18.06.2014 Aufrufe

Wissenschaft für die Praxis - Sparkassen-Finanzgruppe eV

Wissenschaft für die Praxis - Sparkassen-Finanzgruppe eV

Wissenschaft für die Praxis - Sparkassen-Finanzgruppe eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

VERANSTALTUNGEN<br />

AUTOR<br />

Prof. Dr. Friedrich Thießen<br />

ist Inhaber der Professur für Finanzwirtschaft<br />

und Bankbetriebslehre an der<br />

Technischen Universität Chemnitz.<br />

Islamic Finance im deutschen<br />

Privatkundengeschäft<br />

Diskussion aktueller Entwicklungen und Probleme<br />

Der Workshop zum Thema „Islamic Finance<br />

im deutschen Privatkundengeschäft“,<br />

der am 27. Mai 2011 in Leipzig<br />

stattfand, wurde vom Lehrstuhl für Finanzwirtschaft<br />

der TU Chemnitz, dem Orientalischen<br />

Institut der Universität Leipzig<br />

und dem Centre for Area Stu<strong>die</strong>s der<br />

Universität Leipzig veranstaltet. Ziel des<br />

Workshops war es, aktuelle Entwicklungen<br />

und Probleme zu diskutieren.<br />

Frank Classen vom <strong>Sparkassen</strong>verband Westfalen-Lippe<br />

beleuchtete einige Entwicklungen<br />

im <strong>Sparkassen</strong>bereich. Er schilderte ausgewählte<br />

Ergebnisse einer Befragung von Kunden<br />

im Raum Westfalen-Lippe. Auffällig ist,<br />

dass trotz der nun bereits mehrjährigen Debatte<br />

um Islamic-Finance-Produkte in Deutschland<br />

viele der angesprochenen Kunden nach<br />

wie vor keine Vorstellung davon besitzen. Andere<br />

hingegen stellen dezi<strong>die</strong>rte Anforderungen<br />

an shariakonforme Produkte. In <strong>die</strong>sem<br />

Spannungsfeld, das also von einer Nichtinformiertheit<br />

bis hin zur Erwartung anspruchsvoller<br />

Lösungen reicht, werden sich <strong>die</strong> <strong>Sparkassen</strong><br />

