Jim Hagemann Snabe. Unternehmen<br />
könnten ihre Daten in riesigen Rechnerfarmen<br />
von Drittanbietern sicher und zuverlässig speichern<br />
und sie im Bedarfsfall durch die neuesten<br />
Versionen von Mietsoftware für ihre jeweiligen<br />
Geschäftsprozesse analysieren lassen.<br />
SAP vertreibt neue Geschäftssoftware für den<br />
Mittelstand ausschließlich vom hauseigenen<br />
Datenzentrum über das Internet.<br />
Einer Umfrage des führenden US-<br />
Analystenhauses Gartner zufolge<br />
sehen 2.000 Technikvorstände in<br />
Großunternehmen aller Branchen und<br />
in aller Welt in der Datenwolke die wichtigste<br />
Neuerung in der IT-Technologie der kommenden<br />
Jahre. 2010 wurden nach Angaben der<br />
Marktforscher weltweit bereits 53 Milliarden<br />
Euro mit Cloud Computing erlöst. 2014<br />
könnten es schon 115 Milliarden Euro sein.<br />
Das IBM Institute for Business Value befragte<br />
weltweit mehr als 3.000 CIOs aus 71 Ländern<br />
und 18 Branchen. Resultat: Cloud Computing<br />
wird für 60% der Beteiligten in den kommenden<br />
fünf Jahren ein <strong>Thema</strong>. 2009 hatten nur<br />
30% daran geglaubt. Allein in Deutschland soll<br />
der Umsatz nach Schätzungen von BITKOM<br />
im Jahr 2011 um rund 55% auf 3,5 Milliarden<br />
Euro steigen, bis 2015 sogar auf 13 Milliarden<br />
Euro. 1,9 Milliarden Euro Umsatz entfallen<br />
derzeit auf den Geschäftskundenbereich.<br />
Die Wachstumsraten liegen in diesem Segment<br />
aktuell bei 70%. Bis 2013, erwarten<br />
Marktanalysten von Forrester oder Gartner,<br />
erbringen Cloud Computing Solutions rund<br />
25% sämtlicher IT-Leistungen .<br />
Die zunehmende Zentralisierung der Speicherung,<br />
Analyse und Verarbeitung elektronischer<br />
Daten aller Art werde nicht nur die<br />
Auslastung großer Rechenzentren deutlich<br />
erhöhen und die IT-Branche in den kommenden<br />
Jahren kräftig wachsen lassen, sagt<br />
BITKOM. Sie mache auch ganze Industrien<br />
wie den Maschinen- und Autobau oder die<br />
Stromversorgung effizienter und produktiver.<br />
Darüber hinaus biete sie Privatkunden<br />
ein Vielfaches ihrer bisherigen technischen<br />
Möglichkeiten. Vier von zehn deutschen<br />
IT-Managern gehen davon aus, dass Server-<br />
Virtualisierung die Kosten im Datacenter<br />
bis auf die Hälfte reduzieren wird. Weitere<br />
44% rechnen mit Einsparungen von bis zu<br />
einem Viertel. 7% erwarten sogar eine Ersparnis<br />
von bis zu drei Vierteln der bisherigen<br />
IT-Ausgaben. Dies geht aus dem<br />
Cisco Connected World Report hervor, für<br />
den 1.500 Personen befragt wurden.<br />
Danach wird in den nächsten drei Jahren<br />
der Virtualisierungsgrad produktiver Server-<br />
Systeme in deutschen Rechenzentren die<br />
Marke von 50% übersteigen. Eine große<br />
Mehrheit von 88% der IT-Verantwortlichen<br />
will laut Cisco innerhalb der nächsten drei<br />
Jahre Anwendungen und Daten <strong>zum</strong>indest<br />
teilweise in eine Private oder Public Cloud<br />
verlagern. E-Mail-Dienste, aber auch die<br />
Services von Amazon sind Public Clouds. Bei<br />
der Private Cloud dagegen betreibt der Kunde<br />
das Rechenzentrum entweder in Eigenregie<br />
oder lässt es von einem externen Dienstleister<br />
nach seinen Vorgaben managen. Die Dienste<br />
werden individuell angepasst.<br />
Deutschland gilt – mit Brasilien, Indien und<br />
den USA – als Vorreiter. 93% der IT-Verantwortlichen<br />
in Wirtschaft und öffentlichen<br />
Verwaltungen halten nach einer Umfrage<br />
des Datenintegrationsanbieters Informatica<br />
Cloud Computing für einen "Schlüssel <strong>zum</strong><br />
Erfolg". Ohne Einsatz dieser Technologie<br />
würden sie mit den Veränderungen in der IT<br />
nicht Schritt halten und als Unternehmen die<br />
Wettbewerbsfähigkeit verlieren.<br />
Nach der Krise ist vor der Krise. Kostensenkung<br />
ist für fast alle IT-Chefs<br />
(98%) das oberste Gebot. 87% der<br />
Befragten versprechen sich von der<br />
Cloud-Nutzung mehr Agilität und einen einfacheren<br />
Zugriff auf Geschäftssoftware.<br />
Rund zwei Drittel (67%) erwarten größere<br />
wirschaftliche Leistungsfähigkeit durch die<br />
Cloud. Kaum weniger, nämlich 62%, halten<br />
die Cloud für eine Plattform, die zu kreativeren<br />
Services führen wird. Media Markts neue<br />
Internetplattform Juke wird, anders als<br />
Apples iTunes, nicht auf einem Gerät installiert,<br />
sondern über eine digitale Wolke gestreamt.<br />
