Marek Ordylowski
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In der Stadt befanden sich etwa 160 000 Deutsche, hauptsächlich Frauen und Kinder<br />
sowie Ältere, außerdem tausende Zwangsarbeiter, hauptsächlich Polen, aber auch<br />
Franzosen, Italiener, Holländer, Bulgaren, Litauer, Russen, Serben, Ukrainer,<br />
Tschechen und Ungarn. Alle waren in Arbeitslagern eingesperrt. Außerdem befanden<br />
sich in den Krankenhäusern 6000 verwundete und kranke deutsche Soldaten. Ein<br />
Teil von ihnen wurde von sowjetischen Ärzten betreut. Diejenigen, die fieberfrei<br />
waren, konnten selbstständig in Richtung Westen abmarschieren. Der Rest wurde in<br />
polnischen Krankenhäusern untergebracht. In den Ruinen versteckten sich zudem<br />
viele deutsche Soldaten, die auf der Suche nach Lebensmitteln oft Feuer legten. Das<br />
war in den Tagen vom 7. bis 10. Mai.<br />
In der Stadt befanden sich auch viele Deserteure und Marodeure, die die Sicherheit<br />
in Wrocław erheblich gefährdeten. Der Rektor der Universität, Prof. Stanisław<br />
Kulczyński, erinnerte an Banden betrunkener und plündernder Soldaten, die in die<br />
wissenschaftlichen Institute einbrachen. Auf der Suche nach Alkohol tranken sie<br />
Spiritus. Aber in diesem Spiritus waren für wissenschaftliche Zwecke Präparate, z.B.<br />
Fische, Schlangen, sogar verstorbene Neugeborene, eingelegt worden. Diese<br />
Präparate befanden sich im Institut für Pathologie der medizinischen Fakultät.<br />
Ein Problem waren auch die Menschenmassen, die von der Zwangsarbeit<br />
zurückkehrten, die in verlassenen Häusern und Lagern auf der Suche nach<br />
Lebensmitteln umherstreunten. Indem sie Feuer anzündeten, um die Treppenflure zu<br />
erleuchten, verursachten sie viele Brände.<br />
Die erste Aufgabe der neuen polnischen Machthaber bestand darin, ein normales<br />
Leben in der Stadt zu organisieren. Es galt die Feuer zu löschen, die Barrikaden in<br />
den Straßen zu beseitigen, die Wasserleitungen und alle städtischen Dienste in<br />
Betrieb zu nehmen, die Verteilung der Lebensmittel zu organisieren, die<br />
Produktionsbetriebe in Gang zu setzen. Das war eine ungewöhnlich schwierige<br />
Aufgabe, denn in Wrocław befand sich eine starke Garnison der Roten Armee, deren<br />
Kommandant der faktische Herrscher der Stadt war. Hinzuzufügen ist, dass neben<br />
den Soldaten und Zivilisten, die auf eigene Rechnung und Gefahr auf Raubzüge<br />
gingen, es noch sogenannte „trofiennyje roty“ gab, die Maschinen und Geräte im<br />
Rahmen des organisierten Raubs entwendeten. Es wurden Industrieanlagen,<br />
Druckereien, Energiestationen, Kunstwerke ausgeführt. Als interessante Einzelheiten<br />
sind zu erwähnen, dass selbst die Guillotine aus dem Breslauer Gefängnis<br />
mitgenommen wurde und sich heute in Kiew als ein Geschenk des polnischen Volkes<br />
befindet, aber auch die Starkstromleitung für die elektrische Eisenbahnlinie von<br />
Wroclaw nach Jelenia Góra (Breslau-Hirschberg).<br />
In den ersten Tagen nach der Kapitulation musste der Erwerb und die Verteilung von<br />
Lebensmitteln schnell gelöst werden. Große Mengen von Lebensmitteln wurden aus<br />
Furcht vor dem Verderben in provisorischen Lagern, z.B. in Läden oder Kellern<br />
untergebracht. Ein Teil der Lebensmittel war von der Bevölkerung am Vortag der<br />
Kapitulation gestohlen worden. Dazu zählten Stadtteile wie z.B.<br />
Biskupin/Bischofswalde, wo sich in jedem Haus einige Säcke Zucker und andere<br />
Vorräte befanden. Ein Teil der Lebensmittel wurde konfisziert, indem man den<br />
Bewohnern eine notwendige Menge für einige Wochen überließ. Im Breslauer Hafen<br />
befanden sich einige tausend Tonnen Zucker, in den Mühlen gab es Mehl und<br />
Getreide, in Magazinen gepökeltes Fleisch. Die größten Lebensmittelvorräte wurden<br />
in Armeemagazinen gelagert, die dann von sowjetischen Abteilungen übernommen<br />
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