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Jubiläumschronik als PDF - Sparkasse Hanau

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„… diese mit Liebe gepflegte Anstalt …“<br />

Von der Lehn-Banco zur <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

1738 - 2013<br />

1


„… diese mit Liebe gepflegte Anstalt …“<br />

Von der Lehn-Banco zur <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

1738 - 2013<br />

<strong>Hanau</strong> 2013


Das Titelbild zeigt die Vorgängerinstitute der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und in der Mitte eine aktuelle Aufnahme<br />

der Hauptstelle am Neustädter Markt. Die Abbildungen von links oben im Uhrzeigersinn:<br />

Portal der Ständischen Leihbank 1921, Wallonisch-Niederländische Kirche um 1910, Landratsamt<br />

in den 1920er Jahren und das Stadthaus im Jahr 1940.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

Vorwort Vorstand der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> 5<br />

Solider und zuverlässiger Partner Landrat Erich Pipa 6<br />

Alten Prinzipien treu geblieben Oberbürgermeister Claus Kaminsky 7<br />

Vorbemerkung Erhard Bus / Werner Kurz 8<br />

Die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong> Werner Kurz 10<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland Erhard Bus 14<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs Erhard Bus 42<br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong> Erhard Bus 74<br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong> Erhard Bus 106<br />

„… diese mit Liebe gepflegte Anstalt …“ – Von der Lehn-Banco zur <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> 1738 - 2013<br />

<strong>Hanau</strong> 2013<br />

Herausgegeben aus Anlass des 275-jährigen Jubiläums vom Vorstand der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Alle Rechte vorbehalten insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie<br />

der Verwertung durch Funk, Film, Fernsehen und elektronische Medien<br />

Reproduktion auch von Teilen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren / Rechteinhaber<br />

Layout: Hans Dambruch, Großkrotzenburg<br />

Druck: Druckerei Kitz, <strong>Hanau</strong><br />

ISBN 978-3-00-041038-3<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie Werner Kurz 128<br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> Erhard Bus 136<br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> Werner Kurz 160<br />

Gespräche mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Erhard Bus 182<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> 200<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> und ihre Stiftungen 206<br />

Einige sparkassentechnische Begriffe 210<br />

Literatur zum Thema – eine Auswahl 213<br />

2 3


Wilhelm VIII. (1682-1760), Landgraf von Hessen, Fürst<br />

von Hersfeld, Graf von Katzenelnbogen, Ziegenhain, Nidda,<br />

Schaumburg und <strong>Hanau</strong>, gründete am 10. April 1738 die<br />

Leihbank <strong>Hanau</strong>, zeitgenössischer Stich.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Vorwort<br />

275 Jahre <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und ihre Vorgängerinstitute:<br />

Dies ist ein stolzes Jubiläum, das wir im Jahr 2013 feiern können.<br />

Zahlreiche Herausforderungen hatte unser Institut zu bewältigen,<br />

seit Wilhelm VIII., Landgraf von Hessen und Bruder<br />

des schwedischen<br />

Königs Friedrich, am<br />

10. April 1738 seine<br />

Unterschrift unter<br />

die Gründungsurkunde<br />

der Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> – eines der ältesten<br />

öffentlichen Geldinstitute<br />

in Deutschland<br />

– setzte.<br />

Fusionen, Währungsreformen,<br />

wirtschaftliche<br />

Blüte- und Krisenzeiten,<br />

aber auch<br />

technische Neuerungen,<br />

Filialgründungen,<br />

innovative Beratungskonzepte<br />

und moderne<br />

Vertriebsstrukturen prägen die Geschichte der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

bis heute. Es sind große und kleine Meilensteine, die die<br />

Entwicklung der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und ihrer Vorgängerinstitute<br />

in den vergangenen 275 Jahren markierten.<br />

Das Jubiläum belegt aber auch: Sicherheit und Stabilität,<br />

Verantwortung und Nähe sind der Schlüssel zum Erfolg der<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Ohne starke Kundenorientierung und hohe<br />

gesellschaftliche Verantwortung für die Region wäre die Geschichte<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und ihrer Vorgängerinstitute<br />

nur unvollständig erzählt.<br />

So lässt die vorliegende <strong>Jubiläumschronik</strong> 275 Jahre <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte<br />

in und um <strong>Hanau</strong> Revue passieren. Sie erzählt<br />

von Menschen<br />

und Ereignissen, von<br />

Entscheidungen und<br />

Entwicklungen, die<br />

unser Haus und dessen<br />

Vorgängerinstitute geprägt<br />

und beeinflusst<br />

haben.<br />

Unser ganz besonderer<br />

Dank gilt Herrn<br />

Erhard Bus und Herrn<br />

Werner Kurz. Sie haben<br />

die Geschichte der<br />

<strong>Sparkasse</strong> recherchiert,<br />

den Text der Chronik<br />

verfasst sowie die dazugehörigen<br />

Bilder ausgewählt.<br />

Durch ihre Arbeit<br />

ist ein Werk entstanden, das einen fundierten Einblick in<br />

die <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte erlaubt.<br />

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern viel Freude bei<br />

der Lektüre der <strong>Jubiläumschronik</strong>.<br />

Der Vorstand der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Robert Restani Dr. Ingo Wiedemeier Bernward Höving<br />

4 5


Solider und zuverlässiger Partner<br />

Alten Prinzipien treu geblieben<br />

Das älteste Vorgängerinstitut der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, die<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, wird in diesem Jahr 275 Jahre alt. Zu<br />

diesem stolzen Jubiläum gratuliere ich sehr herzlich. Es ist ein<br />

guter Anlass, um einen Blick auf die<br />

<strong>Sparkasse</strong>ngeschichte in der Region<br />

zu werfen, wie wir es mit der vorliegenden<br />

Chronik tun.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> traditionsreiches<br />

Kreditinstitut ist aus der<br />

Geschichte unseres Kreises nicht<br />

mehr wegzudenken. Auch sie hat sich<br />

neuen Herausforderungen immer<br />

wieder gestellt und geschichtliche<br />

Veränderungen durchlebt.<br />

Dank kluger und weitsichtiger<br />

Entscheidungen der jeweiligen Führungsgenerationen<br />

hat sich die <strong>Sparkasse</strong><br />

zu einem führenden Kreditinstitut<br />

in unserer Region entwickelt. Sie<br />

ist bis heute ein solider und berechenbarer<br />

Partner für die Bürger und für<br />

viele Firmen geblieben.<br />

Für uns ist es sehr wichtig, dass die<br />

<strong>Sparkasse</strong> – neben dem Online-Banking – auch über ein dichtes<br />

Filialnetz in den Städten und Gemeinden verfügt, wo man<br />

rund um die Uhr seine Bankgeschäfte erledigen kann.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist nicht nur ein zuverlässiger Partner<br />

in allen finanziellen Fragen, sie engagiert sich auf vielfältige<br />

Weise <strong>als</strong> Sponsor und unterstützt insbesondere die örtlichen<br />

Vereine auf den Gebieten der Kunst-, Kultur-, Sport- und Sozialförderung.<br />

Dafür möchte ich ein herzliches Dankeschön<br />

übermitteln.<br />

Als einer der größten Arbeitgeber in der Region bildet<br />

die <strong>Sparkasse</strong> zudem kontinuierlich<br />

junge Menschen aus, die eine reale<br />

Chance haben, anschließend übernommen<br />

zu werden. Damit bietet sie<br />

ihnen eine hervorragende berufliche<br />

Perspektive.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> hat die gesellschaftliche,<br />

wirtschaftliche und infrastrukturelle<br />

Entwicklung der Region<br />

mit geprägt. Mit ihrer Hilfe wurden<br />

unter anderem Wohnungsbau-,<br />

Firmenansiedlungs- und Modernisierungsvorhaben<br />

verwirklicht. Vorausschauende<br />

Entscheidungen in<br />

den vergangenen Jahrzehnten haben<br />

die Geschäftsentwicklung positiv beeinflusst.<br />

Deshalb verbinde ich meinen<br />

Glückwunsch zu diesem Jubiläum<br />

mit dem Dank an den Vorstand<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Ich möchte<br />

aber gleichermaßen allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

für Ihre hervorragende Arbeit und Ihr Engagement danken.<br />

Erich Pipa<br />

Landrat des Main-Kinzig-Kreises und<br />

Verwaltungsratsvorsitzender der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Im Jahre 1738 verfügte der damalige Landesherr, Landgraf<br />

Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, die Gründung einer<br />

Leihbank in <strong>Hanau</strong>. Diese Leihbank ist eine der Keimzellen<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, die somit<br />

in diesem Jahr auf eine 275-jährige<br />

Geschichte zurückblicken kann.<br />

275 Jahre <strong>Sparkasse</strong> in <strong>Hanau</strong> – das<br />

schließt die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen<br />

Diakonie ebenso ein wie die<br />

Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> und die Kreissparkasse.<br />

Seit 1991 unter einem gemeinsamen<br />

Dach, ist die <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> eine feste Größe in der Region.<br />

Seit die Menschen zur Geldwirtschaft<br />

übergegangen sind, braucht es<br />

solche Institutionen, die sich verantwortlich<br />

mit Finanzen und der Finanzierung<br />

der Wirtschaft befassen.<br />

So obliegt es beispielsweise der<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, mit ihren Mitteln<br />

dafür zu sorgen, dass das wirtschaftliche<br />

Leben in unserer Region nicht<br />

ins Stocken gerät. Soziale oder kulturelle<br />

Einrichtungen erhalten eine finanzielle Unterstützung,<br />

um ihre gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen zu können, hier<br />

sind die Stiftungen der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> auf vielfältige Weise<br />

aktiv.<br />

Schon die Einrichtung der fürstlichen Leih- und Lehnsbank<br />

in <strong>Hanau</strong> im frühen 18. Jahrhundert war eine Maßnahme der<br />

Wirtschaftsförderung. Dies ist ein Prinzip, dem die <strong>Sparkasse</strong><br />

bis heute treu geblieben ist. Sie ist Partner der verschiedensten<br />

Unternehmen in der Region und schafft damit die Basis für<br />

deren wirtschaftlichen Erfolg, Wohlstand und Arbeitsplätze.<br />

Aber die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist sich<br />

nicht nur der Verantwortung für<br />

Wirtschaft und Industrie bewusst.<br />

Auch im Privatkundengeschäft ist<br />

die Kundennähe ein Teil der Unternehmensphilosophie.<br />

Insgesamt ist<br />

die <strong>Sparkasse</strong> Teil des gesellschaftlichen<br />

Lebens, <strong>als</strong> Förderer von Kultur<br />

und Sport und von sozialen Institutionen.<br />

Ich danke herzlichen allen Verantwortlichen,<br />

allen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern, die sich täglich<br />

dafür einsetzen, dass die <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> diese wichtige Rolle weiterhin<br />

wahrnehmen kann.<br />

Allen Leserinnen und Lesern dieser<br />

umfassenden Chronik wünsche<br />

ich eine informative und aufschlussreiche<br />

Lektüre sowie der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> weiterhin viel Erfolg und Glück für weitere 275 Jahre<br />

zum Wohle ihrer Kundinnen und Kunden.<br />

Claus Kaminsky<br />

Oberbürgermeister der Stadt <strong>Hanau</strong> und stellvertretender<br />

Verwaltungsratsvorsitzender der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

6 7


Vorbemerkung<br />

„Die Einrichtungen der <strong>Sparkasse</strong> stehen auf der Höhe der<br />

Zeit, und ich glaube, nicht zuviel zu sagen, wenn ich die <strong>Sparkasse</strong><br />

in <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> eine der besteingerichtetsten unseres Verbandes<br />

bezeichne.“<br />

Aus dem Bericht der Verbandsrevision des Jahres 1907<br />

Quellen und Literatur<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> begeht am 10. April 2013 den 275.<br />

Jahrestag der Gründung eines ihrer Vorgängerinstitute: der<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Sie ist eine der ältesten Anstalten dieser<br />

Art in Deutschland. Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen<br />

Diakonie, der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und der Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>, ihre drei anderen Vorgängerinstitute, entstanden<br />

im 19. Jahrhundert.<br />

Aufgrund dessen sollte man meinen, es gäbe umfangreiches<br />

Quellenmaterial und es habe bereits eine intensive und ausführliche<br />

Beschäftigung mit der Geschichte dieser Geldinstitute<br />

gegeben. Doch das ist nicht der Fall.<br />

Zwar können die Quellenbestände im Stadtarchiv <strong>Hanau</strong><br />

und im Hessischen Staatsarchiv Marburg einige Aspekte aus<br />

der Vergangenheit dieser vier Institute erhellen, aber es bleiben<br />

doch in vielen Bereichen, außer vielleicht bei der Landesleihbank,<br />

immer noch große Lücken. Ergänzendes Archivmaterial<br />

zur Zeit nach 1945 enthält das Hessische Hauptstaatsarchiv<br />

Wiesbaden. Der Quellenbestand im Hausarchiv der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> beschränkt sich überwiegend auf Fotoaufnahmen.<br />

Ergänzung findet dieses Material durch Zeitungsartikel aus<br />

der Lokalpresse und zeitgenössische Beschreibungen der Verhältnisse.<br />

Die bisher erschienenen Jubiläumsschriften geben einen<br />

ersten Überblick zur Geschichte der vier Vorgängerinstitute<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Bemerkenswert ist dabei vor allem eins:<br />

Ihre Autoren konnten offensichtlich auch auf Unterlagen zurückgreifen,<br />

die den Verfassern dieser Darstellung nicht zur<br />

Verfügung standen.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> versteht sich nicht <strong>als</strong> ein rein ertragsorientiertes<br />

Unternehmen im wirtschaftlichen Wettbewerb,<br />

sondern auch <strong>als</strong> ein Institut, das auf eine besondere Art mit<br />

seiner Region verbunden ist. Und ebenso waren eine Leihbank<br />

oder eine <strong>Sparkasse</strong> – zumal <strong>als</strong> öffentliche Einrichtungen –<br />

mit den politischen Wechselfällen Deutschlands der letzten<br />

275 Jahre eng verwoben. Dies deutlich und verständlich zu<br />

machen ist eines der wichtigsten Anliegen dieser Publikation.<br />

Diese Eisenkiste diente der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> in den frühen Jahren ihres Bestehens <strong>als</strong><br />

sicherer Hort zur Verwahrung ihrer Barbestände.<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Danksagung<br />

Dank gilt allen, die durch Rat und Tat, durch die Bereitstellung<br />

von Bildmaterial und anderen Unterlagen sowie<br />

durch Korrekturlesen der Texte zu dieser Veröffentlichung<br />

beigetragen haben.<br />

Zu nennen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des<br />

Archivs des Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbandes Bonn,<br />

des Historischen Museums Frankfurt, des Hessischen Staatsarchivs<br />

Marburg, des Staatsarchivs Würzburg, des Hessischen<br />

Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, des Stadtarchivs und der<br />

Stadtbibliothek <strong>Hanau</strong>, des <strong>Hanau</strong>er Geschichtsvereins 1844<br />

e.V., des Cocon-Verlags und des Medienzentrums <strong>Hanau</strong>.<br />

Ohne die Unterstützung von Christa<br />

Paparzynski und Stefan Schüßler (<strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong>) hätte vieles nicht so zügig<br />

und zufriedenstellend erledigt oder<br />

noch schnell besorgt werden können.<br />

Und last, but not least ist den sechs<br />

Gesprächspartnern zu danken. Sie haben<br />

bereitwillig von früher erzählt und<br />

interessantes Bildmaterial zur Verfügung<br />

gestellt. Durch die Unterstützung<br />

dieser Menschen ist dieses Buch eine<br />

Gemeinschaftsarbeit vieler geworden.<br />

Die beiden Autoren freuen sich, wenn<br />

die vorliegende <strong>Jubiläumschronik</strong> dazu<br />

beiträgt, dass sich die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, aber auch möglichst<br />

viele Kundinnen und Kunden nun noch<br />

etwas mehr mit „ihrer“ <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

identifizieren. Dem historisch interessierten<br />

Leser möchte dieses Buch ein<br />

kleiner Beitrag sein zu einem Aspekt der Geschichte der Stadt<br />

und des ehemaligen Kreises <strong>Hanau</strong>.<br />

<strong>Hanau</strong>, im Februar 2013<br />

Erhard Bus Werner Kurz<br />

1 Dabei handelt es sich um folgende fünf Publikationen: Auf Werte<br />

bauen: Eine Dokumentation zum Hauptstellen-Erweiterungsbau,<br />

1990; 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich<br />

historischer Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni 1966,<br />

<strong>Hanau</strong> 1966; 50 Jahre Öffentliche mündelsichere <strong>Sparkasse</strong> – Kreissparkasse<br />

zu <strong>Hanau</strong>, 1899–1949, 1949; Unser Geld. Vom römischen<br />

Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte, hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4); Vorstand der Landesleihbank<br />

(Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>. Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> 1738–1938, <strong>Hanau</strong> 1938.<br />

8 9


Die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong><br />

Die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong><br />

Werner Kurz<br />

Wenn’s um Geld geht – <strong>Sparkasse</strong>! Kaum ein Werbeslogan<br />

hierzulande dürfte bekannter sein. Und für Generationen<br />

war dieses „geflügelte Wort“ eben gerade nicht schönfärbende<br />

Werbung, sondern alltägliche Selbstverständlichkeit. Dabei<br />

war der Begriff <strong>Sparkasse</strong> wörtlich zu nehmen. Für breite Bevölkerungsschichten<br />

bedeutete nämlich bis in die 1960er Jahre<br />

das Sparbuch die einzige Verbindung zu einem Geldinstitut.<br />

Den Lohn brachte der Buchhalter in einer Papiertüte an den<br />

Arbeitsplatz und die Miete kassierte der Hausherr in bar. Was<br />

am Monatsende übrig blieb, das wurde gespart. Und dieses<br />

auch mit kleinen und kleinsten Beträgen zu ermöglichen, dies<br />

war ein konstitutives Element der <strong>Sparkasse</strong>nidee.<br />

Solcherart Daseinsvorsorge im Wechselspiel zwischen dem<br />

Einzelnen und der Gesellschaft entsprang einst aufklärerischem<br />

Denken des späten 18. Jahrhunderts. Und das Einstehen<br />

der Kommune, der Öffentlichkeit, die „Gewährträgerschaft“<br />

von Städten oder Kreisen galt lange Zeit <strong>als</strong> Garant<br />

besonderer Verantwortung, aber auch von Sicherheit. Und sie<br />

sorgte für eine besonders starke Bindung, abgesehen davon,<br />

dass Privat- und Geschäftsbanken in ganz anderen Dimensionen<br />

dachten und auf das „Massengeschäft“ lange Zeit eher herabsahen.<br />

Es ist <strong>als</strong>o durchaus auch die Psychologie im Spiel,<br />

wenn es um die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong> geht. Wie der<br />

Umgang mit Geld ohnehin auch eine Frage der Mentalität ist.<br />

Im Jahr 1996 gruben Mitglieder des <strong>Hanau</strong>er Geschichtsvereins<br />

1844 e.V. am Salisberg Reste des römischen Kesselstadt<br />

aus. Sie holten mit einem Schreibtäfelchen nicht nur eine sehr<br />

frühe schriftliche Quelle aus der Mitte des 2. Jahrhunderts<br />

n. Chr. ans Licht, sondern auch einen bedeutenden Münzschatz.<br />

In den unsicheren Zeiten zum Ende der Römerherrschaft<br />

hierzulande hatte ein unbekannter Kesselstädter sein<br />

Geldvermögen in Form von rund 500 Münzen in einem Tontopf<br />

vergraben. Es ist dies, wenn man so will, der erste konkret<br />

belegte Hinweis auf einen „Sparer“ in <strong>Hanau</strong>. Dass des<br />

römischen Kesselstädters Geld in einem vergrabenen Tontopf<br />

keinesfalls sicher angelegt legt war, das wurde spätestens offenbar,<br />

<strong>als</strong> der Spaten der Archäologen die Spargroschen ans<br />

Licht der Gegenwart holte.<br />

Wir wissen nichts über diesen ersten <strong>Hanau</strong>er „Sparer“.<br />

Und damit hat es sich auch schon wieder für die nächsten gut<br />

anderthalbtausend Jahre, denn Bargeld spielte für den gemeinen<br />

Mann keine Rolle. Die Menschen lebten in Dörfern und<br />

stellten all das, was sie zum Leben brauchten, selbst her. Die<br />

Geldwirtschaft begann sich erst allmählich zu entwickeln.<br />

Dass Geld überhaupt in Umlauf kam, dafür sorgte die Landesherrschaft.<br />

Ihr verlieh der Kaiser das Münzrecht, und sie<br />

brauchte auch bares Geld, um die Staatsausgaben zu finanzieren.<br />

Also etwa um Orte zu befestigen, Soldaten auszurüsten<br />

oder Hofbeamte zu besolden. Ebenso sorgten die Kaufleute<br />

in den entstehenden Städten für die allmähliche Ablösung der<br />

Natural- durch die Geldwirtschaft.<br />

So entstand mit der Zeit ein Wirtschaftskreislauf, bei dem<br />

Geld <strong>als</strong> Basis für den Austausch von Waren und Dienstleistungen<br />

immer wichtiger wurde. Dennoch bestand die Entlohnung<br />

mancher Staatsdiener noch bis ins frühe 20. Jahrhundert<br />

nur zum Teil aus Geld. Pfarrern und Lehrern wurden<br />

bestimmte Äcker zugewiesen, deren Ertrag Teil ihres Gehalts<br />

war, oder sie erhielten freie Wohnung, Brennholz oder Korn –<br />

und nur in geringem Maße Bares.<br />

Ein Bauer in einem der hanauischen Dörfer des 17. und<br />

auch noch des 18. Jahrhunderts hat sein Dorf, wenn er nicht<br />

zu den Soldaten musste, so gut wie nie verlassen. Er hatte alles<br />

am Ort und brauchte Bargeld allenfalls, um seine Steuern zu<br />

bezahlen. Und dafür reichten die paar Silberlinge, die er durch<br />

den Verkauf der Überschüsse seiner Äcker erlöste. Raschen<br />

Wandel brachte erst die Industrialisierung, die mit Macht im<br />

19. Jahrhundert einsetzte. Immer mehr Landbewohner zogen<br />

in die Städte, um in den Fabriken zu arbeiten. Für die Entlohnung<br />

dieser Fabrikarbeit war Geld unabdingbar. Ob man von<br />

dem Lohn auch noch sehr viel zur Seite legen konnte, das steht<br />

freilich auf einem anderen Blatt.<br />

„Römische <strong>Sparkasse</strong>“ – der Kesselstädter Münzschatz aus der Römerzeit.<br />

<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

In <strong>Hanau</strong> setzte die Industrialisierung früher ein <strong>als</strong> anderswo.<br />

Die Neubürger aus den Niederlanden und der Wallonie<br />

hatten mit der Neustadtgründung im 17. Jahrhundert für<br />

einen nachhaltigen Innovationsschub gesorgt. Man brauchte<br />

immer mehr Arbeitskräfte, und so war man deshalb im <strong>Hanau</strong>ischen<br />

auch schon früher <strong>als</strong> anderswo zur Stelle, wenn<br />

10 11


Die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong><br />

Die <strong>Hanau</strong>er und ihre <strong>Sparkasse</strong><br />

es um Institutionen zur Daseinsfürsorge auch für die sogenannten<br />

niederen Stände ging. Ökonomische Notwendigkeit<br />

ebenso wie soziale Verantwortung waren denn auch Motive<br />

für die Gründung einer <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie,<br />

einer der Keimzellen der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. 1819 gegründet,<br />

sollte dieses Institut, für das die Kirchengemeinde<br />

haftete, eben jenen Fabrikarbeitern und Dienstboten, die in<br />

den <strong>Hanau</strong>er Manufakturen ihr Brot verdienten, Spar- aber<br />

auch in gewissem Rahmen Kreditmöglichkeiten bieten. Die<br />

kirchliche Trägerschaft durch die reformierte Niederländische<br />

Gemeinde unterstreicht den sozialen Aspekt dieser Gründung<br />

und dürfte nicht eben wenig zur Bindung der Kunden an dieses<br />

Institut beigetragen haben.<br />

Einher mit der industriellen Entwicklung <strong>Hanau</strong>s ging<br />

aber auch der Aufstieg einer Bürgerschicht. Ihre Geldangelegenheiten<br />

regelten die Fabrikanten und Unternehmer mit<br />

privaten Banken, aber auch mit einer staatlichen Einrichtung,<br />

die gleichfalls zu den Vorgängerinstituten der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

gehört: Die Landesleihbank <strong>Hanau</strong> von 1738, gegründet<br />

mithin vor 275 Jahren.<br />

Fürstliche Leihbanken, wie die von Landgraf Wilhelm<br />

VIII. gegründete Landesleihbank in <strong>Hanau</strong>, derer das 18.<br />

Jahrhundert in Deutschland mehrere hervorbrachte, waren<br />

zwar keine sozialen Einrichtungen, gleichwohl entsprang ihre<br />

Gründung wohlüberlegter Politik. Sie waren so etwas wie Förderbanken,<br />

die sich an Manufakturisten und Fabrikanten zur<br />

Hebung und zum Besten der lokalen Ökonomie wandten.<br />

Mithin blieb die Landesleihbank schon von ihrer Geschäftsidee<br />

und ihren Konditionen her dem „normalen“ <strong>Hanau</strong>er<br />

verschlossen, trug aber gleichwohl zum wirtschaftlichen Fort-<br />

Schlechte Zeiten auch für die<br />

<strong>Hanau</strong>er: Notgeldschein aus der<br />

Hochinflation, herausgegeben vom<br />

Magistrat, über 500 Milliarden<br />

Mark vom 8. November 1923.<br />

schritt in der Stadt und der Region bei, was sich unter anderem<br />

in der Schaffung neuer Arbeitsplätze und ihrem Erhalt<br />

niederschlug.<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die <strong>Sparkasse</strong>nidee<br />

rasant. Die Stadt <strong>Hanau</strong> sah 1841 die Gründung einer<br />

städtischen <strong>Sparkasse</strong>, und mit der Gründung lokaler Ersparniskassen<br />

hatte Mitte der 1850er Jahre, <strong>als</strong>o noch zu kurhessischer<br />

Zeit, nahezu jeder Ort des Landkreises <strong>Hanau</strong> ein quasi<br />

öffentliches Geldinstitut.<br />

Alle diese Geldinstitute hatten die Aufgabe, „ … Dienstboten,<br />

Arbeitern, überhaupt weniger bemittelten Einwohnern,<br />

Eltern für ihre Kinder und Pfleger und Kuratoren für Unmündige<br />

Gelegenheit zu verschaffen, ihre Ersparnisse auch in<br />

einzelnen und kleinen Beträgen sicher und nutzbar anzulegen<br />

und sich bzw. ihren Kindern und Pflegebefohlenen ein kleines<br />

Kapital zu irgendeiner Unternehmung oder für künftige<br />

Notfälle zu sammeln … “, wie es in der Satzung der <strong>Hanau</strong>er<br />

<strong>Sparkasse</strong> von 1841 heißt.<br />

Die Gründung einer Kreissparkasse in Trägerschaft des<br />

Landkreises <strong>Hanau</strong> 1899 war dann die logische Folge aus der<br />

Veränderung der Sozi<strong>als</strong>truktur. Das Ende des 19. Jahrhunderts<br />

stark ausgeweitete Eisenbahnnetz in der Region, in <strong>Hanau</strong><br />

trafen sich sieben Eisenbahnlinien, schuf den Soziotypus<br />

des Pendlers und brachte den Verdienst aus den <strong>Hanau</strong>er Fabriken<br />

auch aufs Land hinaus.<br />

Die Daseinsvorsorge für eben jene Bevölkerungsschichten<br />

war die Leitidee der <strong>Sparkasse</strong>ngründungen im 19. Jahrhundert.<br />

Sie lebt bis in die Gegenwart fort, indem die <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> durch gemeinnützige Stiftungen ihre Verpflichtung<br />

dem Gemeinwohl gegenüber fortführt, bekräftigt und lebt.<br />

Die starke lokale und regionale Verwurzelung des Instituts,<br />

die sichtbare Präsenz in vielen sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen<br />

Bereichen zeitigt denn auch ein ganz besonderes<br />

Verhältnis der <strong>Sparkasse</strong> zu den <strong>Hanau</strong>ern, wie von den <strong>Hanau</strong>ern<br />

zu ihrer <strong>Sparkasse</strong>. Dies auch, weil der Aufgabenbereich<br />

und vor allem der Kundenkreis heute längst über die im<br />

Gründungsstatut vor über 170 Jahren Genannten hinausgewachsen<br />

ist, weil sich <strong>Sparkasse</strong> heute lokal und international<br />

bewähren muss. Sie ist in europäische Entwicklungen eingebunden<br />

und dennoch eine Institution, die in der aufklärerischen<br />

Tradition des 18. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert der<br />

Ort ist, wohin der <strong>Hanau</strong>er hingeht, wenn’s ums Geld geht.<br />

Die folgenden Beiträge reflektieren die Vergangenheit der<br />

vier Gründerinstitute der heutigen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und dokumentierten<br />

zugleich die enge Verbindung des Instituts zur<br />

Region und ihrer Geschichte sowie zu den Traditionen des<br />

deutschen <strong>Sparkasse</strong>nwesens.<br />

Der Euro, heute <strong>als</strong> selbstverständliches Zahlungsmittel in <strong>Hanau</strong> und<br />

Europa fest etabliert.<br />

12 13


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Erhard Bus<br />

Nehmen wir eine Aussage schon vorweg: Die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

sind ein Kind der Aufklärung – oder genauer – ein Kind der<br />

Aufklärung und der Wertvorstellungen des Bürgertums im<br />

späten 18. und frühen 19. Jahrhundert.<br />

Am Anfang stand der Gedanke, die ärmeren Schichten,<br />

aber nicht die ganz Armen, zur Sparsamkeit zu erziehen, damit<br />

sie in Notzeiten auf einen Notgroschen zurückgreifen<br />

konnten. Die sichere und zinsbringende Anlage des Ersparten<br />

sollten die <strong>Sparkasse</strong>n gewährleisten und entsprechenden waren<br />

sie zunächst auch nur für diese Bevölkerungsgruppe gedacht.<br />

Die Anfänge des <strong>Sparkasse</strong>ngedankens<br />

Natürlich lagen der Gründung von <strong>Sparkasse</strong>n nicht alleine<br />

altruistische Überzeugungen zugrunde, sondern auch ein<br />

massives Eigeninteresse des Bürgertums und ihrer kommunalen<br />

Repräsentanten: Die Existenz der <strong>Sparkasse</strong>n eröffneten<br />

die Möglichkeit, dass kleine Handwerker, Gesellen, Dienstboten<br />

oder Arbeiter nicht in die Armut abglitten und dadurch<br />

der öffentlichen Hand oder karitativen Organisationen zur<br />

Last fielen und mithin Kosten verursachten, die die Bürgerschaft<br />

zu tragen hatte. Die Einsicht zur Realisierung dieses<br />

Instruments zur Selbsthilfe setzte sich gerade zu einer Zeit<br />

durch, <strong>als</strong> eine erste Phase der Industrialisierung, verbunden<br />

mit einem starken Bevölkerungsanstieg, das drängende Problem<br />

des Pauperismus, der Sozialen Frage der ersten Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts, geschaffen hatte.<br />

Jedoch zeigten sich Ansätze zur Errichtung ähnlicher Anstalten<br />

wie der <strong>Sparkasse</strong>n bereits viel früher, und die Institute<br />

blieben auch bald nicht alleine den weniger Bemittelten vorbehalten.<br />

Theoretische Überlegungen zur Errichtung von <strong>Sparkasse</strong>n<br />

für ärmere Bevölkerungsschichten entstanden zunächst<br />

in Frankreich und England. Die praktische Umsetzung dieser<br />

Ideen erfolgte jedoch zuerst in Deutschland. 1<br />

Hugues Delestre, ein Gesandter des französischen Königs<br />

Heinrich IV. (*1551, König von 1574-1589), entwickelte 1611 in<br />

Porträt Daniel Defoes.<br />

Unbekannter Maler um 1700, National Maritime Museum, London.<br />

seiner Schrift „Die erste Pflanze des Gott geweihten Berges“<br />

Ideen für Wirtschaft und Verwaltung, die er Heinrichs Witwe<br />

Katharina von Medici vorlegte. Er entfaltete darin modern<br />

anmutende Vorstellungen, die den späteren <strong>Sparkasse</strong>ngedanken<br />

bereits vorwegnahmen. Der Autor erwog die Gründung<br />

von Kassen für Dienstpersonal und Lohnarbeiter. Diese sollten<br />

ihr Geld in Empfang nehmen, es für die Dauer der Aufbewahrung<br />

sicher und zinsbringend anlegen und es bei Verlangen<br />

zurückerhalten. Als „Aktivgeschäft“ waren die Pfandleihe<br />

und die Beteiligung an Handelsgeschäften vorgesehen. Delestres<br />

Anregungen fanden jedoch keinen Widerhall. Erst nach<br />

der Französischen Revolution von 1789 griff man seine Vorschläge<br />

wieder auf.<br />

In England formulierte kein Geringerer <strong>als</strong> der Autor des<br />

„Robinson Crusoe“, Daniel Defoe (1660-1731), Ende des 17.<br />

Jahrhunderts ähnliche Ideen. In seinem 1697 erschienenen<br />

Buch „An Essay on Projects“ schlug Defoe die Gründung von<br />

„Gegenseitigkeitsgesellschaften“ vor. Ihre Mitglieder sollten<br />

sich in Notlagen gegenseitig beistehen. 2<br />

Den Vorstellungen beider Autoren liegt der Gedanke zu<br />

Grunde, dass die Angehörigen der unteren sozialen Schichten<br />

Gelder, die sie erübrigen konnten, sparten, um bei Krankheit<br />

und im Alter nicht in Armut oder Bettelei abzugleiten. Dieses<br />

Angesparte sollte sicheren Händen anvertraut werden und zugleich<br />

einen Unterstützungsfonds bilden.<br />

Die Befürworter dieser Ansichten glaubten, der vorgewiesene<br />

Weg zur Selbsthilfe könnte nicht nur individuelle Not<br />

lindern oder gar abwenden, sondern auch die steigenden Armenlasten<br />

der Städte und Gemeinden senken. Auch Defoes<br />

Anstöße fielen zunächst nicht auf fruchtbaren Boden. Es dauerte<br />

in Großbritannien noch Jahrzehnte, bis es zur Errichtung<br />

von <strong>Sparkasse</strong>n kam. Das erste derartige Institut entstand 1810<br />

in Schottland.<br />

Mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert erhielt der <strong>Sparkasse</strong>ngedanke<br />

neben der sozialen Komponente noch ein erzieherisches<br />

Motiv, denn man hoffte, die „unteren Schichten“<br />

damit zu besserem Haushalten, planvollerem Wirtschaften<br />

und zu eigenverantwortlicher Vorsorge bewegen zu können.<br />

Gleichfalls wollte man damit verhindern, dass sie in einer<br />

Notsituation, wie Krankheit, Invalidität, Alter oder Arbeitslosigkeit,<br />

anderen zur Last fielen, sondern zunächst auf das<br />

eigene Ersparte zurückgreifen konnten.<br />

14 15


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Die ersten <strong>Sparkasse</strong>n<br />

In Deutschland wurden die ersten <strong>Sparkasse</strong>n in der zweiten<br />

Hälfte des 18. Jahrhunderts gegründet, <strong>als</strong>o lange vor Beginn<br />

der Industriellen Revolution in Mitteleuropa. Sie sind<br />

somit Kinder der Aufklärung, denn bis dahin tätigten fast<br />

ausnahmslos die Wohlhabenden Geld- und Kreditgeschäfte.<br />

Etwas älter <strong>als</strong> die ersten <strong>Sparkasse</strong>n sind die ersten Waisenund<br />

Leihkassen. Allerdings weisen alle diese Institute in ihren<br />

Aufgaben gewisse Ähnlichkeiten auf. Ihnen gemeinsam ist ein<br />

ausgeprägt sozialer Auftrag. Während jedoch Waisenkassen<br />

und Leihkassen nur bestimmten Personengruppen zugänglich<br />

waren, schlossen manche der frühen <strong>Sparkasse</strong>n vermögendere<br />

Anleger nicht von vornherein aus.<br />

Waisenkassen beschränkten sich anfangs darauf, den Waisen<br />

eine sichere und Gewinn bringende Anlagemöglichkeit zu<br />

gewähren. Die Leihkassen sollten vornehmlich Kreditmöglichkeiten<br />

bieten und somit vor Wucher bewahren. Allerdings<br />

sind die Unterschiede zwischen Leihkassen und <strong>Sparkasse</strong>n<br />

nicht immer eindeutig und die Grenzen oft fließend.<br />

Die Kriterien dessen, was eine Ursparkasse kennzeichnet<br />

und welches Institut sich die älteste <strong>Sparkasse</strong> nennen darf,<br />

sind umstritten. Die ältere <strong>Sparkasse</strong>nforschung definiert das<br />

Ansammeln sowie das sichere und zinsbringende Verwahren<br />

kleiner Kapit<strong>als</strong>ummen von ärmeren Bevölkerungsschichten<br />

<strong>als</strong> Ziel der frühen <strong>Sparkasse</strong>n. Kredite hingegen bekam man<br />

dort nicht. Vom Grundgedanken der <strong>Sparkasse</strong>n her erscheint<br />

dies durchaus verständlich, denn die ärmeren Leute sollten<br />

hier einen Notgroschen für schlechtere Zeiten ansparen und<br />

es ihnen nicht auch noch erleichtert werden, Schulden zu machen.<br />

3 Bemerkenswerterweise widerspricht schon eine Denkschrift<br />

des Städtischen <strong>Sparkasse</strong>n-Amts Frankfurt a. M. aus<br />

dem Jahr 1906 dieser Einschätzung: „Die <strong>Sparkasse</strong>n sind (...)<br />

meistens entstanden <strong>als</strong> Anstalten und zu Zwecken der präventiven<br />

Armenpflege. Ob sie dem jem<strong>als</strong> ausschließlich entsprochen<br />

haben, ist allerdings zweifelhaft. Heute, wo insbesondere durch<br />

die Reichsversicherung Fürsorge für die wirtschaftlich schwächsten<br />

Volksschichten getroffen ist, können armenpflegerische Gesichtspunkte<br />

nicht mehr ausschließlich oder auch nur vorwiegend<br />

von Ausschlag für die <strong>Sparkasse</strong>n sein. Prüft man die Sparguthaben<br />

nach ihrer Größe, so wird vielmehr ersichtlich, daß die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

nicht mehr Institute für den kleinen Mann allein sind,<br />

sondern daß sich in mindestens gleich starken Maße die mittleren<br />

Volksschichten den <strong>Sparkasse</strong>n zuwenden. Dementsprechend<br />

findet sich die Beschränkung des Einlegerkreises auf die weniger<br />

bemittelten Volksklassen, wie sie in den älteren Satzungen fast<br />

allgemein war, heute nur noch ausnahmsweise ...“ 4<br />

Neuere Darstellungen zur <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte sprechen<br />

sich gegen die einseitige Fixierung der Sammlung kleiner<br />

und kleinster Beträge bei den ältesten <strong>Sparkasse</strong>n aus. Sie verweisen<br />

auf die mehrfach geübte Praxis der Verbindung von<br />

Spar- und Leihkasse bereits während dieser frühen Phase oder<br />

die Errichtung der <strong>Sparkasse</strong> <strong>als</strong> notwendige Voraussetzung<br />

zur Gründung einer Leihkasse. In einer neueren Darstellung<br />

zur Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens heißt es dazu kurz und<br />

prägnant: „Die einseitige Betrachtung der <strong>Sparkasse</strong>n <strong>als</strong> Sparinstitute,<br />

bei denen angeblich das Aktivgeschäft hinter dem Passivgeschäft<br />

zurücktritt, ist daher auch historisch f<strong>als</strong>ch.“ 5<br />

Das Kreditgewähren gehörte folglich schon zu den Aufgaben<br />

der ersten <strong>Sparkasse</strong>n. Diese Doppelfunktion musste<br />

dementsprechend auch nicht unbedingt im Namen zum Ausdruck<br />

kommen. Denn es gab in Deutschland „<strong>Sparkasse</strong>n“,<br />

„Leihkassen“ und „Spar- und Leihkassen“, die genau die gleichen<br />

Aufgaben wahrnahmen. So konnten „Spar- und Kreditgeschäft<br />

in der Institution <strong>Sparkasse</strong> bereits zu einem frühen Zeitpunkt<br />

in Gleichwertigkeit miteinander verbunden sein“. 6<br />

Als erste unzweifelhaft echte <strong>Sparkasse</strong> gilt die 1778 von<br />

der „Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste<br />

und der nützlichen Gewerbe (Patriotische Gesellschaft<br />

von 1765)“ gegründete „Ersparungskasse der Allgemeinen<br />

Versorgungsanstalt“. J. Arnold Günther, der spätere Senator<br />

und damalige Vorsteher der Patriotischen Gesellschaft, dürfte<br />

sogar der Urheber des Begriffs „Sparcasse“ gewesen sein.<br />

Später folgten die „Ersparungs-Casse“ in Oldenburg (1786),<br />

die „Spar-Casse“ in Kiel (1796), die „Spar-Casse“ in Altona<br />

(1801) und die „Spar- und Leih-Casse“ in Göttingen (1801).<br />

Die „Ersparungs-Casse“ in Darmstadt, <strong>als</strong> erste echte <strong>Sparkasse</strong><br />

in Süddeutschland, schloss diese Phase 1808 ab. Davon<br />

ist die Göttinger Gründung <strong>als</strong> erste kommunale <strong>Sparkasse</strong><br />

anzusehen, während es sich bei den anderen um private Vereins-<br />

und Stiftungssparkassen handelte. Als „die älteste in ununterbrochener<br />

funktionaler und institutioneller Kontinuität <strong>als</strong><br />

heute noch bestehende selbständige <strong>Sparkasse</strong> Deutschlands“ gilt<br />

die <strong>Sparkasse</strong> Detmold. 7<br />

Auch bei diesen frühen „echten <strong>Sparkasse</strong>n“ bestanden<br />

auffällige Unterschiede hinsichtlich Trägerschaft, Zielgruppen,<br />

Aufgaben und Einlagegrenzen. Denn für die Einlagen<br />

gewährleisteten einerseits öffentlich-rechtliche Körperschaften<br />

und andererseits rein private Gruppierungen. Selbst bei<br />

der Benennung der möglichen Anleger zeigen die Statuten der<br />

<strong>Sparkasse</strong>n keine Einheitlichkeit. So heißt es bei der von der<br />

„Patriotischen Gesellschaft“ 1778 in Hamburg ins Leben gerufenen<br />

„Allgemeinen Versorgungsanstalt“: „Die Ersparungskasse<br />

dieser Versorgungsanstalt ist zum Nutzen geringer fleißiger<br />

Personen beiderlei Geschlechts <strong>als</strong> Dienstboten, Tagelöhner,<br />

Handarbeiter, Seeleute errichtet, um ihnen Gelegenheit zu geben,<br />

auch bei Kleinigkeiten etwas zurückzulegen und ihren sauer erworbenen<br />

Not- oder Brautpfennig sicher zu einigen Zinsen belegen<br />

zu können.“ Die „Ersparungs-Casse“ in Darmstadt nennt<br />

zwar ebenfalls genau diesen Personenkreis – mit Ausnahme<br />

der Seeleute – um ihn aber sofort uneingeschränkt auszuweiten:<br />

„Aber auch andere und namentlich Kinder können von<br />

ihr Gebrauch machen.“ 8<br />

Außerdem wird bei den sechs „Ursparkassen“ deutlich, dass<br />

auch hinsichtlich der Mindestsummen für Einzahlungen und<br />

der Höchstsummen der Guthaben gewichtige Unterschiede<br />

bestanden und man nicht jeden kleinen Betrag annahm.<br />

Dennoch konnten nur mittels der neuen <strong>Sparkasse</strong>n kleinere<br />

Ersparnisse sicher und zinsbringend angelegt werden. Jedoch<br />

verpflichtete sich nur eine Minderheit der frühen <strong>Sparkasse</strong>n,<br />

ausschließlich kleine Einlagen anzunehmen. Die Mehrheit<br />

der Institute kannte keine derartige Beschränkung. 9<br />

Gleichfalls war es Ziel der frühen <strong>Sparkasse</strong>n, mit Hilfe von<br />

Kapitalbildung neue Lebenschancen zu eröffnen. Die Gründer<br />

der „Spar-Casse“ in Kiel erhofften sich von ihrem Institut,<br />

es könne sowohl der Altersversorgung dienen <strong>als</strong> auch<br />

dem Aufstieg des Handwerksgesellen zum Meister und dem<br />

Dienstmädchen zur Begründung des Ehestandes. Mehr noch,<br />

sie meinten, dass Armut die „bürgerliche Freiheit“ einschränke<br />

und dass sie die Armen mit Hilfe der „Spar-Casse“ wieder<br />

zur Selbstständigkeit zurückführen könnten. Kurz gesagt bedeutete<br />

dies: gesellschaftliche Emanzipation durch finanzielle<br />

Sicherheit. Hier lässt sich das Gedankengut der Aufklärung<br />

mit Händen greifen, doch so deutlich wird es sonst nirgends.<br />

Dennoch gab es immer Verbindungen zwischen den <strong>Sparkasse</strong>n<br />

und der Armenpflege, schon deswegen weil Fonds der<br />

Armenpflege oft bei <strong>Sparkasse</strong>n angelegt wurden. Die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

galten auch deshalb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />

vielfach <strong>als</strong> „arme Leute Kassen“, obwohl sie sich längst zu potenten<br />

Geldinstituten gewandelt hatten. 10<br />

Bei den anderen Ursparkassen ist das erzieherische Moment<br />

eindeutiger zu erkennen. So wollte die „Patriotische Gesell-<br />

16 17


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Im Göttinger Rathaus wurde 1801<br />

die erste <strong>Sparkasse</strong> gegründet, für<br />

die eine Kommune haftete. Dort<br />

war von 1878 und 1902 auch das<br />

Geschäftslokal der <strong>Sparkasse</strong> untergebracht.<br />

Nach einem Stahlstich um 1850.<br />

150 Jahre Städtische <strong>Sparkasse</strong> zu<br />

Göttingen 1801-1951. Älteste deutsche<br />

kommunale <strong>Sparkasse</strong>, Göttingen<br />

1951.<br />

schaft“ in Hamburg lediglich „Fleiß und Sparsamkeit“ anspornen,<br />

damit jeder „dem Staate nützlich und wichtig“ werden<br />

könne. Inwieweit derartige Formulierungen noch den Geist<br />

der Aufklärung vermitteln, sei dahin gestellt. Die erste Gründungsphase<br />

von <strong>Sparkasse</strong>n speist sich vermutlich aus verschiedenen<br />

Quellen. Aufklärerische Ideen gehören ebenso dazu wie<br />

karitative und erzieherische. Und außerdem dachte man ganz<br />

praktisch, wenn man eine Einrichtung schuf, die die „niederen<br />

Stände“ in die Lage versetzte, selbst Vorsorge für schlechtere<br />

Zeiten zu schaffen. Damit hoffte man, wie oben erwähnt, die<br />

öffentliche Armenfürsorge zu entlasten. Hingegen war allen<br />

Instituten der Wille gemeinsam, die Notgroschen der „kleinen<br />

Leute“ Gewinn bringend und sicher anzulegen. 11<br />

Und sicherlich war den <strong>Sparkasse</strong>n auch zugedacht, dass sie<br />

systemstabilisierend wirkten, denn wer Geld besaß, war weniger<br />

bereit, die bestehenden Verhältnisse umzustoßen, da er<br />

dadurch ja etwas verlieren konnte.<br />

Doch das ins Auge gefasste Klientel ignorierte oft die Bemühungen<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n, denn der Sparwillen der Bevölkerungskreise,<br />

auf die man eigentlich zielte, ließ zu wünschen<br />

übrig. So stellte man schon wenige Jahre nach der Gründung<br />

der Hamburger <strong>Sparkasse</strong> fest, dass von Gesellen fast keine<br />

und von Tagelöhnern nur wenige Einlagen angelegt worden<br />

seien. 12 Ein Grund dafür lag möglicherweise in den knappen<br />

Schalteröffnungszeiten der frühen <strong>Sparkasse</strong>n. In Göttingen<br />

war beispielsweise nur mittwochs von 9.00 bis 10.00 Uhr und<br />

in Kiel nur mittwochs von 11.00 bis 12.00 Uhr geöffnet. 13<br />

Dieser ersten Gründungswelle von <strong>Sparkasse</strong>n setzten die<br />

kriegerischen Ereignisse infolge der Französischen Revolution<br />

(1789) ein vorläufiges Ende. Nach dem Ende der Revolutions-<br />

und Napoleonischen Kriege (1792-1815) setzte dann ein wahrer<br />

Boom von Neugründungen ein, der alles Vorangegangene<br />

weit in den Schatten stellte.<br />

Gründungswelle<br />

Auf dem Wiener Kongress (1814/15) wurden von den Monarchen<br />

und Staatsmännern die Weichen für eine neue – oder<br />

besser neue alte – Ordnung Europas gestellt. Denn sie restaurierten<br />

in vielen Bereichen die vorrevolutionären Verhältnisse<br />

und erteilten neuen Ideen von Freiheit und nationaler Einheit<br />

eine klare Absage. Maßgeblichen Einfluss auf die Ergebnisse<br />

des Kongresses hatte der österreichische Staatskanzler Klemens<br />

Wenzel Lothar Fürst von Metternich (1773-1859).<br />

In Mitteleuropa installierte man den Deutschen Bund,<br />

einen lockeren Staatenverband aus zunächst 35 Fürstentümern<br />

und vier freien Städten. Der Bund hatte 1815 rund 31<br />

Millionen Einwohner. Wichtigste Mitglieder waren das Kaiserreich<br />

Österreich und das Königreich Preußen, dazu kamen<br />

einige Mittel- und Kleinstaaten. Alle Staaten dieses Bundes<br />

entsandten Delegierte nach Frankfurt. Das Volk besaß keinerlei<br />

Mitwirkungsrechte, weder im Deutschen Bund noch in<br />

den Einzelstaaten. An ihrer Spitze standen Fürsten, die alleine<br />

– wenn sie nicht durch die Bestimmungen in Verfassungen<br />

eingeschränkt waren – über die Geschicke ihrer Staaten verfügen<br />

konnten. 14 Sie ernannten die Beamten, entschieden über<br />

die Armee und bestimmten die Richtlinien der Politik ihres<br />

Landes. Eine Ausnahme bildeten die freien Städte Bremen,<br />

Frankfurt, Hamburg und Lübeck. Hier lagen die politischen<br />

Entscheidungen in den Händen weniger wohlhabender und<br />

einflussreicher Familien.<br />

Doch kommen wir wieder zur Entwicklung der deutschen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n zurück. Die erste preußische <strong>Sparkasse</strong> konnte 1818<br />

in Berlin eingerichtet werden. Bis 1836 erfolgten im Gebiet<br />

des späteren Deutschen Reichs 281 <strong>Sparkasse</strong>ngründungen,<br />

davon waren 175 kommunale Einrichtungen, 24 Amts- oder<br />

Bezirkssparkassen, vier Landessparkassen und 78 private Institute.<br />

Anregungen zu <strong>Sparkasse</strong>ngründungen kamen oft vom<br />

Staat oder direkt vom Monarchen. 15<br />

Diese Gründungswelle setzte sich in den nachfolgenden<br />

Jahren verstärkt fort, sodass 1853 bereits 912 <strong>Sparkasse</strong>n existierten,<br />

237 davon allein in Preußen. Dort hatten die Kommunen<br />

durch die Stein’schen Reformen 16 einen größeren<br />

Handlungsspielraum erhalten, der sie auch in die Lage versetzte,<br />

eigene Institute zu gründen. Die revidierte Städteordnung<br />

vom März 1831 setzte dafür allerdings die Genehmigung<br />

der Regierung voraus. Es war sodann die Aufgabe des jeweiligen<br />

Oberpräsidenten, die Einrichtung zu genehmigen und<br />

ihre Statuten zu prüfen. 17 In Bayern gab es zu diesem Zeitpunkt<br />

165 und im Kurfürstentum Hessen 18 , wozu auch <strong>Hanau</strong><br />

gehörte, bestanden 1849 bereits 21 derartige Institute. Die erste<br />

Kreissparkasse entstand 1831 in Schleusingen (Thüringen),<br />

eine verstärkte Gründung von Kassen durch die Landkreise<br />

begann nach 1840. 19<br />

Das Aussehen dieser frühen <strong>Sparkasse</strong>n kennzeichnete zumeist<br />

äußerste Bescheidenheit. Mehrheitlich handelte es sich<br />

noch um kleine und kleinste Institute ohne Zweigstellen und<br />

ohne hauptamtliches Personal. An ihrer Spitze stand zumeist<br />

ein ehrenamtliches Gremium (z. B. Direktorium oder Vorstand)<br />

von lokalen Honoratioren. Es fehlte in der Regel auch<br />

an eigenen Geschäftsräumen, sodass sich der Kundenverkehr<br />

in Privatzimmern oder kommunalen Räumlichkeiten abspielte.<br />

Die Landesherren erwiesen sich hierbei oft nicht nur <strong>als</strong> Initiatoren<br />

oder gar Gründer von <strong>Sparkasse</strong>n, sie erließen auch<br />

Gesetze und Verordnungen, die direkt oder indirekt den Betrieb<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n beeinflussten. Ob dieses starke fürstliche<br />

18 19


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Engagement dadurch begründet war, dass man hoffte, mittels<br />

der Anhäufung von kleineren Vermögen bei den Unterschichten<br />

eine eventuell vorhandene Revolutionsbereitschaft dämpfen<br />

zu können und im Sparen einen Beitrag zur Festigung der<br />

bestehenden politischen Verhältnisse zu sehen, sei dahingestellt.<br />

Es ist aber sicherlich nicht auszuschließen.<br />

In Preußen wurde 1838 ein wichtiges und nachhaltiges<br />

<strong>Sparkasse</strong>nreglement erlassen. Es enthält gesetzliche Vorgaben<br />

für die Einrichtung von Instituten, ihre Organisation, ihren<br />

Geschäftsbetrieb, ihre Statuten, die Verwendung der Überschüsse<br />

u. ä. m. Es bestimmte die Festlegung einer niedrigen<br />

Mindesteinzahlung, die Orientierung an den Bedürfnissen<br />

der ärmeren Schichten, die sichere Anlage der Einlagen, die<br />

Einrichtung von Sicherungsrücklagen, die Verwendung von<br />

Überschüssen für öffentliche Zwecke sowie die Beaufsichtigung<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n durch die jeweiligen Regierungspräsidenten.<br />

Die anderen deutschen Staaten übernahmen bis zum<br />

Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) weitgehend diesen Rahmen<br />

zur Regelung des <strong>Sparkasse</strong>nwesens ihres Landes.<br />

Die ersten deutschen <strong>Sparkasse</strong>n wurden zunächst in mittleren<br />

oder größeren Städten gegründet. In den meisten ländlichen<br />

Regionen erachtete man das wahrscheinliche Einlagenaufkommen<br />

und die Anlagemöglichkeiten zunächst <strong>als</strong> zu<br />

gering, um ein rentables Institut ins Leben zu rufen. 20<br />

Dadurch erreichte man aber nur den kleineren Teil der<br />

Bevölkerung, denn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lebten<br />

und arbeiteten noch mehr <strong>als</strong> zwei Drittel der Menschen<br />

auf dem Land. Die Agrarverhältnisse in Deutschland zeigten<br />

sich zu jener Zeit sehr unterschiedlich. Besonders im Osten<br />

verdingten sich viele <strong>als</strong> Knechte oder Mägde in der Landwirtschaft<br />

oder lebten in anderer enger Abhängigkeit von den<br />

Rittergutsbesitzern. Im Norden und in Bayern gab es vielerorts<br />

recht wohlhabende Bauern, in der Mitte und besonders in<br />

Südwestdeutschland war der landwirtschaftliche Besitz durch<br />

das System der Realteilung stark aufgesplittert. Die Masse<br />

der Landbevölkerung führte <strong>als</strong> Kleinbauern oder Tagelöhner<br />

ein von Hunger, Armut und Missernten bedrohtes Leben.<br />

Viele Landwirte waren noch zusätzlich zu Heimarbeit oder<br />

Kleingewerbe gezwungen. In zahlreichen Landstrichen des<br />

vorindustriellen Deutschlands kennzeichneten hohes Bevölkerungswachstum,<br />

Massenarbeitslosigkeit und weit verbreitete<br />

Verarmung (Pauperismus) die sozialen und wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse. Viele sahen deshalb in der Auswanderung das<br />

einzige Mittel, um der Not zu entfliehen.<br />

In den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts setzte dann<br />

eine erste Industrialisierungswelle in Deutschland ein, gleichzeitig<br />

begann der Eisenbahnbau. Industrielle Mittelpunkte<br />

bildeten sich zuerst im Rheinland, in Schlesien, im Berliner<br />

Raum und in Sachsen. Die Löhne waren aber oft gering und<br />

Kinderarbeit sehr häufig.<br />

Äußerst schwierig war die Lage für viele kleine Unternehmer,<br />

Handwerker und Heimarbeiter (z. B. Weber), die zumeist<br />

vergeblich versuchten, mit den Billigangeboten von industriell<br />

gefertigten Waren zu konkurrieren. Die Industrialisierung<br />

schuf die neue Schicht der Fabrikarbeiter und gefährdete weite<br />

Teile des alten Handwerks in ihrer Existenz. Diese Entwicklung<br />

empfanden manche <strong>als</strong> Bedrohung traditioneller Werte,<br />

andere sahen darin eine Chance zur freien Entfaltung der persönlichen<br />

Fähigkeiten. Mehr noch, bis zur Jahrhundertmitte<br />

bot ausreichender Geldbesitz in manchen Teilen Deutschlands<br />

nicht nur die Voraussetzung für eine eigenständige Existenz,<br />

sondern auch zur Erlangung des Bürgerrechts oder einer Heiratserlaubnis.<br />

Die neu entstandenen <strong>Sparkasse</strong>n stellten hierfür<br />

oftm<strong>als</strong> das notwendige Kapital zur Verfügung.<br />

Dementsprechend dominierte bereits seit 1825 jener Kundenkreis,<br />

der bis heute den größten Teil der Klienten der Spar-<br />

kassen stellt: Arbeitnehmer und gewerblicher Mittelstand.<br />

Der erhoffte Zulauf von Dienstboten, Handwerksgesellen,<br />

Tagelöhnern, Arbeitern und Soldaten zu den <strong>Sparkasse</strong>n blieb<br />

hingegen aus. Der Anteil der Kunden aus den Unterschichten<br />

kam am Anfang des 19. Jahrhunderts bei den meisten <strong>Sparkasse</strong>n<br />

nicht über 40 Prozent hinaus. Auffällig hingegen ist der<br />

hohe Anteil von Kindern bei den Anlegern, die jedoch sicherlich<br />

aus vermögenden Kreisen stammten. Daneben wandten<br />

sich auch „Militärpersonen“ (vornehmlich Unteroffiziere und<br />

Mannschaftsdienstgrade), kleinere Beamte und zunehmend<br />

auch Fabrikarbeiter mit ihren Ersparnissen an die <strong>Sparkasse</strong>n.<br />

21 „Die frühen <strong>Sparkasse</strong>n zielten auf und sprachen gerade<br />

jene Schicht an, die nicht zu den Armen zählte, weil sie in Arbeit<br />

und Brot stand und zumindest zeitweise in der Lage war, einen<br />

Teil des Verdienstes zu sparen, den man wiederum <strong>als</strong> Rücklage<br />

benötigte, um nicht in die Armut abzugleiten, wenn die Einkommensquelle<br />

einmal versiegte.“ 22<br />

Die Zahl der Anleger wuchs stetig, obwohl sich die Zielgruppe<br />

gegenüber den Möglichkeiten der <strong>Sparkasse</strong>n vielerorts<br />

reserviert verhielt. Und so gab es in Preußen 1850 bereits<br />

über 278.000 Einleger. Damit kam auf 50 Einwohner ein<br />

<strong>Sparkasse</strong>nbuch. Pro Kopf der Bevölkerung waren dies 1,10<br />

Taler <strong>Sparkasse</strong>neinlagen. Das erscheint wenig, doch noch<br />

elf Jahre zuvor belief sich dieser Pro-Kopf-Anteil nur auf 0,41<br />

Taler. Trotzdem waren die einzelnen <strong>Sparkasse</strong>nguthaben<br />

recht hoch. So betrug das durchschnittliche Sparguthaben eines<br />

Handwerksgesellen zirka einen halben monetären Jahreslohn.<br />

23<br />

Man muss sich dabei allerdings vor Augen führen, dass der<br />

Zugang zu den Kassen keineswegs so komfortabel erwies wie<br />

heutzutage. Oft beschränkte man die offiziellen Schalterstunden<br />

nur auf sehr kurze Zeiträume und häufig zeigte sich der<br />

Modus der Einzahlung <strong>als</strong> äußerst kompliziert. Ein weiteres<br />

Manko war die unterschiedliche <strong>Sparkasse</strong>ndichte, was sich<br />

insbesondere auf dem Lande nachteilig auswirkte. 24<br />

In der Praxis erwies sich die Geschäftspolitik der <strong>Sparkasse</strong>n<br />

oder, genauer gesagt, der <strong>Sparkasse</strong>ntypen oft recht uneinheitlich.<br />

So unterschieden sich die <strong>Sparkasse</strong>n in der Anlage<br />

der Spareinlagen oft beträchtlich. Manche Kassen sprachen<br />

nur ihre engere Zielgruppe an, andere erlaubten jedem den<br />

Zugang. Auch die Höhe der Mindesteinlage schwankte. In<br />

Kurhessen nahmen die Kassen erst Einzahlungen ab fünf<br />

Gulden an. Die Öffnungszeiten blieben oft auf eine Stunde<br />

in der Woche reduziert, in Bayern oft nur unmittelbar nach<br />

dem sonntäglichen Gottesdienst. Als Sparurkunden teilte<br />

man entweder <strong>Sparkasse</strong>nbücher oder <strong>Sparkasse</strong>nscheine aus.<br />

Die Rechnungsführer (Rendanten) erhielten teils feste Bezüge<br />

oder gewinnabhängige Remunationen (Vergütungen), andere<br />

wiederum waren unentgeltlich tätig.<br />

Der im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von den <strong>Sparkasse</strong>n<br />

gewährte Zinssatz für Einlagen bewegte sich zumeist<br />

zwischen 3 ½ und 4 ½ Prozent. Abweichungen nach unten<br />

bis zu 2 ½ und nach oben bis zu fünf Prozent waren selten. 25<br />

Hervorzuheben ist jedoch, dass bis dahin viele <strong>Sparkasse</strong>n<br />

sich alleine auf die Annahme von Spareinlagen beschränkten,<br />

während andere bereits Aktivgeschäfte mit Hypotheken-,<br />

Schuldschein- und Pfanddarlehen betrieben. 26<br />

Das deutsche <strong>Sparkasse</strong>nwesen erlebte somit in der ersten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufstieg, obwohl<br />

die politischen Verhältnisse recht unruhig waren. Zwar kam<br />

es in Deutschland bis 1866 nur zu wenigen recht begrenzten<br />

militärischen Auseinandersetzungen, dennoch zeigte sich<br />

die innenpolitische Situation aufgrund des Dualismus zwischen<br />

Österreich und Preußen <strong>als</strong> unsicher. Schon 1830, aber<br />

hauptsächlich 1848/49 wurde das alte politische und gesellschaftliche<br />

System durch die Nationalbewegung und soziale<br />

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Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Forderungen infrage gestellt und konnte nur durch Einsatz<br />

militärischer Macht stabilisiert werden.<br />

Nach Beruhigung der politischen Verhältnisse brachten die<br />

1850er Jahre in vielen deutschen Staaten eine Ausweitung des<br />

<strong>Sparkasse</strong>nnetzes. Es wurden aber nicht alleine neue <strong>Sparkasse</strong>n<br />

gegründet, sondern es setzte ebenso die Errichtung von<br />

Zweig- und Annahmestellen ein. Die meisten neu gegründeten<br />

<strong>Sparkasse</strong>n waren städtische Einrichtungen. Allerdings<br />

erfolgten nun auch verstärkt Gründungen von Kreis- und<br />

Distriktsparkassen. Private <strong>Sparkasse</strong>n entstanden nur noch<br />

selten, öfter wandelte man private in öffentliche Institute um.<br />

Deutschland entwickelte sich seit jener Zeit zum klassischen<br />

Land der Kommun<strong>als</strong>parkassen. 27<br />

An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass<br />

nicht nur die <strong>Sparkasse</strong>n sich der materiellen Probleme bestimmter<br />

Bevölkerungsschichten annahmen. In Deutschland<br />

fanden auch die genossenschaftlichen Ideen von Hermann<br />

Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen großen<br />

Widerhall.<br />

Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) schuf 1862 einen<br />

Darlehenskassen-Verein und legte damit den Grundstein für<br />

die heutigen Raiffeisen-Genossenschaften. Raiffeisens Initiative<br />

zielte zunächst auf die Verbesserung der wirtschaftlichen<br />

Situation von Kleinbauern. Die Raiffeisen-Genossenschaften<br />

vereinigten mehrere Geschäftszweige, so die Gewährung von<br />

Darlehen und den Warenhandel, vor allem den Ankauf von<br />

landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und Kohle auf genossenschaftlicher<br />

Basis. Naturgemäß eroberte sich der Genossenschaftsgedanke<br />

von Raiffeisen in den ländlichen Regionen<br />

eine breite Basis, oft lange bevor sich die <strong>Sparkasse</strong>n dort etablieren<br />

konnten. Raiffeisens Vorstellungen fußten auf Überlegungen<br />

des liberalen Politikers Hermann Schulze (1808-1883)<br />

aus Delitzsch in Sachsen. Schulze-Delitzsch begann 1849 mit<br />

einer Kette von bald Hunderten von Kranken-, und Sterbekassen,<br />

Rohstoffassoziationen, Produktions-, Konsum- und<br />

Kreditgenossenschaften. Die Mitglieder dieser Kreditgenossenschaften<br />

waren mittels ihres Beitrags sowohl Kunden <strong>als</strong><br />

auch Eigner ihrer Kasse („Genossen“). Dabei handelte es sich<br />

vorwiegend um Handwerker und kleinere Geschäftsleute. 28<br />

Doch nicht nur im Bereich des Kreditwesens erlebte<br />

Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts gravierende Veränderungen,<br />

auch auf der Ebene der Politik entstand eine neue<br />

Situation. Nach der Phase der politischen Konsolidierung<br />

nach 1849 verschärfte sich der machtpolitische Gegensatz<br />

zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in<br />

Deutschland erneut. Im Sommer 1866 entlud sich diese Rivalität<br />

in einem Krieg (15. Juni-25. Juli). Bis auf wenige Ausnahmen<br />

im Norden standen dabei nahezu alle deutschen Staaten<br />

auf Seiten der Habsburgermonarchie – so auch das Kurfürstentum<br />

Hessen. Doch die preußischen Waffen siegten. Ministerpräsident<br />

Otto von Bismarck bestrafte dieses Verhalten<br />

mit der Annexion des Kurfürstentums inklusive des bis dahin<br />

bayerischen Amts Orb, das später dem Kreis Gelnhausen eingegliedert<br />

wurde. Der Landstrich entlang der Kinzig gehörte<br />

seitdem zum Regierungsbezirk Kassel in der preußischen Provinz<br />

Hessen-Nassau.<br />

Stetiger Anstieg<br />

Die militärischen Entscheidungen des Sommers 1866 veränderten<br />

die politische Landkarte nicht nur in Hessen, sondern<br />

in ganz Mitteleuropa grundlegend. Österreich verließ<br />

den deutschen Staatenverband und Preußen errichtete den<br />

Norddeutschen Bund. Der Weg in ein neues deutsches Kaiserreich<br />

schien damit vorgezeichnet. Doch darauf musste<br />

die nationale Öffentlichkeit noch einige Jahre warten. Am<br />

„In der neuen städtischen <strong>Sparkasse</strong><br />

zu Berlin. Nach dem Leben gezeichnet<br />

von A. Kiekebusch”.<br />

Erschienen in: Die Gartenlaube,<br />

Heft 40, 1894. DSGV-Archiv<br />

19. Juli 1870 erklärte das Kaiserreich Frankreich dem Königreich<br />

Preußen den Krieg. Vorausgegangen waren diplomatische<br />

Geplänkel um die spanische Thronfolge durch einen<br />

Hohenzollernprinzen, in deren Verlauf der preußische Ministerpräsident<br />

Otto von Bismarck geschickt und einen kriegerischen<br />

Konflikt riskierend die Eitelkeiten des auf außenpolitische<br />

Erfolge angewiesenen Regimes Kaiser Napoleons III.<br />

ausnutzte und es in eine Situation hineinmanövrierte („Emser<br />

Depesche“), die im Verständnis der erregten französischen<br />

Öffentlichkeit nur mittels eines Waffenganges gelöst werden<br />

konnte. Da es Preußen gelang, die süddeutschen Monarchien<br />

(Baden, Bayern, Hessen-Darmstadt und Württemberg) <strong>als</strong><br />

Verbündete zu gewinnen, entwickelte sich aus einem dynastischen<br />

Problem ein Nationalkrieg zwischen Frankreich und<br />

den deutschen Staaten. Die raschen militärischen Erfolge der<br />

deutschen Armeen verhinderten das Eingreifen anderer europäischer<br />

Großmächte. Noch bevor Frankreich endgültig geschlagen<br />

war, riefen im Januar 1871 die anwesenden deutschen<br />

Fürsten und Militärs im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles<br />

den preußischen König Wilhelm zum Kaiser aus. Für viele<br />

deutsche Patrioten war damit der Traum von einem deutschen<br />

Nation<strong>als</strong>taat Wirklichkeit geworden. Man bejubelte die gewonnene<br />

Einheit, doch manche vermissten sehr bald freiheitliche<br />

Reformen.<br />

Eine wichtige und weitgehend begrüßte Reform war die<br />

Vereinheitlichung des deutschen Geldwesens durch die Mark.<br />

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Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Bis dahin hatten in Süddeutschland der Gulden und im Norden<br />

der Taler dominiert. In Hamburg und Lübeck hingegen<br />

zahlte man in Mark, die dann auch der neuen gesamtdeutschen<br />

Währung den Namen gab. Die Mark löste 1875 reichsweit<br />

Taler und Gulden ab. Dabei wurde der Taler mit 3 Mark,<br />

der Gulden mit 1 5/7 Mark (2 Taler = 3 ½ Gulden) umgerechnet.<br />

29<br />

Die wirtschaftlichen Impulse infolge der Reichsgründung<br />

wirkten sich für weitere <strong>Sparkasse</strong>ngründungen günstig aus.<br />

Jedoch zeigte sich das Gründungstempo in den deutschen<br />

Staaten oft sehr unterschiedlich. In Preußen gab es schon zur<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts Bestrebungen zur flächendeckenden<br />

Einrichtung von <strong>Sparkasse</strong>n. Dementsprechend stieg die<br />

Anzahl der Institute von 234 im Jahr 1850 auf 462 im Jahr<br />

1859. Schon 1869 bestanden 917 <strong>Sparkasse</strong>n und 1905 waren<br />

es bereits 1583, mehr <strong>als</strong> in allen übrigen deutschen Staaten zusammen.<br />

Was allerdings nicht verwundern darf, da zu diesem<br />

Zeitpunkt fast zwei Drittel der Bevölkerung des Deutschen<br />

Reichs in Preußen lebten.<br />

In Preußen kamen zu den vorhandenen 1583 Instituten des<br />

Jahres 1905 noch 3381 <strong>Sparkasse</strong>nfilialen hinzu, sodass hier<br />

insgesamt 4964 <strong>Sparkasse</strong>nstellen existierten. Damit entfiel<br />

vor rund 100 Jahren statistisch eine <strong>Sparkasse</strong>nstelle auf 7518<br />

Einwohner. In Württemberg betrug das Verhältnis 1:1197, aber<br />

im Großherzogtum Oldenburg bediente eine <strong>Sparkasse</strong>nstelle<br />

durchschnittlich das Zehnfache, nämlich über 73.000 Einwohner.<br />

30 Noch deutlicher <strong>als</strong> die <strong>Sparkasse</strong>nstellen stiegen<br />

die <strong>Sparkasse</strong>nbücher. Ihre Anzahl verdoppelte sich in Preußen<br />

zwischen 1905 und 1920. Weit dynamischer wuchsen die<br />

Spareinlagen, sie verdreifachten sich von Ende 1908 bis Ende<br />

1920. Die jährliche Wachstumsrate betrug dabei gut zehn Prozent,<br />

allerdings entwickelte sich diese Wachstumsrate nicht<br />

kontinuierlich.<br />

Sparbücher und Einlagenbestand bei den preußischen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n im Verhältnis zur Einwohnerzahl<br />

Jahr<br />

Sparbücher<br />

je 100 Einwohner<br />

Spareinlage<br />

pro Kopf in Mark<br />

1870 6 20<br />

1880 11 58<br />

1890 19 110<br />

1895 22 136<br />

1900 25 167<br />

1905 29 222<br />

1910 32 276<br />

1915 36 312<br />

1920 57 779<br />

Im Jahr 1913 betrug die Durchschnittsspareinlage je Sparbuch<br />

825 Mark. Ein bemerkenswerter Betrag, wenn man bedenkt,<br />

dass ein ungelernter Arbeiter in der Metallindustrie dam<strong>als</strong><br />

im Monat etwa 120 Mark verdiente, ein Beamter des unteren<br />

Dienstes (20 Dienstjahre, verheiratet, zwei Kinder) 165 Mark<br />

und ein vergleichbarer Beamter des höheren Dienstes 608<br />

Mark. Insgesamt verzehnfachten sich die Einlagen bei den<br />

<strong>Sparkasse</strong>n zwischen 1876 und 1913. Die Anzahl der <strong>Sparkasse</strong>n<br />

war mittlerweile auf 3133 angewachsen. 31<br />

Mit der Einführung der Bismarck`schen Sozialgesetzgebung<br />

in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts verlor der<br />

ursprüngliche Gedanke der <strong>Sparkasse</strong>n, Lohnarbeitern <strong>als</strong><br />

Hilfsmittel zur Bildung von Rücklagen für Alter und Krankheit<br />

zu dienen, immer mehr an Gewicht. Dies leistete nun<br />

weitgehend die staatliche Sozialversicherung. Die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

wandten sich deshalb noch stärker den klassischen Mittelständlern<br />

(Handwerker, Gewerbetreibende, Beamte, freie<br />

Berufe) zu.<br />

Der Anstieg der Sparbücher und des Einlagenbestandes<br />

sind markante Indizien dafür, dass die <strong>Sparkasse</strong>n von der<br />

Reichseinigung und dem danach einsetzenden Wirtschaftswachstum<br />

erheblich profitierten. Der Ausbau der <strong>Sparkasse</strong>n<br />

war vor 1914 in keinem Land so weit fortgeschritten wie in<br />

Deutschland.<br />

Die hohen Einlagen bei den <strong>Sparkasse</strong>n begünstigten dann<br />

die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Zwar finanzierte<br />

man damit nicht direkt die Industrialisierung, wie etwa den<br />

Bau von Fabrikanlagen, aber durch die Bereitstellung notwendiger<br />

Mittel wurden infrastrukturelle Maßnahmen im lokalen<br />

und regionalen Bereich (u. a. privater Wohnungsbau, Errichtung<br />

landwirtschaftlicher Gebäude, öffentlicher Hoch- und<br />

Tiefbau sowie sonstige öffentliche Investitionen) gefördert. 32<br />

Zudem entlasteten die <strong>Sparkasse</strong>n die kommunalen Kassen,<br />

indem sie ihre Überschüsse für öffentliche Zwecke (z. B. Lesehallen,<br />

Zuschüsse für Krankenhäuser, Schulen und andere soziale<br />

Einrichtungen) oder besondere kommunale Bedürfnisse<br />

verwendeten.<br />

Aus <strong>Sparkasse</strong>n werden Universalbanken<br />

An der Wende zum 20. Jahrhundert fielen die letzten<br />

Schranken, die eine Nutzung der <strong>Sparkasse</strong>n durch alle Bevölkerungsschichten<br />

betrafen. Etwa gleichzeitig dehnten die<br />

<strong>Sparkasse</strong>n ihre Geschäftstätigkeit aus, womit die Entwicklung<br />

zu Universalbanken begann.<br />

Das Passivgeschäft der <strong>Sparkasse</strong>n bestand zwischen 1850<br />

und 1908 ganz einfach in der Entgegennahme von Spareinlagen.<br />

Das Aktivgeschäft, die Anlage der Sparguthaben und<br />

des Reservefonds, erwies sich schon dam<strong>als</strong> vielgestaltiger<br />

und wandlungsfähiger. Laut dem preußischen <strong>Sparkasse</strong>nreglement<br />

von 1838 durften die Anlagen in ersten Hypotheken<br />

(Hypothekarkredite und Kommunaldarlehen), in inländischen<br />

Staatspapieren, in Pfandbriefen und auf andere völlig<br />

sichere Art angelegt oder zur Dotierung städtischer Leihanstalten<br />

verwendet werden.<br />

Mit dem Reichsscheckgesetz von 1908 erhielten die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

weiterhin die Möglichkeit, Girokonten einzurichten,<br />

das Kontokorrentgeschäft zu betreiben und Schecks auf sich<br />

zu ziehen (passive Scheckfähigkeit). Obwohl bis zum Ersten<br />

Weltkrieg 99,7 Prozent aller Einlagen reine Spareinlagen<br />

blieben, war damit eine wichtige Weichenstellung in Richtung<br />

auf die Funktion von Universalbanken gegeben. Sie unterschieden<br />

sich nun nicht mehr durch die Art der Bankgeschäfte<br />

von anderen Bankentypen sondern nur noch durch<br />

die unterschiedliche Gewichtung bestimmter Geschäftsbereiche.<br />

Daneben behielten die <strong>Sparkasse</strong>n ihren öffentlich-rechtlichen<br />

Status. Die Trägerverbände hafteten weiterhin und sie<br />

blieben steuerlich begünstigt. Ohnedies krempelten die neuen<br />

Möglichkeiten den Geschäftsalltag der <strong>Sparkasse</strong>n nicht abrupt<br />

um.<br />

Dementsprechend hatte bis 1916 nur ein Viertel der preußischen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n den Giroverkehr aufgenommen. Die Kontokorrent-<br />

und Depositeneinlagen machten durchschnittlich<br />

nur fünf Prozent der Gesamteinlagen aus, jedoch stieg ihr Anteil<br />

bis 1921 auf 16 Prozent. 33 Diese Entwicklung traf nicht<br />

überall auf Zustimmung.<br />

Dass die Privatbanken in der Ausdehnung der Geschäftsbereiche<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n eine zunehmende Konkurrenz sahen,<br />

darf nicht verwundern, doch auch innerhalb der <strong>Sparkasse</strong>norganisation<br />

und seitens staatlicher Behörden gab es Widerstände.<br />

Manche befürchteten, dass sich damit die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

Schritt für Schritt von den ursprünglichen Zielen und Aufgaben<br />

entfernten und sich immer mehr zu normalen Bankinstituten<br />

entwickeln könnten. In Preußen wurde noch im Februar<br />

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Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

1886 von den Oberpräsidenten die Einführung des Scheckverkehrs<br />

bei <strong>Sparkasse</strong>n mit der Begründung abgelehnt, dass ein<br />

Scheck die kleinen Leute eher zu unnötigen Ausgaben verleiten<br />

könnte <strong>als</strong> Bargeld. 34<br />

Unterschiedliche Ansichten zwischen den Gewährträgern<br />

und den staatlichen Aufsichtsbehörden bestanden hinsichtlich<br />

des Reservefonds. Während manche <strong>Sparkasse</strong>n nur ein Prozent<br />

des Einlagenbestandes festlegten, wählten andere einen<br />

Quotensatz von 20 Prozent.<br />

In einen Ministerialerlass vom November 1877 wurde die<br />

Normhöhe auf zehn Prozent der Passivmasse festgelegt. Der<br />

Deutsche <strong>Sparkasse</strong>nverband war am Ende des 19. Jahrhunderts<br />

daran interessiert, den Reservefonds auf einer Höhe von<br />

fünf Prozent der Einlagen festzuschreiben. 35<br />

Bei dieser und bei einigen anderen Fragen zeigte sich die<br />

Notwendigkeit zur Statuierung einer Interessenvertretung der<br />

<strong>Sparkasse</strong>n. Erste Pläne zur Errichtung von <strong>Sparkasse</strong>n-Zentralbanken<br />

gab es bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

in Westfalen. Doch erst im September 1881 rief man in der<br />

damaligen preußischen Rheinprovinz der „Verband der <strong>Sparkasse</strong>n<br />

in Rheinland und Westfalen“ ins Leben. Die Gründung<br />

des Deutschen <strong>Sparkasse</strong>nverbandes erfolgte im Jahr<br />

1884.<br />

Laut Verbandssatzung von 1892 sah man in Preußen die<br />

Gliederung von Unterverbänden auf der Ebene der Regierungsbezirke<br />

vor. Einzelmitgliedschaften von <strong>Sparkasse</strong>n sollten<br />

nur in Ausnahmefällen geduldet werden.<br />

Am 22. März 1893 hatte sich ein <strong>Sparkasse</strong>nverband des<br />

Regierungsbezirks Kassel gebildet, er wurde im Oktober<br />

des gleichen Jahres zum <strong>Sparkasse</strong>nverband für die preußische<br />

Provinz Hessen-Nassau und Waldeck erweitert, der sich<br />

schließlich im Oktober 1896 dem Deutschen <strong>Sparkasse</strong>nverband<br />

anschloss. 36<br />

Ausweitung der Spartätigkeit<br />

Neben der Ausweitung der Geschäftsbereiche bemühten<br />

sich die <strong>Sparkasse</strong>n – und das tun sie bis heute –, den Sparwillen<br />

der Bevölkerung zu heben. Damit verfolgte man gleichfalls<br />

einen politischen Zweck.<br />

Bei den Regierungen und staatlichen Behörden im 19. Jahrhundert<br />

setzte sich immer stärker die Meinung durch, dass<br />

auch ein noch so kleines Eigentum eine konservative Grundgesinnung<br />

fördere und die Bereitschaft zur Revolte mindere.<br />

In späteren Jahren hoffte man dann, dass die Förderung des<br />

Sparsinnes gegen die Ideen und Ausbreitung der Sozialdemokratie<br />

immunisiere. 37 Was sich jedoch bald <strong>als</strong> Irrtum herausstellte,<br />

denn mit der Ausnahme der Wahl von 1907 stieg die<br />

Anzahl der SPD-Wähler beständig an und erreichte bei der<br />

Reichstagswahl 1912 ihren Höhepunkt, <strong>als</strong> die Partei mit 34,8<br />

Prozent Stimmenanteil und 110 Abgeordneten zur stärksten<br />

politischen Kraft im Reichstag avancierte.<br />

Doch abgesehen von derartigen politisch-taktischen Überlegungen<br />

von staatlicher Seite lag und liegt es im Interesse<br />

der Kassen, die Spareinlagen zu erhöhen. Dazu wurden unterschiedliche<br />

Sparformen für verschiedene gesellschaftliche<br />

Gruppierungen ersonnen.<br />

Beim Schulsparen sammelten entweder die Lehrer die<br />

Schulpfennige ein und übergaben sie einer öffentlichen <strong>Sparkasse</strong><br />

oder die Beträge wurden von Schulsparkassen selbstständig<br />

verwaltet. Das Jugendsparen (z. B. Konfirmanden-,<br />

Kommunikanten-, Sonntagsschulsparkassen) stand in keiner<br />

unmittelbaren Verbindung zu den Schulen, sondern es wurde<br />

von Vereinen oder einzelnen Personen gehandhabt. Dem Fabriksparen<br />

in Betriebssparkassen oder auch den Gutssparkassen<br />

war gemeinsam, dass man am Arbeitsplatz seine Ersparnisse<br />

abgab. Einen ausgeprägt sozial-karitativen Charakter besaß<br />

das Pfennigsparen. Die erste Pfennigsparkasse wurde 1880<br />

in Darmstadt aus der Taufe gehoben. Hierbei gingen einige<br />

Männer jeden Samstagabend durch die Stadt und Kneipen.<br />

Sie nahmen kleine Beträge zwischen fünf Pfennigen und einer<br />

Mark in Empfang, quittierten sie und legten sie auf den<br />

Namen der Sparer bei der städtischen <strong>Sparkasse</strong> an. Damit<br />

wollte man verhindern, dass auch noch das letzte Geld in Alkohol<br />

umgesetzt wurde. Bei den Haussparkassen handelte es<br />

sich um die guten alten Sparbüchsen, die in Deutschland erst<br />

recht spät im europäischen Vergleich in Gebrauch kamen. Die<br />

kasseneigenen Sparbüchsen stellte man den Sparern verschlossen<br />

und ohne Schlüssel zur Verfügung. Sobald sich nach Ermessen<br />

des Sparers genug in der Büchse befand, ließ man sie<br />

in der <strong>Sparkasse</strong> öffnen und legte das Geld auf dem <strong>Sparkasse</strong>nbuch<br />

an. 38<br />

Viele <strong>Sparkasse</strong>n kamen oft bis weit ins 20. Jahrhundert<br />

ohne hauptamtliches Personal aus. Die Leitung der Kassen<br />

lag oft in den Händen von ehrenamtlich bestellten höheren<br />

Kommunalbeamten oder angesehenen und ortsbekannten<br />

Bürgern. Die Leitungsorgane (Direktorium, Kuratorium,<br />

Vorstand) setzten sich zumeist aus zwei bis acht Personen<br />

zusammen. Diese trafen sich zumeist einmal im Monat, bei<br />

kleineren Instituten geschah dies seltener. Das Direktorium<br />

vertrat die <strong>Sparkasse</strong> nach außen und traf Entscheidungen<br />

hinsichtlich der Anlage der Einlagen, der Zinssätze, des Person<strong>als</strong>,<br />

der Investitionen und es überwachte die Buchführung.<br />

Die Führung der laufenden Geschäfte oblag den Rendanten<br />

(Rechnungsführern). In der frühen Zeit des deutschen <strong>Sparkasse</strong>nwesens<br />

stellte man keine besonderen fachspezifischen<br />

Anforderungen an sie. Sie mussten im Rechnen geübt sein,<br />

über eine gut lesbare Handschrift verfügen und höheren charakterlichen<br />

Ansprüchen entsprechen (Integrität, Zuverlässigkeit<br />

und Diskretion). Häufig kamen die Rendanten aus dem<br />

Bereich der Kommunalverwaltungen, oft aber handelte es sich<br />

auch um kleine gewerbetreibende Händler, die nebenamtlich<br />

das <strong>Sparkasse</strong>ngeschäft erledigten. Anfangs unterlagen sie einem<br />

Kautionszwang, der in Preußen 1909 wieder aufgehoben<br />

wurde. Als zweiter Beamter einer <strong>Sparkasse</strong> fungierte der Gegenbuchführer,<br />

der zwar einerseits dem Rendanten unterstellt<br />

war, aber andererseits diesen auch kontrollierte. Als weiteres<br />

Personal gab es Buchhalter, Assistenten und Gehilfen. Sie waren<br />

in der Regel Beamte („<strong>Sparkasse</strong>nbeamte“) des jeweiligen<br />

Gewährträgers. Mit dem Anstieg der fachspezifischen Anforderungen<br />

an das <strong>Sparkasse</strong>npersonal setzte allmählich eine<br />

zunehmende Professionalisierung ein.<br />

In der Frühzeit des <strong>Sparkasse</strong>nwesens betrachtete man<br />

manches <strong>als</strong> ganz selbstverständlich, was uns heute recht kurios<br />

erscheint. So war im Großherzogtum Baden bis 1900 festgelegt,<br />

dass der Rendant die Kassenschatulle nachts mit ins<br />

Schlafzimmer zu nehmen und unter seinem Ehebett aufzubewahren<br />

hatte!<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>nbuchführung bestand zumeist aus dem<br />

<strong>Sparkasse</strong>nbuch (Journal) und dem Hauptbuch. Die Rechnungslegung<br />

erfolgte nach dem Prinzip der Kameralistik <strong>als</strong><br />

Einnahmen- und Ausgabenrechnung. Bis in die 1890er Jahre<br />

gab es, von Vordrucken und Stempeln abgesehen, keine technischen<br />

Hilfsmittel, erst etwa zur Jahrhundertwende hielten<br />

dann Telefon, Schreib-, Rechen- und einfache Buchungsmaschinen<br />

Einzug. 39<br />

Kriegsanleihen und Hyperinflation<br />

Die insgesamt recht günstige wirtschaftliche Entwicklung<br />

Deutschlands seit der Reichsgründung von 1871 wurde infolge<br />

des Ersten Weltkriegs (1914-1918) stark beeinträchtigt und die<br />

von der Reichsregierung zur Kriegsfinanzierung praktizierte<br />

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Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Geldpolitik führte 1923 zur Hyperinflation, was den zeitweiligen<br />