Für etwa zehn Euro im Monat kann<br />
der Kunde Musik mieten. 13 Millionen Titel<br />
sind verfügbar.<br />
"Die Cloud ist unausweichlich und wird den<br />
IT-Markt grundsätzlich verändern", sagt Micro-
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 31<br />
DIE ENTWICKLUNG IN RICHTUNG DER CLOUD Economy<br />
NUTZEN<br />
• Traditionelle<br />
Wirtschaft<br />
• Handarbeit und<br />
landwirtschaftliche<br />
Produkte<br />
• Merkantilismus und<br />
Feudalwirtschaft<br />
TRADITIONELLE<br />
Wirtschaft<br />
• Schneller technologischer<br />
Fortschritt<br />
• Breite Palette von Gütern<br />
und Dienstleistungen<br />
• Kommunikation als<br />
Einbahnstraße<br />
• Zeit vor der Internet-Ära<br />
Verarbeitende<br />
Wirtschaft<br />
Digitale<br />
Wirtschaft<br />
• Wohlstand wird durch<br />
Anwendung von Wissen<br />
geschaffen<br />
• Der Inhalt zählt:<br />
Kommunikation erfolgt<br />
in beide Richtungen<br />
CLOUD<br />
Economy<br />
• Vorherrschaft sozialer Online-Netzwerke<br />
im Internet<br />
• Soziale Komponenten als Teil von Geschäftsmodellen<br />
• Demokratisierung der grundlegenden<br />
Computerressourcen<br />
• Die IT erfolgt "just in time"<br />
• Der Zugang zu Werkzeugen für die Zusammenarbeit<br />
und Verbindung ist problemlos und weit verbreitet<br />
• Kommunikation über verschiedene Ebenen<br />
„<br />
soft-CEO Steve Ballmer. Telekom-Vormann<br />
René Obermann ist vorsichtiger: Am Ende<br />
ist für den Erfolg von Cloud Computing vor<br />
allem entscheidend, dass die IT in der Wolke<br />
funktioniert. Und zwar<br />
rund um die Uhr."<br />
BIS 1800 BIS 1950 BIS 2010 AB 2010<br />
Als hätte er die spektakuläre<br />
Datenpanne bei<br />
Amazons Web Services<br />
vorausgesehen, bei der<br />
viele Kundendaten unwiderruflich<br />
verloren<br />
gingen. "Cloud Computing<br />
am Ende?", fragte daraufhin bange die<br />
Schweizer "Computerwoche". Blogger ätzten:<br />
"Von der Wolke geradewegs in die Hölle."<br />
Die Hoffnungen, die auf Cloud Computing<br />
ruhten, kommentierte die "Financial Times",<br />
seien riesig. "Doch der Glaube ist zerbrechlich."<br />
Er verlange ein Höchstmaß an Sicherheit,<br />
Stabilität und Transparenz.<br />
Crash bei Amazon, Daten von Millionen<br />
Sony-Kunden frei verfügbar im Internet,<br />
Sicherheitslücken beim iPhone und iPad,<br />
Datenweitergabe bei TomTom und umfangreiche<br />
Hackerangriffe, um Wikileaks zu<br />
rächen: Die blitzsaubere Value Proposition der<br />
Cloud-Anbieter, wonach der Kunde den Service<br />
konsumiert, während der Dienstleister sich<br />
um alles andere<br />
kümmert, hat<br />
hässliche<br />
Kratzer abgekommen.<br />
Studien<br />
besagen, dass<br />
jedes fünfte<br />
Unternehmen<br />
auf die Nutzung<br />
der Potenziale des Cloud Computing verzichtet<br />
– aus Angst vor dem Datenklau. Pannen<br />
treiben sie wieder schnell in die vermeintliche<br />
Sicherheit ihrer eigenen Rechenzentren.<br />
Am Ende ist für den<br />
Erfolg von Cloud Computing<br />
vor allem entscheidend,<br />
dass die IT in der Wolke<br />
funktioniert<br />
„<br />
Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie<br />
kann die Sorgen verstehen.<br />
"Wie auch bei herkömmlichen<br />
IT-Anwendungen müssen Unternehmen<br />
damit rechnen, dass ein Cloud Service nicht<br />
jederzeit bereitsteht, Daten gelöscht oder<br />
in fremde Hände geraten könnten", sagt die<br />
Informatikerin Angelika Ruppel. Allerdings:<br />
"Der Einsatz von Cloud Services kann in<br />
manchen Fällen sogar die Sicherheit erhöhen."<br />
Möglich machen das standardisierte<br />
Sicherheitslevel – von der Überwachung<br />
der Gebäude, in denen Rechner stehen,<br />
über Zugangsbeschränkungen bis hin zur<br />
verschlüsselten Datenübertragung.<br />
Service Level Agreements lege die Ausfallwahrscheinlichkeit<br />
fest. Sonderwünsche<br />
erfüllen Cloud Anbieter wie Ausstattungsdetails<br />
bei Luxusautomobilen.<br />
Entscheidend ist am Ende der Preis.<br />
Die Botschaft kommt an: Wenige<br />
Woche nach dem Datendesaster<br />
bei Amazon stellte SAP Lösungen<br />
wie SAP-Rapid-Deployment und SAP-<br />
Business Objects in die Amazon-Cloud<br />
Web Services ein. "Amazons Cloud-Plattform<br />
ist SAP-zertifiziert", jubelte der Anbieter<br />
wie nach einem Ritterschlag. Tests hätten<br />
gezeigt, dass der Applikationsbetrieb in<br />
Amazons Rechenzentren den Leistungsanforderungen<br />
standhält.
