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UNTERRICHTSPRAXIS<br />
194<br />
Religion & Populär-Kultur<br />
o<strong>de</strong>r auch viele konfliktethische Entscheidungen,<br />
die in moralischer Hinsicht<br />
nur schwer zu „beurteilen“ sind.<br />
Der Film weist noch in eine an<strong>de</strong>re<br />
Richtung: Sammy Jenkis setzt seiner<br />
Frau die tödliche Dosis Insulin, weil er<br />
nicht weiß, dass er ihr die Spritze bereits<br />
gegeben hat. Er kann nicht schuldig<br />
sein an ihrem Tod, weil ihm die Erinnerung<br />
fehlt, die sein Han<strong>de</strong>ln als<br />
todbringend aufzeigen könnte. Eher<br />
wird man wohl <strong>de</strong>n Tod seiner Frau als<br />
möglichen Selbstmord einstufen können.<br />
Aber Sammy kann sich schuldig<br />
fühlen. Ein ähnliches Muster ergibt sich,<br />
wenn man Teddys Version <strong>de</strong>r Geschichte<br />
aufgreift: Wenn es Leonard<br />
war, <strong>de</strong>r seiner Frau – aufgrund <strong>de</strong>r<br />
gleichen Gedächtnisstörung – todbringen<strong>de</strong><br />
Spritzen setzte, wäre seine Projektion<br />
dieser Tat auf Sammy vielleicht<br />
als Versuch einer Entlastung seines Gewissens<br />
zu sehen, auch wenn er nicht<br />
weiß, höchstens vermuten kann, worin<br />
genau seine Schuld bestehen könnte.<br />
Kann ich mich schuldig fühlen, wenn<br />
ich nicht weiß, warum? Ist Erinnerung<br />
an eigenes Leid wie an das Leid an<strong>de</strong>rer<br />
nicht auch ein konstituieren<strong>de</strong>s Element<br />
für die Entwicklung moralischen<br />
Bewusstseins? Kann Leonard nicht<br />
auch <strong>de</strong>shalb leicht im Kreislauf <strong>de</strong>r Rache<br />
leben, weil er sich an die vollzogene<br />
Rache nicht mehr erinnert? Man kann<br />
<strong>de</strong>n Gedanken auch noch einmal in <strong>de</strong>r<br />
„umgekehrten Richtung“ formulieren:<br />
Kann ich Verantwortung tragen, wenn<br />
ich mich nicht erinnern kann? Sammy<br />
kann die Verantwortung für seine Frau<br />
nicht übernehmen. Sie ist es, die dies<br />
mit ihrer Auffor<strong>de</strong>rung, ihr die Spritze<br />
zu geben, tut. Und auf Leonard bezogen:<br />
Kann er Verantwortung übernehmen<br />
für die Herstellung einer „Gerechtigkeit“,<br />
die er allein im Vollzug von<br />
Rache sehen kann? Kann er verzeihen?<br />
Fragt man – gleichsam in <strong>de</strong>r „Außenperspektive“<br />
– nach schuldhaftem<br />
Verhalten Leonards, so wird man das<br />
wohl am ehesten in <strong>de</strong>ssen Rachekategorien<br />
sehen können und auch in seiner<br />
ja sehr bewussten Entscheidung, sich<br />
Teddy als Opfer auszuwählen. Und auch<br />
bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Figuren <strong>de</strong>s Films kann<br />
man diese Kategorie anlegen. Es soll<br />
nicht suggeriert wer<strong>de</strong>n, solche Kategorien<br />
seien hier fehl am Platz o<strong>de</strong>r irrelevant.<br />
Wohl aber scheint es mir be<strong>de</strong>nkenswert,<br />
dass <strong>de</strong>r erinnerungslose<br />
Blick Leonards wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Zuschauers<br />
auf eine Welt schaut, die seltsam amoralisch<br />
erscheint und in <strong>de</strong>r Verantwortung<br />
kaum einen Platz erhält, kaum ein<br />
Subjekt fin<strong>de</strong>t.<br />
Ich kann mir vorstellen, dass manche<br />
Leser dieser Ausführungen diese<br />
mit einigem Befrem<strong>de</strong>n aufgenommen<br />
haben. Nach allem, was über <strong>de</strong>n Film<br />
gesagt wur<strong>de</strong>, erscheinen gera<strong>de</strong> die<br />