Kollaps des deutschen <strong>Sparkasse</strong>nwesens zur Folge hatte.<br />

Zu diesen Vorgängen an dieser Stelle einige detailliertere<br />

Angaben.<br />

Die Reichsregierung hatte 1914 zur Finanzierung der hohen<br />

Rüstungskosten die Alternative, entweder die Steuern zu erhöhen<br />

oder Staatsanleihen auszugeben. Da man vor kräftigen<br />

Steuererhöhungen zurückschreckte, gab sie halbjährlich neue<br />

Kriegsanleihen aus. Nach dem gewonnenen Krieg, so hoffte<br />

die Reichsspitze, sollten dann die geschlagenen Feindmächte<br />

die deutschen Kriegskosten begleichen. Aber der Kriegsverlauf<br />

machte derartige Überlegungen zunichte.<br />

Die Banken und <strong>Sparkasse</strong>n erfüllten bei der Kriegsfinanzierung<br />

eine wichtige Funktion: Sie dienten <strong>als</strong> Zeichnungsstellen<br />

für die neun deutschen Kriegsanleihen. Diese Anleihen<br />

im Wert von fast 100 Milliarden Mark bei einem Volksvermögen<br />

von gut 300 Milliarden wurden sowohl mit der Umschichtung<br />

von Spareinlagen <strong>als</strong> auch durch zusätzliche Sparleistungen<br />

ermöglicht. Der eigene Anteil der <strong>Sparkasse</strong>n an<br />

der Zeichnung von Kriegsanleihen betrug über 24 Prozent.<br />

Sie wickelten insbesondere die Kleinstzeichnungen bis 100<br />

Mark ab. Eine Voraussetzung für diese außergewöhnliche<br />

Zeichnungsbereitschaft war die patriotische Begeisterung<br />

während der ersten Kriegsmonate, die durch militärische Erfolge<br />

und eine massive Propaganda genährt wurde. Allerdings<br />

überwogen ab der fünften Anleihe im Herbst 1916 durchweg<br />

die Eigenanteile der <strong>Sparkasse</strong>n. Dies bedeutete für die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

eine „abrupte Hinwendung zum Wertpapiergeschäft“<br />

(Günter Ashauer) und einen wichtigen Schritt hin zur Universalbank.<br />

Diese Tendenz wurde 1919/20 durch die vollständige<br />

Freigabe des Depot- und Effektenkommissionsgeschäfts,<br />

allerdings unter striktem Ausschluss spekulativer Geschäfte,<br />

noch unterstützt. 40<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Wie sehr sich die politischen Verhältnisse auf die Wirtschaft<br />

und damit auf die deutschen <strong>Sparkasse</strong>n auswirkten,<br />

sollte sich in dramatischer Weise erst nach der Kriegsniederlage<br />

vom November 1918 zeigen.<br />

Trotz der immensen Anstrengungen der Bevölkerung zur<br />

Kriegsfinanzierung in Form der Kriegsanleihen stiegen die<br />

Staatsschulden ins Astronomische. Die Reichsregierung war<br />

gezwungen, allein für den Zinsendienst 90 Prozent der ordentlichen<br />

Ausgaben bereitzustellen. 41 Die offene Inflation<br />

setzt erst nach Kriegsende mit der Aufhebung der Kriegsbewirtschaftung<br />

und der Preisvorschriften ein. Im Sommer und<br />

Herbst 1923 eskalierte die Situation und die Geldentwertung<br />

schlug – verschärft durch Ruhrbesetzung, Streiks, Putschversuche<br />

und Aufstände – in eine Hyperinflation um.<br />

Die Ursachen für die Große Inflation lagen, wie bereits angedeutet,<br />

in den frühen Jahren der Republik und sie war gewiss<br />

„kein Phänomen allein des Jahres 1923. Seit 1914 wurde<br />

der überwiegende Teil aller staatlichen Projekte - der lange,<br />

auf Materi<strong>als</strong>chlachten aufbauende Weltkrieg, die Reparationen<br />

im Gefolge des Versailler Friedensvertrages, die schon<br />

in den letzten Kriegsjahren ausgedehnte Interventionspolitik<br />

im Innern - dadurch finanziert, dass die Reichsbank Schatzwechsel<br />

des Reiches rediskontierte, ohne die immensen Auswirkungen<br />

dieser Geldschöpfung zu berücksichtigen.“ 42<br />

Die Folgen dieser dramatischen Entwicklung lassen sich<br />

eindeutig am Einlagenbestand bei den deutschen <strong>Sparkasse</strong>n<br />

ablesen. Ende 1922 war er auf real nur noch 22 Millionen<br />

Mark geschrumpft – von 20,55 Milliarden Mark im Jahr 1914,<br />

was nominell im Dezember 1922 allerdings 136,179 Milliarden<br />

Papiermark bedeutete. Die Hypothekenschuldner profitierten<br />

natürlich von der Inflation der Jahre 1922/23, indem<br />

sie ihre gebundenen Schulden mit entwerteter Mark zurückzahlen<br />

konnten. Damit schrumpfte der Hypothekenbestand Ehrenurkunde für erfolgreiche Werbearbeit zur 7. Kriegsanleihe, Berlin 1917. DSGV-Archiv<br />

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Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n auf ein Minimum zusammen, parallel dazu<br />

stieg der Kapitalbedarf der Kommunen. Die zahlreichen Besitzer<br />

von Kriegsanleihen hingegen saßen auf wertlosem Papier.<br />

Während der Zeit der Hyperinflation war an eine normale<br />

Geschäftstätigkeit nicht zu denken. „Der Barzahlungsverkehr<br />

war 1923 nicht mehr zu bewältigen: die Papierfabriken kamen<br />

mit der Papierproduktion, die Druckereien mit dem Druck der<br />

Banknoten und des Notgeldes, die Reichsbank und die Geschäftsbanken<br />

mit der Bewältigung der riesigen Papiergeldmassen, die<br />

auf immer höhere Nominalwerte lauerten, nicht mehr zurecht.<br />

In den Reichsdruckereien waren zeitweise mehr <strong>als</strong> 7500 Personen<br />

allein mit dem Gelddruck beschäftigt. Daneben arbeiteten<br />

84 Druckereien direkt und weitere 60 Druckereien indirekt<br />

(...) für den Notendruck. Über dreißig Papierfabriken waren<br />

für die Papierbeschaffung tätig. Die riesigen Geldmengen waren<br />

kaum noch zu transportieren und zu lagern, schon gar nicht<br />

mehr zu zählen. <strong>Sparkasse</strong>n mussten oft viele Kubikmeter Geldes<br />

einstampfen lassen, um Raum zu gewinnen. Der nominale<br />

Erlös des verkauften Altpapiers überstieg dann nicht selten den<br />

Nennwert des insgesamt eingestampften Geldes.“ Und selbst die<br />

schnellste Überweisung konnte mit der Geldentwertung nicht<br />

mehr Schritt halten, ebenso wenig wie die Zinsen. 43<br />

Die Reichsregierung sah sich gezwungen, einen radikalen<br />

Währungsschnitt zu vollziehen. Die völlig entwertete<br />

Mark wurde im November 1923 durch die Rentenmark ersetzt.<br />

Als Deckung diente die hypothekarische Belastung des<br />

landwirtschaftlich und gewerblich genutzten Grundbesitzes.<br />

Die Umstellung auf die Rentenmark brachte das allmähliche<br />

Ende der Inflation. Über eine gewisse Zeit existierten nebeneinander<br />

drei Recheneinheiten: die Rentenmark, die Papiermark<br />

und die Goldmark. Am 11. Oktober 1924 löste dann die<br />

neue Reichsmark (deren Deckung bestand zu ¾ aus Gold) die<br />

Rentenmark ab. 44 Nun konnte auch bei den <strong>Sparkasse</strong>n der<br />

normale Geschäftsbetrieb wieder beginnen.<br />

Erholung und neue Krise<br />

In den so genannten „Goldenen Zwanziger Jahren“ zwischen<br />

Inflation und Weltwirtschaftskrise (1924-1929) erholte<br />

sich das deutsche <strong>Sparkasse</strong>nwesen von dem Schock des Jahres<br />

1923 und gewann verlorenes Vertrauen zurück. Aber im Oktober<br />

1929 zogen erneut ökonomische Gewitterwolken heran,<br />

die in der Folge Firmenzusammenbrüche und Massenarbeitslosigkeit<br />

brachten.<br />

In den Jahren zwischen 1924 und 1930 stiegen die Spareinlagen<br />

von 595 Millionen auf 10,671 Milliarden Reichsmark<br />

(RM), die Hypotheken und kurzfristigen Privatkredite im<br />

gleichen Zeitraum von 78 Millionen auf 4,85 Milliarden RM<br />

an. Ähnlich rasant war die Entwicklung bei Wertpapieren<br />

und Kommunaldarlehen: Sie wuchsen von 21 Millionen auf<br />

1,755 Milliarden bzw. von 60 Millionen auf 1,754 Milliarden<br />

RM. Im Jahr 1924 gelang durch die Fusion von drei nationalen<br />

<strong>Sparkasse</strong>norganisationen zum Deutschen <strong>Sparkasse</strong>nund<br />

Giroverband mit Sitz in Berlin ein wichtiger Schritt zur<br />

Festigung der <strong>Sparkasse</strong>norganisation. Die dreistufige Gliederung<br />

basierte auf den einzelnen örtlichen <strong>Sparkasse</strong>n, die<br />

in den jeweiligen regionalen Verbänden (Landesverband mit<br />

seinen Landesbanken und Girozentralen) zusammengefasst<br />

waren und die wiederum dem zentralen Verband (Reichsverband)<br />

angehörten.<br />

Mit der Mustersatzung von 1927 vollzog man die Entwicklung<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n zu bankmäßigen Instituten. Sie trug<br />

ebenso zur Vereinheitlichung der Verhältnisse im <strong>Sparkasse</strong>nwesen<br />

bei. Obwohl damit auch das wirtschaftlich selbstständige<br />

Auftreten am Markt sanktioniert wurde, blieben<br />

Aufnahme des Kassenbestandes bei der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> Arnstadt während der Inflation im November 1923.<br />

Peter Unger / Andrea Ziegenhardt, 175 Jahre <strong>Sparkasse</strong> in Arnstadt. Herausgegeben von der <strong>Sparkasse</strong> Arnstadt-Ilmenau, Ilmenau 2000, S. 50.<br />

die <strong>Sparkasse</strong>n weiterhin unselbstständige Einrichtungen der<br />

kommunalen Träger ohne eigene Rechtspersönlichkeit. 45<br />

Nach den Jahren der Erholung bewirkte die Weltwirtschaftskrise<br />

seit Oktober 1929 einen ausgeprägten Zukunftspessimismus<br />

mit Rückgang der Spareinlagen und führte zur Bankenkrise<br />

von 1931. Dies bedeutete für viele <strong>Sparkasse</strong>n und<br />

Girozentralen akute Liquiditätsschwierigkeiten. Hinzu kam<br />

noch, dass der Kapitaldienst von den kommunalen Schuldnern<br />

vielfach nicht mehr geleistet werden konnte. Im Gegenteil,<br />

die Kommunen „bedienten“ sich nun bei „ihren“ <strong>Sparkasse</strong>n<br />

durch überhöhte Kreditaufnahmen, um die aufgrund der<br />

hohen Arbeitslosigkeit gestiegenen Sozialleistungen bezahlen<br />

zu können. Dies minderte und gefährdete sowohl die Liquidität<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n <strong>als</strong> auch das Vertrauen der Anleger.<br />

Die Bankenkrise des Sommers 1931 führte zu einem Run<br />

der Anleger auf die <strong>Sparkasse</strong>n. Allerdings vermochte man<br />

30 31


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

dort den Auszahlungswünschen der Kunden nur sehr begrenzt<br />

gerecht zu werden. Die Reichsregierung verkündete daraufhin<br />

den 14. und 15. Juli 1931 zu Bankfeiertagen, weshalb<br />

die Schalter aller öffentlich-rechtlichen, genossenschaftlichen<br />

und privaten Kreditinstitute an diesen Tagen geschlossen blieben.<br />

Erst nachdem die Reichsbank den Kapitalbedarf der<br />

<strong>Sparkasse</strong>n durch Kredite kurzfristig decken konnte, tätigte<br />

man wieder begrenzte Auszahlungen.<br />

Die Bankenkrise hatte für die deutsche <strong>Sparkasse</strong>norganisation<br />

weit reichende Folgen. So griff jetzt das Reich mit<br />

Notverordnungen direkt in die <strong>Sparkasse</strong>norganisation ein<br />

(z. B. Verbot der Vergabe von Anleihen, Darlehen oder Kassenkredite<br />

an Gemeinden, Gemeindeverbände oder öffentlich-rechtliche<br />

Körperschaften). Außerdem erhielten die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

nun den Status von rechtlich selbstständigen Anstalten<br />

des öffentlichen Rechts unter Beibehaltung der unbeschränkten<br />

Gewährträgerhaftung. Mit dieser Verordnung waren die<br />

<strong>Sparkasse</strong>n zu rechtlich selbstständigen Wirtschaftssubjekten<br />

mit eigenem Vermögen geworden und unabhängig von dem<br />

möglichen Zugriff der Gewährträger. Weiterhin verpflichtete<br />

die dritte Verordnung vom 6. Oktober 1931 die Kassen zu höheren<br />

Liquiditätsreserven, sie öffnete die <strong>Sparkasse</strong>nvorstände<br />

für Personen, die keine Kommunalbeamte waren, und schützte<br />

den Begriff „<strong>Sparkasse</strong>“. 46<br />

Die Bankenkrise von 1931 mit der restriktiven Vergabe neuer<br />

Kredite traf Handwerker und Gewerbetreibende besonders<br />

hart. Zusammen mit der zeitweiligen Begrenzung der Auszahlung<br />

von Spareinlagen führte dies zu steigendem Misstrauen<br />

gegenüber dem wirtschaftlichen und politischen System<br />

der Weimarer Republik. Dies hatte zur Folge, dass sich viele<br />

Handwerker, kleine Händler und Lieferanten anfällig für die<br />

Parolen der radikalen politischen Rechten zeigten. Dieser Zukunftspessimismus<br />

machte sich bei der <strong>Sparkasse</strong>norganisation<br />

mit ihren 18 Millionen Spar- und 2,5 Millionen Girokontokunden<br />

besonders deutlich in einen spürbaren Rückgang<br />

der Einlagen bemerkbar. 47<br />

Sparen <strong>als</strong> „geräuschlose Kriegsfinanzierung“<br />

Mit der neu gewonnenen organisatorischen Selbstständigkeit<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n war es nach der Machtergreifung durch<br />

die Nation<strong>als</strong>ozialisten im Januar 1933 aber bald wieder vorbei.<br />

Nun erfolgte rasch die hierarchische Gliederung der <strong>Sparkasse</strong>norganisation<br />

nach dem Führerprinzip von oben nach<br />

unten und die Besetzung wichtiger Positionen mit Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />

oder willfährigen Personen. Da die NSDAP bald<br />

nach der Machtergreifung viele Bürgermeister und Landräte<br />

durch ihre Gefolgsleute ersetzt hatte, erhielten auch die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

neues Personal für ihre Direktorien. Überdies stellte<br />

man den Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband bald unter<br />

Reichsaufsicht.<br />

Das neue Regime propagierte das Sparen <strong>als</strong> nationale Aufgabe<br />

und sah darin eine Voraussetzung für die Belebung der<br />

deutschen Wirtschaft. Besonders bildete es eine Grundlage<br />

für die bald einsetzende Aufrüstung. „Das Sparen wurde damit<br />

zu einer wichtigen Form der geräuschlosen Kriegsfinanzierung“<br />

48 (Günter Ashauer). Zu diesem Zweck initiierten die<br />

Kassen verschiedenste Sondersparformen: das Reisesparen,<br />

den Arbeitsdank-Sparverkehr (Markensparsystem für den Arbeitsdienst),<br />

das Deutsche Bauernsparbuch, das Olympiasparen,<br />

das HJ-Sparen, das Gefolgschaftssparen usw. Bis 1939<br />

erreichten die <strong>Sparkasse</strong>n einen Marktanteil von 50 Prozent<br />

aller Bankengruppen.<br />

Die deutschen <strong>Sparkasse</strong>n degenerierten nun wieder zu Instituten,<br />

die vorrangig dem Staat die benötigten Finanzmittel<br />

bereitzustellen hatten. Anderes musste dahinter zurückste-<br />

„Sparsamkeit und Fleiss bauen Euch Häuser!“, Werbepostkarte von Paul Wilke, 1927. DSGV-Archiv<br />

hen. Hypotheken- und Kommunaldarlehen sowie kurzfristige<br />

Privatkredite gingen von 63 Prozent der Bilanzsumme im Jahr<br />

1934 auf zehn Prozent bis 1944 zurück. Weitere Mittel beschaffte<br />

sich der NS-Staat durch Reichsanleihen, die die Kreditinstitute<br />

zwangsweise zu zeichnen hatten. Vornehmlich die<br />

Finanzierung der Kriegskosten erfolgte über die Geldinstitute,<br />

die ihre Einlagen überwiegend in Reichstiteln anlegen mussten.<br />

In den Jahren seit 1932 weitete sich das <strong>Sparkasse</strong>nnetz weiter<br />

aus, obwohl die Anzahl der <strong>Sparkasse</strong>n zurückging. Bestanden<br />

zu Beginn der NS-Herrschaft noch 3110 <strong>Sparkasse</strong>n<br />

32 33


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Kino-Werbedia „Das Sparen ist Dienst der Frau am Volk“, 1939.<br />

Ostdeutscher <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband: CD „Historische <strong>Sparkasse</strong>n-werbung“,<br />

Berlin 1998<br />

und insgesamt 13.785 Nebenstellen, so waren es Ende 1940<br />

nur noch 2912, jedoch mit rund 15.000 Nebenstellen.<br />

Im Laufe des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) gestaltete<br />

sich die Arbeit der <strong>Sparkasse</strong>n und der Girozentralen durch<br />

die Einberufung vieler <strong>Sparkasse</strong>nbeamter zur Wehrmacht<br />

und die zunehmend einsetzende Materialknappheit immer<br />

schwieriger, dennoch blieben die meisten bis zum Kriegsende<br />

funktionstüchtig. 49<br />

Nachkriegssituation<br />

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am<br />

8. Mai 1945 hatte das Deutsche Reich aufgehört zu bestehen.<br />

Zur Bilanz von zwölf Jahren Nation<strong>als</strong>ozialismus in Deutschland<br />

gehörten Millionen gefallener Soldaten und getöteter Zivilisten,<br />

zerstörte Städte, Dörfer und Industrieanlagen, junge<br />

Männer in Kriegsgefangenenlagern und mehr <strong>als</strong> zwölf Millionen<br />

Flüchtlinge und Vertriebene. Das politische, soziale<br />

und wirtschaftliche Leben des Landes war praktisch zusammengebrochen.<br />

Die oberste Regierungsgewalt lag nun bei den<br />

vier Hauptsiegermächten (USA, UdSSR, Großbritannien und<br />

Frankreich), die das Land entsprechend vorheriger Vereinbarungen<br />

in vier Besatzungszonen aufgeteilt hatten. Die Gebiete<br />

östlich von Oder und Neiße standen unter polnischer bzw.<br />

sowjetischer Verwaltung. Das spätere Bundesland Hessen gehörte<br />

mit Bayern, Teilen von Württemberg-Baden und der<br />

Enklave Bremen zur amerikanischen Besatzungszone. 50<br />

Zu alldem kam die existenzielle Not, die fast alle Bevölkerungsschichten<br />

gleichermaßen betraf. Erschwert wurde dies<br />

alles noch dadurch, dass die Ernten der Jahre 1946 und 1947<br />

ausgesprochen schlecht ausfielen. So blieb die Zwangsbewirtschaftung<br />

mit der Rationierung wichtiger Güter bestehen, die<br />

nur mittels Bezugsscheinen zu erhalten waren. Amerikanische<br />

Zigaretten ersetzten <strong>als</strong> Währungseinheit die Reichsmark, die<br />

so gut wie nichts mehr wert war. Der Schwarzmarkthandel<br />

und die Hamsterfahrten auf das Land signalisierten die Rückkehr<br />

zur Naturalwirtschaft.<br />

Die große Geldmenge in der Nachkriegszeit führte zu außerordentlichen<br />

Tilgungsleistungen auf Hypothekendarlehen.<br />

Das übrige Kreditgeschäft der <strong>Sparkasse</strong>n stagnierte. Auf Einlagen<br />

konnten somit keine Zinsen mehr gezahlt werden.<br />

Zu diesen, durch die Schwäche der Währung bedingten<br />

Problemen kam noch, dass viele Beamte, Angestellte und ehemalige<br />

Vorstandsmitglieder der <strong>Sparkasse</strong>n aufgrund ihrer<br />

Verstrickungen mit dem NS-Regime im Zuge der vor allem<br />

von den Amerikanern anfangs recht rigoros gehandhabten<br />

„Der Lebenslauf des gesparten Geldes“.<br />

Preisgekrönter Beitrag für ein<br />

Schülerpreissauschreiben der Stadtsparkasse<br />

zu Halle. Hier wird deutlich:<br />

Auch Kindern war bewusst,<br />

dass die Spareinlagen für militärische<br />

Zwecke verwendet wurden.<br />

Die Stadtsparkasse zu Halle im 83.<br />

Geschäftsjahre 1940<br />

Entnazifizierung ihre alten Positionen verloren hatten. Außerdem<br />

waren zahlreiche männliche <strong>Sparkasse</strong>nfachkräfte gefallen<br />

oder noch in Kriegsgefangenschaft. In vielen Instituten<br />

bestand somit neben den materiellen Schwierigkeiten noch<br />

ein eklatanter personeller Engpass, der erst allmählich abgebaut<br />

werden konnte.<br />

In den drei Westzonen löste die Deutsche Mark mit dem<br />

20. Juni 1948 die alte Reichsmark <strong>als</strong> Währungseinheit ab. Als<br />

deutsche Notenbank hatten die Westalliierten die Bank deutscher<br />

Länder in Frankfurt installiert. Die Deutsche Mark der<br />

DDR folgte bald nach.<br />

Den Sparern brachte die Währungsreform erneut, wie<br />

schon die Inflation von 1923, den Verlust des größten Teils<br />

ihrer Einlagen. Denn diese tauschte man in einem Verhältnis<br />

von 10:0,65 für die Kontensparer, während die Aktien häufig<br />

im Verhältnis von 1:1 und die in Schuldverschreibungen,<br />

in Lebensversicherungen oder auf Bausparkonten angelegten<br />

Kapitalbeträge im Verhältnis von 10:1 umgestellt wurden. Zusätzlich<br />

rechnete man die beiden Raten der Kopfbeträge von<br />

zunächst 40 Deutsche Mark (DM) und später nochm<strong>als</strong> 20<br />

DM auf die Sparguthaben an. Dies bedeutete, dass von den<br />

rund 30 Millionen Sparkonten rund 20 Millionen vollständig<br />

34 35


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Währungsreform 1948. Kundenbedienung bei der Frankfurter <strong>Sparkasse</strong><br />

von 1822 in einem Zelt auf der Trümmerfläche des Gebäudes Neue Mainzer<br />

Straße 51.<br />

Die Neue Mainzer Straße im Wandel der Zeiten. Erinnerungen und Ausblicke<br />

in Verbindung mit der Geschichte der Frankfurter <strong>Sparkasse</strong> von<br />

1822 (Polytechnische Gesellschaft), Frankfurt/M. 1956, S. 40<br />

getilgt wurden – und zwar die kleineren. Somit schrumpften<br />

die Sparguthaben von 47,7 Milliarden RM auf 2,2 Milliarden<br />

DM, sonstige Einlagen verringerten sich von 11 Milliarden<br />

RM auf rund 628 Millionen DM. Aufgrund des durch<br />

Krieg und Nachkriegsnot lange angestauten Konsumhungers<br />

sanken die Sparguthaben in den nächsten Monaten nach der<br />

Währungsreform nochm<strong>als</strong> kräftig, um danach merklich anzusteigen.<br />

51<br />

In den westlichen Besatzungszonen setzten die bestehenden<br />

<strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbände nach 1945 ihre Tätigkeit zunächst<br />

auf regionaler Ebene fort. Im Juli 1947 formierten sich<br />

die <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbände der britischen und amerikanischen<br />

Zone zu einer Arbeitsgemeinschaft, der sich wenige<br />

Monate nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland<br />

(Mai 1949) auch die <strong>Sparkasse</strong>norganisationen der französischen<br />

Zone anschlossen.<br />

In der sowjetischen Besatzungszone installierte man bald<br />

nach Kriegsende ein sozialistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem<br />

nach sowjetischem Muster. Das Kreditwesen<br />

und damit auch die <strong>Sparkasse</strong>n erhielten dabei eine völlig<br />

neue Rolle zugewiesen. Die neuen <strong>Sparkasse</strong>n wurden nicht<br />

Rechtsnachfolger der alten Kassen. Jedoch nahmen sie ihren<br />

Betrieb oft mit dem gleichen Personal, den gleichen Kunden<br />

und in denselben Räumen wieder auf. Entsprechend der<br />

wirtschaftspolitischen Entwicklung der DDR verkümmerten<br />

bald viele Geschäftsfelder, somit „degenerierten die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

zu Spezialinstitutionen der Spareinlagensammlung und<br />

des Zahlungsverkehrs“. Bedingt durch ein in vielen Bereichen<br />

unattraktives oder schwer erhältliches Warenangebot und<br />

aufgrund massiver Sparpropaganda in der DDR wuchsen die<br />

Einlagen bei den <strong>Sparkasse</strong>n bald stark an. Sie stiegen von<br />

fast 1,1 Milliarden Mark 1950 auf über 129 Milliarden im Jahr<br />

1989, die bei 196 kommunalen <strong>Sparkasse</strong>n mit 2300 Zweigstellen<br />

eingezahlt waren.<br />

Im Gegensatz zu den <strong>Sparkasse</strong>n in der Bundesrepublik<br />

standen die <strong>Sparkasse</strong>n jenseits des „Eisernen Vorhangs“ nicht<br />

im wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Instituten, sondern<br />

sie waren Instrumente einer staatlich gelenkten Planwirtschaft.<br />

Sie erhielten ihre Kunden ebenso zugewiesen wie ihr<br />

Leistungsangebot. Mit der Wende im Herbst 1989 zeichnete<br />

sich auch das rasche Ende des staatlich verordneten <strong>Sparkasse</strong>nsystems<br />

in der DDR ab. 52<br />

Das Wirtschaftswunder und die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

Die Fünfzigerjahre brachten den <strong>Sparkasse</strong>n nach der<br />

Rückkehr zum „normalen Geschäft“ eine rasante Aufwärtsentwicklung.<br />

„Bei ausgeglichener Liquidität und guter bis sehr<br />

guter Rentabilität spiegelte sich im rapiden Wachstum der Spar-<br />

kassen das ‚Wirtschaftswunder’ des deutschen Wiederaufbaus.“<br />

Die Sparguthaben in der Bundesrepublik Deutschland wuchsen<br />

innerhalb von zehn Jahren von 2,1 Milliarden DM (1949)<br />

bis auf 28,5 Milliarden DM im Jahr 1959. Die Hypothekendarlehen<br />

stiegen noch stärker, sie schnellten von 367 Millionen<br />

DM auf 11,8 Milliarden in die Höhe. Gleichzeitig sank<br />

die Anzahl der <strong>Sparkasse</strong>n von 883 auf 852 (865 mit dem wieder<br />

eingegliederten Saarland), die der Geschäftsstellen hingegen<br />

stieg von 8533 auf 11.332 an. Die Anzahl der Mitarbeiter<br />

wuchs von 30.058 auf 68.864. 53<br />

Doch daneben verzeichnete man ebenso einige Fehlschläge.<br />

So verloren Sparformen wie etwa das Heirats- und Junghandwerkersparen,<br />

das Spardosensparen, das Vereins- und<br />

Betriebssparen oder das Schulsparen bald an Bedeutung, während<br />

sich die bargeldlose Lohn- und Gehaltszahlung durchsetzte.<br />

Dies begünstigte die Eröffnung vieler Privatgirokonten.<br />

Auch bei der Organisation des <strong>Sparkasse</strong>nwesens änderte<br />

sich einiges. Durch den Zusammenschluss der Hessischen<br />

Landesbank Darmstadt, der Nassauischen Landesbank Wiesbaden<br />

und der Landeskreditkasse zu Kassel entstand am 1.<br />

Juni 1953 die Hessische Landesbank-Girozentrale Frankfurt<br />

am Main. Wie in Hessen wurden überall die Bundesländer<br />

die Träger der Landesbanken/Girozentralen. Die Struktur der<br />

deutschen <strong>Sparkasse</strong>norganisation gliedert sich seitdem in drei<br />

Stufen: die <strong>Sparkasse</strong>n, die Landesbanken/Girozentralen und<br />

den Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n/Giroverband.<br />

In den letzten Jahrzehnten rückten durch gesetzliche Vorgaben<br />

begünstigt und aufgrund des wachsenden Wohlstands<br />

längerfristige Spareinlagen verstärkt in den Mittelpunkt des<br />

Angebots. Die traditionellen Spareinlagen stiegen von 33,7<br />

Milliarden DM im Jahr 1960 auf über 358 Milliarden DM<br />

1989. Die sonstigen Einlagen wuchsen im gleichen Zeitraum<br />

gar von 12,6 Milliarden auf 307,9 Milliarden. Ende 2001 befanden<br />

sich auf deutschen <strong>Sparkasse</strong>n 304,7 Milliarden DM in<br />

Form von Spareinlagen und rund 360 Milliarden DM in Form<br />

von Sichteinlagen, Termineinlagen oder Eigenemissionen. Das<br />

Kreditgeschäft explodierte geradezu von 28,8 Milliarden 1960<br />

auf 541,8 Milliarden 1989. 2001 betrug das Darlehensaufkommen<br />

594,2 Milliarden DM für Privatkunden, Firmen, Hypotheken<br />

und öffentliche Haushalte. An Kreditinstitute waren<br />

ohne Treuhandkredite 79,3 Milliarden DM ausgegeben. Auch<br />

das Wertpapierdepot bei den <strong>Sparkasse</strong>n wuchs gewaltig an,<br />

und zwar von 6 Milliarden DM 1960 auf 196,5 Milliarden<br />

1989, 2001 lag es bei einer Summe von über 250 Milliarden<br />

DM. Die Bilanzsumme aller <strong>Sparkasse</strong>n vervielfachte sich von<br />

56 Milliarden DM (1960) auf über 904 Milliarden im Jahr<br />

1989, 2001 lag sie bei 985,5 Milliarden DM.<br />

Beträchtlich, wenn auch nicht so außergewöhnlich wie das<br />

Geschäftsvolumen, wuchs das Personal. Im Jahr 1960 hatten<br />

die 866 westdeutschen <strong>Sparkasse</strong>n mit ihren 11.959 <strong>Sparkasse</strong>nstellen<br />

rund 76.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />

Ende 2001 waren bei den 537 <strong>Sparkasse</strong>n mit 17.696 Filialen<br />

282.859 dem öffentlichen Dienst vergleichbare Angestellte beschäftigt.<br />

54 Bis 2012 reduzierte sich die Anzahl der <strong>Sparkasse</strong>n<br />

auf 423 und die der Mitarbeiter auf etwas mehr <strong>als</strong> 245.000,<br />

hingegen stieg die Bilanzsumme auf 1.098 Milliarden Euro.<br />

Ende 2011 befanden sich Kundeneinlagen in Höhe von 784<br />

Milliarden bei den <strong>Sparkasse</strong>n. Das Darlehensaufkommen lag<br />

bei 677 Milliarden und das eigene Wertpapierdepot bei 258<br />

Milliarden Euro. 55<br />

Neue Rahmenbedingungen<br />

In den Sechzigerjahren setzte eine Diskussion um eventuell<br />

ungerechtfertigte Privilegien der <strong>Sparkasse</strong>n ein. Eine Enquetekommission<br />

der Bundesregierung bestätigte weitgehend die<br />

36 37


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Position der <strong>Sparkasse</strong>n, ihre öffentliche Rechtsform und ihren<br />

öffentlichen Auftrag. Allerdings wurde seitdem die steuerliche<br />

Situation der <strong>Sparkasse</strong>n in manchen Bereichen gründlich<br />

verändert. Nun mussten auch sie Körperschaftssteuer,<br />

Gewerbesteuer und Vermögenssteuer abführen. Bis in die frühen<br />

Achtzigerjahre verloren die <strong>Sparkasse</strong>n alle Steuervorteile.<br />

Durch neue <strong>Sparkasse</strong>ngesetze in den Bundesländern erweiterten<br />

sich die geschäftlichen Möglichkeiten der <strong>Sparkasse</strong>n.<br />

Es setzte sich nun eine Zweiteilung der Organe in einen<br />

ehrenamtlich besetzten Verwaltungsrat und einen hauptamtlichen<br />

Vorstand aus mindestens zwei Personen durch. Außerdem<br />

verloren die Vorstandsmitglieder ihren Status <strong>als</strong> Beamte<br />

und wurden nun Angestellte. 56<br />

Die Aufhebung der Gewährträgerhaftung durch die kommunalen<br />

Träger durch den Europäischen Gerichtshof bedeutete<br />

eine neue Herausforderung für die <strong>Sparkasse</strong>n. Danach<br />

gilt nur das Vermögen des jeweiligen Geldinstituts <strong>als</strong> Haftungsmasse<br />

für Verbindlichkeiten. Die <strong>Sparkasse</strong>n haben <strong>als</strong><br />

Ausgleich verstärkt Sicherungsfonds aufgebaut, um dieser<br />

neuen Situation gerecht zu werden. Die öffentliche Trägerschaft<br />

von Kommunen und Ländern für die <strong>Sparkasse</strong>n und<br />

Landesbanken bleibt jedoch auch über den Juli 2005 hinaus<br />

in Deutschland erhalten. 57<br />

In seinem Vorwort zur Publikation über den Deutschen<br />

<strong>Sparkasse</strong>ntag 2001 in München hat Dietrich H. Hoppenstedt,<br />

Präsident des Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbandes,<br />

die Konsequenzen aus den neuen Rahmenbedingungen<br />

und die nach wie vor fortdauernden Aufgaben für die deutschen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n beschrieben: „Sie werden das Augenmerk<br />

künftig noch stärker auf die betriebswirtschaftlichen Stellgrößen<br />

richten müssen.<br />

Der kurzfristige Gewinn ist aber auch in Zukunft nicht der<br />

alleinige Maßstab unseres Handelns. Durch die stärkere Zusammenarbeit<br />

legen die Institute der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe den<br />

Grundstein dafür, dass sich <strong>Sparkasse</strong>n und Landesbanken auch<br />

künftig auf ihre Aufgaben für die Menschen in den Regionen<br />

und die mittelständischen Unternehmen konzentrieren können.“<br />

In der Kundennähe in der Region und in den Möglichkei-<br />

ten eines großen Verbunds, der <strong>als</strong> stabiles Netzwerk „jedem<br />

Wettbewerber standhalten kann“, sieht Hoppenstedt das „Zukunftsmodell“<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n: Die Bewahrung der Individualität<br />

jedes Instituts zu sichern und die Stärke der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe<br />

vor Ort herauszustellen, sind die Ziele für<br />

die nächsten Jahre, die es nutzbringend für die Unternehmen<br />

und ihre Kunden umzusetzen gilt.<br />

Hoppenstedts Ausführungen beim <strong>Sparkasse</strong>ntag 2001<br />

endeten in einem kurzen Rückblick, der 200 Jahre deutsche<br />

<strong>Sparkasse</strong>ngeschichte wie folgt zusammenfasst: „Wir haben<br />

mit kleinen Instituten in der Region angefangen. Wir haben Umbrüche<br />

gestaltet, viel für die Gesellschaft getan und uns selbst zu<br />

modernen Unternehmen entwickelt. Mit unseren Kunden sind<br />

wir durch alle Höhen und Tiefen gegangen. Die <strong>Sparkasse</strong>n haben<br />

die Industrialisierung, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg,<br />

Weltwirtschaftskrisen, Wiederaufbau und die deutsche<br />

Teilung unbeschadet überstanden. Immer dann, wenn es ganz<br />

eng wurde, wenn von anderen nicht viel zu sehen war, dann waren<br />

<strong>Sparkasse</strong>n und Landesbanken da. Sie haben ihre Kunden<br />

ernst genommen und sie sind mit ihnen gewachsen. Die Menschen<br />

vertrauen uns. Das ist das höchste Gut, das sich ein Finanzdienstleister<br />

wünschen kann.<br />

Heute sind wir die größte kreditwirtschaftliche Gruppe – in<br />

Deutschland, in Europa, weltweit. Das ist ein großer Erfolg.“ 58<br />

Plakat „Wohnungen durch Sparen“, 1955. DSGV-Archiv Plakat „Wenn’s um Geld geht …“, 1965. DSGV-Archiv<br />

Anmerkungen<br />

1 Zur Entstehung des <strong>Sparkasse</strong>ngedankens und zu den ersten <strong>Sparkasse</strong>ngründungen:<br />

A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n bis zum<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1957, S. 3 ff., K. E. Born,<br />

Geld und Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1977, S.<br />

199 ff., J. Wysocki, Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

der deutschen <strong>Sparkasse</strong>n im 19. Jahrhundert, Stuttgart<br />

1980; G. Ashauer, Von der Ersparungscasse zur <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe,<br />

Stuttgart 1991.Einen guten Einstieg in die Thematik<br />

mit Erörterung der Forschungssituation und mit ausführlichen Literaturhinweisen<br />

bietet: E. Wandel, Banken und Versicherungen<br />

im 19. und 20. Jahrhundert, München 1998.<br />

38 39


Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

Zur Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n in Deutschland<br />

2 W. Kurz, Die <strong>Sparkasse</strong> – ein Kind der Aufklärung. Geschichte<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> und ihrer Vorgängerinstitute, in: Unser<br />

Geld. Vom römischen Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte,<br />

hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4), S. 35.<br />

3 K. E. Born, Geld und Banken, S. 204 ff.<br />

4 Beitrag zur Statistik der <strong>Sparkasse</strong>n in der Provinz Hessen-Nassau.<br />

Denkschrift dem <strong>Sparkasse</strong>n-Verband für die Provinz Hessen-Nassau<br />

und das Fürstentum Waldeck gewidmet vom Städtischen <strong>Sparkasse</strong>namt<br />

Frankfurt am Main, Frankfurt 1906, S. 9.<br />

5 W. Henze, Grundzüge der Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens, Stuttgart<br />

1972, S. 14.<br />

6 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 19 f., steht damit im Gegensatz zur<br />

älteren Literatur, insbesondere zu: K. E. Born, Geld und Banken,<br />

und A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n. Wysocki wehrt sich gegen<br />

die einseitige Fixierung auf den Spargedanken bei den frühen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n. In: Gutachten, S. 12, heißt es: „Ein solches einheitliches<br />

Konzept kann bis weit ins 19. Jahrhundert nicht nachgewiesen<br />

werden. (...) So können denn in der frühen <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte<br />

bis 1825 auch Institute aufgezeigt werden, die unzweifelhaft der<br />

Vorstellung vom Primat des Spargeschäfts und der Sparförderung<br />

entsprechen. Ebenso aber gibt es andere, bei denen sie nicht zutrifft.“<br />

Einen kurzen Forschungsbericht enthält: E. Wandel, Banken<br />

und Versicherungen, S. 107 ff.<br />

7 Diese Reihenfolge nach: J. Wysocki, Untersuchungen, S. 17. Vgl.<br />

dazu auch: G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 51 ff. Zur Frage<br />

der ältesten <strong>Sparkasse</strong>: J. Wysocki, Gutachten, S. 50. Zum Urheberrecht<br />

für den Begriff „Sparcasse“: G. Ashauer, Von der Ersparungscasse,<br />

S. 51. Dieser kommt nicht zu der klaren Aussage wie<br />

Wysocki und hält die Landessparkasse zu Oldenburg möglicherweise<br />

für die älteste, S. 58 ff.<br />

8 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 18 f.<br />

9 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 33.<br />

10 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 31 f., relativiert den Begriff „Armut“<br />

aus dem Verständnis des späten 18. Jahrhunderts. Dam<strong>als</strong> bedeutete<br />

dies keineswegs bettelarm, wie wir es heute oft verstehen,<br />

sondern es konnte im damaligen Begriffsverständnis ein Armer<br />

durchaus Geld- und Sachvermögen besitzen.<br />

11 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 21 f.<br />

12 A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 44.<br />

13 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 53. Dort findet sich auch<br />

eine informative Übersicht zu den deutschen Ursparkassen, S. 54 f.<br />

14 Die erste Verfassung erhielt 1814 das Herzogtum Nassau, es folgten<br />

Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck und – unter Goethes Mitwirkung<br />

– das Herzogtum Sachsen-Weimar (1816), später Württemberg<br />

(1817), Bayern und Baden (beide 1818). Doch die beiden<br />

deutschen Großmächte, Österreich und Preußen, sowie viele andere<br />

Bundesmitglieder wurden bis 1848 keine Verfassungsstaaten.<br />

Bei Verfassungsfragen kam es häufig zu Konflikten. Die schwersten<br />

Zwischenfälle ereigneten sich 1830 in Kurhessen und in Braunschweig.<br />

Zum Verständnis der Epoche zwischen 1815 und 1866 zu<br />

empfehlen: H. Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland<br />

1815-1866, Berlin 1985, und T. Nipperdey, Deutsche Geschichte<br />

1800-1866, München 1983.<br />

15 Zum Nachfolgenden insbesondere: G. Ashauer, Von der Ersparungscasse,<br />

S. 73 ff.<br />

16 Die neue preußische Städteordnung vom 19.11.1808, die unter<br />

der Regie des Reichsfreiherrn Karl von und zum Stein eingeführt<br />

wurde, ermöglichte den Bürgern eine größere Mitwirkung an den<br />

Angelegenheiten ihrer Gemeinden und bot den Kommunen mehr<br />

Freiheiten gegenüber dem Staat.<br />

17 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 154, und A. Trende, Geschichte<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 111.<br />

18 Zur regionalen <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte: M. Gräser, <strong>Sparkasse</strong>n in<br />

Hessen (bis 1992), in: Regionalgeschichte der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe,<br />

Band 2. Herausgeber: Wissenschaftsförderung der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe<br />

e.V. Bonn, Stuttgart 2010, S. 97 ff.<br />

19 E. Wandel, Banken und Versicherungen, S. 4. Er nennt die Zahl<br />

von 800 <strong>Sparkasse</strong>n, die zwischen 1840 und 1860 ins Leben gerufen<br />

wurden. K. E. Born, Geld und Banken, S. 205, bezeichnet die<br />

1831 gegründete <strong>Sparkasse</strong> in Schleusingen (Thüringen) <strong>als</strong> erste<br />

deutsche Kreissparkasse.<br />

20 K. E. Born, Geld und Banken, S. 204 ff.<br />

21 Vgl. dazu übereinstimmend: J. Wysocki, Untersuchungen, S. 33<br />

und 79, G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 85, und A. Trende,<br />

Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 44.<br />

22 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 61.<br />

23 Bei Dienstboten, Handwerksgesellen u. a. wurde ein großer Teil des<br />

Lohns in Sachwerten oder freier Unterkunft und Verpflegung ausgezahlt,<br />

weshalb der ausgezahlte Geldlohn häufig den geringeren<br />

Teil des Entgelts bedeutete.<br />

24 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 84.Zum Einzahlungsmodus, S. 87:<br />

„In der <strong>Sparkasse</strong> der Grafschaft Schaumburg in Rinteln wurde um<br />

1845 die Einzahlung folgendermaßen abgewickelt: Zunächst musste<br />

der willige Einzahler in die Wohnung des Buchführers gehen.<br />

Dieser stellte sodann eine Einnahmeverfügung aus. Damit begab<br />

sich der Sparer zur Wohnung des Kassierers, der das Geld annahm<br />

und quittierte. Mit der Quittung machte sich nun der Sparer wieder<br />

auf den Weg zurück zum Buchführer, der den eingezahlten Betrag<br />

im <strong>Sparkasse</strong>nbuch und auf dem Sparkonto vermerkte.“<br />

25 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 73 ff.<br />

26 J. Wysocki, Untersuchungen, S. 40.<br />

27 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 110.<br />

28 E. Wandel, Banken und Versicherungen, S. 13 f.<br />

29 R. Kunz (Bearb.), Wörterbuch für südhessische Heimat- und Familienforscher,<br />

Darmstadt 1995, S. 421 ff.<br />

30 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 113 ff. Bei den Filialen<br />

handelte es sich – auf dem Land zumindest – in erster Linie um<br />

örtliche Kapit<strong>als</strong>ammelstellen.<br />

31 K. E. Born, Geld und Banken, S. 207.<br />

32 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 217 ff. Statistik nach<br />

Übersicht 23 und 56.<br />

33 J. Piorkowski, Die deutsche <strong>Sparkasse</strong>norganisation, S. 11, und G.<br />

Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 201 und 223.<br />

34 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 136 ff., und A. Trende,<br />

Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 442.<br />

35 A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 527.<br />

36 A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 224 ff. und 346.<br />

37 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 156.<br />

38 A. Trende, Geschichte der <strong>Sparkasse</strong>n, S. 372 ff.<br />

39 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 149 ff.<br />

40 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 224 ff., und E. Wandel,<br />

Banken und Versicherungen, S. 30.<br />

41 V. Ullrich, Die nervöse Großmacht 1817-1918. Aufstieg und Untergang<br />

des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt 1999, S. 462.<br />

42 H. Pohl, Die <strong>Sparkasse</strong>n vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis<br />

zum Ende des Zweiten Weltkriegs, in: H. Pohl / G. Schulz, Wirtschafts-<br />

und Sozialgeschichte der deutschen <strong>Sparkasse</strong>n im 20.<br />

Jahrhundert, Stuttgart 2005, 84 f.<br />

43 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 227 f., Zitat: S. 229.<br />

44 E. Wandel, Banken und Versicherungen, S. 22 f.<br />

45 J. Piorkowski, Die deutsche <strong>Sparkasse</strong>norganisation, S. 30.<br />

46 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 239 ff., und J. Piorkowski,<br />

Die deutsche <strong>Sparkasse</strong>norganisation, S. 78 f.<br />

47 J. Piorkowski, Die deutsche <strong>Sparkasse</strong>norganisation, S. 118.<br />

48 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 254.<br />

49 Zur Finanzierung der NS-Rüstung: G. Ashauer, Von der Ersparungscasse,<br />

S. 252 ff., E. Wandel, Banken und Versicherungen, S.<br />

31 f. und H. Pohl, Die <strong>Sparkasse</strong>n vom Ausgang des 19. Jahrhunderts<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, in: H. Pohl / G. Schulz,<br />

Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen <strong>Sparkasse</strong>n im 20.<br />

Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 201 ff.<br />

50 Aus der umfangreichen Literatur zur Besatzungspolitik und zur<br />

Situation nach Kriegsende sind zu empfehlen: W. Benz, Von der<br />

Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, Frankfurt 1984, Th.<br />

Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945-1949, Stuttgart 1983, J.<br />

Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-<br />

1949, Frankfurt 1971, und A. Birke, Nation ohne Haus, Berlin<br />

1989.<br />

51 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 263 ff. Mit dem Altsparergesetz<br />

vom 4.7.1953 strebte die Bundesregierung eine Wiedergutmachung<br />

für die Altsparer und eine Wiedergewinnung des Vertrauens<br />

ins Sparen an. Es gewährte auf das niedrigere Guthaben vom<br />

1.1.1940 oder 20.6.1948 eine Entschädigung von 13,5 Prozent, die<br />

zunächst gesperrt blieben. Die Sparinstitute haben den restlichen<br />

Betrag später aus eigenen Mitteln in voller Höhe freigegeben, vgl.:<br />

Geschäftsbericht 1977, Einhundert Jahre Kreissparkasse Gelnhausen,<br />

hrsg. vom Verwaltungsrat und Vorstand der Kreissparkasse<br />

Gelnhausen, Gelnhausen 1978.<br />

52 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 270 ff. , Zitat S. 270.<br />

53 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 281.<br />

54 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 291 f., und Finanzgruppe<br />

Deutscher <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband, Geschäftszahlen 2001.<br />

Die Angaben für 2001 berücksichtigen nicht die Geschäftszahlen<br />

der Landesbanken und Bausparkassen.<br />

55 www.dsgv vom 8.12.2012.<br />

56 G. Ashauer, Von der Ersparungscasse, S. 293 ff.<br />

57 D. Hoppenstedt, Erfolgreiche Verständigung mit der EU-Kommission,<br />

in: Kommunalwirtschaft, Sonderausgabe April 2002, S. 3 ff.<br />

58 Deutscher <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband (Hrsg.), Starke Leistung<br />

für alle. Deutscher <strong>Sparkasse</strong>ntag in München 2001, Stuttgart<br />

2002, S.7 und 88 ff., Zitat S. 101.<br />

40 41


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Erhard Bus<br />

Der Geschäftsbereich der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist nahezu identisch<br />

mit dem Gebiet der Stadt <strong>Hanau</strong> und dem bis 1974 existierenden<br />

ehemaligen gleichnamigen Landkreis. Der Umfang<br />

dieses Geschäftsbereichs ist folglich nicht das Resultat wirtschaftlicher<br />

Überlegungen, sondern – bis auf einige wenige<br />

Ausnahmen – das Ergebnis eines Jahrhunderte andauernden<br />

Prozesses. Und dieser steht im engsten Zusammenhang mit<br />

den Herren und Grafen von <strong>Hanau</strong>, die noch heute für die<br />

Stadt <strong>Hanau</strong> und damit auch für das größte Geldinstitut in<br />

unserer Region, die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, namensgebend sind.<br />

Deshalb lohnt ein Blick auf die Vergangenheit dieser Familie,<br />

ihres Herrschaftsgebiets und ihrer Nachfolger sowie die<br />

Entstehung des Kreises <strong>Hanau</strong>. Zuvor ist jedoch zu bemerken,<br />

dass die Wirtschaftsgeschichte <strong>Hanau</strong>s und seiner Umgebung<br />

im Folgenden eine gesonderte Darstellung erfährt. Eine saubere<br />

Trennung der beiden Themenbereiche ist zwar nicht immer<br />

möglich, wird hier aber dennoch angestrebt. Vornehmlich<br />

ökonomisch beeinflusste Prozesse und Ereignisse werden<br />

im nächsten Kapitel berücksichtigt.<br />

Das Adelsgeschlecht derer von <strong>Hanau</strong> bestimmte seit dem<br />

Hochmittelalter bis zu seinem Aussterben 1736 über mehr <strong>als</strong><br />

fünfhundert Jahre die Geschicke unserer Region. Seine Herrschaft<br />

entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen zu einem<br />

respektablen Territorium, das von der Reichsstadt Frankfurt<br />

bis nahe an die Tore Fuldas reichte. Außerdem erwarben die<br />

<strong>Hanau</strong>er Herren, die 1429 die Grafenwürde verliehen bekommen<br />

hatten, Streubesitz in der Wetterau, Babenhausen und<br />

die Grafschaft Lichtenberg, die sich vom nördlichen Elsass bis<br />

in die Südpfalz und ins Badische erstreckte. 1<br />

Bei dem ersten urkundlich erwähnten <strong>Hanau</strong>er Herrn handelt<br />

es sich um Tammo de Hagenowa oder Hagenowe (<strong>Hanau</strong>).<br />

Sein Name erscheint erstm<strong>als</strong> 1143 in einer Zeugenreihe<br />

des Erzbistums Mainz. In vorausgegangenen Urkunden wird<br />

er Tammo von Buchen genannt. Seine Sippe ist allerdings<br />

bald danach ausgestorben. Sie waren vermutlich die Besitzer<br />

der südlich von Wachenbuchen gelegenen Burg Buchen und<br />

wohl auch der Burg Hagenowe. 2 Letztere stand dort, wo sich<br />

heute der <strong>Hanau</strong>er Schlosspark befindet. „Hagenowe“ bedeu-<br />

Turmstumpf mit Buckelquadern der Stammburg der Herren von Dorfelden-Hagenowe. Hierbei handelt es sich um die von einem Wassergraben umgebene<br />

Wehranlage nahe der Gemeinde Niederdorfelden. Die urkundliche Ersterwähnung der Wasserburg datiert von 1234, jedoch dürfte sie in ihren Ursprüngen<br />

deutlich älter sein. Erhard Bus<br />

42 43


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

tet so viel wie umhegter Wald an oder in einer Au. Wahrscheinlich<br />

besteht ein Zusammenhang zwischen dem Bau der<br />

Burg und dem umfangreichen Wald „Hagenowe“, von dem<br />

die Stadt ihren Namen erhielt. 3<br />

Die Nachfolge der Herren von Buchen traten die Herren<br />

von Dorfelden an, die sich erstm<strong>als</strong> 1191 von Dorfelden-Hagenowe<br />

und später nur noch von <strong>Hanau</strong> nannten. Ihre Stammburg<br />

liegt etwas nördlich von Niederdorfelden. Es handelt sich<br />

um eine Niederungsburg, die von einem breiten Wassergraben<br />

umgeben ist.<br />

Käufe, Heiraten, Erbschaften<br />

Die Herren von Dorfelden-<strong>Hanau</strong> verstanden es geschickt,<br />

ihr bescheidenes Territorium zu erweitern. Als erfolgreiche<br />

Methoden der Vergrößerung und des Ausbaus ihrer<br />

Landesherrschaft erwiesen sich dabei im Spätmittelalter und<br />

in der Frühen Neuzeit vor allem Käufe, Heiraten, Erbschaften<br />

und Belehnungen.<br />

Jedoch war die Landeshoheit der <strong>Hanau</strong>er in vielen Fällen<br />

nicht unbeschränkt oder ungeteilt, denn Herrschaft setzte<br />

sich dam<strong>als</strong> aus einer Reihe einzelner Privilegien zusammen. 4<br />

Die Durchsetzung unumschränkter Landesherrschaft erfolgte<br />

vor allem durch die Erringung zusätzlicher Herrschaftsrechte<br />

bei gleichzeitiger Zurückdrängung oder Ausschaltung<br />

etwaiger Konkurrenten. Dieser Prozess vollzog sich oft über<br />

Jahrhunderte.<br />

Ausgangspunkt der <strong>Hanau</strong>er Herrschaft zur Mitte des 13.<br />

Jahrhunderts war das Gebiet zwischen Niederdorfelden und<br />

Niederrodenbach. Nicht ganz klar ist, ob Burg und Ort Hagenowe<br />

(<strong>Hanau</strong>) und die unmittelbare Umgebung zum Eigenbesitz<br />

(Allod) der <strong>Hanau</strong>er Herren gehörten. Zur Mitte<br />

des 11. Jahrhunderts hatten nämlich die Mainzer Erzbischöfe<br />

von Kaiser Heinrich IV. (1050–1106) die Besitz- und Hoheitsrechte<br />

für das ursprüngliche Reichsgut in der Nähe der<br />

Kinzigmündung erworben. Die Mainzer Erzbischöfe übertrugen<br />

ihre Rechte um 1150 an das Mainzer Mariengredenstift,<br />

das wiederum die <strong>Hanau</strong>er Adligen – dam<strong>als</strong> nannten sie sich<br />

„von Buchen“ – mit der Ausübung der Vogteirechte (Schutz<br />

und Rechtsprechung) in diesem geistlichen Gebiet beauftragte.<br />

Als Herrschaftssitz und um dieses Amt ausüben zu können,<br />

ließen sie die Burg errichten und versuchten, die Waldungen<br />

Bulau und <strong>Hanau</strong> nach und nach ihrem Herrschaftsbereich<br />

einzuverleiben. 5<br />

Eine wichtige Etappe bei der Ausbildung und Vergrößerung<br />

des Territoriums der Herren und Grafen von <strong>Hanau</strong> bildete<br />

die münzenbergische Erbschaft von 1255, durch die die<br />

<strong>Hanau</strong>er Herren ein Sechstel an Münzenberg und die Herrschaft<br />

Babenhausen erhielten. Später konnte der hanauische<br />

Anteil noch vergrößert werden. Ähnlich verhielt es sich zur<br />

Mitte des 14. Jahrhunderts mit dem Rieneckschen Erbe im<br />

nördlichen Spessart und dem daraus resultierenden Erwerb<br />

der Ämter Bieber, Lohrhaupten, Schlüchtern, Schwarzenfels<br />

und Brandenstein.<br />

Die folgenden Gebietszuwächse konnte <strong>Hanau</strong> während<br />

des Mittelalters erzielen:<br />

• 1261 belehnt Mainz <strong>Hanau</strong> mit Rumpenheim.<br />

• 1262 gibt das Erzbistum Bamberg Tetzelenheim (Windecken)<br />

und Ostheim zu Lehen.<br />

• 1273 kommt Steinau zu <strong>Hanau</strong>.<br />

• 1288 geht Niederdorfelden ganz an <strong>Hanau</strong>.<br />

• 1316 wird das Gericht Brandenstein und das halbe Gericht<br />

Schlüchtern gekauft.<br />

• Um 1350 erwerben die <strong>Hanau</strong>er Herren Marköbel von Falkenstein.<br />

• 1359 erhält <strong>Hanau</strong> einen Anteil von Ortenberg.<br />

Die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg 1631-1634. Seit dem Spätmittelalter waren die Ämter nach der Gemeinde die nächsthöhere Verwaltungseinheit. Im<br />

Westen gehörten zum Amt Bornheimerberg die Orte Bergen, Berkersheim, Bischofsheim, Bockenheim, Eckenheim, Enkheim, Eschersheim, Fechenheim,<br />

Ginnheim, Gronau, Massenheim, Preungesheim und Seckbach. Das Amt Bücherthal bestand aus Bruchköbel, Dörnigheim, Hochstadt, Kesselstadt, Kilianstädten,<br />

Mittelbuchen, Niederissigheim, Niederrodenbach, Oberdorfelden, Oberissigheim, Roßdorf, Rüdigheim, Rumpenheim und Wachenbuchen. Das<br />

Amt Windecken bildeten die gleichnamige Stadt, Eichen, Marköbel, Niederdorfelden und Ostheim. Erbstadt zählte zur Kellerei Naumburg.<br />

<br />

Historisches Museum Frankfurt, Grafische Sammlung<br />

44 45


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

• 1366 erwerben die Herren das Gericht Altenhaßlau, das 1377<br />

endgültig an <strong>Hanau</strong> fällt.<br />

• 1377 erwerben die <strong>Hanau</strong>er das Amt Brandenstein und<br />

im gleichen Jahr kommt die restliche Hälfte des Gerichts<br />

Schlüchtern dazu.<br />

• Im 14. Jahrhundert Erwerb von Eichen (pfälzisches Lehen).<br />

• Um 1400 kommt Erbstadt zu <strong>Hanau</strong>.<br />

• 1390 bis 1510 hält <strong>Hanau</strong> das Pfandrecht an Stadt und Schloss<br />

Soden im Kinzigtal.<br />

• 1434 wird <strong>Hanau</strong> mit dem Landgericht Bornheimerberg<br />

(1481 Vergleich mit Frankfurt) belehnt. 6<br />

• 1457 gelangt das Kloster Schlüchtern unter hanauische<br />

Schutzherrschaft.<br />

• 1478 werden Nauheim, Ginnheim und Eschersheim endgültig<br />

erworben.<br />

• 1500 erlangen die Grafen von <strong>Hanau</strong> die Herrschaft über<br />

das Kloster Schlüchtern und das Kondominat (gemeinsame<br />

Herrschaft) mit Kurmainz über das Freigericht Wilmundsheim<br />

(Alzenau).<br />

In der Frühen Neuzeit verlangsamte sich die Ausweitung<br />

des hanauischen Gebiets zwar, doch konnten die <strong>Hanau</strong>er<br />

Grafen zwischen 1500 und 1750 einige dauerhaftere Erwerbungen<br />

tätigen:<br />

• 1561 kauft <strong>Hanau</strong> das Klosters Naumburg.<br />

• 1572/1578 werden die Dörfer Dorheim, Schwalheim, Rötgen,<br />

Rodheim, Steinbach, Nieder- und Obereschbach erworben.<br />

• 1684 werden die <strong>Hanau</strong>er Grafen durch einen Tauschvertrag<br />

mit Mainz alleinige Besitzer des Biebergrunds und<br />

von Lohrhaupten, während das Erzbistum/Kurfürstentum<br />

Mainz Griesheim und Nied erhält.<br />

• 1719 verkauft man das Amt Brandenstein an Hessen-Kassel.<br />

• 1741 erwirbt der neue Landesherr aus Kassel Holzhausen<br />

(Burgholzhausen).<br />

Beachtenswert ist in diesem Kontext die zeitweilige Ausdehnung<br />

der Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg während des<br />

Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), die dem territorialen<br />

Bestand des heutigen Main-Kinzig-Kreises ähnelt. Diesen<br />

umfangreichen Besitz verdankte sie einem „Geschenk“ König<br />

Gustav Adolfs von Schweden (194–1632), der nach seinen<br />

siegreichen Kriegszügen zeitweilig die deutschen Angelegenheiten<br />

in seinem Sinne ordnete und seine Verbündeten mit<br />

Gebietszuwächsen belohnte. Im Zuge dieser Politik erhielt das<br />

Haus <strong>Hanau</strong> 1631 die gemeinsamen Gebiete mit Mainz sowie<br />

das Amt Orb, die Pfarrei Mömbris und das Amt Steinheim. 7<br />

Dieses Territorium gehörte <strong>Hanau</strong> nur drei Jahre. Diese kurze<br />

Episode war bald nach der verheerenden Niederlage der<br />

Schweden und ihrer Verbündeten bei Nördlingen im September<br />

1634 bereits beendet.<br />

Städte, Dörfer und Ämter<br />

Systematischer Ausbau, Sicherung und Festigung der Herrschaft<br />

<strong>Hanau</strong>s begannen unter Reinhard I. (um 1225–1281)<br />

und seinem Sohn Ulrich I. (um 1250–1306). 8 Dazu gehörten<br />

zum einen die oben geschilderten Methoden, aber zum<br />

andern auch die Gewährung königlicher Privilegien und der<br />

Stadtrechte. In den Jahren zwischen 1288 und 1303 konnten<br />

diese Privilegien für insgesamt vier hanauische Orte erworben<br />

werden. Zunächst gelang dies 1288 für das zu Füßen der<br />

hanauischen Burg gelegene Windecken, später folgten dann<br />

noch Steinau (1290), Babenhausen (1295) und <strong>Hanau</strong> (1303).<br />

Eines sollte man in diesem Zusammenhang bedenken:<br />

Stadtrecht war im Mittelalter mehr <strong>als</strong> nur ein „Ehrentitel“,<br />

mit dem sich heute manche neu ernannte Stadt schmückt. Mit<br />

diesem Privileg waren ehedem handfeste Vorteile verbunden,<br />

die derartige Orte bald signifikant von den Dörfern ihres Um-<br />

lands unterschieden. So erlangten Städte nach der Errichtung<br />

einer Befestigung mit Mauern, Toren und Türmen eine militärische<br />

Bedeutung und sicherten damit die Grenzen einer<br />

Herrschaft. Sie konnten aber ebenso die Ansprüche auf ein<br />

Territorium ausdrücken.<br />

Außerdem versprach die Stadtwerdung wirtschaftlichen<br />

Gewinn. Das Recht zur Durchführung von Märkten ließ<br />

Handel und Handwerk florieren, was den Bürgern einen gewissen<br />

Wohlstand und dem Landesherrn größere Einnahmen<br />

bescherte.<br />

In der Folge der Stadterhebung bildete sich in den privilegierten<br />

Orten oft eine differenzierte Gewerbe- und Sozi<strong>als</strong>truktur<br />

aus. Arbeitete in den Dörfern der allergrößte Teil der<br />

Bewohner <strong>als</strong> Bauern zumeist für den Eigenbedarf auf und<br />

von dem Land, so lebten in Städten, auch in kleineren urbanen<br />

Gemeinwesen wie Windecken und zunächst auch noch in<br />

<strong>Hanau</strong>, neben Bauern (Ackerbürgern) bald eine nennenswerte<br />

Anzahl von Handwerkern, Kaufleuten sowie Verwaltungsund<br />

Hofbediensteten.<br />

Mittelalterliche Städte besaßen zudem eine Ratsverfassung,<br />

die den Bürgern – oder zumindest einem Teil von ihnen – ein<br />

größeres Mitspracherecht garantierte. Und die Städter waren<br />

oft von bestimmten, für die Herrschaft zu leistenden Diensten<br />

befreit. 9<br />

Jenseits des rechtlichen Status der Ortschaften – ob es sich<br />

dabei um eine Stadt, einen Flecken 10 oder ein Dorf handelte –<br />

wurde das Territorium der <strong>Hanau</strong>er Grafen – diese Standeserhöhung<br />

erhielten sie 1429 verliehen – spätestens seit dem Spätmittelalter<br />

in Ämter gegliedert. Im späteren Altkreis <strong>Hanau</strong><br />

entstanden die Ämter Bücherthal, Bornheimerberg (Bergen)<br />

und Windecken. Einige Orte, die später zum Kreis <strong>Hanau</strong><br />

und damit zum Geschäftsbereich der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> gehören<br />

sollten, unterstanden anderen Landesherren. So waren<br />

etwa Steinheim, Großauheim und Großkrotzenburg mainzisch.<br />

Hüttengesäß, Langenselbold, Langendiebach, Neuwiedermus,<br />

Ravolzhausen und Rückingen gehörten zu einer der<br />

isenburgischen Linien.<br />

Die Ämter erfüllten die Aufgaben der lokalen Verwaltung<br />

und wurden von Amtmännern geleitet. Diese waren in älterer<br />

Zeit immer Adlige, später vereinzelt auch Bürgerliche. Die<br />

Aufgaben einer Amtsverwaltung bestanden in der Finanzverwaltung,<br />

in der Rechtsprechung der ersten Instanz sowie in<br />

der Beaufsichtigung der Gemeinden ihres Bezirks. Zusätzlich<br />

sorgten sie für Wege-, Straßen- und Brückenbau, für Angelegenheiten<br />

der Kirche, der Armenfürsorge, der Schulen und<br />

der öffentlichen Sicherheit. Die Verwaltungseinheit „Amt“<br />

mit den geschilderten Obliegenheiten blieb über Jahrhunderte<br />

hinweg bestehen, erst 1821 schuf man im Kurfürstentum<br />

Hessen-Kassel neue Verwaltungsstrukturen. Doch dazu unten<br />

mehr.<br />

Erbverträge, Teilungen, Wiedervereinigungen<br />

Abseits des Ausbaus des Territoriums und der Organisation<br />

der Landesverwaltung der Grafschaft drängte sich zur<br />

Mitte des 15. Jahrhunderts ein anderes Problem in den Vordergrund.<br />

Im Jahr 1452 starb Reinhard III. von <strong>Hanau</strong> (geb.<br />

1412), dessen ungeteiltes Erbe sein dreijähriger Sohn Philipp<br />

antreten sollte. Aus Sorge um den Fortbestand der Familie<br />

einigten sich Verwandte und andere Entscheidungsträger jedoch<br />

auf die Teilung der Grafschaft. So bekam der Bruder<br />

des Verstorbenen, Philipp I., genannt der Ältere (1417–1480),<br />

das Amt Babenhausen <strong>als</strong> eigene Grafschaft. Jener Philipp der<br />

Ältere heiratete 1458 eine der beiden Erbtöchter Ludwigs V.<br />

von Lichtenberg (1417–1474). Nach dessen Tod 1473 erhielten<br />

Anna und Philipp I. die Hälfte der gleichnamigen Herrschaft<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Denkmal Graf Philipp Ludwigs II. des Bildhauers Max Wiese. Die Büste<br />

wurde 1897 errichtet, 1945 zerstört und 1988 mit Unterstützung der<br />

Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> restauriert und am ursprünglichen<br />

Standort wieder aufgestellt. Erhard Bus<br />

Wenige Jahre nach dem Tod Philipp Ludwigs II. brach mit<br />

dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) eine schreckliche Epoche<br />

für die Menschen in der Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg<br />

an. Dabei war das langjährige Ringen um die Vorherrschaft in<br />

Deutschland und Europa von Beginn an kein „totaler Krieg“,<br />

der alle Glieder einer Gemeinschaft zu jeder Zeit und in jeder<br />

Region mehr oder minder betraf, wie etwa im Ersten und im<br />

Zweiten Weltkrieg. Während des Konflikts gab es keine klaren,<br />

sich je nach Kriegsverlauf verschiebenden Fronten. Not,<br />

Elend und Tod traten dann ein, sobald sich ein Heereszug in<br />

der Region befand und sie dauerten über ihren Abzug hinaus<br />

an. In anderen Gegenden, in denen sich keine Soldaten breitgemacht<br />

hatten, lebten die Bewohner weitgehend in Frieden<br />

und so lange von den Kriegsdrangsalen unbehelligt, bis sich<br />

wieder neues Unglück ankündigte.<br />

Nach einer Schlacht oder dem Durchzug eines Heeres brachen<br />

oft Seuchen (Pest, Typhus, Fleckfieber) aus, die unter<br />

den Einheimischen viele Opfer forderten. Deserteure bildeten<br />

Banden und verunsicherten die Gegend noch weit über<br />

das Kriegsende hinaus. Dazu verschlimmerten kriegsbedingte<br />

Ernteausfälle und dadurch verursachte Teuerungen die Not<br />

unter der Zivilbevölkerung noch für Jahre. Wie groß die psychischen<br />

Belastungen gewesen sein mögen – hervorgerufen<br />

beispielsweise durch Angst, Demütigungen oder Misshandlungen<br />

–, darüber gibt es keine oder nur spärliche schriftliche<br />

Belege. Der Schaden lässt sich heute nur noch erahnen.<br />

Die Wetterau und die Untermainregion, in der Mitte des<br />

Reichs gelegen, litten besonders unter den Kriegsgräueln. Hier<br />

dürften die Bevölkerungsverluste über 50 Prozent betragen<br />

haben. 12 Dass dies nicht alleine auf die Übergriffe von Soldaten<br />

zurückzuführen ist, liegt auf der Hand. Die Hauptursaim<br />

nördlichen Elsass. So entstanden die Linien <strong>Hanau</strong>-Münzenberg<br />

und <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg.<br />

Aufgrund des frühen Todes einiger <strong>Hanau</strong>er Regenten aus<br />

der Linie <strong>Hanau</strong>-Münzenberg seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts,<br />

11 dem vermutlich eine Erbkrankheit zugrunde lag,<br />

ergab sich die Notwendigkeit einer verbindlichen Erbregelung<br />

für die Grafschaft. Deshalb wurde 1610 vertraglich festgelegt,<br />

dass beim Aussterben einer Linie der hanauischen Häuser im<br />

Mannesstamm die Grafen der anderen Linie erben sollten.<br />

Dieser Fall trat bereits wenige Jahrzehnte nach Abschluss dieser<br />

Vereinbarung ein, wodurch es notwendig wurde, die Erbschaft<br />

neu zu regeln.<br />

Doch zunächst erlebten die Menschen in und um <strong>Hanau</strong><br />

zwei Ereignisse mit ganz unterschiedlichen Folgen: Im Jahr<br />

1595 bestieg der nicht ganz 19-jährige Philipp Ludwig II.<br />

(1576–1612) den Grafenstuhl und wenige Jahre nach dessen<br />

Tod verheerte der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) die Grafschaft<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg.<br />

Philipp Ludwig II., dessen Denkmal an der Wallonisch-Niederländischen<br />

Kirche heute wieder an sein Wirken erinnert, erhielt<br />

in Dillenburg, wohin seine früh verwitwete Mutter in<br />

zweiter Ehe geheiratet hatte, und in Herborn eine strenge Erziehung<br />

im reformierten (calvinistischen) Sinne. Philipp Ludwig<br />

war für seine Zeit ein sehr belesener und weit gereister junger<br />

Mann (England, Italien, Frankreich, Holland, Böhmen). Noch<br />

nicht ganz zwanzigjährig heiratete er Katharina Belgia (1578–<br />

1648), eine Tochter Wilhelms von Oranien (1533–1584), dem<br />

Führer der Niederländer im Unabhängigkeitskampf gegen die<br />

spanische Krone. Gemäß seiner Überzeugung setzte Philipp<br />

Ludwig den reformierten Glauben rasch und mit aller Entschiedenheit<br />

in seiner Grafschaft durch.<br />

Mit seiner Regentschaft ist gleichfalls die Gründung der<br />

<strong>Hanau</strong>er Neustadt verbunden, die die weitere Entwicklung<br />

des bis dahin beschaulichen Residenzstädtchens <strong>Hanau</strong><br />

grundlegend veränderte. Deshalb ist an dieser Stelle zunächst<br />

ein kurzer Blick zurück auf die frühe Geschichte der Stadt<br />

<strong>Hanau</strong> angebracht.<br />

Im Vergleich mit vielen anderen Orten der Umgebung erfolgte<br />

die urkundliche Ersterwähnung des Namens <strong>Hanau</strong><br />

rela tiv spät: Sie stammt aus dem Jahr 1143. Der erste Beleg der<br />

meisten Orte in der Umgebung datiert wesentlich früher. Beispielsweise<br />

nennt ein Diplom Dorfelden bereits im Jahr 767,<br />

Dörnigheim 793 und Buchen 798. Außerdem bezieht sich das<br />

erste schriftliche Zeugnis mit dem Namen <strong>Hanau</strong> gar nicht<br />

auf den Ort, sondern auf einen Adligen, dessen Familie sich<br />

nach dem Wald südlich der Kinzig („Hagenowe“) nannte und<br />

vermutlich die gleichnamige Wasserburg errichtet hatte.<br />

Im Schutz der Burg ist eine Siedlung entstanden, die aufgrund<br />

der Verleihung der Stadtrechte an <strong>Hanau</strong> im Jahr 1303<br />

und der Verlegung des kleinen gräflichen Hofs dorthin (wahrscheinlich<br />

1436) einen Entwicklungsschub erhielt, der die<br />

bald danach einsetzende erste Stadterweiterung (Hospit<strong>als</strong>traße/Vorstadt)<br />

begünstigte.<br />

Aus der einfachen mittelalterlichen Wasserburg entwickelte<br />

sich im Laufe der Zeit eine respektable Schlossanlage, die<br />

bis zum Bau von Schloss Philippsruhe die Hofhaltung der<br />

Grafschaft beherbergte. Dennoch blieb <strong>Hanau</strong> vorerst für viele<br />

Generationen ein bescheidenes Residenzstädtchen wie viele<br />

andere im Reich.<br />

Das änderte sich jedoch grundlegend mit dem Regierungsantritt<br />

des Grafen Philipp Ludwigs II. von <strong>Hanau</strong>-Münzenberg<br />

(1576–1612). Mit der von ihm durchgesetzten und realisierten<br />

Gründung der Neustadt entstand nicht nur eine<br />

moderne Planstadt der Renaissance, sondern mit ihren Bewohnern<br />

zog auch fortschrittlicher Wirtschaftsgeist ein. Dieser<br />

Prozess und seine Auswirkungen für die Stadt werden im<br />

folgenden Kapitel ausführlich beschrieben.<br />

Doch schon bald nach dem Beginn der Bauarbeiten für die<br />

Neustadt gerieten die Bewohner der Grafschaft in den Strudel<br />

dramatischer politischer und militärischer Ereignisse.<br />

Dreißig Jahre immer wieder Krieg und die Folgen<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

che hierfür ist in den von Soldaten eingeschleppten Pest- und<br />

Typhusepidemien zu sehen. Schon zu Anfang der 1620er-Jahre<br />

wurden viele Orte im Westen der Grafschaft von spanischen<br />

Truppen überfallen und ausgeplündert. Doch erst im Anschluss<br />

an die Niederlage der Schweden in der Schlacht bei<br />

Nördlingen am 6. September 1634 zeigte sich der Große Krieg<br />

in unserer Region von seiner grausamsten Seite.<br />

Zeitweise lagerten Truppen beider Kriegsparteien zeitgleich<br />

in der <strong>Hanau</strong>er Gegend und nahmen dort Quartier.<br />

Die Kosten für die Versorgung und Besoldung dieser Einheiten<br />

hatten die Bewohner des betroffenen Gebiets aufzubringen.<br />

Doch dabei blieb es nicht. Die Soldateska requirierte die<br />

Ernten, stahl das Vieh, weidete die Felder ab, brandschatzte<br />

und steckte Dörfer in Brand, vergewaltigte, mordete und verbreitete<br />

Seuchen.<br />

Der Rauch über den verbrannten Ortschaften dürfte kaum<br />

verzogen gewesen sein, <strong>als</strong> sich neues Leid für die Bewohner<br />

der Grafschaft ankündigte. Im September 1635 zog südlich<br />

des Mains eine kaiserliche Armee mit rund 3.000 Mann heran,<br />

um die Festung <strong>Hanau</strong> zum zweiten Mal nach 1629/30 zu<br />

blockieren und zu erobern.<br />

Während der Blockade führte General Wilhelm von Lamboy<br />

(um 1590–1659) das Kommando über die Belagerungsarmee.<br />

Rasch errichtete man Schanzen um <strong>Hanau</strong> herum und<br />

requirierte in der Umgebung, was noch zu holen war. Viele<br />

Menschen aus den umliegenden Dörfern hatten schon beim<br />

Herannahen der Kaiserlichen ihr Bündel gepackt und waren<br />

in abgelegene Landstriche ausgewichen, andere zogen die<br />

Flucht in die nahe Festungsstadt <strong>Hanau</strong> vor. Dort herrschte<br />

drangvolle Enge und bald stellte sich, trotz der Umsicht des<br />

in schwedischen Diensten stehenden Festungskommandanten<br />

Jakob Ramsay (1589-1639), Hunger ein. Zudem forderte ein<br />

erneuter Pestausbruch, begünstigt durch katastrophale Wohnverhältnisse,<br />

mangelhafte Ernährung und schlechte Hygiene<br />

der Belagerten, viele Opfer.<br />

Neun lange Monate hatte die Blockade gedauert, bis endlich<br />

eine hessisch-schwedische Endsatzarmee heranrückte und<br />

<strong>Hanau</strong> im Juni 1636 befreite. Danach folgten einige friedlichere<br />

Jahre für die Grafschaft.<br />

Doch die Bilanz für die vorangegangenen Jahre fiel erschütternd<br />

aus. Entsprechende Angaben enthält beispielsweise<br />

ein Schreiben von „Rat und Bürgerschaft zu Windecken“<br />

an Fürstin Sybille Christine (1603–1686), Witwe von Graf<br />

Philipp Moritz von <strong>Hanau</strong>-Münzenberg (1605–1638), vom<br />

Beginn des Jahres 1641. Darin bitten sie die Herrschaft, dem<br />

Amt Windecken die Zahlung für Kontributionen zu erlassen.<br />

Wörtlich ist dort zu lesen: „Jedoch will unß solches ganz unmöglich<br />

fallen, in dem das Stättlein ganz ruiniert, verdorben,<br />

eingeäschert, und umb ein Geringes noch zu thun, dass die<br />

Mauern wohl gar einfallen werden, und gar einem Flecken<br />

verglichen werden kann. Und ob schon des Nahmens hatt,<br />

dass solches Theil Contribution dem ganzen Ampt zu geschrieben<br />

sey, so sindt dessen Flecken ganz zernichtet, im Flecken<br />

Ostheimb ist fast kein Underthan mehr furhanden, der<br />

Flecken Eichen ist ganz zernichtet, die wenig uberpliebenen<br />

Leuth sindt hin und wider zerstreuet, Marköbel ist im gleichen<br />

Statu und Übelstandt, daß dahero die ganze Last dem<br />

armen verdorbenen Stättlein über den Halß erwachsen thut,<br />

und lassen unß die verbrande Herdstätt und den Augenschein<br />

Zeugnuß geben. Wie es mit uns selbsten beschaffen, ist leider<br />

Gott Erbarmens.“<br />

Zum Ausmaß der Zerstörungen in der Region während des<br />

Dreißigjährigen Krieges hier weitere Beispiele:<br />

• In Roßdorf blieben von 73 Hofreiten lediglich 16 erhalten. In<br />

Oberissigheim waren es noch vier Häuser. Niederissigheim<br />

galt <strong>als</strong> völlig vernichtet. 13 Entsatz <strong>Hanau</strong>s am 23 (13). Juni 1636. Ausschnitt aus dem sogenannten Belagerungsplan, Kupferstich. Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

50 51


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Auflistung von Brotmengen zur Versorgung einer angekündigten bayerischen<br />

Armee durch die Orte in den Ämtern Bücherthal und Windecken.<br />

<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

• In Bruchköbel überstanden lediglich drei Gebäude den<br />

Krieg. Das Kirchenprotokollbuch weiß zu berichten, dass<br />

der Ort nahezu dem Erdboden gleichgemacht worden war<br />

„1635 brannte der Ort von Feindeshand gezündet gänzlich ab,<br />

bis auf den 1410 erbauten Thurm; und <strong>als</strong> späterhin der Pfarrer<br />

J. A. Riccius von Roßdorf nach Bruchköbel versetzt wurde,<br />

so bemerkte dieser: ‚Die Predigt habe ich in Herrn Schultheißen<br />

Hans Heuffen Scheuer gehalten, denn es war nichts mehr<br />

von dem eingeäscherten Flecken übrig, <strong>als</strong> die Rudera oder blose<br />

Mauern‘, der ganze Flecken beneben Kirche, Pfarr und Schulhaus,<br />

zwei oder drei Häuser ausgenommen, ist, wie wir leider<br />

wohl wissen und erfahren haben, Anno 1635 mense Septembris<br />

durch die kaiserliche und hispanische Kriegsarmada jämmerlich<br />

eingeäschert worden, es war kein Dach, keine Glocke etc.<br />

nichts mehr da, es waren große Hollerbäume in der Kirche gewachsen.“<br />

14<br />

• Die Kilianstädter bauten von ihrem Ort, wo nach dem langen<br />

Krieg nur noch vier Häuser bewohnbar waren, nur das<br />

Unterdorf wieder auf. Vom Oberdorf, das auf dem Areal um<br />

den heutigen Friedhof lag, ist nichts mehr vorhanden. Es war<br />

mitsamt der ehemaligen Hauptkirche Kilianstädtens während<br />

des Krieges völlig abgebrannt. 15<br />

Nach den Verwüstungen vor allem von 1634 bis 1636 und<br />

nochm<strong>als</strong> kurz vor Kriegsende (1646) dauerte es drei bis fünf<br />

Generationen, bis man die immensen Verluste an Menschenleben<br />

wieder ausgeglichen hatte.<br />

Wie konnte dies geschafft werden? Natürliche Vermehrung<br />

reichte dafür alleine keineswegs aus. Sicher kamen auch einige<br />

Geflüchtete nach Friedensschluss in ihre Dörfer zurück. Doch<br />

letzten Endes konnten die Ausfälle nur durch Zuwanderung<br />

von Menschen ausgeglichen werden, die in die Wetterau oder<br />

an den Untermain kamen, um brachliegendes, aber fruchtbares<br />

Land zu bewirtschaften. 16 In Niederrodenbach, um nur ein<br />

Beispiel zu nennen, waren von den zwischen 1650 und 1659<br />

eingesegneten 38 Brautleuten 21 ortsfremd. Bis 1687 kamen<br />

Zuwanderer aus der Pfalz, Schwaben, Nordhessen, Thüringen<br />

und dem Braunschweigischen, aus Flandern, Lothringen,<br />

Kärnten, dem Salzburger Land und der Schweiz in den Ort. 17<br />

In Neuhanau konnten die Verluste rascher ausgeglichen<br />

werden. Vor allem Lothringer aus Metz und Pfälzer ließen<br />

sich hier nieder. 18 Ursachen für ihre Immigration dürften der<br />

endgültige Verlust großer Gebiete im Westen des Reiches an<br />

Frankreich aufgrund der Vereinbarungen des Westfälischen<br />

Friedens und die Verwüstung weiter Teile der Pfalz durch<br />

französische Truppen während des Pfälzischen Erbfolgekriegs<br />

(1688–1697) gewesen sein. Insgesamt verzeichnete allein<br />

Neuhanau für die Periode von 1657 bis 1672 exakt 427<br />

Neubürger und für die Jahre von 1700 bis 1715 sogar 704, die<br />

mit ihren beruflichen Kenntnissen und mitgebrachtem Kapital<br />

dem Wirtschaftsleben der Stadt neue Impulse geben konnten.<br />

19 Dazu gesellten sich nach der Aufhebung des Edikts von<br />

Nantes 1685 noch Hugenotten, die hier aufgrund der früheren<br />

Ansiedlung von Wallonen in der ihnen vertrauten Sprache<br />

den Gottesdienst feiern und wohl auch manches Geschäft abschließen<br />

konnten. 20<br />

Lutherischer Graf erbt reformierte Grafschaft<br />

Bei der <strong>Hanau</strong>er Grafenfamilie gab es gegen Ende des Großen<br />

Krieges schwerwiegende Veränderungen. In weniger <strong>als</strong><br />

vier Jahren starben drei <strong>Hanau</strong>er Regenten. Die Bestimmung<br />

des weiter oben erwähnten Erbvertrags von 1610, wonach beim<br />

Erlöschen der Linie <strong>Hanau</strong>-Münzenberg im Mannesstamm<br />

die lutherischen Grafen von <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg aus dem Elsass<br />

nachfolgen sollten, trat damit 1642 in Kraft. 21 Allerdings<br />

konnte der erbberechtigte 19-jährige Graf Friedrich Casimir<br />

von <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg (1623–1685) nur inkognito von der<br />

linken Rheinseite nach <strong>Hanau</strong> gelangen, denn die Nachbarn<br />

machten ebenfalls Ansprüche auf das hanauische Erbe geltend<br />

und hätten womöglich die Ankunft in seiner neuen Residenz<br />

verhindert. Für den Fall der Fälle schloss man umgehend einen<br />

neuen Erbvertrag: Stürbe die Linie <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg<br />

aus, fiele danach die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg an die<br />

Landgrafschaft Hessen-Kassel, die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg<br />

an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. 22 Doch<br />

zunächst erfolgte unter Friedrich Casimir von <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg<br />

erst einmal die Wiedervereinigung der hanauischen<br />

Territorien Münzenberg und Lichtenberg.<br />

Friedrich Casimir darf <strong>als</strong> eine der schillerndsten Figuren<br />

unter den <strong>Hanau</strong>er Grafen gelten, nicht zuletzt weil mit<br />

seinem Namen ein koloniales und finanzielles Abenteuer<br />

im südamerikanischen Guayana („<strong>Hanau</strong>isch-Indien“ oder<br />

„Neu-Teutschland“) verbunden ist. 23<br />

Nach dem Tod Friedrich Casimirs wurden die hanauischen<br />

Grafschaften 1685 unter seinen beiden Neffen Philipp Reinhard<br />

(1664–1712), dem Erbauer von Schloss Philippsruhe, und<br />

Johann Reinhard III. (1665–1736) nochm<strong>als</strong> geteilt, um dann<br />

unter dem Letztgenannten von 1712 bis 1736 letztmalig vereint<br />

zu werden.<br />

Während der Regentschaft der lutherischen Grafen von<br />

<strong>Hanau</strong>-Lichtenberg erfuhr die lutherische Konfession im reformierten<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg eine entschiedene Förderung.<br />

Es entstanden in vielen hanauischen Orten lutherische Kirchen<br />

und Schulen. Außerdem kamen zahlreiche Lutheraner<br />

in die reformierte Grafschaft, was mancherorts zu jahrelangen<br />

Animositäten und Reibereien zwischen den Eingesessenen<br />

und den neuen Untertanen führte.<br />

Erst die <strong>Hanau</strong>er Union von 1818 vereinigte schließlich die<br />

beiden protestantischen Hauptkonfessionen der ehemaligen<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Ansicht der beiden Städte <strong>Hanau</strong> von Osten aus dem Jahr 1683. Kupferstich, Zeichner Johann Philipp Dreyeicher, Stecher Nikolaus Haublin. Man erkennt<br />

links die Neustadt mit der Französischen Kirche (Niederländisch-Wallonische Kirche) und dem Nürnberger Tor sowie rechts die Altstadt mit der<br />

Deutsch-Reformierten Kirche (Marienkirche), der Evangelisch-Lutherischen Kirche (Johanneskirche) und dem Stadtschloss.<br />

<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

Ansicht Windeckens um 1800. Gouache von L. Wörner. Links das Heldenberger Tor und die Reformierte Kirche (heute Evangelische Stiftskirche) und rechts<br />

die Lutherische Kirche und das Kilianstädter Tor. <br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg zu einer unierten evangelischen<br />

Kirche. Die Wallonisch-Niederländische Gemeinde in<br />

der Neustadt <strong>Hanau</strong> ist bis heute bei ihrem vertrauten reformierten<br />

Bekenntnis geblieben.<br />

Mit dem Tod von Johann Reinhard III. am 28. März 1736<br />

fielen die hanauischen Stammlande (Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg)<br />

entsprechend dem Vertrag von 1643 in Personalunion<br />

an die Landgrafen von Hessen-Kassel. Mit anderen Worten:<br />

Hessen-Kassel verleibte sich die Erbschaft nicht einfach<br />

ein, sondern <strong>Hanau</strong>-Münzenberg behielt vorerst seine staatsrechtliche<br />