Who<br />
ROLAND BERGER STRATEGY Consultants<br />
7Fragen an Cédric Ochsner,<br />
<strong>COO</strong>, Chocolat Frey AG<br />
in über 50 Länder auf allen 5 Kontinenten<br />
Cédric Ochsner,<br />
47, begann 1980 als<br />
Lehrling in der Süßwarenbranche.<br />
Neun Jahre später<br />
schloss er neben dem Job seine<br />
Weiterbildung <strong>zum</strong> Produktionsfachmann<br />
mit der Meisterprüfung<br />
ab, absolvierte danach ein<br />
Studium <strong>zum</strong> Lebensmittelingenieur<br />
und beendete seine Ausbildung<br />
berufsbegleitend mit dem Executive<br />
MBA an der Hochschule St. Gallen.<br />
Seine berufliche Karriere<br />
startete Ochsner bei Halba und<br />
Lindt & Sprüngli (Schweiz) AG.<br />
Zu Frey kam er 2002, zunächst<br />
als Prozessleiter Confiserie.<br />
2007 wurde er Chief Operating<br />
Officer der Chocolat Frey AG,<br />
ab dem 01. Januar 2012 wird er<br />
es auch bei der Migros-Tochter<br />
Delica AG.<br />
1. Warum braucht Sie<br />
die Chocolat Frey AG?<br />
Chocolat Frey ist das komplexeste Schokoladenwerk<br />
in Europa. Wir produzieren rund<br />
2.800 verschiedene Produkte. Andere namhafte<br />
Schokoladeproduzenten sind entweder<br />
auf ein enges Sortiment spezialisiert, oder<br />
sie produzieren in verschiedenen Betrieben.<br />
Wir dagegen haben nur einen Standort in<br />
Buchs. Dort findet die gesamte Wertschöpfung<br />
statt. Jeden Tag verlassen rund 500.000<br />
Tafeln Schokolade unser Werk. Das sind 200<br />
Tonnen Schokolade. Dazu kommt: Als Teil<br />
von Migros beliefern wir nicht nur das größte<br />
Einzelhandelsunternehmen der Schweiz, sondern<br />
wir exportieren unsere Schokoladen in<br />
über 50 Länder auf allen fünf Kontinenten. Der<br />
Export ist unser Wachstumsgeschäft. Wir stellen<br />
auch eine Vielzahl von Eigenmarken her,<br />
die es fast überall auf der Welt zu kaufen gibt.<br />
Das alles ist eine ungeheure Herausforderung<br />
– für mich persönlich, aber natürlich auch für<br />
das gesamte Team.<br />
2. WIE DEFINIEREN SIE<br />
IHRE ROLLE?<br />
Ständige Verbesserung der Lieferfähigkeit,<br />
Sicherstellung der Produkte-Qualität, Anpassung<br />
der Herstellkosten an die jeweilige Situation<br />
– dies ist mein Hauptaufgabengebiet,<br />
ganz klar. Innovationsmanagement ist ein<br />
weiteres wichtiges Feld. Man darf nicht vergessen:<br />
Die Konkurrenz ist enorm stark. Deshalb<br />
beschränken wir uns nicht auf Produktinnovationen,<br />
sondern wir behalten den gesamten<br />
Prozess im Auge. Der beginnt beim<br />
ersten Kundenkontakt und endet mit der<br />
pünktlichen Belieferung von Schokoladen in<br />
der richtigen Menge und in der besten Qualität.<br />
3. Hat Produktion in der<br />
Schweiz eine Zukunft?<br />
Schokolade hat in der Schweiz einen sehr hohen<br />
Stellenwert. Sie gehört zu uns, wie die<br />
Uhren zu uns gehören. Menschen im Ausland<br />
denken an die Berge, wenn sie unsere Schokolade<br />
genießen. Die Schweizer haben die Schokolade,<br />
wie man sie heute kennt, nicht bloß<br />
erfunden, sondern sie beschäftigen seit Generationen<br />
Chocolatiers. Allein das Wort zergeht<br />
einem auf der Zunge. Mit ihrem einzigartigen<br />
Können und ihrer Erfindungsgabe stehen sie<br />
nicht nur für die Vergangenheit, sondern für<br />
die Zukunft der Schweizer Schokolade. Ich bin<br />
davon überzeugt – allerdings nur unter einer<br />
Prämisse: Wir müssen es weiter schaffen,<br />
unserem Qualitätsanspruch treu zu bleiben.<br />
Wir dürfen nicht nachlassen. Andererseits: Der<br />
Standort Schweiz ist nicht der leichteste. Wir<br />
sind hier heute viel mehr gefordert als früher.<br />
4. Sitzen Sie zwischen<br />
den Stühlen?<br />
Unangenehme Frage. Hätten Sie mich statt<br />
dessen gefragt, ob ich im Sandwich bin, dann<br />
hätte ich geantwortet: Ja. Und das in der<br />
Mitte ist bekanntlich am besten! Klar, die<br />
Anforderungen an Operations sind oft divergierend.<br />
Das ist aber letztendlich nur so etwas<br />
wie interner Wettbewerb. Wichtig ist für mich<br />
eine offene, transparente Kommunikation<br />
zu Chancen und Risiken, immer direkt und<br />