Verbindungen zu religiösen Fragen<br />
doch sehr gewagt und vielleicht auch<br />
vage. Und noch dazu wird sicher auch<br />
die Vorstellung, mit diesem Film im<br />
Religionsunterricht selbst in <strong>de</strong>r Sekundarstufe<br />
II zu arbeiten, als wenig<br />
naheliegend erscheinen. Nun, ich will<br />
gerne eingestehen, MEMENTO ist (auch<br />
für mich) kein religiöser und auch kein<br />
„spiritueller“ Film. Am ehesten könnte<br />
man ihn vielleicht noch als einen Film<br />
bezeichnen, <strong>de</strong>r philosophische Fragen<br />
aufwirft bzw. sich auf solche bezieht.<br />
Doch auch wenn die angesprochenen<br />
Verbindungslinien zu religiösen<br />
Themen eher auf struktureller Ebene<br />
liegen und weniger offensichtlich<br />
sind, scheint mir doch eine Arbeit mit<br />
<strong>de</strong>m Film durchaus sinnvoll zu sein.<br />
Gera<strong>de</strong> ein solcher ungewohnter, „unorthodoxer“<br />
Blick auf die Antworten<br />
<strong>de</strong>r christlich-jüdischen Tradition kann<br />
oftmals zu neuen bzw. vertiefen<strong>de</strong>n<br />
Einsichten verhelfen. Solche „Seitenwege“<br />
zu beschreiten, ist dabei wohl<br />
nicht nur für jene lohnenswert, <strong>de</strong>nen<br />
diese Antworten kaum mehr vertraut<br />
sind, son<strong>de</strong>rn sicher auch für Menschen,<br />
die sich ganz selbstverständlich<br />
darauf beziehen. In <strong>de</strong>m immer<br />
schwieriger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n „Geschäft“ <strong>de</strong>s<br />
Religionsunterrichts (und nicht nur<br />
da) wäre es zumin<strong>de</strong>st einen Versuch<br />
wert.<br />
Abschließend noch ein Hinweis:<br />
In <strong>de</strong>r DVD-Ausgabe <strong>de</strong>s Films<br />
(2 DVDs mit ausführlichem Bonusmaterial)<br />
fin<strong>de</strong>t sich ein sogenanntes<br />
„Hid<strong>de</strong>n Feature“, ein Menü, mit <strong>de</strong>m<br />
man <strong>de</strong>n Film in <strong>de</strong>r Szenenreihenfolge<br />
<strong>de</strong>r Geschichte abspielen kann:<br />
Der Film beginnt mit <strong>de</strong>n Schwarzweißszenen<br />
in <strong>de</strong>r Reihenfolge <strong>de</strong>s<br />
Films, die letzte Schwarzweißszene<br />
geht dann in die letzte Farbszene<br />
über, es schließen sich die Farbszenen<br />
in umgekehrter Reihenfolge an.<br />
Dieses Feature kann wie folgt aufgerufen<br />
wer<strong>de</strong>n: Man drückt im Hauptmenü<br />
(Filmstart eingerahmt) zweimal<br />
die rechte Pfeiltaste <strong>de</strong>r Fernbedienung.<br />
Darauf erscheint im Menü<br />
(rechts unten) <strong>de</strong>r Begriff „Memento“<br />
eingerahmt, <strong>de</strong>r zweimal zu bestätigen<br />
ist 4 .<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
vgl. dazu Paul Werner: Film noir. Die Schattenspiele<br />
<strong>de</strong>r „schwarzen Serie“, Frankfurt am Main 1985.<br />
2<br />
In einer kurzen Sequenz – einem „Erinnerungsbild“<br />
Leonards – ist er aber einmal mit dieser Tätowierung<br />
zusammen mit seiner (noch leben<strong>de</strong>n) Frau zu sehen.<br />
3<br />
Erich Fromm: Haben o<strong>de</strong>r Sein, München 5. Aufl.,<br />
1980, S. 115.<br />
4<br />
Den Hinweis verdanke ich einem Schüler, Benedikt<br />
Schnei<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m an dieser Stelle herzlich gedankt sei.<br />
Franz-Günther Weyrich ist Leiter <strong>de</strong>s<br />
Amtes für Katholische Religionspädagogik<br />
in Wetzlar.<br />
Besuchen Sie auch INFO-Online im Internet: www.ifrr.<strong>de</strong><br />
INFO 32 · 3/2003