Eigenständigkeit. Man besaß in <strong>Hanau</strong> weiterhin<br />

eigene Truppen und führte keine Ständeversammlung ein.<br />

<strong>Hanau</strong>-Lichtenberg kam vereinbarungsgemäß an die<br />

Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Hier konnten die Darmstädter<br />

Landgrafen ihre Landesherrschaft allerdings nur eingeschränkt<br />

ausüben, da das Elsass seit 1681 unter französischer<br />

Oberhoheit stand. Hinsichtlich des Amtes Babenhausen gab<br />

es Unstimmigkeiten zwischen Kassel und Darmstadt, die erst<br />

nach längeren Streitigkeiten zugunsten der südhessischen Linie<br />

geklärt werden konnten.<br />

Die beiden hanauischen Landesteile waren zwar kleine,<br />

aber respektable Territorien. Die Bevölkerung der Grafschaft<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg betrug zur Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

knapp 50.000 Einwohner, davon lebten über 11.000 Menschen<br />

in Alt- und Neuhanau, der Rest in den vier Städten<br />

(Windecken, Steinau, Babenhausen und Schlüchtern), den<br />

neun Flecken (Bergen, Dörnigheim, Dorheim, Dudenhofen,<br />

Hochstadt, Marköbel, Nauheim, Niederrodenbach und Rodheim)<br />

und 72 Dörfern. <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg zählte neun Städte<br />

und 152 Dörfer mit insgesamt mehr <strong>als</strong> 60.000 Einwohnern. 24<br />

Unter Erbprinz Wilhelm (1743–1821, ab 1764 Graf von <strong>Hanau</strong>-Münzenberg,<br />

ab 1785 Landgraf Wilhelm IX., ab 1803<br />

Kurfürst) blühte <strong>Hanau</strong> dann von 1764 bis 1785 nochm<strong>als</strong><br />

und auch letztm<strong>als</strong> <strong>als</strong> Residenz auf, doch dazu mehr im<br />

nächsten Kapitel.<br />

Im Jahr 1803 erhielt Hessen-Kassel durch den Reichsdeputationshauptschluss<br />

die einstm<strong>als</strong> wichtige Kurwürde sowie<br />

das Freigericht und Gelnhausen zugesprochen. Gleichzeitig<br />

erfuhr die Grafschaft <strong>Hanau</strong> eine protokollarische Aufwertung<br />

und wurde zum Fürstentum <strong>Hanau</strong> erhoben. Allerdings<br />

änderten sich die alten staatsrechtlichen Verhältnisse dahingehend,<br />

dass man <strong>Hanau</strong>-Münzenberg dem nunmehrigen Kurfürstentum<br />

Hessen voll eingliederte.<br />

Frühere Gebietsreformen<br />

Die Auswirkungen der Französischen Revolution (1789)<br />

verschonten auch die Region nicht. Nach dem Sieg Napoleon<br />

Bonapartes (1769–1821) über die Preußen und ihre Verbündeten<br />

bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806 löste der französische<br />

Kaiser das neutrale Kurfürstentum Hessen ganz auf.<br />

Die Region um <strong>Hanau</strong> blieb zunächst direkt unter französischer<br />

Verwaltung, bis sie 1810 dem neu gegründeten Großherzogtum<br />

Frankfurt eingegliedert wurde.<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Dieser Staat war eine kurzlebige Schöpfung (1810–1813)<br />

unter dem vormaligen Mainzer Erzbischof und nunmehrigen<br />

Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg (1744–1817)<br />

<strong>als</strong> Landesherrn. Sein Herrschaftsgebiet setzte sich aus dem<br />

Fürstentum Aschaffenburg, der Grafschaft Wetzlar, dem<br />

Fürstentum <strong>Hanau</strong>, Teilen des Fürstentums Fulda und der<br />

ehemaligen Reichsstadt Frankfurt zusammen. Im Großherzogtum<br />

Frankfurt lebten etwa 300.000 Menschen. Frankfurt<br />

selbst zählte gut 40.000, <strong>Hanau</strong> 12.000 und Aschaffenburg<br />

6.000 Bewohner. Wirtschaftlich und konfessionell war<br />

das Territorium sehr uneinheitlich und stand <strong>als</strong> Rheinbundstaat<br />

in enger Abhängigkeit von Napoleon. Die Konstitution<br />

nennt ausdrücklich dem Kaiser zu stellende Truppenkontingente,<br />

die Tributzahlungen und zu leistende Abgaben aus den<br />

fürstlichen Domänen. Nach Dalbergs Ableben sollte überdies<br />

der Stiefsohn des französischen Kaisers dessen Nachfolge antreten.<br />

25<br />

In <strong>Hanau</strong> wurden während der französischen Besatzungszeit<br />

von 1806 bis 1810 eine Reihe von Reformen (Judenemanzipation<br />

mit der Öffnung des Ghettos in der heutigen<br />

Nordstraße, freie Religionsausübung für die Katholiken und<br />

Erleichterungen im Wirtschaftsleben) realisiert, ansonsten<br />

ging die Erneuerung nach französischem Vorbild im Rheinbundstaat<br />

Großherzogtum Frankfurt (1810–1813) recht verhalten<br />

vonstatten. 26<br />

Nach den Niederlagen Napoleons in Russland (1812), in der<br />

Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813) und Waterloo (Juni<br />

1815) ordneten die Monarchen und Staatsmänner Europas<br />

auf dem Wiener Kongress (1814/15) die Verhältnisse neu. Das<br />

Großherzogtum Frankfurt verschwand von der Landkarte.<br />

Das Kurfürstentum Hessen-Kassel bekam seinen alten Besitzstand<br />

zurück, noch vergrößert durch das Fürstbistum Fulda,<br />

mehrere isenburgische Ämter und die ehem<strong>als</strong> mainzischen<br />

Orte Großauheim, Großkrotzenburg und Oberrodenbach.<br />

Damit erhielt <strong>Hanau</strong> eine Landverbindung zu den nordhessischen<br />

Stammlanden des Kurfürstentums.<br />

Mit dem kurhessischen Organisationsedikt von 1821 sollten<br />

die Grundlagen geschaffen werden, um das Land nach preußischem<br />

Muster regional zu gliedern. Als oberste Regierungsstelle<br />

diente das Staatsministerium mit den vier Departements Justiz,<br />

Inneres, Finanzen und Auswärtige Angelegenheiten. Dem<br />

Innenministerium waren vier Provinzialregierungen in Kassel,<br />

Marburg, Fulda und <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> Mittelinstanzen nachgeordnet.<br />

Gleichfalls ersetzten von nun an die Kreise oder Kreisämter<br />

die Ämter und man führte die Trennung von Justiz und<br />

Verwaltung ein. Die alten Ämter dienten seither lediglich<br />

noch <strong>als</strong> Justizverwaltungseinheiten.<br />

Die Provinz <strong>Hanau</strong> umfasste die neu eingerichteten Kreise<br />

(„Kreisämter“) <strong>Hanau</strong>, Gelnhausen, Salmünster und Schlüchtern.<br />

Diese Verwaltungseinteilung erfuhr 1830 durch die Auflösung<br />

des Kreises Salmünster eine teilweise Revision. Die<br />

Gemeinden des Justizamts Salmünster kamen zum Kreis<br />

Schlüchtern, die Gemeinden der Gerichte Birstein und Wächtersbach<br />

wurden dem Kreis Gelnhausen zugeschlagen, vom<br />

Kreis Gelnhausen gingen die Orte des Gerichts Langenselbold<br />

mit dem gleichnamigen Ort sowie Langendiebach, Ravolzhausen,<br />

Rückingen, Hüttengesäß und Neuwiedermus an den<br />

Kreis <strong>Hanau</strong>.<br />

<strong>Hanau</strong>er Krawaller<br />

Abseits dieser Umgestaltung der regionalen Landkarte<br />

bestimmten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soziale<br />

und politische Konflikte das Geschehen in <strong>Hanau</strong>.<br />

Diese resul tierten hauptsächlich aus den Absatzproblemen<br />

der <strong>Hanau</strong>er Luxuswarenindustrie (Edelmetallgewer-<br />

Beschießung der Stadt in der Nacht vom 30. auf den 31 Oktober 1813. Gemälde von Konrad Westermayr. Man erkennt deutlich die Kinzigbrücke und die<br />

brennende Vorstadt. <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

be, Teppichwirkereien). Hervorgerufen wurden sie durch die<br />

politischen Umwälzungen infolge der Französischen Revolution,<br />

die Kontinent<strong>als</strong>perre und die Begünstigung französischer<br />

Erzeugnisse während der napoleonischen Epoche. Noch<br />

verstärkt wurden sie anschließend durch die rigide Zollpolitik<br />

der kurhessischen Regierung. Eine hohe Arbeitslosigkeit unter<br />

den Manufakturarbeitern, die diese vom Export abhängigen<br />

Luxuswaren herstellten, war die Folge.<br />

Zum spannungsgeladenen Verhältnis zwischen der Regierung<br />

in Kassel und dem Süden des Kurstaats während des<br />

Vormärz heißt es treffend: „Die südlichen Provinzen <strong>Hanau</strong><br />

und Fulda mit dem Schwerpunkt der Stadt <strong>Hanau</strong> waren besonders<br />

anfällig für revolutionäre Erhebungen. Die soziale Struktur<br />

der Bevölkerung, 30 Prozent zählten zu den Armen, die wirtschaftliche<br />

Schwäche, wenig Bürokratie und kaum Adel waren<br />

ideale Voraussetzungen.<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Kurhessen war es nicht gelungen, die beiden Provinzen in sein<br />

Staatsgefüge tatsächlich zu integrieren, so dass der Gedanke der<br />

Sezession breiten Raum fand. Nicht wenige empfanden die Provinzen<br />

<strong>als</strong> ‚kurhessisch Sibirien’ oder den ‚Fußschemel der Hessen‘.“<br />

27<br />

Ähnlich beschrieb es <strong>Hanau</strong>s Oberbürgermeister Bernhard<br />

Eberhard (1795–1860) in seinen Memoiren: „In der ganzen<br />

Staatsverwaltung zeigte sich überhaupt kein Wohlwollen für das<br />

Land und dessen Interessen; statt den Wohlstand zu heben wurde<br />

demselben hindernd entgegengetreten. Der Verfolgungsgeist und<br />

die Unterdrückung edler Bestrebungen machte sich vorzugsweise<br />

in <strong>Hanau</strong> geltend.“ 28<br />

Aufgrund der oben geschilderten Verhältnisse sprang der<br />

Funke der französischen Julirevolution von 1830 bald nach<br />

<strong>Hanau</strong> und Umgebung über, wo man vehement gegen die bestehenden<br />

Verhältnisse aufbegehrte.<br />

Am 24. September demolierte eine aufgebrachte Menge<br />

eine Mautstation und das „Licentamt“, im Volksmund „Letztes-Hemd-Amt“<br />

genannt. Am gleichen Tag wurde auch das<br />

Windecker Zollhaus demoliert. Andernorts nötigte man Beamte,<br />

amtliche Papiere herauszugeben, die dann öffentlich<br />

verbrannt wurden. 29<br />

Der blutige Höhepunkt der <strong>Hanau</strong>er Unruhen ereignete<br />

sich am 22. November 1830. Beim Versuch einer aufgebrachten<br />

Menschenmenge, einige gefangene Gesinnungsgenossen<br />

zu befreien, kam es zu einer Schießerei, bei der kurhessisches<br />

Militär mehrere Personen erschoss. Mit dem Einschreiten der<br />

<strong>Hanau</strong>er Bürgergarde ließ sich die Situation zwar beruhigen,<br />

doch die Unzufriedenheit dauerte an. 30<br />

Diese Stimmung machte sich in der Folgezeit vornehmlich<br />

verbal und publizistisch Luft. Sichtbarer Ausdruck der Unzufriedenheit<br />

weiter Bevölkerungskreise war das Wilhelmsbader<br />

Fest mit fast 10.000 Teilnehmern am 22. Juni 1832, <strong>als</strong> zahlreiche<br />

Redner von der Regierung entschiedene Reformen verlangten.<br />

Daneben gab es in <strong>Hanau</strong> ultraliberale Blätter, die<br />

die Kasseler Politik heftig angriffen.<br />

Die in mannigfaltiger Weise geübte drastische Kritik an<br />

den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen,<br />

verbunden mit gezielten Aktionen gegen bestimmte<br />

Einrichtungen der Obrigkeiten brachte den <strong>Hanau</strong>ern die Bezeichnung<br />

„Krawaller“ ein. 31<br />

Das den <strong>Hanau</strong>ern damit attestierte aufmüpfige Wesen,<br />

ihr ausgelassenes Temperament und die vermeintliche Empfänglichkeit<br />

für Neuerungen begründeten manche mit dem<br />

fremdländischen Einfluss durch die Zuwanderer aus der Wallonie<br />

und Frankreich. So charakterisierte der Kasseler Historiker<br />

und Archivar Georg Landau (1807–1865) die <strong>Hanau</strong>er<br />

im Jahr 1842 wie folgt: „Die <strong>Hanau</strong>er sind aufgeschlossen<br />

und empfänglich für alles Neue. Was der Süddeutsche gegen den<br />

Norddeutschen, das ist der <strong>Hanau</strong>er gewissermaßen gegen den<br />

Althessen. Leicht empfänglich für neue Ideen, tätig und gewandt,<br />

lebendig und fröhlich, so zeigt sich der <strong>Hanau</strong>er, in dessen Adern<br />

noch unverkennbar das französische und wallonische Blut fortwirkt.“<br />

Und an anderer Stelle wird er noch ausführlicher: „Der<br />

<strong>Hanau</strong>er ist der hessische Südländer. Wenn auch die Kultur hier<br />

schon die älteren Formen eines Volksthums meist verwischt hat,<br />

so ist doch der <strong>Hanau</strong>er nicht ohne volksthümliches Leben. Fest<br />

hängt er an seinem schönen Boden, und nennt sich lieber einen<br />

<strong>Hanau</strong>er, denn einen Hessen. Sein singender Dialekt und das damit<br />

verbundene Abkürzen des n an den Endungssilben bezeichnet<br />

den Mainländer. Er ist munter und heiter und bekümmert<br />

sich wenig um den folgenden Tag. Eine fröhliche Stunde erkauft<br />

er unbedenklich mit Tagen voll Entbehrung. Leicht aufregbar,<br />

hängt er wenig am Alten und ergreift neue Ideen mit Lebhaftigkeit.<br />

Darum ist er dann aber auch industriöser <strong>als</strong> die übrigen<br />

Kurhessen und sein heller Geist führt ihn über Hindernisse,<br />

vor denen viele andere verzweifeln. Freilich ist der Charakter des<br />

<strong>Hanau</strong>ers auch nicht ohne Schattenseiten: sein leichter Sinn geht<br />

häufig in Leichtsinn und sein gerades Wesen nicht selten in eine<br />

Rohheit über, die eben darum um so verletzender wirkt, je weniger<br />

dieselbe aus bäuerlicher Einfachheit entspringt.“ 32<br />

Ähnlich, aber nicht so wortreich, klingt es bei Veit Valentin<br />

(1885–1947), einem profunden Kenner der Revolution von<br />

1848/49 aus der Zeit der Weimarer Republik: „Die <strong>Hanau</strong>er<br />

Mainfranken waren in dem Kurfürstentum mit ihrer hitzigen<br />

Gesprächigkeit, mit ihrer Neigung zum politischen Extrem ein<br />

fremdes, ja unheimliches Element.“ 33<br />

Allerdings sei einschränkend angemerkt: Mentalitäten lassen<br />

sich nur sehr schwer ergründen und ob und inwieweit sie<br />

die Bereitschaft der <strong>Hanau</strong>er für Krawall und revolutionäre<br />

Erhebung vorbestimmten, sei dahingestellt und lässt sich wohl<br />

nie mit Gewissheit klären. Offensichtlich und nachvollziehbarer<br />

aber ist: Die lang anhaltende wirtschaftliche Not eines<br />

beträchtlichen Teils der Bevölkerung heizte ihren Unmut über<br />

die herrschenden Zustände an.<br />

Auch ist es nicht bei den Krawallen vom Herbst 1830 in<br />

<strong>Hanau</strong> geblieben, da die Ursachen für die weitverbreitete Unzufriedenheit<br />

keineswegs beseitigt wurden und neue Krisen<br />

hinzukamen.<br />

Erhebungen in Stadt und Land<br />

Nicht zuletzt aufgrund der unvermindert fortbestehenden<br />

wirtschaftlichen Probleme, die durch die Missernten der Jahre<br />

1846 und 1847 noch verschärft wurden, fielen Ende Februar<br />

1848 die Nachrichten von der erneuten Revolution in Paris<br />

vor allem in Südwestdeutschland auf fruchtbaren Boden.<br />

Rasch breiteten sich die Unruhen aus. Das 16.000 Einwohner<br />

zählende <strong>Hanau</strong> spielte in den Märztagen des Jahres 1848<br />

hier bei eine führende Rolle. 34 In den ersten Wochen der Erhebung<br />

herrschte in <strong>Hanau</strong> zügelloses Durcheinander. Eine<br />

Volksversammlung jagte die nächste, unaufhörlich wurden<br />

Katzenmusiken 35 dargebracht, Wilddiebereien, Zechprellereien,<br />

Steuerverweigerungen und Holzdiebstähle waren an der<br />

Tagesordnung. Aus Angst vor unabsehbaren Folgen griff die<br />

Kasseler Regierung nicht ein. <strong>Hanau</strong> und Umgebung führten<br />

zeitweise ein fast republikanisches Sonderdasein.<br />

Bereits am 29. Februar 1848 wurden die ersten Forderungen<br />

gegenüber dem Landesherrn in Kassel formuliert, die er<br />

zunächst nur teilweise erfüllte. Daraufhin schwoll die revolutionäre<br />

Stimmung in <strong>Hanau</strong> weiter an. Ein weniger im Inhalt<br />

<strong>als</strong> in Form und Ton für die deutsche Geschichte bis dahin<br />

ungewöhnliches und der üblichen Untertänigkeitsfloskel entbehrendes<br />

Schriftstück, das „<strong>Hanau</strong>er Ultimatum“, forderte<br />

Kurfürst Friedrich Wilhelm I. (1802–1875) zu weiter gehenden<br />

Reformen auf.<br />

Die Zeit bis zur Entscheidung des Kurfürsten nutzten beide<br />

Seiten zur Mobilmachung. In <strong>Hanau</strong> errichtete man Barrikaden,<br />

verteilte Waffen und erhielt Zuzug von Freiwilligen<br />

aus anderen Teilen Deutschlands, während in den Dörfern<br />

rundum einsatzbereite kurfürstliche Infanterie-, Kavallerieund<br />

Artillerieeinheiten kampierten. Friedrich Wilhelm I. gab<br />

dann am 11. März nach, wohl aus Angst, die Stadt könnte zum<br />

Auslöser der offenen Rebellion in ganz Deutschland werden. 36<br />

Die Stadt <strong>Hanau</strong> war sicherlich das Gravitationszentrum<br />

der Erhebung in der Region. Hier fanden große Volksversammlungen<br />

statt, an denen viele aus den umliegenden Ortschaften<br />

teilnahmen, die dann zu Hause über das berichteten,<br />

was sie in <strong>Hanau</strong> aufgeschnappt hatten. Außerdem sprachen<br />

<strong>Hanau</strong>er Demokraten bei Versammlungen in der Umgebung.<br />

Auch auf dem Land zeigte man anfangs große Begeisterung<br />

für die Ideen der „48er“. So kamen etwa am 12. April 1848 in<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Langenselbold rund 1.500 Teilnehmer<br />

zu einer Volksversammlung zusammen,<br />

um die Reden des neuen „linken“ <strong>Hanau</strong>er<br />

Oberbürgermeisters August Rühl<br />

(1815–1850) und des legendären „Turnvaters“<br />

Friedrich Ludwig Jahn (1778–<br />

1852) zu hören. 37<br />

In Stadt und Provinz <strong>Hanau</strong> überwogen<br />

ganz eindeutig die radikal-demokratischen<br />

Vereine. Deren Mitglieder verlangten<br />

tief greifende Veränderungen in<br />

der Gesellschaft und die Errichtung einer<br />

Republik. Gruppierungen des gemäßigten<br />

bis konservativen Bürgertums,<br />

forderten dagegen zwar auch größere<br />

bürgerliche Freiheiten und die Teilhabe<br />

an der politischen Macht, stellten aber<br />

die Monarchie grundsätzlich nicht infrage.<br />

Diese eher „linke“ Gesinnung der<br />

Bewohner im Gebiet um <strong>Hanau</strong> lässt<br />

sich auch im Laufe der Industrialisierung<br />

weiter beobachten. Ja, es gab sogar individuelle Kontinuitäten<br />

zwischen der 48er- und der frühen Arbeiterbewegung:<br />

Einige Teilnehmer des Zuges der <strong>Hanau</strong>er Turnerwehr 38 gehörten<br />

später zu den örtlichen Funktionären der Vorgängerorganisationen<br />

der SPD. 39<br />

Nach dem Scheitern der Revolution und der teilweisen<br />

Wiederherstellung der Verhältnisse vor 1848 unter der Regierung<br />

des Ministers Ludwig Hassenpflug (1794–1862) setzte<br />

Kurfürst Friedrich Wilhelm I. die liberale Verfassung von<br />

1831 außer Kraft. Daraufhin reichten 241 von 277 Offizieren<br />

des Landes im Oktober 1850 ihr Entlassungsgesuch ein,<br />

wodurch das kurhessische Militär handlungsunfähig wurde.<br />

Begrüßung der <strong>Hanau</strong>er Abordnung, die nach dem „<strong>Hanau</strong>er Ultimatum“ mit einem Teilerfolg am<br />

12. März 1848 aus Kassel zurückkam, Lithografie. <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

Zur Durchsetzung der reaktionären Politik erreichte der Kurfürst<br />

bei der Bundesversammlung die Bundesexekution: Mithilfe<br />

fremder Truppen sollte in Kurhessen jede oppositionelle<br />

Regung unterdrückt werden. Infolgedessen rückten im November<br />

1850 bayerisch-österreichische Truppen in Kurhessen<br />

ein. In <strong>Hanau</strong> und andernorts quartierte man die „Strafbayern“<br />

nicht in Kasernen ein, sondern vorrangig in Privathäusern<br />

bekannter liberal gesinnter Bürger, die auch zur Verpflegung<br />

der Besatzer verpflichtet waren. Da Preußen dieses<br />

Vorgehen missbilligte, wäre es fast zu einem größeren militärischen<br />

Konflikt gekommen. Nachdem wieder Ruhe im Land<br />

herrschte, zogen die Besatzungstruppen im Sommer 1851 ab.<br />

Zerstörung des Prügelbocks <strong>als</strong> Symbol der Gewaltjustiz auf dem Paradeplatz (heute Freiheitsplatz)<br />

am 18. März 1848, Lithografie von Johann Heinrich Fiedler. <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

<strong>Hanau</strong> gibt, Frankfurt nimmt<br />

Die Ergebnisse einer anderen, weit gravierenderen militärischen<br />

Auseinandersetzung sollten hingegen langfristige<br />

Folgen für die territorialen Grenzen der Region haben. Im<br />

Jahr 1866 eskalierte der preußisch-österreichische Streit um<br />

die Führung im Deutschen Bund in einen Krieg. Kurhessen<br />

stand dabei aufseiten der Habsburger Monarchie. Das siegreiche<br />

Preußen in Person seines Ministerpräsidenten Otto<br />

von Bismarck (1815–1898) bestrafte dieses Verhalten mit<br />

der Annexion des Kurfürstentums. Das Kriegsende brachte,<br />

gemäß dem Friedensvertag vom 3. September 1866, für<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

den Zuschnitt des Kreises <strong>Hanau</strong> einige<br />

markante Veränderungen. Das Amt<br />

Dorheim mit dem Anteil an Assenheim<br />

sowie den Orten Dorheim, Nauheim,<br />

Rödgen, Schwalheim kam zusammen<br />

mit einem Teil der Erbstädter Exklave<br />

im Tausch gegen andere Gebiete (Hessen-Homburg,<br />

das Hinterland um Biedenkopf)<br />

an Hessen-Darmstadt. Diese<br />

Orte wurden damit aus dem Landkreis<br />

<strong>Hanau</strong> ausgegliedert. Gleiches geschah<br />

mit Rumpenheim.<br />

Im Zuge der Annexion wurden <strong>Hanau</strong><br />

und seine Umgebung in die preußische<br />

Verwaltungsstruktur eingegliedert<br />

und gehörten seitdem zum Regierungsbezirk<br />

Kassel in der Provinz Hessen-Nassau<br />

und ab 1871 zum Deutschen<br />

Reich.<br />

Nach dem Deutschen Krieg von 1866<br />

dauerte es noch 20 Jahre, bis ein weiterer<br />

schwerwiegender Eingriff in die bestehenden territorialen<br />

Verhältnisse der Region erfolgte, der ohne die preußische Annexion<br />

sowohl des Kurfürstentums Hessen-Kassel <strong>als</strong> auch der<br />

Freien Stadt Frankfurt sicherlich nicht möglich gewesen wäre.<br />

Da aber seitdem sowohl Frankfurt <strong>als</strong> auch der Kreis <strong>Hanau</strong><br />

der gleichen Landesherrschaft unterstanden, wurde die Beseitigung<br />

jahrhundertealter Grenzen zwischen Frankfurt und<br />

dem Kreis <strong>Hanau</strong> möglich. Im Jahr 1886 geschah ebendas,<br />

und zwar unzweifelhaft zum Vorteil der alten Reichsstadt am<br />

Main, denn dam<strong>als</strong> fielen die bis dahin zum Kreis <strong>Hanau</strong><br />

gehörende Stadt Bockenheim sowie die Orte Berkersheim,<br />

Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim, Praunheim, Preunges-<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Der Kreis <strong>Hanau</strong> zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dam<strong>als</strong> gehörte noch eine ganze Reihe von heutigen Frankfurter Stadtteilen zum Kreis. Das Amt Nauheim/Dorheim<br />

sowie die Dörfer Rumpenheim und Massenheim wurden 1866 ausgegliedert. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

heim und Seckbach an Frankfurt. Mit diesen Zuwächsen<br />

konnte Frankfurt sein Stadtgebiet fast verdoppeln! Das stark<br />

industrialisierte und damit gewerbesteuerkräftige Fechenheim<br />

kam 1928 ebenso zur Mainmetropole wie Bergen-Enkheim<br />

1977. Nachdem die Stadt <strong>Hanau</strong> 1886 die Kreisfreiheit erlangt<br />

und 1907 das Nachbardorf Kesselstadt eingemeindet hatte,<br />

bestand der Landkreis <strong>Hanau</strong> aus der Stadtgemeinde Windecken,<br />

32 Gemeinden sowie mehreren Gutsbezirken ( darunter<br />

Neuhof, Philippsruhe und Wilhelmsbad). Der ehemalige<br />

Gutsbezirk Wolfgang erhielt 1929 den Status einer politischen<br />

Gemeinde. Damit hatte der Landkreis <strong>Hanau</strong> die Konturen<br />

erlangt, die bis zur 1970 beginnenden hessischen Gebiets- und<br />

Verwaltungsreform bestanden.<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) kamen<br />

Stadt und Kreis <strong>Hanau</strong> zum Land Großhessen (später<br />

Bundesland Hessen) und wurden später Teil des Regierungsbezirks<br />

Wiesbaden. Im Zuge der hessischen Gebiets- und Verwaltungsreform<br />

bildete man 1974 aus der kreisfreien Stadt<br />

<strong>Hanau</strong> sowie den Kreisen Gelnhausen, <strong>Hanau</strong> und Schlüchtern<br />

den Main-Kinzig-Kreis – mit der alten Residenzstadt<br />

<strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> Sitz der Kreisverwaltung – eine Funktion, die seit<br />

2005 Gelnhausen wahrnimmt. Der Regierungsbezirk Wiesbaden<br />

war bereits 1968 aufgelöst worden. Stadt und Kreis <strong>Hanau</strong><br />

zählen seither zum Regierungsbezirk Darmstadt. <strong>Hanau</strong><br />

gehört bereits seit 1979 zu dem kleinen Verbund der Städte mit<br />

Sonderstatus, die eine größere kommunalpolitische Unabhängigkeit<br />

genießen.<br />

Mit dem 1974 installierten Main-Kinzig-Kreis erlebte die<br />

ehemalige kurhessische Provinz <strong>Hanau</strong> quasi ihre Renaissance.<br />

Außerdem erfuhr der Landkreis <strong>Hanau</strong> einige Korrekturen,<br />

da ab 1970 Büdesheim, Heldenbergen, Langenberg heim<br />

und Altwiedermus hinzukamen, während Gronau <strong>als</strong> Stadtteil<br />

von Bad Vilbel seither dem Wetteraukreis angehört und Bergen-Enkheim<br />

zu Frankfurt kam. <strong>Hanau</strong> griff sogar über den<br />

Main hinaus, weil ab dem Sommer 1974 Steinheim und Klein-<br />

Auheim sein Stadtgebiet ergänzten. Gleiches er folgte mit<br />

Großauheim und Wolfgang und bereits seit 1972 war Mittelbuchen<br />

Teil der Grimmstadt.<br />

Der Geschäftsbereich der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> – besser: der<br />

seiner beiden Vorgängerinstitute Stadtsparkasse und Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> – hatte dadurch seinen bis heute geltenden<br />

Umfang erreicht, wenn man davon absieht, dass Klein-Auheim<br />

weiterhin zum Geschäftsbereich der <strong>Sparkasse</strong> Langen–<br />

Seligenstadt gehört.<br />

Kriege, Verfolgung und Zerstörung<br />

Die Kriege und politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts<br />

beeinflussten die Region in vielfältiger Weise. Die militärischen<br />

Ereignisse des Ersten Weltkriegs brachten nicht den<br />

erhofften schnellen Sieg, sondern führten im Westen zu einem<br />

Stellungskrieg mit Hunderttausenden von Opfern. Das Ehrenbuch<br />

der Stadt und des Landkreises <strong>Hanau</strong> enthält mehr<br />

<strong>als</strong> 4.000 Namen von Gefallenen. 40 Andere Kriegsteilnehmer<br />

kehrten <strong>als</strong> Krüppel an Leib und Seele von den Fronten zurück.<br />

Doch alle Opfer nutzten nichts. Ende September 1918 sah<br />

sich die Oberste Heeresleitung gezwungen, die militärische<br />

Niederlage der deutschen Armee einzugestehen und grundlegende<br />

Reformen zu fordern, damit die Reichsregierung bei<br />

den Alliierten um einen Waffenstillstand nachsuchen konnte.<br />

Hoffte man doch, nach erfolgter Demokratisierung günstigere<br />

Friedensbedingungen zu erhalten.<br />

Am 9. November dankte Kaiser Wilhelm II. ab und Phi lipp<br />

Scheidemann rief die Republik aus. Die vorläufige Reichsregierung<br />

stand unter der Führung des Sozialdemokraten Friedrich<br />

Ebert.<br />

Die Geburt der Weimarer Republik stand unter ungünstigen<br />

Vorzeichen. Neben den inneren Unruhen und Putschversuchen,<br />

bei denen die Existenz der jungen Republik von<br />

links und von rechts bedroht wurde, lastete noch die Hypothek<br />

des verlorenen Krieges auf Deutschland. In den nachfolgenden<br />

Krisen zeigte sich recht deutlich, dass die Stabilität der<br />

jungen Republik rasch schwand und die antidemokratischen<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Blick auf die <strong>Hanau</strong>er Altstadt um 1935. Medienzentrum <strong>Hanau</strong> Blick von der Wallonisch-Niederländischen Kirche auf den Neustädter Markt und zur Altstadt um 1935. Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Kräfte enormen Zulauf erhielten. Auch in <strong>Hanau</strong> und Umgebung<br />

kam es zwischen November 1918 und Februar 1919 zur<br />

Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten und zu Unruhen mit<br />

nachfolgendem Militäreinsatz. 41<br />

Schon im Oktober fanden in <strong>Hanau</strong> politische Massenversammlungen<br />

statt, bei denen die beiden sozialistischen<br />

Parteien (SPD und USPD) den sofortigen Frieden und die<br />

Errichtung einer sozialistischen Republik forderten. Am 7./8.<br />

November plünderten hungernde Menschen Lebensmittelgeschäfte<br />

und Bäckerläden. Und am gleichen Tag hatte sich<br />

der <strong>Hanau</strong>er Arbeiter- und Soldatenrat konstituiert, den die<br />

linkssozialistische USPD dominierte.<br />

Der Arbeiter- und Soldatenrat übernahm sogleich die Regierungsgewalt<br />

in Stadt- und Landkreis <strong>Hanau</strong> und machte<br />

den <strong>Hanau</strong>er Anzeiger zu seinem offiziellen Publikationsorgan.<br />

Seine Hauptaufgaben sah der Rat in der Normalisierung<br />

des Wirtschaftslebens, der Eingliederung der aus dem Krieg<br />

zurückkehrenden Soldaten und in der Sicherstellung der Ver-<br />

sorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Bekleidung.<br />

Nachdem sich Ende Januar 1919 die Machtverhältnisse gewandelt<br />

hatten, übernahm der kommissarische Landrat wieder<br />

das Ruder. In dieser Phase kam es häufig zu Kundgebungen<br />

und Demonstrationen – die Situation blieb unruhig und<br />

unsicher. Ihren Höhe- und Schlusspunkt erreichten die Unruhen<br />

in den Tagen vom 17. bis 22. Februar. 42<br />

Als Reaktion auf diese Ereignisse marschierten Regierungstruppen<br />

in <strong>Hanau</strong> ein und verhängten den Belagerungszustand,<br />

der am 5. März wieder aufgehoben wurde. Zu weiteren<br />

revolutionären Unruhen kam es in der Folgezeit nicht mehr.<br />

Während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Kurt<br />

Blaum (1884–1970) 43 von 1921 bis 1933 entstanden die Stadthalle,<br />

der Hafen und das sogenannte „Musikerviertel“ mit<br />

dem Beethovenplatz („Blaumscher Zirkus“).<br />

Doch am Ende der Zwanzigerjahre verschärfte sich die<br />

politische Situation erneut. Im Kreis besaßen die beiden Arbeiterparteien<br />

(SPD und KPD) traditionell eine sehr starke<br />

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Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Position. Diese Konstellation führte in der Endphase der Weimarer<br />

Republik häufig zu heftigen Zusammenstößen zwischen<br />

Trupps der verfeindeten ideologischen Lager.<br />

Ab 1933 konnten die Nation<strong>als</strong>ozialisten ihre „nationale<br />

Revolution“ auch in <strong>Hanau</strong> vollziehen und jedwede Opposition<br />

innerhalb kurzer Zeit ausschalten. Die Machtübernahme<br />

wurde auch hier wie überall von der Zurschaustellung vaterländischer<br />

Symbole und der Demonstration nationaler Einheit<br />

begleitet. 44 Die Rechte veranstaltete Festgottesdienste,<br />

Fackelzüge und Paraden, deren geordneter und disziplinierter<br />

Verlauf dazu beitrug, dass sich viele Bürger über die wahren<br />

Ziele des Nation<strong>als</strong>ozialismus täuschen ließen.<br />

Trotzdem gelang es der NSDAP und ihren rechtskonservativen<br />

Koalitionspartnern nicht, bei den Reichstagswahlen<br />

vom 5. März 1933 in Stadt und Landkreis <strong>Hanau</strong> die Mehrheit<br />

zu erringen. Anders <strong>als</strong> im Reichsdurchschnitt (51,9 Prozent)<br />

blieben sie hier deutlich in der Minderheit. In <strong>Hanau</strong><br />

erhielten sie 11.967 Stimmen (NSDAP 10.599, DNVP 1368)<br />

gegenüber 15.094 von SPD 3892, KPD 7128, Zentrum 2266,<br />

DVP 885, Christlich-Sozialer Volksdienst 510, Staatspartei<br />

408 und Bauernpartei 5. Im Landkreis gestaltete sich das<br />

Verhältnis noch ungünstiger für die neuen Machthaber. Dort<br />

entfielen auf sie 14.481 Stimmen (NSDAP 13.819, DNVP<br />

662) gegenüber 20.618 Wählern der Opposition (SPD 7514,<br />

KPD 9651, Zentrum 2575, DVP 281, Christlich-Sozialer<br />

Volksdienst 396, Staatspartei 187 und Bauernpartei 14). 45 Dieses<br />

Wahlverhalten änderte jedoch nichts daran, dass auch ehem<strong>als</strong><br />

„knallrote“ Städte und Dörfer nach kurzer Zeit von den<br />

Nazis beherrscht wurden. Nach weniger <strong>als</strong> einem Jahr war<br />

Deutschland „gleichgeschaltet“, die Diktatur vollendet.<br />

Mit dem Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder<br />

mit dem Reich wurden ab dem 31. März 1933 nicht nur<br />

auf der Ebene der Landtage, sondern auch der Kreistage und<br />

Gemeindevertretungen alle Parlamente entsprechend den<br />

Stimmenverhältnissen der Reichstagswahl vom 5. März neu<br />

zusammengesetzt. Die KPD-Mandate wurden jedoch sämtlich<br />

kassiert. Ende Juni wurde dann auch die SPD von jeder<br />

politischen Betätigung per Verbot ausgeschlossen, andere Parteien<br />

lösten sich selbst auf. Ihre Mandate fielen der NSDAP<br />

zu. Somit kamen auch die kommunalen Parlamente fest unter<br />

die Kontrolle der Nation<strong>als</strong>ozialisten. 46<br />

Als nächste Stufe der Entmündigung der Städte und Dörfer<br />

beendete die Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 die<br />

kommunale Selbstverwaltung weitestgehend und vollzog hier<br />

die Gleichschaltung im nation<strong>als</strong>ozialistischen Sinn. Das Ergebnis<br />

der Gemeindeordnung war der Ausbau der Staatsaufsicht.<br />

Die Kommunen mussten nun noch verstärkt mit<br />

zahlreichen Genehmigungsvorbehalten und Direktiven vorgesetzter<br />

Behörden leben. „Die kommunale Selbstverwaltung<br />

<strong>als</strong> herkömmliche politische Institution wurde durch politische<br />

Einzelmaßnahmen wie durch generelle politische Entwicklungen<br />

im Dritten Reich zerstört; der Prozeß war bei Kriegsende noch<br />

nicht abgeschlossen.“ 47 Außerdem bestimmte die NSDAP, wer<br />

die Bevölkerung in den kommunalen Gremien zu vertreten<br />

hatte. Veränderungen an den kommunalen Grenzen gab es<br />

im Kreis <strong>Hanau</strong> hingegen nicht, auf der anderen Mainseite erfolgte<br />

1938 die Vereinigung von Groß- und Klein-Steinheim.<br />

Die Gegnerschaft zum Nation<strong>als</strong>ozialismus bedeutete für<br />

viele Verfolgung, Inhaftierung, Exil oder Tod.<br />

Für die deutschen Juden, von denen sich die meisten längst<br />

<strong>als</strong> feste Mitglieder der deutschen Gesellschaft ansahen, begann<br />

bald nach der Machtübernahme ein schreckliches Martyrium.<br />

Es fing an mit Berufsverboten, setzte sich fort mit<br />

dem Boykott jüdischer Geschäfte 1933 und den Nürnberger<br />

Gesetzen 1935. 48 Zu Beginn des Jahres 1939 folgten die vollständige<br />

Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben<br />

und die fast völlige Rechtlosigkeit in Verbindung mit Zwangsarbeit<br />

in den ersten Kriegsjahren. 49 Das alles aber war nur das<br />

Vorspiel zu der ab 1942 einsetzenden Ausrottung des europäischen<br />

Judentums in den Vernichtungslagern in Polen.<br />

In <strong>Hanau</strong> wohnten 1933 genau 477 Juden. Vier Jahre später<br />

waren es noch 300 und 1939 noch 82. Viele hatten die<br />

Emigration der ungewissen Zukunft vorgezogen, andere hofften<br />

vergebens auf Besserung.<br />

Beim Pogrom 1938 brannte die Synagoge in der Nordstraße,<br />

der jüdische Friedhof geschändet und das jüdische Gemeindehaus<br />

demoliert. Jüdische Geschäfte wurden überfallen<br />

und geplündert. Ab Anfang 1940 wurden die letzten jüdischen<br />

Einwohner zu Zwangsarbeit herangezogen. In den Kreisorten<br />

war es ähnlich, auch hier setzte man die jüdischen Einwohner<br />

vielfältigen Schikanen und Demütigungen aus, auch<br />

hier wurden jüdische Einrichtungen geschändet, demoliert<br />

oder zerstört. 50<br />

Das Ende kam, <strong>als</strong> man am 30. Mai 29 und am 5. September<br />

1942 nochm<strong>als</strong> 21 der letzten in Stadt und Landkreis<br />

<strong>Hanau</strong> wohnhaften Juden deportierte. Insgesamt fielen 230<br />

jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus Stadt und Kreis<br />

<strong>Hanau</strong> den nation<strong>als</strong>ozialistischen Verfolgungen zum Opfer. 51<br />

Nicht nur aufgrund der massiven Aufrüstung Deutschlands,<br />

der martialischen Reden der NS-Größen und der aggressiven<br />

Außenpolitik kündigte sich bereits seit Mitte der<br />

Dreißigerjahre eine neue militärische Auseinandersetzung an,<br />

sondern auch durch verschiedene kriegsvorbereitende Maßnahmen<br />

in den Städten und Gemeinden. Dazu zählten sicherlich<br />

auch die Vorkehrungen für einen bevorstehenden Luftkrieg.<br />

Schon am 21. August 1939 erschien im <strong>Hanau</strong>er Anzeiger<br />

ein Artikel, der die Bevölkerung zum richtigen Verhalten<br />

bei Luftangriffen anleiten sollte, und eine Woche später las<br />

Die brennende Synagoge in der <strong>Hanau</strong>er Nordstraße im November 1938.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

man von den neuen Bezugsscheinen für lebenswichtige Verbrauchsgüter.<br />

52 Unmittelbar mit dem Kriegsbeginn am 1. September<br />

1939 erfolgte die Anordnung zur Verdunklung von<br />

Häusern und Wohnungen.<br />

Während des Zweiten Weltkriegs starben wiederum Tausende<br />

von Männern aus Stadt und Landkreis an den verschiedenen<br />

Fronten und in Lazaretten. Noch kurz vor dem Einmarsch<br />

der US-amerikanischen Truppen sollte <strong>Hanau</strong> die<br />

dunkelste Stunde seiner Geschichte durchleben. „Nach einer<br />

Reihe mehr oder weniger schwerer Luftangriffe in den letzten<br />

Monaten des Jahres 1944 erlebte <strong>Hanau</strong> in den frühen Morgenstunden<br />

des 19. März 1945 einen Großangriff von unvorstellbarem<br />

Ausmaß, der nach einem Bombenhagel von knapp 30<br />

Minuten Dauer den gesamten Stadtkern in Schutt und Asche<br />

verwandelte. 80 Prozent der gesamten Einwohnerschaft wurden<br />

ihrer Wohnstätten beraubt und – soweit sie nicht bei Verwandten<br />

oder Bekannten im unversehrt gebliebenen Ortsteil Kesselstadt<br />

oder den nicht ganz so schwer getroffenen nördlichen und östli-<br />

66 67


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Blick von der Paradiesgasse in Richtung Neustädter Rathaus im Jahre 1945.<br />

chen Randgebieten der Stadt ein vorläufiges Unterkommen gefunden<br />

hatten –, in die Gemeinden des Landkreises <strong>Hanau</strong> und<br />

der Kreise Gelnhausen, Büdingen und Schlüchtern evakuiert.“ 53<br />

<strong>Hanau</strong> war 1945 die am schwersten durch den Bombenkrieg<br />

zerstörte Stadt Hessens. Vier Fünftel der Einwohner<br />

hatten ihre Wohnungen verloren. Der größte Teil der Bevölkerung<br />

wurde daraufhin entweder in die unbeschädigten<br />

Stadtteile oder in die Gemeinden der Landkreise <strong>Hanau</strong>,<br />

Gelnhausen, Büdingen oder Schlüchtern evakuiert. Die Einwohnerzahl<br />

<strong>Hanau</strong>s sank dadurch von 42.000 auf zirka 8.000<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Personen. Der ganze Stadtkern glich einem Trümmerhaufen.<br />

Von 19 Schulgebäuden blieb nur eines unbeschädigt. Dies<br />

führte dazu, dass <strong>Hanau</strong> im Oktober 1946 mit 2,2 Personen<br />

pro einzelnen Wohnraum (ohne Küchen) „die stärkste Wohndichte<br />

von allen hessischen Stadt- und Landkreisen“ aufwies. Jedoch<br />

handelt es sich hierbei nur um eine relative Größe, da<br />

sie nichts über den Zustand der Wohnungen aussagt, die beispielsweise<br />

häufig nur „unzureichend abgedichtet“ waren, teilweise<br />

keine Fenster mehr besaßen oder nur noch über baufällige<br />

Treppenhäuser verfügten. 54<br />

Trümmerbeseitigung in <strong>Hanau</strong> um 1946. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Um diesen Zustand zu beseitigen, musste die Bevölkerung<br />

mit Hand anlegen. Mehrfach rief das Mitteilungsblatt der<br />

Stadtverwaltung <strong>Hanau</strong> alle männlichen Bewohner von Stadt<br />

und Landkreis <strong>Hanau</strong> zwischen dem 15. und 65. Lebensjahr zu<br />

Aufräumungsarbeiten auf, dabei hatten „alle Behörden mit ihren<br />

leitenden Personen an der Spitze mit gutem Beispiel voranzugehen<br />

und sich zu den Arbeiten einzufinden“. 55 Und die berühmten<br />

Trümmerfrauen suchten in den Ruinen nach verwertbaren<br />

Baumaterialien. Auch in den Gemeinden des Landkreises<br />

mussten die Bewohner nach Kriegsende enger zusammenrücken.<br />

Die örtlichen Verwaltungen hatten nicht nur dafür zu<br />

sorgen, dass die Ausgebombten eine Unterkunft fanden, sondern<br />

es kamen 1946 noch Vertriebene hinzu, vornehmlich aus<br />

dem Sudetenland. Bis zum 31. Dezember 1947 wurden im<br />

Landkreis <strong>Hanau</strong> 9.241 Flüchtlinge aufgenommen, dazu noch<br />

11.178 Evakuierte aus den zerbombten Großstädten. 56<br />

Analog zur Situation in ganz Deutschland erwies sich auch<br />

die Versorgung der Bevölkerung des Landkreises <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong><br />

außerordentlich schwierig. Anfang 1948 erhielten Erwachsene<br />

hier Lebensmittel mit 1331 Kalorien pro Tag. Der Nährwert<br />

der Rationen für Jugendliche hatte 1.701, für Kinder 1.643<br />

und für Säuglinge 1.187 Kalorien. 57<br />

Nach der Währungsreform im Juni 1948 und der Gründung<br />

der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 verbesserte<br />

sich die äußerst schwierige ökonomische Situation deutlich.<br />

Westdeutschland entwickelte sich im Zuge des „Wirtschaftswunders“<br />

zu einer der führenden Industrienationen der Welt<br />

und sein gesellschaftliches System zu einer stabilen Demokratie<br />

nach westlichem Muster. In den folgenden Jahren und<br />

Jahrzehnten gelangen der Wiederaufbau <strong>Hanau</strong>s und die Integration<br />

der Flüchtlinge weit schneller, <strong>als</strong> es wohl die kühnsten<br />

Optimisten unmittelbar nach dem Krieg erhofft hatten.<br />

Die Bedeutung der Landwirtschaft ging im Wirtschaftswunderland<br />

Bundesrepublik und damit auch im Kreis <strong>Hanau</strong><br />

immer stärker zurück. Ende der Fünfzigerjahre erreichte der<br />

Strukturwandel der westdeutschen Agrarlandschaft mit dem<br />

Verschwinden zahlreicher Kleinstbetriebe (0,5–10 Hektar) seinen<br />

ersten Höhepunkt. Bald hieß es für viele Bauern „wachsen<br />

oder weichen“. 58<br />

68 69


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Blick auf <strong>Hanau</strong> und Umgebung im Jahr 1956. <br />

Historisches Museum <strong>Hanau</strong><br />

Heute ist das bäuerliche Element aus dem Dorfbild der<br />

Orte um <strong>Hanau</strong> nahezu völlig verschwunden. Lediglich einige<br />

Gutshöfe, die ihrer ursprüngliche Funktion schon lange<br />

nicht mehr ausüben, zeugen noch ansatzweise davon. In den<br />

Gemarkungen, oft jedoch weit entfernt vom alten Ortskern,<br />

sind hingegen neue Höfe entstanden, die Formen spezialisierter<br />

Landwirtschaft ausüben, wie Reiterhöfe oder Betriebe, die<br />

Obst und Gemüse anbauen.<br />

Die Dörfer um <strong>Hanau</strong> sind zu Arbeiternehmerwohnsitzgemeinden<br />

mit zahlreichen Kleinbetrieben mutiert. Dabei<br />

ist während der Industrialisierungsphase und vielleicht mehr<br />

noch im „Wirtschaftswunderland“ Bundesrepublik gerade<br />

manches Zwischenmenschliche, was früher möglicherweise<br />

einen elementaren Teil der dörflichen Mentalität ausmachte,<br />

zurück- oder gar ganz verloren gegangen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Vgl. zum Nachfolgenden: E. Bus, Nicht nur an Main und Kinzig.<br />

Ein Überblick zur Entwicklung des Territoriums der Herren<br />

und Grafen von <strong>Hanau</strong> vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, in:<br />

stadtzeit 6, Magazin für <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2003, S. 20 ff., Cramer, C.<br />

/ E. Schwab, Das Land an Main und Kinzig. Territorialgeschichte<br />

der Grafschaften <strong>Hanau</strong>-Münzenberg und Rieneck, der Freien<br />

Stadt Frankfurt und der Gerichte im Nordspessart, (Maschinenschrift),<br />

Marburg 1945, F. A. Dommerich, Urkundliche Geschichte<br />

der allmählichen Vergrößerung der Grafschaft <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong><br />

1860; F. Schwind, Zu den Anfängen von Herrschaft und Stadt <strong>Hanau</strong>,<br />

in: 675 Jahre Altstadt <strong>Hanau</strong>, hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein,<br />

<strong>Hanau</strong> 1978, S. 20 ff.; E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt<br />

und Land. Kulturgeschichte und Chronik einer fränkisch-wetterauischen<br />

Stadt und ehemaligen Grafschaft (1919), Neudruck<br />

<strong>Hanau</strong> 1978, S. 3 ff. und 693 ff.<br />

2 G. Rauch, „Tammo de Hagenowa“. Zur ersten urkundlichen Erwähnung<br />

des Namens <strong>Hanau</strong> vor 850 Jahren, in: Neues Magazin<br />

für <strong>Hanau</strong>ische Geschichte 1993, S. 4 ff.<br />

3 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land, S. XLVI.<br />

4 So konnten beispielsweise die Waldnutzung, der Wildbann, die<br />

Wegesicherung, die Patronatsrechte, die Schutz- und Gerichtshoheit<br />

oder die wirtschaftliche Nutzung eines Territoriums, die die<br />

wichtigsten Grundlagen zur Ausbildung von Landeshoheit waren,<br />

in mehreren Händen liegen. Dazu gesellten sich oft noch die Sonderrechte<br />

des niederen Adels und der Kirche.<br />

5 F. Schwind, Zu den Anfängen, S. 21 ff.<br />

6 Der Prozess der Angliederung des Gerichts Bornheimerberg an die<br />

Grafschaft <strong>Hanau</strong> war recht langwierig. Doch 1434 wurden Bergen,<br />

Berkersheim, Bischofsheim, Bockenheim, Eckenheim, Enkheim,<br />

Fechenheim, Gronau, Massenheim, Preungesheim und Seckbach<br />

hanauisch. Praunheim kam 1470 hinzu (Kondominat mit<br />

Solms-Rödelheim). Pläne, die Landeshoheit in Griesheim, Nied<br />

und Offenbach zu erhalten, scheiterten. Vilbel wurde zur Hälfte<br />

hanauisch. Bornheim, Oberrad und Hausen kamen zu Frankfurt.<br />

Die meisten der hier genannten heutigen Frankfurter Stadtteile<br />

wurden erst 1886 der Mainmetropole zugeschlagen. Fechenheim<br />

kam 1928 und Bergen-Enkheim gar erst 1977 zu Frankfurt.<br />

7 R. Wille, <strong>Hanau</strong> im dreissigjährigen Kriege, <strong>Hanau</strong> 1886, S. 92 ff.<br />

8 F. Haase, Ulrich I., Herr von <strong>Hanau</strong>. 1281–1306, Diss., Münster<br />

1924.<br />

9 B. Worbs, Buchen-Dorfelden-Windecken. Frühe Burgen in der Grafschaft<br />

<strong>Hanau</strong>, in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 30 (1988), S. 347 ff.<br />

10 Bei einem Flecken handelte es sich um einen Ort mit einem Rechtsstatus<br />

zwischen dem eines Dorfs und dem einer Stadt. Oft besaßen<br />

Flecken ein Marktrecht, wie beispielsweise Bergen, oder verfügten<br />

über eine Ringmauer, wie Bergen und Hochstadt, und nahmen damit<br />

eine zentralörtliche Funktion für die Dörfer in der unmittelbarsten<br />

Umgebung wahr. Heute ist die Bezeichnung „Flecken“ in<br />

Hessen bis auf einige wenige Ausnahmen im Kreis Limburg-Weilburg<br />

faktisch bedeutungslos.<br />

11 Reinhard IV. starb mit 39 Jahren; Philipp II. mit 28; Philipp III. mit<br />

35; Philipp Ludwig I. mit 26; Philipp Ludwig II. mit 35; Philipp<br />

Moritz mit 33; Philipp Ludwig III. gar mit 9 Jahren.<br />

12 G. Franz, Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk, 4.<br />

Aufl., Stuttgart 1979, S. 43 f.<br />

13 I. Dallmeyer, Chronik der Stadt Bruchköbel und seiner Stadtteile<br />

Roßdorf, NiederissigheimOberissigheim und Butterstadt, Bruchköbel<br />

1989, S. 45.<br />

14 L. Weinrich, Die Aufhebung der Blokade der Stadt <strong>Hanau</strong> im Jahre<br />

1636, <strong>Hanau</strong> 1836, S. 53.<br />

15 (C. B.) Zee-Heraeus, Kilianstädten. Geschichte eines wetterauischen<br />

Dorfes im Wirbel des deutschen Geschehens (Maschinen-<br />

70 71


Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

Historische Grundlagen des Geschäftsbereichs<br />

schrift) 1937, Neufassung 1957, S. 226; Arbeitskreis Ortsgeschichte<br />

Kilianstädten, Kilianstädten. Geschichte und Geschichten, Horb<br />

2009, S. 223.<br />

16 W. Trossbach, Bauern 1648–1806, München 1993, S. 2.<br />

17 H. Th. Gräf, Die Bevölkerungsentwicklung Niederrodenbachs<br />

1600–1763, in: Mitteilungen des Rodenbacher Geschichtsvereins<br />

7 (1991), S. 17 f.<br />

18 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land, S. 643 ff.<br />

19 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land, S. 653.<br />

20 H. Bott, Gründung und Anfänge der Neustadt <strong>Hanau</strong>, 1596–1620,<br />

Band 2, <strong>Hanau</strong> 1971 (=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter, Bd. 23),S. 362.<br />

21 Philipp Ludwig III. (1632–1641) war nominell seinem 1638 verstorbenen<br />

Vater Philipp Moritz (1605–1638) in der Regierung der<br />

Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg gefolgt. Ihn beerbte Graf Johann<br />

Ernst von <strong>Hanau</strong>-Münzenberg-Schwarzenfels (1613–1642), mit<br />

dem die Linie <strong>Hanau</strong>-Münzenberg dann 1642 im Mannesstamm<br />

ausstarb.<br />

22 R. Wille, <strong>Hanau</strong> im dreissigjährigen Kriege, S. 512 f.<br />

23 F. Hahnzog, <strong>Hanau</strong>isch-Indien einst und jetzt, 1959, und H.<br />

Volberg, Deutsche Kolonialbestrebungen in Südamerika nach dem<br />

Dreißigjährigen Kriege, Köln/Wien 1977.<br />

24 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land, S. 688 ff.<br />

25 Zu dieser Epoche: W. Bilz, Die Großherzogtümer Würzburg und<br />

Frankfurt. Eine Studie über die Rheinbundzeit, Würzburg 1969;<br />

H. Lapp, Das Fürstentum <strong>Hanau</strong> vor und unter der französischen<br />

Herrschaft in den Jahren 1806–1810, <strong>Hanau</strong> 1936; P. Darmstaedter,<br />

Das Großherzogtum Frankfurt, Frankfurt 1901.<br />

26 Zu den Reformen im Großherzogtum Frankfurt: H. Klueting,<br />

Dalbergs Großherzogtum Frankfurt – ein napoleonischer Modellstaat?<br />

Zu den rheinbündischen Reformen in Frankfurt, Aschaffenburg<br />

und im Großherzogtum Frankfurt, in: Aschaffenburger Jahrbuch<br />

11/12 (1989), S. 359 ff.<br />

27 M. Arndt, Militär und Staat in Kurhessen 1813–1866, Darmstadt/<br />

Marburg 1996, S. 197 f.<br />

28 B. Eberhard, Aus meinem Leben. Erinnerungen des † Oberbürgermeisters<br />

von <strong>Hanau</strong> und Kurhess. Staatsrates Bernhard Eberhard,<br />

in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter Band 1 (1911), S. 24.<br />

29 A. Tapp, <strong>Hanau</strong> im Vormärz und in der Revolution von 1848–<br />

1849, <strong>Hanau</strong> 1976, S. 63 ff.; R. Schaffer-Hartmann, Die Zerstörung<br />

der Maut in <strong>Hanau</strong>. Die <strong>Hanau</strong>er Krawalle, in: stadtzeit 7,<br />

Magazin für <strong>Hanau</strong>, S. 58 ff.; Chr. Crößmann, Die Unruhen in<br />

Oberhessen im Herbste 1830, Darmstadt 1929, S. 12.<br />

30 M. Arndt, Militär und Staat, S. 149 f.; R. Schaffer-Hartmann, Die<br />

Zerstörung der Maut, S. 65 f.<br />

31 Der Begriff „Krawaller“ wird im Deutschen Wörterbuch (DWB),<br />

das die Brüder Grimm begonnen haben, <strong>als</strong> „zugleich ziemlich neues<br />

und doch altes Wort“ beschrieben. Es meint „einen vorübergehenden<br />

Aufruhr, bei dem der Straßenlärm die Hauptsache ist: Straßenkrawall,<br />

Arbeiterkrawall, Brotkrawall (wegen Brotteuerung),<br />

Schneiderkrawall“. Bei der Suche nach dem Ursprung des Wortes<br />

„Krawaller“ stieß man auf das Rheinland. Dort ging man davon<br />

aus, „es sei dort aufgekommen in den Aufständen d. J. 1830, besonders<br />

von <strong>Hanau</strong> aus ‚in Kurs gesetzt‘; es mag dam<strong>als</strong> durch die Zeitungen<br />

in die gebildete Sprache gekommen sein“. Hingegen hat der Begriff<br />

seine Herkunft in ostfranzösischen Mundarten. „Das französische<br />

Wort für Straßenlärm, Katzenmusik, charivari, das in alter Zeit viele<br />

Nebenformen hatte, hieß im 14. und 15. Jh. auch charivalli, charavallium,<br />

provenzalisch Caravil. ... Diese Form müsste sich in den Mundarten<br />

an der dt. Grenze erhalten und ins Rheinland verpflanzt haben,<br />

dass sie dort <strong>als</strong> Krawal 1830 oder früher aus der Volkssprache auftauchen<br />

konnte.“ (DWB, Bd. 11, Leipzig 1873, Sp. 2125 f.).<br />

32 G. Landau, Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen, Kassel<br />

1842 (Neudruck 2000), S. 58 und 569.<br />

33 V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848–1849, 2<br />

Bde., Berlin 1930/31 (Neudruck Frankfurt 1977), S. 185.<br />

34 Zu den Ereignissen in und um <strong>Hanau</strong>: A. Tapp, <strong>Hanau</strong> im Vormärz<br />

und in der Revolution von 1848–1849, <strong>Hanau</strong> 1976 (<strong>Hanau</strong>er<br />

Geschichtsblätter, Band 26). Zu den sozialen Verhältnissen<br />

und zu den politischen Aktivitäten der Arbeiterschaft in <strong>Hanau</strong>:<br />

W. Heitzenröder, Die Arbeiterbewegung in <strong>Hanau</strong> und Umgebung<br />

1848 bis 1878, <strong>Hanau</strong> 2002, S. 10 ff.<br />

35 Katzenmusiken (Charivaris) waren eine beliebte Methode, politisch<br />

missliebige Personen anzuprangern und mit ihnen Schabernack zu<br />

treiben. Die Durchführung war überall ähnlich: Die Aktionen<br />

wurden gewöhnlich in Wirtschaften vorbereitet. Der Höhepunkt<br />

des meist nächtlichen Krawalls fand zumeist vor dem Haus oder<br />

Amtssitz des Betroffenen statt. Männer traten in Frauenkleidung<br />

auf, andere in Fastnachtskostümierung und Bemalung, sodann verlas<br />

man das Sündenregister des Kritisierten, bevor im Chor „Pereat!“<br />

(„Nieder mit ihm!“) gerufen wurde. Pfeifen, Trommeln und<br />

vielgestaltiger Lärm begleiteten das Spektakel. Doch es gab auch<br />

aggressivere Vorfälle, bei denen Steine und Knüppel flogen, Türen<br />

und Fensterläden zu Bruch gingen und Menschen verletzt wurden.<br />

36 A. Tapp, <strong>Hanau</strong> im Vormärz, S. 255 ff.<br />

37 J. Matthes, Von der Revolution in Langendiebach und Umgebung<br />

1848, in: <strong>Hanau</strong>isches Magazin 9 (1927), S. 66.<br />

38 K. Geisel, Die <strong>Hanau</strong>er Turnerwehr. Ihr Einsatz in der der badischen<br />

Mairevolution von 1849 u. der Turnerprozeß, <strong>Hanau</strong> 1974,<br />

(=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter, Band 24).S. 91 ff. Die <strong>Hanau</strong>er Turnerwehr<br />

war eine paramilitärische Formation zumeist aus jungen<br />

Handwerkern und Arbeitern, die am 2. Juni 1849 mit ca. 260<br />

Mann nach Baden zog, um dort die Errungenschaften der Erhebung<br />

von 1848 gegen Truppen aus Preußen und anderen deutschen<br />

Staaten zu verteidigen. Die Führung lag bei dem Küfermeister August<br />

Schärttner. Sie schlossen sich dort der „Reichsverfassungsarmee“<br />

an, die jedoch den preußischen Truppen unterlag. Ein großer<br />

Teil der <strong>Hanau</strong>er Turner erreichte am 6. Juli die Schweiz. 1857<br />

wurde im <strong>Hanau</strong>er Rathaus der Hochverratsprozess gegen 43 Turner<br />

eröffnet, von denen 23 abwesend waren. Lediglich Abwesende<br />

wurden dann zu Strafen zwischen drei und acht Jahren verurteilt.<br />

39 W. Heitzenröder, Die Arbeiterbewegung, S. 184 ff.<br />

40 Ehrenbuch der Stadt und des Landkreises <strong>Hanau</strong> (Nachdruck),<br />

hrsg. von J. Arndt und W. Kurz, <strong>Hanau</strong> 2001.<br />

41 Die nachfolgenden Ausführungen zu den Vorgängen in <strong>Hanau</strong><br />

stützen sich hauptsächlich auf die Arbeit von H. Krause, Revolution<br />

und Konterrevolution 1918/19 am Beispiel <strong>Hanau</strong>, (Diss.),<br />

Kronberg 1974.<br />

42 Zu den <strong>Hanau</strong>er Vorkommnissen im Februar 1919: H. Krause, Revolution,<br />

S. 144 ff.<br />

43 Dr. Kurt Blaum war Jurist und arbeitete zunächst in der Verwaltung<br />

seiner Vaterstadt Straßburg, später im württembergischen Innenministerium,<br />

bevor er zum OB von <strong>Hanau</strong> gewählt wurde. Die<br />

Nation<strong>als</strong>ozialisten schickten Kurt Blaum zum 31.5.1933 in den<br />

Ruhestand. Am Kriegsende setzten ihn die Amerikaner wieder zum<br />

OB in <strong>Hanau</strong> ein (1.4.-10.7.1945), danach amtierte er über ein Jahr<br />

<strong>als</strong> OB Frankfurts. Anschließend betätigte er sich unter anderem<br />

<strong>als</strong> Präsident des hessischen DRK. Vgl.: D. Schühle, Neue <strong>Hanau</strong>er<br />

Biographien I, in: Neues Magazin für <strong>Hanau</strong>ische Geschichte<br />

7 (1979–1983), S. 24 ff.; Magistrat der Stadt <strong>Hanau</strong>, Hauptamt,<br />

In 150 Jahren 13 gewählte Oberbürgermeister, Redaktion K. Hoppe,<br />

<strong>Hanau</strong> 1984, S. 20 ff.; H. Stubbe-Da Luz, Kurt Blaum (1884–<br />

1970) – <strong>Hanau</strong>s Stadtoberhaupt vor und nach der Hitlerzeit. Skizze<br />

einer exemplarischen Oberbürgermeisterbiographie der ersten<br />

Hälfte unseres Jahrhunderts, in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 30<br />

(1988), S. 591 ff.<br />

44 <strong>Hanau</strong>er Anzeiger Nr. 30 vom 4.2.1933 und Nr. 68 vom 21.3.1933.<br />

Zur Machtergreifung der Nation<strong>als</strong>ozialisten in <strong>Hanau</strong>: Flämig,<br />

<strong>Hanau</strong> im Dritten Reich, Band I, 2. Aufl., <strong>Hanau</strong> 1988, S. 137 ff.<br />

45 G. Flämig, <strong>Hanau</strong> im Dritten Reich, Band I, S. 171 f.<br />

46 E. G. Franz, Volksstaat Hessen 1918-1945, Marburg 2003, S. 910<br />

ff.<br />

47 H. Matzerath, Nation<strong>als</strong>ozialismus und kommunale Selbstverwaltung,<br />

Stuttgart 1970, S. 133 ff. und 433.<br />

48 Die Nürnberger Gesetze vom September 1935 schufen ein neues<br />

Reichsbürgergesetz mit vollen politischen Rechten nur für diejenigen,<br />

die „deutschblütig“ waren. Daneben verboten sie mit dem Gesetz<br />

„Zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“<br />

Mischehen von Juden mit „deutschblütigen“ Partnern und stellten<br />

unter anderem auch den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen<br />

Ariern und Juden unter Strafe.<br />

49 W.-A. Kropat, Die hessischen Juden im Alltag der NS-Diktatur<br />

1933–1939, in: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen<br />

(Hrsg.), Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen.<br />

Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben,<br />

Wiesbaden 1983, S. 411 ff.<br />

50 P. Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang, Untergang,<br />

Neubeginn, 2 Bde., hrsg. vom Landesverband der jüdischen<br />

Gemeinden in Hessen, Frankfurt 1971; M. Kingreen, Jüdisches<br />

Landleben, <strong>Hanau</strong> 1994.<br />

51 Statistisches Amt der Stadt <strong>Hanau</strong> (Hrsg.), Die Kriegsschäden und<br />

der Wiederaufbau der Stadt <strong>Hanau</strong> in der Statistik, <strong>Hanau</strong> 1949.<br />

52 <strong>Hanau</strong>er Anzeiger Nr. 203 vom 21.8.1939 und Nr. 206 vom<br />

28.8.1939.<br />

53 Statistisches Amt der Stadt <strong>Hanau</strong> (Hrsg.), Die Kriegsschäden.<br />

54 Hessisches Statistisches Landesamt, Fünf Jahre Land Hessen,<br />

1945/46-1949/50, 1950, S. 6.<br />

55 Mitteilungsblatt der Stadtverwaltung <strong>Hanau</strong>, Folge 2, vom<br />

21.4.1945, Folge 19, vom 18.8.1945 und Folge 21, vom 1.9.1945.<br />

56 Frankfurter Rundschau Nr. 49 vom 26.7.1946 und den Verwaltungs-Bericht<br />

von Landrat Voller, <strong>Hanau</strong>, anlässlich der 6. Sitzung<br />

des Kreistages des Landkreises <strong>Hanau</strong> im Rathaussaal der Gemeinde<br />

Langendiebach am 17. Januar 1948, S. 9.<br />

57 Verwaltungs-Bericht von Landrat Voller, S. 13 und 36.<br />

58 U. Kluge, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert,<br />

München 2005, S. 39 ff.<br />

72 73


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Erhard Bus<br />

Der Kasseler Historiker und Archivar Georg Landau (1807–<br />

1865) beschrieb den heutigen Geschäftsbereich der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> nahezu emphatisch mit den Worten: „Der ganze Bezirk<br />

zwischen der Nidder und dem Main ist einem großen schönen<br />

Garten vergleichbar.“ 1 Landau, der die im Vergleich zu unserer<br />

Region eher kargen Verhältnisse Nordhessens gut kannte,<br />

notierte diese Zeilen gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, <strong>als</strong>o zu<br />

einer Zeit kurz vor dem großen Umbruch durch die Industrialisierung.<br />

Die Fruchtbarkeit der Wetterau<br />

Die Fruchtbarkeit einer Region ist für unser heutiges Wirtschaftsleben<br />

natürlich nicht mehr so entscheidend wie ehedem,<br />

aber vor der industriellen Revolution war sie für viele<br />

Generationen von existenzieller Bedeutung. Die Erträge von<br />

Ackerbau und Viehzucht waren bis weit ins 19. Jahrhundert<br />

die Lebensgrundlage für den größten Teil der Bevölkerung.<br />

Bereits Erasmus Alberus (um 1500–1553), geboren in Bruchenbrücken<br />

bei Friedberg, später lutherischer Reformator, Dichter<br />

und Beobachter seiner Zeit, schilderte in seiner „Kurzen<br />

Beschreibung der Wetterau“ von 1552 diese günstigen Voraussetzungen<br />

sehr detailliert und anschaulich: „Die Wetterau ist<br />

neun Meil Wegs lang und breit, reicht in die Länge von Gelnhausen<br />

bis an Castel diesseit Mainz am Rhein gelegen. In die Breit<br />

aber von Gießen bis gen Seligenstadt. 2 Es ist aber die Wetterau<br />

von GOTT reichlich gesegnet, denn da wächst gut Weizen, schöne<br />

Roggen, Gersten, Habern, Erbeyßen, Flachs und guter Wein<br />

und dess’ mehr dann sie bedürfen, können auch die Nachbarn, so<br />

in ihrem Lande nicht Getreids genug haben, mit Getreid reichlich<br />

versehen. Man brauet auch ziemlich gut Bier in der Wetterau,<br />

<strong>als</strong> zu Nidda, Butschbach, Laubach, Hohweissel, Gießen,<br />

Grünberg, Frankfurt etc.<br />

Es ist eine gesunde Luft im Lande, auch gute, beide Süße- und<br />

Sauerbrunnen. Grün Fleisch guts Kaufs ist genug im Lande, desgleichen<br />

gute Fische. Dann in der Wetterau sind sechs namhaftiger<br />

Wasser, der Main, die Lahn, die Kintz, die Nidder, die<br />

Nidda (fleußt durch die Stadt Nidda hin) und Wetter, danach<br />

Blühende Rapsfelder und Obstbäume bei Roßdorf im Frühjahr 2011.<br />

<br />

Erhard Bus<br />

das Land den Namen hat, dazu viel ander kleiner Wasser, so aus<br />

den Bergen springen, darinnen Forellen, Kreßen, Koben, Krebs,<br />

Grundeln und Irlitzen sind. Da ist gute gesunde Weide für das<br />

Viehe. Da sind sehr viele Gänse, Enten, Hühner, Tauben etc.<br />

Es sind im Lande viel schöner Garten, darinnen köstlich und<br />

mancher Art Obst wächst, <strong>als</strong> Äpfel, Birn, Quidsam, Pfersinge,<br />

Spillinge, Pflaumen, Kirschen, Welschnüsse, Haselnüsse. Im<br />

Lande wachsen Himbeern, Erdbeern, Heidelbeern, Maulbeern,<br />

Wacholderbeern etc. An etlichen Orten wachsen auch Castaneen<br />

und Mandeln.“ 3<br />

Knapp 1500 Jahre vor Erasmus Alberus wurde der ökonomische<br />

Wert der Wetterau bereits von den Römern erkannt.<br />

Sonst hätten sie diese Gegend kaum und strategisch sicherlich<br />

nicht unbedingt vorteilhaft mit dem Limes umschlossen, um<br />

sie dadurch dauerhaft ihrem Herrschaftsgebiet einzuverleiben.<br />

Die Erträge der fruchtbaren Landschaft ermöglichten die ausreichende<br />

Versorgung der in der Nähe stationierten Legionäre<br />

sowie der hier lebenden provinzialrömischen Bevölkerung mit<br />

landwirtschaftlichen Erzeugnissen.<br />

Auch im Mittelalter war man dank der Fruchtbarkeit der<br />

Wetterau in der Lage, nicht nur die dort ansässige bäuerliche<br />

Bevölkerung ausreichend zu ernähren, sondern zusätzlich die<br />

Stadtbürger der Region zu versorgen. Mehr noch, es dürfte<br />

nicht alleine der zentralen Lage zu verdanken gewesen sein,<br />

weshalb eine ganze Reihe von mittelalterlichen Reichsversammlungen<br />

in Frankfurt, Trebur, Mainz, Gelnhausen und<br />

Seligenstadt stattfanden. Bei derartigen Anlässen kamen viele<br />

Dutzende von Reichsfürsten und Gesandten sowie mehrere<br />

Hunderte von Dienern und sonstigem Personal über Wochen<br />

zusammen, die versorgt und untergebracht werden mussten.<br />

Bei der Wahl und Krönung des neuen Reichsoberhaupts im<br />

Frankfurter Kaiserdom sowie der Messen dürfte die Zahl<br />

Schaulustiger und anderer „Dienstleister/-innen“ noch erheblich<br />

höher gewesen sein. Da man dam<strong>als</strong> weder über moderne<br />

Konservierungs-, Lagerungs- noch Transportmöglichkeiten<br />

verfügte, musste das Umland Frankfurts, die „Terra imperii“,<br />

den Überschuss erwirtschaften, um diesen periodisch auftretenden<br />

Mehrbedarf decken zu können.<br />

Wein, Tabak und Fischfang im <strong>Hanau</strong>er Land<br />

Ein Zweig der Landwirtschaft, von dem heute kaum<br />

jemand vermutet, dass er jem<strong>als</strong> in unserer Region eine relevante<br />

Rolle gespielt haben könnte, ist der Weinbau.<br />

Einige archäologische Befunde und etliche schriftliche<br />

Quellen belegen, dass diese Sparte des Landbaus in unserer<br />

Gegend schon von den Römern betrieben und vermutlich<br />

bald nach der im 6. Jahrhundert begonnenen fränkischen<br />

Landnahme fortgesetzt wurde.<br />

74 75


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

„Grund- und Situationsriss derer vor Hochstadt gelegenen und zum Theil in nach herigen Zeiten zu Ackerland gemachten Weinbergen, welche letztere mit<br />

gelb bezeichnet sind. Aufgemessen und verfertigt, <strong>Hanau</strong> d. 18. Dezembris 1760 von Joh. Henrich Zincke.” Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

Später nennen Ersterwähnungsurkunden von Orten des<br />

Altkreises <strong>Hanau</strong> Weinberge, die bei Güterübertragungen<br />

den Eigentümer wechselten, so beispielsweise im Jahre 819 für<br />

Hochstadt oder 882 für Bischofsheim und Seckbach. 4 Einen<br />

ähnlichen Vorgang beschreibt auch eine Schenkungsurkunde<br />

aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, die Windecken (dam<strong>als</strong><br />

noch Tezelenheim), Ostheim und Butterstadt erstm<strong>als</strong> urkundlich<br />

erwähnt. Darin überschrieb ein Udalrich seine Be-<br />

sitzungen in den genannten Orten mit Weinbergen, Äckern,<br />

Wiesen, Wäldern, Häusern und Familien („Udalrich tradidit<br />

s. bona sua in Tezelenheim, Ostheim et Butenstat cum vineis,<br />

agris, pratis, silvis, domibus et familiis.“) dem Kloster Fulda. 5<br />

Der Weinbau beschränkte sich aber nicht allein auf die erwähnten<br />

Orte, sondern wurde fast überall im Altkreis <strong>Hanau</strong><br />

ausgeübt. In einem Aufsatz aus den Zwanzigerjahren nennt<br />

der <strong>Hanau</strong>er Historiker Heinrich Bott ausdrücklich noch<br />

Bruchköbel, Eichen, Erbstadt (Naumburg), Fechenheim,<br />

Großauheim, Großkrotzenburg, Hüttengesäß, Kilianstädten,<br />

Langendiebach, Langenselbold, Marköbel, Mittelbuchen,<br />

Neuwiedermus, Niederissigheim, Niederrodenbach, Oberrodenbach,<br />

Ostheim, Ravolzhausen, Rüdigheim, Roßdorf, Wachenbuchen<br />

und Windecken. Der Autor schließt mit dieser<br />

Aufzählung allerdings nicht aus, dass früher noch andernorts<br />

Weinbau betrieben wurde. 6<br />

Folglich heißt es bei Alberus in seiner Schilderung der Wetterau<br />

am Schluss der Vorstellung der Besitzungen der unterschiedlichen<br />

Landesherrschaften summarisch: „Viel guts Weins<br />

wächst im hanauischen Lande.“ 7<br />

Bis zum Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) war der vergorene<br />

Rebensaft das tägliche Getränk aller Bevölkerungsschichten,<br />

wohl auch deshalb, weil Wein in bestimmten Mengen<br />

bereits dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> Medizin galt und hygienischer war <strong>als</strong><br />

das zumeist keimhaltige Wasser, weshalb man ihn oftm<strong>als</strong> <strong>als</strong><br />

„Desinfektionsmittel“ beimischte.<br />

Bier spielte aufgrund der Schwierigkeiten bei der Lagerung<br />

zunächst eher nur eine untergeordnete Rolle. Das Wort<br />

„Apfelwein“ ist in den Hochstädter und Kesselstädter Gemeinderechnungen<br />

des 16. und 17. Jahrhunderts nicht zu finden.<br />

Erst nachdem die Weinberge infolge von Kriegsereignissen<br />

und ihrer Auswirkungen sowie ungünstigen Witterungsverhältnissen<br />

lange wüst gelegen hatten, bürgerten sich dann<br />

Obstweine und Bier <strong>als</strong> tagtägliches Getränk allmählich ein. 8<br />

Der Weinkonsum beschränkte sich nicht nur auf den Ausschank<br />

in den Dorfwirtshäusern und im heimischen Bereich.<br />

Ebenso schenkten die Gemeindeoberen bei vielerlei „öffentlichen“<br />

Anlässen Wein aus. Auch durften sich die „Nachbarn“<br />

einen kräftigen Schluck gönnen, nachdem Gemeinschaftsarbeiten<br />

stattgefunden hatten, so etwa im Anschluss an das<br />

Brunnenputzen oder das Fegen des Dorfgrabens. Noch tiefer<br />

schauten die Büchsenschützen eines Dorfes nach ihren<br />

Übungen ins Weinglas. Weitere Gelegenheiten zum Umtrunk<br />

ergaben sich beispielsweise nach der Beendigung von Pflasterarbeiten,<br />

nach dem Löschen eines Brandes, beim Ziehen<br />

von Gräben im Wald oder nach Musterungen. Die Liste ließe<br />

sich noch verlängern, da eine ganze Reihe von kommunalen<br />

Diensthandlungen mit einem Umtrunk abgeschlossen wurden.<br />

9<br />

Dies ändert aber nichts daran, dass die Weinbauern im <strong>Hanau</strong>ischen<br />

und vor allem in der Wetterau ansonsten vor allem<br />

Getreide anbauten. Folglich sollte bei „Weinbauer“ die zweite<br />

Silbe betont werden.<br />

Doch nicht nur die Weinbauern profitierten vom hanauischen<br />

Wein, auch andere Gewerke zogen daraus Nutzen. Die<br />

Weinmeisterrechnungen benennen neben den Berufen Wirt<br />

und Weinmeister noch den Bender, den Eichmeister, den<br />

Fuhrmann und den Schröter, der die schweren Fässer fachgerecht<br />

zu transportieren und zu lagern hatte. 10<br />

Nach 1648 erlebte der Weinbau in unserer Region eine<br />

Folge von Höhen und Tiefen. Aufgrund des langen Krieges<br />

fehlten oft Kapital zum Ankauf neuer Stöcke sowie versierte<br />

Arbeitskräfte zur Neuanlage und Pflege der Wingerte. Die<br />

Zuwanderer aus der Schweiz, den Mittelgebirgsregionen oder<br />

der Wallonie, die sich hier niederließen, weil sie sich in der<br />

fruchtbaren Region ein besseres Leben erhofften <strong>als</strong> in ihrer<br />

76 77


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Die Naumburg bei Windecken. Gezeichnet von C. Köhler, Stahlstich L.<br />

Thümling, um 1850. Unterhalb des Schlosses bei Erbstadt erkennt man<br />

den Weinberg und davor ein Weinberghäuschen. <br />

Privat<br />

alten Heimat, besaßen wenig oder keine Erfahrungen im Umgang<br />

mit Weinstöcken und dem Ausbau von Wein. Erschwerend<br />

kam hinzu, dass es Jahre dauert, bis der Rebenzüchter<br />

den ersten Ertrag erzielen kann. Obstbäume hingegen erforderten<br />

weniger Aufwand und die Obrigkeit erhob keine so hohen<br />

Abgaben wie auf den Wein, weshalb sich Obstsäfte und<br />

-weine bald steigender Beliebtheit erfreuten. Der erste Schritt<br />

zur Ablösung des vergorenen Rebensafts durch den „typisch<br />

hessischen Apfelwein“ war somit – zumindest was den Hausgebrauch<br />

anbelangte – bereits getan.<br />

Ein weiterer Grund für den Niedergang der Weinbaukultur<br />

ist das Klima, das sich deutlich verschlechterte. Die „Kleine<br />

Eiszeit“, die weite Teile Europas etwa von der Mitte des<br />

16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts im Griff hatte, sorgte<br />

für verregnete Sommer sowie für kalte und lange Winter.<br />

So wurden nach 1550 die guten Weinjahre immer seltener. Es<br />

gab nur noch kurze Erholungsphasen. Die ungünstige Witterung<br />

minderte Ertrag und Qualität des Weins. Für viele Lagen<br />

lohnte der Anbau einfach nicht mehr, weshalb man sie zu<br />

Obstbaumwiesen umwidmete. 11<br />

Trotzdem konnte sich der Weinbau in der Wetterau und im<br />

<strong>Hanau</strong>ischen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts teilweise wieder<br />

erholen. Der „Wetterauische Geographus“ von 1747 belegt<br />

dies für einige Kommunen. In das allgemeine Lob der Fruchtbarkeit<br />

dieser Landschaft bezieht der Autor Johann Hermann<br />

Dielhelm folglich auch den Weinbau ein: „Nebst allen diesen<br />

vortrefflichen Gaben damit der liebe GOTT unsere Wetterau vor<br />

andern Gegenden gesegnet, so findet man auch hin und wieder<br />

die schönsten und angenehmsten Weinberge, so einen köstlichen<br />

Tranck darreichen, davon absonderlich die berühmtesten in der<br />

Grafschafft <strong>Hanau</strong> bey Bergen …“ 12<br />

Für das Jahr 1754 sind im Amt Bücherthal noch vier Orte<br />

mit Weinbergen verzeichnet: Hochstadt, Kilianstädten, Niederrodenbach<br />

und Rüdigheim. Im Amt Windecken kamen<br />

noch die gleichnamige Stadt und Marköbel hinzu. 13 Gleiches<br />

lässt sich für Bergen, Bischofsheim und Seckbach konstatieren.<br />

Auch am Hang der Naumburg bei Erbstadt pflegte man<br />

die Weinstöcke wie seit alters her weiterhin.<br />

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erfuhr der<br />

Weinbau im Altkreis <strong>Hanau</strong> nochm<strong>als</strong> eine Renaissance. Man<br />

legte sogar in Orten, in denen der Weinbau schon eingestellt<br />

worden war, neue Weingärten an. Die hanauischen Weinbauorte<br />

um 1835 waren Seckbach, Bergen, Bischofsheim, Hochstadt,<br />

Erbstadt (Naumburg) und Langenselbold, wo bis dahin<br />

kontinuierlich angebaut wurde, sowie Neuwiedermus, Wachenbuchen,<br />

Kilianstädten, Hüttengesäß, Nauheim, Marköbel,<br />

Rüdigheim, Oberissigheim und Windecken. 14<br />

In der Beschreibung des Kreises <strong>Hanau</strong> von Georg Landau<br />

aus dem Jahre 1842 heißt es entsprechend: „An den Höhen<br />

und in den Fluren von Bergen, Bischofsheim, Seckbach, Hochstadt,<br />

Langenselbold, Erbstadt, Kilianstädten, Marköbel, Nau-<br />

heim usw. grünen ... Rebenanlagen, welche einen guten, durch<br />

sein Feuer sich auszeichnenden Wein liefern.“ Daneben bemerkt<br />

er, dass man hier auch viel Obstwein keltert! 15<br />

Doch wenige Jahre später neigte sich der Weinbau im ganzen<br />

Altkreis <strong>Hanau</strong> allmählich seinem Ende zu. Im Zuge der<br />

beginnenden Industrialisierung glaubten viele bis dahin in der<br />

Landwirtschaft Beschäftigte, in den neu entstandenen Fabriken<br />

oder im aufstrebenden Bauhandwerk ihr Geld leichter<br />

verdienen zu können. Damit fehlten Helfer für die teilweise<br />

harte körperliche Arbeit in den Weinbergen und Wingerten.<br />

Außerdem brachte die Eisenbahn nun Wein aus entfernten<br />

Gegenden einfacher, schneller und billiger zu den Konsumenten<br />

<strong>als</strong> zuvor. Das alles sowie überholte Anbaumethoden und<br />

Missernten, verursacht durch Rebkrankheiten und die aus<br />

Amerika eingeschleppte Reblaus, führten bald danach zur<br />

Umwidmung vieler Weingärten, die nun meist <strong>als</strong> Obstbaumwiesen<br />

genutzt wurden.<br />

Die letzten Weinbeeren am Hang der Naumburg bei<br />

Erbstadt dürften wohl kurz vor oder während des Ersten<br />

Weltkriegs (1914–1918) gelesen worden sein. Ebenfalls zur gleichen<br />

Zeit ging diese uralte Tradition im nahen Hochstadt zu<br />

Ende. In der Bekanntmachung des Reichsministers für Ernährung<br />

und Landwirtschaft vom 16. April 1924 wird im Regierungsbezirk<br />

Kassel nur noch Gelnhausen <strong>als</strong> Weinbaubezirk<br />

geführt, zwei Jahre zuvor zählten noch Bergen, Enkheim,<br />

Mönchhof und Bischofsheim dazu. 16<br />

Trotzdem gibt es – historisch betrachtet – bis zum heutigen<br />

Tag kontinuierlich hanauischen Weinbau. Die Reben,<br />

die am Lohrberg wachsen und auf die manche Frankfurter<br />

so stolz sind, stehen auf Seckbacher Gemarkung. In der Heimatgeschichte<br />

Bewanderte wissen, dass dieser Ort, und mit<br />

ihm eine Anzahl von Gemeinden des Landkreises <strong>Hanau</strong>, im<br />

Jahre 1886 dem Frankfurter Stadtkreis zugeschlagen wurde.<br />

Die Fischereianlagen im Main bei <strong>Hanau</strong> um 1561, kolorierte Skizze.<br />

Historisches Museum <strong>Hanau</strong> Schloss Philippsruhe/<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein<br />