ungefärbt. Das ist für mich die Basis erfolg-
think: act BUSiNESS Geschäftsmodelle 33<br />
reichen <strong>COO</strong>-Managements. Ich betreibe keinen<br />
Kraftsport, sondern ich bin ausdauersportler.<br />
Man muss in dieser Position einen langen atem<br />
haben. Das spornt mich an und hält mich fit.<br />
5. WAS BESchäFtiGt SiE<br />
AM MEiStEN?<br />
Lernen! Hinsehen statt Wegschauen. Fehler<br />
von gestern sind die Chancen von morgen.<br />
Die Dinge, die funktionieren, lasse ich laufen,<br />
diejenigen, die nicht funktionieren, fasse<br />
ich an. Manche Menschen machen dabei<br />
den Fehler, in aktionismus zu verfallen. Ich<br />
halte es für richtig, Veränderungen so vorzunehmen,<br />
dass sie als natürlich wahrgenommen<br />
und akzeptiert werden können – wie<br />
wenn es nie anders war und nur so richtig<br />
ist. Dazu gehört viel Fingerspitzengefühl.<br />
Hinzu kommt der weitere ausbau einer<br />
sogenannten Schwarmintelligenz. Das<br />
bedeutet Informationsaustausch aus erster<br />
Hand über zwei Hierarchieebenen, auswahl<br />
und Platzierung der Schlüsselpositionen<br />
im Prozess, sprich Multiplikatoren, Change<br />
Management, Übertragung von<br />
Verantwortung und Empowerment.<br />
6. WiE NUtZEN SiE ihRE<br />
RESSOURcEN?<br />
Ich glaube an Menschen, nicht an Prozesse.<br />
Menschen brauchen Informationen und klare<br />
Übertragung von Verantwortung – dann können<br />
sie sich ganz einbringen. Niemand macht<br />
gerne Fehler. Ich lasse meine Mitarbeiter Erfolge<br />
feiern. Lob ist ungeheuer wichtig. Lob und<br />
Verantwortung sind die stärksten Motoren der<br />
Motiviation.<br />
7. WOFüR StEhEN SiE?<br />
Ich stehe für eine Leistungskultur,<br />
die aber auch ruhig Spaß machen<br />
darf. Ich stehe für konsequentes<br />
Handeln und<br />
die Unteilbarkeit von<br />
übertragener<br />
StEckBRiEF: chOcOLAt FREy AG<br />
Verantwortung. Nicht Prozesse<br />
dürfen über den Erfolg einer Unternehmung<br />
entscheiden, sondern<br />
die Menschen, die komplizierte und<br />
komplexe Prozesse ausgestalten<br />
und sie laufend optimieren.<br />
Die chocolat Frey AG mit Sitz in Buchs im Schweizer<br />
kanton Aargau ist hersteller von Schokolade und kaugummi.<br />
Das 1887 gegründete Unternehmen gehört seit 1950 <strong>zum</strong><br />
Detailhandelskonzern Migros. Die Produkte werden einerseits<br />
für die Migros-Genossenschaften hergestellt und in<br />
deren Filialen verkauft, andererseits heute in über 50 Länder<br />
auf allen 5 kontinenten exportiert. Daneben werden auch<br />
Gastronomiebetriebe, Großverbraucher und die weiterverarbeitende<br />
industrie beliefert. Der Export trägt rund ein Drittel<br />
<strong>zum</strong> Umsatz bei.<br />
Mit rund 39% Marktanteil ist die chocolat Frey AG Schweizer<br />
Marktführer als Schokoladenproduzent. Das Unternehmen<br />
beschäftigt über 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
und erzielte 2010 einen Bruttoumsatz von 404 Millionen<br />
Schweizer Franken.<br />
http://www.chocolatfrey.ch
What<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Übernahmen:<br />
Erfolgreich<br />
in drei Schritten<br />
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise bringt das M&A-Karussell<br />
in Schwung. Doch so häufig Übernahmen stattfinden, so gehen sie fast<br />
ebenso häufig schief. Der größte Stolperstein: falsches Integrations- und<br />
Synergiemanagement. Erfolgreiche Post Merger Integration antizipiert<br />
und eliminiert frühzeitig erkennbare Schwachpunkte und Fehlerquellen.<br />
Ein neuer Beratungsansatz von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> ermöglicht messbare<br />
Fortschritte bei der Suche nach sowie der Priorisierung und Umsetzung von<br />
werthaltigen Gemeinsamkeiten.<br />
Weitere Themen in der <strong>COO</strong>-Werkstatt: Warum sich Top-Einkäufer in<br />
Unternehmen von Kostenkillern zu Smart-Value-Engineers entwickeln – Wo<br />
in energieintensiven Branchen die größten Effizienz-Reserven stecken –<br />
Und wie Automobilzulieferer nach Rekorderergebnissen im Boomjahr 2011<br />
auch bei nachlassender Weltkonjunktur profitabel bleiben können.
