Ralph Ubl: Prähistorische Zukunft. Max Ernst und die ... - Sehepunkte
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<strong>und</strong> der Übermalung <strong>und</strong> den damit einhergehenden Prinzipien der<br />
"Wiederholung <strong>und</strong> Entstellung" (130) als "Zerfallsprodukte des<br />
Illusionismus" (54) ein. Der Rückgriff auf Gérard Genettes Begriff des<br />
"Mimetismus" (19) erweist sich in <strong>die</strong>sem Zusammenhang als fruchtbar,<br />
um das parodistische Potenzial des dadaistischen Realitätsbezugs von den<br />
mimetischen Prinzipien des Illusionismus <strong>und</strong> der Nachahmung<br />
abzusetzen.<br />
<strong>Ernst</strong>s Surrealismus dagegen sei gekennzeichnet durch "Revitalisierung in<br />
Nachbildern oder Simulakren der Mimesis" (13). Mit Simulakren meint <strong>Ubl</strong><br />
in erster Linie <strong>die</strong> Technik der Frottage, <strong>die</strong> als indexikalischer Verweis auf<br />
<strong>die</strong> gepauste Vorlage in der Schwebe zwischen Präsenz <strong>und</strong> Abwesenheit<br />
stehe <strong>und</strong> so <strong>die</strong> Fantasie des Betrachters anrege. Durch das Prinzip "des<br />
Sehens von Ähnlichkeiten", das vexierbildartig neue Figuren aus dem<br />
abgepausten Muster imaginiert, werde eine "spukhafte Lebendigkeit" (54)<br />
eingehaucht, <strong>die</strong> dem mortifizierenden, parodistischen Verfahren des<br />
Dadaismus entgegenstehe. Eine ausführliche Analyse der Frottagen der<br />
"Histoire naturelle" von 1925/26 f<strong>und</strong>iert <strong>die</strong>se These <strong>und</strong> bringt sie<br />
differenziert mit dem gr<strong>und</strong>legenden surrealistischen Prinzip des<br />
Automatismus in Verbindung.<br />
Die Einbeziehung von "Fehlleistungen, Träume[n] <strong>und</strong><br />
Automatismen" (111) in den Entstehungsprozess <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rezeption der<br />
Frottagen führt <strong>Ubl</strong> anschließend zu einer eingehenden Betrachtung von<br />
<strong>Ernst</strong>s Freud-Rezeption. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf den Text<br />
"Visions de demi-sommeil", der 1927 in "La Révolution surréaliste"<br />
erschien. Von der einleuchtend dargestellten engen Verzahnung<br />
psychoanalytischer Lektüre <strong>und</strong> surrealistischen Fantasierens spannt der<br />
Autor im vierten <strong>und</strong> letzten Kapitel den Bogen zur jüngsten<br />
Vergangenheit <strong>und</strong> der Verarbeitung der Erlebnisse des Ersten<br />
Weltkrieges durch den Surrealisten.<br />
Spätestens hier wird allerdings deutlich, dass sich eine allzu strikte<br />
Grenzziehung als zu statisch <strong>und</strong> unflexibel erweist, wie <strong>Ubl</strong> selbst in<br />
Bezug auf <strong>Max</strong> <strong>Ernst</strong>s dadaistische Fotocollagen um 1920 eingesteht. Das<br />
zersetzte Bildmaterial werde hier wieder homogenisiert <strong>und</strong> lege in seiner<br />
Geisterhaftigkeit "Schichten einer surréalité" frei (141). Dass <strong>Ubl</strong> dennoch<br />
an der zuvor eingeführten Trennung festhält <strong>und</strong> sich mit der Einführung<br />
des Begriffs "Protosurrealismus" aus der Aporie zu retten sucht, wirkt<br />
wenig überzeugend. Hier wäre es angebracht, <strong>die</strong> schulmäßige<br />
Unterscheidung in Ismen aufzugeben oder zumindest zu hinterfragen.<br />
Die gelegentliche Tendenz zu einer bisweilen allzu konstruierten<br />
Argumentation, um eine These zu bilden bzw. aufrecht zu erhalten,<br />
schmälert leider ein wenig das unbestreitbare Ver<strong>die</strong>nst der<br />
kenntnisreichen Untersuchung. Diese Schwäche wird vor allem im letzten<br />
Kapitel evident. Wenn <strong>Ubl</strong> <strong>die</strong> 1933 entstandene mysteriöse<br />
Gipslandschaft "L'Europe après la pluie I" als "düstere Vorahnung, als<br />
Pessimismus" (189) in Hinsicht auf <strong>die</strong> sich zerschlagenden<br />
revolutionären Hoffnungen der Surrealisten sieht <strong>und</strong> einen Bezug zur