1844 e.V.<br />

Glücklicherweise bestehen seit einiger Zeit Initiativen, die<br />

versuchen, ein Stück alter Tradition wiederzubeleben. In Kesselstadt<br />

stehen seit Mai 2009 nach mehr <strong>als</strong> 250-jähriger Pause<br />

wieder rund 300 Weinstöcke, die in den nächsten Jahren<br />

wieder Rebensaft hervorbringen werden. In Hochstadt keltert<br />

der dortige Winzerverein schon seit Längerem eigene Trauben<br />

zu Wein.<br />

Ein anderer Landwirtschaftszweig, den man vielleicht<br />

ebenso wenig hier vermutet hätte, war der ab der Mitte des 17.<br />

Jahrhunderts in einzelnen Orten der Grafschaft einige Jahrzehnte<br />

lang intensiv praktizierte Tabakanbau. 17<br />

Als weitere und letzte Besonderheit ist der ehedem in <strong>Hanau</strong><br />

und Kesselstadt im Rahmen der „Fischer- und Schifferzunft<br />

Neuen-<strong>Hanau</strong> – Kesselstadt“ betriebene Fischfang zu<br />

nennen. 18 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es<br />

in Kesselstadt eine ganze Reihe von Fischermeistern. Einige<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Generationen später ging ihre Zahl allerdings drastisch zurück,<br />

sodass laut Auskunft des <strong>Hanau</strong>er Zunftmeisters vom<br />

10. Oktober 1828 nur noch ein Zunftmitglied namens Johannes<br />

Engelhard in Kesselstadt wohnte. 19<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Hunger gab es in<br />

der Wetterau und am Main eher selten und nur infolge von<br />

Missernten, die hier kaum vorkamen, oder infolge anderer<br />

Krisen.<br />

Lange ungünstige Voraussetzungen<br />

Trotz der insgesamt guten Voraussetzungen gab es doch<br />

markante lokale Unterschiede hinsichtlich der Fruchtbarkeit<br />

der Ackerböden zwischen Untermain und Wetterau. So waren<br />

und sind die landwirtschaftlichen Erträge im Norden des<br />

Altkreises <strong>Hanau</strong> bis heute deutlich höher <strong>als</strong> die am Main. 20<br />

Dies könnte ein Grund dafür gewesen sein, weshalb die urkundliche<br />

Ersterwähnung <strong>Hanau</strong>s viel später erfolgte <strong>als</strong> die<br />

vieler anderer Orte der Umgebung. Möglicherweise eignete<br />

sich das heutige Stadtgebiet <strong>Hanau</strong>s durchaus <strong>als</strong> wichtiger<br />

Holzlieferant, während die Burg an der Kinzig <strong>als</strong> Ausgangspunkt<br />

für erfolgversprechende Jagden diente. Aber <strong>als</strong> Fläche<br />

für eine bäuerliche Siedlung war die teilweise versumpfte<br />

Waldlandschaft, durch die sich die Kinzig mit ihren zahlreichen<br />

Nebenarmen schlängelte, lange Zeit nicht geeignet. Erst<br />

<strong>als</strong> sich das Klima langsam änderte, die Niederschlagsmengen<br />

im Laufe des Mittelalters zurückgingen und die Temperaturen<br />

im Jahresmittel leicht anstiegen, trat eine Verbesserung ein.<br />

So entstand allmählich vor der zunächst noch bescheidenen<br />

Wasserburg der Herren von <strong>Hanau</strong> eine Ansiedlung und<br />

die angrenzenden Flächen ermöglichten nun auch einen auskömmlicheren<br />

Ackerbau. Die Verleihung der Stadtrechte am<br />

2. Februar 1303 bot <strong>Hanau</strong> dann neue Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Jetzt durften seine Bewohner Märkte abhalten, man<br />

erhielt einen Rat mit zwei Bürgermeistern, die Freiheit von<br />

Leibeigenschaft sowie das Privileg zum Bau einer Stadtmauer. 21<br />

<strong>Hanau</strong>s Bedeutung wuchs weiter, <strong>als</strong> es Windecken in seiner<br />

Funktion <strong>als</strong> Residenz und Verwaltungsmittelpunkt der Grafschaft,<br />

vermutlich 1436, ablöste. Nun zogen neue Bewohner in<br />

die Stadt und das hier ansässige Handwerk erhielt vermehrt Aufträge<br />

von dem – wenn auch dam<strong>als</strong> vermutlich noch recht genügsamen<br />

– gräflichen Hof. Insgesamt blieb die kleine Stadt<br />

in ihrer Entwicklung recht bescheiden und war im Mittelalter<br />

hinsichtlich ihres Ranges und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung<br />

keinesfalls mit den nahen Reichsstädten Friedberg,<br />

Gelnhausen oder gar Frankfurt auf eine Stufe zu stellen. Die<br />

Einwohnerzahl <strong>Hanau</strong>s überstieg folglich bis zum Ende des<br />

16. Jahrhunderts auch kaum die 1000. Zudem stand das städtische<br />

Gemeinwesen in enger Abhängigkeit vom Landesherrn,<br />

während die Reichsstädte nur dem Kaiser oder einem seiner<br />

Beauftragten unterstanden.<br />

Glaubensflüchtlinge brachten neue Impulse<br />

An der mehr oder minder beschaulichen Situation <strong>Hanau</strong>s<br />

und der Grafschaft änderte sich über Generationen hinweg<br />

recht wenig. Belebende Impulse erhielt die Wirtschaft <strong>Hanau</strong>s<br />

erst mit der Reformation und insbesondere mit der Besteigung<br />

des Grafenstuhls durch Philipp Ludwig II. (1576-1612) im Jahr<br />

1595. In der Folge siedelten sich reformierte Glaubensflüchtlinge<br />

(Refugiés) aus Wallonien und Flandern an, die seinerzeit<br />

zu den wirtschaftlich fortschrittlichsten und wohlhabendsten<br />

Regionen Europas zählten, und im Jahr 1603 wurde ein Niederlassungsrecht<br />

für Juden (Judenstättigkeit) erlassen. 22 Wenig<br />

später kamen Juden und Handwerker aus Frankfurt, die<br />

unter den Auswirkungen des „Fettmilch-Aufstands“ (1612–<br />

Philipp Ludwig II. (1576 – 1612), Gründer der Neustadt und der Festung<br />

<strong>Hanau</strong>. Kupferstich von Dominicus Custos aus Augsburg.<br />

<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

1616) 23 zu leiden hatten. Und nach der Aufhebung des Edikts<br />

von Nantes durch König Ludwig XIV. (1643–1715) im Jahre<br />

1685, das den französischen Calvinisten bis dahin weitgehende<br />

Freiheiten garantiert hatte, ließen sich geflüchtete Hugenotten<br />

in der Neustadt nieder, wo sie weiterhin ihren Glauben<br />

in ihrer Muttersprache praktizieren konnten.<br />

Die Ursachen für die Gründung der Neustadt und <strong>Hanau</strong>s<br />

wirtschaftlichen Aufstieg lagen in einem Konflikt, der weitab<br />

von unserer Region seinen Ausgang genommen hatte.<br />

In den damaligen Spanischen Niederlanden, wozu ebenfalls<br />

der größte Teil des heutigen Belgiens und einige Regionen<br />

Nordostfrankreichs (unter anderem im Artois) gehörten,<br />

eskalierten die Gegensätze zwischen der katholischen Krone<br />

und den zumeist calvinistischen Ständen unter Führung von<br />

Wilhelm von Oranien (1533–1584) ab 1567 zu einer offenen<br />

Rebellion. Das harte Regiment des spanischen Statthalters<br />

Herzog Alba (1507–1582) veranlasste in der Folge Tausende<br />

von Niederländern zur Flucht. Erst im Zuge der Verhandlungen<br />

im Vorfeld des Westfälischen Friedens von 1648 wurde<br />

der Krieg durch die Anerkennung der sieben nördlichen Provinzen<br />

(Niederlande) <strong>als</strong> selbstständiger Staat beendet. Der<br />

südliche Teil (Belgien) blieb weiterhin bei Spanien.<br />

Als einer der ersten Zufluchtsorte bot sich für viele Exilanten<br />

aus den Niederlanden die Messe- und Handelsstadt<br />

Frankfurt an. Allerdings lehnten die Bürger der lutherischen<br />

Reichsstadt deren liberales Verständnis von Wirtschaft und<br />

deren calvinistisches Bekenntnis mehrheitlich ab. Der Rat<br />

verbot ihnen den reformierten Gottesdienst, weshalb manche<br />

der geflohenen Flamen und Wallonen sich nach einem geeigneteren<br />

Umfeld umsahen. 24<br />

In diesem Zusammenhang ist die Frage, wer nun den Anstoß<br />

zum Bau der <strong>Hanau</strong>er Neustadt gab, eher zweitrangig.<br />

Selbst wenn die Initiative von den zum Teil vermögenden Refugiés<br />

ausging, die sich 1596 an ihren jungen Glaubensbruder<br />

Philipp Ludwig II. wandten, um in <strong>Hanau</strong> einen großen<br />

Sammelplatz für alle an einer neuen Heimstätte interessierten<br />

Niederländer und Wallonen zu errichten, so war es doch der<br />

Graf, der ihr Anliegen entschieden beförderte und gegen alle<br />

Widerstände durchsetzte. 25<br />

Doch das geplante Neustadtprojekt ließ sich nicht so einfach<br />

realisieren und stieß anfangs auf erheblichen Widerstand.<br />

Die Gegner des beabsichtigten Stadtneubaus und der damit<br />

80 81


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Der Bau der <strong>Hanau</strong>er Neustadt und der Grenzverlauf zwischen dem Kurfürstentum Mainz und der Grafschaft <strong>Hanau</strong>, Aquarell von 1597.<br />

<br />

Staatsarchiv Würzburg<br />

bis zu sehr wohlhabenden Kaufleuten reichte, brachten innovative<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten sowie notwendiges Kapital<br />

und weitreichende Handelsbeziehungen mit an die Kinzig. 30<br />

Dies bot beste Voraussetzungen für den Aufstieg <strong>Hanau</strong>s zu einer<br />

frühmodernen Gewerbestadt.<br />

Trotz Problemen und Rückschlägen, wie einer schlimmen<br />

Pestepidemie und knappen Finanzen, gingen die Bauarbeiten<br />

– wenn auch mit größeren Unterbrechungen – voran. Schon<br />

wenige Jahre nach ihrer Gründung stellte man in der Neustadt<br />

<strong>Hanau</strong> Erzeugnisse her, die man bis dahin in Deutschland<br />

nicht gefertigt hatte. Dies trifft vor allem auf die Bereiche Verarbeitung<br />

von Edelmetallen sowie Seiden- und Tuchmacherei<br />

zu. 31<br />

<strong>Hanau</strong> entwickelte sich allerdings nicht – wie ursprünglich<br />

vorgesehen und wozu auch der Mainkanal und ein innerstädtischer<br />

Hafen (Heumarkt) eigens angelegt worden waren – zu<br />

einem großen Handelszentrum, das in Konkurrenz zu Frankfurt<br />

treten konnte. Ebenso wenig ließen sich alle ursprünglich<br />

Interessierten in Neu-<strong>Hanau</strong> nieder, aber mancher von ihnen<br />

investierte dort. 32 Die Stadt – oder besser – die Neustadt erwarb<br />

sich den Rang einer modernen Produktionsstätte, deren<br />

Erzeugnisse vornehmlich in der Mainmetropole ihre Käufer<br />

fanden und für deren Transport per Marktschiff sich der Kanal<br />

zum Main <strong>als</strong> Vorteil erwies. Deshalb bildeten die Frankfurter<br />

Messen auch weiterhin „gewissermaßen die Pulsader des<br />

<strong>Hanau</strong>er Gewerbelebens“. 33<br />

Die Neustadt <strong>Hanau</strong> unterschied sich von der Altstadt<br />

nicht nur aufgrund der Andersartigkeit ihrer Einwohnerschaft<br />

etwa in Sprache, Kleidung und Gebräuchen oder ihres anderen<br />

Verständnisses von Wirtschaft. Auch äußerlich war sie mit<br />

ihrem geometrischen Netz von Straßen und repräsentativen<br />

Plätzen das Idealbild einer Planstadt des 17. Jahrhunderts und<br />

bot einen ganz anderen Anblick <strong>als</strong> das verwinkelte mittelaleinhergehenden<br />

Errichtung einer dam<strong>als</strong> modernen Festungsanlage<br />

waren die Reichsstadt Frankfurt, die die Entstehung<br />

einer unliebsamen Konkurrenz für ihren Handel befürchtete,<br />

das Erzbistum Mainz, das im Festungsbau eine Gefahr für<br />

Steinheim zu erkennen glaubte, und die Bürger Althanaus,<br />

die zu Recht um den fruchtbaren Ackerboden, das Garten-<br />

land und die Wingerte bangten. Dennoch gelang es den Befürwortern<br />

des Baus der <strong>Hanau</strong>er Neustadt, alle Hindernisse<br />

zu überwinden. 26 Nach langwierigen Verhandlungen (Kapitulation,<br />

Ratsordnung und Transfix) zwischen der hanauischen<br />

Regierung und den Wallonen und Flamen, wobei man<br />

den Ansiedlungswilligen auch steuerlich weitgehend entgegenkam,<br />

begannen um 1600 die Arbeiten. Für die Glaubensflüchtlinge<br />

aus den Spanischen Niederlanden war die Gewährung<br />

einer kommunalen Selbstverwaltung und eines ihnen<br />

vertrauten religiösen und ökonomischen Freiraums unabdingbare<br />

Voraussetzung für ihre Niederlassung in Neu-<strong>Hanau</strong>. 27<br />

Ihr Verständnis von Wirtschaft stand hierbei im scharfen Gegensatz<br />

zu der durch Zunftordnungen geprägten und eingeengten<br />

Arbeitsweise des traditionellen Handwerks. 28<br />

In der zwischen der <strong>Hanau</strong>er Regierung und den Neubürgern<br />

ausgehandelten Vereinbarung („Kapitulation“) von 1597<br />

heißt es dazu: „Item / unnd zum Achten / Das so wol den Beysesßen<br />

/ alß auch andern Burgern, Kauffleutten, Krämern unnd<br />

Handtwerckern solle frey unndt bevorstehen / allerhandt Ehrliche<br />

unnd dem gemeinen Nutzen unschädtliche Handtierungen<br />

unnd Nharungen zu treiben / unnd mit allerley / doch uffrichtigen<br />

Wahren / alß allenthalben im Heyligen Reich gebreuchlich<br />

unnd zugelasßen ist / zu parthiren / wie auch so wol mit Pfennigwerck<br />

/ unnd bey der Ehlen außzuschneiden / alß auch mit großen<br />

Summen und Ballen / in ihren Heusßern und offenen Laden<br />

zu handlen / unnd zuverkhauffen.“ 29<br />

Diese Passage lässt nicht nur aufgrund der für uns altertümlichen<br />

Sprache einige Möglichkeiten der Interpretation.<br />

Doch eindeutig ist, dass niemand an der Ausübung eines Gewerbes<br />

gehindert werden sollte und Monopolbildung, Produktions-<br />

und Handelsverbote auszuschließen waren.<br />

Die Bewohner der Neustadt, deren soziale Spannbreite von<br />

einfachen Manufakturarbeitern über spezialisierte Handwerker<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Der Große Krieg und seine Folgen<br />

terliche Gassengewirr Alt-<strong>Hanau</strong>s. Alt- und Neu-<strong>Hanau</strong> lagen<br />

zwar direkt nebeneinander und wurden zudem noch von einer<br />

gemeinsamen Festungsanlage geschützt, dennoch blieben<br />

sie bis 1834 nicht zuletzt wegen dieser Verschiedenartigkeiten<br />

verwaltungstechnisch voneinander getrennt. Die weitreichende<br />

Bedeutung der Neustadt <strong>Hanau</strong> hat Heinrich Bott,<br />

der Historiker mit den profundesten Kenntnissen zum Thema<br />

Gründung, treffend mit den Worten beschrieben: „Ohne<br />

die Neustadt wäre die (Alt-)Stadt <strong>Hanau</strong> ein beschauliches Landstädtchen<br />

geblieben – etwa von der Art, wie die gleichalten hanauischen<br />

Städte Steinau, Windecken und Babenhausen oder das<br />

„Eigentlicher Abriß der Statt und<br />

Festung <strong>Hanau</strong>“ des Zeichners<br />

August Rumpf (1590-1665) und<br />

des Stechers Christoph Metzger. Der<br />

Kupferstichzeigt rechts die Planstadt<br />

Neuhanau mit ihren rechtwinklig<br />

zueinander verlaufenden Straßenzügen<br />

und links das mittelalterliche<br />

Alt-<strong>Hanau</strong>.<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

unmittelbar am Main gegenüber <strong>Hanau</strong> gelegene ehem<strong>als</strong> mainzische<br />

Städtchen Steinheim, im Mittelalter die große ‚Konkurrenz‘<br />

Alt-<strong>Hanau</strong>s, bis in die jüngste Zeit präsentierten. Daß die Stadt<br />

<strong>Hanau</strong> sich in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts<br />

ohne Bruch zu einer bedeutenden Gewerbe- und Industriestadt<br />

entwickeln konnte, läßt sich auf den ständig fortwirkenden Geist<br />

ihrer Gründer zurückführen.“ 34 Freilich warfen kriegerische<br />

Ereignisse <strong>Hanau</strong> bei der Entwicklung zu einer bedeutenden<br />

Gewerbestadt zurück. Noch stärker litten die Orte im Umkreis<br />

unter der Kriegsfurie. Den gravierendsten Einschnitt bildete<br />

hierbei der Dreißigjährige oder „Große Krieg“.<br />

Der Dreißigjährige Krieg tötete und verstümmelte nicht<br />

nur Menschen, er erschütterte auch das Wirtschaftsgefüge<br />

empfindlich. Im ländlichen Bereich zum Beispiel standen<br />

1648 viele Bauernstellen leer, lagen große Areale einst fruchtbaren<br />

Ackerbodens brach, war wenig Saatgut vorhanden und<br />

befand sich kaum noch Vieh in den Ställen. 35 Der Krieg hatte<br />

außerdem Handel und Gewerbe ihres kompletten Unterbaus<br />

beraubt.<br />

Dieser Befund traf auch auf viele Orte in der Grafschaft<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg zu, deren Neuaufbau oft nach den verheerenden<br />

Zerstörungen innerhalb weniger Generationen nur<br />

mithilfe zahlreicher Zuwanderer gelang. 36 Dies glückte in den<br />

Bauerndörfern – in denen nahezu jeder in der Landwirtschaft<br />

tätig war und in erster Linie für seine eigenen Bedürfnisse und<br />

die seiner Familie arbeitete – meist einfacher <strong>als</strong> in manchen<br />

Städten, in denen man oft jahrelang vergeblich versuchte, die<br />

vor dem Krieg vorhandene differenzierte gewerbliche Struktur<br />

neu zu beleben. Ein Beispiel hierfür ist Windecken, wo es<br />

nicht gelang, sich jem<strong>als</strong> wieder ganz von dieser Katastrophe<br />

zu erholen. Ein Indiz dafür ist das Aussterben einer stattlichen<br />

Zahl zum Teil anspruchsvoller Gewerke im Verlauf des langen<br />

Konflikts. Nicht mehr ausgeübt wurden auch eine Reihe „öffentlicher“<br />

Berufe, die nach 1648 nicht mehr oder nur noch in<br />

geringerem Umfang benötigt wurden, wie etwa Lehrer, Wirt<br />

oder Bediensteter der früheren Hofhaltung. 37 Die Zahl Letzterer<br />

war vor 1618 immer dann merklich gestiegen, wenn der<br />

gräfliche Hof und die Regierung die Residenzstadt <strong>Hanau</strong><br />

wegen der Pest verlassen mussten, um im Windecker Schloss<br />

vorübergehend Quartier zu nehmen. 38<br />

Der Umstand, dass Windecken seinen Vorkriegsstatus mit<br />

seiner differenzierten Berufsstruktur nicht wieder zu erreichen<br />

Inneres Schlosstor in Windecken (Ausschnitt), Aquarell von Friedrich Philipp<br />

Usener 1826. Historisches Museum Frankfurt, Grafische Sammlung<br />

vermochte, lag sicherlich zu einem beträchtlichen Teil daran,<br />

dass die Menschen in der Stadt und in ihrer Umgebung nach<br />

den furchtbaren Verwüstungen erst einmal ganz elementare<br />

84 85


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Bedürfnisse zu stillen hatten und deshalb kaum teure oder gar<br />

luxuriösere Waren kauften. Für zahlreiche Handwerksberufe,<br />

die möglicherweise seit vielen Generationen in der Stadt ansässig<br />

waren, bedeutete dieses aufgrund der herrschenden Not<br />

verständliche Konsumverhalten das Ende.<br />

Hinzu kam ein weiterer Faktor: Das im Dreißigjährigen<br />

Krieg mehrfach zerstörte Schloss Windecken wurde nicht<br />

wieder aufgebaut. Dadurch fiel es aus <strong>als</strong> Witwensitz oder <strong>als</strong><br />

Ausweichquartier für die hanauische Hofhaltung und somit<br />

auch <strong>als</strong> potenzieller Auftraggeber für das Gewerbe der Kleinstadt.<br />

39<br />

Ein Frankfurter Kupferstecher und Verleger hatte diese wenig<br />

positive Entwicklung vorausgeahnt und schon 1655 ist in<br />

Matthäus Merians „Topographia Hassiae“ zu lesen: „Windecken<br />

ist ehem<strong>als</strong> ein sehr feines Stättlein gewesen, mit einer Ringmauer<br />

umgeben. Liegt aber jetzt zur Hälfte in Asche und ist in<br />

eine elende Wüstenei und Einöde geraten.“ 40 Wesentlich krassere<br />

Worte findet der niederländische Pfarrer Hebelius Potter,<br />

der den Ort mehr <strong>als</strong> 150 Jahre später beschreibt. Er fasst zusammen:<br />

„Einen schauderhafteren Platz <strong>als</strong> dies alte Windecken<br />

habe ich, abgesehen von einem Nest wie Lichtenau, unter den<br />

Orten der Welt noch nicht gesehen.“ Und weiter unten liest man<br />

in seiner Reisebeschreibung: „Von dem Schloß über der Stadt,<br />

auf der Spitze eines Berges, in dem früher die Grafen von <strong>Hanau</strong><br />

ihren Wohnsitz hatten, ist nur noch eine kleine Ruine übrig geblieben.“<br />

41<br />

Freier Wirtschaftsgeist und gezielte Förderung<br />

In <strong>Hanau</strong>, vor allem in der Neustadt, zeigte sich die Situation<br />

nach 1648 deutlich erfreulicher. Zum einen erwiesen sich<br />

die Kriegszerstörungen hier eher <strong>als</strong> marginal im Vergleich zu<br />

den Verwüstungen in der Umgebung, zum Zweiten profitierte<br />

die Stadt von mehreren Einwanderungswellen und zum Dritten<br />

genoss die Residenzstadt obrigkeitliche Förderung.<br />

Folglich beschrieb Merian die beiden Städte <strong>Hanau</strong> auch<br />

ganz anders <strong>als</strong> Windecken. Es heißt dort im gleichen Band:<br />

„Diese Statt ligt nicht allein wol und an einem lustigen Ort, sondern<br />

auch schön erbawet mit Wällen und Gräben etc. wol befestiget<br />

und in die Alte unnd Newe Statt abgetheilet. Hat neben<br />

der Pfarr- auch ein Niderländ- und Frantzösische Kirch und ein<br />

stattliches Schloß“ 42 .<br />

Zum wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt dürften auch<br />

die Tätigkeit einiger Druckereien und die Errichtung der ersten<br />

deutschen Fayencemanufaktur, die länger bestand, beigetragen<br />

haben. Zu ihrem Betrieb hatte Graf Friedrich Casimir<br />

(1623–1685) im Jahre 1661 ein Privileg an Daniel Behagel und<br />

Jacobus van der Walle erteilt und sie war bis 1810 in Betrieb,<br />

obwohl das Porzellan bei der Kundschaft bald beliebter wurde<br />

<strong>als</strong> diese Keramik. 43<br />

Die zweite Welle der Migranten, vornehmlich Lothringer<br />

und Hugenotten, gaben dem Wirtschaftsleben der Stadt<br />

durch ihre beruflichen Kenntnisse und ihr mitgebrachtes Kapital<br />

ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts neue Impulse.<br />

44 Bei Bott heißt es dazu: „Eine erneute Zunahme des stark<br />

zurückgegangenen Anteils der Réfugies in der Bürgerschaft brachte<br />

der Zuzug von Hugenotten nach 1685 und von Flüchtlingen<br />

aus der Pfalz seit 1689, die in <strong>Hanau</strong> Kirchen ihres Glaubens<br />

und ihrer Sprache vorfanden und bald auch Vertreter in den Rat<br />

entsandten. Alte, fast verschwundene Manufakturen wurden mit<br />

Unterstützung der letzten <strong>Hanau</strong>er Grafen wieder belebt.“ 45<br />

Ab 1701 begann im nahen Kesselstadt unter Graf Philipp<br />

Reinhard (1664–1712) die Errichtung der prächtigen Schlossanlage<br />

Philippsruhe. Die ersten Räume des Schlosses waren<br />

1712 bezugsfertig und zwei Jahre später war der Bau vorläufig<br />

abgeschlossen. Unter dem letzten Grafen der Linie Ha-<br />

nau-Lichtenberg, Johann Reinhard III. (1665–1736), erfolgten<br />

noch der Bau des Marstalls am Schlossplatz (später Stadthalle,<br />

heute ein Teil des Congress Parks <strong>Hanau</strong>) sowie zwischen<br />

1722 und 1733 die Errichtung des Frankfurter Tores und des<br />

Neustädter Rathauses.<br />

Der Zuzug qualifizierter und solventer Einwanderer verbunden<br />

mit einer Reihe öffentlicher Investitionen erleichterten<br />

es <strong>Hanau</strong> somit relativ rasch, die durch den Dreißigjährigen<br />

Krieg verursachten Rückschläge zu überwinden.<br />

Die Erben der Grafen aus dem Haus <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg<br />

förderten das <strong>Hanau</strong>er Gewerbe weiterhin gezielt. Trotzdem<br />

drohte Ungemach.<br />

Neue Herrschaft, neue Bauten<br />

Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682–1760) in<br />

Personalunion ab 1736 gleichzeitig Graf von <strong>Hanau</strong>-Münzenberg<br />

verstand es, zahlreiche Goldschmiede („Bijoutiers“) und<br />

Graveure aus Frankreich nach <strong>Hanau</strong> zu locken. Er stellte ihnen<br />

zahlreiche Privilegien in Aussicht, mit denen zwischen<br />

1736 und 1764 insgesamt 32 zugewanderte Schmuckhandwerker<br />

ausgestattet wurden. 46 Diese beschäftigten eine größere<br />

Anzahl von Arbeitern und Gesellen, sodass sich in der Stadt<br />

dank ihnen eine neue Zunft etablierte, die sich dann 1764<br />

auch eine eigene Zunftordnung gab. Doch bis dahin zogen<br />

zwei kriegerische Ereignisse die Region um <strong>Hanau</strong> und das<br />

dort ansässige Gewerbe erneut in Mitleidenschaft. Sowohl im<br />

Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748) <strong>als</strong> auch im Siebenjährigen<br />

Krieg (1756–1763) fanden in der Nähe <strong>Hanau</strong>s<br />

Schlachten statt: im Juni 1743 bei Dettingen und im April<br />

1759 bei Bergen. Einher gingen damit wiederum Plünderungen,<br />

Einquartierungen und Verwüstungen der Wiesen und<br />

Felder sowie der Ausbruch von Seuchen. Ein weiterer negativer<br />

Nebeneffekt bestand im sinkenden Absatz der in der frühen<br />

Gewerbestadt <strong>Hanau</strong> hergestellten Luxusgüter.<br />

Aber auch innerhalb der landgräflichen Familie kam es<br />

ab Anfang 1749 – <strong>als</strong>o zwischen diesen beiden Kriegen – abseits<br />

von <strong>Hanau</strong> zu einigen Turbulenzen. Ursache dafür war<br />

der heimliche Wechsel von Friedrich (1720–1785), dem Sohn<br />

des Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, zum römisch-katholischen<br />

Glauben. In der Folgezeit wirkte sich diese<br />

Konversion für <strong>Hanau</strong> jedoch günstig aus.<br />

Mit der aufgrund dieser Situation verabschiedeten hessischen<br />

Assekurationsakte von 1754 sollte nicht nur sichergestellt<br />

werden, dass die protestantische Religion in Hessen<br />

unangetastet blieb, sondern ebenso dass die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg<br />

nicht unter die Regentschaft des konvertierten<br />

Friedrich kam. Diese Aufgabe übernahm zunächst seine<br />

Ehefrau Maria, die mitsamt ihren Kindern seit dem Übertritt<br />

von ihrem Mann getrennt lebte.<br />

Ab 1764 regierte die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg der<br />

volljährig gewordene Erbprinz Wilhelm (1743–1821), ab 1785<br />

<strong>als</strong> Landgraf Wilhelm IX., ab 1803 Kurfürst Wilhelm I. 47 In<br />

den folgenden mehr <strong>als</strong> zwei Jahrzehnten erlebte die Stadt eine<br />

glanzvolle Hofhaltung und rege Bautätigkeit. Von 1767 bis<br />

1777 wurden die Festungswerke zwischen Alt- und Neu-<strong>Hanau</strong><br />

(Freiheitsplatz) niedergelegt, 1768 das Stadttheater, 1772<br />

die Zeichenakademie zur Ausbildung des Nachwuchses für<br />

das Schmuckgewerbe sowie 1777 das Zeughaus mit Wache<br />

und das Kollegienhaus (heute: Behördenhaus) errichtet.<br />

Die imposanteste Baumaßnahme aus der Ära der Regentschaft<br />

des Erbprinzen ist die zwischen 1776 und 1780 erbaute<br />

und nach ihm benannte Kur- und Badeanlage Wilhelmsbad.<br />

Wobei allerdings ein langer Schatten den Ruf des Prinzen verdunkelt,<br />

denn das Projekt konnte lediglich dank des „Soldatenhandels“<br />

mit den Briten finanziert werden. Dabei wurden<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

<strong>Hanau</strong> von Osten, kolorierter Kupferstich<br />

von Johann Jacob Müller um<br />

1790. Die markantesten Gebäude<br />

sind von links die Wallonisch-Niederländische<br />

Kirche, das Neustädter<br />

Rathaus, die Hohe Landesschule, die<br />

Marienkirche, die Johanneskirche<br />

und das Stadtschloss. Davor sieht<br />

man Bauern bei der Feldarbeit in der<br />

Nähe der Kinzig.<br />

Historisches Museum <strong>Hanau</strong> Schloss<br />

Philippsruhe/<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein<br />

1844 e.V.<br />

zwischen 1776 und 1781 gut 2400 junge Burschen aus dem<br />

<strong>Hanau</strong>er Umland in militärischer Formation an König Georg<br />

IV. von Großbritannien „vermietet“, weshalb der Begriff „Soldatenvermietung“<br />

zutreffender ist. Die Söldner sollten den<br />

Aufstand der revoltierenden Siedler während des Amerikanischen<br />

Unabhängigkeitskriegs (1776–1783) niederschlagen,<br />

was bekanntermaßen nicht gelang. Die weitaus meisten dieser<br />

Soldaten kehrten später nach Europa zurück.<br />

Im letzten, weitgehend friedlichen Drittel des 18. Jahrhunderts<br />

fanden die Erzeugnisse der <strong>Hanau</strong>er Manufakturen<br />

überwiegend im Ausland ihre Käufer. Dadurch entwickelten<br />

sich die <strong>Hanau</strong>er Schmuckwaren zu erfolgreichen Exportprodukten.<br />

Zur Sicherung ihres hohen Standards auch für die<br />

Zukunft ließ Wilhelm auf Bitten der <strong>Hanau</strong>er Bijoutiers 1772<br />

die Zeichenakademie errichten.<br />

Das quantitativ bedeutendste Gewerbe <strong>Hanau</strong>s war im 18.<br />

Jahrhundert jedoch die Textilindustrie, die seit dem Anfall<br />

an Hessen-Kassel ebenfalls prosperierte. Außerdem arbeiteten<br />

1764 in <strong>Hanau</strong> noch sieben Tuchmacher- und 45 Wollstrumpfwirkerbetriebe.<br />

Diese Branche ernährte im Hausgewerbe<br />

auf Verlagsbasis (Heimarbeit zu Konditionen des<br />

Auftraggebers) allein in der Stadt mehr <strong>als</strong> 1000 Arbeiter und<br />

dazu noch etwa 2000 Weber und Spinner auf dem Land. Daneben<br />

wurden um die Jahrhundertmitte auch viele andere<br />

Textilsorten wie Plüsch, Camelot und Tarlatan verarbeitet. In<br />

diesen Zweigen waren mindestens 500 weitere Arbeiter und<br />

Gesellen beschäftigt. Zu den kleineren Gewerben in der Stadt<br />

zählten die Hut- und Handschuhmacher, die Färber, die Bierbrauer<br />

und die Posamentierer, die fertige Textilien mit Quasten,<br />

Borten, Fransen oder Spitzen verzierten. 48<br />

Eine von Erbprinz Wilhelm 1779 veranlasste Bestandsaufnahme<br />

der wirtschaftlichen Situation mit der Auflage, Vorschläge<br />

zu ihrer Verbesserung vorzubringen, listet auch die in<br />

<strong>Hanau</strong> ansässigen Branchen auf. 49<br />

Aufgrund dieser breiten Palette an Gewerben mit einer beträchtlichen<br />

Anzahl von Arbeitern genoss <strong>Hanau</strong> zu Recht<br />

den Ruf einer frühmodernen „Fabrikstadt“. Diese Entwicklung<br />

begann mit der Ansiedlung und dem Wirken der Refugiés<br />

aus Flandern und Wallonien und setzte sich später in ähnlichem<br />

Geist dank staatlicher Unterstützung fort.<br />

Wie in diesem Zusammenhang der merkantilen Wirtschaftsförderung<br />

die Gründung der „Hessen-<strong>Hanau</strong>ischen<br />

Lehn-Banco“ erfolgte und welche Absichten damit verbunden<br />

waren, stellt das anschließende Kapitel detailliert dar.<br />

Jedoch führte die Privilegierung der neuen „Fabrikanten“<br />

mit der Befreiung von Lasten und Abgaben zu Spannungen<br />

mit der alten Bürgerschicht, die derartige Vergünstigungen<br />

nicht kannte und sich zusätzlich darüber beschwerte, dass die<br />

neuen Fabrikanten keine öffentlichen Ämter übernahmen.<br />

Diese Situation beschreibt ein Gutachten von 1762 wie folgt:<br />

„Keiner der befreiten Fabricanten und manufacturiers wird zu<br />

Raths Stellen gewählt und sie bezeugen auch gar wenig Lust,<br />

Stadt- oder Kirchenämter anzunehmen. In dem Stadtrat befinden<br />

sich aber Handwerks Leute, welche zum Teil wohlhabender,<br />

<strong>als</strong> jene sein mögen und sich, weil sie ihre professiones starck<br />

treiben (wie z.E. verschiedene Rothgerber, gros-grain-Wollen-,<br />

Strumpf- und grobe Tuchweber, auch sogar Handschuhmacher)<br />

nunmehr ebenfalls Fabricanten nennen, von Anfang der Neustadt<br />

hingegen, umb willen ihr Handwerk zum Teil zünftig ist,<br />

den bürgerlichen Lasten unterworfen gewesen. Diese können mit<br />

gleichgültigen Augen nicht ansehen, daß andere Fabricanten und<br />

Manufacturiers mehrere Freiheit <strong>als</strong> sie genießen, und sich in der<br />

äußerlichen Lebens Art mehr hervortun wollen.“ 50<br />

Trotz dieser Gegensätze überdauerte diese fortschrittliche<br />

Wirtschaftsverfassung der Neustadt die Gründungsphase und<br />

florierte im 18. Jahrhundert auch mithilfe staatlicher Protektion.<br />

Ein Beleg dafür stammt aus berufenem Mund. Johann<br />

Wolfgang von Goethe lobte am Ende der napoleonischen Ära<br />

<strong>Hanau</strong>s Rang <strong>als</strong> Gewerbestadt und hob einige ihrer Erzeugnisse<br />

wegen ihrer Einzigartigkeit hervor, da man sie „weder in<br />

Paris noch in London zu fertigen“ wisse und sie „nicht selten jene<br />

des industriösen Genf“ überträfen. 51<br />

Der Fleiß des Gewerbes zeigte sich aber nicht nur in der<br />

Herstellung einzigartiger Produkte, sondern ebenso in der<br />

Vielfalt der Unternehmen. So existierten zu Beginn des 19.<br />

Jahrhunderts in der Stadt zehn Strumpffabriken, sieben Fabriken<br />

für Kamelottwaren, Plüschmanufakturen, Teppichfabriken<br />

und Kattundruckereien. Außerdem wurden Hüte, Fayence-<br />

oder Papierwaren und Spielkarten hergestellt. Auf ähnlich<br />

hoher Stufe stand die Produktion von Seidenwaren. Daneben<br />

gab es Tabak-, Wagen- und Chaisefabriken. Führend blieb<br />

auch die Schmuckwarenindustrie, die <strong>Hanau</strong>s weltweiten Ruf<br />

begründete. 52<br />

Daneben gab es in der Stadt noch zahlreiche Meister, Gesellen<br />

und Lehrlinge des traditionellen Handwerks sowie etliche<br />

Ackerbürger, die vor den Toren der Stadt Landwirtschaft<br />

betrieben. So rührt die Bezeichnung „<strong>Hanau</strong>er Gäleriewe”<br />

daher, weil hier im 18. Jahrhundert größere Mengen Gelbe<br />

Rüben angebaut und geerntet wurden, die das Marktschiff<br />

anschließend nach Frankfurt und sogar bis nach Mainz<br />

brachte. 53 Insgesamt, so scheint es, lebte man in der Grafschaft<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg, die 1803 die Standeserhöhung<br />

zum Fürstentum erlangt hatte, beim Einmarsch der Franzosen<br />

1806 recht zufrieden. Jedenfalls lässt die folgende Passage<br />

eines Berichts des hohen Beamten und späteren Mitbegründers<br />

der Wetterauischen Gesellschaft Carl Caesar Leonhard<br />

(1779–1862) an einen französischen Intendanten aus diesem<br />

Jahr darauf schließen. Es heißt dort: „Es vereinigen sich Natur<br />

und Gewerbefleiß, um die Bewohner zu glücklichen Menschen<br />

und, wenigstens in gewisser Hinsicht, unabhängig von Deutschlands<br />

Produkten zu machen.“ 54<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Antwort <strong>Hanau</strong>er Fabrikanten und Kaufleute auf eine„ Pro Memoria<br />

“des Erbprinzen Wilhelm vom Mai ,1779 worin eine Bestandsaufnahme<br />

zu Handel und Gewerbe sowie Vorschläge zur Verbesserung der<br />

wirtschaftlichen Situation gemacht werden.<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg 81 Reg. <strong>Hanau</strong> 83 Rubr. 40 Nr. 5<br />

Viele Produkte, gefährdeter Absatz und soziale Nöte<br />

Doch bei allem Lob des Gewerbefleißes der Produzenten<br />

und der Kunstfertigkeit der Arbeiter darf man eines nicht vergessen:<br />

Viele der in <strong>Hanau</strong> häufig arbeitsteilig in zumeist kleineren<br />

oder mittelgroßen Manufakturen hergestellten Waren<br />

zählten zum Segment der Luxusgüter, deren Absatz sich gerade<br />

in Krisen- und Kriegszeiten <strong>als</strong> sehr konjunkturabhängig<br />

und damit <strong>als</strong> äußerst anfällig erwies.<br />

Das spürten die Bewohner des Fürstentums <strong>Hanau</strong> spätestens<br />

ab Herbst 1806 am eigenen Leibe. Mit dem Einmarsch<br />

französischer Truppen und der bald danach von Kaiser Napoleon<br />

verhängten Kontinent<strong>als</strong>perre, die jeglichen Handel mit<br />

Großbritannien unterband und die französische Konkurrenz<br />

begünstigte, gerieten manche Sektoren des <strong>Hanau</strong>er Gewerbes,<br />

vor allem die Edelmetallbranche, in eine Absatzkrise,<br />

die ihre Existenz bedrohte. 55 Gegen Ende der Rheinbundzeit<br />

(1806–1813) und der französischen Vorherrschaft gab es nur<br />

noch 13 Gold- und zwei Silberfabrikanten in <strong>Hanau</strong>. 56<br />

Auch für die übrige Bevölkerung sollte sich die französische<br />

Besatzung negativ auswirken, da sie „von dem einfachen<br />

Prinzip bestimmt war, das Land für die französische Kriegskasse<br />

auszubeuten“. 57 Verbunden war dies unter anderem mit<br />

Einquartierungen, hohen Steuern, Rekrutenaushebungen und<br />

Transportdiensten, die die Bevölkerung belasteten. Dazu kamen<br />

Bedrückungen, die durch die Gründung des Großherzogtums<br />

Frankfurt unter Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg<br />

(1744–1817) nur unwesentlich gemildert werden konnten<br />

und natürlich auch jeglichen ökonomischen Fortschritt, trotz<br />

gesetzlicher Erleichterungen im Wirtschaftsleben, massiv<br />

hemmten oder sogar verhinderten. 58<br />

Während der Restaurationszeit und im Vormärz (1815–<br />

1848) traten diese Absatzprobleme phasenweise erneut auf.<br />

Einfahrt des <strong>Hanau</strong>er Fruchtwagens am 28. Juli 1817. Kolorierte Darstellung<br />

aus der Ziegler`schen Chronik. Nach dem Ausbruch des Vulkans<br />

Tambora im heutigen Indonesien 1815 folgte 1816 („Jahr ohne Sommer“)<br />

eine Klimaveränderung mit Ernteausfällen, Viehsterben und Hungersnot.<br />

Erst die Ernte von 1817 brachte wieder normale Erträge.<br />

<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

Verantwortlich war dafür allerdings nun nicht mehr der von<br />

den Briten nach St. Helena deportierte französische Kaiser,<br />

sondern in erster Linie die rigide kurhessische Zollpolitik und<br />

die hohen Stempelgebühren, die <strong>Hanau</strong>s Wirtschaft praktisch<br />

von ihrem Umland abschnürten. Das Zollregime erschwerte<br />

den Export der Produkte des früh industrialisierten <strong>Hanau</strong>s<br />

und schränkte die Erlöse der im Umland nebenerwerblich tätigen<br />

Woll- und Leinewebereien erheblich ein, die oft nur einen<br />

Webstuhl besaßen. Die dadurch hervorgerufene hohe Arbeitslosigkeit<br />

und verbreitete Armut bildeten den Nährboden<br />

für die wachsende Unzufriedenheit und politische Unruhe. 59<br />

Dabei war Kurhessen kein Einzelfall. Eine ganze Reihe<br />

deutscher Staaten schottete sich bis in die 1830er-Jahre mittels<br />

hoher Zölle ab. Man versuchte auf diese Weise, unliebsame<br />

Konkurrenz von den eigenen Märkten fernzuhalten und die<br />

Staatskassen mit hohen Abgaben zu füllen, verhinderte damit<br />

letztendlich jedoch lediglich den wirtschaftlichen Fortschritt.<br />

Für <strong>Hanau</strong> wirkte sich diese Haltung vornehmlich deswegen<br />

negativ aus, weil hohe Zölle sowohl den Import von Rohstoffen<br />

<strong>als</strong> auch den Export der Produkte ihrer frühmodernen Gewerbe<br />

verteuerten. Hier bestand ein Interessensgegensatz zur<br />

traditionellen nordhessischen, stärker auf die Landwirtschaft<br />

ausgerichteten Wirtschaft, die mittels der Kasseler Politik vom<br />

Konkurrenzdruck fremder Importe geschützt werden sollte. 60<br />

Außerdem hatte der zurückgekehrte Kurfürst alle Verbesserungen<br />

im Bereich der Gewerbepolitik aus der Rheinbund ära<br />

kassiert und den alten Zustand der Zeit vor 1806 restauriert.<br />

Welche konkreten Auswirkungen die deutsche Kleinstaaterei<br />

um 1800 in unserer Region hatte, belegen einige beispielhafte<br />

Vorgänge, die im Staatsarchiv Marburg nachzulesen<br />

sind. Sie haben Vorkommnisse an der Zollstation Windecken<br />

zum Inhalt, die dam<strong>als</strong> die (Zoll-)Grenze zum „ausländischen“<br />

Nachbarort Heldenbergen darstellte. Im Jahr 1792 verhaftete<br />

man dort zwei Burschen ohne Pässe und verhörte sie, weil<br />

man sie <strong>als</strong> Kundschafter verdächtigte. 61 Im Jahr 1822 erfolgten<br />

Bestimmungen gegen das „Einschmuggeln fremden Salzes“.<br />

62 Erschwerend kam für den Transport von Waren noch<br />

das vielerorts erhobene Pflaster- und Brückengeld hinzu. 63<br />

Ein anderes Handelshemmnis war das Chauseegeld. Diese<br />

Gebühr für das Recht, eine Straße zu befahren, wurde<br />

1817 in der Provinz <strong>Hanau</strong> per Verordnung erneuert. Das<br />

Chausseegeld berechnete man, je nach Art des Fahrzeugs, pro<br />

Wegstunde. Es betrug für einen vierspännigen Wagen 4 Kreuzer<br />

2 Heller pro Pferd, für einen leeren Schubkarren mussten<br />

zwei Heller bezahlt werden. Diese Gebühr war in <strong>Hanau</strong> an<br />

der Hellerbrücke, an der Kinzigbrücke und am Nürnberger<br />

90 91


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Tor sowie an weiteren 18 Stellen im Fürstentum zu zahlen. 64<br />

Um Erleichterung für den Export zu erreichen, hatten 44 <strong>Hanau</strong>er<br />

Fabrikanten und Kaufleute bereits 1820 eine Eingabe<br />

an die kurhessische Regierung gemacht. Ihr Ziel war der Anschluss<br />

des Landes an den Süddeutschen Zollverein. Doch die<br />

Kasseler Regierung entschied sich für den Beitritt zu dem für<br />

<strong>Hanau</strong> wenig vorteilhaften Mitteldeutschen Handelsverein.<br />

Dieser Anschluss schottete das <strong>Hanau</strong>er Exportgewerbe noch<br />

mehr von seinem Umland ab. Verhandlungen des Kurfürsten<br />

mit Preußen, mit dem Ziel, ein Zollabkommen zu schließen,<br />

beargwöhnte man in der Stadt ebenfalls, da dies den Zugang<br />

zu den Absatzmärkten in Süddeutschland und vor allem zum<br />

wichtigen Handelsplatz Frankfurt erschwert hätte. Mit der<br />

Gründung des preußisch geführten Deutschen Zollvereins im<br />

Jahre 1834 wurde endlich ein gemeinschaftliches Zollsystem<br />

geschaffen, das 23,5 Millionen Einwohner umfasste und dem<br />

mehr <strong>als</strong> die Hälfte der deutschen Staaten angehörte. 65 Frankfurt,<br />

der für <strong>Hanau</strong>er Produkte so wichtige Handelsplatz, trat<br />

1836 dem Zollverein bei.<br />

In den Folgejahren begünstigte die Ausdehnung des Binnenmarkts<br />

die jeweiligen Regionen in unterschiedlicher Weise.<br />

Die gewerbliche Entwicklung des heutigen Hessen erzielte<br />

markante Fortschritte. „Dies galt insbesondere für den von zahlreichen<br />

Staatsgrenzen durchschnittenen Rhein-Main-Raum, wo<br />

der Wegfall lästiger Handelshemmnisse manche Impulse gab und<br />

die Entstehung eines industriellen Ballungsraumes erleichterte.“<br />

Sicherlich brachte der Deutsche Zollverein eine Reihe von<br />

wirtschaftlichen Vorteilen, aber die These, wonach er <strong>als</strong> Auslöser<br />

für die Industrialisierung Deutschlands zu sehen ist,<br />

wird heute in der Forschung stark hinterfragt. Gelten darf er<br />

aber hingegen „<strong>als</strong> ein stützender Faktor für den langwierigen<br />

Übergang von der agrarisch-kleingewerblichen Wirtschaft zur<br />

modernen Industrie“. 66<br />

Doch zurück nach <strong>Hanau</strong>, wo das Bijouterie- und Silberwarengewerbe<br />

in den Jahrzehnten nach 1815 sehr unterschiedliche<br />

Konjunkturphasen durchlebte. Der Tiefststand war 1817<br />

mit zwölf Gold- und zwei Silberwarenfabrikanten mit zusammen<br />

etwa 200 Arbeitern erreicht. Im Jahre 1825 stieg diese<br />

Zahl auf 23 Betriebe mit 227 Beschäftigten, 1835 zählte man<br />

250 bis 300 Beschäftigte und 1845 arbeiteten in 54 Bijouterie-<br />

und vier Silbermanufakturen insgesamt fast 840 Menschen,<br />

bevor sich diese Zahl bis 1847 wiederum halbierte. Erst<br />

Anfang der 1850er-Jahre zog die Konjunktur wieder an und<br />

damit auch die Nachfrage nach Arbeitskräften. Dazwischen<br />

lag die Erhebung von 1848. Gegen Ende des Kurfürstentums<br />

Hessen (1864) arbeiteten in <strong>Hanau</strong> einschließlich des Hilfsgewerbes,<br />

wozu beispielsweise Emaileure und Graveure gehörten,<br />

1684 Beschäftigte in der Edelmetallverarbeitung. 67<br />

Eine ausführliche Bestandsaufnahme zu <strong>Hanau</strong>s Industrie<br />

und Gewerbe für das Jahr 1842 vermittelt wiederum der Kasseler<br />

Archivar und Historiker Georg Landau in seiner „Beschreibung<br />

des Kurfürstenthums“, dabei erwähnt er auch die<br />

Bedeutung der Handelsstadt Frankfurt und die der Grenzzölle.<br />

Es heißt dort: „Unter den Fabrikstädten Kurhessens nimmt<br />

<strong>Hanau</strong> sicher den ersten Platz ein. Am berühmtesten sind seine<br />

Bijouterie-Fabriken. (…)<br />

Man zählt 10 große Atteliers und außerdem noch an die 40,<br />

die unter eigener Firma arbeiten, welche zusammen mit Einschluß<br />

der Silberarbeiter und der für die Bijouterie-Fabriken<br />

arbeitenden Graveurs, Emaillemaler, Emailleurs, Guillocheurs.<br />

Edelsteinschneider und der Polirerinnen an 600 Personen beschäftigen.<br />

(…)<br />

Nicht minder berühmt ist die große Leislersche, in neuerer Zeit<br />

bedeutend erweiterte Teppichfabrik, deren Fabrikate sich durch<br />

ihre geschmackvolle stets eigenen, nie entlehnten Zeichnungen,<br />

die Lebhaftigkeit und Dauer ihrer Farben und die Feinheit ihres<br />

Summet dergestalt auszeichnen, daß sogar die hohen Gränzzölle<br />

den Absatz der sich über ganz Europa verbreitet nur wenig zu beschränken<br />

vermochten. Auch liefert dieselbe Gobelintapeten und<br />

englischen Bieber. Ihre Spinnerei und ihre Bieberweberei werden<br />

durch eine Dampfmaschiene betrieben: auch hat sie ihre eigene<br />

Färberei.<br />

Den Vertrieb der Fabrikate besorgt ein bei der Fabrik betheiligtes<br />

Handelshaus zu Frankfurt. Ferner besitzt <strong>Hanau</strong> eine in<br />

neuester Zeit entstandene Fabrik, welche kleine Kunstgegenstände<br />

in Eisenguß bereitet. 3 größere Seiden-Fabriken mit mehreren<br />

100 Arbeitern, welche glatte und faconirte Seidenzeuge, Atlasse,<br />

Sammete, Strümpfe, Handschue etc. verfertigen; 1 Fabrik, welche<br />

alle Arten farbiges Papier in einem vorzüglichen Grade der Vollkommenheit<br />

liefert; 4 ansehnliche Tabacks-Fabriken; 1 sehr bedeutende<br />

Filzhut und 2 Seidenhut-Fabriken; an 7 Kutschen Fabriken,<br />

unter denen mehrere einen sehr vortheilhaften Ruf haben;<br />

mehrere Chokolade-Fabriken; mehrere Fabriken welche Percal,<br />

lederne und seidene und baumwollene Handschue bereiten; 1<br />

Karten-Fabrik; einige Nudel-Fabriken; 2 Plattir-Fabriken; ein<br />

halb Dutzend Seifen und Lichter-Fabriken; 1 Senf-Fabrik; 1 Siegellack<br />

und Oblaten-Fabrik; einige Wollgarn-Spinnereien; an 8<br />

Wollenwaaren-Fabriken, welche wollene Shw<strong>als</strong>, Pferdedecken,<br />

Bieber, Damastgewebe, Kleiderzeuge, Kamisole, Beinkleider etc.<br />

bereiten und unter denen eine an 100 Arbeiter beschäftigt; mehrere<br />

Bierbrauereien, 7 Brandweinbrennereien; 1 Fabrik, welche<br />

moussirende Weine liefert; mehrere Essig und Liquer-Fabriken.<br />

Mehrere Werkstätten für Fortepiano’s und Klaviere, gleichwie<br />

einige andere, welche Blechinstrumente verfertigen unter denen<br />

namentlich eine im hohen Rufe steht; 3 Buchdruckereien und 4<br />

Lithographen; an 9 Gerbereien; 1 Fayance- und Thon-Ofen-Fabrik<br />

und etwa ein Dutzend Seilermeister, von denen einige auch<br />

Schiffstaue liefern; 2 Oel-, Farbholz- und Gewürzmühlen. Mit<br />

der Gewerbthätigkeit steht der Handel jedoch nicht in gleichem<br />

Verhältnisse, er ist vielmehr geringer und wird namentlich durch<br />

die Nähe von Frankfurt beschränkt. Ansehnlich ist namentlich<br />

der Handel mit Holländer-Holz, welches vom Speshard kommt<br />

und auf dem Main und Rhein bis zu den Niederlanden verflößt<br />

wird, der Betrieb einer andern Großhandlung besteht lediglich in<br />

Hasenhaaren; auch finden sich en gros Handlungen in Kolonialwaaren,<br />

in Droguerie und Farbwaaren, in Wein Getreide etc.<br />

Außerdem bestehen auch 2 Buchhandlungen.“ 68<br />

Nicht alle von Landau aufgeführten Gewerbe waren in der<br />

Lage, ihren Status bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu bewahren.<br />

Einige mussten gar die Produktion einstellen.<br />

Mit der <strong>Hanau</strong>er Textilfabrikation zum Beispiel ging es<br />

kontinuierlich bergab, was auch den Niedergang der zahlreichen<br />

Wollwebereien mit ihren alten Handwebstühlen in der<br />

Umgebung <strong>Hanau</strong>s zur Folge hatte. Sie erwiesen sich gegenüber<br />

der zunehmenden Technisierung in diesem Sektor <strong>als</strong><br />

nicht mehr konkurrenzfähig und verschwanden bis zur Jahrhundertmitte<br />

nahezu ganz. Etwas länger konnten sich die Seiden-<br />

und Teppichproduzenten behaupten. Doch 1895 schloss<br />

mit der Teppichfabrik von Leisler & Co. auch das letzte Unternehmen<br />

dieser Art in <strong>Hanau</strong> seine Pforten. 69<br />

Etwa zeitgleich zum Niedergang des Textilgewerbes entwickelte<br />

sich der Aufstieg der <strong>Hanau</strong>er Zigarrenindustrie und<br />

ihrer Zuliefererbetriebe wie etwa die Schreinereien für die<br />

Herstellung von Wickelformen und Zigarrenkisten oder die<br />

lithografischen Anstalten für die Zigarrenkistengestaltung<br />

und -banderolen. Die eigentliche Produktion der Zigarren<br />

war (offenbar) Frauensache: 1861 waren hier 901 Arbeiterinnen,<br />

aber nur 130 Männer beschäftigt.<br />

Im Vergleich zu den genannten Industriezweigen blieben<br />

andere Unternehmen zunächst noch von untergeordneter Bedeutung.<br />

Doch war <strong>Hanau</strong> keine reine Fabrikstadt, denn 1852<br />

stellten die 2464 Fabrikarbeiter, die zu einem beträchtlichen<br />

92 93


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Teil noch in mittleren oder kleineren Manufakturen arbeiteten,<br />

zwar die Mehrheit der Erwerbstätigen, gleichzeitig gab es<br />

aber noch 696 selbstständige Handwerksmeister mit 1059 Gesellen<br />

und Lehrlingen. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten:<br />

Die Fabrikarbeiter und ihre Familien bildeten seinerzeit die<br />

weitaus stärkste Gruppe in der 1850 etwa 15.200 Köpfe zählenden<br />

Einwohnerschaft <strong>Hanau</strong>s.<br />

An dieser Stelle ist ein Blick auf die Lage der <strong>Hanau</strong>er Arbeiterschaft<br />

angebracht. Es erwies sich <strong>als</strong> echtes Handicap,<br />

dass ein Großteil von ihnen stark konjunkturabhängige Luxusgüter<br />

produzierte. Denn ihnen drohte in jeder Krise, die<br />

den Absatz einbrechen ließ, die Arbeitslosigkeit. Zudem waren<br />

auch die Lebensbedingungen derjenigen, die einer Beschäftigung<br />

nachgingen, äußerst bescheiden. So verdiente ein<br />

Goldarbeiter 1853 wöchentlich zwischen 3 ½ und 15 Gulden<br />

(fl.), ein Zigarrenarbeiter zwischen 4 und 7 fl. und ein Weber<br />

in der Teppichfabrik lediglich zwischen 3 ½ und 6 fl. Die<br />

Löhne für Frauen bewegten sich auf einem noch weit niedrigeren<br />

Niveau. Die durchschnittlichen Ausgaben für eine vierköpfige<br />

Familie beliefen sich dagegen zu diesem Zeitpunkt<br />

allein für Nahrung und Wohnung auf mehr <strong>als</strong> fünf Gulden,<br />

hinzu kamen noch die Ausgaben für Kleidung, Hausbrand<br />

und dergleichen mehr. Insgesamt reichten die Einkünfte der<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter somit allenfalls für das Nötigste<br />

und erlaubten kaum Rücklagen. Frauen- und sogar Kinderarbeit<br />

war deshalb innerhalb dieser Bevölkerungsschicht eher<br />

die Regel <strong>als</strong> die Ausnahme. Erst nach der Annexion durch<br />

Preußen wurde Kinderarbeit im Norddeutschen Bund 1869<br />

weitgehend verboten. 70<br />

Obwohl es ursprünglich in der Absicht des Neustadtgründers<br />

Graf Philipp Ludwig II. lag, entwickelte sich <strong>Hanau</strong> nie<br />

zu einer Handelsstadt. Im 19. Jahrhundert besaß hier lediglich<br />

der Holzhandel eine gewisse Relevanz. 71<br />

Anders <strong>als</strong> in der Stadt hatte die (Früh-)Industrialisierung<br />

den Kreis <strong>Hanau</strong> nur punktuell erfasst. Die Lebensgrundlage<br />

für das Gros der Bevölkerung in den Dörfern des Kreises waren<br />

nach wie vor die Erträge der Land- und Forstwirtschaft.<br />

Zusätzlich hatten der stetige Bevölkerungsanstieg und die<br />

Realerbteilung zu einer Zersplitterung des Grundbesitzes unter<br />

allen erbberechtigten Nachkommen zu einer unübersehbaren<br />

Zahl von kleinen und kleinsten Parzellen geführt. Der<br />

Spruch „Viele Brüder, kleine Güter“ beschreibt die bestehenden<br />

Verhältnisse in Südwestdeutschland sehr treffend. Folglich<br />

führten viele Kleinbauern und Tagelöhner ein ärmliches<br />

Leben, das zudem von Missernten bedroht war. Diese Situation<br />

zwang viele Landwirte zu zusätzlicher Heimarbeit oder<br />

zusätzlichem Kleingewerbe, ohne dass sie je ernsthaft mit den<br />

nun verstärkt auftretenden industriell gefertigten Produkten<br />

konkurrieren konnten. Die zumeist im Nebenerwerb von vielen<br />

Kreisbewohnern betriebene Leinenweberei verschwand<br />

aus diesem Grund seit Beginn des 19. Jahrhunderts rasch. 72<br />

Wohlhabendere Bauern konnten ihren Überschuss auf den<br />

Märkten in Frankfurt oder <strong>Hanau</strong> verkaufen. Andere Dorfbewohner<br />

arbeiteten <strong>als</strong> Handwerksmeister oder Gesellen für<br />

den örtlichen Bedarf. Aufgrund der verbreiteten Armut wanderten<br />

gerade in dieser Zeit viele nach Übersee aus.<br />

Die bereits miserablen Lebensbedingungen wurden unmittelbar<br />

vor dem Revolutionsjahr 1848 noch durch Ausfälle bei<br />

der Getreideernte und die Kartoffelkrankheit verschärft. Dies<br />

führte zu Preissteigerungen und zur letzten nicht durch Krieg<br />

oder Kriegsfolgen verursachten Hungersnot in Deutschland<br />

mit „Brotkrawallen“ in zahlreichen Orten, nicht nur auf dem<br />

Land, sondern vor allem auch in den Städten.<br />

Doch nicht nur die Masse der bäuerlichen Bevölkerung<br />

zeigte sich mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden,<br />

auch im Bürgertum gärte es. Große Teile des Kleinbürger-<br />

tums (Handwerksmeister, kleine Fabrikanten, Händler) sahen<br />

sich in ihrer Existenz bedroht, weil ihre Produkte mit den zunehmend<br />

maschinell gefertigten Waren nicht konkurrieren<br />

konnten. Freilich ließ das ökonomische Wachstum auch ein<br />

selbstbewusstes Besitzbürgertum entstehen, das Wirtschaftsreformen<br />

(Gewerbefreiheit) und – gemeinsam mit dem Bildungsbürgertum<br />

– Teilhabe an der politischen Macht verlangte<br />

und moderate Reformen einforderte.<br />

Industrialisierung in Stadt und Land<br />

Nach der Reichsgründung von 1871 setzte die Industrialisierung<br />

im neuen Deutschen Reich mit Vehemenz ein. Bald<br />

übertraf Deutschland das <strong>als</strong> Mutterland des wirtschaftlichen<br />

und technischen Fortschritts geltende Großbritannien vor allem<br />

in den Bereichen der dam<strong>als</strong> zukunftsträchtigsten Branchen<br />

Schwerindustrie, Maschinenbau und Chemie.<br />

Diese Einwicklung ging an <strong>Hanau</strong> zunächst vorüber. Zwar<br />

war die Stadt Vorreiter in Kurhessen im Bereich der Gewerbe,<br />

aber nicht in den genannten Industriesparten, die zu jener<br />

Zeit prosperierten. Eine Ausnahme bildeten die 1816 und<br />

1863 gegründeten Maschinenbaufirmen Bracker und Pelissier.<br />

Die Ansiedlung neuer und die Fortentwicklung alter Industriezweige,<br />

begünstigt durch den Ausbau <strong>Hanau</strong>s zu einem Eisenbahnknotenpunkt,<br />

weitete die traditionelle Palette der <strong>Hanau</strong>er<br />

Industrieprodukte bis zur Jahrhundertwende stark aus.<br />

Hier nur einige Beispiele, die diese Entwicklung illustrieren:<br />

1874 bauten die Brüder Houy in <strong>Hanau</strong> die erste deutsche Diamantschleiferei,<br />

1881 gründete W. Siebert die Platinschmelze<br />

(ab 1905 „Degussa“), 1893 errichtete die englische Dunlop<br />

Pneumatic Tyre Company in der Grimmstadt ein Zweigwerk<br />

und 1902 erfolgte die Inbetriebnahme der Eisengießerei Wilhelma<br />

in dem bald danach eingemeindeten Kesselstadt.<br />

Straßenszene im bäuerlichen Mittelbuchen um 1920.<br />

<br />

Mittelbuchener Heimat- und Geschichtsverein e.V.<br />

Ebenso sind in <strong>Hanau</strong> der Maschinenbau und natürlich<br />

das Baugewerbe zu erwähnen, das nicht nur die vielen Industrieanlagen<br />

und neuen Wohnhäuser für die wachsende Stadt<br />

errichtete, sondern seit etwa 1900 auch die Kasernen und andere<br />

Militäreinrichtungen.<br />

Besonders wichtig für <strong>Hanau</strong>s ökonomische Entwicklung<br />

ist das Unternehmen W. C. Heraeus, und das nicht nur wegen<br />

der späteren Bedeutung des Werkes für Stadt und Region.<br />

Denn das Wirken seines Gründers stand in einem engen Zusammenhang<br />

mit der schon dam<strong>als</strong> in <strong>Hanau</strong> seit Jahrhunderten<br />

praktizierten Verarbeitung von Edelmetallen. Wilhelm<br />

Carl Heraeus (1827–1904) gelang es nach vielen Versuchen,<br />

zwei Kilogramm Platin mittels Verbrennung von Wasser- und<br />

Sauerstoff in einer Knallgasflamme zu schmelzen. Damit war<br />

1856 die „Erste Deutsche Platinschmelze“ geboren. Bald zählten<br />

Schmuckfabriken, Goldschmiedewerkstätten, Labors und<br />

Zahnfabriken aus aller Welt zu den Kunden des <strong>Hanau</strong>er Unternehmens.<br />

Die Firma expandierte. Am Stadtrand wurden<br />

Werkstätten gebaut und die Fabrikgebäude an der heutigen<br />

Heraeusstraße in Betrieb genommen. Es entstand das In-<br />

94 95


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Die Dunlopwerke in <strong>Hanau</strong> um 1900. <br />

dustrieunternehmen W. C. Heraeus (heute Heraeus Holding<br />

GmbH). 73 Es führt <strong>als</strong>o ein gerader und in diesem Fall konsequent<br />

beschrittener Weg von der Niederlassung der ersten<br />

Bijouteries in Neu-<strong>Hanau</strong> um 1600 bis zu dem heute weltweit<br />

agierenden Edelmetall- und Technologiekonzern Heraeus mit<br />

mehr <strong>als</strong> 13.000 Mitarbeitern, dessen Geschäftsfelder die Bereiche<br />

Edelmetalle, Sensoren, Dental- und Medizinprodukte,<br />

Quarzglas und Speziallichtquellen umfassen.<br />

Diese zweite Industrialisierung <strong>Hanau</strong>s ließ nicht nur die<br />

Zahl der hier produzierenden Branchen steigen, sondern auch<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

die Zahl der Fabrikarbeiter. Im Jahre 1907 waren insgesamt<br />

12.410 Menschen in der Stadt beschäftigt, davon 7800 Arbeiter<br />

in <strong>Hanau</strong>er Industriebetrieben, 1500 im Bauhandwerk,<br />

1890 im Handel und 720 im Maschinenbau. Auch das traditionelle<br />

Edelmetallgewerbe prosperierte vor dem Ersten Weltkrieg<br />

nochm<strong>als</strong> kräftig. Fanden 1907 noch 1967 Arbeiter und<br />

Arbeiterinnen in 60 Gold- und 20 Silberwarenfabriken ihr<br />

Auskommen, so stieg diese Zahl 1913 sogar auf 2863 Personen.<br />

Ähnlich günstig entwickelte sich die Tabakverarbeitung<br />

mit rund 1200 Beschäftigten. 74 Allerdings hatten einige Un-<br />

ternehmer zuvor in der näheren Umgebung expandiert, nicht<br />

zuletzt weil dort das Lohnniveau niedriger war.<br />

In der Phase zwischen der Reichsgründung (1871) und dem<br />

Ersten Weltkrieg (1914–1918) hatte die Industrialisierung auch<br />

die Orte des Landkreises <strong>Hanau</strong> erfasst, wobei in diesem Zusammenhang<br />

vorrangig Großauheim (Marienhütte) und Fechenheim<br />

(Cassella) <strong>als</strong> frühe Industrieorte zu erwähnen sind,<br />

aber auch die Pulverfabrik im heutigen Wolfgang, wo um<br />

1900 bereits Hunderte von Männern und Frauen arbeiteten.<br />

Bis 1907 führte die Industrialisierung auch in den Kreisorten<br />

zu gravierenden Veränderungen. Insgesamt hatten mehr<br />

<strong>als</strong> 12.000 Personen außerhalb der Landwirtschaft eine Anstellung<br />

gefunden. Die meisten von ihnen pendelten zu Fabriken<br />

in die Städte. Im traditionellen Sektor Landwirtschaft arbeiteten<br />

aber zu diesem Zeitpunkt hauptberuflich immerhin<br />

noch knapp 8500 Menschen, darunter 3921 Frauen. 75<br />

Freilich hatten bis dahin viele Bauern ihre unrentablen<br />

Höfe aufgegeben oder bewirtschafteten sie nur noch im Nebenerwerb.<br />

Die freigesetzten Arbeitskräfte, ob sie nun der Not<br />

gehorchten oder sich bessere Bedingungen versprachen, fanden<br />

Beschäftigung in den allerorten neu entstandenen Fabriken<br />

oder verdingten sich <strong>als</strong> Bauarbeiter.<br />

Althergebrachte Arbeitsmethoden und kleinbäuerliche<br />

Existenzen konnten sich jedoch noch lange parallel erhalten<br />

oder ergänzten den industriellen Erwerb. Noch 1907 gaben<br />

3744 Männer und 4207 Frauen an, nebenberuflich Ackerbau<br />

und Viehzucht zu betreiben.<br />

Die Sozialfigur des „Arbeiterbauern“, 76 der sich tagsüber <strong>als</strong><br />

unselbstständiger, fremdbestimmter Lohnarbeiter verdingte<br />

und nach Feierabend <strong>als</strong> eigenverantwortlicher Kleinlandwirt<br />

seine Familie ernährte, war in vielen Orten an Main, Kinzig<br />

oder Nidder und über mehrere Generationen hindurch die<br />

Norm. Heute ist dieser Typus kaum mehr anzutreffen.<br />

Blick auf die Jakobuskirche in Bruchköbel um 1910.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Nach 1945 ging im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik<br />

die Bedeutung der Landwirtschaft immer weiter zurück<br />

und die Probleme der Bauern interessieren den größten Teil<br />

der Bevölkerung nur noch am Rande.<br />

Selbst in den meisten Dörfern ist das bäuerliche Element<br />

heute bis auf Reste nahezu völlig verschwunden. Die Metamorphose<br />

der einstigen Bauerndörfer und ihrer großen<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zahl überwiegend bescheidener Hofstellen mit intensiver<br />

Viehhaltung zu Industrieorten oder zu Wohnsitzgemeinden<br />

von Arbeitnehmern darf im wirtschaftlichen Ballungsgebiet<br />

Rhein-Main und damit auch im Altkreis <strong>Hanau</strong> vielerorts <strong>als</strong><br />

abgeschlossen angesehen werden.<br />

<strong>Hanau</strong>s Wirtschaft im 20. Jahrhundert<br />

Initiatoren wichtiger strukturpolitischer Maßnahmen: <strong>Hanau</strong>s Oberbürgermeister<br />

Dr. Eugen Gebeschus (1855–1936) und Dr. Kurt Blaum<br />

(1884–1970).<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Die positive wirtschaftliche Entwicklung zweier führender<br />

Branchen wurde jedoch 1914 jäh gestoppt und die Hyperinflation<br />

von 1923 ruinierte vor allem viele Kleingewerbetreibende.<br />

Der Niedergang des <strong>Hanau</strong>er Edelmetallgewerbes hat vor<br />

allem zwei Ursachen: die kriegerischen Ereignisse des Ersten<br />

Weltkriegs und das durch Revolutionen verursachte Ende der<br />

sozialen und wirtschaftlichen Stellung einiger Dynastien, vieler<br />

Fürstenhäuser und zahlreicher Adliger. Viele Kunden dieser<br />

Luxusgüter waren entweder den Ereignissen zum Opfer<br />

gefallen oder aus anderen Gründen nicht mehr in der Lage,<br />

sich teures Geschmeide zu leisten.<br />

Ähnlich erging es der Zigarrenindustrie. Ursache für ihren<br />

Niedergang war ein verändertes Konsumverhalten, das die<br />

Raucher mehr und mehr zu Zigaretten greifen ließ, während<br />

die Nachfrage nach Zigarren stark nachließ.<br />

Angesichts dieser Situation erwies es sich <strong>als</strong> vorteilhaft,<br />

dass in <strong>Hanau</strong> bereits vor dem Krieg ein Prozess der Umstrukturierung<br />

stattgefunden hatte – vornehmlich in Richtung Unternehmen<br />

des Maschinenbaus und der Chemie. Gefördert<br />

wurde die <strong>Hanau</strong>er Wirtschaft durch Verbesserungen der<br />

Infrastruktur während der Amtszeiten der Oberbürgermeister<br />

Dr. Eugen Gebeschus (1855–1936) 77 und Dr. Kurt Blaum<br />

(1884–1970) 78 . Hierbei sind in erster Linie der Ausbau des Hafens<br />

und die Erschließung neuer Gewerbegebiete zu erwähnen,<br />

darunter auch die Umwidmung ehemaliger Kasernengelände.<br />

Auf diesen Konversionsflächen entlang der Ruhrstraße<br />

entstanden dam<strong>als</strong> zahlreiche neue Industriebetriebe. 79<br />

Diese Politik brachte Erfolge. Laut einer 1925 vorgenommenen<br />

Betriebszählung fanden in <strong>Hanau</strong> 14.634 Personen in<br />

Industrie und Handwerk einen Arbeitsplatz, in Handel und<br />

Verkehr waren es 4745. Insgesamt stieg die Zahl der Beschäftigten<br />

in der gewerblichen Wirtschaft gegenüber 1907 von<br />

12.410 auf 19.819, wovon ein nicht unbeträchtlicher Teil aus<br />

den Orten der Umgebung täglich zur Arbeit in die Brüder-<br />

Grimm-Stadt pendelte.<br />

In der Schmuckwarenindustrie ging die Zahl der Mitarbeiter<br />

hingegen von fast 2900 auf 1300 zurück. Noch augenscheinlicher<br />

zeigte sich der Niedergang in der Zigarrenherstellung,<br />

hier arbeiteten 1925 lediglich 330 Personen.<br />

Andere Sektoren hingegen boomten. Erfolge, die nicht zuletzt<br />

innovativen Technologien wie etwa der „Höhensonne“<br />

zu verdanken waren und die den Namen der Stadt („Original<br />

<strong>Hanau</strong>“) bald in alle Welt trugen. Als die Geburtswehen der<br />

jungen Republik überstanden waren, hofften die Menschen,<br />

die weitverbreitete wirtschaftliche Not allmählich zu überwinden.<br />

Doch die Geldentwertung (Inflation) von 1922/23<br />

machte diese Wünsche vorerst zunichte. Kostete ein US-Dollar<br />

im Juli 1914 noch 4,20 Mark, musste man im Juli 1922<br />

schon 493,20 und auf dem Höhepunkt der Inflation im November<br />

1923 4.200.000.000.000 (4,2 Billionen) Mark aufbringen,<br />

um einen einzigen Dollar zu erwerben. Ende 1923<br />

ratterten die Notenpressen unaufhörlich, um Geldscheine zu<br />

drucken, die innerhalb kürzester Zeit wiederum an Wert verloren.<br />

Die Preise stiegen ins Astronomische.<br />

Nach der Währungsreform von 1924 und mit der Einführung<br />

der Reichsmark erwies sich <strong>Hanau</strong>s Industrie bis zur<br />

im Oktober 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise <strong>als</strong> stabil.<br />

Als Folge des „Schwarzen Freitags“ an der New Yorker<br />

Börse verloren in den frühen Dreißigerjahren gut ein Drittel<br />

der in <strong>Hanau</strong> Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Lediglich die<br />

Gummiindustrie erwies sich <strong>als</strong> resistent und zählte weiterhin<br />

rund 2900 Mitarbeiter. Hingegen sank die Zahl der Arbeiter<br />

im Schmuckwarengewerbe auf 350. Gravierende Einschnitte<br />

mussten auch die anderen Branchen verzeichnen, wobei die<br />

Tabakverarbeitung wirtschaftlich nun bedeutungslos wurde. 80<br />

In den Jahren ab 1933 verbesserte sich dann die wirtschaftliche<br />

Situation weltweit. Im Deutschen Reich erhielten insbesondere<br />

die Unternehmen einen kräftigen Schub, die von<br />

der ab 1935 vehement betriebenen Aufrüstung der Wehrmacht<br />

profitierten. In <strong>Hanau</strong> wurden alle Betriebe mehr oder weniger<br />

in den Dienst der Wiederaufrüstung gestellt. Außerdem<br />

wurde <strong>Hanau</strong> wieder eine große Garnisonsstadt und in Wolfgang<br />

entstanden ausgedehnte Kasernenanlagen (Pionierkasernen).<br />

Im nahen Langendiebach legte die Luftwaffe ab 1936<br />

einen Fliegerhorst an. 81<br />

Im Zuge der Rassenpolitik der Nation<strong>als</strong>ozialisten wurden<br />

die <strong>Hanau</strong>er Unternehmen und Bankhäuser in jüdischem<br />

Eigentum „arisiert“, wie es im Jargon der damaligen Machthaber<br />

hieß. Ein Opfer dieser Politik war das lange Jahre für <strong>Hanau</strong>s<br />

Wirtschaft und Bevölkerung wichtige „Bankgeschäft“<br />

der Gebrüder Stern in der Frankfurter Straße 25. 82<br />

Während des Krieges konnten, aufgrund des Dienstes vieler<br />

Beschäftigter in der Wehrmacht, manche Unternehmen<br />

ihre Produktion nur mithilfe von Kriegsgefangenen, Fremdund<br />

Zwangsarbeitern aufrechterhalten. 83<br />

Der gravierendste Eingriff in die Stadtgeschichte <strong>Hanau</strong>s<br />

vollzog sich in den frühen Morgenstunden des 19. März 1945,<br />

<strong>als</strong> Bomber der britischen Royal Air Force große Teile der<br />

Stadt in Schutt und Asche legten. Zum Zustand der Industrieanlagen<br />

nach dem Luftangriff heißt es in einem vier Jahre<br />

später verfassten Bericht des Statistischen Amts: „Die Industrie,<br />

die schon bei vorangegangenen Luftangriffen zu etwa 50<br />

Prozent zerstört war, war infolge weiterer empfindlicher Schäden<br />

fast zum Erliegen gekommen. Der gesamte Stadtkern glich<br />

einem einzigen Schutthaufen, dessen Trümmermassen auf etwa<br />

650.000 cbm geschätzt wurden. Aus der einst blühenden Industrie-<br />

und Handelsstadt, der ‚Stadt des edlen Schmuckes‘ mit ihrer<br />

friedlichen und arbeitssamen Bevölkerung war über Nacht eine<br />

tote Stadt geworden. Mit dem amtlich festgesetzten Zerstörungsgrad<br />

von 70,1 % war <strong>Hanau</strong> die weitaus zerstörteste Stadt im<br />

Lande Hessen.“ 84<br />

Doch wie in anderen Bereichen gelang auch der Wiederaufbau<br />

der Industrieanlagen in <strong>Hanau</strong> sehr schnell und zügig.<br />

Schon bis 1950 stieg die Einwohnerzahl auf mehr <strong>als</strong> 30.000<br />

Personen und die Zahl aller in <strong>Hanau</strong> Beschäftigten wuchs<br />

auf mehr <strong>als</strong> 24.000. Davon waren etwas mehr <strong>als</strong> die Hälfte<br />

Pendler. Im Laufe der Jahre nahmen beide Werte stetig zu:<br />

1962 zählte die Stadt rund 48.000 Einwohner und etwa 36.000<br />

98 99


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Der neue <strong>Hanau</strong>er Mainhafen in den Zwanzigerjahren. <br />

Arbeitsplätze. 85 In Stadt und Kreis <strong>Hanau</strong> fanden Ende 1960<br />

genau 51.333 Beschäftigte Arbeit, davon waren rund 22.000<br />

Tagespendler und 15.987 Frauen, bei 274 gemeldeten Arbeitslosen.<br />

86<br />

Im Dezember 2010 wurden in <strong>Hanau</strong>, das aufgrund der<br />

Eingemeindungen der Siebzigerjahre nun 90.000 Einwohner<br />

hatte, 43.339 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte<br />

gezählt. Bedingt durch die Verlagerung der Kreisverwaltung<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

nach Gelnhausen waren dies zwar knapp 10.000 sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigte weniger <strong>als</strong> vor 20 Jahren, aber<br />

deutlich mehr <strong>als</strong> zur Mitte der vergangenen Dekade (2005:<br />

41.342). 87<br />

Heute sind in der <strong>Hanau</strong>er Wirtschaft vier große Branchen<br />

vertreten: Führend ist weiterhin das produzierende Gewerbe,<br />

dem circa 41 Prozent aller sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten in <strong>Hanau</strong> angehören. Ihm folgen der Bereich<br />

der öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen mit 22,<br />

der Handel mit 14 und die Dienstleistungen für Unternehmen<br />

mit acht Prozent. An der Zahl der Beschäftigten gemessen<br />

sind die Evonik-Gruppe mit 3.025, die Heraeus-Gruppe<br />

mit 2.704, Goodyear Dunlop Tires mit 2.128 und die Vacuumschmelze<br />

GmbH & Co. KG mit 1.597 Mitarbeitern die<br />

größten Unternehmen in der Brüder-Grimm-Stadt.<br />

Die Orte um <strong>Hanau</strong>, in der urban verdichteten<br />

Rhein-Main-Region, sind heute zumeist Gemeinden, in denen<br />

Arbeitnehmer ihren Wohnsitz haben, mit einer mehr oder<br />

minder größeren Anzahl mittelständischer und kleinerer Unternehmen.<br />

Eine Reihe größerer Betriebe in der Umgebung<br />

haben ihre Tätigkeit in den letzten Jahrzehnten stark reduziert<br />

oder ganz eingestellt, wie etwa der Landmaschinenhersteller<br />

Bautz und der Elektronikkonzern BBC (heute ABB) in<br />

Großauheim sowie die Großdruckerei Illert in Steinheim und<br />

Klein-Auheim. Gleiches gilt für einige ehem<strong>als</strong> größere Unternehmen<br />

in <strong>Hanau</strong>, wie etwa die Firmen Dekalin (Chemie),<br />

Nicolay (Brauerei), Stück (Spirituosen), Schwahn (Zahnradfabrik)<br />

und Pelissier (Pumpen und Pressen).<br />

Aufgrund der neuen Möglichkeiten, den seit dem Abzug<br />

der US-Armee frei gewordenen Flächen sowie der „perfekten<br />

Verkehrsanbindung und der exzellenten Infrastruktur“,<br />

darf man in der Brüder-Grimm-Stadt der Zukunft des Wirtschaftsstandorts<br />

<strong>Hanau</strong> optimistisch entgegenblicken. 88<br />

Anmerkungen<br />

1 G. Landau, Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen, Kassel<br />

1842, S. 568.<br />

2 Alberus‘ Vorstellung vom Umfang der Wetterau reichte im 16. Jahrhundert<br />

deutlich über unsere Vorstellungen des Landstrichs hinaus.<br />

Gemeinhin begrenzt man heute die Wetterau auf das Gebiet<br />

zwischen Taunus im Westen und Vogelsberg im Osten sowie die<br />

Hohe Straße im Süden und die Tore von Gießen im Norden.<br />

3 Zitiert nach: Erasmus Alberus, LOB DER WETTERAU, Enthaltend<br />

die „Kurze Beschreibung der Wetterau“ (1552), zwölf auserlesene<br />

Fabeln aus Wetterau und Hessenland sowie <strong>als</strong> Anhang fünf<br />

geistliche Lieder. Mit Rohrfederzeichnungen und Holzschnitten<br />

von Archibald Bajorat. Textgestaltung, Einführung und Nachwort<br />

von Helmut Bode, Frankfurt am Main 1978, S. 85.<br />

4 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land. Kulturgeschichte<br />

und Chronik einer fränkisch-wetterauischen Stadt und ehemaligen<br />

Grafschaft (1919), Neudruck <strong>Hanau</strong> 1978, S. 12.<br />

5 E. Bus, Windecken zwischen Ersterwähnung und Stadterhebung,<br />

in: Stadt Windecken 1288–1988. Historische Festschrift zur<br />

700-Jahrfeier der Stadterhebung Windeckens, hrsg. vom Magistrat<br />

der Stadt Nidderau, Nidderau 1988, S. 43 f.<br />

6 H. Bott, Vom Weinbau im Kreise <strong>Hanau</strong>, in: <strong>Hanau</strong>isches Magazin<br />

5 (1926), S. 7. Ein solcher Fall ist Kesselstadt, vgl.: E. Bus,<br />

Weindorf Kesselstadt, in: stadtzeit 7, Kesselstadt, Magazin für <strong>Hanau</strong><br />

2009, S. 62 ff.<br />

7 E. Alberus, LOB DER WETTERAU, S. 87.<br />

8 H. Bott, Vom Weinbau, S. 4.<br />

9 Hierfür weitere Beispiele aus Kesselstadt vom Beginn des 17. Jahrhunderts:<br />

Mit „2 Maas Wein und Weck“ wurde das Herausbrechen<br />

der Zähne des Ebers abgeschlossen. „1 Maas Wein und Weck“ erhielt<br />

der Maurer aus Steden (Kilianstädten), nachdem er mit den<br />

Arbeiten an der Brücke fertig war. Verzehret wurde etwa, nachdem<br />

der „gemeinen offen in Hochstadt geholet“ worden war, die Schatzung<br />

erhoben, die Hirten gedingt oder den Kühen die Krummhörner<br />

abgeschnitten worden waren. Die Liste ließe sich noch verlängern,<br />

da eine ganze Reihe von kommunalen Diensthandlungen<br />

mit einem Umtrunk abgeschlossen wurde. Vgl.: E. Bus, Weindorf<br />

Kesselstadt, S. 66 f.<br />

10 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: Kesselstadt – Weinmeisterrechnung Michaelis<br />

Anno 1605 bis Michaelis Anno 1606; Bürgermeisterrechnung von<br />

Michaelis Anno 1603 bis Michaelis Anno 1604; Weinmeisterrechnung<br />

von Michaelis 1607 zu Michaelis 1608.<br />

11 V. Press, Krisen und Kriege. Deutschland 1600–1715, München<br />

1991, S. 31, und G. Landau, Beiträge zur Geschichte des Weinbaues<br />

in Alt Hessen, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte<br />

und Landeskunde 3 (1843), S. 160 ff. und insbesondere S. 188 f.<br />

12 J. H. Dielhelm, Wetterauischer Geographus, Frankfurt 1747, S. 8.<br />

13 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land. Kulturgeschichte<br />

und Chronik einer fränkisch-wetterauischen Stadt und ehemaligen<br />

Grafschaft (1919), Neudruck <strong>Hanau</strong> 1978, S. 687.<br />

100 101


Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

14 Zeitschrift für die Provinz <strong>Hanau</strong>, hrsg. von C. Arnd, Bd. 1 (1837),<br />

S. 96.<br />

15 H. Bott, Vom Weinbau, S. 6.<br />

16 H. Bott, Vom Weinbau, S. 2.<br />

17 K. Cramer, Entstehung und Entwicklung des <strong>Hanau</strong>er Tabakbaus<br />

und der <strong>Hanau</strong>er Tabakindustrie, (masch. Diss.) Frankfurt 1925.<br />

18 Bis zum heutigen Tag besteht in Steinheim eine Fischerzunft, doch<br />

gehörte der Ort dam<strong>als</strong> zum Kurfürstentum Mainz, weshalb er in<br />

dieser Aufzählung fehlt.<br />

19 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 80 <strong>Hanau</strong>er Geheimer Rat 1207<br />

– Beiträge der Schiffer und der Schifferzunft des Amts Bücherthal<br />

an die Kirchen zu <strong>Hanau</strong>, zu Kesselstadt, Dörnigheim, Rumpenheim<br />

und Fechenheim 1828–1833. E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> –<br />

Stadt und Land, S. 355, gibt für die Zeit um 1800 ca. 20, für 1847<br />

acht und für 1867 vier Fischer in Kesselstadt an.<br />

20 Bei Roggen und Weizen ist in Klein-Auheim auf sandigen mit dem<br />

Zwölffachen und auf besseren Böden etwa mit dem Fünfundzwanzigfachen<br />

des Saatguts <strong>als</strong> Ernte zu rechnen. In der Wetterau um<br />

Ostheim können bei einer durchschnittlichen Ernte mehr <strong>als</strong> das<br />

Fünfzigfache der Aussaat bei Weizen und etwas weniger bei Roggen<br />

erreicht werden. So die Auskünfte von Josef Schroth (Klein-Auheim)<br />

und von Walter Scheuerle, Pächter der Staatsdomäne Baiersröderhof<br />

bei Nidderau-Ostheim, aus dem Jahre 2005.<br />

21 H. Bott, Mittelalter. Eine kurze Territorialgeschichte des Kreises<br />

<strong>Hanau</strong>, in: <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land. Ein Heimatbuch für Schule<br />

und Haus, hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein mit Unterstützung<br />

der Stadt und des Kreises <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 1954, S. 68 ff.: F.<br />

Schwind, Zu den Anfängen von Herrschaft und Stadt <strong>Hanau</strong>, in:<br />

675 Jahre Altstadt <strong>Hanau</strong>, hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein,<br />

<strong>Hanau</strong> 1978, S. 21 ff.<br />

22 Grundlegend und sehr materialreich zur Gründung der Neustadt:<br />

H. Bott, Gründung und Anfänge der Neustadt <strong>Hanau</strong>, 1596–<br />

1620, zwei Bände, <strong>Hanau</strong> 1970 und 1971 (<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter,<br />