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 35
g What<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
Mergers & Acquisitions:<br />
Erfolgreiches PMI-Synergiemanagement<br />
Die Zahl der M&A Aktivitäten steigt wieder, nur oft lassen Unternehmen viel Potenzial auf dem Weg liegen.<br />
Eine Studie von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> identifiziert die wesentlichen Erfolgsfaktoren.<br />
Der Pekinger Autohersteller Youngman und<br />
das Großhandelsunternehmen Pang Da kaufen<br />
die schwedische Automarke Saab. Google<br />
verleibt sich für 12,5 Milliarden Dollar Motorola<br />
Mobility ein. Der US-Pharmadienstleister<br />
Express Scripts schluckt den Rivalen Medco<br />
Health Solutions. Microsoft kauft Skype, und<br />
Volkswagen holt mit MAN <strong>zum</strong> großen Schlag<br />
auf dem internationalen Nutzfahrzeugmarkt<br />
aus – Wirtschaftskrise hin, Staatenkrise her:<br />
Das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen<br />
tobt in den Schlagzeilen der Wirtschaftspresse,<br />
als gäbe es kein Halten mehr.<br />
Rezessionsängste treiben die Spekulation,<br />
Globalisierung füttert Merger Mania. Allein<br />
2010 stieg nach Berechnungen von <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy Consultants das M&A-Volumen<br />
außerhalb von Europa und USA um stolze 46%.<br />
Übernahmen und Fusionen sind für viele<br />
Unternehmen das Allheilmittel gegen Umsatzschwund<br />
und Kostenexplosion. Doch so<br />
häufig die Transaktionen gut gehen, so häufig<br />
scheitern sie: Synergien lassen sich nicht wie<br />
erhofft heben. Wichtige Mitarbeiter sind ohne<br />
erkennbare Zukunftsaussichten demotiviert<br />
oder kündigen. Chaos herrscht, wo eigentlich<br />
ein strukturierter Plan umgesetzt werden<br />
sollte. PMI-Synergiemanagement birgt viele<br />
versteckte Risiken. Ein neuer Beratungsansatz<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> ermöglicht messbare<br />
Fortschritte bei der Priorisierung und Umsetzung<br />
werthaltiger Gemeinsamkeiten. Drei<br />
Dinge entscheiden: Nomination, Selection,<br />
und Alignment.<br />
Nomination steht für die<br />
klare Ernennung eines<br />
PMI-Managers, welcher<br />
sich Vollzeit der Integration<br />
widmen, von seniorem Rang<br />
sein, und vor allem frühzeitig<br />
involviert werden sollte. Das sehen auch die<br />
meisten Experten so. Allerdings ist hier oft der<br />
Wunsch der Vater des Gedanken. Denn obwohl<br />
<strong>zum</strong> Beispiel 71% der in der Studie befragten<br />
PMI-Experten sich dafür aussprechen, dass ein<br />
PMI-Manager sich voll auf seine PMI-Aufgaben<br />
konzentrieren soll, bestätigen nur 37%, dass<br />
dies auch so umgesetzt wurde.<br />
Hinter dem Begriff Selection<br />
steckt die Auswahl der<br />
✗ richtigen Maßnahmen zur<br />
✗ Hebung von Synergien. " Bei<br />
dieser Wahl haben sich vier<br />
Kriterien als besonders treffsicher<br />
erwiesen: Wirkungsgrad, Geschwindigkeit,<br />
Nachhaltigkeit und Kultur. Insbesondere<br />
das Kriterium Kultur wird häufig deutlich<br />
unterschätzt." sagt Oliver Knapp, Partner bei<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> und Mitautor der Studie.<br />
Das richtige Alignment der<br />
Maßnahmen ist essentiell<br />
für erfolgreiche PMI-Anstrengungen.<br />
"Einen klar<br />
definierten Fahrplan zu haben<br />
und vor allem auch zu befolgen,<br />
ist Gold wert", weiß <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Partner<br />
Thomas Rinn zu berichten und führt fort: "Zwar<br />
muss die Flexibilität des Prozesses gewährleistet<br />
werden, aber zu häufiges Nachjustieren<br />
kostet Glaubwürdigkeit und damit oft den<br />
Erfolg der PMI".<br />
71%<br />
Anspruch Anspruch<br />
Vollzeit PmI-Manager<br />
Gewünscht<br />
37%<br />
Wirklichkeit<br />
Wirklichkeit<br />
71% der Studienteilnehmer wünschen sich<br />
Vollzeit-PMI-Manger, aber nur 37% sehen dies<br />
in die heutige Praxis umgesetzt.<br />
http://www.rolandberger.com/media/publications/2011-11-14-rbsc-pub-Synergy_management_for_Post_Merger_Integration.html<br />
Einkauf:<br />
Gestärkt aus der Krise<br />
Warum sich Top-Einkäufer immer mehr zu Smart-Value-Engineers entwickeln<br />
Während der Finanzkrise 2008/2009 hat der<br />
Einkauf sehr schnell auf die aktuellen Herausforderungen<br />
im nachhaltigen und kontinuierlichem<br />
Management von Be-schaffungs- und Versorgungsrisiken<br />
reagieren müssen. Der (erste)<br />
Sturm ist vorbei, die Unternehmen haben wieder<br />
auf Wachstumskurs geschwenkt, aber die<br />
Wogen sind noch nicht vollends geglättet. Der<br />
Einkauf ist somit weiterhin als Risikomanager<br />
