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Nachhaltig Wirtschaften - Sarah Wiener

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Schwerpunkt | Food |<br />

„Wir dürfen nicht faul, dumm<br />

und unkreativ sein“<br />

Im forum-Interview erklärt Starköchin und Bioproduzentin <strong>Sarah</strong> <strong>Wiener</strong>, wie wir<br />

unser Geschmacksgedächtnis verloren haben und warum nur echter Genuss die<br />

Welt retten kann.<br />

Ein Interview von Bernward Geier<br />

Im April ist ihr Buch „Warum wir die Welt nur mit Genuss<br />

retten können“ erschienen. Schafft nicht gerade unsere<br />

Genuss- und Verschwendungssucht immer mehr Probleme?<br />

Verschwendung von Ressourcen haben wir zu viel, während<br />

uns der Genuss und Geschmack weitgehend abhandengekommen<br />

sind. Ein zubereitetes Huhn hat etwa<br />

600 verschiedene Geschmacksnuancen. Ein künstliches<br />

Brathuhnaroma enthält etwa sechs chemische, das heißt<br />

künstliche, Laborstoffe. Als Folge dieser Geschmacksverirrungen<br />

verlernen wir, uns ein Geschmacksgedächtnis<br />

anzulegen und verlieren dadurch die Urteilskraft und<br />

unseren Instinkt. Denn die heilende Hühnersuppe ist eben<br />

inhaltlich keine Hühnersuppe mehr. Und die gesunde,<br />

nährende Erdbeere ist nur noch ein Füllstoff mit Erdbeeraroma,<br />

der im Joghurt schwimmt.<br />

Wie sieht das im Tierbereich aus?<br />

Oje, wie soll ich es liebenswürdig sagen. Wenn wir an ein<br />

Kotelett von einem Schwein aus industrieller Tierhaltung<br />

denken, vergeht uns der Genuss: Ihm wurden die Zähne abgekniffen<br />

und der Ringelschwanz kupiert, damit es aus Stress<br />

und Verhaltensstörung nicht den Nachbarn kannibalisiert. Es<br />

wurde auf engstem Raum auf Spaltenböden in Dunkelhaft<br />

gehalten, hat noch nie in der Erde gewühlt, weiß nichts von<br />

Sonne und Wind. Selbst das Futter besteht vor allem aus<br />

importiertem, genmanipuliertem Mais und Sojamehl aus<br />

Monokulturen oder auch aus Industrieabfällen wie Schlempe<br />

oder aus Abfall. Um Krankheiten durch den engen Bestand<br />

zu vermeiden, werden Antibiotika dazu gemischt. Wer mag<br />

dieses Kotelett freiwillig essen und es noch als Genuss bezeichnen?<br />

Uns standen weltweit tausende essbarer Pflanzen zur Verfügung,<br />

von denen wir viele verloren oder ausgerottet haben.<br />

Stattdessen reduziert sich unsere Ernährung auf wenige<br />

sogenannte degenerativ unfruchtbare Hochleistungshybridsorten,<br />

von Großkonzernen patentiert und global gehandelt,<br />

die immer gleich schmecken, einförmig wachsen und neben<br />

Kunstdünger mit Pestiziden und Fungiziden behandelt werden.<br />

Das ewig gleiche Aussehen und die Lagerfähigkeit sind<br />

die obersten Kriterien für Qualität.<br />

Das ist heute unsere Nahrungsrealität: Wir essen weitgehend<br />

totes, sterilisiertes, stark verarbeitetes, genormtes<br />

Kunstessen. Letztendlich ist die Antwort auf Ihre Frage, ob<br />

man mit Genuss die Welt retten kann: Nur Genuss kann die<br />

Welt retten. Denn wir sind Teil der Natur und können nicht<br />

Krieg gegen die Natur führen, ohne uns selbst abzuschaffen.<br />

Wie wichtig ist „bewusster“ Genuss?<br />

Zu wahrem Genuss gehört immer auch Bewusstsein. Leider<br />

lassen wir uns oft Nahrungsmittel in den Schlund stecken,<br />

die wir dann wie Vögelchen hinunterschlucken. Eine Fett-,<br />

Kunstaroma- oder Glutamat-haltige Geschmacksexplosion<br />

traktiert die Synapsen unseres Hirns. Diese Attacken auf<br />

unsere Geschmacksnerven lassen uns unbefriedigt und im<br />

wahrsten Sinne des Wortes „fett“ zurück. Irgendetwas Vorgefertigtes<br />

aus der Dose, das man nicht mal mehr kauen muss,<br />

hat für mich als Köchin mit Genuss nichts zu tun.<br />

Warum produzieren Sie für Ihre Handelsmarke in Bio-<br />

Qualität?<br />

Ich will hochwertige, möglichst regionale und transparente<br />

Lebensmittel anbieten, von denen Verbraucher wissen, dass<br />

sie nachhaltig sind. Am liebsten würde ich meine Produkte mit<br />

dem Hinweis versehen, dass nur das drin ist, was draufsteht.<br />

Und nichts drin ist, was nicht draufsteht. Denn es gibt unzählige<br />

Zusatzstoffe, die wegen der Prozenthürden nicht deklariert<br />

werden müssen. Hier noch durchzublicken ist selbst für mich<br />

als kritische Köchin schwierig. Ich möchte Lebensmittel herstellen,<br />

die auch unsere Großeltern als Lebensmittel erkannt<br />

hätten und die ich selbst gern essen würde.<br />

46 forum <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>

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