Bde. 22 und 23).<br />

23 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 530 f.<br />

24 In Frankfurt hatten sich bereits zur Mitte der 1550er-Jahre Wallonen<br />

und Flamen niedergelassen und eine reformierte Gemeinde gebildet.<br />

Da der lutherische Rat der Reichsstadt ihnen aber schon früh<br />

den öffentlichen Gottesdienst untersagt hatte, zogen viele weiter in<br />

das ihnen von Pfalzgraf Kurfürst Friedrich III. überlassene Kloster<br />

Groß-Frankenthal. Dort errichteten sie die erste geschlossene Siedlung<br />

von Glaubensflüchtlingen in Deutschland. Die Bedingungen<br />

dieser Ansiedlung wurden zu einem Vorbild für die Kapitulation<br />

von 1597. In Frankfurt erfolgte nach kurzfristiger Liberalisierung<br />

1596 erneut das Verbot des reformierten Gottesdienstes.<br />

25 Die Urheberschaft zur Neustadtgründung seitens der Exilanten<br />

wurde vor allem von Heinrich Bott betont. Dagegen hat Eckhard<br />

Meise aufgrund neuer Quellenauswertungen die Rolle Philipp Ludwigs<br />

II. stärker hervorgehoben. Dessen Motive sieht er hauptsächlich<br />

in der Hoffnung begründet, die Finanzkraft seiner Grafschaft<br />

zu stärken. E. Meise, Zur Reform der hanauischen Veraltung durch<br />

den Grafen Philipp Ludwig II., in: Neues Magazin für <strong>Hanau</strong>ische<br />

Geschichte 2012, S. 3 ff.<br />

26 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, insbesondere S. 403 ff.<br />

27 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 429 f.<br />

28 Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert organisierten sich die<br />

Handwerker einer Stadt zum Schutz ihrer Interessen in Zünften.<br />

Eine Zunft war ein genossenschaftlich-kooperativer Zusammenschluss<br />

von gleichen oder auch merkm<strong>als</strong>gleichen Berufen, wie<br />

etwa Maurer und Steinmetz. Die Zunft überprüfte die Qualifikation<br />

möglicher Mitglieder, überwachte die Preise, die Arbeitsbedingungen<br />

und -methoden sowie die Qualität der Erzeugnisse<br />

und sie bewahrte ihre Mitglieder vor übermäßiger Konkurrenz.<br />

Die Zunft bestimmte weiterhin, wie viele Handwerker eines Gewerbes<br />

in einer Stadt arbeiten durften, welche und welche Mengen<br />

an Produkten erzeugt werden durften und vieles andere mehr. Das<br />

Zunftsystem sicherte einerseits jedem Mitglied sein Auskommen<br />

(Nahrungsschutz), engte andererseits aber ein und hemmte Innovationen,<br />

wodurch althergebrachte Produktionsweisen über Generationen<br />

festgeschrieben wurden.<br />

29 Zitat in: H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im<br />

Raum <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 1963, S. 17.<br />

30 E. Bütfering, Niederländische Exulanten in Frankenthal, Neu-<strong>Hanau</strong><br />

und Altona: Herkunftsgebiete, Migrationswege und Ansiedlungsorte,<br />

in: W. Ehbrecht / H. Schilling (Hrsg.), Niederlande und<br />

Nordwestdeutschland, Köln 1983, S. 389 ff.<br />

31 R. Frei, Die Bedeutung der niederländischen Einwanderer für<br />

die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt <strong>Hanau</strong>, (Diss.) Gießen<br />

1926, S. 17 ff. und 52 ff.<br />

32 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 427 ff.<br />

33 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 21.<br />

34 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 436.<br />

35 Vgl. dazu: W. v. Hippel, Bevölkerung und Wirtschaft im Zeitalter<br />

des Dreißigjährigen Krieges. Das Beispiel Württembergs, in: Zeit-<br />

schrift für historische Forschung 5 (1978), S. 413 ff.<br />

36 Dazu für <strong>Hanau</strong> und Umgebung: E. Bus, Die Folgen des Großen<br />

Krieges – Der Westen der Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg nach<br />

dem Westfälischen Frieden, in: Ders. und M. Hoppe (Red.), Der<br />

Dreißigjährige Krieg in <strong>Hanau</strong> und Umgebung, hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er<br />

Geschichtsverein 1844 e.V. anlässlich der 375. Wiederkehr des<br />

Entsatzes der Stadt, <strong>Hanau</strong> 2011, S. 277 ff.<br />

37 Im Trauregister des Kirchenbuchs der Reformierten Gemeinde<br />

Windecken 1577 bis 1633 sind für die Jahre 1577 bis 1620 zahlreiche<br />

Gewerbe aufgeführt: Schlosser, Schreiner, Weißbinder, Maurer,<br />

Zimmerer, Steindecker und Fenstermacher waren im Bauhandwerk<br />

tätig. Küfer, Bierbrauer, Müller, Bäcker und Metzger stellten<br />

Nahrungsmittel her oder verarbeiteten sie. Der Bereich der Textilherstellung<br />

umfasste die oder den Taschenmacher, Säckler, Hutmacher,<br />

Hosensticker, Schnürmacher, Teppichkrämer, Schuhmacher,<br />

Schneider, Scherer (Tuchscherer?) und Leineweber. Vervollständigt<br />

wurde die umfangreiche Palette durch Bader, Barbiere, Buchbinder,<br />

Färber, Kannengießer, Messerschmiede, Rotgießer, Rot- und<br />

Weißgerber, Seiler, Sattler, Wagner, Schmiede und Schwarzfärber.<br />

Vgl.: C. Henß, Festschrift zur 650-Jahr-Feier der Stadt Windecken,<br />

Windecken 1938, S. 55.<br />

38 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 123 und 160.<br />

39 Eine ganze Reihe eher seltener und möglicherweise auch anspruchsvollerer<br />

Handwerksberufe wird nach 1648 nicht mehr in den<br />

Taufregistern erwähnt. Dazu gehören Buchbinder, Hosensticker,<br />

Kannengießer, Messerschmiede, Weißgerber, Rotgießer, Säckler,<br />

Schnürmacher, Schwarzfärber, Taschenmacher und Teppichkrämer.<br />

Vgl.: E. Bus, Die Folgen des Großen Krieges – Der Westen der<br />

Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg nach dem Westfälischen Frieden,<br />

in: ders. und M. Hoppe (Red.), Der Dreißigjährige Krieg, S. 314 ff.<br />

40 M. Merian, Topographia Hassiae, Frankfurt 1655 (Neudruck<br />

1966), S. 142.<br />

41 Hebelius Potter (1768–1824) trat 1810 seine Pfarrstelle bei der niederländischen<br />

Gemeinde in <strong>Hanau</strong> an und hielt während der Reise<br />

dorthin seine Eindrücke fest. „Die Fahrt des Pfarrers Hebelius<br />

Potter von der niederländischen Gemeinde in <strong>Hanau</strong> von Friedberg<br />

nach <strong>Hanau</strong> 1810“ ist zuletzt abgedruckt in: <strong>Hanau</strong>er Historische<br />

Hefte 1 (2010). Auf Seite 6 findet sich die wenig schmeichelhafte<br />

Beschreibung Windeckens.<br />

42 M. Merian, Topographia Hassiae, Frankfurt (am Main) 1655 (Neudruck<br />

1966), S. 85. H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik<br />

im Raum <strong>Hanau</strong>, S. 25, meint, die Entwicklung <strong>Hanau</strong>s zu einer<br />

frühmodernen Gewerbestadt sei alleine der Zuwanderung nach<br />

1700 zu verdanken.<br />

43 Die Produktionsstätte befand sich in einem Gebäude in der Neustadt,<br />

an der Ecke Römerstraße 15 / Glockenstraße. Vgl.: Wikipedia-Artikel<br />

„<strong>Hanau</strong>er Fayencemanufaktur, Zugriff: 24.10.2012.<br />

44 E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land, S. 653.<br />

45 H. Bott, Gründung und Anfänge, Band 2, S. 362.<br />

46 Diese Freiheiten waren in erster Linie Religions- und Handelsfreiheit<br />

sowie das Recht zum besteuerungsfreien Abzug aus <strong>Hanau</strong>,<br />

falls man sich nicht dauerhaft niederlassen wollte. Vgl.: H.-H.<br />

Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 26.<br />

47 Den Erbprinzen und späteren Kurfürsten Wilhelm I. historisch<br />

einzuordnen ist nicht ganz einfach. Er muss <strong>als</strong> eine sehr zwiespältige<br />

Person bewertet werden. Denn er kümmerte sich einerseits sehr<br />

intensiv um die Belange seiner Grafschaft und schmückte das Bild<br />

der Stadt durch die Errichtung attraktiver Gebäude. Andererseits<br />

war er eine der „berüchtigtsten Fürstengestalten der deutschen Geschichte“<br />

(Allgemeine Deutsche Biographie), da mit seinem Namen<br />

Soldatenhandel, Maitressenwirtschaft, reaktionäre Politik und eigennütziger<br />

Geiz verbunden sind. Zu Wilhelm: P. Losch, Kurfürst<br />

Wilhelm I., Landgraf von Hessen. Ein Fürstenbild aus der Zopfzeit,<br />

Marburg 1923; ders., Geschichte des Kurfürstentums Hessen<br />

1803–1866, Marburg 1922, Neudruck Kassel 1972; E. G. Franz,<br />

Das Haus Hessen. Eine europäische Familie, Stuttgart 2005.<br />

48 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 36 ff.<br />

49 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 81 Regierung <strong>Hanau</strong> B3/40/5<br />

– Förderung des Kommerzes und der Fabriken, Einrichtung einer<br />

Kreditkasse und Ernennung des Geheimen Rats von der M<strong>als</strong>burg<br />

zum Generaldirektor für Kommerz und Fabriken in <strong>Hanau</strong> 1779–<br />

1816.<br />

50 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 42 f.<br />

51 J. W. von Goethe, Sämtliche Werke, Band 29, Reisen an Rhein,<br />

Main und Neckar, 1814 und 1815, München 1963, S. 85 f.<br />

52 H. Lapp, Das Fürstentum <strong>Hanau</strong> vor und unter der französischen<br />

Herrschaft in den Jahren 1806–1810, <strong>Hanau</strong> 1936, S. 9.<br />

53 H. P. Brodt, Volkskundliches aus Stadt und Landkreis <strong>Hanau</strong>, in:<br />

<strong>Hanau</strong>. Stadt und Land. Ein Heimatbuch für Schule und Haus,<br />

hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V. mit Unterstützung<br />

der Stadt und des Kreises <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 1954, S. 301. Der Aspekt<br />

der Mainschifffahrt soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden,<br />

mehr dazu bei: H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik,<br />

S. 102 ff.<br />

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Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

Zur Wirtschaftsgeschichte der Region <strong>Hanau</strong><br />

54 Zitiert nach: H. Lapp, Das Fürstentum, S. 10.<br />

55 W. Bilz, Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Eine Studie<br />

über die Rheinbundzeit, Würzburg 1969, S. 249 f.<br />

56 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 60.<br />

57 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 56.<br />

58 Allgemein zur Geschichte der Jahre 1806 bis 1813 in <strong>Hanau</strong>: W.<br />

Bilz, Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Eine Studie<br />

über die Rheinbundzeit, Würzburg 1969; P. Darmstädter, Das<br />

Großherzogtum Frankfurt. Ein Kulturbild aus der Rheinbundzeit,<br />

Frankfurt am Main 1901; H. Lapp, Das Fürstentum <strong>Hanau</strong> vor<br />

und unter der französischen Herrschaft in den Jahren 1806–1810,<br />

<strong>Hanau</strong> 1936.<br />

59 A. Tapp, <strong>Hanau</strong> im Vormärz und in der Revolution von 1848–<br />

1849, <strong>Hanau</strong> 1976, S. 63 ff.; R. Schaffer-Hartmann, Die Zerstörung<br />

der Maut in <strong>Hanau</strong>. Die <strong>Hanau</strong>er Krawalle, in: stadtzeit, Magazin<br />

für <strong>Hanau</strong> (1998), S. 58 ff.; Chr. Crößmann, Die Unruhen in<br />

Oberhessen im Herbste 1830, Darmstadt 1929, S. 12.<br />

60 Zur Situation in Hessen: H.-W. Hahn, Der hessische Wirtschaftsraum<br />

im 19. Jahrhundert, in: W. Heinemeyer (Hrsg.), Das Werden<br />

Hessens, Marburg 1986, S. 389 ff.<br />

61 Hessisches Staatsarchiv Marburg: Alte Krimin<strong>als</strong>achen 2501 – Verhör<br />

zweier am Heldenberger Tor zu Windecken ohne Pässe verhafteter<br />

und deshalb <strong>als</strong> Kundschafter verdächtiger Burschen, 1792.<br />

62 Hessisches Staatsarchiv Marburg: Landratsamt <strong>Hanau</strong> 979 – Einschmuggeln<br />

fremden Salzes in das Amt Windecken, 1822<br />

63 Hessisches Staatsarchiv Marburg: Landratsamt <strong>Hanau</strong> 1489 – Feststellung<br />

der durchschnittlichen Einnahmen aus der Stadt Windecken,<br />

1823. Im Jahre 1832 soll sich sogar ein Todesfall ereignet<br />

haben, <strong>als</strong> Zöllner einen Bäcker aus Groß-Karben erschossen, „weil<br />

er versucht hatte, ein halbes Pfund Kaffee und ein viertel Pfund<br />

Zucker unverzollt über die Grenze zu bringen. Die Bevölkerung<br />

soll nach Windecken gezogen sein und die Zöllner ‚windelweich<br />

geprügelt‘ haben.“ Vgl.: Stadt Nidderau (Hrsg.), Chronik Heldenbergen,<br />

S. 291.<br />

64 Hessisches Staatsarchiv Marburg: <strong>Hanau</strong>er Regierung 81/B3/1/13<br />

– Erhöhung der Chausseegelder im Departement <strong>Hanau</strong> und Aufhebung<br />

der Chausseefronden und Wegebauredemptionsgelder<br />

1810–1821; 81/1088 – Allerhöchste Verordnung über die Erhebung<br />

des Chausseegeldes, Bestrafung bei Verstößen und Befreiungen<br />

von der Erhebung 1817–1818; <strong>Hanau</strong>er Nachträge 86/5914<br />

– Durch Verordnung vom 2. August 1817 genehmigter Chausseegeldtarif<br />

für die Provinz <strong>Hanau</strong> 1802–1817.<br />

65 H.-W. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen<br />

1984, S. 76 f.<br />

66 H.-W. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, S. 93.<br />

67 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 60.<br />

68 G. Landau, Beschreibung, S. 578 f.<br />

69 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 64 f.<br />

70 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 66 f. Die Angabe<br />

zur Einwohnerzahl von 1850, in: E. J. Zimmermann, <strong>Hanau</strong><br />

– Stadt und Land, S. 782.<br />

71 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 68.<br />

72 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 59 ff. und 72<br />

f., A. Tapp, <strong>Hanau</strong> im Vormärz, S. 215 ff.<br />

73 D. Gniss, Heraeus – ein Familienunternehmen seit 1851. Die Entwicklung<br />

des Unternehmens im Wirtschaftsraum <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong><br />

2001.<br />

74 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 124 ff.<br />

75 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 132.<br />

76 Vgl. zu dieser Thematik: K. F. Bohler, Die Entwicklung der Sozi<strong>als</strong>truktur<br />

im ehemaligen Realteilungsgebiet der südöstlichen<br />

Rhein-Main-Ebene, in: Ders., Regionale Gesellschaftsentwicklung<br />

und Schichtungsmuster in Deutschland, Frankfurt am Main u. a.<br />

1995, S. 199 ff.<br />

77 Dr. Eugen Gebeschus wurde 1893 zum <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeister<br />

gewählt. Dieses Amt übte er aus bis 1916. Während seiner<br />

Amtszeit erfolgte 1907 die Eingemeindung Kesselstadts und 1908<br />

die Inbetriebnahme der <strong>Hanau</strong>er Straßenbahn. Außerdem entstanden<br />

das Kanalisationsnetz, die Kläranlage oberhalb Dörnigheims,<br />

die Badeanstalt am Steinheimer Tor (heute Gebäude der Baugesellschaft),<br />

das Elektrizitätswerk, das Friedhofsverwaltungsgebäude,<br />

die Eberhardschule, die Kaserne der Eisenbahnpioniere und die<br />

Bezirksschule V. Weitere Baumaßnahmen (u. a. Hafen) verhinderte<br />

der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Vgl.: <strong>Hanau</strong>er Anzeiger vom<br />

12.12.1930 und Magistrat der Stadt <strong>Hanau</strong>, Hauptamt, In 150 Jahren<br />

13 gewählte Oberbürgermeister, Red. Karlheinz Hoppe, <strong>Hanau</strong><br />

1984, S. 16, und www.hanau.de.<br />

78 Dr. Kurt Blaum war von 1921 bis 1933 <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeister<br />

und kurzfristig noch einmal 1945. Vgl.: D. Schühle, Neue <strong>Hanau</strong>er<br />

Biographien I, in: Neues Magazin für <strong>Hanau</strong>ische Geschichte<br />

7 (1979–1983), S. 24 ff.; Magistrat der Stadt <strong>Hanau</strong>, Hauptamt,<br />

In 150 Jahren 13 gewählte Oberbürgermeister, Redaktion K. Hoppe,<br />

<strong>Hanau</strong> 1984, S. 20 ff.; H. Stubbe-Da Luz, Kurt Blaum (1884–<br />

1970) – <strong>Hanau</strong>s Stadtoberhaupt vor und nach der Hitlerzeit. Skizze<br />

einer exemplarischen Oberbürgermeisterbiographie der ersten<br />

Hälfte unseres Jahrhunderts, in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 30<br />

(1988), S. 591 ff, und www.hanau.de.<br />

79 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 160 f.<br />

80 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 162 f.<br />

81 J. Arndt / W. Kurz, Deckname „Briefwaage“. Der Fliegerhorst Langendiebach<br />

1936 bis 1945, <strong>Hanau</strong> 2008.<br />

82 Zu den jüdischen Bankhäusern in <strong>Hanau</strong>: M. Kingreen, <strong>Hanau</strong>er<br />

Banken im Besitz jüdischer Familien. Zwischen Emanzipation und<br />

„Arisierung“ (1835–1935), in: Unser Geld. Vom römischen Denar<br />

zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte, hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>,<br />

<strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4), S. 87 ff.<br />

Werbung der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> auf einem Linienbus der <strong>Hanau</strong>er Straßenbahn AG um 1970.<br />

83 E. Tiedemann, „Ihnen begegneten wir überall auf der Straße“.<br />

Fremd- und Zwangsarbeiter in <strong>Hanau</strong> 1939-1945, <strong>Hanau</strong> 2006<br />

(=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter Band 43).<br />

84 Statistisches Amt der Stadt <strong>Hanau</strong> (Hrsg.), Die Kriegsschäden und<br />

der Wiederaufbau der Stadt <strong>Hanau</strong> in der Statistik, <strong>Hanau</strong> 1949.<br />

85 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 167 f.<br />

86 <strong>Hanau</strong> in Zahlen. Vierteljahresbericht I-60 (Januar–März 1960),<br />

hrsg. vom Statistischen Amt und Wahlamt, S. 1; Hessisches Statistisches<br />

Landesamt (Hrsg.), Die hessischen Landkreise und kreisfreien<br />

Städte, 3. Auflage, Wiesbaden 1967, S. 223<br />

87 <strong>Hanau</strong> Wirtschaftsförderung GmbH (Hrsg.), Wirtschaftsbericht<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> 2010/2011, S. 24.<br />

88 Wirtschaftsbericht der Stadt <strong>Hanau</strong> 2010/2011, S. 12 f.<br />

<strong>Hanau</strong>er Privatsammlung<br />

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Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Erhard Bus<br />

Bei der von 1738 bis 1955 <strong>als</strong> eigenständige Anstalt und<br />

dann seit der Verschmelzung mit der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

und ab 1991 im Rahmen der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> fortbestehenden<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong> handelt es sich um eines der ältesten<br />

öffentlichen Geldinstitute Deutschlands.<br />

Hohes Alter<br />

In der vom Vorstand der Landesleihbank herausgegebenen<br />

Denkschrift von 1938 wird die Leihbank sogar <strong>als</strong> ältestes<br />

Spar- und Kreditinstitut Deutschlands bezeichnet, ohne allerdings<br />

einen Beleg anzuführen. Vorsichtiger formuliert heißt<br />

es in einer Festschrift von 1966: „… daß diese Anstalt das erste<br />

öffentliche Spar- und Kreditinstitut nicht nur im Kurstaat<br />

Hessen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch das erste in<br />

Deutschland war“. 1 Abgesehen davon, dass hier ebenfalls ein<br />

Beleg fehlt und es den „Kurstaat“ Hessen, <strong>als</strong>o das Kurfürstentum<br />

Hessen, erst ab 1803 gab, zuvor handelte es sich um<br />

die Landgrafschaft Hessen-Kassel, existierte bereits seit 1717<br />

in Berlin ein königlich privilegiertes Leihhaus. Es firmierte<br />

unter dem Namen „Adresshaus“ und wurde bereits 1829 wieder<br />

aufgelöst. 2 Folglich könnte dies bedeuten, dass die <strong>Hanau</strong>er<br />

Leihbank bis heute in der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> fortbesteht, in<br />

der Tat <strong>als</strong> das älteste kontinuierlich existierende Geldinstitut<br />

Deutschlands angesehen werden darf.<br />

Allerdings basierte die Gründung von Leihbanken auf einem<br />

anderen Gedanken <strong>als</strong> bei <strong>Sparkasse</strong>n, die, so verstand<br />

man es zumindest anfangs, den nicht gerade wohlhabenden<br />

Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit zur sicheren und<br />

zinsbringenden Anlage kleinerer Beträge bieten sollten. Hingegen<br />

war eine Leihbank <strong>als</strong> ein Instrument gedacht, um mit<br />

der zinsgünstigen Verleihung von Kapital die heimische Wirtschaft<br />

anzukurbeln und vornehmlich Begüterten eine Anlagemöglichkeit<br />

zu schaffen.<br />

Doch belegt ein archivalischer Vorgang aus dem Jahr 1657,<br />

dass bereits lange vor der Installierung der Leihbank Fragen<br />

des Kreditnehmens und -zurückzahlens den hanauischen Untertanen<br />

auf den Nägeln brannten. Deshalb wandte sich das<br />

Landgericht <strong>Hanau</strong>-Bücherthal, das sich aus Vertretern der<br />

Residenz <strong>als</strong> auch der Dörfer des Amts zusammensetzte, seinerzeit<br />

an die „Räthe und Befehlshaber“ der gräflichen Regierung.<br />

3 Die Ursache ihres Anliegens lag wohl im Dreißigjährigen<br />

Krieg (1618-1648) begründet, dessen Auswirkungen 1657<br />

noch allerorten im <strong>Hanau</strong>ischen spürbar waren.<br />

Das Schreiben beklagt, dass sich „viel ehrliche Leudt und<br />

deren Erben“ aufgrund der Kriegsverheerungen beim Wiederaufbau<br />

ihrer Höfe oder Werkstätten verschuldet hatten. Da<br />

sie die Darlehen nicht zurückzahlen konnten und die Gläubiger<br />

ihr Geld plus Zinsen zurück verlangten, standen beide<br />

Parteien oftm<strong>als</strong> vor dem Landgericht. Aufgrund der Häufigkeit<br />

derartiger Verfahren sah sich das Gericht <strong>als</strong> „vielfach beschwert“,<br />

was so viel bedeutet, dass diese Auseinandersetzungen<br />

viel Zeit in Anspruch nahmen und möglicherweise auch<br />

den juristischen Sachverstand der Laienrichter überforderten.<br />

Leider gibt es keine Unterlagen darüber, wie das Schreiben<br />

des Landgerichts Bücherthal beschieden wurde, und die Errichtung<br />

eines öffentlichen Kreditinstituts mit günstigeren<br />

Zinssätzen erfolgte erst einige Generationen später.<br />

Leihbankgründung <strong>als</strong> Mittel der Wirtschaftspolitik<br />

Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682–1760) im Herrschermantel<br />

und Brustpanzer, um 1755, Ölgemälde von Johann Heinrich<br />

Tischbein dem Älteren.<br />

Die Gründungsurkunde der „Hochfürstlichen Heßen-<strong>Hanau</strong>ischen<br />

Lehn-Banco“ vom 10. April 1738 trägt die Unterschrift<br />

von Landgraf Wilhelm VIII. (1682-1760) 4 , dem jüngeren<br />

Bruder des schwedischen Königs Friedrich (1676-1751).<br />

Dieser wiederum regierte Hessen und Schweden in Personalunion.<br />

Schweden durfte er allerdings ohne Genehmigung<br />

seiner Landstände nicht verlassen, so dass Wilhelm ab 1730<br />

<strong>als</strong> Regent und Statthalter für seinen Bruder die Regierungsgeschäfte<br />

der Landgrafschaft Hessen-Kassel ausübte. Er regierte<br />

in Personalunion nach dem Aussterben der Linie <strong>Hanau</strong>-Lichtenberg,<br />

da sein Bruder verzichtet hatte, bereits seit<br />

1736 gleichfalls die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg. 5<br />

<strong>Hanau</strong>, im damaligen Verständnis weit ab vom Kassel gelegen,<br />

war aufgrund der Nähe zur Messestadt Frankfurt, wegen<br />

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Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Erste Seite der von Landgraf Wilhelm VIII. am 10. April 1738 erlassenen<br />

„Ordnung“ zur Gründung der „Hochfürstlichen Heßen-<strong>Hanau</strong>ischen<br />

Lehn-Banco“. Mit der Leihbank sollte vor allem „denen Bedürffenden“<br />

unter den Handelsleuten und Fabrikanten die Möglichkeit zur Kreditaufnahme<br />

gegeben werden.<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

Zur Durchführung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben benötigte<br />

die Leihbank entsprechendes Personal, ehrenamtliches,<br />

nebenamtliches und hauptberufliches.<br />

Zu den ersten beiden Kategorien zählten vermutlich die<br />

Mitglieder des Direktoriums, dessen Leitung anfangs in den<br />

Händen des Kammerjunkers Du Plessis lag, ihm zur Seite<br />

standen der Regierungsrat Schmidt, der Kammerdirektor<br />

Bamberg und der Neustädter Ratsverwandte Cotrell. 12<br />

Über weitere Beschäftigte finden sich keine Hinweise in den<br />

Quellen. Erst ein Vorgang aus den Jahren 1768 bis 1770, die<br />

„Bestallung des Leihbankassessors Isaac August Jassoy“ betreffend,<br />

gewährt interessante Einblicke. 13<br />

Zu den Qualifikationsmerkmalen der Direktoriumsmitglieder<br />

heißt es dann einige Jahrzehnte später: „Die Räthe<br />

und Beysitzer bey der Lombards-Direction sind gewöhnlich<br />

aus dem hiesigen Handelsstand gewählt und dabey auf<br />

Wohlstand, Ansehen und guten Ruf gesehen worden.“ Ein<br />

Anspruch, der sicherlich auch schon bei der Gründung der<br />

Leihbank galt, sich aber nicht immer mit der Realität deckte. 14<br />

In seinem <strong>als</strong> „unterthänigste Bittschrift“ bezeichneten Bewerbungsschreiben<br />

vom 21. Mai 1768 an den „Durchlauchtigsten<br />

Landgraf und Erbprinz“ erwähnt jener „Handelsmann“<br />

Isaac August Jassoy, dass er die Nachfolge seines Vaters antreten<br />

und mit der Stelle eines „Leihbanco und Commercien Deputation<br />

Asessoris“ betraut werden möchte. Jassoy begründet<br />

seinen Wunsch mit den Worten: „Da mir nichts schätzbarer<br />

und erwünschter ist, <strong>als</strong> bei jeder Gelegenheit Euer Hochfürstlider<br />

verkehrsgünstigen Lage und nicht zuletzt wegen der hier<br />

ansässigen innovativen Gewerbe wirtschaftlich deutlich weiter<br />

entwickelt <strong>als</strong> Kassel und brachte per anno einen Steuerertrag<br />

von etwa 500.000 Gulden auf. 6<br />

Damit die Wirtschaft der Stadt künftig prosperieren konnte<br />

und um soziale Probleme zu vermeiden, ließ Wilhelm <strong>als</strong><br />

eine der ersten Maßnahmen seiner Regentschaft ein Anschreiben<br />

verfassen, in dem er versprach, alle „Commercien“ und die<br />

Niederlassung weiterer Gewerbetreibender zu fördern. Dabei<br />

wurde der Kreis der Interessenten nicht mehr durch Bedingungen<br />

an deren Konfession eingegrenzt und steuerliche Vergünstigungen<br />

in Aussicht gestellt.<br />

In den Zusammenhang seiner merkantilen Wirtschaftsförderung<br />

gehören die Einberufung des „ Commerz-Collegiums“,<br />

wodurch das heimische Gewerbe an der Wirtschaftspolitik der<br />

Obrigkeit beteiligt werden und Streitigkeiten schlichten sollte,<br />

7 und die 1737 eingeleiteten Vorbereitungen zur Gründung<br />

der „Hochfürstlichen Heßen-<strong>Hanau</strong>ischen Lehn- Banco“,<br />

deren „Ordnung“ in Kassel erlassen wurde. 8 Beide Gremien<br />

besetzten zum Teil die gleichen Personen. Jedoch war dem<br />

„Commerz-Colleg“ keine lange Lebensdauer beschieden, es<br />

verlor rasch an Autorität und stellte schon nach wenigen Jahren<br />

die Tätigkeit ein oder wurde nicht mehr gefragt. 9<br />

Als die potentiellen Interessenten für ein derartiges Kreditinstitut<br />

sah man Fabrikanten, Kaufleute und Manufakturisten,<br />

die für ihre gewerblichen Investitionen Kapital respektive<br />

Überbrückungskredite benötigten. Dadurch sollte – ganz im<br />

merkantilistischen Verständnis des Absolutismus – die Binnenwirtschaft<br />

gefördert, ökonomischen Krisen vorgebeugt<br />

und das Vermögen der „Bemittelten“, <strong>als</strong>o der Wohlhabenden,<br />

„auf sichere Weise und mit Nutzen“ angelegt werden. Als frühe<br />

Form einer <strong>Sparkasse</strong> kann die <strong>Hanau</strong>er Landesleihbank deshalb<br />

nicht bezeichnet werden, denn es ging nicht um die An-<br />

lage kleiner Summen. Dennoch lag den Überlegungen auch<br />

eine soziale Komponente zugrunde, da man hoffte, mit der<br />

Leihhausgründung auch den Wucher einzudämmen, um so<br />

Unternehmenskonkursen und daraus resultierender Arbeitslosigkeit<br />

vorzubeugen.<br />

Entsprechend unmissverständlich sind die Konditionen<br />

oder Statuten in der „Ordnung“ der Lehn-Banco formuliert.<br />

Danach stand das Institut unter staatlicher „Garantie“ und<br />

„Protection“. Seine Leitung oblag „Directores“. Der „Fond“, das<br />

Eigenkapital der Leihbank, belief sich zunächst auf 100.000<br />

Gulden, dieser konnte aber bei Bedarf und nach fürstlicher<br />

Bewilligung aufgestockt werden (Paragraf I).<br />

Die Einlage durch die Kundschaft, die mit vier Prozent<br />

verzinst wurde, erfolgte in Form von Obligationen, deren Mindeststückelung<br />

auf 100 Gulden festgelegt war ( Paragraf III).<br />

Außerdem billigte das Statut den Kreditnehmern Anonymität<br />

zu, jedoch bei gleichzeitiger Stellung „guter Effecten und<br />

Mobilien“ (Paragraf VI), <strong>als</strong>o von Sicherheiten oder Faustpfänder<br />

in Form der inländischen Warenproduktion des Kreditnehmers,<br />

von Edelmetall, Juwelen und Kleidung. Diese mussten<br />

in einem zu errichtenden Magazin bis zu ihrer Auslösung<br />

gelagert oder sie konnten nach Verstreichen der Fristen versteigert<br />

werden (Paragraf VIII). Die Zinsen waren nach der<br />

Höhe und der Dauer des Kredits gestaffelt. Dazu kam noch<br />

eine „Schreib-Gebühr“.<br />

Die Lombardierung (Beleihung) auf die im Lager festliegenden<br />

Fertigprodukte bot insbesondere solchen Fabrikanten<br />

eine Möglichkeit zu Geld zu kommen, die während Zeiten<br />

mangelnden Absatzes oder zwischen zwei Messen Überbrückungskredite<br />

benötigten, um ihr Unternehmen weiterführen<br />

zu können. 10<br />

Die Statuten gewährten jedermann großzügige Öffnungszeiten,<br />

nämlich „täglich“ von 9 bis 11 und von 14 bis 16 Uhr“<br />

(Paragraf IV). 11 Eventuelle Streitigkeiten sollten die Direktoren<br />

schlichten, im Bedarfsfall war der Landesfürst selbst einzuschalten<br />

(Paragraf XIII).<br />

Direktorium und Personal<br />

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Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

chen Durchlaucht, meiner mit der tiefst-schuldigsten Ehrfurcht<br />

verbundene Liebe für den von hoechst deroselben durchlauchtigsten<br />

Person unzertrennliche Tugenden zu bezeigen; so erscheint<br />

mir dazu kein glücklicherer Vorfall <strong>als</strong> die Erledigung der Asessorats<br />

Stelle bei obgedachter Leih Banco und commercien Deputation,<br />

um welche bei Euer Hochfürstlichen Durchlaucht ich unterthänigst<br />

anzusuchen mich erkühre.“<br />

Wie von ihm angestrebt, wurde Jassoy dann „cum Voto“ des<br />

Erbprinzen schon am 26. Mai 1768 in das Gremium „bestellet“,<br />

wo er Sitz, Stimme und Mitspracherecht erhielt. Neben<br />

diesen Rechten oblag ihm auch eine Reihe von Pflichten, die<br />

in den „Project Instructionis“ vom 7. Februar 1770 festgehalten<br />

sind. Dazu zählten nicht nur, „treu, hold, gehorsam und gewärtig“<br />

zu sein und den Nutzen des Grafen und der Leihbank zu<br />

befördern, sondern er sollte auch für „inländische Producte und<br />

Nahrungsstände“ werben, den Durchzug ausländischer Waren<br />

beobachten, die heimischen Unternehmen unterstützen und<br />

Verschwiegenheit wahren. Dies alles hatte Jassoy mit einem<br />

„Leiblichen Eyd zu Gott“ zu beschwören.<br />

Das Amt ging damit wohl problemlos vom Vater auf den<br />

Sohn über, eine spezifische Form des Erbgangs, die bei der<br />

Leihbank noch öfter angewendet werden sollte und die dam<strong>als</strong><br />

in manchen Bereichen des öffentlichen Lebens, nicht nur<br />

bei Fürsten, durchaus nicht unüblich war.<br />

Wie sich die Person<strong>als</strong>ituation ab dem 19. Jahrhundert darstellte,<br />

ist weiter unten nachzulesen.<br />

Unzulänglichkeiten<br />

In einem „Pro Memoria“ von Februar 1779 verkündete<br />

Erb prinz Wilhelm sein wirtschaftspolitisches Credo mit den<br />

Worten: „Alle Mittel müßen dazu eingeschlagen und alles aus<br />

dem Weege geräumt werden, was dem Commercius schädlich<br />

ist.“ Gleichzeitig sah er, dass in seiner Grafschaft manches im<br />

Argen lag, was der Realisierung dieses Anspruchs im Wege<br />

stand. Dabei bezog er die Leihbank und ihr Führungspersonal<br />

ein, dem er vorwarf, dass es sich „wenig damit beschäftigt“<br />

und „auch seit langen Jahren“ keinen Vorschlag „zum Besten des<br />

Commerz Weesens“ gemacht habe.<br />

Zur Vermeidung von Firmeninsolvenzen und der damit zu<br />

erwartenden sozialen Notlagen beschäftigungslos gewordener<br />

Arbeiter und ihrer Familien verlangte der Landesherr sowohl<br />

von seiner Regierung und den <strong>Hanau</strong>er Stadträten <strong>als</strong> auch<br />

von den Fabrikanten in Form eines „gemeinschaftlich zu verfaßenden<br />

schriftlichen Aufsaz und thunlichst ausführliche“ Bestandsaufnahme<br />

der wirtschaftlichen Situation und Vorschläge<br />

zu ihrer Verbesserung. Im Einzelnen forderte das Schreiben<br />

namentlich die „Commercienassessoren“ Cotrell, Dietlein und<br />

Johann Conrad Lavater sowie 20 Handelsleute und Fabrikanten<br />

zumeist aus der Neustadt und häufig mit französischen<br />

Namen auf, sich „Gedanken“ zu machen. Insonderheit handelte<br />

es sich bei den Angesprochenen um Bijouteries, Seidenfabrikanten<br />

und Händler.<br />

Wie virulent den Gewerbetreibenden das Problem des Erhalts<br />

zinsgünstiger Kredite auf den Nägeln brannte, zeigt sich<br />

schon am Anfang eines von Souchay senior verfassten und<br />

von sechs weiteren Unternehmern unterzeichneten 25-seitigen<br />

Antwortschreibens. Als Erwiderung auf die Frage: „Welches<br />

sind die Mittel, den hiesigen Handel und das Commerzwesen im<br />

Gantzen blühender zu machen?“ heißt es ausdrücklich: „Erstlich<br />

und hauptsächlich eine Leyhe oder Creditcasse zu errichten,<br />

aus welcher ein jeder Fabricant oder Handelsmann, die<br />

Juden ausgenommen, im nöthigen Fall, und so oft <strong>als</strong> einer<br />

oder der andere gegen seinen Wechsel es brauchte, zu leidlichen<br />

procenten Geld haben könnte, ohne weitere Verschreibung<br />

Haab und Güter.“ Einschränkend ist dann zu lesen, dass<br />

Landgraf Wilhelm IX. (1743–1821) regierte von 1764 bis 1785 <strong>als</strong> Erbprinz<br />

die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg. Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

„sich von selbsten verstehet, daß man <strong>als</strong>dann einem jeden auf<br />

einmal nicht mehr verschießen darf, <strong>als</strong> so viel seine Umstände<br />

bekannt sind und es erlauben.<br />

Dadurch würde mancher Fabricant nicht gezwungen seyn,<br />

sich an Juden oder sonstige Wucherer zu wenden, welche dem Faricanten<br />

seinen Schweis und Blut aussaugen, und ihm das Nachsehen<br />

laßen.“<br />

Natürlich kannten die <strong>Hanau</strong>er Fabrikanten die Leihbank,<br />

doch ihre Konditionen kritisierte das Schreiben des Unternehmers<br />

Souchays scharf: „Es kommen in einer ieden Art Fabriquen<br />

Fälle, doch einer mehr <strong>als</strong> der andere, glich wie eine mehr<br />

Geld brauchet wie die andere, wo sie in der Geschwindigkeit<br />

Geld haben muß, um einen guten Ankauff zu machen, fehlet das<br />

Geld; so muß man es fahren lassen, und hier ist gar nichts zu haben,<br />

woher dieses komt, ist einem ieden bekannt, die Landcasse<br />

das Lombard, nehmen alles hieweg, der Capitalist sagt an beyden<br />

Orten laufe ich keine Gefahr, ich will lieber ein procent weniger<br />

aufnehmen, <strong>als</strong> mein Geld auf Wechsel geben, sogar ist es dadurch<br />

soweit gekommen, daß auf Hypothequen kein Geld mehr<br />

zu haben <strong>als</strong> zu 4 ½ und 5 procent, welches vor Zeiten unerhört<br />

gewesen, ia man hätte denjenigen einen Wucherer genannt, welcher<br />

in der Stadt, denn nur davon ist die Rede, mehr <strong>als</strong> 4 procent<br />

genommen hätte.“<br />

Ähnlich klingt es beim Antwortschreiben von elf anderen<br />

„Fabrikanten und Kaufleuthen“, worin sie baten, hauptsächlich<br />

im Leumund der Kreditsuchenden eine ausreichende Sicherheit<br />

zu sehen. Es heißt dort: „Ein in zu weiliger baarer<br />

Vorschuß, durch welchen ein oder der andere derer hießigen Fabricanten,<br />

in besonderen Vorfällen gegen seinen auszustellenden<br />

Wechselbrief und gegen bilig Interesse (…) wäre eines der wichtigsten<br />

Beförderungsmittel mit, wodurch denen Fabricen und<br />

Handel überhaupts Muth, Leben und Fortkommen eingeflößt<br />

werden könne; wie solcher Credit dürffte aber keine andere Sicherheit<br />

fordern, <strong>als</strong> einen ordentlichen Lebens-Wandel, fleißige<br />

Betreibung der Geschäfte und den Charakter eines aufrichtigen<br />

und redlichen Mannes und dießes sind nach der kaufmännischen<br />

Regul die besten Hypotheken, wer in Besitz eines solch guten Namens<br />

ist, den man dadurch erlanget, dann wird es auch nie an<br />

Credit fehlen.“ 15<br />

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Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg (1744–1817) regierte von 1810 bis<br />

1813 das Großherzogtum Frankfurt (1810–1813), wozu auch das Fürstentum<br />

<strong>Hanau</strong>-Münzenberg gehörte. Historisches Museum Frankfurt<br />

Welche Schlüsse aus der Erhebung geschlossen wurden und<br />

welche Maßnahmen daraus tatsächlich folgten, geht aus dem<br />

Vorgang nicht hervor. Allerdings enthält ein Konvolut aus<br />

den Jahren 1809 und 1810 einige interessante Angaben zum<br />

Zustand der Leihbank in den ersten Jahrzehnten nach ihrer<br />

Gründung. 16<br />

Vom Defizit zum Gewinn<br />

Den Anlass für einen umfangreichen Bericht, der vom 13.<br />

Juni 1810 datiert, bildete der Antritt einer neuen Landesherrschaft,<br />

in diesem Fall des Großherzogtums Frankfurt unter<br />

der Regentschaft des vormaligen Mainzer Kurfürsten und<br />

Reichsprimas Karl Theodor von Dalberg (1744-1817). Dalberg<br />

wollte sich damit einen Überblick zur Vergangenheit und vor<br />

allem zur aktuellen finanziellen Situation der Leihbank oder<br />

des Lombard 17 , wie es jetzt zumeist bezeichnet wurde, zu Beginn<br />

seiner Regentschaft geben lassen.<br />

Wir erfahren daraus, dass die Geschäftstätigkeit des Leihhauses<br />

anfänglich „von Erfolg“ war, jedoch „nahmen sie durch<br />

üble Verwaltung und daß man sich gegen den Willen des Fürsten<br />

in nachtheilige Geschäfte eingelassen hatte“, eine negative Wendung.<br />

In der Folge zeigten sich die Passiva <strong>als</strong> deutlich höher<br />

<strong>als</strong> die Aktiva: 1748 betrug das Defizit mehr <strong>als</strong> 7800 Gulden,<br />

1753 mehr <strong>als</strong> 22.000 und 1767 gar nahezu 55.000 Gulden. 18<br />

Zweifelhafte Unternehmungen und Unterschlagungen von<br />

Mitarbeitern des Geldinstituts ließen die Leihbank zum „Sorgenkind<br />

des älteren Landgrafen Wilhelm“ werden. 19<br />

Der Vorgang zum Verfahren des Landgerichts Bücher thal<br />

gegen den langjährigen Leihbankkassierer Isaak van der Velde<br />

ist im Staatsarchiv Marburg vorhanden. Er datiert aus den<br />

Jahren 1761 bis 1766 und umfasst rund 450 Seiten. Die Untersuchungen<br />

umfassten neben Verhören und Zeugenbefragungen<br />

auch Hausdurchsuchungen. Van der Velde wurde unter<br />

anderem vorgeworfen, er habe seit seinem Dienstantritt<br />

1743 „untreu und meineidig gehandelt“ sowie Unterschlagungen<br />

und betrügerischen Bankerott begangen. Der Angeklagte<br />

verstarb während des Verfahrens. Für den Schaden mussten<br />

die Erben aufkommen – soweit sie dazu in der Lage waren. Zu<br />

Ermittlungen und Inhaftierungen kam es auch im Falle einer<br />

bei der Leihbank bediensteten Magd und 1789 bei einem Pedell.<br />

20 Eine Konsequenz dieser Vorfälle bestand darin, dass das<br />

Fürstliche Hofgericht auf Bitten der Fürstlichen Leyhe Banco<br />

Direction die Arbeit der Leihbank überwachte. In dem Dekret<br />

ist es folgendermaßen formuliert: „…daß die Cura bonorum<br />

zwar bey Fürstl. LeyheBanco verbleibe, über die Maß am<br />

selbsten aber eine besondere Rechnung geführet und hiernachst in<br />

behöriger Ordnung von Hofgerichts wegen justificiret und abgehört<br />

werden soll.“ 21<br />

Aus dem umfangreichen Bericht für Dalberg ist dann weiter<br />

zu entnehmen, wonach diese missliche finanzielle Lage bei<br />

der Regierung zu Überlegungen führte, „ob man nicht dieses<br />

Institut ganz aufheben wolle“.<br />

Dagegen sprachen jedoch das Vertrauen, das die Leihbank<br />

trotz allem genoss, und die Tatsache, dass einzig die Leihhauskasse<br />

während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763)<br />

notwendige Darlehen auszugeben vermochte. Im Jahr 1775<br />

beliefen sich die im Umlauf befindlichen Obligationen auf<br />

mehr <strong>als</strong> 605.000 Gulden. In den Folgejahren bis 1786 gelang<br />

es, das Defizit ganz zu tilgen. Zu verdanken war dies, so heißt<br />

es an anderer Stelle, seinem „Chef, der diesem Institut in den<br />

letzten 30 Jahren ununterbrochen vorstand.“ Gemeint war<br />

damit Kammerpräsident von Motz.<br />

Weiterhin teilt der Bericht mit, dass der Lombard 1799 ein<br />

eigenes Haus im Wert von mehr 40.000 Gulden besaß. 22<br />

Nach dem Einmarsch der Franzosen war die <strong>Hanau</strong>er<br />

Leihbank in den Jahren 1807 und 1808 mit der Abwicklung<br />

der dem Fürstentum <strong>Hanau</strong> auferlegten Kriegskontributionen<br />

und der Annullierung mehrerer Obligationen befasst. Dafür<br />

musste die Leihbank zunächst 7.000 Gulden und bald danach<br />

nochm<strong>als</strong> mehr <strong>als</strong> 31.500 Francs, das sind gut 14.600 Gulden,<br />

aufbringen, was ihr, gemäß eines von Direktor von Motz unterzeichneten<br />

Schreibens, recht schwer gefallen ist. 23<br />

Das Eingangsportal der Ständischen Leihbank <strong>Hanau</strong> in der Römerstraße<br />

im Jahr 1921.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

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Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Ansonsten mischte sich die französische Besatzung vermutlich<br />

wenig in die Belange des Geldinstituts ein. Man öffnete<br />

werktags von 9 bis 11 und von 14 bis 16 Uhr, außer mittwochs<br />

und samstags nachmittags, während sich das Direktorium<br />

einmal im Monat zu seinen Beratungen traf. Es wurden auch<br />

weiterhin Gold, Silber, Juwelen, Kleidung und Leinen <strong>als</strong> Sicherheit<br />

genommen. Pfänder, die nach der vereinbarten Frist<br />

nicht eingelöst hatte, wurden bei einer „Verganthung“ im Frühjahr<br />

oder Herbst versteigert. Für angelegtes Kapital zahlte der<br />

Lombard in der Regel drei Prozent Zinsen, in Ausnahmefällen<br />

auch mal etwas mehr.<br />

Im Jahr 1809 betrug der Gewinn des Lombard oder der<br />

Leihkasse wieder 2061 Gulden 17 Kreuzer und 3 Heller, das<br />

Eigentum der Bank wurde mit mehr <strong>als</strong> 80.000 Gulden beziffert.<br />

Nach Kenntnisnahme des Berichts der Direktion ließ der<br />

neue Landesherr Großherzog Karl Theodor von Dalberg am<br />

18. Juni 1810 seine Befriedigung über den „guten Zustand des<br />

Lombard“ ausdrücken. Aber man mahnte auch, ausgeliehenes<br />

„beträchtliches Kapital“ einzutreiben.<br />

In einer Randnotiz zu diesem Schreiben fügte Dalberg<br />

selbst hinzu: „Ich ersuche den Herrn Konferenzminister dieser<br />

Stelle in meinem Namen meine vollkommene Zufriedenheit zu<br />

erklären, und werde ich immer darauf bedacht seyn, den ferneren<br />

Wohlstand dieses nüzlichen Instituts bestens zu befördern.“<br />

In einem Schreiben unter dem gleichen Datum an die Lombarddirektion<br />

wird „Ex mandato serenissimi“ nach Kenntnisnahme<br />

des vorgelegten Etats der Leihbank „der gute Zustand<br />

des Lombard und der patriotische Eifer gelobt, mit welchem die<br />

Direction desselben dazu ohne eigenes Interesse beigetragen“ hat.<br />

Aus der „Schluß-Bilanz Conto di Ultimo December 1809“<br />

geht hervor, dass es sich bei den Großentleihern um ein Garde<br />

Grenadier Bataillon (4772 fl.), die Gebrüder Bethmann<br />

(50.100 fl.), Kommerzienrat Deines (9587 fl.), die Rentkammer<br />

(4000 fl.) und die Landkasse (16.000 fl.) handelte. Juwelen,<br />

Gold und Silber wurden im Wert von 21.186 Gulden<br />

hinterlegt. Wie ersichtlich, beschränkte sich die Ausleihe nicht<br />

nur auf Inländer, auch Frankfurter Kunden wie das Bankhaus<br />

Bethmann sind aufgeführt. Das „Abschließungs-Conto nach<br />

abgeschlossener Bilanz“ der vom „Lombards-Buchhalter“ Schubert<br />

zusammengestellten Auflistung verzeichnete zum 31. Dezember<br />

1809 die Summe von 126.712 Gulden 31 Kreuzer 2<br />

Heller. 24<br />

Auch der Pedell stellte Kaution<br />

Recht detailliert sind die Ausführungen in dem Bericht<br />

vom 13. Juni 1810 ebenfalls hinsichtlich des Person<strong>als</strong>, seiner<br />

Aufgaben, seiner Bezahlung und der Namen der Bediensteten.<br />

Danach bestand das Direktorium aus vier Mitgliedern.<br />

Bei dem Ersten Direktor handelte es sich bereits seit 1779 um<br />

Kammerpräsident von Motz. Er führte das Präsidium, der<br />

Zweite Direktor, ebenfalls mit dem Namen von Motz, kümmerte<br />

sich um die Protokolle, besorgte alle Einträge, formulierte<br />

Vorlagen und verwahrte einen Schlüssel zur Hauptkasse.<br />

Dem Ersten Kommerzienrat Johann Conrad Lavater oblag<br />

es, die täglichen Geschäfte zu beaufsichtigen und den zweiten<br />

Schlüssel zur Kasse zu führen. Seinem Stellvertreter, Zweiter<br />

Kommerzienrat Henry Nolhac, oblag die Revision aller Bücher<br />

und Rechnungen. Diese vier Personen bestimmten die<br />

Politik des Lombard, soweit nicht der Landesherr direkt in<br />

die Entscheidung der Leihbank eingriff. Mit der Ausnahme<br />

von Lavater, der einen Jahreslohn von 300 Gulden bekam,<br />

hatte „keiner der Direktoren sich eines Diensteinkommens zu<br />

erfreuen“. Die Belegschaft des Lombard bestand aus dem Kassierer<br />

Jakob Schmidt, dem Verwalter Johann Philipp Meerbo-<br />

Die Bediensteten der Leihbank <strong>Hanau</strong> und ihr Einkommen im Jahr 1810.<br />

<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

th, dem Buchhalter Johann Jakob Schubert, dem Gold- und<br />

Juwelentaxator Grill und dem Pedell Heinrich Eiler, der in<br />

diesem Fall nur bedingt <strong>als</strong> Hausmeister in unserem heutigen<br />

Sinne verstanden werden kann, da er „zugleich auch die Taxation<br />

aller geringeren Pfänder“ übernahm.<br />

Die Entlohnung der Bediensteten der Leihbank reichte von<br />

100 Gulden bei Grill, über 145 bei Eiler, 300 bei Meerboth<br />

und Schubert bis zu 650 Gulden pro Jahr bei Schmidt. Letzterem<br />

standen ursprünglich noch fünf Klafter 25 Buchenholz<br />

zu, die er allerdings 1810 nicht mehr erhielt, weil „das Holzmagazin<br />

<strong>als</strong> ein Domain in Anspruch genommen worden ist“, was<br />

so viel bedeutet, dass sich in diesem Fall die französische Besatzungsmacht<br />

die Verfügung und Nutzung angeeignet hatte.<br />

Pedell Heinrich Eiler trat seine Position erst endgültig im<br />

Sommer 1810 an, nachdem er seinem verstorbenen Vorgänger<br />

Dittmer nur vorläufig nachgefolgt war und das Direktorium<br />

unter dem Datum vom 30. Mai eine entsprechende Bitte an<br />

den Großherzog („Durchlauchtigster Großherzog und Primas.<br />

Gnädigster Großherzog und Herr!“) gerichtet hatte. Für Eiler<br />

sprach, dass er „diese Stelle bisher zur vollkommenen Zufriedenheit<br />

der Direction bekleidet“ hatte und er auch „wegen seiner<br />

Treue und Dienstbereitwilligkeit empfohlen zu werden verdient,<br />

endlich aber, das zu Stellung einer Caution erforderliche Vermögen<br />

besitzt.“ 26<br />

Also hatte auch der Hausmeister eine Sicherheit in Form<br />

einer Kaution zu stellen, sicherlich deshalb, weil man dadurch<br />

eventuellen Versuchungen vorzubeugen glaubte. Wo er seiner<br />

Arbeit nachging, das heißt, wo sich das Anwesen der Leihbank<br />

oder des Lombard befand, geht aber aus dem Vorgang<br />

nicht hervor. Möglicherweise ist die Leihbank niem<strong>als</strong> umgezogen<br />

und logierte stets an der Ecke Römerstraße / Steinheimer<br />

Straße.<br />

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte sich das Direktorium<br />

oder später der Vorstand der Leihbank aus höheren Beamten<br />

(Regierungs- und Amtsgerichtsräten, Oberbürgermeistern)<br />

sowie Fabrikanten und Kaufleuten zusammen. Zum<br />

Personal gehörten weiterhin der Leihbankverwalter, der die<br />

Bank leitete, die beamteten Kassierer und Buchhalter sowie<br />

der Pedell und der Hilfspedell, der Schätzer, der Botenmeister,<br />

einige Bürogehilfen, Stenotypistinnen und Verwaltungsangestellte.<br />

27<br />

114 115


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Ausdehnung und Verzicht<br />

Ausschnitt aus dem Stadtplan von Johann Jacob Müller aus dem Jahr 1809. Die Leihbank (weißer Kreis) befand sich zunächst im Gebäude Römerstraße 7.<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen benachbarte Grundstücke hinzu. Die Städtische <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> (roter Kreis) war von 1841 bis 1890 im Stadthaus<br />

untergebracht.<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

Unterschriften der Mitglieder des Direktoriums der Leihbank <strong>Hanau</strong> aus<br />

dem Jahr 1833. <br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

Etwa um 1820 unternahm man seitens der Leihhausführung<br />

den Versuch, den Kundenstamm zu vergrößern. Zu diesem<br />

Zweck gab das Institut nun Obligationen bereits zum<br />

Wert von zehn Gulden aus, statt bisher mindestens zu 100,<br />

und hoffte dadurch, auch Kleinsparer zu gewinnen. 28 Eine<br />

Ursache für diesen Sinneswandel mag die 1819 erfolge Gründung<br />

der „Sparcasse der Niederländischen Diakonie zu <strong>Hanau</strong>“<br />

29 gewesen sein.<br />

Welche weiteren Geschäftsfelder wann erschlossen wurden,<br />

ist nicht präzise überliefert. Bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

oder noch früher erhielten staatliche Institutionen<br />

wie die Rentkammer und die Landkasse leihweise Gelder vom<br />

Leihhaus. 30 Möglicherweise erfolgten bald danach auch Kredite<br />

an Gemeinden. Gänzlich unklar ist der Beginn des Hypothekengeschäfts.<br />

Jedenfalls zeigte sich die Entwicklung seit<br />

den Befreiungskriegen bis zur Reichsgründung von 1871 <strong>als</strong><br />

„im allgemeinen ruhig und gleichmäßig“. 31<br />

Eine Erweiterung erfuhr die Leihbank im Jahr 1833. Dam<strong>als</strong><br />

ging die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie <strong>Hanau</strong><br />

in der Leihbank auf. Dies erweiterte ihre Geschäftsbasis<br />

erheblich.<br />

Doch mit einem anderen Anliegen drang die Leihbankdirektion<br />

bei den vorgesetzten Behörden in Kassel nicht durch.<br />

Man hoffte, da man nun eine <strong>Sparkasse</strong> integriert und dadurch<br />

den Kundenkreis in Richtung auf weniger begüterte Personen<br />

erweitertet hatte, auf die gleichen staatlichen Vergünstigungen<br />

wie sie einer normalen <strong>Sparkasse</strong> zustanden. Dies bedeutete,<br />

dass man auf die zinsgünstige Anlegung von Geldern der<br />

<strong>Hanau</strong>er Leihbank bei der Landeskreditkasse hoffte, was dort<br />

aber zunächst abgelehnt wurde. Das zuständige Ministerium<br />

des Innern forderte daraufhin sowohl von der Landeskreditkasse<br />

<strong>als</strong> auch von der Leihbank <strong>Hanau</strong> eine Stellungnahme<br />

ein. 32 In einem Schreiben vom 21. Mai 1843 verweist die Direktion<br />

der Landeskreditkasse auf gesetzliche Vorgaben 33 und<br />

die Tatsache, dass bei dem <strong>Hanau</strong>er Geldinstitut „bedeutende<br />

Einzahlungen bis zu der Summe von 5000, 6000“ gemacht<br />

werden und im März 1843 „immer noch 68.750 Thaler bei der<br />

Landeskreditkasse angelegt waren, was zu der Vermuthung führen<br />

mußte, daß gedachte <strong>Sparkasse</strong> sich nicht allein auf die Annahme<br />

kleiner Ersparnisse der Dienstboten, Tagelöhner, geringer<br />

Handwerker beschränke“. Deshalb würden „die Grenze einer<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>als</strong>o bei ihr nicht eingehalten“.<br />

Außerdem zähle das Institut auch Ausländer zu seinen<br />

Kunden, und das Geldinstitut gebe gerade den kleinen Einlegern<br />

die niedrigsten Zinsen.<br />

Mit einem Brief vom 17. August 1843 versuchte die <strong>Hanau</strong>er<br />

Leihbankdirektion, diese Argumente zu entkräften. Darin<br />

wird darauf hingewiesen, dass die „Einlagen der <strong>Sparkasse</strong> von<br />

der Leihbank in einem bes. Conto und in den jährlichen Bilanzen<br />

gesondert aufgeführt“ sind. Daneben betont das Schreiben<br />

<strong>als</strong> eigenen Verdienst, dass sie „eine immer größere Ausdehnung<br />

gewonnen“ habe und sich „mit Recht eines allgemeinen Vertrauens“<br />

erfreue.<br />

Weiter unterstreicht die Leihbankdirektion, dass man das<br />

Ziel der Verhinderung von Armut erfüllt habe und dass sich<br />

„nicht nur der Wohlstand in der hiesigen Stadt und der Umge-<br />

116 117


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

gend, sondern auch der Sinn für der Einwohner derselben sich<br />

gehoben“ habe. Man bestreitet nachdrücklich, dass man sich<br />

nicht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewege und dass<br />

„Personen aus Ortschaften des nahen Auslandes“ nur selten die<br />

Kasse besuchten, sondern dass sie „ zum größten Theil von Einwohnern<br />

der hiesigen Stadt und der Kreise <strong>Hanau</strong> und Gelnhausen<br />

benutzt wird“. Den unterschiedlichen Zinssatz mit steigender<br />

Einlage bewertete man <strong>als</strong> Ansporn zum verstärkten<br />

Sparen.<br />

Das zuständige Ministerium des Innern in der Landeshauptstadt<br />

Kassel verkündete erst Jahre später einen Bescheid.<br />

Möglicherweise verzögerten die turbulenten Zeitumstände<br />

mit Hungersnot, Revolution und Restauration eine frühere<br />

Stellungnahme.<br />

In einem von Minister Ludwig Hassenpflug (1794-1862) gezeichneten<br />

Schreiben vom 10. Januar 1852 eröffnete man, dass<br />

„die mit der Leihbank seit 1833 verbundene Sparcasse“ nicht den<br />

Anforderungen einer solchen Anstalt entspräche. Als „Mißstand“<br />

sah man, dass die in der Leihbank integrierte <strong>Sparkasse</strong><br />

die „nach Ablaufe bestimmter Perioden nicht erhobenen Zinsen<br />

nicht verzinst oder was dasselbe ist, zum Capitale schlägt“<br />

und „nicht geringere Capitale <strong>als</strong> die planmäßigen zur Einlage<br />

zuläßt“ sowie „Obligationen nicht auf den Namen der Einleger<br />

festgestellt werden“. Aufgrund dessen forderte das Ministerium<br />

die Leihbank zu einer „umfassende Revision der Sparcasse“ und<br />

zur Ausarbeitung und Vorlage eines Entwurfs für eine neue<br />

<strong>Sparkasse</strong>nordnung auf. 34<br />

Der Ausgang der Angelegenheit ist in dem Aktenvorgang<br />

leider nicht überliefert, jedoch dürfte die Gründung der <strong>Hanau</strong>er<br />

Stadtsparkasse hierbei sicherlich manches erübrigt haben.<br />

Außerdem änderten politische und militärische Ereignisse<br />

bald die Verhältnisse, auch für die Leihbank <strong>Hanau</strong>,<br />

grundlegend.<br />

35.000.000<br />

Von der Leihbank zur Landesleihbank<br />

Einige Jahre später erwarb die Landesleihbank die Liegenschaft<br />

Marktplatz Nr. 4. Daraufhin nahm man weitere Umbauarbeiten<br />

Im Jahr 1866, nach der Annexion Kurhessens durch Preußen,<br />

gingen die <strong>Hanau</strong>er Leihbank ebenso wie die Leihbank<br />

Fulda und die Landeskreditkasse in Kassel auf den preußischen<br />

Staat über. Mit der Schaffung einer gebietsständischen<br />

Selbstverwaltungskörperschaft für den nunmehr preußischen<br />

Regierungsbezirk Kassel durch eine Verordnung vom 20. September<br />

1867 wurde das Institut 1872 dem kommun<strong>als</strong>tändischen<br />

Verband übertragen.<br />

Die Leihbank <strong>Hanau</strong> erhielt zunächst den Namen „Ständische<br />

Leihbank“ und, nachdem im Jahre 1886 die ständische<br />

und Modernisierungen im Bankalltag wie die<br />

Umstellung sowohl der Gegenbuchhaltung auf die maschinelle<br />

Zweigangsbuchhaltung <strong>als</strong> auch der Depotbuchhaltung<br />

auf loses Kartensystem vor. 37<br />

Die Dienstgebäude sind durch die Bombardierung am 19.<br />

März 1945 zerstört worden. Nach der Zusammenlegung mit<br />

der Stadtsparkasse ist der Grundbesitz der Landesleihbank in<br />

der Steinheimer Straße 14, 16, 18 und 20, Römerstraße 7 und<br />

Altstraße 8 an die Stadt <strong>Hanau</strong> verkauft und zum Teil gegen<br />

weiteren Grundbesitz am Marktplatz getauscht worden. 38<br />

Verwaltung <strong>als</strong> preußische Gebietskörperschaft die Bezeichnung<br />

„Bezirksverband des Regierungsbezirkes Kassel“ erhalten<br />

Geschäftliche Entwicklung<br />

hatte, erhielt die Anstalt den Namen „Leihbank <strong>Hanau</strong>“,<br />

dieser wurde 1927 in „Landesleihbank <strong>Hanau</strong>“ geändert. 35 Die<br />

Aufsicht führten jeweils von der Regierung benannte Räte, in<br />

der preußischen Zeit dann die jeweiligen Landräte sowie von<br />

1899 an für viele Jahre der <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeister Dr.<br />

Eugen Gebeschus (1855-1936).<br />

Während der Zeit des Nation<strong>als</strong>ozialismus (1933-1945) änderte<br />

Nach der Reichsgründung von 1871 verzeichnete die Ständische<br />

Leihbank <strong>Hanau</strong> trotz der bald einsetzenden und bis in<br />

die 1890er Jahre andauernden Großen Depression „eine recht<br />

gute Entwicklung“. Sichtbar wird dies an der steigenden Bilanzsumme,<br />

die sich von 1872 bis 1892 und von 1892 bis 1913<br />

jeweils mehr <strong>als</strong> verdoppelte. 39<br />

sich vieles bei der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, der Name<br />

blieb allerdings unverändert.<br />

Bilanzsumme der Leihbank<br />

Ebenso wie der Name, so veränderten sich im Laufe der<br />

1872-1913 in Mark<br />

Zeit auch die Geschäftsräume der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>.<br />

12.000.000<br />

schoben werden. 36 1872 1882 1892 1902 1908 1913<br />

Eventuell befanden sich diese von 1738 bis kurz vor dem Ersten<br />

10.000.000<br />

9.739.196<br />

30.000.000<br />

Weltkrieg im Gebäude Römerstraße 7. Bis 1912 ersetzte<br />

8.618.778<br />

8.000.000<br />

25.000.000<br />

dann ein Neubau mit Geschäftsräumen und zwei „Beamtenwohnungen“<br />

auf dem Grundstück Steinheimer Straße 16/18<br />

4.397.480<br />

15.000.000<br />

20.000.000<br />

6.000.000<br />

5.167.434<br />

4.000.000<br />

den Vorgängerbau. Bereits Ende der Zwanzigerjahre erfolgten<br />

2.478.270<br />

10.000.000<br />

1.956.393<br />

dort weitere Umbauten. Eine für das Jahr 1931 weitere Umbaumaßnahme<br />

2.000.000<br />

5.000.000<br />

musste aufgrund der Wirtschaftskrise ver-<br />

0<br />

0<br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschäftsfelder beschränkten sich zum Ende des<br />

19. Jahrhunderts im Passivgeschäft auf den Verkauf und<br />

Rückkauf von Leihbankobligationen. Im Aktivgeschäft war<br />

die Leihbank bei Hypothekenausleihungen, Darlehen an<br />

Gemeinden und öffentlich-rechtliche Körperschaften sowie<br />

der Beleihung von Wertpapieren aktiv. Das Versatzgeschäft,<br />

<strong>als</strong>o die Kreditvergabe gegen Faustpfänder, spielte hingegen<br />

nur noch eine recht untergeordnete Rolle. In die gleiche Zeit<br />

fällt auch die Ausgabe von Sparbüchern, weshalb man jetzt<br />

auch Kleinstbeträge ab einer Mark annahm. Im Jahr 1909<br />

konnte der Kontokorrentverkehr aufgenommen werden. Die<br />

Gesamteinlagen betrugen 1913 exakt 8.941.904 Mark, die<br />

Ausleihungen 8.428.282 Mark.<br />

Aufgrund ihrer recht positiven Geschäftsentwicklung und<br />

dem daraus resultierenden günstigen Vermögensstand mit<br />

beträchtlichen Reserven, sie betrugen 1894 mehr <strong>als</strong> 851.000<br />

Mark, war die Ständische Leihbank in der Lage, ihren Garantieträger<br />

zu unterstützen. So konnte die Anstalt zu dieser Zeit<br />

aus ihren Eigenmitteln den für die damalige Zeit beträchtlichen<br />

Betrag vom 566.121 Mark zum Bau des Landkrankenhauses<br />

<strong>Hanau</strong> zur Verfügung stellen. 40<br />

Spareinlagen (blau) und Hypothekendarlehen (grün) der<br />

Landesleihbank 1881-1922 in Mark<br />

1881 1889 1897 1905 1913 1922<br />

118 119


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs (1914-1918) erwuchsen<br />

der Leihbank <strong>Hanau</strong> neue Herausforderungen. Die<br />

Reichsregierung hatte 1914 zur Finanzierung der hohen Rüstungskosten<br />

die Alternative, entweder die Steuern zu erhöhen<br />

oder Staatsanleihen auszugeben. Man entschied sich für die<br />

Möglichkeit der Kriegsanleihen.<br />

Die Banken und <strong>Sparkasse</strong>n und somit auch die Leihbank<br />

<strong>Hanau</strong> dienten <strong>als</strong> Zeichnungsstellen für die neun deutschen<br />

Kriegsanleihen. Die Kunden der Leihbank zeichneten<br />

während des Ersten Weltkriegs Kriegsanleihen in Höhe von<br />

2.831.900 Mark, das Institut selbst kaufte Anleihen im Wert<br />

von 6.183.300 Mark. Man hoffte, dass nach einem deutschen<br />

Sieg die Kriegsgegner für die Kosten aufkommen würden.<br />

Doch es kam anders. Die Folge war die Hyperinflation des<br />

Jahres 1923 und die nachfolgende Währungsreform. Im November<br />

1923 besaß die Leihbank nur noch ganze 65,61 Rentenmark<br />

an Spareinlagen, und die Reserven waren auf kaum<br />

mehr <strong>als</strong> 3000 Rentenmark geschrumpft. Nur besondere Härtefälle<br />

unter den Sparern konnten mit einer Entschädigung<br />

rechnen, die jedoch keinesfalls die Verluste aufwogen. Hypotheken<br />

und sonstigen Darlehen an Privatpersonen und Unternehmen<br />

wurden mit 25 Prozent, die an Kommunen mit 12,5<br />

Prozent <strong>als</strong> Altbesitz und 2,5 % <strong>als</strong> Neubesitz aufgewertet. 41<br />

In den so genannten „Goldenen zwanziger Jahren“ zwischen<br />

Inflation und Weltwirtschaftskrise (1924-1929) konnte<br />

sich die Leihbank, wohl auch mit kräftiger Hilfe des Gewährträgers,<br />

erholen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.<br />

Aber der Börsenkrach im Oktober 1929 mit den nachfolgenden<br />

Firmenzusammenbrüchen und der bald einsetzenden<br />

Massenarbeitslosigkeit wirkte sich äußerst negativ auf<br />

die Geld institute aus. Die Spareinlagen stiegen zunächst über<br />

190.991 RM im Jahr 1924 auf etwas mehr <strong>als</strong> fünf Millionen<br />

RM im Jahr 1930, um dann wieder auf 4.492.515 RM im Jahr<br />

1932 zu fallen. Die flüssigen Mittel der Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

für Hypotheken und Kredite waren Ende 1932 erschöpft. 42<br />

Veränderungen ab 1933<br />

Ab 1933 zeichnete sich weltweit eine erhebliche Verbesserung<br />

der wirtschaftlichen Situation ab. Im Deutschen Reich<br />

erhielten insbesondere die Unternehmen bald einen kräftigen<br />

Schub, die der ab 1935 vehement betriebenen Aufrüstung<br />

dienten.<br />

Mit der erst 1931 neu gewonnenen organisatorischen<br />

Selbstständigkeit der <strong>Sparkasse</strong>n <strong>als</strong> rechtlich selbstständige<br />

Anstalten des öffentlichen Rechts unter Beibehaltung der<br />

unbeschränkten Gewährträgerhaftung war es nach der Machtergreifung<br />

durch die Nation<strong>als</strong>ozialisten im Januar 1933 aber<br />

rasch wieder vorbei. Nun erfolgte die hierarchische Gliederung<br />

der <strong>Sparkasse</strong>norganisation nach dem Führerprinzip von<br />

oben nach unten und die Besetzung wichtiger Positionen mit<br />

Nation<strong>als</strong>ozialisten oder ihnen willfährigen Personen. Da die<br />

NSDAP bald nach der Machtergreifung viele Landräte, Bürgermeister<br />

und Beamte durch ihre Gefolgsleute ersetzt hatte,<br />

erhielt auch die Landesleihbank <strong>Hanau</strong> einen neuen Vorstand<br />

und teilweise anderes Personal.<br />

Im Jahr 1933 löste Landesrat Dr. Würmeling den dam<strong>als</strong><br />

fast achtzigjährigen Dr. Eugen Gebeschus <strong>als</strong> Vorstandsvorsitzenden<br />

ab, was sicherlich auch auf das Alter des ehemaligen<br />

Oberbürgermeisters zurückzuführen war. Im gleichen Jahr<br />

schieden aber ebenso die kurz zuvor gewählten Vorstandsmitglieder<br />

Landgerichtsdirektor Grau und Architekt Clormann<br />

aus. Ebenso erging es einigen Angestellten. 43<br />

Entsprechend spiegeln auch die Satzungen der deutschen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n und der Leihbanken die neuen politischen<br />

Verhältnisse wider. Sie fußten auf dem Führerprinzip des<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus, wo nunmehr ohne gebietskörperschaftliche<br />

Kontrollinstanzen entschieden wurde. 44<br />

In der Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum 1938 ließ<br />

sich der gesamte Vorstand der Landesleihbank in nation<strong>als</strong>ozialistischer<br />

Montur ablichten. Das Gremium bestand<br />

aus dem Vorstandsvorsitzenden Landesrat Dr. Schlemmer,<br />

seinem Stellvertreter Reichsbahnamtmann und Ortsgruppenleiter<br />

Voß sowie Rechtsanwalt Dr. Böhm und Direktor<br />

i.R. Rotermundt. Insgesamt zählte das Geldinstitut seinerzeit<br />

29 Beamte und Angestellte in <strong>Hanau</strong>, darunter acht<br />

Buchhalter, fünf Lehrlinge sowie drei Frauen, die allesamt<br />

<strong>als</strong> Stenotypistin arbeiteten. Dazu kamen noch fünf Mitarbeiter<br />

der Landesrenterei und noch jeweils ein Mitarbeiter<br />

in den Zweigstellten, die sich in den wichtigeren Orten<br />

der ehemaligen kurhessischen Provinz <strong>Hanau</strong>, nämlich in<br />

Gelnhausen, Großauheim, Schlüchtern und Windecken, befanden.<br />

An der Spitze des Person<strong>als</strong> der Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

standen 1938 Direktor Fritz Schmitt, sein Stellvertreter,<br />

der Kassierer, der Innenrevisor und vier Abteilungsleiter. 45<br />

9.000.000<br />

8.000.000<br />

7.000.000<br />

6.000.000<br />

5.000.000<br />

4.000.000<br />

3.000.000<br />

2.000.000<br />

1.000.000<br />

0<br />

4.948.490<br />

Spareinlagen der Landesleihbank<br />

1933-1937 in Reichsmark<br />

6.080.337 6.231.855<br />

6.605.645<br />

7.637.488<br />

1933 1934 1935 1936 1937<br />

Trotz der autoritären gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

im nation<strong>als</strong>ozialistischen Deutschland und der äußerst<br />

schwierigen Arbeitsbedingungen in den Ausweichquartieren<br />

Das schwer beschädigte Gebäude der Landesleihbank nach dem Luftangriff<br />

vom 6. Januar 1945. Am 19. März fiel auch der Rest des Komplexes und<br />

mit ihm die ganze <strong>Hanau</strong>er Innenstadt in Trümmer.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

herrschte unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong> eine ausgesprochen gute, ja fast schon<br />

familiäre Atmosphäre. 46<br />

Wohin mit der Landesleihbank?<br />

Aus den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg existiert<br />

ein umfangreicher Schriftwechsel zwischen verschiedenen<br />

kommunalen und staatlichen Behörden hinsichtlich der<br />

Zuständigkeit für die Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, die Form ihres<br />

Weiterbestehens und die Anzahl der öffentlichen Geldinstitute<br />

in und um <strong>Hanau</strong>.<br />

Begründet war das Problem der Zuständigkeit für die Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> zunächst durch den Zusammenbruch des<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus und der Forderung nach Einführung<br />

demokratischer Strukturen im <strong>Sparkasse</strong>nwesen, aber auch<br />

durch den Umstand, dass noch zu Kriegszeiten die Landkreise<br />

Gelnhausen, <strong>Hanau</strong> und Schlüchtern vom Regierungs-<br />

120 121


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

bezirk Kassel dem Regierungsbezirk Wiesbaden zugeordnet<br />

wurden, der Bezirksverband des Regierungsbezirkes Kassel<br />

in seiner ursprünglichen Form nicht mehr bestand, das Land<br />

Preußen gemäß dem Alliierten Kontrollratsbeschluss vom 25.<br />

Februar 1947 aufgelöst und das Land Großhessen am 19. September<br />

1945 neu gegründet worden war. Damit stand die Frage<br />

nach der Trägerschaft und – daraus resultierend – auch der<br />

Status eines Vorstands der Landesleihbank und seiner Legitimität<br />

lange nicht hinreichend geklärt im Raum. 47<br />

Die Schwierigkeit lag <strong>als</strong>o darin, dass der Bezirkskommunalverband<br />

des Regierungspräsidiums Kassel die Gewährträgerschaft<br />

für ein Geldinstitut hatte, dessen Geschäftsbereich<br />

nunmehr gänzlich außerhalb seines Gebiets lag. Zudem entsprach<br />

seine während der NS-Zeit veränderte Struktur mit einem<br />

Landeshauptmann an der Spitze ohne parlamentarisches<br />

oder zumindest parlamentarisch legitimiertes Kontrollorgan<br />

außerhalb rechtstaatlicher Prinzipien.<br />

Einbezogen in diese komplizierten Vorgänge um die Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> waren Repräsentanten von Stadt und<br />

Kreis <strong>Hanau</strong>, der Kasseler Landeshauptmann, Vertreter der<br />

öffentlichen <strong>Sparkasse</strong>n in <strong>Hanau</strong>, die Nassauische Landesbank<br />

sowie Beamte des Hessischen Finanzministeriums. 48<br />

Aufgrund der oben angeführten Unklarheiten konnte der<br />

erste Vorstand der Landesleihbank auch nur kommissarisch<br />

fungieren und sich noch nicht an einer neuen Satzung orientieren,<br />

denn bis zum Mai 1946 lag noch keine neue, an demokratischen<br />

Grundsätzen ausgerichtete Mustersatzung für die<br />

hessischen <strong>Sparkasse</strong>n vor. 49<br />

Der erste, vom Landeshauptmann vorgeschlagene und vom<br />

Finanzministerium am 16. April 1946 akzeptierte kommissarische<br />

Vorstand 50 bestand aus politisch unbelasteten und gut<br />

beleumundeten Personen, die „durch Beruf und Tätigkeit mit<br />

den industriellen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreises<br />

<strong>Hanau</strong> gut bekannt“ waren und gegen die seitens der Militärregierung<br />

keine Einwände vorlagen. Es handelte sich bei den Ernannten<br />

ausschließlich um <strong>Hanau</strong>er Bürger und zwar um den<br />

Rechtsanwalt Dr. Oswald Eisenberg, den Arbeitsamtsdirektor<br />

Heinrich Fischer 51 , den Steueramtmann H. Vormschlag,<br />

den Fabrikanten Georg Reitzel (später Altenmittlau) und den<br />

Polizeidirektor Karl Rehbein. 52 Vorstandsvorsitzender blieb<br />

der Landeshauptmann. Sie konnten ihr Amt <strong>als</strong> Vorstandsmitglied<br />

so lange ausüben, „bis die Rechtsgrundlagen für die<br />

satzungsmäßige Wahl“ gegeben waren. 53 Später änderte man<br />

die Zusammensetzung des Gremiums auf drei ordentliche<br />

und drei stellvertretende Vorstandsmitglieder. Dieses Verfahren<br />

wurde solange angewendet, bis eine neue Satzung in Kraft<br />

trat. Bis dahin erfolgte die Einsetzung des Vorstands durch<br />

den Landeshauptmann, den die Landesregierung <strong>als</strong> Verwaltungsorgan<br />

eingesetzt hatte. 54<br />

Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> war seit spätestens Dezember 1948 der damalige<br />

Oberregierungsrat Heinrich Fischer. Ihm kam eine besondere<br />

Rolle zu, da der in Kassel wohnhafte Landeshauptmann<br />

Häring nicht an allen Vorstandssitzungen der Landesleihbank<br />

teilnehmen konnte. 55<br />

Nicht zuletzt wegen der rechtlich unsicheren und verworrenen<br />

Situation der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> dürften bereits<br />

wenige Jahre nach Kriegsende die Gespräche über einen möglichen<br />

Zusammenschluss der öffentlichen Geldinstitute in<br />

<strong>Hanau</strong> stattgefunden haben.<br />

Im Februar 1948 gab es die ersten Beratungen. Beteiligt<br />

waren zunächst Landeshauptmann Häring, Oberbürgermeister<br />

Karl Rehbein und Landrat Wilhelm Voller sowie einige<br />

Sachverständige. Man einigte sich darauf, „dass eine zwingende<br />

Notwendigkeit zur Vereinigung der Landesleihbank mit einer<br />

der beiden <strong>Sparkasse</strong>n nicht vorliege“ und man betrachtete alle<br />

Der Windecker Marktplatz in den frühen Fünfzigerjahren, links hinter dem Volkswagen sieht man die Filiale der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

drei Kassen „<strong>als</strong> ausreichend liquide“. Jedoch wollte man „die<br />

Frage der Bildung einer Gemeinschaftsbank“ weiter prüfen. 56<br />

In einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums in Kassel<br />

an das Finanzministerium schlug man hingegen die Zusammenlegung<br />

von Stadt- und Kreissparkasse sowie die Aufteilung<br />

der Landesleihbank auf die <strong>Sparkasse</strong>n in <strong>Hanau</strong>,<br />

Gelnhausen und Schlüchtern vor, wobei dem „Bezirksverband<br />

Kassel eine angemessene Entschädigung“ geleistet werden sollte. 57<br />

Gut ein Jahr später und nach der Währungsreform traf man<br />

in großer Runde erneut zu einem Gespräch über die Zukunft<br />

der öffentlichen Geldinstitute in <strong>Hanau</strong> zusammen. Neben<br />

Landrat, Oberbürgermeister, Landeshauptmann, höheren<br />

Beamten, Vertretern von Landesleihbank, Stadt- und Kreissparkasse<br />

nahm auch Landesbankdirektor Hartmann an der<br />

Beratung teil. Er überreichte ein Gutachten der Nassauischen<br />

Landesbank, das die Bildung einer <strong>Sparkasse</strong> in <strong>Hanau</strong> ablehnt,<br />

aber den Zusammenschluss von Stadt- und Kreissparkasse<br />

favorisiert. Es plädiert aber andererseits für den Erhalt<br />

der Leihbank. Als Gründe werden die engen Verbindungen<br />

zu Kassel und die weitgehend intakte Ausstattung angeführt.<br />

Allerdings wurde dieser Vorschlag von den Vertretern der beiden<br />

<strong>Sparkasse</strong>n entschieden abgelehnt. 58<br />

Die Bilanzsumme der Landesleihbank war nach der Währungsreform<br />

„auf etwa je 3 Millionen“ zusammengeschrumpft.<br />

Einige Jahre vorher wies die Bilanzsumme der Landesleihung<br />

noch ganz andere Zahlen aus. Die Summe der Aktiva und<br />

122 123


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Passiva betrug am Jahresende 1946 jeweils exakt 43.725.454,34<br />

Reichsmark. Davon waren bei Ersteren mehr <strong>als</strong> 22,6 Millionen<br />

RM Schatzanweisungen des Reichs und der Länder und<br />

gut elf Millionen RM Guthaben bei deutschen Kreditinstituten.<br />

Das Eigenkapital der Leihbank betrug 1.439.824,91 RM.<br />

Die Höhe der Spareinlagen belief sich zum Jahresabschluss<br />

1946 auf mehr <strong>als</strong> 37 Millionen RM. 59 Dies sollte bald fast<br />

nichts mehr wert sein, ähnlich wie die alte Währung, die mit<br />

dem 21. Juni 1948 von der Deutschen Mark abgelöst wurde.<br />

Mit der Währungsreform wurde dieser Bestand radikal reduziert,<br />

sodass Ende November 1948 der Gesamteinlagenbestand<br />

der Leihbank bei knapp über zwei Millionen DM lag,<br />

während er sich bei der Stadtparkasse <strong>Hanau</strong> auf 2,74 und bei<br />

der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> auf 2,325 Millionen DM belief. 60<br />

Doch diese Summen sollten sich rasch nach oben bewegen.<br />

Im März 1949 war die Bilanzsumme der Landesleihbank noch<br />

bei etwa drei Millionen DM. 61<br />

Die Empfehlungen der Nassauischen Landesbank und ihres<br />

Direktors wurden nicht realisiert, hingegen änderte sich<br />

der Status der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Im Rahmen der 1952<br />

Betriebsausflug der Angestellten und<br />

Beamten der Landesleihbank nach<br />

Rüdesheim kurze Zeit vor der Fusion<br />

mit der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>.<br />

Privat<br />

durchgeführten Reform der öffentlichen Verwaltung in Hessen<br />

löste man den Bezirksverband des Regierungsbezirkes<br />

Kassel auf und widmete die Landesleihbank zu einer Landesanstalt<br />

um. 62 Seither stand ein Staatsminister, nämlich der bereits<br />

oben erwähnte <strong>Hanau</strong>er Heinrich Fischer, <strong>als</strong> Vorsitzender<br />

an der Spitze des Landesleihbankvorstands.<br />

Bereits zwei Jahre später nahmen die Verhandlungen über<br />

den weiteren Status der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> konkrete Formen<br />

an. Grundlage dafür bildete das Gesetz über die Neuordnung<br />

des öffentlichen Bank- und <strong>Sparkasse</strong>nwesens in Hessen<br />

vom 8. Mai 1953, Paragraf 8 Absatz 1 und Paragraf 11. Befasst<br />

damit waren außer der Landesregierung (Ministerien für Arbeit,<br />

Wirtschaft und Verkehr sowie Finanzen), Direktor Otto<br />

Stolz für die Landesleihbank, Oberbürgermeister Karl Rehbein<br />

für die Stadt <strong>Hanau</strong> und Direktor Paul Scheinemann für<br />

die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Ein wichtiger Punkt der Gespräche<br />

war, dass die „die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> von allen rechtskräftig<br />

festgestellten Rückerstattungsansprüchen freizustellen“ sei. 63<br />

Weiterhin legten die Hessische Brandversicherungsanstalt<br />

und der Vorstand der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> fest, die „bis-<br />

herige Zusammenarbeit der Leihbank mit den Landesrentereien<br />

Gelnhausen und Schlüchtern, die in der Annahme und Auszahlung<br />

von Spareinlagen, Abwicklung des Kontokorrentverkehrs<br />

und der Betreuung der Kunden besteht“, auch weiterhin fortzuführen.<br />

64 Dies wurde von Stadt und Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

akzeptiert, sodass die Zweigstellen in Gelnhausen und<br />

Schlüchtern, wie auch Großauheim und Windecken, weiterhin<br />

bestehen blieben.<br />

Gleiches beinhaltete der Vertrag, den Finanzminister Dr.<br />

Heinrich Troeger sowie Oberbürgermeister Karl Rehbein,<br />

Bürgermeister Dr. Hermann Krause und der Vorstand der<br />

Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> am 28. September und 13. Oktober<br />

1954 unterzeichneten. Zusätzliche Inhalte waren die Verpflichtung<br />

zur Übernahme einer Mustersatzung, die Erstattung<br />

von rechtskräftig anerkannten Rückerstattungsansprüchen<br />

aus dem einstigen Pfandleihgeschäft der Leihbank durch<br />

das Land, die Zusammenlegung beider Vorstände und Verwaltungsräte<br />

sowie die vorübergehende Belassung der Dependenz<br />

in der Steinheimer Straße. 65<br />

Nach der Vereinigung beider Kreditinstitute oblag die Gewährträgerschaft<br />

bei der Stadt <strong>Hanau</strong>, die Weiterführung des<br />

Namens Landesleihbank für die neue Anstalt sah ein führender<br />

Beamte des Finanzministeriums lediglich <strong>als</strong> „eine Konzession<br />

an die Landesleihbank insofern der Name nicht untergeht“. 66<br />

Die Vereinbarungen wurden am 12. Oktober 1954 unter<br />

der Bezeichnung „Entwurf einer Zweiten Verordnung zur<br />

Regelung der Rechtsverhältnisse der Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

(Vereinigung der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> mit der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>)“ vom Landeskabinett angenommen. 67<br />

Entsprechend dieser Verordnung vereinigte man am 1. Januar<br />

1955 die Landesleihbank <strong>Hanau</strong> mit der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>. Das Vermögen der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> ging im<br />

Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

über. Die Anstalt führte seitdem die Bezeichnung „Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>“. 68 Der traditionsreiche<br />

Name bestand <strong>als</strong>o fort und verschwand erst 1991 im Rahmen<br />

einer erneuten <strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong>nfusion.<br />

Die Geschichte der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> gliedert sich somit<br />

in eine 128-jährige Tätigkeit <strong>als</strong> Hessen-<strong>Hanau</strong>ische und<br />

kurhessische Staatsanstalt, eine sechsjährige <strong>als</strong> preußische<br />