in volatilen Beschaffungsmärkten gefragt. Aus<br />
diesem Grund hat <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> bereits zwei<br />
Jahre nach dem Erscheinen der letzten Studie<br />
eine neue Ausgabe der "Purchasing Excellence"<br />
Studienreihe aufgelegt. In der vierten Auflage<br />
der seit 1999 publizierten Studie wurden wieder<br />
Unternehmen aus Deutschland, Zentral- und<br />
Osteuropa, den USA sowie Asien befragt. Über<br />
500 Teilnehmer aus 14 unterschiedlichen
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 37<br />
Branchen haben an der Umfrage teilgenommen<br />
und aktuelle Trends und Herausforderungen an<br />
den Einkauf nach der Finanzkrise 2008/2009<br />
herausgearbeitet.<br />
Die wichtigste Nachricht an alle Einkäufer<br />
zuerst: Der Einkauf gewinnt auch nach der<br />
Krise weiter an Gewicht. Er wird als wichtiger<br />
und akzeptierter Businesspartner in führenden<br />
Unternehmen wahrgenommen. Hierzu übernimmt<br />
der Einkauf zunehmend eine Führungsrolle<br />
bei wichtigen cross-funktionalen Projekten<br />
zur Generierung von Kostenvorteilen und zur<br />
Absicherung von Beschaffungs- und Lieferantenrisiken.<br />
Bedeutung des Einkaufs steigt weiter<br />
2009<br />
2011<br />
Einkauf im Lead für cross-funktionale Projekte<br />
(% Teilnehmer)<br />
Der Einkauf übernimmt zunehmend die Führung<br />
bei wichtigen cross-funktionalen Projekten<br />
Dies erfordert neue, anspruchsvolle Fähigkeiten<br />
und umfassendes Wissen von den Einkaufsmitarbeitern,<br />
was sich lt. unserer Studie durch eine<br />
weitere Qualifizierung der Beschaffungsteams<br />
gut erreichen lässt. Neben einem weiter zunehmenden<br />
Anteil an Akademikern spielen<br />
auch interkulturelle, sprachliche und spezifisch<br />
technische Kompetenzen eine entscheidende<br />
Rolle über Erfolg oder Mißerfolg.<br />
46%<br />
+12%<br />
Zuwachs<br />
in % Punkte<br />
58%<br />
Neben den klassischen kommerziellen Hebeln<br />
wie Volumenbündelung wenden Top-Unternehmen<br />
zunehmend auch komplexere Methodiken,<br />
wie z.B. Value Engineering unter Einbindung von<br />
strategischen Partnern und Lieferanten, an. Die<br />
nachhaltige Entwicklung von Geschäftsfeldern<br />
und -tätigkeiten ist auch im Einkauf verankert.<br />
Ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen<br />
sind fest im Wertekanon der Einkaufsstrategie<br />
eingewoben.<br />
Die Top-Einkäufer werden damit von traditonellen<br />
Kostensenkern zu "Smart Value-Engineers",<br />
die umfassend Produktnutzen und -kosten<br />
optimieren, um aktiv die Unternehmensperformance<br />
zu steigern.<br />
Diese und weitere Trends und Herausforderungen<br />
an den Einkauf lesen Sie in der Studie<br />
"Purchasing Excellence 2011", erhältlich ab<br />
Dezember 2011.<br />
http://www.rolandberger.com/company/press/releases<br />
Energieeffizienz:<br />
Unter Strom<br />
Investitionen in Effizienztechnologie von 23 Milliarden Euro stehen Einsparungen von über 100 Milliarden Euro gegenüber<br />
Investitionskosten Kumulierte Einsparungen<br />
Investitionskosten 23 Mrd. EUR<br />
-10<br />
-42<br />
Grundstoff Chemie<br />
-7<br />
-34<br />
Papier-Pappeherstellung<br />
Steigende Strompreise haben nicht nur<br />
negative Seiten. Sie führen zu einer Investition<br />
in Effizienztechnologien, schaffen damit<br />
Wachstum und regen zu Innovationen an.<br />
Das ist das zentrale Ergebnis der Studie<br />
"Effizienzsteigerung in stromintensiven Industrien"<br />
der Strategieberatung <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />
Anhand von vier ausgewählten Industrien –<br />
Grundstoffchemie, Papier- und Pappeindustrie,<br />
metallerzeugende Industrie, Verarbeitung<br />
von Steinen und Erden – zeigen die Autoren<br />
Handlungsstrategien bis 2050 auf.<br />
Industriespezifische Investitionen und Einsparungen bis 2050<br />
-5<br />
Metallerzeugende<br />
Industrie<br />
Kumulierte Einsparungen 102 Mrd. EUR<br />
-20<br />
-1<br />
-6<br />
Verarbeitung von Erden<br />
und Steinen<br />
Der Strombedarf bei stromintensiven Industrien<br />
wird in den nächsten Jahren stark<br />
steigen. Neben dem Ausbau von strombasierten<br />
Produktionsverfahren trägt auch<br />
der zunehmende Automatisierungsgrad zu<br />
einer Erhöhung des Verbrauchs bei. Gleichzeitig<br />
steigen die Strompreise, etwa durch<br />
den frühzeitigen Atomausstieg und die damit<br />
verbundene Angebotsverknappung, höhere<br />
Kosten für CO 2 -Zertifikate und Brennstoffe<br />
sowie den Ausbau von Stromnetzen für<br />
Erneuerbare Energien. "Der Strompreis wird<br />
in den nächsten 20 Jahren um rund 70 %<br />