in den nächsten Jahren bewegen<br />

müssen.<br />

Sebastian Alexander von der Universität<br />

Leipzig ergänzte <strong>die</strong>se Ausführungen mit den<br />

Ergebnissen einer eigenen Umfrage. Seine<br />

Zahlen zeigten eine große Übereinstimmung<br />

mit den Ergebnissen der <strong>Sparkassen</strong>befragung.<br />

Er konnte eine Kundentypologisierung<br />

und -segmentierung vorstellen, <strong>die</strong> seine Forschergruppe<br />

aus den Daten entwickelt hat.<br />

Prof. Dr. Hans-Georg Ebert wies in seinem<br />

Vortrag auf <strong>die</strong> schwierige gesellschaftspolitische<br />

Lage in vielen muslimischen Staaten hin.<br />

Abgesehen von den öl- und gasproduzierenden<br />

Ländern hat sich <strong>die</strong> ökonomische Situation<br />

zumeist verschlechtert. Einbrüche beim<br />

Sozialprodukt, Inflation und steigende Haushaltsdefizite<br />

machen den Staaten zu schaffen<br />

und verunsichern <strong>die</strong> Bürger. Konsequenzen<br />

könnten sich daraus für <strong>die</strong> Geldwertstabilität<br />

ergeben und <strong>die</strong> Suche nach sicheren Anlagemöglichkeiten<br />

im westlichen Ausland fördern.<br />

Die Auswirkungen auf <strong>die</strong> Entwicklung des<br />

Bereiches Islamic Finance in Deutschland<br />

müssen auch in Abhängigkeit von der quantitativen<br />

Entwicklung muslimischer Bevölkerungsgruppen<br />

und den rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

(Steuerrecht, Aufsichtsrecht u. a.)<br />

analysiert werden. Die traditionellen Rechtsund<br />

Religionsgelehrten zertifizieren zwar einzelne<br />

Produkte, werden jedoch bei der konkreten<br />

Produktgestaltung kaum wirksam.<br />

International operierende Rechtsanwaltskanzleien,<br />

Produktdesigner und Beratungsfirmen<br />

dominieren den Markt. Durch Organisationen<br />

wie AAOIFI und IFSB kommt es zu einer Standardisierung<br />

von Produkten.<br />

Ilker Yavuz berichtete über seine Analysen<br />

shariakonformer Banken in der Türkei. Er hatte<br />

im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit<br />

geschäftspolitische Verhaltensweisen der vier<br />

islamgerechten Banken der Türkei analysiert<br />

und eine Kundenzufriedenheitsanalyse vorgenommen.<br />

Da er parallel dazu eine identische<br />

Analyse bei konventionellen Banken durchgeführt<br />

hatte, konnte er <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />

Reaktionen der Kunden in beiden Bankengruppen<br />

auf geschäftspolitische Maßnahmen<br />

der Banken beleuchten. Der Marktanteil shariakonformer<br />

Banken liegt in der Türkei bei 5%<br />

mit wachsender Tendenz. Die Konditionen der<br />

angebotenen Produkte sind bei beiden Bankengruppen<br />

praktisch identisch. Auffällig ist,<br />

dass Kunden shariakonformer Banken mit den<br />

Konditionen, aber auch mit vielen weiteren geschäftspolitischen<br />

Maßnahmen ihrer Banken<br />

deutlich zufriedener sind als <strong>die</strong> Kunden der<br />

konventionellen Banken.<br />

Taoufik Bouhmidi stellte eine in Deutschland<br />

operierende bankenunabhängige Vertriebsgruppe<br />

vor, <strong>die</strong> shariakonforme Finanzprodukte<br />

an muslimische Kunden vertreibt.<br />

Mangels verfügbarer Kredit- und Einlageprodukte<br />

beschränkt sich das Angebot derzeit vor<br />

allem auf investmentbezogene Produktarten.<br />

Der Autor konnte berichten, dass den Kunden<br />

<strong>die</strong> wirkliche Shariakonformität der Produkte<br />

wichtig sei und für <strong>die</strong> Gruppe daher der Aus-<br />

wahl- und Selektionsprozess solcher Produkte<br />

hohe Bedeutung habe. Da <strong>die</strong> Gruppe keine<br />

eigenen Produkte herstellen kann, rief er <strong>die</strong><br />

Produzenten (Banken) dazu auf, hochwertige<br />

shariakonforme Produkte, insbesondere Baufinanzierung<br />

und Einlagen, anzubieten. Kompromissprodukten,<br />

<strong>die</strong> ökonomische Effizienz<br />

vor religiöse Wahrhaftigkeit stellen, stand er<br />

ablehnend gegenüber.<br />

Ganz in <strong>die</strong>sem Sinne thematisierte Martin<br />

Heckel <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Konstruktion shariakonformer<br />

Produkte in den letzten Jahren international<br />

nicht einen falschen Weg genommen<br />

habe. Die derzeit in vielen Ländern<br />

angebotenen Produkte hätten oftmals nur<br />

dem Namen nach etwas mit ihren Vorbildern<br />

aus der Geschichte zu tun. Er regte an, in <strong>die</strong><br />

Rechtshandbücher der muslimischen Juristen<br />

aus dem 10. bis 12. Jahrhundert AD zu schauen<br />

und sich dort <strong>die</strong> Anregungen für <strong>die</strong> Ausgestaltung<br />

von Finanzprodukten im Detail zu<br />

holen. Ansonsten könnte nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass Irreführung vorliegt (wenn<br />

nicht rechtlich, so zumindest in einem faktischen<br />

Sinne), wenn ein Produkt z. B. als<br />

„Mudaraba“ angeboten würde, tatsächlich<br />

aber kaum mehr als einige wenige Elemente<br />

eines klassischen Mudaraba-Vertrages enthielte.<br />

Eine andere Position vertrat Prof. Dr. Friedrich<br />

Thießen. Seiner Meinung nach reflektieren<br />

<strong>die</strong> Details der Tafsire der klassischen shariakonformen<br />

Produkte <strong>die</strong> Rechtsauslegung früherer<br />

Zeiten als Reflexion damaliger gesellschaftspolitischer<br />

und ökonomischer Verhältnisse.<br />

Eine Anpassung an <strong>die</strong> modernen<br />

Gegebenheiten sei unabdingbar. Demgemäß<br />

kann es vernünftig sein, Finanzprodukte, soweit<br />

es geht und es <strong>die</strong> Religionsgelehrten zulassen,<br />

an <strong>die</strong> modernen Verhältnisse anzupassen.<br />

Für das Privatkundengeschäft in<br />

Deutschland macht sich besonders der Mangel<br />

an Kreditprodukten bemerkbar. Dieser<br />

hemmt über den Bilanzzusammenhang letztlich<br />

auch das Einlagengeschäft. Die Übertragung<br />

klassischer muslimischer Kreditkon-<br />

20 <strong>Wissenschaft</strong> für <strong>die</strong> <strong>Praxis</strong> – Mitteilungen 72

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!