Staatsanstalt, in eine 80-jährige <strong>als</strong> Anstalt des Bezirksverbands<br />

des Regierungsbezirks Kassel und in eine dreijährige <strong>als</strong><br />

Anstalt des Landes Hessen. Seit der Fusion mit der Stadtsparkasse<br />

unterstand sie seit 1955 <strong>als</strong> kommunales Geldinstitut der<br />

Aufsicht der Stadt <strong>Hanau</strong>.<br />

Anmerkungen<br />

1 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>.<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong> 1738-1938, <strong>Hanau</strong> 1938, S. 13 und<br />

19, sowie 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich<br />

historischer Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni<br />

1966, <strong>Hanau</strong> 1966, S. 33.<br />

2 www.landesarchiv–berlin.de. Auszug aus der Beständeübersicht<br />

des Landesarchivs Berlin. Vgl. auch: H. Kiesewetter, der historische<br />

Betrag der <strong>Sparkasse</strong>n zur Regionalentwicklung, in: T. Wehber<br />

(Bearb.): Wenn‘s um die Region geht ... <strong>Sparkasse</strong>, Stuttgart 2009<br />

(=<strong>Sparkasse</strong>n in der Geschichte, Abt. 1, 30), S. 52.<br />

3 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 86 / 16951 Acta der <strong>Hanau</strong>er Befehlshaber<br />

betr. Vorschlag des Landgerichts <strong>Hanau</strong>-Bücherthal zur<br />

Verbesserung des Creditwesens 1657.<br />

4 Wilhelm VIII., Landgraf von Hessen-Kassel (1682-1760), war im<br />

Anschluss an die dam<strong>als</strong> übliche Prinzenerziehung zunächst im militärischen<br />

Dienst der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen<br />

(Holland). Nach der Krönung seines älteren Bruders Friedrich zum<br />

König von Schweden (1720) und nachdem Landgraf Karl 1730 gestorben<br />

war, übernahm Wilhelm die Verwaltung der Landgrafschaft<br />

<strong>als</strong> Statthalter und Regent seines Bruders. Nach dessen Tod folgte<br />

ihm Wilhelm 1751 auch offiziell <strong>als</strong> regierender Landgraf nach. Bereits<br />

1736 hatte er die Grafschaft <strong>Hanau</strong>-Münzenberg geerbt. Im<br />

124 125


Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Von der Lehn-Banco zur Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Jahr 1754 übereignete er die Grafschaft seinem Enkel Wilhelm und<br />

bestellte dessen Mutter zur Vormünderin.<br />

5 R. Dietrich, Die Landesverfassung in dem <strong>Hanau</strong>ischen, <strong>Hanau</strong><br />

1996 (= <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 34). Wichtig hierbei ab S. 194 ff.<br />

6 W. Kurz, Von der Leihbank zur <strong>Sparkasse</strong>, in: Unser Geld. Vom römischen<br />

Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte, hrsg. von der<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4), S. 66.<br />

7 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Raum <strong>Hanau</strong>,<br />

<strong>Hanau</strong> 1963, S. 25 f.<br />

8 Hess. Staatsarchiv Marburg: 98a/589 Lombard zu <strong>Hanau</strong> 1738-1809.<br />

9 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 34 f.<br />

10 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich historischer<br />

Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni 1966, <strong>Hanau</strong><br />

1966, S. 37.<br />

11 In Paragraf IV. ist wörtlich „täglich“ zu lesen, doch sicherlich man<br />

hat den Sonntag selbstverständlich <strong>als</strong> nicht einbezogen betrachtet.<br />

12 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 34.<br />

13 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 88 / 5855 Bestallung des Leihbankassessors<br />

Isaac August Jassoy 1768-1770.<br />

14 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809 (Schreiben vom 30.5.1810).<br />

15 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 81 Reg. <strong>Hanau</strong> 83 Rubr. 40 Nr. 5.<br />

16 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

17 Der Begriff Lombardkredit leitet sich von der oberitalienischen Region<br />

Lombardei ab, in der bereits im Mittelalter Geld gegen Überlassung<br />

von Pfändern verliehen wurde. Erste Nachweise finden sich<br />

bereits um das Jahr 1500, <strong>als</strong> Kaufleute Kredite an Feudalherren<br />

und Adelige gegen Pfandüberlassung vergaben und somit zum Aufstieg<br />

norditalienischer Handelshäuser beitrugen.<br />

18 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

19 H.-H. Brandt, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, S. 46 f.<br />

20 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 86 / 18013 Untersuchung gegen<br />

den Lombardskassierer Isaac van den Velden zu <strong>Hanau</strong> wegen Veruntreuung<br />

und betrügerischen Bankrotts und 260 / 1605 Untersuchung<br />

gegen den Lombards-Pedellen Johann Philipp Geisensohn zu<br />

Neu-<strong>Hanau</strong> wegen der beim dortigen Lombard-Pfänderwesen begangenen<br />

Fälschungen und sonstigen Veruntreuungen 1789-1792.<br />

21 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 86 / 18013 Kopie eines Dekrets<br />

des Fürstlichen Hofgerichts vom 5.10.1762.<br />

22 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

23 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 96 / 18033 Acta fiscalia. Die<br />

von Seiten der Kaiserl. Französischen Authoritäten zu <strong>Hanau</strong> geschehene<br />

Annullirung mehrerer Lombardsobligationen und die<br />

Überweisung einer desf<strong>als</strong>igen Summe von 31.511 Francs 70 Cents<br />

zur Zahlung des Rests der dem hiesigen Fürstenthum auferlegten<br />

Kriegscontributionen betr. 1807/1808.<br />

24 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

25 Unter einem Klafter ist die Länge der ausgestreckten Arme eines erwachsenen<br />

Mannes zu verstehen. Davon leitete man das Raummaß<br />

für Scheitholz ab. Ein Klafter entsprach einem Holzstapel mit einer<br />

Länge und Höhe von je einem Klafter, die Tiefe dieses Stapels entsprach<br />

der Länge der Holzscheite.<br />

26 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

27 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 47 ff.<br />

28 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 20.<br />

29 Vgl. zur Geschichte dieser <strong>Sparkasse</strong> den Beitrag von W. Kurz in<br />

diesem Band.<br />

30 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 98a / 589 Lombard zu <strong>Hanau</strong><br />

1738-1809.<br />

31 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 21.<br />

32 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 16 / 10128 <strong>Sparkasse</strong> zu <strong>Hanau</strong><br />

1830-1859. Dort sind die Stellungnahmen der beiden Parteien und<br />

der Bescheid des Ministeriums enthalten.<br />

33 Gemeint war hier vermutlich das Edikt vom 29. Juni 1821 § 88<br />

Abs. 4, und nur der Zweck der Anlage kleinster Geldmengen konnte<br />

ihnen die Vorrechte verschaffen, welche ihnen die Paragraphen<br />

15, 17 und 19 des Landeskreditkassen-Gesetzes vom 25. Juni 1832<br />

zusicherten.<br />

34 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 16 / 10128 <strong>Sparkasse</strong> zu <strong>Hanau</strong><br />

1830-1859. Siehe auch: H. Strube, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens<br />

und der <strong>Sparkasse</strong>n in Kurhessen, Stuttgart 1973, S. 48.<br />

35 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 37.<br />

36 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 23 und 27.<br />

37 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 30.<br />

38 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 23.<br />

39 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 23.<br />

40 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 22 f.<br />

41 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 24 f.<br />

42 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 28 und 56.<br />

43 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S. 47 ff.<br />

44 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Hessisches Ministerium<br />

für Wirtschaft und Verkehr 507-5499 Landesleihbanken Fulda und<br />

<strong>Hanau</strong> sowie Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> 1935-1964 Aktenvermerk vom<br />

23.8.1947.<br />

45 Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>,<br />

S.S. 43 ff.<br />

46 Siehe dazu den Zeitzeugenbericht von Wilhelm Lösche „Kälte legte<br />

Buchungsmaschinen lahm “ in diesem Band.<br />

47 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

24.5.1949. Hierin werden die „Aufsichtsverhältnisse“ für die Landesleihbanken<br />

in Fulda und <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> „hoffnungslos verworren“<br />

bezeichnet.<br />

48 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Hessisches Ministerium<br />

für Wirtschaft und Verkehr 507-5499 Landesleihbanken Fulda und<br />

<strong>Hanau</strong> sowie Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> 1935-1964.<br />

49 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

13.5.1946.<br />

50 Der Vorstand konnte nur kommissarisch agieren, da das entsprechende<br />

Wahlgremium, der Provinzialausschuss für Kurhessen,<br />

durch die Nation<strong>als</strong>ozialisten aufgelöst und aufgrund der neuen<br />

territorialen Verhältnisse nicht wiederbelebt worden war. Vgl. Hessisches<br />

Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

24.5.1949.<br />

51 Heinrich Fischer (1895–1973) war gelernter Werkzeugmacher und<br />

später hauptamtlich in der Gewerkschaftsbewegung tätig. Während<br />

des Nation<strong>als</strong>ozialismus wurde der Sozialdemokrat mehrfach inhaftiert.<br />

Nach Kriegsende leitete er von 1945 bis 1949 das Arbeitsamt<br />

<strong>Hanau</strong>. Danach erfolgte seine Berufung zum Ministerialrat und<br />

Leiter der Abteilung „Arbeit“ im Hessischen Ministerium für Arbeit,<br />

Landwirtschaft und Wirtschaft. Unter Ministerpräsident Georg<br />

August Zinn war er von 1951 bis 1954 <strong>als</strong> Minister für diesen<br />

Bereich tätig und von 1956 bis 1962 amtierte er <strong>als</strong> Oberbürgermeister<br />

von <strong>Hanau</strong>. Heinrich Fischer ist Namensgeber für das 1951<br />

gebaute Dorfgemeinschaftshaus in <strong>Hanau</strong>-Mittelbuchen und das<br />

1959 eröffnete <strong>Hanau</strong>er Stadtbad.<br />

52 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

24.11.1945 und 16.4.1946.<br />

53 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

5.8.1946 und 29.8.1946.<br />

54 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

24.5.1949.<br />

55 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

9.12.1948. Neben den ordentlichen Vorstandsmitgliedern Fischer,<br />

Reitzel und Eisenberg amtierten <strong>als</strong> stellvertretende Landwirt Albert<br />

Hauser, Landgerichtsdirektor Edgar Hoffman und Schlosserobermeister<br />

Stückler, alle aus <strong>Hanau</strong>.<br />

56 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

26.2.1948.<br />

57 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

9.3.1948.<br />

58 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Protokoll vom<br />

14.3.1949.<br />

59 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Jahresabschluß<br />

von Ende 1946.<br />

60 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Einlagenentwicklung<br />

bei den <strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong>n vom 21.6.-30.11.1948.<br />

61 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Protokoll vom<br />

14.3.1949.<br />

62 W. Kurz, Von der Leihbank zur <strong>Sparkasse</strong>, in: Unser Geld, (stadtzeit<br />

4), S. 67.<br />

63 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5498 Kabinettsvorlage<br />

vom 9.9.1954<br />

64 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Vertrag vom<br />

3.3.1954.<br />

65 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499.<br />

66 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

13.9.1954.<br />

67 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Beschlußprotokoll<br />

der Hessischen Landesregierung vom 12.10.1954.<br />

68 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1955, S. 7.<br />

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Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Werner Kurz<br />

Die Gründung einer <strong>Sparkasse</strong> durch die Niederländisch-reformierte<br />

Gemeinde in <strong>Hanau</strong> im Jahr 1819 steht in<br />

unmittelbarem Zusammenhang mit der sozialen und wirtschaftlichen<br />

Lage in <strong>Hanau</strong> nach dem Ende der napoleonischen<br />

Herrschaft im Jahr 1813. Die Schlacht vor den Toren<br />

<strong>Hanau</strong>s am 30. und 31. Oktober beendete die Ära Napoleons<br />

in Hessen und bereits am 29. November zog der 1806 vertriebene<br />

und aus dem Exil zurückgekehrte Kurfürst WilhelmI.<br />

(1743–1821) unter dem Jubel der Bevölkerung in <strong>Hanau</strong> ein.<br />

Man hatte eigens einen Triumphbogen mit der Inschrift<br />

„Willkommen Vater des Vaterlandes“ errichtet. Beflügelt wurde<br />

die Stimmung durch patriotische Ansprachen, unter anderem<br />

des Schulmeisters Johannes Schulz von der Hohen Landesschule.<br />

Das Vaterland der <strong>Hanau</strong>er, das soeben von seiner<br />

französischen Besatzung befreite Kurfürstentum Hessen, hatte<br />

Wilhelm I. allerdings gegen den erklärten Willen der antinapoleonischen<br />

Verbündeten in Besitz genommen. Im Prager<br />

Exil hatte er seine Rückkehr bereits genau geplant, die Rückkehr<br />

in ein wirtschaftlich darniederliegendes, in den Kriegen<br />

Die Wallonisch-Niederländische Kirche um 1910. Die Niederländische Gemeinde zu <strong>Hanau</strong> garantierte 1819 für die erste <strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong>.<br />

Napoleons buchstäblich ausgeblutetes Land. Gleichwohl mutete<br />

er Kurhessen, das Jahre stärkster Bedrückung durch Einquartierungen,<br />

Kriegskontributionen und Sondersteuern zu<br />

ertragen hatte, dessen Wirtschaft durch Arbeitskräftemangel<br />

wegen der zahlreichen, beim Militär dienenden oder in den<br />

Kriegen gefallenen Männer litt, neue Lasten zu.<br />

Am 12. Dezember 1813 appellierte der Kurfürst an seine<br />

Untertanen, sich „... zu sammeln und durch standhaften Muth<br />

zu zeigen, daß ihr Teutsche, daß ihr Hessen, Eurer Vorfahren<br />

würdig, seyd!“ Er sprach die Erwartung aus, dass sie daran<br />

mitwirken würden, „... die fremdartigen Einrichtungen zu vertilgen<br />

und die alte vaterländische Verfassung wiederherzustellen“.<br />

Es war dies freilich nur das propagandistische Vorspiel<br />

für ein neues, dem Land aufgebürdetes Kriegsunternehmen.<br />

Den Verbündeten hatte er quasi <strong>als</strong> Kompensation für seine<br />

vorschnelle Rückkehr <strong>als</strong> Regent versprochen, eine Armee<br />

von 24.000 Mann zu rekrutieren und auszurüsten. So mussten<br />

denn auch die <strong>Hanau</strong>er Patrioten erkennen, dass mit der<br />

Rückkehr ihres Kurfürsten das Elend der letzten Jahre mitnichten<br />

zu Ende war. Überdies dachte der Kurfürst nicht daran,<br />

die liberalen Freiheiten der französischen Jahre weiter zu<br />

dulden. Auch die Staats- und Verwaltungsstrukturen wurden<br />

bereits mit dem Dekret vom 4. Dezember 1813 wieder auf den<br />

Stand von 1806 gebracht. Alle Verfügungen aus der napoleonischen<br />

Zeit wurden für hinfällig erklärt. Die Zusammenlegung<br />

der beiden Städte Alt- und Neu-<strong>Hanau</strong>, die Freiheiten<br />

für Juden und Katholiken in der Stadt sowie die Dalbergschen<br />

Reformen des Schulwesens und der Justiz für ungültig erklärt.<br />

Dies hatte auch wirtschaftliche Folgen, ganz abgesehen davon,<br />

dass die Finanzierung der Armee ganz zulasten der Bürger<br />

ging. Eine allgemeine Verarmung setzte ein, nicht zuletzt<br />

auch deshalb, weil die Gehälter gekürzt wurden. Staatsbeamte<br />

und Lehrer verließen deswegen ihre Dienststellen und von<br />

der Hohen Landesschule wird berichtet, dass dort aus Mangel<br />

an Lehrkräften im Jahr 1815 die Tertia geschlossen werden<br />

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Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Napoleons Kriege bedeuteten für <strong>Hanau</strong> nicht nur, dass die Festungswälle<br />

geschleift wurden wie hier am Nürnberger Tor, sondern auch allgemeine<br />

Verarmung der Bevölkerung. <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

Die mehr <strong>als</strong> drückende wirtschaftliche Situation herrschte<br />

indes nicht nur in Hessen, sondern nahezu überall in Deutschland.<br />

Scharen von Entwurzelten und Kriegskrüppeln zogen<br />

durch das Land. Landstreicherei, Bettelei und öffentliche Armut<br />

waren überall zu beobachten. Missernten, besonders die<br />

des Jahres 1816, führten zu erheblicher Teuerung: Kostete ein<br />

sechspfündiges Roggenbrot vor dem Krieg (um 1806) noch 13<br />

Kreuzer, waren es Anfang 1817 bereits 32, am 1. Juli 1817 bereits<br />

48 Kreuzer. Und das Ein-Kreuzer-Milchbrot, das einst 6<br />

Lot gewogen hatte (92 Gramm), brachte jetzt nur noch 1 ½<br />

Lot (23 Gramm) auf die Waage.<br />

Die Not in <strong>Hanau</strong> war so groß, dass der Neustädter Bäckermeister<br />

Stremmel ein Kartoffelbrot erfand, welches nur<br />

noch zu drei Teilen aus Mehl, und zu zwei Teilen aus Kartoffeln<br />

bestand und das er im Dezember 1816 für 17 Kreuzer<br />

verkaufte.<br />

Im Frühjahr 1817 wurde in <strong>Hanau</strong> eine öffentliche Armenspeisung<br />

eingerichtet, die rund 500 mittellose Einwohner der<br />

Stadt täglich zweimal mit einer Suppe verköstigte. Zusammen<br />

mit einer knapp bemessenen Ration Brot musste dafür<br />

ein Kreuzer bezahlt werden. Von Mai bis Juli waren dafür von<br />

den Kirchengemeinden und Spendern aus der Bürgerschaft<br />

6.559 Gulden aufgebracht worden. Unerwartet großzügig hatte<br />

sich auch der Kurfürst mit 600 Gulden beteiligt und für die<br />

folgenden Jahre jeweils 500 Gulden zur Verfügung gestellt.<br />

Der <strong>Hanau</strong>er Frauenverein hatte 1816 rund 2.670 Gulden aufgebracht,<br />

um 103 notleidenden Kindern das Schulgeld zu bezahlen<br />

und sie zu verköstigen.<br />

Dieses soziale Elend war eine unmittelbare Folge der wirtschaftlichen<br />

Lage. Die Verarmung selbst von Beamten und<br />

Offizieren verhinderte wirtschaftliche Impulse durch privaten<br />

Konsum, die Wirtschaft wiederum hatte Strukturprobleme.<br />

Das Edelmetallgewerbe fand nur zögerlich wieder Abmusste.<br />

Auch der hessisch-patriotische Schulmeister Johannes<br />

Schulz verließ im März 1816 <strong>Hanau</strong> und trat in preußische<br />

Dienste.<br />

Ein weiteres Beispiel für die Willkür, mit der Wilhelm<br />

in seinem zurückerworbenen Land regierte, zeigt sich am<br />

Schicksal Carl Caesar Leonhards (1779–1862), dem Mitgründer<br />

der „Wetterauischen Gesellschaft“ und Autor der „Geschichtlichen<br />

Darstellung der Schlacht bei <strong>Hanau</strong>“. Er war<br />

1804 Assessor an der kurfürstlichen Landeskreditkasse gewesen<br />

und hatte es im Großherzogtum Frankfurt unter Dalberg<br />

zum Geheimrat und Domäneninspektor gebracht. 1811 kam<br />

der durch und durch monarchistisch gesinnte Leonhard mit<br />

seiner Absicht, mehrere 100.000 Franken <strong>als</strong> Apanagen für<br />

die hessischen Prinzen zu reklamieren, mit Dalberg in Konflikt.<br />

Nach der Rückkehr nach <strong>Hanau</strong> sprach ihm Kurfürst<br />

Wilhelm I. zwar sein allerhöchstes Lob dafür aus, wenig später<br />

wollte er ihn dann aber allenfalls wieder <strong>als</strong> Assessor in seine<br />

Dienste übernehmen.<br />

Ganz im Gegensatz zur wirtschaftlichen Lage des Fürstentums<br />

und der Stadt <strong>Hanau</strong> war die Privatschatulle des<br />

Kurfürsten wohlgefüllt. Aus dem Exil heraus hatte er mit beachtlichen<br />

Summen die Alliierten unterstützt, wenn er schon<br />

nicht selbst <strong>als</strong> Souverän aktiv werden konnte. Auch sind von<br />

ihm zahlreiche nicht unerhebliche Geldgeschäfte mit den verschiedensten<br />

deutschen Fürstenhäusern belegt. Eines von ihnen,<br />

bei denen es insgesamt um immerhin 1.200.000 Taler<br />

ging, brachte der nachmalige Oberbürgermeister von <strong>Hanau</strong>,<br />

Bernhard Eberhard (1795–1860), <strong>als</strong> junger Anwalt im Jahre<br />

1827 (!) zu einem für Kurhessen erfolgreichen Ende. Für seine<br />

Finanzangelegenheiten nutzte der Kurfürst die Ergebenheit<br />

seines Vertrauten und Günstlings Carl Buderus (1759–1819).<br />

Der Sohn eines Büdinger Lakaien hatte durch sein Finanzgenie<br />

die Gunst Wilhelms gewonnen und war auch nach der<br />

Flucht des Landesvaters ins Prager Exil für diesen in <strong>Hanau</strong><br />

tätig.<br />

Vor allem aber war er darum bemüht, dessen hiesiges Vermögen<br />

trickreich dem Zugriff der Franzosen zu entziehen.<br />

Er knüpfte Verbindung zwischen dem Kurfürsten und dem<br />

Frankfurter Bankier Meyer Amschel Rothschild und brachte<br />

es dabei selbst zu beachtlichem Reichtum. Seit 1807 war er<br />

offiziell der geheime Vermögensverwalter des Kurfürsten, was<br />

offenbar so profitabel war, dass er schon 1809 <strong>als</strong> stiller Teilhaber<br />

beim Bankhaus Rothschild aufgenommen wurde.<br />

Sofort nach seiner Rückkehr aus dem Exil ernannte ihn der<br />

dankbare Kurfürst zum Geheimen Kriegsrat und adelte ihn<br />

zum 1. Januar 1814. Zugleich begann Buderus mit der Finanzplanung<br />

für Wilhelms 24.000-Mann-Armee, freilich ohne die<br />

Privatschatulle des Kurfürsten in Anspruch zu nehmen. So<br />

wurden die Gehälter der Staatsdiener drastisch herabgesetzt,<br />

die Stempeltaxe erhöht und die Anstellungsurkunden der<br />

Staatsbeamten und Offiziere nur gegen erhebliche Gebühren-<br />

zahlungen erneuert. Steuerliche Rückstände aus den Jahren<br />

1809 bis 1813 wurden, wie selbst Wilhelm Grimm im Rheinischen<br />

Merkur schrieb, „... mit größter Strenge und unter militärischen<br />

Exekutionen eingetrieben“. Anlässlich der Rückkehr des<br />

Kurfürsten hatte er noch die Worte gefunden: „Mir schien in<br />

diesem Augenblicke, <strong>als</strong> könne keine Hoffnung auf die Zukunft<br />

unerfüllt bleiben.“<br />

Nicht nur für Wilhelm Grimm war die Enttäuschung<br />

groß. Nach dem vaterländischen Rausch vom Jahresende 1813<br />

herrschte Katerstimmung. Als Sündenbock herhalten musste<br />

der kurfürstliche „Finanzminister“, Carl Buderus, inzwischen<br />

geadelter „Herr von Carlshausen“, nach seinem Gut in Altenhaßlau.<br />

Auf öffentlichen Druck hin, nach Schmähschriften,<br />

gar Steinwürfen auf seine Kutsche und in seine Fenster versetzte<br />

ihn der Kurfürst <strong>als</strong> Präsidenten der Rentkammer nach<br />

<strong>Hanau</strong>.<br />

Dennoch nahm die Verarmung der Bevölkerung im Kurfürstentum<br />

weiter zu. „Die Franzosenzeiten waren schlimm“,<br />

klagten Bauern von der Diemel in einer Eingabe an die Kasseler<br />

Landstände, „aber die jetzigen sind, wenn man alles Gegebene<br />

zusammenrechnet, noch schlimmer.“ Nicht einmal mehr die<br />

Offiziere sahen sich imstande, mit dem ihnen bezahlten Sold<br />

ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Waren sie 1813 schon auf<br />

ihren Rang von 1806 zurückversetzt worden, so blieb ihnen<br />

eine Solderhöhung <strong>als</strong> Ausgleich für die Teuerung versagt. So<br />

erhielt ein Secondelieutenant in <strong>Hanau</strong> 25 Gulden monatlich,<br />

ein Premierlieutenant bezog 32 Gulden 40 Kreuzer.<br />

Dam<strong>als</strong> betrugen die Lebenshaltungskosten in <strong>Hanau</strong> indes<br />

schon mehr <strong>als</strong> 33 Gulden im Monat. Als der Landtag eine<br />

Petition der Offiziere annahm, löste ihn der Kurfürst am 10.<br />

Mai 1816 kurzerhand auf und drohte den Offizieren mit dem<br />

Kriegsgericht. Dies war <strong>als</strong>o die gute alte Zeit, deren Rückkehr<br />

der Kurfürst 1813 versprochen hatte.<br />

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Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

nehmer, 1817 gab es in <strong>Hanau</strong> ausweislich der Gewerbetabelle<br />

nur zehn Bijouteriewarenbetriebe und zwei Silberwarenfabriken<br />

mit gerade einmal 200 Arbeitern. Die Textilindustrie<br />

musste sich billiger Importe erwehren, die Europa nach Aufhebung<br />

der Kontinent<strong>als</strong>perre und dem Wegfall der französischen<br />

Außenzölle seit 1815 von England und Frankreich her<br />

überschwemmten. Diese Waren waren zudem preiswerter, da<br />

sie schon auf den mechanischen Spinnmaschinen und Webstühlen<br />

hergestellt wurden: ein für die vielen Leineweber im<br />

<strong>Hanau</strong>er Land, vor allem in der Obergrafschaft, unüberwindlicher<br />

Wettbewerbsnachteil.<br />

Ein weiteres Hindernis für eine rasche Erholung der hanauischen<br />

Wirtschaft war die kurhessische Zollpolitik. Letztlich<br />

sind hier bereits die Ursachen für die Unruhen des Jahres 1830<br />

zu suchen, die den <strong>Hanau</strong>ern den Ruf der „Krawaller“ einbrachten.<br />

Im Sommer des Jahres 1810 erwartete die Niederländische<br />

Gemeinde zu Neu-<strong>Hanau</strong> ihren neuen Pfarrer. Hebelius<br />

Potter (1768–1824) war sein Name. Er kam aus Amsterdam<br />

und verfasste, kaum in <strong>Hanau</strong> angekommen, eine umfassende<br />

Beschreibung der Stadt und der hiesigen Lebensumstände.<br />

Er wundert sich über die niedrige Miete für eine Wohnung<br />

am Neustädter Marktplatz und liefert auch die Begründung:<br />

„Nahrung und Hantierung (Handel) stehen hier still. Die Fabriken<br />

gehen zurück. Die Wohlfahrt nimmt Tag um Tag ab und<br />

die Armut wird größer, während die unaufhörlichen Durchzüge<br />

und Einquartierungen fremder Truppen die Teuerung von allen<br />

Lebensmitteln hochgradig werden lässt.“ Selbst in den imposanten<br />

Häusern rund um den Neustädter Markt sieht Potter „viel<br />

Armut und Verfall“, bemerkt aber und schreibt: „Das freundliche<br />

Entgegenkommen, das ich überall empfand, war mir ein<br />

angenehmer Ersatz für das andere unangenehme Gefühl, welches<br />

mich beim Umhergehen peinigte.“<br />

An dieser Situation, die Potter 1810 beobachtete, hatte<br />

sich auch ein knappes Jahrzehnt später nur wenig geändert,<br />

<strong>als</strong> Potter 1818 die Stadt verließ und auf eine Pfarrstelle nach<br />

Niederländisch-Indien ging, wo er 1824 starb. Im Jahr nach<br />

seinem Weggang aus <strong>Hanau</strong> gründete die Niederländische<br />

Gemeinde ihre <strong>Sparkasse</strong>. Es gibt <strong>als</strong>o Grund für die Vermutung,<br />

dass Pfarrer Hebelius Potter, dieser aufmerksame Chronist<br />

der sozialen Lage in <strong>Hanau</strong>, den Anstoß dazu gegeben<br />

hat. Es war angesichts der Zeitumstände ein Gebot der Stunde,<br />

institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, die es auch<br />

dem kleinen Mann ermöglichten, mit geringen Mitteln für<br />

Notzeiten vorzusorgen.<br />

Von der Obrigkeit her gesehen galt es, die überaus schwierige<br />

Situation von Staat und Wirtschaft in Hessen Ende der<br />

1810er-, Anfang der 1820er-Jahre, die sich zunehmend auch in<br />

politischen Konflikten entlud, zu entschärfen. So setzte Kurfürst<br />

Wilhelm II. – sein Vater Wilhelm I. war im Februar 1821<br />

gestorben – auf eine grundlegende Neuorganisation von Staat<br />

und Verwaltung. Gegenüber seinem reaktionären Vater galt<br />

Wilhelm II. zwar <strong>als</strong> konservativ, zunächst aber doch auch<br />

<strong>als</strong> Neuerungen gegenüber aufgeschlossen. Das „Kurhessische<br />

Organisationsedikt“ sollte hierfür die Grundlagen schaffen,<br />

mit der Ausarbeitung wurde der Ministerialrat Kraft beauftragt.<br />

Der ging nunmehr daran, Kurhessen nach preußischem<br />

Muster regional zu gliedern. Oberste Regierungsstelle wurde<br />

das Staatsministerium mit den vier Departements Justiz, Inneres,<br />

Finanzen und Auswärtige Angelegenheiten. Dem Innenministerium<br />

waren vier Provinzialregierungen <strong>als</strong> Mittelinstanzen<br />

nachgeordnet. Es waren dies die Regierungen<br />

in Kassel, Marburg, Fulda und <strong>Hanau</strong>. Ihnen unterstanden<br />

die Kreisräte an der Spitze der regionalen Verwaltungen, der<br />

Landkreise. Mit dem Organisationsedikt vom 29. Juni 1821<br />

wurde auch die Trennung von Justiz und Verwaltung auf der<br />

Ebene der Ämter vollzogen. Die Verwaltung war nunmehr<br />

Sache der Landkreise, die Justiz verblieb bei den jeweiligen<br />

Amtsgerichten.<br />

Die kurhessische Verwaltungsreform vollzog sich vor dem<br />

Hintergrund einer noch immer vom Krieg gezeichneten Wirtschaft.<br />

Die beiden künstlichen Territorien der Napoleonzeit<br />

auf hessischem Boden, das Großherzogtum Frankfurt und<br />

das Königreich Westfalen, hatten nie <strong>als</strong> Staaten eigenständig<br />

agieren können. Weder im Staat noch in der Wirtschaft<br />

wurden bis 1813 Strukturen geschaffen, die wirtschaftliche<br />

Entwicklung ermöglicht hätten. Vielmehr waren diese Staatsgebilde<br />

von Napoleons Gnaden Lieferanten für Soldaten und<br />

Objekte finanzieller Ausbeutung. In Stadt und Land verarmten<br />

nicht nur die unteren Schichten, immer mehr Bürger ohne<br />

eigenen Grundbesitz waren auf die öffentliche, meist von privaten<br />

Wohltätern getragene Armenfürsorge angewiesen. Noch<br />

war man weit entfernt von einer staatlichen Fürsorge, schrieb<br />

doch der Bürgermeister der kurfürstlichen Residenzstadt Kassel,<br />

Carl Schomburg (1791–1841), 1819 an den Landesherrn:<br />

„Man will bemerkt haben, daß die Armen in dem Maße sich<br />

häufen, <strong>als</strong> die Armenversorgungsanstalten eines Ortes umfassender<br />

und freigiebiger sind. Dem sei, wie es wolle. Es bedarf einer<br />

solchen Bemerkung nicht erst, um zu beweisen, daß wichtiger<br />

und besser noch <strong>als</strong> Armenanstalten solche sind, welche dazu dienen,<br />

Armut zu verhüten oder zu vermindern.“<br />

Doch die Forderungen nach der Einrichtung von solchen<br />

staatlichen oder staatlich geförderten Einrichtungen wurden<br />

immer lauter. So ist auch die Aufnahme der Ersparniskassen<br />

in das Organisationsedikt in engem Zusammenhang mit der<br />

wirtschaftlichen Lage zu sehen. Indem dieses im § 88 Ziffer<br />

4 bestimmt, dass „… in Ansehung der Armen-Polizei auch die<br />

Leihanstalten, Kranken- und Begräbniskassen, <strong>Sparkasse</strong>n und<br />

andere teils zur Verhütung der Armut, teils zur Unterstützung<br />

Abtragung der Befestigung 1806.<br />

<strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844 e.V.<br />

in Fällen des Bedürfnisses bestimmte Einrichtungen nach geprüften<br />

Grundsätzen (zu) begünstigen (seien)“. Die Errichtung von<br />

Sparkas sen war damit quasi zum Staatsziel erklärt worden.<br />

Die Vorstellungen darüber jedoch, wie eine solche Ersparniskasse<br />

organisiert werden, wie sie verwaltet werden und wer<br />

für die Geschäfte garantieren sollte, waren recht vage. Im Organisationsedikt<br />

waren dazu noch keine konkreten Vorgaben<br />

zu finden. Zwar gab es andernorts bereits <strong>Sparkasse</strong>n, die diesem<br />

Begriff durchaus gerecht wurden, so die erste deutsche<br />

<strong>Sparkasse</strong> unter kommunaler Trägerschaft, die 1801 von Bürgermeister<br />

und Rat der Stadt Göttingen gegründete Spar- und<br />

Leihkasse, die heutige Göttinger Stadtsparkasse. Sie begründete<br />

modellhaft den Charakter der deutschen <strong>Sparkasse</strong>, indem<br />

sie sich von allen oben beschriebenen Vorläufern durch<br />

satzungsmäßige Vorgaben dergestalt unterschied, <strong>als</strong> man in<br />

der Abteilung „<strong>Sparkasse</strong>“ Einlagen von „Domestiken und Professionisten“<br />

entgegennahm, in der Abteilung Leihkasse aber<br />

Kredite „an einen Jeden ohne Ausnahme“ vergab.<br />

Für die kurhessische Regierung in Kassel war es jedoch zunächst<br />

nicht die Existenz von <strong>Sparkasse</strong>n in anderen Ländern<br />

132 133


Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

des Reiches, bei denen man Anregung und Vorbild suchte.<br />

Man hatte bereits eine solche erfolgreich arbeitende Einrichtung<br />

im eigenen Lande. Es war eben jene 1819 gegründete<br />

„<strong>Sparkasse</strong> der niederländischen Diakonie in Neu-<strong>Hanau</strong>“,<br />

deren Satzung das Niederländische Große Consistorium mit<br />

Beschluss vom 2. August dieses Jahres genehmigte. Nach dieser<br />

Satzung ernannte die kirchliche Behörde (das Consistorium)<br />

zwei Personen <strong>als</strong> Verwalter der <strong>Sparkasse</strong>, die sich vor allem<br />

an Fabrikarbeiter und Dienstboten wandte und ihnen die<br />

Möglichkeit bot, ihre Ersparnisse gegen Zins anzulegen. Allerdings<br />

stand sie auch „sonstigen Personen“ offen. Man dachte<br />

dabei wohl an die Einlagenseite, vor allem an die Verwahrung<br />

von Mündelgeldern, <strong>als</strong>o von Finanzmitteln, welche Vormünder<br />

für ihre Mündel verwalten. Diese konnten gegen Scheine<br />

und Obligationen entgegengenommen werden, wobei eine<br />

Mindesteinlage von fünf Gulden vorgesehen war. Verzinst<br />

wurden diese Guthaben mit fünf Prozent, wenn sie ein volles<br />

Jahr auf dem Konto lagen. Für kürzere Zeiträume zahlte die<br />

<strong>Sparkasse</strong> keine Zinsen. Für größere Summen standen Obligationen<br />

im Nennwert von 25, 50 und 100 Gulden zur Verfügung.<br />

Diese brachten zwar nur zwei Prozent Zinsen, jedoch<br />

erfolgte die Zinsgutschrift schon nach sechs Monaten. „Aufkommende<br />

Gelder“, <strong>als</strong>o angelegtes Kapital, wurden wiederum<br />

durch das Consistorium in Neu-<strong>Hanau</strong> platziert, sprich: <strong>als</strong><br />

Kredit ausgeliehen.<br />

Da in der Niederländischen Gemeinde viele Manufakturisten,<br />

Bijoutiers, Kaufleute und andere wohlhabende Bürger<br />

Mitglied waren, hatte das <strong>Sparkasse</strong>ngeschäft offenbar von<br />

Anfang an auch eine ordentliche Basis. Als erste <strong>Sparkasse</strong>nverwalter<br />

wurden vom Consistorium der Fabrikant Heinrich<br />

Christian Wagner und der Registrator Christoph Joachim<br />

Dörr bestellt. Kassenstunden waren „jeden Mittwochen und jeden<br />

Samstag, Nachmittags von 1–2 Uhr“.<br />

Die Aktenlage über die ersten Jahre der <strong>Sparkasse</strong> ist dürftig.<br />

Allerdings gibt es eine ausführliche Erwähnung in einem<br />

Bericht des <strong>Hanau</strong>er Oberpolizeidirektors Ludwig von Manger<br />

(1770–1847) an die Regierung in Kassel aus dem November<br />

1821. Mit diesem wurde in der Residenzstadt das Interesse<br />

für die <strong>Hanau</strong>er Einrichtung geweckt. Herr von Manger, ein<br />

von seinen Zeitgenossen ebenso gefürchteter wie am kurfürstlichen<br />

Hof einflussreicher Mann, verstand es, das Interesse<br />

des Kurfürsten Wilhelm II. höchstselbst auf die <strong>Hanau</strong>er Einrichtung<br />

zu lenken. Der Hinweis auf das „wohlthätige Wirken“<br />

der <strong>Hanau</strong>er Diakonie-<strong>Sparkasse</strong> bewog denn wohl auch den<br />

Landesherren, seinerseits die Gründung einer <strong>Sparkasse</strong> nach<br />

dem <strong>Hanau</strong>er Vorbild in seiner Residenzstadt Kassel zu forcieren.<br />

Die Ausarbeitung entsprechender Vorschläge wurde dem<br />

schon erwähnten Bürgermeister Schomburg aufgetragen, der<br />

mit Unterstützung von Mangers und unter Hinzuziehung der<br />

<strong>Hanau</strong>er Statuten sowie der <strong>Sparkasse</strong>nsatzungen der Städte<br />

Nürnberg und Eisenach eine Denkschrift verfasste. Der erfahrene<br />

Verwaltungsmann Schomburg vergaß dabei nicht, dem<br />

Gedanken der Selbstverwaltung gebührenden Rang einzuräumen.<br />

Was zunächst lediglich die Einrichtung einer <strong>Sparkasse</strong><br />

in Kassel befördern sollte, erwies sich bald <strong>als</strong> von solchem<br />

Gewicht für die kurhessische <strong>Sparkasse</strong>npolitik, dass die entsprechende<br />

Akte später zu einer „Generalakte, das <strong>Sparkasse</strong>nwesen<br />

betreffend“ erhoben wurde. Ihr Inhalt war Grundlage<br />

für den <strong>Sparkasse</strong>n-Erlass des kurhes sischen Innenministeriums<br />

vom 8. Dezember 1824.<br />

Dieser Erlass forderte die Regierungen der vier kurhessischen<br />

Provinzen auf, „... baldtunlichst Vorschläge zur Errichtung<br />

von <strong>Sparkasse</strong>n mit Rücksicht auf gleiche schon hin und<br />

wieder im Auslande bestehende Anstalten“ einzureichen. Dies<br />

führte denn auch in den folgenden Jahren zu mehreren Gründungen,<br />

so in Rinteln, Kassel und Fulda. Dort hatte man be-<br />

reits im Jahr 1824 Pläne für die Gründung einer <strong>Sparkasse</strong> in<br />

Verbindung mit der städtischen Armenkasse (!) in der Schublade.<br />

Die Regierung in <strong>Hanau</strong> hingegen berichtete nach Kassel,<br />

dass in der Provinz <strong>Hanau</strong> bereits die <strong>Sparkasse</strong> „zu Neu <strong>Hanau</strong><br />

unter Garantie des Vorstandes der ... niederländischen Gemeinde“<br />

bestünde, „... über die durch die hiesige Polizey-Direction<br />

die berichtliche Anzeige allernächsten Orts gemacht“ worden<br />

sei. Diese sei „durch einen Auszug geheimen Cabinets-Protokolls<br />

vom 5. Dec. 1821 angewiesen worden, den Unternehmern die allerhöchste<br />

Zufriedenheit darüber zu erkennen zu geben.“<br />

Des Weiteren vermerkt die Regierung zu <strong>Hanau</strong>, dass es<br />

neben dieser <strong>Sparkasse</strong> „allhier eine Leihe-Banko“ gebe, sodass<br />

man eine weitere <strong>Sparkasse</strong> für „nicht erforderlich“ halte.<br />

Jene 1738 gegründete Landesleihbank sollte im März 1833<br />

die <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie aufgrund einer<br />

Verfügung des Kurhessischen Ministeriums des Inneren übernehmen<br />

und setzte die Geschäfte der <strong>Sparkasse</strong> zu den alten<br />

Bedingungen fort. In einem Rechenschaftsbericht von 1854<br />

wird über diese <strong>Sparkasse</strong> innerhalb der Leihbank, „die nicht<br />

allein für die hiesige Stadt sondern auch von Einwohnern hiesiger<br />

Provinz, ja selbst des nahen Auslandes benutzt wird“ berichtet,<br />

dass sie „einen sehr günstigen Fortgang genommen“ habe.<br />

Die „Fusion“ von 1833 war <strong>als</strong>o erfolgreich, ebenso wie<br />

die Tätigkeit der <strong>Sparkasse</strong> bis zu diesem Zeitpunkt. Denn<br />

ausschlaggebend für die ministerielle Verfügung, welche die<br />

Selbstständigkeit der <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

beendet hatte, war der Umstand, dass der seit der Gründung<br />

erreichte Geschäftsumfang nicht mehr im Rahmen eines<br />

„wohlthätigen Instituts“ zu bewältigen war. Ebenso sah sich<br />

das Consistorium mit der Gewährleistung für die <strong>Sparkasse</strong><br />

deutlich überfordert. Nach 14 Jahren äußerst wohltätigen<br />

Wirkens war die erste <strong>Sparkasse</strong>ngründung Hessens bereits<br />

wieder Geschichte.<br />

Am 4. August 1832 wurde der Übergang der <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie an die Landesleihbank <strong>Hanau</strong> besiegelt und im März des nachvolgenden<br />

Jahres vollzogen. Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

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Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Sie wurde am 2. August 1819 ausweislich des Gründungsprotokolls<br />

ins Leben gerufen. Überdies bestand seit 1738 die<br />

Leihbank, die 1833 die Kasse der Niederländischen Diakonie<br />

übernehmen sollte.<br />

Bettelzüge durch <strong>Hanau</strong><br />

Erhard Bus<br />

Es sollte lange dauern, bis die Städtische <strong>Sparkasse</strong> oder<br />

die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, wie sie später hieß, von der vorgesetzten<br />

Behörde die Genehmigung zur Aufnahme des Geschäftsverkehrs<br />

erhielt und unter den kommunalen Instanzen<br />

Einigkeit über den Inhalt ihrer Statuten herrschte. Obwohl<br />

die sozialen Verhältnisse eine derartige Einrichtung dringend<br />

erforderlich machten.<br />

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verarmten<br />

die unteren Schichten in Stadt und Land <strong>Hanau</strong> infolge der<br />

ökonomisch schwierigen Lage nach den Napoleonischen Kriegen<br />

zusehends und viele Bewohner waren auf die öffentliche<br />

Armenfürsorge angewiesen. Allerdings war man dam<strong>als</strong> noch<br />

weit entfernt von einer öffentlichen Fürsorge, wie wir sie heute<br />

kennen.<br />

Ersparniskassen zu errichten wurde immer dann besonders<br />

vehement gefordert, wenn die wirtschaftliche und soziale Lage<br />

dazu Anlass gab. Und schließlich fand diese Forderung auch<br />

Gehör. Ihr wurde stattgegeben in Form einer gesetzlichen<br />

Grundlage. Im Organisationsedikt des Kurfürstentums Hessen<br />

vom 29. Juni 1821 heißt es im Paragraf 88 Absatz 4: „In Ansehung<br />

der Armen-Polizey soll der Kreisrath zunächst die Quellen<br />

der Armuth erforschen und diesen nach Kräften entgegen wirken,<br />

denjenigen Armen aber welche öffentlicher Unterstützung wirklich<br />

bedürfen, die Aufnahme in die dazu vorhandenen Anstalten<br />

oder die nöthige Beyhülfe der betreffenden Gemeinde verschaffen,<br />

– auch die Leih-Anstalten Kranken- und Begräbnis-Kassen,<br />

<strong>Sparkasse</strong>n und andere theils zur Verhütung der Armuth theils<br />

zur Unterstützung in Fällen des Bedürfnisses bestimmte Einrichtungen<br />

nach geprüften Grundsätzen begünstigen, gegen verbotene<br />

Spiele erlaubte Lotterien aber gehörig wachen lassen.“ 1<br />

Die Ansprüche des Edikts waren die eine, ihre Umsetzung<br />

und Realisierung jedoch eine andere Sache. Die Vorstellungen<br />

darüber, wie man eine solche Ersparniskasse organisieren,<br />

wie man sie verwalten und wer für die Geschäfte garantieren<br />

sollte, waren noch recht vage. Das Organisationsedikt enthält<br />

dazu keine konkreten Vorgaben.<br />

In <strong>Hanau</strong> existierte außerdem bereits vor dem Organisationsedikt<br />

ein derartiges Institut: die <strong>Sparkasse</strong> in Neu-<strong>Hanau</strong>.<br />

Darüber berichtete dann auch die Provinzialregierung in<br />

<strong>Hanau</strong> in ihrer Antwort auf den <strong>Sparkasse</strong>nerlass des kurhessischen<br />

Innenministeriums vom 8. Dezember 1824, der die<br />

Regierungen der vier kurhessischen Provinzen aufforderte,<br />

„... baldtunlichst Vorschläge zur Errichtung von <strong>Sparkasse</strong>n mit<br />

Rücksicht auf gleiche schon hin und wieder im Auslande bestehende<br />

Anstalten“ einzureichen. Das Schreiben der Provinzialregierung<br />

bemerkt weiter, eine weitere <strong>Sparkasse</strong> neben der<br />

Leihbank und der <strong>Sparkasse</strong> der Niederländischen Diakonie<br />

halte man für „nicht erforderlich“. 2 Es dauerte schließlich noch<br />

Jahre, bis ein neuer Anlauf in dieser Sache unternommen wurde.<br />

Diese neue und schlussendlich erfolgreiche Initiative ist<br />

untrennbar mit einer bedeutenden Person der <strong>Hanau</strong>er Stadtgeschichte<br />

verbunden.<br />

Bernhard Eberhard (1795-1860), 3 <strong>Hanau</strong>s erster Oberbürgermeister<br />

ab 1832, verstand sich <strong>als</strong> ein Stadtoberhaupt, das<br />

sich nicht <strong>als</strong> Vollstrecker fürstlichen Willens sah, sondern<br />

manchen Gedanken der erst viel später verwirklichten kommunalen<br />

Selbstverwaltung vertrat und vorwegzunehmen versuchte.<br />

4 Er trat sein Amt <strong>als</strong> Bürgermeister der Neustadt 1827<br />

an, <strong>als</strong> nach Besatzung, Krieg und der Restauration der vorrevolutionären<br />

Verhältnisse die wirtschaftliche Not am größten,<br />

die sozialen Folgen am krassesten und der aufgestaute<br />

Groll der Bewohner gegen den Staat am greifbarsten waren.<br />

Eberhard prägte während seiner Amtszeit bis 1848 nicht nur<br />

die Verwaltungsstrukturen in <strong>Hanau</strong>, sondern trug auch<br />

<strong>Hanau</strong>s Oberbürgermeister Bernhard Eberhard (1795–1860), der Initiator<br />

der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

maßgeblich zur Gründung der <strong>Hanau</strong>er Stadtsparkasse bei.<br />

Ungeachtet der bereits bestehenden Leihbank bemühte sich<br />

Oberbürgermeister Eberhard bereits seit Anfang 1835 darum,<br />

eine städtische <strong>Sparkasse</strong> zu errichten. Doch erst nachdem die<br />

Regierung der Provinz <strong>Hanau</strong> und die städtischen Gremien<br />

sich auf einen gemeinsamen Wortlaut der Satzung geeinigt<br />

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Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

und ihn am 1. Juli 1841 verabschiedet hatten, konnte das kommunale<br />

Geldinstitut am 1. August 1841 seine Pforten öffnen.<br />

Der Initiative des Oberbürgermeisters lagen nicht alleine<br />

menschenfreundliche Motive zugrunde. Aufgrund der ausgeprägten<br />

allgemeinen Verarmung in der Stadt (Pauperismus)<br />

bestimmte wohl mehr noch ein anderes massives Interesse die<br />

Entscheidungen der kommunalen Repräsentanten.<br />

In seinen im August 1850 verfassten Memoiren beschreibt<br />

Eberhard das Armenproblem in der Stadt während<br />

der 1830er-Jahre mit drastischen Worten. Danach erkannte<br />

er dam<strong>als</strong> gegen die Bettelei „nirgends eine, auch nur irgend<br />

ausreichende Kontrolle“, weshalb gerade die Bedürftigen nicht<br />

immer bedacht werden konnten. Weiter heißt es: „… die Bettelei<br />

hatte einen Grad erreicht, daß der wahre Wohltätigkeitssinn<br />

durch sie nur unterdrückt werden konnte. Es bestanden noch sogenannte<br />

Bittage, mehrere in jeder Woche, an denen sich vorzugsweise<br />

die Bettelzüge durch die Straßen der Stadt bewegten.“<br />

Es gab zwar eine ganze Reihe von kirchlichen und privaten<br />

Stiftungen, was aber bis zur Bildung der städtischen Armenkommission<br />

fehlte, war die Koordination der verschiedenen<br />

Hilfsmaßnahmen.<br />

Als Mittel zur Bekämpfung der Armut und zur Verhinderung<br />

von Not erwähnt das <strong>Hanau</strong>er Stadtoberhaupt auch die,<br />

nicht zuletzt dank seiner Bemühungen gebildete Städtische<br />

<strong>Sparkasse</strong> „<strong>als</strong> ein wohltätiges Institut“.<br />

Bernhard Eberhard charakterisierte die Ziele der Anstalt<br />

mit den Worten: „Sie gibt der arbeitenden Volksklasse Gelegenheit,<br />

ihre kleinsten Ersparnisse sicher und verzinslich anzulegen,<br />

und ist vorzugsweise dazu geeignet, den Sinn für Fleiß<br />

und Sparsamkeit zu wecken.“ Allerdings sah er diese Absicht<br />

zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Memoiren noch nicht<br />

verwirklicht. So bedauert er, dass viele ihr übriges Geld „in<br />

Wirtshäuser verlegten“, was dadurch in die Hände von „mehr<br />

auf Spekulation berechneten Privat-<strong>Sparkasse</strong>n“ falle. Zudem<br />

resümiert er, die Fabrikarbeiter hätten bisher zwar noch wenig<br />

Zugang zur <strong>Sparkasse</strong> gefunden, dennoch sei der „wohltätige<br />

Einfluß“ der <strong>Sparkasse</strong> auf die „dienende Klasse“ nicht zu<br />

verkennen. Positiv bewertet Eberhard die steigende Zahl der<br />

Sparer und er hofft, dass „diese mit Liebe gepflegte Anstalt ihren<br />

Zweck in immer größerer Ausdehnung erfüllen“ könne. 5<br />

Anstalt für Dienstboten und Arbeiter<br />

Die Existenz einer Städtischen <strong>Sparkasse</strong> sollte in den Augen<br />

des Oberbürgermeisters kleinen Handwerkern, Gesellen,<br />

Dienstboten und Arbeitern, 6 die etwas zur Seite legen konnten,<br />

die Möglichkeit eröffnen, dank des ersparten Geldes in<br />

einer Notlage nicht in die Armut abzugleiten. Was stets die<br />

Gefahr in sich barg, dass sie dann der öffentlichen Hand und<br />

karitativen Organisationen zur Last fielen oder sich sogar Wucherern<br />

auslieferten.<br />

Mithin dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass sich der<br />

Plan, dieses Instruments zur Selbsthilfe für die einfachen<br />

Volksschichten in <strong>Hanau</strong> zu schaffen, gerade zu einer Zeit<br />

durchsetzte, <strong>als</strong> das soziale Problem des Pauperismus unübersehbar<br />

wurde und verschiedene Versuche unternommen wurden,<br />

es zu überwinden.<br />

Die soziale Komponente und natürlich auch die Intention,<br />

die öffentlichen Kassen möglichst zu entlasten, wird in Paragraf<br />

2 der <strong>Sparkasse</strong>nsatzung bei der Nennung der Zielgruppe<br />

augenfällig.<br />

Dort ist zu lesen: „Der Zweck der Anstalt ist, Dienstboten,<br />

Arbeitern, überhaupt weniger bemittelten Einwohnern, Eltern<br />

für ihre Kinder und Pflegern und Kuratoren für Unmündige<br />

Gelegenheit zu verschaffen, ihre Ersparnisse auch in einzelnen<br />

und in kleinen Beträgen sicher und nutzbar anzulegen und sich,<br />

beziehungsweise ihren Kindern oder Pflegebefohlenen ein kleines<br />

Kapital zu irgendeiner Unternehmung oder für künftige Notfälle<br />

zu sammeln.“<br />

Die Statuten schrieben weiterhin vor, dass die Einlagen in<br />

Beträgen von 4/7 Talern bis zu 200 Talern oder von einem<br />

Gulden bis zu 350 Gulden sowohl im Ganzen <strong>als</strong> auch in Teilzahlungen<br />

angenommen werden konnten. Die Mindesteinlage<br />

war zunächst auf einen Gulden festgesetzt, doch gab die<br />

<strong>Sparkasse</strong> daneben Sparmarken für kleinere Beträge aus, die<br />

über 6, 12, 18, 24, 30, 36, 42, 48 und 54 Kreuzer lauteten.<br />

Diese Sparmarken konnten hinterlegt werden, bis ein voller<br />

Guldenbetrag erreicht und damit die Gutschrift auf das <strong>Sparkasse</strong>nkonto<br />

möglich war. 7 Kredite vergab die <strong>Sparkasse</strong> hingegen<br />

nicht. 8<br />

Die Spannbreite möglicher Spareinlagen macht deutlich:<br />

Die Kasse zielte von Anfang an nicht allein auf die ärmere<br />

Schicht der Bevölkerung. Jedoch bestimmte man die Mindestsätze<br />

so großzügig, dass auch kleinste Beträge zinsbringend<br />

eingezahlt werden konnten.<br />

Die Spareinlagen wurden anfangs mit drei Prozent verzinst.<br />

Zur Rückzahlung war eine Kündigungsfrist von vier<br />

Wochen für Beträge unter 100 Gulden und von drei Monaten<br />

für größere Beträge vorgesehen. Auch durfte jedem Sparer nur<br />

ein <strong>Sparkasse</strong>nbuch ausgestellt werden.<br />

Die eingehenden Gelder legte man seitens der Verwaltung<br />

der <strong>Hanau</strong>er Stadtsparkasse bei der kurhessischen Landeskreditkasse<br />

in Kassel oder in <strong>Hanau</strong>er Stadtobligationen sicher<br />

an. Die Verwaltung des <strong>Sparkasse</strong>ninstituts erfolgte entsprechend<br />

den Richtlinien der Satzung unter der Leitung des<br />

Oberbürgermeisters durch ein Mitglied des Stadtrats, einen<br />

Buchhalter und einen Kassierer. Es handelte sich zum Zeitpunkt<br />

der Gründung neben Oberbürgermeister Eberhard um<br />

das Stadtratsmitglied J. W. Colin, den Stadtsekretär Blum<br />

Das Stadthaus im Jahre 1940. Das Büro der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> befand<br />

sich von 1841 bis 1890 in dem unteren Stock dieses Gebäudes in der Altstadt.<br />

Zur genauen Lage des Stadthauses beachten Sie bitte den Stadtplan<br />

auf Seite 116. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

und den Stadtkämmerer Weidert. Die neue Städtische <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> stand somit nicht nur unter der Aufsicht und<br />

Garantie der Kommune, sondern wurde auch von Beamten<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> vorerst nebenamtlich geführt.<br />

Die Barbestände lagerte man zur Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

sicher in einer schweren eisernen Kiste, die sich noch<br />

heute im Besitz der Anstalt befindet. 9<br />

Das Büro der Kasse befand sich von 1841 bis 1890 im unteren<br />

Stock des sogenannten Stadthauses in der Altstadt (Bangertstraße<br />

2) und war jeden Montag von 11 bis 13 Uhr für<br />

das Publikum geöffnet. Bei dem 1731/32 errichteten Gebäude<br />

handelte es sich 1841 um ein zweistöckiges „Wohnhaus mit dem<br />

138 139


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Stadtsekretariat nebst Waschhaus mit Holzremise“. Hier wohnten<br />

auch die beiden im Nebenamt <strong>als</strong> <strong>Sparkasse</strong>nleiter tätigen<br />

Stadtkämmerer G. Weidert und Karl Weidert (ab 1867). Der<br />

Versicherungswert des Stadthauses betrug 1841 inklusive Hinter-<br />

und Nebenbau 3.050 Gulden. 10<br />

Reaktionen auf <strong>Sparkasse</strong>ngründung<br />

Im Zusammenhang mit der Gründung der Städtischen<br />

<strong>Sparkasse</strong> sind zwei Stellungnahmen von besonderem Interesse.<br />

Da ist zunächst einmal der Standpunkt der Konkurrenz<br />

aufschlussreich. In einem Schreiben an das Ministerium des<br />

Innern vom 17. August 1843 heißt es seitens der Direktion der<br />

<strong>Hanau</strong>er Leihbank: „Im Uebrigen können wir nicht unerwähnt<br />

lassen, daß neben der diesseitigen <strong>Sparkasse</strong> seit vorigem Jahre<br />

auch eine städtische <strong>Sparkasse</strong>-Anstalt dahier bestehet, bei welcher<br />

aber, ohne Zweifel wegen des allgemeinen Vertrauens, das<br />

die diesseitige, unter der Aufsicht des Staates verwaltet werdende,<br />

<strong>Sparkasse</strong> genießt, dem Vernehmen nach, bisher nur wenig Einlagen<br />

erfolgt seyn sollen.“ 11 Mit dieser Äußerung hatte man sich<br />

erstens um ein Jahr hinsichtlich der Gründung vertan und<br />

zweitens die neue Rivalin etwas abwertend beurteilt.<br />

Mögen die Anfänge der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> auch noch<br />

recht bescheiden gewesen sein, einen ersten Erfolg konnte sie<br />

gegenüber ihrer lokalen Konkurrenz bald verzeichnen. In einem<br />

Schreiben der Landeskreditkasse vom 6. September 1841<br />

an das Ministerium des Innern heißt es im Zusammenhang<br />

mit der Anfrage der Landesleihbank, ob ihr ein Anspruch auf<br />

Anlegung der Gelder in der Landeskreditkasse zustehe: „Neuerdings<br />

ist ein gleiches Begehren auch von dem Stadtrathe daselbst<br />

hinsichtlich einer städtischen <strong>Sparkasse</strong> gestellt worden.“ 2<br />

Wahrscheinlich wurden der neuen <strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong> die<br />

günstigeren Anlagekonditionen gewährt, weil sie nach dem<br />

damaligen Verständnis <strong>als</strong> echte <strong>Sparkasse</strong> galt. Der Leihbank<br />

wurde die Vergünstigung dagegen verwehrt.<br />

Ein Artikel im <strong>Hanau</strong>er Wochenblatt vom 22. Juli 1841,<br />

den der damalige <strong>Hanau</strong>er Vizebürgermeister D. Brandt verfasste,<br />

findet dann allerdings Worte zur <strong>Sparkasse</strong>ngründung,<br />

die sich ganz anders lesen <strong>als</strong> in der Stellungnahme der Leihbank:<br />

„Um der Stadt <strong>Hanau</strong> die Wohltat einer öffentlichen<br />

<strong>Sparkasse</strong> mit möglichst geringen Einlagenbeträgen, angemessener<br />

Verzinsung, Zuschreibung der Zinsen zum Kapital bei Nichtempfang<br />

derselben und zu jederzeit freistehender Befugnis des<br />

Darleihers zur teilweisen oder ganzen Kündigung seines Guthabens<br />

zu sichern, wurde auf Grund des § 71 der Gemeinde-Ordnung<br />

vom 23. Oktober 183413 nach den besonders ausgegebenen<br />

Bestimmungen vom ersten dieses Monats eine solche Anstalt unter<br />

der Garantie der Stadt errichtet.<br />

Die städtische Behörde wünscht dieser im Gesamtinteresse der<br />

Einwohnerschaft gegründeten Anstalt das gute Gedeihen, dessen<br />

sich ähnliche Anstalten in anderen Städten erfreuen, um durch<br />

sie den Sinn für Arbeitsamkeit zu beleben, Ordnungsliebe und<br />

Wohlstand zu fördern und den Druck unvorhergesehener Fälle<br />

oder Krankheiten weniger fühlbar zu machen.“ 14<br />

Die ersten Jahre verliefen für die Städtische <strong>Sparkasse</strong> eher<br />

schleppend und in dieser Hinsicht war die Bewertung der<br />

Leihkasse gewiss nicht unzutreffend. Dies zeigte sich anhand<br />

der Tatsache, dass in der knapp 15.000 Einwohner zählenden<br />

Stadt bis 1842 lediglich 176 <strong>Sparkasse</strong>nbücher eingerichtet und<br />

nur 523 Einlagen von unterschiedlichem Wert getätigt worden<br />

waren. Bis 1848 stieg der Gesamtwert der Einlagen auf<br />

30.038 Gulden bei 888 ausgegebenen <strong>Sparkasse</strong>nbüchern. 15<br />

Trotz der Krisenperiode in der zweiten Hälfte der<br />

1840er-Jahre mit Hungersnot, Auswanderung und politischer<br />

Instabilität stiegen die Spareinlagen kontinuierlich. Es gab<br />

<strong>als</strong>o offenbar den Willen, längerfristig zu sparen.<br />

Einlagen der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> 1842-1852<br />

in Gulden 16<br />

50.000<br />

45.000<br />

40.000<br />

35.000<br />

30.000<br />

25.000<br />

20.000<br />

15.000<br />

10.000<br />

5.000<br />

0<br />

6.983<br />

15.314<br />

23.750<br />

30.038<br />

40.158<br />

Die Erweiterung der Geschäftsstunden und vor allem die<br />

Modifizierung der Satzung von 1860, wonach nun der Kreis<br />

der Anleger nicht mehr auf die Bewohner <strong>Hanau</strong>s und seiner<br />

näheren Umgebung beschränkt blieb, trugen sicherlich dazu<br />

bei, dass die <strong>Sparkasse</strong> seit 1862 mit bis zu einem Drittel ihrer<br />

Anlagebestände ins Hypothekengeschäft einsteigen konnte. 17<br />

Zudem wuchs die Zahl der von der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

verwalteten Konten bis 1865 auf 1.475 an. Die Einlagensumme<br />

betrug nun mehr <strong>als</strong> 79.000 Taler oder knapp 140.000<br />

Gulden (fl.), etwas mehr <strong>als</strong> 40.000 fl. waren in Hypotheken<br />

ausgeliehen, 43.800 waren in Wertpapieren und 56.175 fl. bei<br />

der Landeskreditkasse angelegt. 18<br />

Allerdings versetzte der Krieg von 1866 manchen Sparer geradezu<br />

in Panik. Das Institut verstand es aber, die aufgebrachten<br />

Anleger einigermaßen zu beruhigen. Der Kassenbestand<br />

ging nur um 3.600 auf 18.400 fl. zurück. 19<br />

Großes Lob für preußische Stadtsparkasse<br />

46.541<br />

1842 1844 1846 1848 1850 1852<br />

Mit der Annexion Kurhessens 1866 wurde <strong>Hanau</strong> zunächst<br />

eine preußische und ab 1871 eine Provinzstadt im neu gegründeten<br />

Deutschen Kaiserreich, was bald auch zur Umstellung<br />

der Währung von Gulden auf Mark führte. Dabei wurde der<br />

Taler mit drei Mark, der Gulden mit 1 5/7 Mark (zwei Taler =<br />

3 ½ Gulden) umgerechnet. 20<br />

Im Jahr 1889 erfolgte die Trennung von der Stadtkasse <strong>Hanau</strong>.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> erhielt eigene Geschäftsräume mit einer<br />

Stahlkammer im ersten Stock des Neustädter Rathauses und<br />

eigene Beamte. Es handelte sich vorerst um einen Kassierer<br />

und einen Kontrolleur.<br />

Im gleichen Jahr konnte der Lombardverkehr (Beleihungsgeschäfte)<br />

mit der Reichsbank aufgenommen werden. Die<br />

Ausdehnung des Geschäftsverkehrs brachte es mit sich, dass<br />

die <strong>Sparkasse</strong> nun an jedem Werktag geöffnet war.<br />

Das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)<br />

am 1. Januar 1900 brachte für die Anstalt die Verleihung der<br />

Mündelsicherheit. Gleichzeitig wurde sie amtliche Hinterlegungsstelle<br />

für Mündelvermögen. Als weitere Innovation folgte<br />

1901 die Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.<br />

Am 1. September 1901 trat eine neue Satzung in Kraft, die<br />

die Verwaltungsorganisation der Stadtsparkasse grundlegend<br />

veränderte. Anstelle der bisherigen Stadtratsdeputierten wurde<br />

ein Vorstand bestellt, der aus dem Vorsitzenden und zwei<br />

Mitgliedern bestand und der seit dieser Zeit der gesetzliche<br />

Vertreter der Stadtsparkasse ist. 21<br />

Auch im Jahr 1903 entwickelte sich die finanzielle Lage der<br />

Kasse günstig. Sie verzeichnete bei den Ein- und Rückzahlungen<br />

einen Umsatz von 3.639.865,32 Mark, 16 Prozent mehr <strong>als</strong><br />

im Vorjahr. Das Guthaben der Einleger betrug 4.645.559,56<br />

Mark bei insgesamt 9.809 Konten, der Reservefonds belief<br />

sich auf stattliche 298.538,54 Mark. Der Zinsfuß lag bei 3 ½<br />

Prozent für Spareinlegen und bei vier Prozent für Ausleihungen<br />

gegen Hypothek.<br />

Den Vorstand der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> bildeten<br />

Stadtrat Jung <strong>als</strong> Vorsitzender, Stadtrat Fues <strong>als</strong> sein Stellvertreter<br />

und Stadtverordneter Treusch <strong>als</strong> Beisitzer. Die Kas-<br />

140 141


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

„Sammelkarte der städtischen Pfennig-<strong>Sparkasse</strong> in <strong>Hanau</strong>“ von 1882.<br />

Bitte beachten Sie den Sinnspruch unter der Adresse.<br />

<br />

Stadtbibliothek <strong>Hanau</strong><br />

sen- und Rechnungsgeschäfte besorgten Rendant Friedrich<br />

August Klaere sowie die Kontrolleure Heinrich Langenhagen<br />

und Carl Eilber. 22<br />

Zu diesen frühen „<strong>Sparkasse</strong>nbeamten“ der Stadt <strong>Hanau</strong><br />

liefern die Personalakten im Stadtarchiv einige aufschlussreiche<br />

Angaben.<br />

Heinrich Langenhagen (1842–1916) stammte aus Fulda und<br />

arbeitete von 1889 bis 1893 <strong>als</strong> Kontrolleur bei der Städtischen<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Schon 1893 wechselte er <strong>als</strong> Assistent der<br />

Steuerkommission <strong>Hanau</strong> in eine andere Funktion innerhalb<br />

der Stadtverwaltung. Langenhagen verdiente <strong>als</strong> verheirateter<br />

Kontrolleur 1.200 Mark in Jahr. Er ging 1909 in Pension. 23<br />

Deutlich länger und damit auch wahrnehmbarer wirkte<br />

Friedrich August Klaere (1857–1932) für das Geldinstitut.<br />

Klaere wurde in der Nähe von Jüterbog geboren und kam vom<br />

Regierungspräsidium in Kassel nach <strong>Hanau</strong>. Hier arbeitete er<br />

ab 1889 zunächst <strong>als</strong> Sekretariats- und Buchhalterassistent, bevor<br />

er 1891 zum Rendanten, <strong>als</strong>o zum Leiter der kommunalen<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, und 1910 zum Rendanten der Stadthauptkasse<br />

<strong>Hanau</strong> avancierte. Klaere ging 1914 in den Ruhestand,<br />

wurde jedoch zwischen 1920 und 1922 vertretungsweise wieder<br />

<strong>als</strong> Rendant der Stadthauptkasse <strong>Hanau</strong> eingesetzt. Klaere<br />

verdiente zu Beginn seiner Tätigkeit bei der Stadt <strong>Hanau</strong> jährlich<br />

3.000, am Ende 5.000 Mark. Wie dam<strong>als</strong> in diesem Metier<br />

üblich, musste er bei seinem Dienstantritt in <strong>Hanau</strong> eine<br />

Kaution in Höhe von 3.000 Mark in Form von Pfandbriefen<br />

hinterlegen. 24<br />

Als Vergleich sei angemerkt: Ein preußischer Volksschullehrer<br />

begann kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit 1.120 Mark<br />

und konnte mit 52 Jahren 3.300 Mark pro Jahr verdienen. 25<br />

Allerdings setzte sich das Gehalt eines Volksschullehrers bis<br />

weit ins 20. Jahrhundert hinein zumeist aus mehreren Komponenten<br />

zusammen. Es bestand aus Bargeld, bei Dorfschulleh-<br />

rern der Nutzung von kommunalem Schulland zum eigenen<br />

Anbau landwirtschaftlicher Produkte, freier Dienstwohnung<br />

mit Feuerung oder eventuell Mietentschädigung, wenn keine<br />

kommunale Wohnung zur Verfügung stand.<br />

Zu Klaeres dienstlichem Verhalten führte Oberbürgermeister<br />

Dr. Eugen Gebeschus im März 1897 aus: „August Klaere ist<br />

ein sehr gewissenhafter fleißiger Arbeiter, der gediegene Kenntnisse<br />

besitzt, äußerst angenehme Umgangsformen dem Publikum<br />

gegenüber an den Tag legt“. 26<br />

Carl Eilber (1868–1919) stammte aus dem Schwarzwald,<br />

wo er bis zu seinem 14. Lebensjahr erst die Volks- und im<br />

Anschluss daran die Re<strong>als</strong>chule besucht hatte. An den Main<br />

kam er <strong>als</strong> gelernter Kaufmann. Er war zunächst in anderer<br />

Funktion bei der Stadtverwaltung <strong>Hanau</strong> tätig und ab 1893<br />

<strong>als</strong> Nachfolger von Langenhagen Kontrolleur der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong>. Eilber musste bei seiner Einstellung eine Dienstkaution<br />

von 3.000 Mark stellen. Sein Anfangsgehalt betrug 1.200<br />

Mark, 1901 erhielt er 1.880 und 1910 gar 2.800 Mark pro Jahr.<br />

Als der ledige Eilber 1910 zur Witwe seines verstorbenen Bruders<br />

nach Kesselstadt ziehen wollte, bedurfte es der Erlaubnis<br />

des Oberbürgermeisters Gebeschus. Offensichtlich unterlagen<br />

bestimmte Beamte der Residenzpflicht, sie mussten sich <strong>als</strong>o<br />

stets an ihrem Arbeitsort aufhalten. Und Carl Eilber benötigte,<br />

um von dieser Norm abweichen zu dürfen, eine Erlaubnis,<br />

da ja Kesselstadt erst 1907 nach <strong>Hanau</strong> eingemeindet wurde.<br />

In einem von Rendant August Klaere 1899 ausgestellten<br />

Dienstzeugnis heißt es: „Controleur Eilber ist ein fleißiger und<br />

zuverlässiger Kassenbeamter. Seine Leistungen sind bei einiger<br />

Anleitung wohl befriedigend, und würden gute sein, wenn er<br />

noch mehr Selbständigkeit entwickeln könnte.<br />

In seinem Auftreten ist er bescheiden und taktvoll; über seine<br />

außerdienstliche Führung ist mir Nachtheiliges nicht bekannt geworden.“<br />

Sechs Jahre später hat der Rendant Eilbers Fähigkeiten<br />

positiver bewertet: „Herr Eilber ist ein pünktlicher und sehr<br />

fleißiger Beamter. In seinen Arbeiten ist er gewissenhaft, und bin<br />

ich mit seinen Leistungen wohl zufrieden. Im Dienste ist er taktvoll<br />

und bescheiden.<br />

Ueber sein Privatleben höre ich nur Gutes. – Die Richtigkeit<br />

dieses Zeugnisses versichere ich auf Diensteid.“ 27<br />

Diese beiden Bewertungen bezeugen nicht nur die Weiterentwicklung<br />

Eilbers, sondern sie belegen auch, dass das<br />

Verhalten der <strong>Sparkasse</strong>nbediensteten nach Dienstschluss beobachtet<br />

wurde.<br />

Es gehörte sicherlich zum Verdienst dieser drei Männer,<br />

dass die Städtische <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> keinen Vergleich mit anderen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n zu scheuen brauchte.<br />

Entwicklung der Spareinlagen (blau), Hypotheken-Darlehen<br />

(rot) und Reserven (gelb) der Städtischen <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong>, in Mark von 1880-1914<br />

9.000.000<br />

8.000.000<br />

7.000.000<br />

6.000.000<br />

5.000.000<br />

4.000.000<br />

3.000.000<br />

2.000.000<br />

1.000.000<br />

0<br />

1880 1890 1900 1910 1914<br />

Spareinlagen Hypotheken-Darlehen Reserven<br />

142 143


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Hauptstelle der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> im Haus Marktplatz 14 um<br />

1930. Archiv Kurz<br />

Noch bevor die Städtische <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> 1911 ihre erste<br />

Rechenmaschine anschaffte, um mit ihr die täglichen Kontrollen<br />

im Sparverkehr durchzuführen und die Jahresnachweisung<br />

aufzustellen, lobte 1907 der Bericht der Verbandsrevision<br />

das Institut mit den Worten. „Die Einrichtungen der <strong>Sparkasse</strong><br />

stehen auf der Höhe der Zeit, und ich glaube, nicht zuviel zu sagen,<br />

wenn ich die <strong>Sparkasse</strong> in <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> eine der besteingerichtetsten<br />

unseres Verbandes bezeichne.“ 28<br />

Die Zinssätze für Spareinlagen veränderten sich zwischen<br />

der Gründung 1841 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs<br />

kaum und schwankten lediglich zwischen drei und vier Prozent.<br />

29<br />

Auf Schwankungen reagierten die <strong>Sparkasse</strong>nkunden recht<br />

sensibel. So war etwa 1911 die Zahl der Spareinlagen rückläufig.<br />

Dass sie in der Folgezeit wieder stiegen, hatte wohl<br />

auch damit zu tun, dass der Zinsfuß ab dem 1. Januar 1912<br />

von 3 ½ auf 3 ¾ Prozent erhöht worden war. 30 Die weitere erfolgreiche<br />

Entwicklung der Stadtsparkasse, deren Bestand an<br />

Spareinlagen bis zum Beginn des Jahres 1914 die Summe von<br />

7.814.851 Mark erreicht hatte, sollten die Auswirkungen des<br />

Ersten Weltkriegs zunichtemachen, die allerdings erst mit einiger<br />

zeitlicher Verzögerung einsetzten. 31<br />

Krieg, Hyperinflation, Erholung und Zerstörung<br />

Der Kriegsbeginn 1914 und das Kriegsende 1918 stellten<br />

große Anforderungen an die Liquidität der <strong>Sparkasse</strong>, da<br />

viele Sparer – wie immer in Krisenzeiten – aus übertriebener<br />

Ängstlichkeit erhebliche Summen zurückforderten. Die Städtische<br />

<strong>Sparkasse</strong> erwies sich jedoch dem Ansturm aufgrund<br />

der „geordneten guten Finanzlage“ <strong>als</strong> gewachsen. 32<br />

Während des Kriegs stieg die Summe der angelegten Gelder<br />

stark an. An den aufgelegten neun Kriegsanleihen beteiligten<br />

sich Sparer und Anstalt in erheblichem Maße. Insgesamt wurden<br />

bei der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> fast zehn Millionen<br />

Mark gezeichnet. Davon entfielen knapp sechs Millionen auf<br />

die Kunden, der Rest waren eigene Ankäufe der Anstalt. 33<br />

Auch „die Beteiligung an der Ausgabe der Kriegssparkarten,<br />

der sich auch das Feldheer anschloß, war sehr lebhaft“. Auf<br />

Kriegssparkarten wurden 172.174 Mark angelegt. Allerdings<br />

konnten wegen des großen Geldbedarfs für die Kriegsanleihen<br />

kaum noch Hypotheken ausgeliehen werden. 34<br />

Die Niederlage vom November 1918 und mehr noch die<br />

Hyperinflation vom Herbst 1923 bedeuteten eine gewaltige<br />

Zäsur für die deutschen <strong>Sparkasse</strong>n.<br />

Um den Krieg zu finanzieren, hatte sich das Deutsche<br />

Reich extrem verschuldet. Und um seine laufenden Ausgaben<br />

zu tragen, musste sich der Staat auch nach 1918 weiter verschulden.<br />

Das Geld, das ausgegeben wurde, war nicht mehr<br />

Sparbuch der Städtischen Spar- und Girokasse <strong>Hanau</strong>, ausgestellt im Jahr<br />

1927, unterschrieben von Rendant und Kontrolleur. Privatbesitz <strong>Hanau</strong><br />

gedeckt. Aufgrund der mit zeitlicher Verzögerung eintretenden<br />

galoppierenden Geldentwertung kollabierte das deutsche<br />

Finanzsystem schließlich. Die Besitzer von Kriegsanleihen saßen<br />

ebenso auf wertlosem Papier wie alle anderen Sparer. Der<br />

Glaube an die Sicherheit der Spargelder brach zusammen.<br />

Mit der Einführung der Rentenmark und wenig später der<br />

Reichsmark nach der Inflation stand auch die Städtische <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> vor dem Nichts. Am 1. Januar 1924 besaß die<br />

<strong>Sparkasse</strong> genau 59 Goldmark an Spar- und 55.025 Goldmark<br />

an Kontokorrenteinlagen. Es begann ein mühevoller Weg des<br />

Wiederaufbaus. Um das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen,<br />

förderten und erneuerten die <strong>Sparkasse</strong>n den Spargedanken<br />

mit eifriger Werbetätigkeit, der steten Verbesserung<br />

bestehender Einrichtungen und der Schaffung bequemer<br />

Spargelegenheiten.<br />

Die Statuten passte man 1929 entsprechend der preußischen<br />

Mustersatzung den Bedürfnissen an. Drei Jahre später<br />

brachte eine neue Satzung die rechtliche Selbstständigkeit des<br />

Instituts. Die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> war wie alle derartigen<br />

Kreditinstitute seitdem bis 2005 eine mündelsichere Anstalt<br />

des öffentlichen Rechts unter der unbeschränkten Haftung<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong>. Im weiteren Verlauf der Jahre wurde die<br />

Satzung wiederholt geändert. Allerdings wurden dabei in erster<br />

Linie weitere Geschäfte und neue Anlagevorschriften ergänzt.<br />

Die offizielle Bezeichnung der Anstalt wechselte 1928<br />

von „Städtische Spar- und Girokasse <strong>Hanau</strong>“ in „Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>“.<br />

In den „guten Jahren“ der Weimarer Republik fielen einige<br />

wichtige Entscheidungen im Hinblick auf die Ausweitung<br />

der Geschäftsfelder und Reformen im <strong>Sparkasse</strong>nalltag. So erfreute<br />

sich das Aktivgeschäft durch Gewährung von Krediten,<br />

Wechselkrediten, Hypotheken und Darlehen besonderer<br />

Beliebtheit und wurde stetig ausgeweitet. Im Jahr 1925 hatte<br />

man sich zusätzlich entschlossen, das Wertpapier-, Sortenund<br />

Devisengeschäft aufzunehmen.<br />

Nachdem man am 1. Januar 1926 die Buchführung umgestellt<br />

hatte (von der Kameralistik auf das kaufmännische<br />

144 145


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

System), dauerte es weitere neun Jahre, nämlich bis 1935, ehe<br />

die maschinelle Buchung eingeführt werden konnte. 35<br />

Während dieser Zeit begann auch die „Ära Scheinemann“,<br />

der die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> über viele Jahre wie wohl kein<br />

Zweiter prägte. Paul Scheinemann (1896–1970) kam aus Bad<br />

Hersfeld in die Brüder-Grimm-Stadt und besuchte hier nach<br />

der Volks- die Oberre<strong>als</strong>chule. Seine Ausbildung für den gehobenen<br />

Verwaltungsdienst bei der Stadtverwaltung <strong>Hanau</strong><br />

begann er am 1. April 1913. Im Februar 1925 wurde er mit<br />

der Leitung der Städtischen <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> betraut. Diese<br />

Aufgabe nahm er bis zu seiner Entlassung am 13. August 1945<br />

wahr, kurz danach arbeitete er bis 1953 <strong>als</strong> Leiter der kommunalen<br />

Finanzverwaltung. 36 Danach übte er erneut seine alte<br />

Tätigkeit <strong>als</strong> Direktor der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, ab 1955 der<br />

Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, bis zu seiner Pen-<br />

16.000.000<br />

14.000.000<br />

12.000.000<br />

10.000.000<br />

8.000.000<br />

6.000.000<br />

4.000.000<br />

2.000.000<br />

0<br />

Die Belegschaft der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> im Sommer 1941. In der<br />

Mitte mit Trauerband sieht man<br />

Direktor Paul Scheinemann, links<br />

davor im weißen Kleid ist Margot<br />

Leitz zu erkennen. Privat<br />

Entwicklung der Spareinlagen, Hypotheken-Darlehen<br />

und Reserven der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, in Reichsmark<br />

von 1924-1940<br />

1924 1932 1936 1940<br />

Spareinlagen Hypotheken-Darlehen Reserven<br />

sionierung 1962 aus. Scheinemann nahm nicht nur mehrere<br />

Funktionen und Ämter im hessischen <strong>Sparkasse</strong>nwesen ein,<br />

sondern führte nebenamtlich gleichfalls von 1947 bis 1966 <strong>als</strong><br />

Direktor die Baugesellschaft <strong>Hanau</strong> und war außerdem im<br />

DRK Kreisverband <strong>Hanau</strong> sowie im <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein<br />

aktiv. 37<br />

Gegen Ende der Zwanzigerjahre, in der Phase des Aufschwungs<br />

nach der Hyperinflation, genügten die beengten<br />

Verhältnisse im Neustädter Rathaus den Ansprüchen der Anstalt<br />

und ihrer Kunden nicht mehr. Außerdem betrachtete<br />

man sich seitens der <strong>Sparkasse</strong> mit dem „kaufmännischen und<br />

gewerblichen Mittelstand“ <strong>als</strong> „besonders stark verflochten“.<br />

Aus diesem Grund entschloss man sich zunächst, zusätzlich<br />

die Läden des Hauses Marktplatz 14 zu nutzen. Die nächste<br />

Veränderung konnte dann mit der Eröffnung eines neuen<br />

Kundenraums im März 1934 nach sieben Monaten Bauzeit<br />

abgeschlossen werden. 38 Weitere Umgestaltungen waren für<br />

die Zeit nach dem Ende des Kriegs geplant. Doch es sollte<br />

ganz anders kommen.<br />

Aber zuvor feierte man während des Zweiten Weltkriegs,<br />

wenige Wochen nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion,<br />

an einem Samstagvormittag Anfang August 1941<br />

„im festlich geschmückten kleinen Saal des Stadtgartens“ das<br />

Jubiläum des einhundertjährigen Bestehens der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>. Nach einem Musikstück, dem Treuebekenntnis<br />

des Oberbürgermeisters Dr. Müller-Starke „zum Führer<br />

und Großdeutschland“ und nationalistischen Liedern hielt<br />

der NS-Oberbürgermeister eine Ansprache. Den historischen<br />

Rückblick lieferte <strong>Sparkasse</strong>ndirektor Paul Scheinemann, danach<br />

folgten Gratulationen einiger hochrangiger Gäste. „Nach<br />

dem offiziellen Festakt blieben die Teilnehmer noch zu einem gemeinsamen<br />

Mittagessen zusammen, an das sich ein geselliges Zusammensein<br />

anschloß …“ 39<br />

Der Schalterraum in der Hauptstelle der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> im Haus<br />

Marktplatz 14 im Jahr 1941. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Neubeginn in Kesselstadt, Provisorium und Neubau<br />

Der größte Teil der <strong>Hanau</strong>er Innenstadt mit dem Rathaus<br />

und der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, das „Geschäftslokal am<br />

Marktplatz Nr. 14“, lag nach dem britischen Luftangriff vom<br />

19. März 1945 in Trümmern. Zur Aufrechterhaltung – oder<br />

besser: zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit – musste das Geldinstitut<br />

deshalb nach anderen räumlichen Möglichkeiten suchen.<br />

Der Stadtteil Kesselstadt war von den Zerstörungen des<br />

Zweiten Weltkriegs fast vollkommen verschont geblieben und<br />

wurde deshalb zur Zuflucht für viele obdachlose Familien,<br />

während Schloss Philippsruhe jahrelang <strong>als</strong> das Verwaltungszentrum<br />

<strong>Hanau</strong>s diente. Ebenso hatten andere Einrichtungen,<br />

Behörden und zahlreiche Geschäfte hier eine provisorische<br />

Unterkunft gefunden. 40<br />

Glücklicherweise bestand in der Kesselstädter Kronprinzenstraße<br />

1 bereits seit 1927 in angemieteten Räumen eine<br />

Zweigstelle der Stadtsparkasse. 41 Folglich verlagerte man die<br />

146 147


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Beengte Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

in der ersten Nachkriegszeit. <br />

Privat<br />

Hauptverwaltung der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> in den westlichen<br />

Stadtteil, der weitgehend intakt geblieben war. Die<br />

Räumlichkeiten boten allerdings nur äußerst bescheidene und<br />

beengte Arbeitsbedingungen für den <strong>Sparkasse</strong>nbetrieb, sodass<br />

man nach und nach noch weitere Räume anmietete, um<br />

die Geschäftstätigkeit in Gang zu halten. 42<br />

Zur Situation in Kesselstadt berichtet der Geschäftsbericht<br />

1949/1952 rückblickend: „Es lag klar auf der Hand, daß dieser<br />

Zustand hier von Anfang an unerträglich war und lediglich<br />

ein Notbehelf sein konnte. Die Entwicklung der <strong>Sparkasse</strong> ging<br />

indessen aufwärts, so daß sich der Vorstand und die Geschäftsleitung<br />

wegen Abhilfe der beengten Verhältnisse mit diesem Problem<br />

immer wieder eingehend beschäftigen mußten.“ 43<br />

Doch die Tätigkeit der Beamten und Angestellten der<br />

Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> litt nicht alleine unter den räumlichen<br />

Unzulänglichkeiten. Die schwierige Situation der örtlichen<br />

Banken während der ersten Nachkriegsjahre war mit vielerlei<br />

Einschränkungen verbunden. Mit dem Ziel, Abhilfe zu<br />

schaffen, fanden eine Reihe von Besprechungen zwischen den<br />

Vertretern der lokalen Geldinstitute und der Stadtverwaltung<br />

<strong>Hanau</strong> statt. Aufgrund der Restriktionen durch die US-amerikanische<br />

Besatzungsmacht benötigten die <strong>Hanau</strong>er Banken<br />

Passierscheine für ihre Leiter. In einem Schreiben vom 4. Mai<br />

1945 an den Ortskommandanten Major Thomas Turner verwies<br />

der kommissarische Oberbürgermeister Kurt Blaum auf<br />

die aufgrund der Schließung der Reichsbanknebenstelle in<br />

<strong>Hanau</strong> notwendig gewordenen Fahrten nach Frankfurt, „um<br />

den Zahlungsverkehr im Interesse der Einwohnerschaft und der<br />

Geschäftswelt sicherzustellen“. Der Brief listet dann die <strong>Hanau</strong>er<br />