steigen", sagt Ralph Büchele von der Strategieberatung<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>. "Um weiterhin wettbewerbsfähig<br />
zu bleiben, müssen Unternehmen<br />
ihre Energieeffizienz steigern." Gerade in den<br />
stromintensiven Branchen sehen die Experten<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> ein großes Potenzial für<br />
Effizienzsteigerungen. "Die Entwicklung neuer<br />
Effizienztechnologien durch die verschiedenen<br />
Anbieter und deren Einsatz auf Anwenderseite
g What<br />
ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />
ermöglichen eine nachhaltige Senkung<br />
des Stromverbrauchs und somit eine<br />
signifikante Reduzierung der Stromkosten",<br />
erklärt Torsten Henzelmann, Partner bei<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>. Investitionen in Energieeffizienz<br />
sparen jedoch nicht nur auf Seiten<br />
der Anwender Kosten. Auch auf Seiten<br />
der Anbieter entsprechender Technologien<br />
entstehen nachhaltig positive Veränderungen.<br />
Eine hohe Energieeffizienz<br />
von Produkten wird in den nächsten Jahren<br />
ein zentraler Differenzierungsfaktor gegenüber<br />
dem Wettbewerb sein und wird für<br />
neue Marktteilnehmer eine entscheidende<br />
Eintrittsbarriere darstellen. Dies wiederum<br />
führt innerhalb der Unternehmen verstärkt<br />
zu Investitionen in Forschung und<br />
Entwicklung, zu mehr Beschäftigung und<br />
Umsatzwachstum.<br />
http://www.rolandberger.com/media/press/releases/New_study_on_energy_efficiency.html<br />
Automobilzulieferer:<br />
Fitnessprogramm für die schlechten Zeiten<br />
"Global Automotive Supplier Study 2011" von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> adressiert die gröSSten Herausforderungen<br />
Die weltweite Automobilzulieferindustrie erlebt<br />
gerade eine Hochkonjunktur – und erreicht<br />
im Durchschnitt noch höhere Gewinnmargen<br />
(6,2%) als vor der Krise. Dabei weisen<br />
europäische Unternehmen 2010 im Schnitt<br />
deutlich höhere EBIT-Margen auf (6,9%) als<br />
ihre nordamerikanischen und japanischen<br />
Wettbewerber. Im Sektorenvergleich erweisen<br />
sich Automobilzulieferer in den Bereichen<br />
Fahrwerk, Exterieur und Antrieb am profitabelsten.<br />
Für die kommenden Jahre sind die<br />
Branchenaussichten immer noch positiv,<br />
wenngleich etwas gedämpft. Der langsamer<br />
wachsende chinesische Markt, stagnierende<br />
Automobilverkäufe in den reifen Märkten<br />
sowie die steigenden Rohstoffpreise werden<br />
die Profitabilität der Branche global wieder<br />
unter 6% fallen lassen. Das sind die Ergebnisse<br />
der Studie "Global Automotive Supplier Study<br />
2011", die <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
gemeinsam mit Lazard verfasst hat.<br />
Dr. Eric Fellhauer, Geschäftsführer bei Lazard.<br />
Zur raschen Erholung der Branche haben<br />
zudem die umfassenden Kostensenkungsmaßnahmen<br />
in den Unternehmen aus dem<br />
Krisenjahr 2009 beigetragen.<br />
Chinesische, koreanische und<br />
europäische Zulieferer an der Spitze<br />
Die Profitabilität der Unternehmen schwankt<br />
dabei je nach Region erheblich. So haben europäische<br />
Zulieferer mit einer durchschnittlichen<br />
EBIT-Marge von knapp 7% ihre Wettbewerber<br />
in Japan (5,6%) und Nordamerika<br />
(4,3%) deutlich hinter sich gelassen. Noch<br />
höhere Renditen erzielten jedoch Zulieferer<br />
aus China und Korea mit teilweise zweistelligen<br />
EBIT-Margen.<br />
Zulieferer müssen verstärkt auf<br />
Innovationen setzen<br />
Neben der Stabilisierung des momentanen<br />
Profitabilitätsniveaus und dem Ausbau der<br />
globalen Lieferfähigkeit stehen die Zulieferer<br />
vor der Herausforderung, Produktinnovation<br />
zukünftig noch stärker in den Mittelpunkt zurücken.<br />
"Nur Zulieferer, denen es gelingt, sich<br />
durch erstklassige Produkte von der Konkurrenz<br />
abzuheben, werden in der Lage sein,<br />
nachhaltige EBIT-Margen von mindestens 6%<br />
zu erzielen. Die anderen Zulieferer werden zunehmend<br />
in den Commodity-Bereich gedrängt,<br />
wo sie maximal 3% Gewinn erreichen können",<br />
so Felix Mogge von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>.<br />
Die Profitabilität der weltweiten Automobilzulieferindustrie<br />
ist 2010 auf Rekordniveau gestiegen<br />
Schlüsselindikatoren, 2000-2010 (n = ˜600 Zulieferer)<br />
"2010 ist die Profitabilität der weltweiten<br />
Automobilzulieferindustrie auf Rekordniveau<br />
gestiegen – nur ein Jahr nach dem Rekordtief<br />
von 2009", sagt Felix Mogge von <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong>. Die durchschnittliche EBIT-Marge<br />
weltweit ist von 1,6 Prozent im Jahr 2009<br />
auf 6,2 Prozent im Jahr 2010 hochgeschnellt.<br />
"Haupttreiber dieser positiven Entwicklung<br />
ist die rasante Erholung der weltweiten<br />
Automobilproduktion, allen voran in China<br />
und anderen Schwellenländern", sagt<br />
Einkommenswachstum<br />
[2000=100]<br />
162<br />
156<br />
11,1<br />
8,4<br />
5,3<br />
6,2<br />
http://www.rolandberger.com/expertise/industries/automotive/suppliers/2011-09-12-rbsc-pub-Global_Automotive_Supplier_Study_2011.html<br />
EBIT-Marge [%] Kapitalrentabilität [%]<br />
100<br />
1,1 2,0<br />
2002 2006 2010 2002 2006 2010 2002 2006 2010
think: act BUSINESS Geschäftsmodelle 39<br />
Kiosk<br />
Post Merger Integration (PMI) sichert den<br />
Erfolg von Zusammenschlüssen. Denn die<br />
Chance des Gelingens gibt es nur einmal<br />
Das richtige Kultur- und Synergiemanagement<br />
ermöglicht messbare Fortschritte bei der<br />
Priorisierung und Umsetzung von werthaltigen<br />
Massnahmen. Fünf Phasen kennzeichnen<br />
den Prozess professionellen Synergiemanagements.<br />
Er beginnt bei der Bestimmung wirksamer<br />
Stellhebel ("Discovery") und führt bis<br />
zur Implementierung der Maßnahmen ("Realization").<br />
Besonders kritisch sind die drei<br />
Zwischenphasen: Nomination, Selection und<br />
Alignment. Selection bezeichnet die Auswahl<br />
von Synergiehebeln nach ihrer finanziellen<br />
Wirkung, ihrer Umsetzungsgeschwindigkeit,<br />
und ihres nachhaltigen Effekts – angepasst<br />
an die jeweilige Unternehmenskultur. Alignment<br />
beinhaltet das Setzen der Maßnahmen<br />
in die optimale Reihenfolge: das Richtige<br />
zur richtigen Zeit. Und: Das Identifizieren von<br />
Wirkungszusammenhängen unterschiedlicher<br />
Maßnahmen. Sie können sich entweder ausschließen<br />
oder ergänzen. Nomination bedeutet,<br />
einen PMI-Manager zu benennen, denn<br />
erfolgreiches Synergiemanagement braucht<br />
klare Verantwortlichkeiten.<br />
Autoren: Thomas Rinn, Oliver Knapp,<br />
Christian Böhler<br />
http://www.think-act.com<br />
Aktuelles Buch und think:act CONTENT<br />
Ein leistungsfähiges Geschäftsmodell<br />
ist der beste Garant eines Unternehmens<br />
dafür, sich im Wettbewerb durchzusetzen.<br />
Professoren aus dem Academic Network<br />
von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants,<br />
Mitarbeiter von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy<br />
Consultants und weitere Autoren aus<br />
Wissenschaft und Unternehmen<br />
schreiben in diesem Buch über Grundlagen<br />
und Anwendung innovativer Geschäftsmodelle.<br />
Die Autoren analysieren<br />
in drei Kapiteln, wie ein moderner,<br />
ganzheitlicher Geschäftsmodellansatz<br />
aussieht, welche Gestaltungsfelder<br />
es für innovative Geschäftsmodelle<br />
gibt und auf<br />
welche Weise beispielhafte Unternehmen<br />
aus verschiedenen Branchen<br />
ihre Geschäftsmodelle weiterentwickelt<br />
und bewusst als<br />
Mittel benutzt haben, um im Wettbewerb<br />
erfolgreich zu sein. Eine Essenz<br />
des Buches findet sich in dem parallel dazu<br />
entwickelten think:act CONTENT.<br />
Autoren: Thomas Bieger, Dodo zu Knyphausen-<br />
Aufseß, Christian Krys, Michael Zollenkop<br />
http://www.think-act.com www.rolandberger.com<br />
ROLAND BERGER Strategy CONSULTANTS<br />
PURCHASING<br />
EXCELLENCE<br />
STUDIE<br />
Trends und Benchmarks im Einkauf 2011<br />
Einkaufen nach der Krise<br />
Während der Finanzkrise 2008/2009 hat der<br />
Einkauf sehr schnell auf die aktuellen Herausforderungen<br />
im nachhaltigen und kontinuierlichem<br />
Management von Beschaffungs- und<br />
Versorgungsrisiken reagieren müssen. Der<br />
(erste) Sturm ist vorbei, die Unternehmen<br />
haben wieder auf Wachstumskurs geschwenkt,<br />
aber die Wogen sind noch nicht<br />
vollends geglättet. Der Einkauf ist somit<br />
weiterhin als Risikomanager in volatilen Beschaffungsmärkten<br />
gefragt. Aus diesem<br />
Grund hat <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> bereits 2 Jahre nach<br />
dem Erscheinen der letzten Studie eine neue<br />
Ausgabe der Purchasing Excellence Studienreihe<br />
aufgelegt. In der vierten Auflage der<br />
seit 1999 publizierten Studie wurden wieder<br />
Unternehmen aus Deutschland, Zentral- und<br />
Osteuropa, den USA sowie Asien befragt.<br />
Über 500 Teilnehmer aus 14 unterschiedlichen<br />
Branchen haben an der Umfrage<br />
teilgenommen und aktuelle Trends und<br />
Herausforderungen an den Einkauf nach der<br />
Finanzkrise 2008/2009 herausgearbeitet.<br />
Autoren: Axel Schmidt, Oliver Knapp,<br />
Christian Steinbach<br />
Ab Dezember erhältlich<br />
http://www.rolandberger.comm