Banken, ihre Leiter, Passnummern und das angedachte Beförderungsmittel<br />

auf. Dabei war nicht etwa in erster Linie an<br />

einen Pkw gedacht, sondern die Direktoren oder ihre Stellvertreter<br />

sollten mit dem Fahrrad in die Mainmetropole oder zu<br />

den Filialen im Umland fahren. Lediglich für den Vertreter<br />

der Dresdner Bank und Direktor Karl Breitenstein von der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> bestand die Option, zwischen Fahrrad<br />

und Auto zu wählen. Direktor Paul Scheinemann durfte den<br />

Kraftwagen des Oberbürgermeisters benutzen, 44 falls Benzin<br />

zur Verfügung stand.<br />

Ein anderes leidiges Thema bei den Besprechungen zwischen<br />

dem Oberbürgermeister und den Bankenvertretern waren<br />

Einbrüche in die Tresorräume der zerstörten Bankgebäude.<br />

Diebe hatten wiederholt versucht, Geld zu stehlen, was<br />

man durch verstärkte Polizeipatrouillen abzustellen hoffte.<br />

Der Mangel an Banknoten limitierte die Auszahlung pro<br />

Konto Ende April 1945 zunächst auf 50 Reichsmark (RM).<br />

Bis Ende Juni wuchs der Betrag auf 300 RM. Ähnlich verhielt<br />

es sich mit Genehmigungen zur Ausweitung des Dienstleistungsangebots<br />

der Stadtsparkasse. Im Protokoll der „Bankenbesprechung“<br />

vom 30. Mai 1945 wird die „Befriedigung“ des<br />

Militärkommandanten zur Entwicklung des Bankverkehrs<br />

Blick auf das drei Jahre andauernde Provisorium der Stadtsparkasse in der<br />

Nürnberger Straße.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

erwähnt und die „<strong>als</strong>baldige Genehmigung“ zur „Wiedereinführung<br />

des Scheck- und Überweisungsverkehrs“ in Aussicht gestellt.<br />

45 Somit normalisierte sich der <strong>Sparkasse</strong>nbetrieb unter<br />

den komplizierten Bedingungen der Nachkriegszeit allmählich<br />

wieder.<br />

Auch die Raumverhältnisse verbesserten sich nach vier Jahren<br />

erstmalig. Der größte Teil des Person<strong>als</strong> der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> zog in ein anderes, nun drei Jahre währendes Provisorium<br />

in der Innenstadt. Es befand sich in einem Gebäude<br />

an der Ecke Nürnberger Straße / Langstraße. Hier hatte die<br />

Stadtsparkasse Räume zu einem monatlichen Preis von 750<br />

DM zuzüglich Nebenabgaben gemietet. 46<br />

Die Belebung der Wirtschaft und der daraus resultierende<br />

rege Geschäftsbetrieb der Stadtsparkasse bewirkten, dass<br />

auch dort bald ein ordnungsgemäßer Geschäftsablauf mit lebhaftem<br />

Publikumsverkehr nicht mehr zu gewährleisteten war.<br />

Vorstand und Leitung der Stadtsparkasse entschieden deshalb,<br />

das der Deutschen Bank gehörende Grundstück Marktplatz<br />

1 einschließlich der noch vorhandenen Tresoranlage und<br />

zwei weitere angrenzende Grundstücke zu erwerben. Im November<br />

1951 konnten dann die Arbeiten für die neue Hauptverwaltung<br />

der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> beginnen. 47<br />

Zur Beendigung dieses Vorhabens heißt es im Geschäftsbericht<br />

1949/1952 fast schon euphorisch: „Es bedeutete eine<br />

Erlösung sowohl für unsere Kundschaft <strong>als</strong> auch für unsere<br />

Mitarbeiter, <strong>als</strong> wir am 20. Oktober 1952 das neu erbaute <strong>Sparkasse</strong>ngebäude<br />

in Betrieb nehmen konnten.“ 48<br />

Dieser Neubau am Marktplatz ist dann mehrfach erweitert<br />

und umgebaut worden. Das markante Gebäude beherbergt<br />

bis heute das älteste und größte heimische Geldinstitut in der<br />

Umgebung.<br />

Die bauliche Hülle eines solchen Gebäudes ist ein Kriterium,<br />

die technische Einrichtung ein anderes. Zur Ausstattung<br />

der Stadtsparkasse heißt es in einem im März 1949 von<br />

der Nassauischen Landesbank erstellten Gutachten im Vergleich<br />

zur Landesleihbank und der Kreissparkasse: „Maschinell<br />

ist die Stadtsparkasse am besten besetzt. Sie kann mit ihren<br />

Buchungsmaschinen täglich eine wesentlich höhere Postenzahl<br />

verbuchen. Neuanschaffungen sind vorerst nicht erforderlich.<br />

Man bucht heute allerdings auf modernen Maschinen – wie<br />

Astra, Conti usw. – , die schneller arbeiten (Symbole) <strong>als</strong> die<br />

vollschreibenden Burroughs-Moon-Hopkins.“ 49<br />

Auch in diesem Bereich sollte es in den nächsten Jahren<br />

und Jahrzehnten ganz gravierende Veränderungen geben.<br />

Erste Fusionsgedanken und erste Fusion<br />

In den ersten Nachkriegsjahren diskutierten die Gewährträger<br />

mit Vertretern der öffentlichen <strong>Hanau</strong>er Geldinstitute,<br />

dem Kasseler Landeshauptmann, Beamten und Landesbankdirektor<br />

Hartmann von der Nassauischen Landesbank darüber,<br />

ob die Geldhäuser in der Grimmstadt fusionieren sollten.<br />

148 149


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Grund dafür waren einerseits die ungeklärten Verhältnisse<br />

bezüglich der Landesleihbank und andererseits die stark<br />

zerstörten Einrichtungen der drei Kreditanstalten in <strong>Hanau</strong>.<br />

Hintergründe zu den Verhältnissen bei der Landesleihbank<br />

erfahren Sie im Artikel „Zur Geschichte der Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong>“ in diesem Band. Der zweite Aspekt wird in einem<br />

vom 9. März 1948 datierten Schreiben des Regierungsdirektors<br />

Ratjen vom Regierungspräsidium Kassel an den hessischen<br />

Finanzminister angesprochen und führt die aktuellen<br />

Probleme der Mangelwirtschaft vor Augen.<br />

Der Regierungsdirektor regt in seinem Brief an, „alle drei<br />

<strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong>n zu einer Zweckverbandssparkasse zu vereinigen“,<br />

und begründet seinen Vorschlag mit dem Zustand der<br />

Gebäude der Anstalten. Dazu äußert er Zweifel, ob das erforderliche<br />

Baumaterial für alle drei neuen Geschäftsgebäude zur<br />

Verfügung gestellt werden könnte.<br />

Der 1952 fertiggestellte Neubau der<br />

Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> am Marktplatz.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Eine „durchgreifende Rationalisierung des <strong>Sparkasse</strong>nwesens“<br />

in <strong>Hanau</strong>, so argumentiert Ratjen weiter, würde allerdings die<br />

Überschneidung von Kompetenzen nicht beseitigen. Deshalb<br />

wäre es „zweckmäßiger, die Stadt- und die Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

zu vereinigen und das Geschäft der Landesleihbank auf die vereinigte<br />

Stadt- und Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> sowie auf die Kreissparkassen<br />

Gelnhausen und Schlüchtern zu überführen, wobei dem<br />

Bezirksverband Kassel eine angemessene Entschädigung, etwa in<br />

Höhe der offenen Reserven und der Grundstücke der Landesleihbank<br />

gewährt werden müsste“. Der Kasseler Regierungsdirektor<br />

schloss aber nicht aus, „nach einer Besserung der wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse wieder selbständige <strong>Sparkasse</strong>n (zu) eröffnen“. 50<br />

Das genannte Gutachten der Nassauischen Landesbank<br />

kommt zum selben Ergebnis wie Ratjen. Das Kreditinstitut<br />

begründet sein Votum aber noch – neben den Bau- und den<br />

Anschaffungskosten für zwei neue Tresore – mit einem weite-<br />

Verabschiedung von Paul Scheinemann (links) aus dem Dienst der Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> im Mai 1962 durch Oberbürgermeister<br />

Herbert Dröse und dessen Vorgänger Heinrich Fischer. Privat<br />

ren Argument: Danach genügte das Personal einer Kasse, „um<br />

den Buchungsanfall von 2 Kassen zu erledigen“. Eine Fusion von<br />

Stadt- und Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> könnte „die Einsparung von<br />

mindestens 7 Arbeitskräften ermöglichen“. Außerdem mache die<br />

„auf etwa je 3 Millionen“ geschrumpfte Bilanzsumme der drei<br />

Institute eine Zusammenlegung der beiden <strong>Sparkasse</strong>n „dringend<br />

erforderlich“, so die Quintessenz der Bewertung.<br />

Das Gutachten wurde bei einem Gespräch über die Zukunft<br />

der öffentlichen Geldinstitute in <strong>Hanau</strong> präsentiert, an<br />

dem Landrat, Oberbürgermeister, Landeshauptmann, höhere<br />

Beamte, Vertreter von Landesleihbank, Stadt- und Kreissparkasse<br />

und Landesbankdirektor Hartmann von der Nassauischen<br />

Landesbank teilnahmen. Es rief bei den potenziell Betroffenen<br />

eine heftige Reaktion hervor. Wörtlich heißt es im<br />

Protokoll des Treffens: „Dieser Vorschlag wurde selbstverständlich<br />

von den Vertretern der Stadt- und Kreissparkasse energisch<br />

bekämpft, da er keineswegs den heutigen politischen Verhältnissen<br />

in <strong>Hanau</strong> (…) entspricht.“ 51<br />

Damit waren alle Gedanken an eine Fusion vorerst vom<br />

Tisch. Doch sie sollten einige Jahre später wieder aktuell werden,<br />

allerdings nicht hinsichtlich eines Zusammengehens von<br />

Stadt- und Kreissparkasse, sondern bezüglich einer Verschmelzung<br />

der Landesleihbank mit der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>.<br />

Der Zusammenschluss der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> und der<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong> erfolgte zum 1. Januar 1955, und zwar<br />

„auf Grund freier Vereinbarungen und im Zuge der in Hessen<br />

eingeleiteten Reform der öffentlichen Verwaltung“. 52 Das<br />

Vermögen der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> ging im Zuge der Gesamtrechtsnachfolge<br />

auf die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> über. Die<br />

Anstalt führte seitdem die Bezeichnung „Stadtsparkasse und<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong>“. 53<br />

Da sich der Geschäftsbereich der Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

aufgrund der historischen Entwicklung auf den Stadtkreis<br />

<strong>Hanau</strong> sowie die Landkreise <strong>Hanau</strong>, Gelnhausen und<br />

Schlüchtern erstreckte, besaß sie auch in Gelnhausen, Großauheim,<br />

Schlüchtern und Windecken Filialen, die von dem<br />

neuen Institut weitergeführt wurden. Die Stadtsparkasse und<br />

Landesleihbank <strong>Hanau</strong> betrieb somit neben ihrer Hauptstelle<br />

Markt 1 die beiden Hauptzweigstellen in der Steinheimer<br />

Straße und in der Kronprinzenstraße sowie Zweigstellen in<br />

den erwähnten Gemeinden.<br />

Die zweite große Veränderung des Jahres 1955 bestand in<br />

einer neuen Satzung. Sie schrieb nun für die hessischen <strong>Sparkasse</strong>n<br />

vor, einen Verwaltungsrat <strong>als</strong> oberstes Organ zu bilden<br />

und einen Vorstand , dem die Vertretung und Verwaltung der<br />

<strong>Sparkasse</strong> oblag. Weiter besagte das neue Statut: Die Bediensteten<br />

der öffentlichen Geldinstitute stehen nun nicht mehr<br />

mit dem Gewährträger in einem Arbeitsverhältnis, sondern<br />

mit der jeweiligen <strong>Sparkasse</strong>.<br />

Die neue Satzung trat am 1. November 1955 in Kraft. Den<br />

neuen Verwaltungsrat bildeten ehemalige Vorstandsmitglieder<br />

beider bisher selbstständigen Anstalten.<br />

150 151


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Demnach setzte sich der Verwaltungsrat aus folgenden<br />

Personen zusammen: Als Vorsitzender amtierte bis zu seinem<br />

Tod am 3. März 1956 der <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeister Karl<br />

Rehbein, <strong>als</strong> sein Stellvertreter Bürgermeister Dr. Hermann<br />

Krause. Die übrigen Mitglieder waren Syndikus Dr. E. Berger,<br />

Rechtsanwalt Dr. Oswald Eisenberg, Gewerkschaftssekretär<br />

Hermann Ernst, Steuerhelfer Dr. Hans Ferber, Architekt Fritz<br />

Füller, Diplom-Kaufmann Robert Himmler und Prokurist<br />

i.R. Jean Specht. Der Vorstand bestand aus <strong>Sparkasse</strong>nleiter<br />

Scheinemann und <strong>als</strong> seine Stellvertreter amtierten <strong>Sparkasse</strong>ndirektor<br />

Otto Stolz und <strong>Sparkasse</strong>namtmann Karl Köppel.<br />

Staatsminister a.D. Heinrich Fischer folgte Karl Rehbein<br />

sowohl <strong>als</strong> Oberbürgermeister <strong>als</strong> auch <strong>als</strong> Verwaltungsratsvorsitzender.<br />

Offenbar völlig unkompliziert verlief unmittelbar nach<br />

Kriegsende die Übernahme der örtlichen Beamtenbank durch<br />

die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. In der Niederschrift über die Bankenbesprechung<br />

vom 14. Mai 1945 heißt es schlicht: „Auf<br />

Anfrage teilt die Stadtsparkasse mit, dass sie die Beamtenbank<br />

übernommen habe und alle Zahlungen für diese Bank leiste.“ 54<br />

Kontinuierliche Steigerung<br />

Die Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> steigerte in<br />

den folgenden Jahren und Jahrzehnten ihr Geschäftsvolumen<br />

kontinuierlich, obwohl die Ausgangssituation alles andere <strong>als</strong><br />

günstig war.<br />

Wegen der Währungsreform konnten die Jahresabschlüsse<br />

für das „Rumpfgeschäftsjahr 1948 und der Jahre 1949 bis einschließlich<br />

1952 erst nach Vorlage der bestätigten Umstellungsrechnung<br />

und der DM-Eröffnungsbilanz fertiggestellt werden“.<br />

Darin sind auch die problematischen Verhältnisse nach<br />

Kriegsende im stark zerstörten <strong>Hanau</strong> plastisch geschildert.<br />

Außerdem wird festgestellt, dass „das Geld seinen Wert restlos<br />

verloren hatte und das deutsche Volk zum Tauschhandel in seiner<br />

ursprünglichsten Form zurückgekehrt war“. Folglich konnte die<br />

eigentliche Aufbauarbeit erst mit der Einführung der neuen<br />

Währung beginnen.<br />

Ab 1948 stellte die wachsende Bautätigkeit „große Anforderungen<br />

an die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, da der Bedarf an langfristigem<br />

Hypothekenkapital sehr hoch war“. Obwohl die <strong>Sparkasse</strong><br />

„sich mit besonderer Sorgfalt den Wohnungsbau angelegen sein“<br />

ließ, konnte der Bedarf jedoch „bei weitem nicht gedeckt werden“.<br />

55 Das jedenfalls war die Lage bis Ende 1952.<br />

Seinerzeit wuchs der Spareinlagenbestand von gut 2,1 Millionen<br />

1949 auf mehr <strong>als</strong> 3,5 Millionen DM im Jahr 1952 an.<br />

Das Geld war auf fast 13.000 Sparkonten angelegt. Die Summe<br />

der Kredite mit einer Laufzeit von bis zu vier Jahren und<br />

der langfristigen Ausleihungen stieg im gleichen Zeitraum<br />

von knapp zwei auf gut 3,7 Millionen DM, die Bilanzsumme<br />

parallel von 4,6 Millionen auf mehr <strong>als</strong> 8,2 Millionen DM.<br />

Immens nimmt sich dagegen die Summe von mehr <strong>als</strong> 397<br />

Millionen DM für Existenzaufbaudarlehen aus. Diese Beträge<br />

wurden der Stadtsparkasse jedoch von „dritter Seite zur Verfügung<br />

gestellt“. Es handelte „sich um im eigenen Namen und<br />

für fremde Rechnung gegebene Kredite, bei denen die <strong>Sparkasse</strong><br />

nur für die ordnungsmäßige Verwaltung“ haftete. 56<br />

Bezüglich der Erträge erklären sich die in den Jahren 1949<br />

und 1950 ausgewiesenen Verluste „in der Hauptsache daraus,<br />

daß das Ausleihgeschäft nach der Währungsreform nicht sofort<br />

so schnell aufgebaut werden konnte, um die zur Kostendeckung<br />

erforderlichen Erträge zu erwirtschaften. Außerdem wirkten sich<br />

die Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen und die Bildung<br />

von Wertberichtigungen gewinnmindernd aus.“ 57<br />

Auch zur Mitte der Fünfzigerjahre durfte man die Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> getrost noch <strong>als</strong> eine<br />

Bank der „kleinen Leute“ bezeichnen, denn mehr <strong>als</strong> 64 Prozent<br />

der Sparkonten – das waren 22.407 – bestanden aus Einlagen<br />

von bis zu 100 DM. Nur 26 Konten – das waren lediglich<br />

0,1 Prozent – lagen im Wert über 50.000 DM.<br />

Um möglichst viele Menschen zum Sparen zu animieren,<br />

stellte man bei Vereinen, in Einzelhandelsgeschäften, Fabriken<br />

und Verwaltungen Sparschränke auf. Das gleiche Ziel verfolgte<br />

die <strong>Sparkasse</strong> mit der Ausgabe von Heimsparbüchsen.<br />

„Besondere Pflege“ erfuhr auch das Jugendsparen. Dazu ist<br />

im Geschäftsbericht von 1955 zu lesen: „Es erscheint dringend<br />

notwendig, schon in den Schulen die Jugend zum Haushalten<br />

anzuleiten. Es ist uns ein Bedürfnis, der Lehrerschaft der Schulen,<br />

in denen wir Schulsparkassen unterhalten, für ihre wertvolle<br />

Mitarbeit im Dienste der Spareinrichtung an dieser Stelle zu<br />

danken.“ 58<br />

Die Heimspardosen und die Sparschränke erfreuten sich<br />

auch elf Jahre später noch großer Beliebtheit. „Sparen – Vermögen<br />

bilden!“ Mit dieser Parole wandte sich die Stadtsparkasse<br />

am Weltspartag 1966 an die Bevölkerung. Das Ergebnis<br />

war erfreulich. Es wurden 1.072.143 DM eingezahlt, die sich<br />

auf 3.257 Einzelposten verteilten. 59<br />

Die erste Konjunkturkrise im „Wirtschaftswunderland“<br />

Bundesrepublik im Jahr 1966 belastete das Geschäftsvolumen<br />

nicht. Die Spareinlagen wuchsen um knapp 16 Millionen DM<br />

und die Bilanzsumme von 162,5 auf 183,4 Millionen. Im Jahr<br />

darauf wurde die gesetzliche Zinsbindung aufgehoben, was es<br />

den Instituten ermöglichte, ihre Sätze „in Angleichung an die<br />

Marktverhältnisse frei festzusetzen“. 60 Das Credo des Instituts<br />

formulierte der Vorstand 1975 mit den Worten: „Geschäftspolitisches<br />

Ziel für unser Haus ist es, durch marktgerechtes Verhalten<br />

die Beziehungen zu allen Bevölkerungsschichten unseres<br />

Geschäftsbereiches zu pflegen, zu vertiefen und auszuweiten,<br />

durch Bereicherung unserer Angebotspalette die Spartätigkeit<br />

Die Hauptstelle der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> an einem<br />

Abend im Herbst 1965.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

entsprechend zu fördern und die erforderlichen Kredite für den<br />

Wohnungsbau, für alle Zweige der ansässigen Wirtschaft und für<br />

Private zur Verfügung zu stellen.“ 61<br />

Im Laufe der folgenden Jahre weitete die Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> ihre Dienstleistungen und ihre<br />

Produktpalette kontinuierlich aus. Das basierte zum Teil auf<br />

einer gewandelten Geschäftsphilosophie des Geldinstituts,<br />

das sich nun stärker an unternehmerischem Denken orientierte,<br />

<strong>als</strong> es zuvor bei <strong>Sparkasse</strong>n üblich war. 62<br />

In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens bot das Geldinstitut<br />

ihren Kunden nur wenige Dienste an. Im Laufe der<br />

Zeit erweiterte sich das Angebot zu einer umfangreichen Palette<br />

an Serviceleistungen. Bis zur Mitte der Sechzigerjahre<br />

zählten dazu beispielsweise die Möglichkeit, prämienbegünstigte<br />

Sparverträge und Verträge nach dem Vermögensbildungsgesetz<br />

abzuschließen; Geschäftskonten, Privatkonten,<br />

Lohn- und Gehaltskonten sowie Depotkonten zu führen;<br />

der Scheck- und Überweisungsverkehr; die Erledigung von<br />

Daueraufträgen; der Einzug von Wechseln und Dokumen-<br />

152 153


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Der Schalterraum in der Hauptstelle der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> im Jahr 1973.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

ten; die Gewährung von Geschäftskrediten, Avalkrediten,<br />

Hypothekendarlehen, Kleinkrediten, Anschaffungsdarlehen<br />

und Wechselkrediten; der An- und Verkauf sowie die Verwaltung<br />

und Verwahrung von Wertpapieren; die Abwicklung des<br />

Zahlungsverkehrs mit dem Ausland; der An- und Verkauf von<br />

Devisen, Reiseschecks sowie ausländischen Zahlungsmitteln;<br />

der Verkauf von Goldmünzen, Goldbarren und Medaillen sowie<br />

die Vermietung von Schließfächern und die Verwahrung<br />

von Wertgegenständen. 63<br />

Die Ausweitung des Angebots an Dienstleistungen und<br />

Anlagemöglichkeiten war damit keineswegs abgeschlossen,<br />

sondern setzte sich weiter fort. Folgerichtig gab die Anstalt<br />

1985 erstm<strong>als</strong> Inhaberschuldverschreibungen aus und ist dadurch<br />

„mit ihren Produkten in die Nähe von börsennotierten,<br />

festverzinslichen Papieren gekommen“.<br />

Auch das Verhalten vieler Kunden änderte sich. Zwar blieb<br />

das traditionelle Sparbuch weiterhin in Gebrauch, doch „der<br />

Trend zur höherverzinslichen Geldanlage (war) ungebrochen“. 64<br />

Alternative Anlageformen hatten mit rund 136 Millionen DM<br />

die traditionellen bereits 1970 deutlich übertroffen: Sie kamen<br />

Im Kundenraum der Filiale im Kinzigheimer Weg im Jahr 1973.<br />

<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

in der Summe auf rund 136 Millionen DM, die Anlagen mit<br />

gesetzlicher Kündigungsfrist auf 107 Millionen DM. Im Jahr<br />

1985 lagen die Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist<br />

bei 375 Millionen DM. Einlagen mit anderen Kündigungsfristen,<br />

oder <strong>Sparkasse</strong>nbriefe, Inhaberschuldverschreibungen<br />

und Gewinnobligationen beliefen sich zusammen auf 349<br />

Millionen DM. Sondersparformen (Zinszuwachssparen, Prämiensparen<br />

oder <strong>Sparkasse</strong>nzertifikate) waren auf 103 Millionen<br />

DM gestiegen, während Sicht- und befristete Einlagen<br />

gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 6,4 Prozent, –<br />

von 282 auf 264 Millionen DM – zu verzeichnen hatten. 65<br />

Von 1955 bis 1985 erbrachten die überaus günstige wirtschaftliche<br />

Entwicklung in der Bundesrepublik, neue Anlageformen,<br />

die Ausweitung des Giroverkehrs und andere Faktoren<br />

eine fast regelmäßige Verdopplung der Bilanzsumme nach<br />

jedem Jahrfünft, von ursprünglich 37 Millionen auf schließlich<br />

1.532 Millionen DM in drei Jahrzehnten. Im gleichen<br />

Zeitraum wuchsen die Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist<br />

von 19,7 Millionen auf rund 375 Millionen DM an,<br />

die Summe der Kredite von 22 auf über 900 Millionen DM.<br />

Am Ende dieser Periode, im Jahr 1986, gehörten dem Verwaltungsrat<br />

der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

Oberbürgermeister Hans Martin <strong>als</strong> Vorsitzender und Hans<br />

Heimerl (MdL) <strong>als</strong> sein Stellvertreter an. Weitere Mitglieder<br />

waren Dr. Jürgen Heraeus, Kreishandwerksmeister Germann<br />

Herrmann, Studiendirektor Norbert Kress, Gewerkschaftssekretär<br />

Heinz Laska, Geschäftsführer Rudolf Petermann,<br />

Stadtrat Klaus Remer, Kaufmann Helmut Wiecki, Chemotechniker<br />

Karl-Friedrich Zervas sowie die Bankkaufleute Peter<br />

Alt, Liane Benkner, Michael Stern, Gerhard Wittmann<br />

und Ilona Ziesel.<br />

Die Zusammensetzung zeigt: Mitglieder dieses Gremiums<br />

waren neben Mitarbeitern der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

mehrheitlich Vertreter verschiedener gesellschaftlicher<br />

Gruppen und unterschiedlicher Branchen der Wirtschaft.<br />

Im Vorstand saßen der Vorsitzende Heinz Riener, Dr. Uwe<br />

Janzen, Eberhard Hestermann und Alfred Merz. 66<br />

Bis zum Ende ihrer selbstständigen Existenz im Jahr 1990<br />

hatte die Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> „ihre Position<br />

<strong>als</strong> größte Regionalbank im <strong>Hanau</strong>er Raum“ gefestigt.<br />

Ihre Bilanzsumme betrug 2,335 Milliarden DM, die Verbindlichkeiten<br />

gegenüber Kunden sowie aus begebenen Schuldverschreibungen<br />

(Spareinlagen, Eigenemissionen, Sicht- und<br />

Termineinlagen) beliefen sich auf 1,488 Milliarden und das<br />

Kreditvolumen hatte 1,491 Milliarden DM erreicht. Das haftende<br />

Eigenkapital war auf 77,5 Millionen DM gestiegen. 67<br />

Der letzte Verwaltungsrat des Instituts bestand aus dem<br />

Vorsitzenden Hans Martin und seinem Stellvertreter Hans<br />

Heimerl. Weitere Mitglieder waren Karl-Hermann Althaus,<br />

Margret Härtel, Willi Herms, Dr. Jürgen Heraeus, Heinz<br />

Laska, Rudolf Petermann, Klaus Remer, Michael Stern, Helmut<br />

Wiecki, Walter Wissel, Gerhard Wittmann, Karl-Friedrich<br />

Zervas und Ilona Ziesel. Zum Vorstand gehörten Heinz<br />

Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist und Kredite<br />

der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> in<br />

Millionen DM<br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990<br />

Spareinlagen Kredite<br />

Riener <strong>als</strong> Vorsitzender sowie Dr. Uwe Janzen, Eberhard Hestermann<br />

und Alfred Merz. Neben diesen beiden Gremien trat<br />

und tritt bis heute der Kreditausschuss bei wichtigen Fragen<br />

der Kreditvergabe zusammen. Ihm gehören der Vorsitzende<br />

des Verwaltungsrats, zwei weitere Mitglieder dieses Ausschusses,<br />

der Vorstandsvorsitzende und ein weiteres Mitglied des<br />

Vorstands an.<br />

Das Netz der Geschäftsstellen der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> bestand 1985 aus der Hauptstelle, Am<br />

Markt 1, sowie 16 Filialen. Davon lagen 13 im <strong>Hanau</strong>er Stadtgebiet,<br />

das die Gebietsreform erheblich vergrößerte:<br />

Ahornweg 2, Alte Rathausstraße 7 (Mittelbuchen), Bruchköbeler<br />

Landstraße 54, Dresdener Straße 4, Frankfurter<br />

Landstraße 38, Hospit<strong>als</strong>traße 5, Kastanienallee 39, Kinzigheimer<br />

Weg 35 a, Lamboystraße 23, Leipziger Straße 17,<br />

Hauptstraße 37, John-F.-Kennedy-Straße 26 (beide Großauheim),<br />

Ludwigstraße 50-54 (Steinheim). Eine Filiale befand<br />

sich in Gelnhausen, Im Ziegelhaus 6, eine in Schlüchtern,<br />

154 155


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Vorstandsmitglied Alfred Merz erläutert einem Journalisten 1985 die<br />

Funktionsweise eines neuen Geldautomaten. Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Die ehemaligen <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeister Helmut Kuhn und Margret<br />

Härtel.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Die neue Filiale in der Lamboystraße im Jahr 1969. Links erkennt man die<br />

alte Zweigstelle.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Die alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Hans Martin und Karl Eyerkaufer im Jahr 1994 bei der Begutachtung des<br />

Schrötterpok<strong>als</strong>. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Unter den Linden 12–14, und eine weitere in Nidderau-Windecken<br />

im Gebäude Friedrich-Ebert-Straße 1. Bis 1990 kam<br />

noch die SB-Filiale in der Heraeusstraße 12 hinzu.<br />

Technik und Ausbildung<br />

Mit der Ausweitung des Angebots stieg die Zahl der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, parallel wurden aber auch die<br />

internen Arbeitsabläufe ständig modernisiert. Im Jahr 1952<br />

bestand das Personal der Stadtsparkasse aus vier Beamten,<br />

26 Angestellten, einer Hilfskraft und fünf Lehrlingen. 1955<br />

zählte die Stadtsparkasse und Landesleihbank bereits sieben<br />

Beamte, 68 Angestellte und zwölf Lehrlinge. Eine Dekade<br />

danach, im Jahr 1965, waren es schon fünf Beamte, 107 Angestellte<br />

und 27 Lehrlinge. Im Jahr 1985 hatte das Institut<br />

schließlich 249 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter<br />

befanden sich 30 Auszubildende. 68 Zu den technischen Neuerungen<br />

ist in der Festschrift von 1966 zu lesen, man habe am<br />

1. Januar 1955 von den Walzenbuchungsautomaten auf Anker-Lochkontokarten-Maschinen<br />

umgestellt und wickele seit<br />

Anfang 1965 das gesamte Rechnungswesen über eine elektronische<br />

Datenverarbeitungsanlage ab. 69<br />

Diese Innovation, heißt es dort weiter, habe sich „gut bewährt“<br />

und die Voraussetzung für die angestrebte Rationalisierung<br />

des Geschäftsprozesses geschaffen. Zugleich wurden<br />

die Zweigstellen mit Panzerglas ausgestattet. 70<br />

Mit dem größeren Angebot und der neuen Technik wuchsen<br />

auch die Anforderungen an die Angestellten der <strong>Sparkasse</strong>,<br />

weshalb sie ihr Fachwissen durch die Teilnahme an<br />

Lehrgängen und Seminaren kontinuierlich verbesserten. Außerdem<br />

konnten sie, wie schon zuvor, ihre Kenntnisse in den<br />

verschiedensten Fachgebieten des Kreditwesens in betriebsinternen<br />

Veranstaltungen ergänzen. 71<br />

Der Geschäftsbericht von 1985 kündete nicht nur von neuen<br />

Geldautomaten, die aufgestellt worden waren, sondern<br />

er informiert auch über den Einzug von Personalcomputern<br />

in der Stadtsparkasse und Landesleihbank. Weiter heißt es:<br />

„Multifunktionale Arbeitsplätze sind in der heutigen Geschäfts-<br />

abwicklung nicht mehr wegzudenken. Alle Maßnahmen haben<br />

zum Ziel, mehr Zeit für die Kundenbetreuung zu gewinnen und<br />

die Beratungsqualität zu erhöhen.“ 72<br />

Im Jahresdurchschnitt 1990 waren 320 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter bei der gemeinnützigen und mündelsicheren<br />

Anstalt des öffentlichen Rechts, der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> beschäftigt, davon arbeiteten 212 in Vollzeit<br />

und 37 befanden sich in der Ausbildung. Für sie wurden<br />

14.952.466 DM an Löhnen und Gehältern gezahlt, die Aufwendungen<br />

für Altersversorgung und Unterstützung betrugen<br />

942.006 DM. 73 Im Jahr 1952 beliefen sich diese Ausgaben für<br />

die 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> noch auf gut 200.000 DM für Löhne und Gehälter sowie<br />

auf etwas mehr <strong>als</strong> 15.000 DM für Sozialabgaben. 74 Auch<br />

an diesen Zahlen lässt sich die rasante Aufwärtsentwicklung<br />

des Geldinstituts ablesen.<br />

Am 1. Januar 1991 entstand durch den Zusammenschluss<br />

der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> mit der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>. Mit dieser neuen<br />

großen <strong>Sparkasse</strong> wollte man, wie es der Geschäftsbericht<br />

von 1990 formuliert, „den besonderen kreditwirtschaftlichen<br />

Herausforderungen“ im Osten des Rhein-Main-Gebiets gerecht<br />

werden. Weiter heißt es dort: „Die Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen,<br />

Wohnungsbau- und Unternehmensfinanzierungen<br />

stellen besondere Ansprüche an die Leistungsfähigkeit<br />

von <strong>Sparkasse</strong>n. Hinzu kommen verstärkte Auslandsaktivitäten<br />

der Firmenkunden sowie die Nutzung des Wertpapiergeschäftes<br />

und internationaler Geldanlagemöglichkeiten durch Privatpersonen.<br />

Mit größeren Organisationseinheiten können, nicht zuletzt<br />

unter Kostengesichtspunkten, diese Bedürfnisse des Marktes<br />

in der Zukunft besser befriedigt werden.“<br />

Das neue Geldinstitut „<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>“ startete am<br />

1. Januar 1991 mit einer Bilanzsumme in Höhe von 3,5493<br />

Milliarden DM und besaß mit einem Eigenkapital von über<br />

110,4 Millionen DM eine solide Kapitalbasis. 75 Beide betriebswirtschaftlichen<br />

Kennzahlen boten dem Institut gute Voraussetzungen,<br />

um die gewachsenen Herausforderungen in den<br />

nächsten Jahren zu meistern und weiter zu prosperieren.<br />

156 157


Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Zur Geschichte der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Anmerkung<br />

1 Zitiert aus: Allgemeine politische Annalen. In Verbindung mit einer<br />

Gesellschaft von Gelehrten und Staatsmännern herausgegeben<br />

von Friedrich Murhard, 4. Band, 13. Heft, Stuttgart und Tübingen<br />

1821, S. 91.<br />

2 H. Strube, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens und der <strong>Sparkasse</strong>n in<br />

Kurhessen, Stuttgart 1973, S. 13.<br />

3 Eberhard wurde in Schlüchtern geboren und studierte in Marburg,<br />

Gießen und Wetzlar Jurisprudenz. Bereits mit 22 Jahren wurde er<br />

„Hofgerichts-Advocat“ in <strong>Hanau</strong>. Fünf Jahre später wurde er zum<br />

Staatsanwalt ernannt und bald <strong>als</strong> Notar bestellt. 1827 wählten ihn<br />

die Neustädter zum Bürgermeister, 1832 avancierte er zum ersten<br />

Oberbürgermeister von beiden <strong>Hanau</strong>. 1848 wurde er zum Staatsrat<br />

mit Dienstsitz in Kassel ernannt. Aus diesem Amt schied er<br />

1850 mit einer Jahrespension von 1600 Talern aus. Der Pensionär<br />

übersiedelte wieder nach <strong>Hanau</strong>, wo er am 29. Februar 1860 starb.<br />

4 W. Kurz, „Diese mit Liebe gepflegte Anstalt …“, in: Unser Geld.<br />

Vom römischen Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte,<br />

hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4), S. 61 f.<br />

5 B. Eberhard, Aus meinem Leben. Erinnerungen des † Oberbürgermeisters<br />

von <strong>Hanau</strong> und Kurhess. Staatsrates Bernhard Eberhard,<br />

<strong>Hanau</strong> 1911, S. 38 ff. (=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter Band 1).<br />

6 Im Jahr 1846 betrug in der Stadt <strong>Hanau</strong> die Zahl der Dienstboten<br />

1243 Personen, die der Tagelöhner 989. Im Kreis <strong>Hanau</strong> waren<br />

es 1641 Dienstboten und 1300 Tagelöhner. Vgl.: H. Strube, Geschichte<br />

des <strong>Sparkasse</strong>nwesens, S. 115.<br />

7 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich<br />

historischer Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni 1966,<br />

<strong>Hanau</strong> 1966, S. 13.<br />

8 M. Jacoby, Von der Sparmarke zum online-banking. Geschichte<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, in: Unser Geld. Vom römischen Denar zum<br />

Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte, hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>,<br />

<strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4), S. 102.<br />

9 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich<br />

historischer Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni 1966,<br />

<strong>Hanau</strong> 1966, S. 13 ff.<br />

10 H. Bott, Die Altstadt <strong>Hanau</strong>. Gedenkbuch zur 650 Jahrfeier, <strong>Hanau</strong><br />

1953, S. 113.<br />

11 Hessisches Staatsarchiv Marburg: 16 / 10128 Die <strong>Sparkasse</strong> zu <strong>Hanau</strong><br />

1830-1859.<br />

12 Hessisches Staatsarchiv Marburg 16 / 10128 Die <strong>Sparkasse</strong> zu <strong>Hanau</strong><br />

1830-1859.<br />

13 Zum Inhalt der Gemeinde-Ordnung hinsichtlich kommunaler<br />

<strong>Sparkasse</strong>n: H. Strube, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens, S. 15 f.<br />

14 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 15.<br />

15 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 15.<br />

16 Angaben aus: H. Strube, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens, S. 64.<br />

17 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 16.<br />

18 H. Strube, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens, S. 65 und 173.<br />

19 Kinzig-Wacht vom 1.8.1941. Hundert Jahre.<br />

20 R. Kunz (Bearb.), Wörterbuch für südhessische Heimat- und Familienforscher,<br />

Darmstadt 1995.<br />

21 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 19.<br />

22 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> für das Rechnungsjahr 1903, <strong>Hanau</strong><br />

o. J., S. 56.<br />

23 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C3 355 Acta Personalia. Betr.: den Bureau-Assistenten<br />

Langenhagen 1889-1917.<br />

24 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C3 424 Acta Personalia. Betr.: Hauptkassen-Rendant<br />

Friedrich August Klaere 1872 1941.<br />

25 H. Deppisch, W. Meisinger , Vom Stand zum Amt. Der materielle<br />

und soziale Emanzipationsprozeß der Elementarlehrer in Preußen,<br />

Wiesbaden 1992, S. 256.<br />

26 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C3 424 Acta Personalia. Betr.: Hauptkassen-Rendant<br />

Friedrich August Klaere 1872 1941.<br />

27 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C3 287 Acta Personalia. Betr.: den <strong>Sparkasse</strong>n-Controleur<br />

Carl Eilber 1889-1920.<br />

28 Kinzig-Wacht vom 1.8.1941. Die Kasse macht ihren Weg und 125<br />

Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 19.<br />

29 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 16.<br />

30 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> für das Rechnungsjahre 1911-1919,<br />

<strong>Hanau</strong> o. J., S. 46.<br />

31 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 16, und<br />

Kinzig-Wacht vom 1.8.1941. Die Kasse macht ihren Weg.<br />

32 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> für das Rechnungsjahre 1911-1919,<br />

<strong>Hanau</strong> o. J., S. 46.<br />

33 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 20.<br />

34 Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten<br />

der Stadt <strong>Hanau</strong> für das Rechnungsjahre 1911-1919,<br />

<strong>Hanau</strong> o. J., S. 46.<br />

35 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 20.<br />

36 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 21.<br />

37 <strong>Hanau</strong>er Anzeiger vom 22.7.1961, Personenkartei Stadtarchiv <strong>Hanau</strong><br />

und<br />

38 Kinzig-Wacht vom 1.8.1941. Die Kasse macht ihren Weg.<br />

39 Kinzig-Wacht vom 4.8.1941. Feierstunde der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>.<br />

40 M. Häfner, Verwaltungszentrum und Notquartier. Kesselstadt in<br />

den Jahren des Wiederaufbaus (1945-1958), in: stadtzeit 7. 950 Jahre<br />

Ersterwähnung Kesselstadt, <strong>Hanau</strong> 2009, S. 176 ff.<br />

41 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 21.<br />

42 Siehe dazu den Zeitzeugenbericht von Margot Leitz „<strong>Sparkasse</strong>nzentrale<br />

Kesselstadt“ in diesem Band.<br />

43 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 4.<br />

44 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C5 13 Aufbau der Banken 1945.<br />

45 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C5 13 Aufbau der Banken 1945.<br />

46 Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Gutachten vom<br />

14.3.1949.<br />

47 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 4.<br />

48 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 3.<br />

49 Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Gutachten vom<br />

14.3.1949.<br />

50 Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Schreiben vom<br />

9.3.1948.<br />

51 Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden: 507-5499 Gutachten vom<br />

14.3.1949.<br />

52 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 23.<br />

53 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1955, S. 7.<br />

54 Stadtarchiv <strong>Hanau</strong>: C5 13 Aufbau der Banken 1945.<br />

55 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 3.<br />

56 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 3 f.<br />

57 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 6.<br />

58 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952,<br />

S. 12.<br />

59 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1955, S. 9.<br />

60 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1966, S. 13.<br />

61 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1967, S. 7, 11 und 13.<br />

62 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1975, S. 16.<br />

63 Siehe dazu den Zeitzeugenbericht von Heinz Riener „Wandel der<br />

Unternehmensphilosophie“ in diesem Band.<br />

64 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 43.<br />

65 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1985, S. 8.<br />

66 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1970, S. 8 ff., und Geschäftsbericht für das Jahr 1985, S.<br />

7 f.<br />

67 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1985, S. 4.<br />

68 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1990, S. 6.<br />

69 Siehe dazu die Geschäftsberichte der Jahre 1949/1952, 1955, 1966<br />

und 1985.<br />

70 125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, S. 24.<br />

71 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1966, S. 19.<br />

72 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1975, S. 15.<br />

73 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1985, S. 13.<br />

74 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1985, S. 16 und 19.<br />

75 Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Bericht über die Geschäftsjahre 1949/1952.<br />

76 Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Geschäftsbericht für<br />

das Jahr 1990 S. 8 ff.<br />

158 159


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Werner Kurz<br />

Der Deutsche Krieg von 1866 ging für Kurhessen schlecht<br />

aus: Preußen hatte das Land besetzt und sich mit einem Gesetz<br />

vom 23. September 1866 den Kurstaat kurzerhand einverleibt.<br />

An den inneren Strukturen der nun preußischen Provinz<br />

änderte sich zunächst wenig, für den Landkreis <strong>Hanau</strong> war <strong>als</strong><br />

obere Verwaltungsinstanz der Oberpräsident in Kassel zuständig.<br />

Im Verlauf der nun einsetzenden preußischen Reformen<br />

kam es dann zu verschiedenen, jedoch eher marginalen Gebietsveränderungen<br />

des Landkreises.<br />

Doch Preußen setzte im ehemaligen Kurhessen auch neue<br />

administrative Strukturen durch, die das Königreich in seinen<br />

eigenen Landen bereits eingeführt hatte. Schon 1834 gab<br />

es in Preußen ein „Sparcassen-Reglement“. Durch Erlass vom<br />

14. Juli 1854 forderte dann die preußische Regierung sämtliche<br />

Landkreise des Königreichs auf, kommunale <strong>Sparkasse</strong>n<br />

zu gründen. Dieser Erlass, in dem sich soziale und ökonomische<br />

Komponenten vereinen, wurde 1866 auch für die<br />

neu hinzuerworbenen hessischen Gebiete verbindlich. Zum<br />

einen sollten damit <strong>Sparkasse</strong>n auch auf dem flachen Lande<br />

breiteren Bevölkerungsschichten die Inanspruchnahme von<br />

„Finanzdienstleistungen“ ermöglichen, was freilich zu dieser<br />

Zeit nur bedeuten konnte, die Spargroschen der kleinen Leute<br />

sicher und gegen Zins auch in kleinen Summen anzulegen<br />

sowie kleinere Ausleihungen zu tätigen. Zum andern zielte der<br />

Erlass auch darauf ab, die wachsende Wirtschaftskraft der Industriearbeiterschaft<br />

zu kanalisieren. Politisch wertete der Erlass<br />

die Landkreise gegenüber den Städten auf, in denen sich<br />

bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts <strong>Sparkasse</strong>n etabliert<br />

hatten.<br />

Orts- und Krankensparkassen<br />

Schon in den 1850er- und 1860er-Jahren war es im Kurfürstentum<br />

Hessen an vielen, auch kleinen Orten zur Gründung<br />

von Ortssparkassen gekommen. Sie waren auf die jeweilige<br />

Gemeinde beschränkt und nach unterschiedlichen Modellen<br />

organisiert. Die Beschränkung auf einen Ort ging meist mit<br />

einem sehr geringen Geschäftsvolumen einher. Ihre Grün-<br />

Die beiden 1863 und 1865 gegründeten Ortssparkassen in Großkrotzenburg fungierten <strong>als</strong> „Krankenkassen“, <strong>als</strong>o <strong>als</strong> Ersparniskassen für die arbeitende<br />

Bevölkerung im Krankheitsfall.<br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

160 161


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

dung liegt vielerorts im Dunkeln, die Führung der Geschäfte<br />

erfolgte wohl auch durchweg nebenamtlich. Beispielsweise<br />

konnten selbst wenige Jahre nach der Gründung zweier <strong>Sparkasse</strong>n<br />

in Großauheim (1862 und 1864) die Vorstände auf eine<br />

entsprechende Anfrage der Regierung 1866 keine erschöpfende<br />

Auskunft über die beiden Einrichtungen geben.<br />

Im Januar 1866 hatte noch die kurfürstliche Regierung in<br />

Kassel eine Erfassung aller <strong>Sparkasse</strong>n verfügt und von den<br />

Gemeinden deren statistisch differenzierte Dokumentation<br />

aller Geschäftsvorfälle zum Jahresschluss 1866 verlangt. Die<br />

zwischenzeitliche Annexion Kurhessens durch Preußen berührte<br />

dieses Unternehmen nicht, da die königlich-preußische<br />

Regierung im März 1867 den preußischen <strong>Sparkasse</strong>nerlass<br />

von 1854 auf Hessen ausweitete und nun ihrerseits von den<br />

Gemeinden eine entsprechende Statistik einforderte. Wir verfügen<br />

<strong>als</strong>o für das Geschäftsjahr 1866 über ein recht genaues<br />

Bild der <strong>Sparkasse</strong>naktivitäten im Landkreis.<br />

Auffällig ist dabei, dass zu dieser Zeit die <strong>Sparkasse</strong> in <strong>Hanau</strong><br />

bereits 25 Jahre „professionell“ tätig war, die meisten Gemeindesparkassen<br />

indes „ehrenamtlich“ geführt wurden. Der<br />

Geschäftsbetrieb wurde stundenweise meist in Privatwohnungen<br />

oder in Wirtshäusern, so im „Stern“ in der Großauheimer<br />

Langgasse, abgewickelt. Bemerkenswert ist auch, dass einige<br />

Ersparnisanstalten ausdrücklich <strong>als</strong> „Krankenkassen“ bezeichnet<br />

werden. Es ging dabei um die Vorsorge im Krankheitsfall<br />

durch eigene Sparleistung. Beispielsweise wurde 1859<br />

die erste von zwei solcher Krankenkassen in Großkrotzenburg<br />

gegründet. Die laut Statut kleinstmögliche Sparleistung betrug<br />

vier, die höchste sechs Kreuzer pro Woche, die Geschäftsstunden<br />

fanden „im Anschluss an den Gottesdienst“ statt. Dass<br />

Geschäftsstunden auch, wie beispielsweise in Kilianstädten,<br />

„Samstagsabends“ stattfanden, lässt Schlüsse auf das damalige<br />

Alltagsleben zu.<br />

Die Konditionen waren durchgehend ähnlich, so wurde ein<br />

Guthabenzins von 2 ½ bis drei Prozent gewährt. Die Ausleihe<br />

wurde differenzierter vorgenommen, wozu die Kunden einer<br />

Klassifikation nach Stand (nicht nach Bonität) in acht Klassen<br />

unterzogen wurden.<br />

I. Nicht selbständige Arbeiter (<strong>als</strong>o Gesellen, Gewerbsgehilfen<br />

etc. etc. sowie deren Angehörige).<br />

II. Selbständige Gewerbe- und Handeltreibende.<br />

III. Dienstboten und persönliche Dienste leistende (<strong>als</strong>o auch<br />

Taglöhner) und deren Angehörige.<br />

IV. Mit festem Gehalt angestellt Staatsdiener, Diener<br />

öffentlicher Anstalten, Eisenbahnen, industriellen<br />

Eta blissements etc.<br />

V. Den Wissenschaften und Künsten Obliegende und deren<br />

Angehörige.<br />

VI. Militärpersonen und deren Angehörige.<br />

VII. Gesellschaften und Corporationen (einschließlich Pfarreien,<br />

Schulstellen etc.)<br />

VIII. Personen ohne Beruf und Berufsangabe<br />

In den Statuten finden sich mancherorts auch genossenschaftliche<br />

Elemente, wie in Wachenbuchen, wo es heißt: „Die<br />

Mitglieder haben gleichen Antheil am Vermögen der Kasse.“ Gleiches<br />

gilt für den „Vorschußverein“ in der Stadt Bockenheim. Es<br />

handelte sich dabei um eine genossenschaftlich organisierte<br />

„<strong>Sparkasse</strong>“, deren Vorstand 1867 ein Gesuch auf Anerkennung<br />

nach dem preußischen <strong>Sparkasse</strong>ngesetz einreichte. Die<br />

Regierung verwies daraufhin am 27. September 1867 auf die<br />

„privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaften“,<br />

stellte es aber dem Vorstand anheim, das Institut<br />

nach den Maßgaben des <strong>Sparkasse</strong>ngesetzes zu führen. Dies<br />

wurde dann wohl auch so gehandhabt, denn seit 1868 tritt das<br />

Institut <strong>als</strong> „Spar- und Leihkassenverein“ auf. Damit sollte der<br />

Bockenheimer <strong>Sparkasse</strong> eine besondere Rolle zufallen.<br />

Der Landkreis <strong>Hanau</strong> verlor 1886 nämlich im Zuge der<br />

preußischen Landkreisreform zahlreiche hanauische Dörfer<br />

in der Peripherie Frankfurts an den neu gegründeten Landkreis<br />

Frankfurt. Es waren dies unter anderen Berkersheim,<br />

Preungesheim, Seckbach, Ginnheim, Praunheim sowie die<br />

Stadt Bockenheim. Mit der Auflösung des Landkreises Frankfurt<br />

1895 wurden all diese Orte Stadtteile von Frankfurt. Die<br />

aus dem „Vorschußverein“ hervorgegangene <strong>Sparkasse</strong> Bockenheim<br />

spielte dabei insofern eine besondere Rolle, <strong>als</strong> aus ihr die<br />

Stadtsparkasse Frankfurt hervorging. Damit bekam Ende des<br />

19. Jahrhunderts Frankfurt neben der privaten, der Polytechnischen<br />

Gesellschaft gehörenden „Frankfurter <strong>Sparkasse</strong> von<br />

1822“, eine weitere, nun „öffentliche“ <strong>Sparkasse</strong>.<br />

In den oben beschriebenen Ortssparkassen der Jahrhundertmitte<br />

betrugen die Spareinlagen meist nur wenige Hundert<br />

Gulden, eine Ausnahme macht hier die <strong>Sparkasse</strong> Bergen<br />

mit knapp 10.000 Gulden, aber auch die Kassen der übrigen<br />

heutigen Frankfurter Stadtteile hatten alle Einlagen im vierstelligen<br />

Bereich zu verzeichnen. Dies ist damit zu erklären,<br />

dass diese Orte nahe an Frankfurt nicht nur sehr starke Bevölkerungszuwächse<br />

zu verzeichnen hatten, sondern dass es auch<br />

ein deutliches Wohlstands- und Verdienstgefälle hinaus ins<br />

„flache Land“ gab. Zwar beschäftigten die <strong>Hanau</strong>er Manufakturen<br />

in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch Arbeitskräfte<br />

aus den umliegenden Dörfern, jedoch setzte die Industrialisierung<br />

in Frankfurt früher ein. Viele heute bevölkerungsstarke<br />

Orte waren vor 150 Jahren noch echte Dörfer. Erst die Verbesserung<br />

der Verkehrsinfrastruktur, die mit dem Fortschreiten<br />

der Industrialisierung gegen Ende des Jahrhunderts das<br />

<strong>Hanau</strong>er Umland mit mehreren Eisenbahnlinien erschloss,<br />

veränderte dann auch die Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur<br />

auf dem Land.<br />

Einige Beispiele mögen diese Veränderungen in der Zahl<br />

der „ortsanwesenden Bevölkerung“ einiger Kreisorte für die<br />

Jahre zwischen 1864 und 1905 dokumentieren:<br />

Ort 1864 1905<br />

Bergen-Enkheim 2.346 4.822<br />

Bruchköbel 891 1.291<br />

Großauheim 2.075 5.336<br />

Großkrotzenburg 1.004 1.826<br />

Kilianstädten 1.050 1.344<br />

Langendiebach 1.414 2.116<br />

Langenselbold 2.755 4.951<br />

Marköbel 1093 1310<br />

Niederdorfelden 678 850<br />

Niederrodenbach 827 1.395<br />

Dörnigheim 962 1.875<br />

Rückingen 1.021 1.349<br />

Oberissigheim 353 453<br />

Ostheim 1.066 1.306<br />

Ravolzhausen 608 907<br />

Wachenbuchen 775 1.129<br />

Windecken 1.562 1.657<br />

Der für das Jahr 1866 erstellten Statistik der Ortssparkassen<br />

entnehmen wir, dass es im Landkreis <strong>Hanau</strong> an folgenden Orten<br />

<strong>Sparkasse</strong>n gab (Gründungsjahr in Klammern):<br />

Eckenheim (1858), Ginnheim (1858), Langenselbold (1858),<br />

Niederdorfelden (1858), Praunheim (1858), Wachenbuchen<br />

(1858), Eschersheim (1859), Preungesheim (1859), Großkrotzenburg<br />

(zwei Krankensparkassen 1859/1863), Bergen (1862),<br />

Fechenheim (1862), Großauheim (1862/1864), Langendiebach<br />

(1862), Kilianstädten (1863), Dörnigheim (1864), Bruchköbel<br />

(1865), Kesselstadt (1865), Ostheim (1865), Rückingen (1865),<br />

und Seckbach (1865).<br />

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Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Ortssparkassen aus kurhessischer Zeit arbeiteten nach den unterschiedlichsten Modellen. Die Satzung der 1858 gegründeten örtlichen <strong>Sparkasse</strong> in<br />

Wachenbuchen beispielsweise beinhaltete starke genossenschaftliche Elemente. <br />

Hessisches Staatsarchiv Marburg<br />

Die Ortssparkasse Oberissigheim war 1866 bereits wieder<br />

aufgelöst worden.<br />

Es waren dies wohlgemerkt nur örtlich aktive und in ihrem<br />

Wirkungskreis begrenzte, von der Finanzkraft her höchst<br />

unterschiedliche Gebilde. Gerade Letzteres ließ eine kontinuierliche<br />

Geschäftstätigkeit in vielen Fällen nicht zu, sodass<br />

es sich oft um recht kurzlebige Einrichtungen handelte. Die<br />

preußische Vorstellung von einer kommunalen, an eine Gebietskörperschaft<br />

gebundene <strong>Sparkasse</strong> fand indes im Kinzigtal<br />

trotz einer ansonsten effektiven Landesverwaltung keine<br />

rasche Wirkung. Erst gut drei Jahrzehnte nach der preußischen<br />

Annexion kam es im Landkreis <strong>Hanau</strong> zur Gründung<br />

der Kreissparkasse. Die Ursachen dieser Verzögerung sind<br />

nicht mehr nachzuvollziehen. In Gelnhausen und Schlüchtern,<br />

den beiden anderen Landkreisen im Kinzigtal, war man<br />

etwas schneller: 1878 und 1881 wurden in Gelnhausen und<br />

Schlüchtern Kreissparkassen gegründet.<br />

Landkreis <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> Nachzügler<br />

In <strong>Hanau</strong> dauerte es bis 1899. In seiner Sitzung am 18. August<br />

1898 beschloss der Kreistag die Statuten der Kreissparkasse.<br />

Paragraf 1 definiert unter der Überschrift „Zweck der<br />

Anstalt“: „Die Kreissparkasse hat den Angehörigen des Landkreises<br />

<strong>Hanau</strong> Gelegenheit zu geben, ihre Ersparnisse sicher und<br />

zinsbringend anzulegen und Darlehen gegen genügend Sicherheit<br />

und mäßigen Zins zu erlangen.“ Als Sitz der Kasse wurde <strong>Hanau</strong><br />

festgelegt. Die offizielle Bezeichnung lautete: „Kreissparkasse<br />

des Landkreises <strong>Hanau</strong>“.<br />

Ihre Stellung innerhalb der Kreisverwaltung beschreibt Paragraf<br />

3: „Die Kasse besteht <strong>als</strong> eine selbständige, von der übrigen<br />

Kreisverwaltung getrennte Anstalt, unter der Garantie des<br />

Landkreises <strong>Hanau</strong>. Die Kassenbestände derselben dürfen mit<br />

anderen Beständen nicht vereinigt werden.“ Das Geschäftslokal<br />

befand sich unter dem Dach des Landratsamts am Paradeplatz,<br />

dem heutigen Freiheitsplatz, die Verflechtungen zwischen<br />

Kreissparkasse und Kreisverwaltung waren naturgemäß<br />

nicht nur örtlich eng, sondern auch administrativ und personell.<br />

So heißt es im Paragraf 3 weiter: „Alle Verbindlichkeiten<br />

der Kasse bilden eine Kreislast und werden, wenn zu deren Erfüllung<br />

das eigene Vermögen der Kreissparkasse jem<strong>als</strong> unzureichend<br />

sein sollte, in gleicher Weise gedeckt, wie hinsichtlich der sonstigen<br />

Kreislasten verordnet ist oder noch verordnet wird.“ Damit war<br />

die Garantie des Landkreises für die Kreissparkasse <strong>als</strong> Gewährträger<br />

festgeschrieben.<br />

Der Kreissparkasse stand eine Kreiskommission vor, die<br />

laut Satzung „Vorstand der Kreissparkasse“ benannt wurde<br />

und die der Aufsicht des Kreisausschusses und der Oberaufsicht<br />

der Staatsbehörden unterstand. Der Vorstand setzte sich<br />

aus dem Landrat sowie zwei Beisitzern zusammen und wurde<br />

vom Kreistag auf jeweils sechs Jahre gewählt. „Der Vorstand<br />

vertritt die Kasse bei allen gerichtlichen und außergerichtlichen<br />

Geschäften“, heißt es im Statut weiter. Jedoch war es nach der<br />

Satzung möglich, dass „insbesonders gewisse häufig wiederkehrende<br />

Rechtshandlungen … einem anderen Mitglied des Vorstandes<br />

oder einem anderen Beamten der Kasse … übertragen<br />

werden“. Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche die Kreissparkasse<br />

verpflichteten, mussten vom Landrat und von zwei<br />

Vorstandsmitgliedern unterschrieben und mit dem Siegel des<br />

Landrats versehen werden. Auch hier zeigt sich die enge Verzahnung<br />

der Verwaltung mit der <strong>Sparkasse</strong>.<br />

Für die Besorgung der Kassengeschäfte wurde ein<br />

Hauptrendant bestellt, dem weitgehende Befugnisse zugestanden<br />

wurden. So konnte er laut Satzung „rückständig Zinsen<br />

und Abträge auch nöthigenfalls auch sonstige Forderungen selbst<br />

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Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

namens der Kasse einklagen, Zwangsvollstreckungen erwirken,<br />

und sich für solche Geschäfte besondere Bevollmächtigte substituieren“.<br />

Die Satzung wurde vom Vorsitzenden des Kreistags, Landrat<br />

Bernhard Wilhelm Albrecht von Schenk, unterzeichnet,<br />

die Genehmigung erteilte der Oberpräsident in Kassel am 6.<br />

Oktober 1898. Am 2. Januar 1899 eröffnete die Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> ihren Geschäftsbetrieb in einem Raum am <strong>Hanau</strong>er<br />

Paradeplatz.<br />

Der erste Rendant war Direktor Friedrich Caspary, der dieses<br />

Amt bis in das Jahr 1925 versah. Die Vorstandsmitglieder<br />

waren neben dem Landrat von Schenk der Sekretär des<br />

Kreisausschusses, Roese, aus <strong>Hanau</strong> und Bürgermeister Grün<br />

aus Großauheim. Roeses Nachfolger wurde jedoch schon bald<br />

Bürgermeister Geibel aus Kesselstadt, ebenso 1902 übernahm<br />

der neue Landrat Dr. von Beckerath den Vorsitz des Vorstands.<br />

Am 5. Januar 1900 erlangte die Kreissparkasse durch<br />

Verfügung des Regierungspräsidiums in Kassel und des Landgerichtspräsidenten<br />

in <strong>Hanau</strong> einen wichtigen Status: Das<br />

kreiseigene Geldinstitut wurde „<strong>als</strong> geeignet für die Anlegung<br />

von Mündelgeldern“, erklärt, durfte <strong>als</strong>o treuhänderisch Mittel<br />

für Unmündige verwalten.<br />

Umzug ins neue Landratsamt<br />

Der Ausweitung des Geschäftsumfangs folgte <strong>als</strong>bald auch<br />

eine räumliche Verbesserung. Im Jahre 1903 erhielt die Kreissparkasse<br />

eigene Räumlichkeiten im neu erbauten Landratsamt,<br />

das der Kreis an der Hainstraße hatte errichten lassen.<br />

Die Kreissparkasse verfügte dort über einen Kassenraum<br />

mit einem eingebauten Tresor, über verschiedene Büroräume<br />

und über ein Sitzungszimmer. Dass mit der Gründung<br />

einer kreiseigenen <strong>Sparkasse</strong> offensichtlich eine Marktlücke<br />

geschlossen werden konnte, zeigt die Geschäftsentwicklung.<br />

Standen im ersten Geschäftsjahr 1899 neben Spareinlagen von<br />

498.000 Mark Ausleihungen von Hypotheken und Darlehen<br />

von 369.000 Mark zu Buche, so waren es im darauffolgenden<br />

Jahr bereits 1.170.000 Mark an Spargeldern und 906.000<br />

Mark an Forderungen an Kunden. Diese positive Entwicklung<br />

hielt an: Bis zum Jahr 1913 steigerte sich der Bestand an<br />

Einlagen bis auf 10,5 Millionen, die ausgeliehenen Gelder betrugen<br />

9,17 Millionen. Waren am Ende des Jahres 1899 erst<br />

612 Sparbücher ausgestellt worden, so betrug Ende 1913 deren<br />

Zahl 9.266.<br />

Im Jahre 1909 wurde Freiherr Laur von Münchhofen Landrat<br />

in <strong>Hanau</strong> und Vorsitzender des Vorstands. Zur Ausweitung<br />

des Angebots an Dienstleistungen nahm die Kreissparkasse<br />

im gleichen Jahr den Kontokorrentverkehr auf und<br />

schloss sich 1912 dem Postscheck- und Reichsbankgiroverkehr<br />

an. An Zinsen wurden in den ersten 15 Jahren des Bestehens<br />

2.866.000 Mark ausgeschüttet. Dabei ist bemerkenswert, dass<br />

die Höhe des Zinsfußes in der Satzung in einer bestimmten<br />

Bandbreite festgeschrieben war. So lautet Paragraf 15: „Die<br />

Einlagen werden von 1 Mark an mit 3¾ % pro Jahr verzinst.<br />

Dem Kreistag steht jedoch das Recht zu, nach mindestens 3 Monate<br />

vorher erlassener Bekanntmachung den Zinsfuß auf bis zu<br />

2½ % herabzusetzen oder auf bis zu 5 % zu erhöhen. Jede Veränderung<br />

des Zinsfußes ist unter Angabe des Zeitpunktes, zu welchem<br />

sie in Kraft treten soll, bekannt zu machen.“<br />

Im Falle der Herabsetzung des Zinsfußes musste der Zeitraum<br />

bis zum Inkrafttreten für bestehende Einlagen jedoch<br />

mindestens drei Monate betragen. Es waren dies Regulierungen,<br />

die unter heutigen globalen Marktgegebenheiten nicht<br />

praktikabel wären. Immerhin enthält auch die am 16. Dezember<br />

1922 revidierte und vom Oberpräsidenten in Kassel genehmigte<br />

Satzung noch eine solche Einschränkung. Sie gibt<br />

jedoch der <strong>Sparkasse</strong> mehr Spielraum: „Soll der Zinsfuß unter<br />

2½ % herabgesetzt oder über 4 % erhöht werden, so bedarf es der<br />

Zustimmung des Kreisausschusses.“<br />

Expansion im Kreisgebiet<br />

Bereits in der Satzung des Jahres 1898 wird im Paragraf 2<br />

festgestellt: Die Kreissparkasse kann „zur Erleichterung des<br />

Geschäftsverkehrs … an geeigneten Orten des Kreises Annahmestellen<br />

errichten“. Durch die rasche Entwicklung des Geschäftsvolumens<br />

war das bald notwendig. Sogenannte „Nebenrendanturen“<br />

wurden in Bergen, Bruchköbel, Fechenheim,<br />

Hochstadt, Kilianstädten, Langenselbold, Marköbel, Niederdorfelden,<br />

Niederrodenbach, Ostheim, Windecken, Großauheim<br />

und in der Pulverfabrik Wolfgang eingerichtet und<br />

nebenamtlich, überwiegend in den Privaträumen der Rendanten,<br />

betrieben. Damit verfügte die Kreissparkasse bereits in<br />

ihrer Frühzeit über ein nahezu den gesamten Landkreis abdeckendes<br />

Servicenetz.<br />

Manche Vorschriften aus der Gründungszeit der Kreissparkasse<br />

erscheinen uns heute etwas kurios: Im ersten Rechnungsbuch<br />

für das Jahr 1899 etwa findet sich unter der Überschrift<br />

„Dienstkaution des Rendanten“ folgende Eintragung:<br />

„Die Kaution des Rendanten Caspary, bestehend in sechstausend<br />

Mark 3½ % Preuß. Central-Bodenkredit-Pfandbriefen<br />

vom Jahre 1889, ist im Kassenschrank der Kreiskammeral-Kasse<br />

hinterlegt.“ Im Kassenbuch von 1909 ist für Caspary <strong>als</strong><br />

Dienstkaution eine „Kautionshypothek von 6000 M zugunsten<br />

des Kreiskommunalverbandes auf seinen und seiner Frau gehörigen<br />

Grundbesitz Vor der Kinzigbrücke Nr. 31“ eingetragen. Die<br />

Dienstkaution des Kontrolleurs Herrmann „... im Betrage von<br />

3000 Mark besteht in 4 % Schuldverschreibungen der Stadt Heidelberg<br />

vom Jahre 1907“. Es ist allerdings kein Fall bekannt, in<br />

Das Landratsamt an der Eugen-Kaiser-Straße in den 1920er Jahren.<br />

dem bei der <strong>Hanau</strong>er Kreissparkasse diese Sicherheiten hätten<br />

in Anspruch genommen werden müssen.<br />

Die Verlegung der Hauptstelle in das neu erbaute Landratsamt<br />

von 1903 erwies sich angesichts der Lage an der Peripherie<br />

<strong>Hanau</strong>s über die Jahre <strong>als</strong> wenig glücklich. Die Kreissparkasse<br />

beschloss deshalb, in der <strong>Hanau</strong>er Innenstadt Räume<br />

anzumieten, und eröffnete 1913 in dem Gebäude Am Markt<br />

15 eine Nebenstelle. Die Präsenz im Zentrum der Stadt wurde<br />

bereits dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> sehr wichtig empfunden und die Akten<br />

vermerken, dass in dieser Nebenstelle allein von der Eröffnung<br />

im April 1913 bis zum Jahresende 377 neue Sparbücher<br />

ausgestellt wurden. So war mit der Eröffnung der Nebenstelle<br />

am Markt ein wichtiger Schritt für eine weitere Expansion<br />

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Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

gezehrt und in Verkennung der Ursachen, nämlich des verlorenen<br />

Krieges und seiner Folgen, entzogen diese den Geldinstituten<br />

ihr Vertrauen. Im 25. Jahr ihres Bestehens eröffnete<br />

die Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> ihre Bilanz am 2. Januar 1924 mit<br />

6.611 Rentenmark. Im Jahr 1924 erfolgte auch der Beitritt der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> zum <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband.<br />

Ein Jahr später gab es dann auch einen Wechsel an der Spitgetan.<br />

Auch stellte man sich der Konkurrenz des städtischen<br />

<strong>Sparkasse</strong>ninstituts, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

befand. Krieg und Inflation brachten jedoch bald, wie im gesamten<br />

öffentlichen Leben des Deutschen Reiches, auch für<br />

die Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> einen tiefen Einschnitt. Im ersten<br />

Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte das Deutsche Reich eine<br />

kontinuierliche wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung erlebt.<br />

Bereits 1913 jedoch begann die Konjunktur zu schwächeln.<br />

Diese Tendenzen verstärkten sich Anfang 1914. In dieser kritischen<br />

wirtschaftlichen Situation brachte dann der Ausbruch<br />

des Ersten Weltkrieges einschneidende Folgen für Wirtschaft<br />

und Geldverkehr.<br />

Deutlich schlägt sich dies in den Einlagen der Kreissparkasse<br />

nieder. Nach 10,5 Millionen im Jahre 1913 betrugen sie<br />

Ende 1914 noch 10,3 Millionen und gingen bis 1916 sogar auf<br />

8,9 Millionen Mark zurück. Wie alle Geldinstitute stand auch<br />

die Kreissparkasse vor dem Problem, dass aus Furcht vor einer<br />

ungewissen Zukunft Spargelder abgezogen wurden. In <strong>Hanau</strong><br />

waren es anderthalb Millionen Mark in zweieinhalb Jahren.<br />

Dass die Statistik für 1917 schon wieder 10,2 Millionen, für<br />

1918 gar 14,6 Millionen Mark an Gesamteinlagen verzeichnete,<br />

ist jedoch eher ein Zeichen fortschreitenden Geldwertschwunds<br />

<strong>als</strong> gesteigerten Sparwillens. Die Kriegswirtschaft<br />

forderte ihren Tribut und inflationäre Tendenzen ließen die<br />

Geldmenge anschwellen. Zudem forderte die Reichsregierung<br />

dazu auf, Goldmark in Papiermark umzutauschen, was mit einem<br />

Bonus von einem Prozent auf den Nennbetrag vom Staat<br />

honoriert wurde. Auch diese seit 1916 praktizierte Maßnahme<br />

brachte es mit sich, dass die Spareinlagen stiegen. Das erhöhte<br />

Geschäftsvolumen führte bei der Kreissparkasse auch zu höheren<br />

Ausschüttungen an den Gewährträger, den Landkreis<br />

<strong>Hanau</strong>. Ihm flossen aus den Überschüssen erhebliche Beträge<br />

zu, die für gemeinnützige Zwecke verwendet wurden.<br />

Bis 1918 amtierte Freiherr Laur von Münchhofen <strong>als</strong> Landrat.<br />

Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg brachten rasche<br />

politische Veränderungen mit bisweilen undurchsichtigen<br />

Machtstrukturen. Dies zeigt sich auch im raschen Wechsel<br />

der Landräte. Ihrer drei gab es zwischen 1918 und 1922. Allerdings<br />

standen nur Carl Christian Schmid 1918 bis 1920 und<br />

Dr. Paul Voigt 1920 bis 1922 auch tatsächlich dem <strong>Sparkasse</strong>nvorstand<br />

vor. Dr. Georg Wagner, der im November 1918<br />

nach der Übernahme der Macht durch die Arbeiter- und Soldatenräte<br />

zum Landrat ausgerufen wurde, konnte diese Funktion<br />

nicht einnehmen, da der verjagte Landrat Schmid den<br />

Kreissauschuss kurzerhand nach Frankfurt verlegt hatte und<br />

von dort aus sämtliche Verwaltungsgeschäfte tätigte. Bereits<br />

am 16. Januar 1919 wurde Dr. Wagner allerdings von Landrat<br />

Schmid mit militärischer Unterstützung der Reichswehr wieder<br />

seines „Amtes“ enthoben.<br />

Am 1. Oktober 1919 wurde Dr. Paul Voigt, Verwaltungsassessor<br />

beim Landratsamt <strong>Hanau</strong>, kommissarisch und am<br />

1. April 1920 offiziell Landrat und damit Vorstandsvorsitzender<br />

der Kreissparkasse. Ihn löste 1922 Eugen Kaiser ab, der in<br />

schwieriger Zeit wieder für Kontinuität sorgte und bis zu seiner<br />

Amtsenthebung durch die Nation<strong>als</strong>ozialisten 1933 Landrat<br />

blieb.<br />

Die Folge des verlorenen Ersten Weltkrieges ist auch und<br />

gerade in der <strong>Sparkasse</strong>nbilanz abzulesen. Nicht allein die<br />

Tatsache, dass durch Ministerialerlass vom 15. April 1921 den<br />

<strong>Sparkasse</strong>n das Wertpapiergeschäft erlaubt wurde, führte zu<br />

einer Ausweitung des Geschäftsvolumens. Geldentwertung,<br />

Reparationslasten und politische Unsicherheiten ließen eine<br />

stabile wirtschaftliche Lage nicht zustande kommen. Die Inflation<br />

blähte die Bilanzsummen auf, so dass die Spalten in<br />

den Rechnungsbüchern nicht mehr ausreichten, die vielen<br />

Nullen v o r dem Komma aufzunehmen. 1923, im Jahr der<br />

Hochinflation, <strong>als</strong> der Außenwert der Mark im Verhältnis<br />

zum Dollar diesen auf 4,2 Billionen verteuert hatte, betrugen<br />

die Gesamteinlagen der Kreissparkasse die schier unvorstellbare<br />

Summe von 6.611 Billionen Mark.<br />

Mit der Rentenmark kam am 20. November 1923 das Ende<br />

der Inflation – aber auch das Ende zahlreicher Sparguthaben.<br />

Die Inflation hatte gerade die Ersparnisse der Kleinsparer auf-<br />

Die abseitige Lage der Geschäftsräume der Kreissparkasse im Landratsamt an der Hainstraße ließ schon bald nach dem Umzug dorthin Pläne reifen, eine<br />

Immobilie in der Innenstadt zu erwerben. Dies gelang 1920. Doch erst 1923 eröffnete die Kreissparkasse ihre Geschäftsräume am Marktplatz.<br />

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Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Werbung in den 1920er Jahren: Aushangplakat der Kreissparkasse.<br />

ze der Kreissparkasse. Direktor Friedrich Caspary, sozusagen<br />

Urgestein und Mann der ersten Stunde, trat am 8. März 1925<br />

in den Ruhestand, sein Nachfolger wurde Wilhelm Allner.<br />

Den Inflationsverlusten zum Trotz gelang es relativ rasch, das<br />

Vertrauen der Sparer zurückzugewinnen. Dazu trugen staatliche<br />

Maßnahmen bei, wie das Aufwertungsgesetz vom 16. Juli<br />

1925, das inflationsgeschädigte Spareinlagen mit 17% aufwertete,<br />

was die Kreissparkasse – über mehrere Jahre verteilt –<br />

aus erwirtschafteten Mitteln leisten konnte. Zudem hatte der<br />

preußische Minister für Wirtschaft, Kunst und Volksbildung<br />

am 2. September 1925 einen Erlass für das Schulsparen herausgegeben.<br />

Der Zweck war, das Vertrauen bereits der Jugend<br />

in den Spargedanken zu festigen.<br />

In der Schlussbilanz des Jahres 1924 weist die Kreissparkasse<br />

bereits wieder Gesamteinlagen von über einer Million<br />

Mark aus. Bis 1930 hatte sich die Einlagensumme auf 5,9 Millionen<br />

erhöht, womit gut die Hälfte der Vorkriegseinlage erreicht<br />

war. Doch erneut bekam das Geldinstitut zu spüren,<br />

dass „globale“ Einflüsse auch vor den Toren der Kreissparkasse<br />

nicht haltmachen: Am 24. Oktober 1929, dem „Schwarzen<br />

Freitag“, kam es zu einem gigantischen Börsenkrach in New<br />

York. Am 16. Juli 1930 erließ die Regierung Brüning die „Erste<br />

Notverordnung zur Sicherung der Wirtschaft und Finanzen“.<br />

Noch mehrere sollten folgen.<br />

Im Mai 1931 stellte die Kreditanstalt in Wien die Zahlungen<br />

ein, was erneut die Finanzmärkte beiderseits des Atlantiks<br />

erschütterte. Als dann auch noch die „Darmstädter- und Nationalbank“,<br />

die in <strong>Hanau</strong> eine Niederlassung unterhielt und<br />

dem „<strong>Hanau</strong>er Bankenverein e.V.“ angehörte, die Zahlungen<br />

einstellte, stürmten die Sparer erneut die Schalter der Geldinstitute.<br />

Mehr <strong>als</strong> eine Million Mark an Sparguthaben wurden von<br />

der Kreissparkasse abgezogen und nur eine konsequente Liquiditätspolitik<br />

verhinderte, dass das kreiseigene Geldinstitut<br />

in ernsthafte Schwierigkeiten geriet. Am Ende des Jahres<br />

1932 standen 4.966.000 Reichsmark an Einlagen im Jahresabschluss.<br />

Umzug an den Neustädter Marktplatz<br />

Der Erfolg der Nebenstelle am Marktplatz, von dem oben<br />

berichtet wurde, bestärkte die <strong>Sparkasse</strong> schon frühzeitig, sich<br />

nach einem Grundstück oder einem Gebäude in der Innenstadt<br />

umzusehen. Allerdings machte der Ausbruch des Ersten<br />

Weltkriegs die Pläne zunächst einmal zunichte. Zwar genügten<br />

die Räume im Kreishaus bei Weitem nicht den Ansprüchen<br />

des wachsenden Geschäftsaufkommens. Doch dauerte<br />

es bis 1920, ehe eine Entscheidung in dieser Frage fiel. Dafür<br />

gelang es dann aber, ein Objekt in bester Lage zu erwerben:<br />

Für die Summe von 265.000 Mark wurde das Anwesen<br />

Ecke Marktplatz und Römerstraße gekauft, wo sich der Sitz<br />

der Kreissparkasse bis zu ihrer Fusion mit der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> 1991 befand. Dieses Anwesen sollte nunmehr den Anforderungen<br />

eines modernen Geldinstituts entsprechend umgebaut<br />

werden, doch die Ereignisse der Inflationsjahre führten<br />

erneut zu Verzögerungen. Erst im Mai 1923, <strong>als</strong>o inmitten<br />

einer wirtschaftlich sehr kritischen Zeit, wurden die neuen<br />

Geschäftsräume bezogen.<br />

Nach der Überwindung der Inflation wurde auch das darniederliegende<br />

Netz der Annahmestellen wieder erweitert,<br />

um auch der Kundschaft im Kreisgebiet entgegenzukommen.<br />

1926 wurde beispielsweise die Nebenrendantur in Großauheim<br />

<strong>als</strong> Annahmestelle eröffnet. Zugleich bekam die Kreissparkasse<br />

die Gebietsreform des Jahres 1928 zu spüren. Mit<br />

Fechenheim fiel eine wichtige Kreisgemeinde an Frankfurt,<br />

was nicht nur die Wirtschaftskraft des Kreises schwächte,<br />

sondern auch dessen Steueraufkommen um ein Drittel reduzierte.<br />

Die Kreissparkasse verlor ihren dortigen Kundenkreis,<br />

denn die Annahmestelle Fechenheim wurde von der Stadtsparkasse<br />

Frankfurt übernommen. Im gleichen Jahr begann<br />

aber auch eine rasche Expansion im verbleibenden Kreisgebiet.<br />

Am 1. Juli 1928 wurde die erste hauptamtlich besetzte<br />

Hauptzweigstelle in Bergen-Enkheim eröffnet. 1929 entstanden<br />

Nebenzweigstellen in Dörnigheim, Langenselbold und<br />

Kilianstädten sowie ein Jahr später in Langendiebach. Es fällt<br />

dabei auf, dass die Ausweitung des Zweigstellennetzes gerade<br />

im Verlauf der Weltwirtschaftskrise 1929/32 stark zunahm.<br />

Die Errichtung der nächsten Nebenzweigstellen in Marköbel<br />

und in Windecken erfolgte dann erst 1935.<br />

Trotz aller Widrigkeiten des politischen und wirtschaftlichen<br />

Lebens in den 20er-Jahren, trotz Inflation, Wirtschaftskrise<br />

und unsicherer Zukunftsperspektiven hatte die Kreissparkasse<br />

in dieser Zeit eine Reihe von finanztechnischen<br />

Innovationen übernommen, die über das traditionelle Spareinlagen-,<br />

Darlehens- und Hypothekengeschäft hinausgingen.<br />

Der An- und Verkauf von Wertpapieren sowie deren<br />

Verwahrung und Verwaltung gehörten inzwischen ebenso<br />

selbstverständlich zum Geschäft wie der Scheck- und Wechselverkehr.<br />

Traditionell eine wichtige Rolle spielte der Bereich<br />

der Kommunaldarlehen. So stellte sich die Kreissparkasse im<br />

vierten Jahrzehnt ihres Bestehens <strong>als</strong> ein modernes, zeitgemäß<br />

ausgestattetes Geldinstitut dar, das auch über die notwendigen<br />

technischen Einrichtungen verfügte.<br />

Der Kreisleiter an der <strong>Sparkasse</strong>nspitze<br />

Am 20. Juli 1932 war die „Preußische <strong>Sparkasse</strong>nverordnung<br />

über die <strong>Sparkasse</strong>n sowie die kommunalen Giroverbände<br />

und Kreditinstitute“ in Kraft getreten. Am 23. September des<br />

gleichen Jahres verabschiedete die Kreissparkasse ihre neue<br />

Satzung. Mit ihr wurde sie eine Körperschaft des Öffentlichen<br />

Rechts mit dem Landkreis <strong>Hanau</strong> in unbeschränkter<br />

Gewährträgerhaftung. Den Landrat des Kreises <strong>Hanau</strong> und<br />

Vorstandvorsitzenden der Kreissparkasse Eugen Kaiser hatten<br />

170 171


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

te und somit den <strong>Sparkasse</strong>n ein weiteres Publikum erschloss.<br />

Mittels stark beworbener Innovationen wie Sparmarken,<br />

Heimsparbüchsen, Vereinssparen und ähnlichen Aktionen<br />

wurden auch kleinste Beträge eingesammelt. Die Ausweitung<br />

des Geschäftsvolumens erforderte zugleich eine Erweiterung<br />

der Geschäftsstelle am Marktplatz. Im Jahre 1937 wurde das<br />

bis dahin vermietete erste Stockwerk des <strong>Sparkasse</strong>ngebäudes<br />

mit in die Geschäftsräume der Kreissparkasse einbezogen.<br />

Die Kriegswirtschaft führte allerdings auch bei der Kreissparkasse<br />

zu Einschränkungen, besonders nach 1940. Zahlreiche<br />

Mitarbeiter wurden zur Wehrmacht eingezogen, was zu Personalengpässen<br />

und beispielsweise 1942 zur Schließung der Annahmestelle<br />

Großauheim führte.<br />

Das Ende des Hitlerregimes ist bekannt. <strong>Hanau</strong> hatte darunter<br />

besonders zu leiden. Vor allem der alliierte Luftkrieg<br />

gegen die Zivilbevölkerung machte der Stadt schwer zu schaffen.<br />

Mehrere Bombenangriffe im Laufe des Jahres 1944 führten<br />

zu erheblichen Schäden. Am 12. Dezember wurde die<br />

Hauptstelle der Kreissparkasse am Markt schwer getroffen.<br />

Der Geschäftsbetrieb ließ sich nicht mehr aufrechterhalten,<br />

und so ging man auf ein Hilfsangebot der Stadtsparkasse ein<br />

und wickelte den Publikumsverkehr in deren Räumen ab,<br />

ehe man am 21. Dezember im Landratsamt provisorisch die<br />

Schalter wieder eröffnete.<br />

Dann kam der 19. März 1945, an dem das alte <strong>Hanau</strong> in<br />

Schutt und Asche fiel. Nicht nur das Landratsamt wurde bei<br />

dem Bombardement in den frühen Morgenstunden zerstört,<br />

auch das <strong>Sparkasse</strong>ngebäude am Marktplatz wurde nun vollends<br />

zerstört. Allein die Tresoranlage überstand den Bombenhagel<br />

nahezu unbeschadet. Bei den Bombenangriffen gingen<br />

zahlreiche Akten und Archivalien verloren.<br />

Auslagerung ins Kurhaus Wilhelmsbad<br />

Bereits drei Wochen nach dem verheerenden Angriff vom<br />

19. März war die Kreissparkasse wieder für ihre Kunden geöffnet,<br />

sofern sie sich noch in der zu über 80 Prozent zerstörten<br />

Stadt befanden. Man war vorübergehend im Gebäude der<br />

Der alliierte Bombenkrieg gegen die deutschen Städte traf auch <strong>Hanau</strong>, zuletzt am 19. März 1945. Mehrere Angriffe vorher hatten bereits schwere Schäden<br />

verursacht. Am 12. Dezember 1944 wurde das Gebäude der Kreissparkasse am Neustädter Markt schwer beschädigt, so dass ein geordneter Geschäftsbetrieb<br />

nicht mehr möglich war.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

die Nation<strong>als</strong>ozialisten am 9. März 1933 zwangsweise in den<br />

einstweiligen Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger auf dem<br />

Stuhl des Landrats und damit auch in der Funktion des <strong>Sparkasse</strong>nvorstandsvorsitzenden<br />

wurde NSDAP-Kreisleiter Friedrich<br />

Wilhelm Löser. Er blieb bis zum 28. März 1945 im Amt.<br />

Am 25. April 1933 gab es einen weiteren Wechsel in der Führung<br />

der Kreissparkasse. Wilhelm Allner löste Direktor Karl<br />

Breitenstein ab.<br />

Die Machtübernahme der Nation<strong>als</strong>ozialisten im Jahre<br />

1933 führte <strong>als</strong>bald zu einschneidenden, wirtschaftlichen Veränderungen.<br />

Der zunächst verdeckte, dann aber immer mehr<br />

forcierte Übergang zur Rüstungs- und Kriegswirtschaft führte<br />

zwangsläufig zu einer Einschränkung des privaten Sektors<br />

und zu einer höheren Sparquote. Dies ist deutlich an der Entwicklung<br />

der Einlagen zu erkennen, die sich von 1933 mit 5,2<br />

Millionen Reichsmark bis 1944 auf 51,4 Millionen Reichsmark<br />

verzehnfachten.<br />

Mit zu der höheren Sparneigung trug aber auch das am<br />

1. Januar 1935 in Kraft getretene Gesetz über das Kreditwesen<br />

(KWG) bei, welches in gewisser Weise Kleinsparer bevorzug-<br />

Mit einer Feierstunde (Bild rechts) und unter behelfsmäßigen Bedingungen (Bild links: die Baracke am Landratsamt) beging die Kreissparkasse 1949 ihr<br />

50-jähriges Bestehen.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

172 173


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Wiederaufbau der Kreissparkasse am Markt.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Landeszentralbank in der Nußallee untergekommen, ehe am<br />

9. April im Kurhaus Wilhelmsbad eine behelfsmäßige Schalterhalle<br />

eingerichtet wurde.<br />

Direktor Karl Breitenstein schied am 30. Mai 1945 aus<br />

den Diensten der Kreissparkasse aus. Sein Nachfolger wurde,<br />

mit einigen Wochen Verzögerung, am 1. August Ludwig<br />

Lilienfeld. Als jüdischer Mitbürger erlitt er im Dritten Reich<br />

eine längere Haft in verschiedenen Konzentrationslagern und<br />

wurde schließlich in das Ghetto Theresienstadt deportiert,<br />

aus dem er 1945 befreit wurde. Ludwig Lilienfeld war ein angesehener<br />

Rückinger Bürger, der vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

im <strong>Hanau</strong>er Bankhaus Gebrüder Stern tätig war, ehe dieses<br />

1935, wie alle jüdischen Geldinstitute, geschlossen wurde. Allerdings<br />

starb Lilienfeld überraschend am 18. Juli 1947. Am<br />

19. Juli übernahm der stellvertretende <strong>Sparkasse</strong>nleiter Albert<br />

Grün die Leitung des Geldinstituts.<br />

Am 31. Mai 1945 wurde Wilhelm Voller von der amerikanischen<br />

Militärregierung in <strong>Hanau</strong> mit der Leitung der Kreisverwaltung<br />

beauftragt. Am 29. Mai 1948 wurde er <strong>als</strong> Landrat<br />

bestätigt und stand somit auch an der Spitze des Vorstands<br />

der Kreissparkasse, dies bis zu seiner Pensionierung 1966.<br />

Schon Ende 1945 war die Kreissparkasse von Wilhelmsbad<br />

nach <strong>Hanau</strong> zurückgekehrt. Neben dem zerstörten Landratsamt<br />

wurde eine Baracke errichtet, in welcher der Betrieb in<br />

drei Räumen aufgenommen werden konnte. Ungeachtet des<br />

darniederliegenden öffentlichen Lebens brachte die Bilanz am<br />

Ende des Jahres 1945 mit 54,7 Millionen Reichsmark an Einlagen<br />

eine deutliche Steigerung gegenüber 1944. Im darauffolgenden<br />

Jahr 1946 war ein weiterer Anstieg auf knapp 60<br />

Millionen zu verzeichnen.<br />

Trotz Schwarzmarktes und wirtschaftlicher Agonie war<br />

offensichtlich genügend flüssiges Geld vorhanden, was den<br />

Sparkonten zugutekam. Nach einem Rückgang um vier Millionen<br />

im Jahre 1947 erreichten die Gesamteinlagen zum Stich-<br />

Landrat Wilh.Voller bei der Einweihung 1951.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Der Wiederaufbau der Kreissparkasse an der alten Stelle, der Ecke Marktplatz und Römerstraße wurde 1951 vollendet. <br />

tag 20. Juni 1948 noch einmal die Summe von 60,5 Millionen<br />

Reichsmark. An diesem Tag kam die Währungsreform und<br />

mit ihr erneut ein wesentlicher Einschnitt für die Deutschen.<br />

Mit dem amerikanischen Militärgesetz Nr. 60 vom 1. März<br />

1948 trat die „Bank Deutscher Länder“ ins Leben. Mit dieser<br />

Nachfolgeeinrichtung der Reichsbank war eine wesentliche<br />

Voraussetzung für eine Währungsreform geschaffen. Prof.<br />

Ludwig Erhard, der spätere Bundeskanzler und „Baumeister<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

des Wirtschaftswunders“, war Direktor ihres Verwaltungsrats.<br />

Am 3. April verabschiedete der amerikanische Kongress den<br />

Marshall-Plan, der durch massive Dollarinvestitionen der darniederliegenden<br />

europäischen Wirtschaft neue Impulse gab.<br />

Am 18. Juni 1948 um 20.15 Uhr meldete Radio Frankfurt,<br />

die Währungsreform stünde unmittelbar bevor. Gleichzeitig<br />

wurden die Vorschriften zur Anmeldung von Reichsmarkbesitz<br />

in Kraft gesetzt. Das alliierte Militärgesetz Nr. 61, zum<br />

174 175


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Am 19. März 1951, dem 6. Jahrestag<br />

der Zerstörung <strong>Hanau</strong>s, wurde<br />

die „neue“ Kreissparkasse an alter<br />

Stelle eingeweiht.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Ganz im Stil der Zeit: Blick in die<br />

Schalterhalle der neu errichteten<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> am Neustädter<br />

Markplatz.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Zweck der „Neuordnung des Geldwesens“ erlassen, war die<br />

Grundlage dafür. Diese Gesetz trat am 20. Juni in Kraft.<br />

Vom 21. bis 26. Juni 12 Uhr mussten nun die Altgeldbestände<br />

bei den Geldinstituten gemeldet werden. Am 27. Juni<br />

trat das Umstellungsgesetz in Kraft und am Montag, dem 28.<br />

Juni, begann die Ausgabe der neuen, harten Deutschen Mark.<br />

Die alten Reichsmarkguthaben unterlagen einer Abwertung<br />

von 10:1 und die einmalige „Kopfprämie“ betrug zunächst 40<br />

D-Mark. Die Verwirklichung der Währungsreform unter genauer<br />

Beachtung der von der Militärregierung erlassenen Gesetze,<br />

zudem unter massiver materieller wie auch sachlicher<br />

Einschränkung, erforderte einen unvorstellbaren Verwaltungsaufwand.<br />

Die Kreissparkasse wickelte die Währungsumstellung unter<br />

großen Schwierigkeiten, aber dennoch reibungslos in der<br />

Baracke am Landratsamt ab. Beeindruckende Bilddokumente<br />

aus diesen Tagen sind in der <strong>Hanau</strong>er Stadtbildstelle erhalten.<br />

Währungsschnitt und Unwägbarkeiten über die Zukunft der<br />

D-Mark verunsicherten die Bürger nicht lange. Zum Ende<br />

des Jahres der Währungsumstellung konnte die Kreissparkasse<br />

bereits 1,73 Millionen D-Mark an Spareinlagen verbuchen.<br />

Zwar gab es 1949 noch einmal einen geringen Rückgang,<br />

doch 1950 wurden 2,27 Millionen, 1951 schon 2,82 Millionen<br />

und 1952 bereits 4,3 Millionen D-Mark an Spareinlagen<br />

ausgewiesen.<br />

Neubau am Marktplatz<br />

1949 konnte die Kreissparkasse ihr 50-jähriges Bestehen<br />

feiern, zwar noch in der Baracke am Landratsamt, jedoch<br />

schon ganz im Zeichen sich ausweitender Geschäfte. Diese erfreuliche<br />

Entwicklung war mit einem expansiven Geschäftsaufkommen<br />

einhergegangen, sodass schon im Jubiläumsjahr<br />

Überlegungen angestellt wurden, wie man dem auch räumlich<br />

und ausstattungsmäßig Rechnung tragen könne. Die Kreissparkasse,<br />

seit 1. April 1949 unter der Leitung von Wilhelm<br />

Beckmann, entschied sich für den Wiederaufbau des Gebäudes<br />

an der Ecke Marktplatz und Römerstraße. Für eventuelle<br />

spätere Erweiterungen hatte man bereits die Trümmergrundstücke<br />

Römerstraße 4 und 6 erworben. Im Januar 1950 wurde<br />

der Neubau begonnen und am 19. März 1951, am 6. Jahrestag<br />

der Zerstörung <strong>Hanau</strong>s, konnte die Hauptstelle ihrer Bestimmung<br />

übergeben werden. Im Geschäftsbericht heißt es dazu<br />

nicht ohne Stolz, man habe mit der Wiedererrichtung des Gebäudes<br />

am Marktplatz „einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau<br />

der <strong>Hanau</strong>er Innenstadt“ geleistet. Beredter Spiegel des<br />

kontinuierlichen Aufwärtstrends der Kreissparkasse ist die<br />

Entwicklung der Bilanzsumme. Standen in der Eröffnungsbilanz<br />

vom 21. Juni 1948, dem Stichtag der Währungsreform,<br />

3,02 Millionen zu Buche, so wurden am 31. Dezember 1952<br />

bereits 8,25 Millionen D-Mark bilanziert. Drei Jahre später<br />

waren es 20,7 Millionen, 1960 schon 54,74 Millionen und<br />

1964 wurde mit 106,7 Millionen die 100-Millionen-Grenze<br />

überschritten. Bis 1970 erhöhte sich die Bilanzsumme schließlich<br />

auf 252 Millionen D-Mark.<br />

Einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg leistete die Kreissparkasse durch die Finanzierung<br />

von Bauvorhaben. Im Zeitraum von 1948 bis<br />

1962 entstanden über die Kreissparkasse 6.000 Wohnungen.<br />

An langlaufenden Kommunaldarlehen, die im Wesentlichen<br />

176 177


Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Ende der 1960er-Jahre fielen verschiedene politische Entscheidungen,<br />

die sowohl die Kreissparkasse <strong>als</strong> auch ihren<br />

Gewährträger, den Landkreis <strong>Hanau</strong> betrafen. Die Novellierung<br />

des Hessischen <strong>Sparkasse</strong>ngesetzes von 1968/69 veränderte<br />

die Struktur der <strong>Sparkasse</strong>n nachhaltig: Hatte bisher<br />

mit dem Landrat <strong>als</strong> Vorsitzendem ein einziges Organ an der<br />

Spitze gestanden, wurde die Leitung nun auf mehrere Schulzur<br />

Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur Verwendung<br />

fanden, vergab die Kreissparkasse im gleichen Zeitraum zehn<br />

Millionen D-Mark.<br />

Bereits 1955 wurden die Geschäftsräume in der Hauptstelle<br />

angesichts des stetig steigenden Geschäftsbetriebes zu eng, so<br />

dass Um- und Erweiterungsbauten notwendig wurden. Im<br />

gleichen Jahr wurde mit dem Erwerb des Trümmergrundstücks<br />

Am Markt 17 weitere Vorsorge für künftige bauliche<br />

Expansionen getroffen. Bis zum Ende 1952 war die Kreissparkasse<br />

in Bergen-Enkheim (Ortsteil Bergen), Dörnigheim,<br />

Langenselbold, Kilianstädten, Langendiebach und Marköbel<br />

präsent. In Windecken bestand die kuriose Situation, dass es<br />

dort aus historischen Gründen eine Filiale der Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> gab; nach der Fusion dieses Instituts mit der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> 1955 waren dann beide <strong>Sparkasse</strong>n am Ort<br />

vertreten.<br />

Bis 1962 kamen Großauheim, Enkheim, Rüdigheim, Wolfgang,<br />

Eichen, Großkrotzenburg, Bruchköbel, Niederrodenbach,<br />

Rückingen und Oberrodenbach hinzu. Der Ausbau des<br />

Zweigstellennetzes war Mitte der 60er-Jahre weitgehend abgeschlossen,<br />

nachdem noch Bischofsheim, Hochstadt, Erbstadt,<br />

Wachenbuchen, Roßdorf, Ravolzhausen und Niederdorfelden<br />

hinzugekommen waren.<br />

Seither vollzog sich jedoch ein ständiger Wandel in der äußeren<br />

Erscheinung der Zweigstellen sowie ihrer technischen<br />

Ausstattung. War der Geschäftsbetrieb bis in die 1970er-Jahre<br />

noch nebenamtlich geführt worden und bisweilen sogar in<br />

Privaträumen, wurde der <strong>Sparkasse</strong>nbetrieb nun flächendeckend<br />

„hauptamtlich“.<br />

Die weitgehende Umstellung auf hauptamtlichen Betrieb,<br />

der Wechsel von gemieteten Räumen in eigene Gebäude, die<br />

Eröffnung weiterer Zweigstellen am gleichen Ort sowie die<br />

Gestaltung eines modernen Erscheinungsbilds legen Zeugnis<br />

ab sowohl von den gestiegenen Ansprüchen der Kundschaft<br />

<strong>als</strong> auch von dem ausgeweiteten Geschäftsbetrieb.<br />

Gleichwohl bezeichnete der Vorstandsvorsitzende Manfred<br />

John (bitte beachten Sie seinen Zeitzeugenbericht in diesem<br />

Buch ab Seite 189) es später <strong>als</strong> „ein ganz eigenes Milieu“, das<br />

mit der Abschaffung der nebenamtlich geführten Filialen untergegangen<br />

sei. Solche „Geschäftsstellen“, wie sie etwa in den<br />

Orten Eichen oder Oberrodenbach noch bis in die 1970er-Jahre<br />

bestanden, seien über die Funktion <strong>als</strong> <strong>Sparkasse</strong> hinaus<br />

oft wichtige Orte der Kommunikation innerhalb der Dörfer<br />

gewesen.<br />

Zunehmende Geschäftsvolumina, steigende Personalzahlen<br />

und die gewachsenen Aufgaben der Hauptstelle am <strong>Hanau</strong>er<br />

Marktplatz ließen Ende der 60er-Jahre Pläne für einen<br />

großzügigen Neubau reifen. Die Kreissparkasse hatte, wie berichtet,<br />

durch Grundstückserwerb bereits vorgesorgt, sodass<br />

eine umfassende bauliche Lösung möglich schien. Beabsichtigt<br />

war, die Westseite des Marktplatzes mit einem mehrgeschossigen<br />

Büro- und Geschäftshaus zu bebauen, und zwar<br />

auf ihrer gesamten Länge. Erwogen wurde eine Neunzig-Meter-Front,<br />

die sich städtebaulich <strong>als</strong> Gegenpol zum gegenüberliegenden<br />

Kaufhof dargestellt hätte.<br />

Die für den Marktplatz bestehende Bausatzung sah indes<br />

keine mehr <strong>als</strong> dreigeschossige Bebauung vor. Zwar hatte man<br />

1957 für den Kaufhof und 1961 für den Neubau des Rathauses<br />

Ausnahmerecht geschaffen, doch zeigte sich der damalige<br />

Baudezernent Hans Martin wenig zuversichtlich, dass eine<br />

dritte Ausnahmegenehmigung Aussicht auf Erfolg hätte. Er<br />

beschied der Kreissparkasse im März 1969: „Da es sich hier<br />

um eine städtebauliche Maßnahme von weittragender Bedeutung<br />

handelt, geht ein solcher Bauantrag über die Kompetenzen der<br />

Bauaufsicht hinaus und kann nur durch die Stadtverordnetenversammlung<br />

entschieden werden.“<br />

Landrat Hans Rüger (links), Vorsitzender<br />

des Verwaltungsrates der<br />

Kreissparkasse, im Gespräch mit<br />

dem <strong>Hanau</strong>er Maler und Kunsterzieher<br />

Walter Kromp bei einer Vernissage<br />

in der Hauptstelle am Markt<br />

im Jahr 1980. Seit 1974 fanden<br />

dort regelmäßig Ausstellungen mit<br />

Künstlern der Region statt.<br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

Eine schnelle Verwirklichung ihrer Baupläne blieb der<br />

Kreissparkasse <strong>als</strong>o zunächst versagt. Dafür kam Anfang 1970<br />

– über die Bebauung der Marktplatzwestseite war noch immer<br />

keine Entscheidung gefallen – aus dem <strong>Hanau</strong>er Rathaus<br />

eine ganz andere Offerte. Oberbürgermeister Herbert Dröse<br />

brachte eine Fusion der Kreissparkasse mit der Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> ins Gespräch, worüber er im<br />

Januar 1970 bereits mit dem damaligen Verwaltungsratsvorsitzenden,<br />

Landrat Martin Woythal, Gespräche geführt hatte.<br />

Seine Fusionswünsche begründete Dröse <strong>als</strong> Verwaltungsratsvorsitzender<br />

der <strong>Hanau</strong>er Stadtsparkasse damit, dass das<br />

städtische <strong>Hanau</strong>er Geldinstitut ebenfalls Neubaupläne hege.<br />

Man sieht, viele Entscheidungen, die <strong>Sparkasse</strong>n betreffend,<br />

waren zu allererst auf der politischen Ebene angesiedelt. Weder<br />

die Fusion der beiden <strong>Hanau</strong>er <strong>Sparkasse</strong>n noch die Neubaupläne<br />

für die Westseite des Marktplatzes wurden indes dam<strong>als</strong><br />

verwirklicht. Für die Kreissparkasse bedeutete dies allerdings,<br />

dass sie weiter mit den räumlichen Unzulänglichkeiten in ihrer<br />

Hauptstelle auskommen musste. Das Geschäftsvolumen<br />

steigerte sich nämlich von Jahr zu Jahr.<br />

Gebietsreform: Main-Kinzig-Kreis <strong>als</strong> Gewährträger<br />

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Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Die Geschichte der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Architektur <strong>als</strong> Spiegel der Zeit: der Treppenaufgang in der Kreissparkasse<br />

am Marktplatz. <br />

Medienzentrum <strong>Hanau</strong><br />

tern verteilt: Ein Vorstand mit einem Vorstandsvorsitzenden<br />

wurde etabliert, der Gewährträger stellte ein Aufsichtsorgan,<br />

den Verwaltungsrat.<br />

Fritz Schubert und Martin Woythal waren die Landräte,<br />

die <strong>als</strong> Vorstandsvorsitzende in dieser Zeit fungierten. Ersterem<br />

war jedoch nur eine anderthalbjährige Amtszeit bis November<br />

1967 beschieden. Martin Woythal, in dessen Amtszeit<br />

dann die gesetzlichen Neuerungen griffen, amtierte bis 1974<br />

<strong>als</strong> Landrat in <strong>Hanau</strong>. Im April 1972 schied Direktor Wilhelm<br />

Beckmann aus dem Amt. Er hatte die Kreissparkasse in<br />

den entscheidenden Jahren des Wiederaufbaus und des „Wirtschaftswunders“<br />

geprägt. Es folgte eine kurze Interimszeit unter<br />

Direktor Anton Weber, ehe Manfred John <strong>als</strong> Vorsitzender<br />

des Vorstandes berufen wurde und dieses Amt am 1. Juni 1973<br />

antrat.<br />

Zu dieser Zeit war die große hessische Gebietsreform bereits<br />

beschlossene Sache. Mit dem „Gesetz zur Neugliederung<br />

der Landkreise Gelnhausen, <strong>Hanau</strong> und Schlüchtern und der<br />

Stadt <strong>Hanau</strong> sowie die Rückkreisung der Städte Fulda, <strong>Hanau</strong><br />

und Marburg“ vom 12. März 1974 wurde am 1. Juli 1974 die<br />

seit 1886 kreisfreie Stadt <strong>Hanau</strong> in den neuen Landkreis eingegliedert<br />

und ist seither „Sonderstatusstadt“. <strong>Hanau</strong> wurde<br />

um die Städte Großauheim, Steinheim am Main und die Gemeinde<br />

Klein-Auheim vergrößert.<br />

Zuvor hatte sich schon Mittelbuchen freiwillig unter die<br />

Fittiche <strong>Hanau</strong>s begeben. Die Altkreise <strong>Hanau</strong>, Gelnhausen<br />

und Schlüchtern bildeten nun den Main-Kinzig-Kreis, der die<br />

Rechtsnachfolge des Landkreises <strong>Hanau</strong> auch <strong>als</strong> Gewährträger<br />

der Kreissparkasse antrat. Hans Rüger wurde Landrat des<br />

neuen kommunalen Gebildes und damit auch Verwaltungsratsvorsitzender<br />

der Kreissparkasse.<br />

Auch diese Gebietsreform hatte Einfluss auf das Geschäftsgebiet<br />

der Kreissparkasse. Zwar kamen im Bereich des Altkreises<br />

<strong>Hanau</strong> Langenbergheim, Büdesheim und Heldenbergen<br />

von den Altkreisen Büdingen und Friedberg hinzu, doch<br />

wog das so neu gewonnene Geschäftsvolumen einen gewichtigen<br />

Verlust nicht auf: 1977 wurde Bergen-Enkheim nach<br />

Frankfurt eingemeindet. Wenig später wurden die beiden<br />

Kreissparkassenfilialen, die zusammen ein Geschäftsvolumen<br />

von über 40 Millionen D-Mark vorweisen konnten, von der<br />

Stadtsparkasse Frankfurt übernommen. Die ihrerseits von<br />

den Kreissparkassen Büdingen und Friedberg übernommenen<br />

Filialen brachten dagegen nur gut sechs Millionen D-Mark<br />

Geschäftsvolumen mit.<br />

Dieser herbe Verlust konnte indes bald wettgemacht werden.<br />

Von 381 Millionen im Jahr 1975 stieg die Bilanzsumme<br />

des Instituts bis 1980 auf 570 Millionen D-Mark, 1988 wurde<br />

die Milliardengrenze überschritten. Ein Jahr vorher hatte<br />

Karl Eyerkaufer (SPD) den Christdemokraten Hans Rüger <strong>als</strong><br />

Chef der Kreisverwaltung abgelöst. Unter Landrat Rüger waren<br />

allerdings bereits die Weichen für einen Erweiterungsbau<br />

Der Vorstand der Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> mit den Vorstandssekretärinnen<br />

im Jahr 1990. Stehend von<br />

links: Günter Schmidt, Manfred<br />

Vitt und Manfred John. Sitzend<br />

von links: Astrid Köhnert, Irmhild<br />

Weiß, Petra Perdelwitz und Sieglinde<br />

Niedling.<br />

Privat<br />

der Hauptverwaltung am Neustädter Marktplatz gestellt worden.<br />

Man hatte sich 1986 für eine Lösung „am Ort“ entschieden<br />

und innerhalb des Karrees Marktplatz /Römerstraße /<br />

Steinheimer Straße /Krämerstraße wurde ein Neubau, der<br />

allen Ansprüchen einer zeitgemäßen <strong>Sparkasse</strong>nausstattung<br />

entsprach, errichtet. 1990 konnte ihn Verwaltungsratsvorsitzender<br />

Eyerkaufer einweihen, zusammen mit einer völlig neu<br />

gestalteten Schalterhalle. Doch da standen die Zeichen bereist<br />

auf Fusion. Landrat und Oberbürgermeister konnten ihre Pläne<br />

endlich umsetzen: Am 1. Januar 1991 hoben Landrat Eyerkaufer<br />

und Oberbürgermeister Hans Martin das neue Institut<br />

aus der Taufe: Es entstand die „<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>“.<br />

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Gespräche<br />

Gespräche mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeitern<br />

Die folgende Auswahl gibt Erlebnisse und Einschätzungen<br />

von sechs ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der<br />

früheren Landesleihbank, der Kreissparkasse und der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> wieder. Die zeitliche Spannbreite des Inhalts<br />

der Gespräche reicht dabei von den frühen Vierzigerjahren bis<br />

in die Gegenwart und berücksichtigt Begebenheiten in allen<br />

drei Geldinstituten.<br />

Bei den Befragten handelt es sich zumeist um Personen, die<br />

einen großen Teil oder sogar ihr gesamtes Arbeitsleben dort<br />

verbracht haben. Ohne ihre Mitwirkung würden viele interessante<br />

Aktivitäten, Begebenheiten und Erfahrungen, die kein<br />

Archiv festhält, unberücksichtigt bleiben.<br />

Die Chronik gibt die Aussagen der Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter aber nicht vorrangig wieder, um fehlendes Quellenmaterial<br />

zu ergänzen. Vielmehr sollen bestimmte Sachverhalte<br />

oder Anekdoten von der Warte der Zeitzeuginnen und<br />

Zeitzeugen wiedergegeben werden. Einige persönliche Erlebnisse<br />

und Aussagen dieser Gesprächspartner sind in den darstellenden<br />

Teil eingeflossen. Wo das geschehen ist, wurde es<br />

mittels einer Anmerkung kenntlich gemacht.<br />

Margot Leitz<br />

Margot Leitz, geborene Perschbacher, kam am 15. März<br />

1923 in <strong>Hanau</strong> zur Welt. Dort besuchte sie nach der Volksschule<br />

die Mittelschule und die Höhere Handelsschule. Ihr<br />

Pflichtjahr absolvierte sie bei einer kinderreichen Pfarrersfamilie<br />

in Ravolzhausen. Anschließend begann sie am 1. April<br />

1941 bei der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> eine Lehre <strong>als</strong> Bankkaufmann,<br />

die sie zweieinhalb Jahre später mit Auszeichnung abschloss.<br />

Während ihrer Tätigkeit in der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> besuchte Margot Leitz erfolgreich einige<br />

Lehrgänge und arbeitete später in der Kreditabteilung<br />

der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, die sie nahe-<br />

zu dreißig Jahre bis zu ihrem Ausscheiden aus dem <strong>Hanau</strong>er<br />

Geld institut im Jahr 1983 leitete.<br />

Das Gespräch fand am 17. Dezember 2012 in <strong>Hanau</strong> statt.<br />

„ <strong>Sparkasse</strong>nzentrale Kesselstadt“<br />

Meine Lehre begann 1941, das war mitten im Zweiten<br />

Weltkrieg. Dam<strong>als</strong> gehörte die <strong>Sparkasse</strong> <strong>als</strong> eine Abteilung<br />

zur Stadtverwaltung <strong>Hanau</strong> und wurde erst einige Jahre später<br />

eine selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts. Nach<br />

erfolgreicher Lehre war ich zunächst in einer Abteilung beschäftigt,<br />

wo ich viel schreiben musste, weil ich ja Steno und<br />

Maschinenschreiben beherrschte.<br />

Die Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong> befand sich zu dieser Zeit in einem<br />

Gebäudeteil des Rathauses, der heute nicht mehr existiert,<br />

und zwar vom Marktplatz aus gesehen rechts vom<br />

Hauptportal.<br />

Die Mitarbeiter der <strong>Sparkasse</strong> gingen durch den Haupteingang<br />

des Rathauses hinein und dann nach rechts zum Personaleingang<br />

der <strong>Sparkasse</strong>. Die Räumlichkeiten der Stadtsparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> bestanden aus der Schalterhalle mit abgeteilten<br />

Arbeitsplätzen für den stellvertretenden Leiter und den Innenrevisor,<br />

den Zimmern für die Maschinenbuchhaltung und der<br />

Memorialabteilung, zwei Maschinenräumen, dem Direktorenzimmer<br />

und dem Tresor mit einem größeren Vorraum. Im<br />

Keller gab es einen Frühstücksraum.<br />

Wie es früher allgemein üblich war, hatte man großen Respekt<br />

vor den Vorgesetzten. Die ganze Atmosphäre erscheint<br />

mir in der Nachbetrachtung auch <strong>als</strong> strenger und hierarchischer<br />

<strong>als</strong> heute. Während des Krieges arbeiteten im Schnitt<br />

gut 40 Personen bei der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>. Es zeigte sich<br />

alles <strong>als</strong> relativ überschaubarer <strong>als</strong> später. Während unserer<br />

Tätigkeit in der Stadtsparkasse merkten wir vor dem 19. März<br />

Arbeitsplätze der ersten Nachkriegszeit in der Kronprinzenstraße in Kesselstadt.Privat<br />

1945 recht wenig vom Krieg. Jedoch mussten wir, das zweite<br />

Lehrmädchen und ich, bei jedem Fliegeralarm die Buchungsmaschinen<br />

auf ein extra dafür angefertigtes Gestell mit Rollen<br />

laden und zur Sicherheit in den Tresorraum bringen. Den<br />

Krieg merkten wir auch daran, dass immer wieder einer unserer<br />

Kollegen seine Einberufung zur Wehrmacht erhielt.<br />

Ich wohnte dam<strong>als</strong> in der Altstraße 17 in der Nähe der<br />

Französischen Allee. Für den 18. März 1945 hatte mich die<br />

Pfarrersfamilie, bei der ich zuvor im Pflichtjahr war, zur Konfirmation<br />

eines ihrer Kinder nach Ravolzhausen eingeladen.<br />

Weil es nach der Feier schon recht spät war und ich nur per<br />

Fahrrad nach <strong>Hanau</strong> hätte kommen können, blieb ich über<br />

Nacht dort.<br />

Morgens kurz nach vier Uhr schreckte ich auf. Vom dem<br />

etwas höher gelegenen Pfarrhaus in Ravolzhausen sah ich<br />

dann, wie das alte <strong>Hanau</strong> im Bombenhagel unterging. Ich erkannte<br />

die sogenannten Christbäume, die das Zielgebiet für<br />

die Bombenabwürfe markieren sollten, und beobachtete, wie<br />

182 183


Gespräche<br />

Gespräche<br />

Margot Leitz (Mitte) im Kreis ihrer<br />

Kolleginnen und Kollegen der Kreditabteilung<br />

im Jahr 1980. Privat<br />

sich die Brände immer weiter ausdehnten. Einige Zeit später<br />

machte ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach <strong>Hanau</strong>.<br />

Aber man kam gar nicht auf direktem Weg in die Stadt herein.<br />

Ich musste über Kesselstadt fahren und gelangte entlang<br />

der Bahnlinie zum Westbahnhof. Dort begriff ich das Ausmaß<br />

der Zerstörung. Die Innenstadt bestand nur noch aus<br />

Trümmern, und man konnte bis in die Altstadt gucken.<br />

Unterwegs zum Rathaus sah ich, wie sich die Rettungskräfte<br />

bemühten, die Opfer zu bergen. An den Straßenkreuzungen<br />

lagen überall verkohlte und zusammengeschrumpfte Leichen.<br />

Auch alle Bewohner im Haus Altstraße 17, wo ich bis dahin<br />

gewohnt hatte, hatten bei dem Angriff ihr Leben verloren.<br />

Die Teilnahme an der Konfirmation in Ravolzhausen hatte<br />

mir wahrscheinlich das Leben gerettet.<br />

Am Rathaus angekommen, erkannte ich, dass von meiner<br />

alten Arbeitsstätte, der Stadtsparkasse, kaum noch etwas vorhanden<br />

war. Da ich sowieso nichts ausrichten konnte, fuhr<br />

ich zurück nach Ravolzhausen. Einige Tage danach war ich<br />

dabei, <strong>als</strong> Direktor Paul Scheinemann in Gegenwart von zwei<br />

Amerikanern den noch intakten Tresor öffnete.<br />

Sein gesamter Inhalt kam anschließend in unsere Filiale<br />

nach Kesselstadt und zwar in das Erdgeschoss des Gebäudes<br />

Kronprinzenstraße 1. Hier besaß die Stadtsparkasse aber<br />

nur einen angemieteten Raum. Eine Bewohnerin des Hauses<br />

gab uns dann erst einen und später einen zweiten Raum ihrer<br />

Wohnung ab, sodass wir uns etwas ausbreiten konnten,<br />

aber eng blieb es trotzdem. Wir mussten improvisieren, damit<br />

der <strong>Sparkasse</strong>nbetrieb auch unter diesen äußerst bescheidenen<br />

Bedingungen weiterlaufen konnte. Mit der Zeit mietete die<br />

<strong>Sparkasse</strong> in fünf Häusern Büroräume. Kesselstadt blieb dann<br />

für einige Jahre die Zentrale der Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>.<br />

Im Jahr 1949 zogen wir wieder in die Innenstadt und zwar<br />

zunächst ins Himmler’sche Grundstück an der Ecke Nürnberger<br />

Straße / Langstraße. Ich entsinne mich daran, dass seinerzeit<br />

die Kasse jeden Abend von dort zum Tresor im Rathaus<br />

gebracht werden musste. Drei Jahre später konnten wir dann<br />

in das jetzige Gebäude am Neustädter Marktplatz umziehen,<br />

das wir uns noch einige Zeit mit der Stadtverwaltung teilten.<br />

In diesem neuen Domizil fanden wir viel bessere Bedingungen<br />

vor <strong>als</strong> in Kesselstadt. Auch für mich ergab sich eine<br />

neue Situation, denn von nun an besaß ich ein eigenes Büro.<br />

Leiterin der Kreditabteilung<br />

Bis vor wenigen Jahrzehnten war es nahezu überall die<br />

Regel, dass Führungspositionen von Männern besetzt waren.<br />

Allerdings hat mich dieser Umstand nicht davon abgehalten,<br />

meinen eigenen Weg zu gehen.<br />

Dazu besuchte ich zur Weiterbildung einige Kurse der<br />

<strong>Sparkasse</strong>norganisation. Den ersten überregionalen Lehrgang<br />

absolvierte ich 1947 in Frankfurt. Ich war dam<strong>als</strong> die einzige<br />

Frau unter 35 Männern. Das störte mich aber nicht. Im Gegenteil,<br />

es erwies sich sogar <strong>als</strong> Vorteil.<br />

Es gab so kurz nach dem Krieg keine Lehrbücher. Da ich<br />

jedoch Stenografie beherrschte, war ich in der Lage, alles mitschreiben<br />

zu können und später nachzulesen. Die männlichen<br />

Kursteilnehmer hingegen konnten weder Steno noch gut tippen.<br />

Manche von ihnen flehten mich deshalb regelrecht an,<br />

ihnen meine Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.<br />

Auf Ressentiments seitens der Männer bin ich selten gestoßen.<br />

Allerdings fragte mich einmal ein Lehrgangsteilnehmer,<br />

was ich denn eigentlich bei dem Kurs wollte und warum ich<br />

mich nicht um Mann und Kind kümmerte. Ich gab ihm die<br />

passende Antwort und erwiderte, dass es schließlich in erster<br />

Linie Männer gewesen wären, die uns in den Zweiten Weltkrieg<br />

mit all seinen Opfern und Zerstörungen geführt hätten.<br />

Später <strong>als</strong> Leiterin der Kreditabteilung der Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> glaubten manche Männer, sie<br />

könnten mich um den Finger wickeln. Das haben sie aber nur<br />

einmal versucht und nie wieder. Ich konnte immer entschieden<br />

meine Meinung vertreten und dies hat mir im Haus sicherlich<br />

auch Respekt eingebracht. Als Frau musste man in<br />

meiner Sparte der <strong>Sparkasse</strong>ntätigkeit, dem Kreditgeschäft<br />

nämlich, immer mehr leisten <strong>als</strong> ein Mann.<br />

Ansonsten kam ich mit meinen männlichen Kollegen und<br />

Vorgesetzten gut zurecht, was sicherlich hauptsächlich daran<br />

lag, dass man sich mit meiner Arbeit und ihren Ergebnissen<br />

sehr zufrieden zeigte.<br />

Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass weibliche Führungskräfte<br />

immer mehr akzeptiert und respektiert wurden.<br />

Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass ich immer<br />

stolz darauf gewesen war, bei der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> zu arbeiten.<br />

Heinz Riener<br />

Heinz Riener wurde am 21. April 1941 in Breslau geboren.<br />

Anfang 1945 kam er mit seiner Mutter infolge der Kriegsauswirkungen<br />

zu Verwandten nach Langenselbold. Sein Vater<br />

war bereits gefallen. Nach der Volksschule besuchte er die<br />

Eberhard-Re<strong>als</strong>chule und anschließend die Höhere Handelsschule<br />

in <strong>Hanau</strong>. Ab 1959 schloss sich die zweijährige Lehre<br />

bei der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> an.<br />

Bei seiner nachfolgenden Tätigkeit in der Innenrevision<br />

lernte er die gesamte <strong>Sparkasse</strong> mit allen Abteilungen und<br />

sämtlichen Filialen kennen. Danach wurde er Assistent des<br />

Vorstandsvorsitzenden Dr. Hans Mölders. Heinz Riener avan-<br />

184 185


Gespräche<br />

Gespräche<br />

cierte mit 29 Jahren zum Vorstandsmitglied und war zuständig<br />

für die Bereiche Firmenkunden, Teile des Kreditgeschäfts<br />

und einige Filialen. Nach dem Tod des Vorstandsvorsitzenden<br />

Karl Köppel wurde Heinz Riener 1972 jüngster Vorstandsvorsitzender<br />

einer <strong>Sparkasse</strong> in Hessen. Diese Position nahm er bis<br />

Ende Januar 1992 wahr und wechselte dann in den Vorstand<br />

der Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen) nach Frankfurt.<br />

Das Gespräch wurde am 19. Dezember 2012 geführt.<br />

Sehr gute Ausbildungsverhältnisse<br />

Schon während meiner Schulzeit habe ich mich nur für den<br />

Beruf des Bankkaufmanns interessiert. Ich bewarb mich deshalb<br />

bei der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, weil<br />

es sich um das größte Bankinstitut am Platze handelte, außerdem<br />

war sie ein selbstständiges Unternehmen und nicht nur<br />

eine Filiale wie bei Großbanken.<br />

Schnell wurde mir bewusst, dass sich die <strong>Sparkasse</strong>n nicht<br />

<strong>als</strong> Wettbewerbsunternehmen verstanden. Eher herrschte eine<br />

Atmosphäre wie bei Behörden, da keine unternehmerische<br />

Umsetzung ihres Potenti<strong>als</strong> erfolgte. Es war nämlich nicht die<br />

vorrangige Motivlage einer <strong>Sparkasse</strong>, Gewinne zu erzielen.<br />

Dementsprechend dominierte bei einigen Mitarbeitern noch<br />

eine Art von Beamtenmentalität.<br />

In meinem Lehrgangsjahr waren wir zu viert. Da wir keine<br />

Berufsschultage hatten, kam einmal pro Woche eine Lehrerin<br />

von der Höheren Handelsschule in die <strong>Sparkasse</strong> und vermittelte<br />

uns das notwendige theoretische Bankwissen für die<br />

Lehrabschlussprüfung. Im Hause war Innenrevisor Schulz für<br />

die Lehrlingsausbildung zuständig, der auch die von uns geführten<br />

Berichtshefte kontrollierte. Insgesamt habe ich bei der<br />

Stadtsparkasse und Landesleihbank sehr gute Ausbildungsverhältnisse<br />

vorgefunden.<br />

Plakat zur möglichen Berufslaufbahn innerhalb der öffentlichen <strong>Sparkasse</strong>n<br />

aus dem Jahr 1955.<br />

DSGV-Archiv<br />

Nach Beendigung der Lehre erhielt ich von der <strong>Sparkasse</strong><br />

alle Möglichkeiten zur Weiterbildung und zwar in Form<br />

von Lehrgängen und Kursen. Dazu gehörten der Aufbaulehrgang,<br />

der Fachlehrgang und eine zweisemestrige Ausbildung<br />

am Lehrinstitut für das kommunale <strong>Sparkasse</strong>n- und<br />

Kreditwesen in Bonn. Ihr erfolgreicher Abschluss bedeutete<br />

eine günstige Voraussetzung für meinen weiteren beruflichen<br />

Werdegang innerhalb der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong>. Und dies hatte bald Folgen, positive Folgen. Kurz<br />

nach der Rückkehr von dem Lehrgang in Bonn machte das<br />

damalige Vorstandsmitglied Karl Köppel unseren Vorstandsvorsitzenden<br />

Dr. Hans Mölders auf mich aufmerksam, da er<br />

jemanden suchte, der über die neuesten Entwicklungen im<br />

<strong>Sparkasse</strong>nwesen Bescheid wusste. Aufgrund dessen wurde<br />

ich Assistent des Vorstandsvorsitzenden. Recht schnell entwickelte<br />

sich zwischen Dr. Mölders und mir eine enge und vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit.<br />

Dr. Mölders hatte zuvor bei einer Privatbank gearbeitet,<br />

deshalb besaß er zu manchen Geschäftsfeldern einen anderen,<br />

mehr wirtschaftlich orientierten Zugang <strong>als</strong> es bei traditionellen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n üblich war. Während meiner Assistentenzeit<br />

diskutierte er mit mir häufig die geschäftspolitischen Fragen<br />

und Möglichkeiten der <strong>Sparkasse</strong>. Dadurch lernte ich nebenher<br />

auch die Denkweise in Privatbanken kennen.<br />

Bei diesen Gesprächen suchten wir nach Wegen, unsere gemeinsamen<br />

Vorstellungen von einer stärker geschäftsorientierten<br />

<strong>Sparkasse</strong> umzusetzen. Ein Problem bestand um 1970 allerdings<br />

darin, dass es uns satzungsmäßig nicht erlaubt war,<br />

beispielsweise in Geldgeschäfte mit privatrechtlich organisierten<br />

Banken einzusteigen. Nach langen Verhandlungen und<br />

der letztlichen Genehmigung des Wirtschaftsministeriums <strong>als</strong><br />

oberste <strong>Sparkasse</strong>naufsichtsbehörde durften wir <strong>als</strong> erste hessische<br />

<strong>Sparkasse</strong> auf diesem Geschäftsfeld aktiv werden.<br />

Dr. Mölders brachte zahlreiche neue Ideen in die Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank ein. Meine Aufgabe bestand dann<br />

darin, diese umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit ihm hat<br />

mich geprägt und viele meiner Ansichten zur Neuausrichtung<br />

der <strong>Sparkasse</strong> bekräftigt.<br />

Mein rascher Aufstieg brachte es mit sich, dass es 1969 bei<br />

meiner Berufung zum Vorstandsmitglied einige Schwierigkeiten<br />

und formale Probleme zu überwinden galt. Denn ich war<br />

eigentlich nach Beamtenrecht zu jung für diese Position, für<br />

die man dam<strong>als</strong> noch in den Beamtenstatus wechseln musste.<br />

Aber es ließ sich dann doch alles regeln. Nach meiner Erinnerung<br />

änderte man kurz darauf diese Verfahrensweise grundlegend.<br />

Die Vorstandspositionen besetzen seitdem Angestellte,<br />

die keine Dauerstellung besitzen, sondern mit Fünfjahresverträgen<br />

ausgestattet sind, die bei Erfolg verlängert werden können.<br />

Wandel der Unternehmensphilosophie<br />

Früher waren Wettbewerb und unternehmerisches Denken<br />

nicht das Erste, was bei <strong>Sparkasse</strong>n angesagt war, sondern der<br />

ordentliche Geschäftsbetrieb und die Richtigkeit der Arbeit<br />

standen im Vordergrund.<br />

In meinen Augen war das zu wenig. Zum Glück hat sich<br />

die Einstellung der <strong>Sparkasse</strong>n seit jener Zeit gedreht. Man<br />

erkannte, dass mit dem traditionellen <strong>Sparkasse</strong>ndenken<br />

Marktanteile an die Groß- und Genossenschaftsbanken verloren<br />

gingen.<br />

Nachdem zu Beginn der Siebzigerjahre das Geschäftsrecht<br />

erweitert worden war, konnten höhere Kredite gewährt sowie<br />

neue Produkte für neue Kundengruppen ins Angebot aufgenommen<br />

werden. Insgesamt halfen diese Schritte zur Universalbank<br />

den <strong>Sparkasse</strong>n im Wettbewerb ungemein.<br />

Ich habe diese Entwicklung sehr begrüßt und es Stück für<br />

Stück bei der Stadtsparkasse und Landesleihbank umgesetzt.<br />

Allerdings mussten auch die Mitarbeiter den Wandel der Unternehmensphilosophie<br />

mit vollziehen. Ich sah es deshalb <strong>als</strong><br />

eine meiner Aufgaben an, unsere Angestellten langsam dahin<br />

186 187


Gespräche<br />

Gespräche<br />

Heinz Riener (Mitte), Erich Weiser (links) und Alfred Merz um 1990.<br />

<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

zu führen, dass sie lernten, die Gespräche mit den Kunden zu<br />

intensivieren und dabei unsere Angebote zu offerieren.<br />

Bei Bewerbungen für freie Positionen und Lehrstellen<br />

habe ich sehr darauf geachtet, fähige und geschäftsorientierte<br />

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzustellen. Aus diesem<br />

Grund sah ich mir eine geraume Zeit alle Neuen zuvor persönlich<br />

an, egal ob es sich dabei um einen Lehrling oder eine<br />

Führungskraft handelte. Dabei ging es mir nicht so sehr um<br />

das Fachwissen der Bewerber, sondern hauptsächlich darum,<br />

ob sie unternehmerisch und zielorientiert denken, <strong>als</strong>o um<br />

eine Mentalitätsfrage.<br />

Ich selbst habe die Direktansprache der Verantwortlichen<br />

der <strong>Hanau</strong>er Großunternehmen gesucht. Dies erwies sich <strong>als</strong><br />

erfolgreich. Dadurch konnten wir solvente Kunden gewinnen,<br />

was sich an der Bilanzsumme und den gestiegenen Gewinnen<br />

ablesen ließ.<br />

Die neue Geschäftsphilosophie machte sich auch in der<br />

Wandlung des Erscheinungsbilds der Stadtsparkasse und<br />

Landesleihbank bemerkbar. Deshalb schafften wir die Schalter<br />

ab und ersetzten sie recht schnell durch Beratungsplätze,<br />

um dadurch die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit dem<br />

Kunden zu verbessern. In einer Sache hatten wir nur halben<br />

Erfolg und mus sten uns mit einem Kompromiss zufrieden geben.<br />

Vorausgegangen war 1974 die Eingemeindung Klein-Auheims<br />

und Steinheims nach <strong>Hanau</strong>, die beide im Geschäftsbereich<br />

der <strong>Sparkasse</strong> Seligenstadt lagen. Als es darum ging,<br />

den Geschäftsbereich der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

dem Gebiet des Gewährträgers entsprechend anzugleichen,<br />

gab es Widerspruch seitens der <strong>Sparkasse</strong> Seligenstadt. Der<br />

Hessische <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband erstellte daraufhin<br />

ein Gutachten, auf dessen Grundlage verblieb Klein-Auheim<br />

bei Seligenstadt, während Steinheim zu unserem Geschäftsbereich<br />

hinzukam.<br />

Vertrauensvoll, unkompliziert, geschäftsorientiert<br />

Wenige Monate nach meiner Berufung zum Vorstandsmitglied<br />

löste Hans Martin Herbert Dröse <strong>als</strong> Oberbürgermeister<br />

von <strong>Hanau</strong> ab. Zwischen uns hat sich dann schnell ein<br />

Verhältnis entwickelt, das man <strong>als</strong> jederzeit vertrauensvoll,<br />

unkompliziert und geschäftsorientiert bezeichnen kann.<br />

Oberbürgermeister Martin hat <strong>als</strong> Vorsitzender des Verwaltungsrats<br />

seine Aufsichtsfunktion eindrucksvoll und konsequent<br />

wahrgenommen. Was das <strong>Sparkasse</strong>ngeschäft anging,<br />

hatten wir im Vorstand den Freiraum, der notwendig war, um<br />

<strong>als</strong> Geschäftsleiter erfolgreich sein zu können. Martin erkannte<br />

wohl rasch, dass ich ihn über das informierte, was er wissen<br />

musste. Für ihn war es wichtig, dass die <strong>Sparkasse</strong> ihre satzungsmäßigen<br />

Aufgaben erfüllte und dass am Jahresende die<br />

Zahlen stimmten. Gleiches galt im Grunde ebenso für die Zusammenarbeit<br />

mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Helmut<br />

Kuhn, der ja zuvor schon im Verwaltungsrat saß und deshalb<br />

die <strong>Sparkasse</strong> gut kannte.<br />

Eine der letzten Herausforderungen <strong>als</strong> Vorstandsvorsitzender<br />

der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> stellte sich<br />

Ende der Achtzigerjahre. Dam<strong>als</strong> gab es Überlegungen, die<br />

Kreissparkassen des Main-Kinzig-Kreises zu fusionieren, was<br />

vermutlich <strong>als</strong> weiteren Schritt in diese Richtung zur Folge gehabt<br />

hätte, dass auch wir uns bald anschließen sollten. Diese<br />

Vorgehensweise konnte nicht in unserem Interesse liegen. Der<br />

Stadtsparkasse und Landesleihbank lag viel mehr daran, eine<br />

Fusion alleine mit der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> zu suchen. Oberbürgermeister<br />

Hans Martin war das natürlich bewusst und<br />

agierte entsprechend und war erfolgreich.<br />

Vernünftigerweise setzte sich bei allen Gewährträgern die<br />

Einsicht durch, dass die Orte um Schlüchtern und um <strong>Hanau</strong><br />

nicht zusammen passten, auch wegen der Entfernung. Zudem<br />

wollten die Vorstände in Gelnhausen und Schlüchtern<br />

mit ihren Instituten selbstständig bleiben. Schließlich vereinigte<br />

man die Stadtsparkasse und Landesleihbank mit der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> zur <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, damit im Osten<br />

Frankfurts eine schlagkräftige <strong>Sparkasse</strong> entstehen konnte.<br />

Mit diesem Zusammenschluss zum 1. Januar 1991 verband<br />

man nicht nur zwei Geldinstitute, sondern es trafen auch zwei<br />

unterschiedliche unternehmerische Philosophien aufeinander.<br />

In der Kreissparkasse herrschte nach meiner Wahrnehmung<br />

noch stärker das traditionelle <strong>Sparkasse</strong>ndenken <strong>als</strong> bei uns,<br />

wo unternehmerische Aspekte im Vordergrund standen.<br />

Trotzdem erwarteten die Gewährträger, dass beide Institute<br />

rasch zu einer Einheit verschmelzen. Ich bin der Meinung,<br />

dies gelang meinem Nachfolger Alfred Merz trotz der Unterschiede<br />

recht schnell und erfolgreich.<br />

Zusammenfassend möchte ich sagen. Es war eine spannende<br />

Zeit: Die <strong>Sparkasse</strong> befand sich um Umbruch. Mit meinen<br />

Kollegen im Vorstand haben wir alle Herausforderungen angenommen,<br />

gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet, und<br />

wie ich meine, auch einigen Erfolg gehabt. Erfolg hat man jedoch<br />

nur mit motivierten und engagierten Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern. Ihnen bin ich heute noch dankbar.<br />

Manfred John<br />

Manfred John wurde am 31. Dezember 1941 in W<strong>als</strong>um<br />

bei Duisburg geboren. Er wuchs in der Nähe von Wolfsburg<br />

auf, wo er nach der Volksschule die Mittlere Reife erwarb. In<br />

der Wolfsburger Zweigstelle der <strong>Sparkasse</strong> Gifhorn durchlief<br />

er seine Lehre zum Bankkaufmann, die er nach zweieinhalb<br />

Jahren beendete.<br />

Später absolvierte er den <strong>Sparkasse</strong>nfachlehrgang an der<br />

Deutschen <strong>Sparkasse</strong>nschule in Hannover und wechselte einige<br />

Zeit danach, um die Revisionstätigkeit zu erlernen und<br />

auszuüben, zur Stadtsparkasse Wuppertal.<br />

Im Jahr 1967 wurde Manfred John Verbandsprüferassistent<br />

beim <strong>Sparkasse</strong>nverband Hessen und nach drei Jahren Verbandsprüfer,<br />

nachdem er beim Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n- und<br />

Giroverband das Verbandsprüferexamen abgelegt hatte. Während<br />

der Verbandprüfertätigkeit lernte er die Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> kennen, wo er die Jahresabschlüsse 1970 und 1971<br />

prüfte. Im März 1973 wählte ihn der Verwaltungsrat zum<br />

Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong>. Diese Position<br />

hat er am 1. Juni 1973 angetreten.<br />

Manfred John verließ die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> am 30. Juni<br />

1991 und arbeitete danach zehn Jahre <strong>als</strong> selbstständiger Unternehmensberater.<br />

Er ist seit 46 Jahren verheiratet, hat eine 1974 in <strong>Hanau</strong><br />

geborene Tochter und lebt seit seinem Dienstantritt bei der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> in Rodenbach.<br />

Das Gespräch fand am 7. Januar 2013 in Rodenbach statt.<br />

188 189


Gespräche<br />

Gespräche<br />

„Der Umbruch musste rasch vollzogen werden“<br />

Verleihung der Dr.-Johann-Christian-Eberle-Medaille<br />

an die langjährigen<br />

Mitglieder des Verwaltungsrats<br />

der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong><br />

Friedrich W. Karrenbrock (Dritter<br />

von links) und Wolf-Rainer Heinemann<br />

(Zweiter von rechts) im Jahr<br />

1989. Außerdem sind abgebildet<br />

von links: Gerold Beckmann (Vorstandsmitglied<br />

der Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong>), Karl Eyerkaufer (Landrat<br />

des Main-Kinzig-Kreises), Dr. Arno<br />

Schmidt-Weigand (Präsident des<br />

Hessischen <strong>Sparkasse</strong>nverbandes)<br />

und Manfred John (Vorstandsvorsitzender<br />

der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong>)<br />

Privat<br />

Als ich meine Stelle <strong>als</strong> Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse<br />

<strong>Hanau</strong> antrat, befand sich das Institut in einer Umstellungsphase.<br />

Es war nämlich die Zeit, <strong>als</strong> die <strong>Sparkasse</strong>n<br />

von der Maschinenbuchhaltung auf die Datenverarbeitung<br />

umstellten. Bei der Kreissparkasse hatte der Prozess, die modernen<br />

technischen Möglichkeiten des Bankwesens einzuführen<br />

und anzuwenden, bereits begonnen; dieser Umbruch<br />

musste jetzt zügig weitergeführt werden.<br />

Aufgrund des Krieges fehlte auf den Führungsebenen der<br />

<strong>Sparkasse</strong>n praktisch eine Generation, <strong>als</strong>o die Vertreter der<br />

Jahrgänge 1915 bis etwa 1925. Sie wären vermutlich aufgeschlossener<br />

für Neuerungen gewesen und hätten notwendige<br />

Innovationen energischer vorangetrieben.<br />

Bei den jüngeren Mitarbeitern zeigte sich eine andere Einstellung.<br />

Dies eröffnete dann den Angehörigen der Kriegsjahrgänge,<br />

wozu auch ich zähle, gute Aufstiegschancen. Nicht<br />

zuletzt deswegen hielt in den <strong>Sparkasse</strong>n ab den Siebzigerjahren<br />

ein anderes Denken Einzug.<br />

In <strong>Hanau</strong> warf ich aber nicht gleich alles über den Haufen,<br />

sondern schaute mir die Innenstruktur der Kreissparkasse erst<br />

einmal einige Monate an. Ich beobachtete die Mitarbeiter und<br />

wusste bald, wer wozu geeignet war. So konnten tüchtige junge<br />

Leute herangezogen werden, wie etwa Manfred Vitt, der<br />

1989 in den Vorstand berufen wurde, sowie Volker Eckhardt<br />

und viele andere. Insgesamt zählte die Kreissparkasse 1973<br />

etwa 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies war bei 27<br />

Geschäftsstellen sicher nicht zu viel Personal. Aber an manchen<br />

Stellen saßen die f<strong>als</strong>chen Leute. Folglich mussten Umbesetzungen<br />

und Schulungen vorgenommen werden. Zudem<br />

fehlte eine adäquate Führungsstruktur auf der zweiten Ebene.<br />

Es galt deshalb zu erkennen, wer selbstständig und selbstverantwortlich<br />

handeln konnte, um ihm oder ihr die passende<br />

Position zuzuweisen.<br />

Ein anderes Problem war zu Anfang meiner Tätigkeit <strong>als</strong><br />

Vorstandsvorsitzender die starke Position der Gewerkschaft<br />

in der Kreissparkasse, in unserem Fall der ÖTV. Dies konnte<br />

aber mittelfristig im beiderseitigen Interesse gelöst werden.<br />

Als eine meiner wichtigsten Aufgabe sah ich es an, das<br />

Filialnetz zu erweitern und alle Geschäftsstellen auf ein wirtschaftliches<br />

Niveau zu bringen, wofür eine moderne Ausstattung<br />

verbunden mit Um-und Erweiterungsbauten nötig und<br />

die Umstellung auf die Datenverarbeitung flächendeckend<br />

durchzuführen waren. Dies haben wir dann mit Nachdruck<br />

betrieben. Außerdem befand sich unsere Hauptstelle am <strong>Hanau</strong>er<br />

Marktplatz im Umbau, was ebenfalls Zeit und Energie<br />

erforderte. Große Stützen dabei waren bis zu seiner Pensionierung<br />

im Jahr 1984 mein Vorstandskollege Friedrich Schadt,<br />

der <strong>als</strong> Lehrling 1936 bei der Kreissparkasse angefangen hatte,<br />

sowie die damaligen Vorstandskollegen Günter Schmidt und<br />

Gerold Beckmann.<br />

Als wir dies geschafft hatten, befanden wir uns – trotz der<br />

Belastungen der <strong>Sparkasse</strong> aufgrund der Stützung der Hessischen<br />

Landesbank – nach etwa sechs bis sieben Jahren wirtschaftlich<br />

auf sehr gutem Weg. Die Bilanzsumme, die sich bei<br />

meinem Dienstantritt auf 300 Millionen DM belaufen hatte,<br />

konnte bis zur Fusion auf 1,2 Milliarden DM gesteigert werden.<br />

Das gelang, obwohl wir im Zuge der Gebietsreform unsere<br />

beiden großen und rentablen Filialen in Bergen-Enkheim<br />

an Frankfurt abgeben mussten. Im Gegenzug erhielten wir<br />

die weitaus kleineren Geschäftsstellen in Heldenbergen und<br />

Büdesheim von der Kreissparkasse Friedberg.<br />

Als unser stärkster Konkurrent erwies sich in den Siebzigerund<br />

Achtzigerjahren die Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong>, die kraft Satzung und <strong>Sparkasse</strong>ngesetz geschäftspolitisch<br />

ähnlich agierte wie wir.<br />

Zu Beginn meiner Tätigkeit bei der Kreissparkasse gab es<br />

noch nebenamtliche Filialleiter in Eichen und Oberrodenbach.<br />

Sie besaßen <strong>als</strong> freie Handelsvertreter gegenüber den<br />

normalen <strong>Sparkasse</strong>nangestellten nur begrenzte Befugnisse<br />

und konnten beispielsweise keine Kredite vergeben. Aber sie<br />

hatten eine nicht zu unterschätzende Vertrauensposition in ihren<br />

Dörfern. Ich erinnere mich noch an die „Geschäftsstelle“<br />

von Herrn Reinert in Oberrodenbach. Es war ein bescheidenes<br />

Zimmer mit einem kleinen Schreibtisch, einem kleinen<br />

Tresor, Stempeln und sonstigen notwendigen Utensilien, wo<br />

er die Kunden der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> empfing, wenn es<br />

sein musste, rund um die Uhr.<br />

In anderen Orten diente die <strong>Sparkasse</strong>nfiliale <strong>als</strong> eine Art<br />

dörflicher Treffpunkt, wo nicht nur Geldangelegenheiten besprochen<br />

wurden. Dort kannte jeder jeden und man schwätzte<br />

auch über das Vereinsleben, die Nachbarn oder irgendwelche<br />

sonstigen Neuigkeiten. Bis heute ist dieses Milieu verloren gegangen.<br />

Manche mögen dies bedauern. Aber so ist der Trend,<br />

und die Jüngeren kennen das mittlerweile gar nicht mehr.<br />

Wirtschaftlich und organisatorisch ein voller Erfolg.<br />

Die Überlegungen, <strong>Sparkasse</strong>n in der Region zusammenzulegen,<br />

gab es wohl bereits in den späten Sechzigerjahren zu<br />

Zeiten von Oberbürgermeister Herbert Dröse und Landrat<br />

190 191


Gespräche<br />

Gespräche<br />

Manfred John verkündet im Sommer 1990 anlässlich einer Mitarbeiterversammlung<br />

in der Kantine der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> die Entscheidung<br />

zur Fusion mit der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Privat<br />

Martin Woythal oder vielleicht sogar noch früher. Ich kenne<br />

das aber nicht aus eigenem Erleben, da ich dam<strong>als</strong> noch nicht<br />

in <strong>Hanau</strong> war. Und diese Pläne sind dann rasch wieder in der<br />

Schublade verschwunden.<br />

Im Zuge der Gründung des Main-Kinzig-Kreises 1974 wurden<br />

sie jedoch aberm<strong>als</strong> aktuell. Der seinerzeit kommissarisch<br />

eingesetzte Landrat Woythal wollte nun die Fusion der drei<br />

Kreissparkassen. Die drei Vorstandsvorsitzenden von Gelnhausen,<br />

Schlüchtern und <strong>Hanau</strong> hatten auf seinen Auftrag<br />

Vorstellungen ausgearbeitet, wie ein Zusammenschluss der<br />

drei Kreissparkassen zu bewerkstelligen sei. Allerdings steckten<br />

diese Gedankenspiele noch in den Kinderschuhen und<br />

wurden auch nicht weiter diskutiert, denn mit der Wahl von<br />

Hans Rüger zum neuen Landrat änderte sich die Situation,<br />

zumal in Gelnhausen und in Schlüchtern wenig Bereitschaft<br />

für eine Zusammenlegung bestand. Auch mein Interesse an<br />

einer Fusion war zu dieser Zeit eher zurückhaltend. Mögliche<br />

<strong>Sparkasse</strong>nfusionen in unserer Region waren nun für fast zehn<br />

Jahre kein Thema mehr. Dann haben meine Kollegen König<br />

aus Gelnhausen, Münch aus Schlüchtern und ich dieses Thema<br />

auf Geheiß von Landrat Eyerkaufer erneut diskutiert und<br />

mit diesem erörtert. Es wurde aber bald wieder fallen gelassen,<br />

weshalb das Vorhaben auch dieses Mal keine konkreten Formen<br />

angenommen hatte.<br />

In den Jahren 1987 bis 1990 bauten sowohl die Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>als</strong> auch die Kreissparkasse <strong>Hanau</strong>,<br />

ihre Hauptstellen aus. Als bei uns die ersten Überlegungen<br />

zur Gestaltung der Einweihungsfeier des Um- und Erweiterungsbaus<br />

angestellt wurden, kam die überraschende Nachricht,<br />

dass die Vertreter der kommunalen Träger mit Unterstützung<br />

des Hessischen <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbandes die<br />

baldige Fusion der beiden Institute verabredet hatten. Damit<br />

sollten die Stadtsparkasse und Landesleihbank gemeinsam<br />

mit der Kreissparkasse gewissermaßen eine Vorreiterrolle für<br />

ganz Hessen spielen, da auch in anderen Regionen des Landes<br />

Kreis- und Stadtsparkassen nebeneinander existierten, die zusammengehen<br />

sollten.<br />

Oberbürgermeister Hans Martin und Landrat Karl Eyerkaufer<br />

waren sich darüber schnell einig geworden. Wir waren<br />

auf diese Entscheidung – insbesondere auf den vorgesehenen<br />

Fusionstermin 1. Januar 1991 – nicht vorbereitet. Ich war deshalb<br />

nicht begeistert; außerdem favorisierte ich immer den<br />

Gedanken, dass zunächst die drei Kreissparkassen fusionieren<br />

sollten. Die erforderlichen Beschlüsse zur Fusion wurden<br />

von den zuständigen Gremien der Stadt <strong>Hanau</strong> und des<br />

Main-Kinzig-Kreises im Sommer 1990 gefasst und beide Häuser<br />

bildeten Arbeitskreise zur Vorbereitung und Durchführung<br />

des Zusammenschlusses.<br />

Im Nachhinein meine ich aber, dass die Fusion sinnvoll<br />

war. Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> hat sich in den folgenden Jahren<br />

hervorragend entwickelt und die Fusionsentscheidung war zukunftsweisend.<br />

Allerdings blieben bei einer Reihe von Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern Wunden zurück, die erst im<br />

Laufe der Jahre verheilt sind.<br />

Wirtschaftlich und organisatorisch hingegen war die Fusion<br />

ein voller Erfolg. Dies kann ich all denjenigen bescheinigen,<br />

die an der Vorbereitung und Umsetzung der Zusammenlegung<br />

mitgearbeitet haben. Der technische Bereich ist<br />

so zügig und komplikationslos zusammengeführt worden wie<br />

der einheitliche Marktauftritt im gesamten Geschäftsgebiet.<br />

Das war eine respektable Leistung aller Beteiligten, vor<br />

allem der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in ihrem<br />

Arbeitsumfeld zum Teil erhebliche Veränderungen verkraften<br />

mussten.<br />

Inge Haupt<br />

Inge Haupt, geborene Oppermann, kam am 3. Oktober<br />

1937 in Rückingen zur Welt. Dort besuchte sie die Volksschule.<br />

Anschließend begann sie am 16. April 1952 bei der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> ihre Lehre zum Bankkaufmann, die<br />

sie drei Jahre später abschloss. Während ihrer Beschäftigung<br />

in der Kreissparkasse durchlief sie alle Abteilungen, war aber<br />

überwiegend in der Spar abteilung und der Buchhaltung tätig.<br />

Nach 42 Jahren in der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> ging Inge Haupt<br />

am 31. August 1994 direkt in den Ruhestand.<br />

Sie hält heute noch Kontakt zu ihren alten Kolleginnen und<br />

Kollegen. Vornehmlich geschieht dies bei den Veranstaltungen<br />

für Senioren, die von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> durchgeführt<br />

werden.<br />

Das Gespräch fand am 4. Februar 2013 in Erlensee-<br />

Rückingen statt.<br />

Betriebsausflug nach Rüdesheim um 1965. Zu sehen sind von links: Inge<br />

Haupt, Erika Rau, Wilhelm Beckmann und Gertrud Schumacher.Privat<br />

Betriebsausflüge mit der Kreisverwaltung<br />

Die Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> war naturgemäß sehr eng mit<br />

der Kreisverwaltung verbunden. Es gab sogar extra einen Boten,<br />

der den täglichen Schriftwechsel, Konten und sonstige<br />

Unterlagen von unserer Hauptstelle am Markt zum Landratsamt<br />

und zurück brachte. Außerdem dienten wir natürlich<br />

auch <strong>als</strong> Hausbank des Kreises <strong>Hanau</strong>. Ich selbst stand häufig<br />

telefonisch in Kontakt mit Mitarbeitern der Kreisverwaltung.<br />

Als ich anfing zu lernen, arbeiteten lediglich 32 Personen<br />

bei der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong>. Da wir nur so Wenige waren,<br />

koppelten wir uns zu den Betriebsausflügen bei der Kreisverwaltung<br />

an und unternahmen gemeinsame Fahrten.<br />

Dam<strong>als</strong> waren die Betriebsausflüge noch recht einfach und<br />

man unternahm auch keine sehr ausgedehnten Touren, sondern<br />

hatte zumeist Orte in der etwas weiteren Umgebung<br />

zum Ziel. Ich hatte mich immer auf diese Fahrten etwa in<br />

den Taunus, den Vogelsberg oder den Spessart gefreut.<br />

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Gespräche<br />

Gespräche<br />

Wir sind dann samstags früh mit mehr <strong>als</strong> 200 Teilnehmern<br />

in vier Bussen losgefahren. Bei der ersten Rast gab es ein<br />

Frühstück, das aus belegten Brötchen bestand und in großen<br />

Körben mitgebracht worden war.<br />

Unterwegs haben wir uns dann einige Sehenswürdigkeiten<br />

und Besonderheiten der Gegend angesehen, wie beispielsweise<br />

die Glasproduktion in Glashütten im Taunus. Zwischendurch<br />

unternahmen wir kleinere Wanderungen. Dabei legte Landrat<br />

Wilhelm Voller besonderen Wert darauf, dass wir bekannte<br />

Volkslieder sangen.<br />

Vor allem hatte es ihm das Lied „Im schönsten Wiesengrunde“<br />

sehr angetan und wir kannten deshalb auch alle den<br />

Text. Abends gab es dann ein Essen und anschließend gemütliches<br />

Beisammensein mit Tanz in Kurhäusern oder ähnlichen<br />

größeren Sälen. Gegen Mitternacht ging es dann wieder zurück<br />

nach Hause.<br />

Das Verhältnis zu den Mitarbeitern der Kreisverwaltung<br />

war sehr gut und die Ausflüge verliefen stets sehr harmonisch.<br />

Nachdem der Person<strong>als</strong>tand der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> im<br />

Laufe der Zeit auf 50 bis 60 Angestellte gewachsen war, haben<br />

wir die Ausflüge selbst organisiert, ohne die Kreisverwaltung.<br />

Es hatte sich dadurch am Ablauf allerdings nichts geändert<br />

und die Stimmung war immer sehr gut. Ein Unterschied bestand<br />

höchstens darin, dass wir nun etwas ferner gelegene Ziele<br />

anfuhren. Jetzt steuerten wir Orte im Odenwald, am Rhein<br />

und am Neckar an.<br />

Angenehm war es für uns auch, dass es uns nichts kostete,<br />

weder die Fahrt selbst noch das Abendessen. Zusätzlich erhielten<br />

wir noch Getränkemarken. Ich denke, diese Fahrten und<br />

ihr angenehmer Verlauf haben sich positiv auf das Betriebsklima<br />

ausgewirkt.<br />

Als ich mit der Lehre begann, durften wir für bestimmte<br />

Arbeiten keine Additionsmaschinen benutzen, obwohl<br />

die Kreissparkasse welche besaß. Aber die älteren Mitarbeiter<br />

wollten, dass wir alles im Kopf ausrechneten. Wir Jüngeren<br />

konnten sie schließlich überzeugen, dass es sicherer und<br />

schneller mit Additionsmaschinen ging.<br />

Anfangs arbeiteten wir mit Astra-Maschinen, die waren<br />

noch ganz einfach, da mussten wir sogar die Auszüge noch<br />

einzeln einspannen. Im Laufe der Zeit gab es dann technische<br />

Verbesserungen. Der nächste Schritt war die LKM, die<br />

die Arbeitsabläufe beim Buchen erleichterte und deutlich beschleunigte.<br />

Aber auch diese Maschinen machten Fehler. Es<br />

kam sogar vor, dass sie sich beim Ablesen der Kontostände<br />

schlicht und einfach verlasen und so Ungenauigkeiten verursachten.<br />

Wenn Diskrepanzen bestanden zwischen unseren Buchungen<br />

und den im Journal festgehaltenen Gegenbelegen, mussten<br />

wir die Fehler suchen – oft auch über den vorgesehenen<br />

Dienstschluss hinaus. Dies betraf anfangs die gesamte Belegschaft.<br />

Selbst wenn es sich nur um Pfennigbeträge handelte,<br />

durfte noch niemand Feierabend machen bevor alles stimmte.<br />

Manchmal kam so etwas mehrfach pro Woche vor. Später<br />

sind dann nur einige Leute geblieben, um die Fehlerquelle zu<br />

suchen. Sie mussten die Belege mit den Gegenbuchungen vergleichen<br />

bis sie fündig wurden. Ein gutes Gedächtnis war dabei<br />

immer sehr nützlich.<br />

Mein Arbeitsalltag in der Hauptstelle sah so aus, dass ich<br />

vormittags in der Giroabteilung die Buchungsvorgänge vorbereitete<br />

und nachmittags half ich dann mit, alle Konten und<br />

Umsätze von sämtlichen Geschäftsstellen im Kreisgebiet zu<br />

bearbeiten und zu verbuchen.<br />

Es wurde dam<strong>als</strong> noch alles manuell im Haus erledigt.<br />

Und wir mussten wissen, wohin die einzelnen Einträge zu<br />

verbuchen waren. Manchmal kamen zu uns auch die Entschuldigungsschreiben<br />

von säumigen Rückzahlern, die bei der<br />

Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> ein Darlehen aufgenommen hatten und<br />

wegen Krankheit oder sonstiger Umstände sich nicht in der<br />

Lage sahen, pünktlich zu zahlen.<br />

Unser Team bestand aus Bucherinnen, Tipperinnen und<br />

Kontrolleuren, die sich untereinander abwechselten. Unsere<br />

Aufgabe war, alle bis um 12 Uhr mittags angefallenen Vorgänge<br />

noch am gleichen Tag zu bearbeiten, wobei alles stimmen<br />

musste. Besonders am Jahresende ging es oft hoch her.<br />

Mehrm<strong>als</strong> musste ich auch am Neujahrstag in die Hauptstelle,<br />

damit die Zahlen für die Jahresbilanz alle korrekt waren.<br />

Die Umstellung auf die Arbeit am Computer habe ich nicht<br />

mehr mitgemacht. Am Ende meiner beruflichen Tätigkeit<br />

war ich dann im Zahlungsverkehr und in der Belegbearbeitung<br />

tätig.<br />

Mit meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich gut<br />

verstanden und wenn es nötig war, hat man sich untereinander<br />

geholfen. Auch das Verhältnis zu unseren Chefs und Vorgesetzten<br />

war durchaus gut. Nur wenn die Mitarbeiter nach dem<br />

offiziellen Dienstschluss noch wegen der Suche nach Fehlern<br />

länger bleiben mussten, sank die Stimmung. Aber dieses Problem<br />

hatten wir ja nach einiger Zeit und im Einvernehmen mit<br />

unseren Chefs in den Griff bekommen.<br />

Während meiner langjährigen Berufstätigkeit habe ich<br />

auch viele Banklehrlinge ausgebildet. Es hat mir immer viel<br />

Freude bereitet, mein Wissen und meine Erfahrung an junge<br />

Leute weiter zu geben.<br />

Wilhelm Lösche<br />

Wilhelm Lösche wurde am 24. September 1925 in Langenselbold<br />

geboren, dort besuchte er die Volksschule und ging danach<br />

für ein Jahr auf die Handelsschule nach <strong>Hanau</strong>.<br />

Die Maschinenbuchhaltung in der Kreissparkasse <strong>Hanau</strong> um 1965, 3. von<br />

links: Inge Haupt.<br />

Privat<br />

Anschließend ist er am 1. April 1941 <strong>als</strong> Lehrling in die<br />

Dienste der Landesrenterei Gelnhausen Landesleihbank <strong>Hanau</strong><br />

getreten. Nach sechs Wochen der dortigen Tätigkeit erfolgte<br />

seine Versetzung nach <strong>Hanau</strong> zur Landesleihbank, die<br />

mit der Renterei in Personalunion verbunden war. Nach der<br />

Lehrabschlussprüfung zum Bankgehilfen musste er im Oktober<br />

1943 zur Wehrmacht einrücken. Im April 1946 trat Wilhelm<br />

Lösche wieder in die Dienste der Landesleihbank.<br />

Nach der Vereinigung der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> mit der<br />

Stadtsparkasse <strong>Hanau</strong>, am 1. Januar 1955, arbeitete Wilhelm<br />

Lösche <strong>als</strong> Kreditberater und war daneben viele Jahre sowohl<br />

im Personalrat <strong>als</strong> auch im Verwaltungsrat der Stadtsparkasse<br />

und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> ehrenamtlich tätig. Am 31.<br />

Dezember 1988 ging er in den Ruhestand.<br />

Das Gespräch fand am 28. Januar 2013 in Langenselbold<br />

statt.<br />

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Gespräche<br />

Gespräche<br />

Direktor und Lehrling zogen von Dorf zu Dorf<br />

Während meiner Ausbildungszeit gehörte es mit zu den<br />

Aufgaben eines Lehrlings der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, beim<br />

Einzug der Jahresbeiträge für die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft<br />

und Gebäudebrandversicherung vornehmlich<br />

von Bauern und anderen Haus- und Grundbesitzern zu<br />

helfen. Die Landesleihbank nahm damit Aufgaben der Rentereien<br />

in <strong>Hanau</strong>, Gelnhausen und Schlüchtern wahr, mit denen<br />

wir in Personalunion verbunden waren. Wir, ein leitender<br />

Mitarbeiter der Leihbank und ich <strong>als</strong> Lehrling, mussten deshalb<br />

zu den Hebetagen in die Ortschaften, um die Gelder direkt<br />

von den Versicherten einzuziehen und die Einzahlungen<br />

in großen Kladden zu vermerken.<br />

Ein derartiger Einsatz verlief dann so, dass ich abends die<br />

Anweisung erhielt, mich am nächsten Morgen zu einer bestimmten<br />

Uhrzeit an einem Bahnhof mit einem meiner Vorgesetzten<br />

zu treffen. Dann ging es von dort aus mit der Reichsbahn<br />

weiter in den vorgesehenen Ort. Da viele Dörfer etwa im<br />

Vogelsberg oder im Spessart über keinen eigenen Bahnhof verfügten,<br />

bedeuteten Tagesmärsche von zehn oder auch mehr<br />

oder weniger Kilometern bei derartigen Touren durchaus keine<br />

Seltenheit. Dabei kam mir die Aufgabe zu, die Kladde für<br />

die Versicherungseinträge in einen Rucksack zu stecken und<br />

zu tragen. So zogen wir dann von Dorf zu Dorf, der Landesleihbankdirektor<br />

oder seine Stellvertreter, ein Lehrling oder<br />

ein anderer jüngerer Mitarbeiter.<br />

In den jeweiligen Dörfern diente dann eine Gaststätte <strong>als</strong><br />

Hebelokal. Hier kam es an solchen Terminen zu einem ziemlichen<br />

Auflauf, denn selbst in den kleineren Dörfern wollten<br />

oft Dutzende von Versicherten, in größeren Orten auch oft<br />

mehr <strong>als</strong> 100 Personen, ihre Beiträge entrichten. In den Pausen<br />

gönnten wir uns dann hin und wieder ein dünnes Fliegerbier.<br />

Wilhelm Lösche (rechts) beim Skat während eines Betriebsausflugs mit Direktor<br />

Otto Stolz (Mitte) und anderen Kollegen in den frühen Fünfzigerjahren.Privat<br />

Aber dazu kamen wir nur selten, weil eben zumeist erheblicher<br />

Andrang herrschte.<br />

Für das Annehmen und Verzeichnen der Beiträge benötigen<br />

wir in den kleineren Orten wie Rüdigheim oder Ravolzhausen<br />

etwa einen Vormittag. Im Vogelsberg konnten wir auch drei<br />

Orte an einem Tag schaffen. In größeren Kommunen wie<br />

etwa Langenselbold oder Windecken dauerte es entsprechend<br />

länger. Einmal, so erinnere ich mich noch, begann die Tour<br />

mit Direktor Fritz Schmitt in Niederrodenbach, und <strong>als</strong> ich<br />

alle Beiträge und Einzahler mit Häkchen und Stempeln vermerkt<br />

hatte, zogen wir dann zu Fuß nach Oberrodenbach<br />

und setzten dort unsere Arbeit fort.<br />

Kälte legte Buchungsmaschinen lahm<br />

Als ich nach dem Krieg wieder bei der Landesleihbank anfangen<br />

wollte, musste ich mich völlig neu orientieren. Unsere<br />

Hauptstelle in der Steinheimer Straße war völlig zerstört, nur<br />

die Tresore zeigten sich noch <strong>als</strong> intakt. Folglich hatte man<br />

sich nach anderen Möglichkeiten umsehen müssen, um den<br />

Geschäftsbetrieb fortsetzen zu können. Unser Geschäftslokal<br />

befand sich deshalb in Räumen der Schreinerei Holzinger<br />

in der Kastanienallee in Kesselstadt. Die Maschinenbuchhaltung<br />

war in Räumen der Süßwarengroßhandlung Hardtwig<br />

am Sandeldamm untergebracht.<br />

Zu all dem machte uns die Natur einen Strich durch die<br />

Rechnung. Der Winter 1946/47 war sehr streng, sodass das<br />

Mühlrad, das den Strom für unsere Buchungsmaschine erzeugte,<br />

mit denen die Umsätze der laufenden Konten gebucht<br />

und gleichzeitig die Tagesauszüge erstellt wurden, einfror.<br />

Alle Versuche, es wieder aufzutauen, scheiterten. Die Kälte<br />

hatte die Buchungsmaschine lahmgelegt. Wir mussten auf<br />

Tauwetter warten, und so vergingen einige Wochen der buchungslosen<br />

Zeit. Diesen zwangsweisen Arbeitsausfall und<br />

Buchungsrückstand holten wir dann in den nächsten Wochen<br />

allmählich wieder auf.<br />

Aber auch ohne kalte Witterung erwiesen sich die Arbeitsbedingungen<br />

in den ersten Nachkriegsjahren <strong>als</strong> äußerst primitiv<br />

und heute kaum noch vorstellbar. Außer dieser Zeit sind<br />

mir noch einige Anekdoten in Erinnerung geblieben, die die<br />

damaligen Verhältnisse gut illustrieren.<br />

Wir waren alle nicht informiert, wann die neue Währung<br />

und die neuen Geldscheine kommen sollten. Aber im Frühjahr<br />

1948 spürten wir, dass irgendetwas in der Luft lag. Ich<br />

entsinne mich noch gut daran, dass ich montags zum Dienst<br />

kam und von unserem Chef eine besondere Anweisung erhielt.<br />

Und zwar beauftragte er mich und einige meiner Kollegen,<br />

an der Kasse die alten Reichsmarknoten in Empfang zu<br />

nehmen und sie zur <strong>Hanau</strong>er Zweigstelle der Landeszentralbank<br />

zu bringen. Daraufhin packten wir das alte Geld in einige<br />

Wäschekörbe und brachten es mit einem Fahrer im Fahrzeug<br />

der Landesleihbank in die Nußallee zur Zweigstelle der<br />

Landeszentralbank Hessen. Einige Zeit später erhielten wir<br />

dann dafür teilweise <strong>als</strong> Bilanzausweis ein Zehntel der neuen<br />

Deutschen Mark. So erlebte ich den Austausch der alten<br />

Reichsmark, die sowieso kaum noch etwas wert war, gegen<br />

die neue D-Mark.<br />

Die Währungsumstellung vollzog sich wider Erwarten relativ<br />

reibungslos und zwar im Verhältnis 1:10. Bei der Reform<br />

spielten die Begriffe „Kopfquote“ und „Hypothekengewinnabgabe“<br />

eine gewisse Rolle, darauf sollte aber an dieser nicht<br />

näher eingegangen werden.<br />

Wie schlicht die Verhältnisse dam<strong>als</strong> waren kann man<br />

auch daran ablesen, dass die Buchungskonten täglich von der<br />

Schreinerei Holzinger in Kesselstadt zum Sandeldamm gebracht<br />

werden mussten.<br />

Da dafür aber kein Fahrzeug zur Verfügung stand, geschah<br />

dieser Transport zumeist mit dem Fahrrad durch einen unserer<br />

Lehrlinge oder Mitarbeiter. Da passierte es einmal, dass<br />

eine Sendung offenbar nicht ordentlich auf dem Fahrzeug befestigt<br />

worden war. So geschah, was geschehen musste. Bei<br />

der Überfahrt über die Gleise am Westbahnhof fiel der Packen<br />

auf die Straße und Hunderte von Vorgängen verteilten<br />

sich in der Umgebung. Wir sammelten dann alle Konten wieder<br />

mühsam auf. Auf manchen hausinternen Konten konnte<br />

man dann noch Wochen danach die Spuren der Reifenprofile<br />

erkennen.<br />

Insgesamt habe ich in der Landesleihbank <strong>Hanau</strong> eine interessante<br />

und angenehme Zeit erlebt. Die Atmosphäre dort war<br />

hervorragend, es herrschte ein sehr gutes Betriebsklima. Die<br />

Kollegenschaft war vom Geist einer Großfamilie getragen. In<br />

diese positive Wertung möchte ich ausdrücklich auch die beiden<br />

damaligen Direktoren Fritz Schmitt und Otto Stolz einbeziehen.<br />

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Gespräche<br />

Gespräche<br />

Nach der Fusion von 1955. Wilhelm Lösche (Mitte) und Günter Zierz<br />

(rechts) beim Umzug der Kreditabteilung der Landesleihbank in die<br />

Räume der nunmehrigen Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> am<br />

Markt.Privat<br />

Günter Zierz<br />

Günter Zierz wurde am 7. April 1935 in Frankfurt-Fechenheim<br />

geboren. Er wuchs in Großauheim auf und besuchte<br />

dort die Volksschule. Danach ging er auf das Real gymnasium<br />

in Seligenstadt und anschließend auf die Handelsschule in<br />

<strong>Hanau</strong>. Im Jahr 1951 begann er seine Lehre zum Bankkaufmann<br />

bei der Landesleihbank <strong>Hanau</strong>, die er nach zwei Jahren<br />

abschloss.<br />

Später absolvierte er eine Ausbildung zum <strong>Sparkasse</strong>nbetriebswirt.<br />

Günter Zierz durchlief dann alle Abteilungen der<br />

Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. In der Geschäftskontenabteilung<br />

war er zunächst <strong>als</strong> Disponent und später <strong>als</strong><br />

ihr Leiter eingesetzt. Günter Zierz trat 1993 in den Ruhestand.<br />

Das Gespräch fand am 11. Februar 2013 in <strong>Hanau</strong>-Großauheim<br />

statt.<br />

Die jungen Tänzer mussten strammstehen<br />

In meinen ersten Jahren <strong>als</strong> Lehrling der Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong> hatten wir auf der Hauptstelle nur wenige Mitarbeiter.<br />

So fiel es sofort auf und es wussten bald alle anderen Mitarbeiter,<br />

wenn jemand einmal zehn Minuten zu spät zur Arbeit<br />

gekommen war. So überschaubar war dam<strong>als</strong> die Situation.<br />

Nach der Fusion wuchs das Personal ständig an, so dass man<br />

manchen seiner Kolleginnen oder Kollegen oft Wochen oder<br />

gar Monate nicht sah.<br />

In den frühen Fünfzigerjahren waren nur wenige Frauen in<br />

der Landesleihbank tätig. Bei den Männern war das so, dass<br />

aufgrund des Krieges kaum Männer um die 30 oder etwas<br />

älter dort arbeiteten, sondern nur wir ganz Jungen und die<br />

Älteren.<br />

Die Ausflüge mit den Kollegen der Landesleihbank fanden<br />

jedes Jahr statt und haben mir immer großen Spaß gemacht.<br />

Wir arbeiteten dam<strong>als</strong> samstags noch halbtags, weshalb diese<br />

Fahrten erst gegen Mittag starteten. Bei einer dieser Touren<br />

aßen wir in der Nähe von Rüdesheim in einem Lokal zu<br />

Abend. Anschließend haben wir Jüngeren uns unsere Damen<br />

„geschnappt“ und sind mit ihnen in eine Gaststätte in Rüdesheim<br />

zum Tanzen gegangen. Es dauerte etwa eine bis zwei<br />

Stunden, bis uns das schlechte Gewissen packte und wir wieder<br />

zurück zu unseren Kollegen gingen.<br />

Als wir dort ankamen, sahen wir, dass auch hier eine Tanzkapelle<br />

spielte. Aber niemand tanzte, weil ja alle Mitarbeiterinnen<br />

mit uns unterwegs gewesen waren.<br />

Unser Direktor Otto Stolz war deswegen ziemlich verärgert<br />

und ließ uns erst einmal „strammstehen“. Dabei gab er<br />

uns die Anweisung, dass keiner von uns Jüngern an diesem<br />

Abend noch einmal mit unseren „Mädchen“ tanzen durfte.<br />

Woran wir uns auch hielten. Die älteren Herren waren zufrie-<br />

den, weil sie nun auch das Tanzbein schwingen konnten. Der<br />

ganze Vorfall hatte aber keine weiteren Folgen, sodass wir in<br />

unserem schönen Bus fröhlich und Volkslieder singend nach<br />

Hause gefahren sind.<br />

In späteren Jahren haben wir mit dem gesamten Personal<br />

der Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong> noch weitere<br />

Betriebsausflüge unternommen, so per Bahn nach Hamburg<br />

und zum Münchner Oktoberfest und einmal sogar, auf drei<br />

Flugzeuge verteilt, nach Berlin.<br />

Außerdem waren wir mit der Geschäftskontenabteilung separat<br />

unterwegs. Ich erinnere mich noch an eine schöne Fahrt<br />

nach Würzburg, wo wir einen Weinkeller besichtigten und anschließend<br />

gemütlich bei einer Weinprobe zusammensaßen.<br />

Unsere Ausflüge waren für mich immer eine schöne Sache,<br />

nicht nur während meines Berufslebens, sondern auch <strong>als</strong><br />

Rentner. Insbesondere mag ich die Fahrten auf einem Schiff.<br />

Sie sind angenehmer <strong>als</strong> mit dem Bus, da hat man mehr Bewegungsfreiheit<br />

und kann öfter den Platz wechseln, um sich mit<br />

ehemaligen Kolleginnen oder Kollegen zu unterhalten.<br />

An Fahrten ganz anderer Art während meiner Leihbankzeit<br />

entsinne ich mich auch noch. Diese fanden allerdings nur in<br />

der Nähe statt und immer am Jahresende, wenn die Jahresabrechnung<br />

anstand.<br />

Mitte Dezember fingen wir damit an, alle Geschäfts- und<br />

Sparkonten zu buchen, die Zinsen auszurechnen und gutzuschreiben.<br />

Dann musste alles getippt werden. Und natürlich<br />

hatte alles zu stimmen.<br />

Ganz intensiv ging es dann oft nochm<strong>als</strong> an drei bis vier<br />

Tagen zwischen den Jahren zur Sache. Das Rechnen und<br />

Buchen war dann oft so anstrengend, dass wir nach einigen<br />

Stunden längere Pausen brauchten. Dann gingen wir ins Kino<br />

oder suchten eine andere Zerstreuung, um abzuschalten und<br />

den Kopf frei zu bekommen.<br />

Günter Zierz (Mitte) beim Ausflug der Firmenkundenabteilung nach<br />

Würzburg mit Weinkellerbesichtigung und anschließender Weinprobe in<br />

den Siebzigerjahren.<br />

Privat<br />

Nach Dienstschluss erfuhr ich dann eine besondere Vergünstigung.<br />

Zusammen mit den anderen Kollegen wurde ich<br />

vom Cheffahrer der Landesleihbank im Chefwagen, einem<br />

imposanten Opel-„Kapitän“, abends nach Hause gefahren. So<br />

durfte ich mich einmal im Jahr ganz groß fühlen.<br />

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Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Selbstverständnis <strong>als</strong> <strong>Sparkasse</strong><br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist <strong>als</strong> öffentlich-rechtliches Institut<br />

ein dem Gemeinnutzen verpflichtetes Unternehmen. Im<br />

Rahmen ihres öffentlichen Auftrags stellt sie die Förderung<br />

der Vermögensbildung sowie die Versorgung der Bevölkerung,<br />

des Mittelstands, der gewerblichen Wirtschaft sowie der<br />

Kommunen mit Krediten sicher.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> übernimmt damit wirtschaftliche<br />

und soziale Verantwortung für ihre Region. Als Hausbank des<br />

gewerblichen Mittelstandes und ihrer kommunalen Träger<br />

leistet sie einen wichtigen Beitrag bei der Stärkung des regionalen<br />

Entwicklungspotenzi<strong>als</strong>. Aus dem Regionalitätsprinzip<br />

der <strong>Sparkasse</strong>n ergibt sich die Konzentration der Geschäftstätigkeit<br />

auf ihr Geschäftsgebiet, das die Stadt <strong>Hanau</strong> sowie das<br />

Gebiet des Altkreises <strong>Hanau</strong> umfasst, soweit es nicht im Zuge<br />

der Gebietsreform auf andere Gebietskörperschaften übergegangen<br />

ist oder andere Kommunen dazu gekommen sind.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist in ihrem Geschäftsgebiet verwurzelt,<br />

stellt sich hier dem Wettbewerb und gewährleistet vor Ort die<br />

kreditwirtschaftliche Versorgung.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> arbeitet wirtschaftlich nachhaltig. Sie finanziert<br />

ihr Wachstum aus eigenen Gewinnen. Das auf diese<br />

Weise erwirtschaftete Kapital bildet die Basis für eine stabile<br />

Geschäftsausrichtung und eine solide Geschäftspolitik.<br />

Gleichzeitig geht die <strong>Sparkasse</strong> in ihrem eigenen Geschäftsbetrieb<br />

mit natürlichen Ressourcen sorgsam um. Dabei stellt für<br />

sie das Regionalitätsprinzip nicht bloß eine Verpflichtung dar.<br />

Durch ihre Präsenz in der Fläche und die hohe Marktdurchdringung<br />

hat die <strong>Sparkasse</strong> sehr gute Kenntnis der regionalen<br />

Besonderheiten, der handelnden Personen und der Marktgegebenheiten.<br />

Die Verbundenheit zeigt sich beispielsweise auch<br />

an dem vielfältigen Engagement in der Region.<br />

Teil der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist Mitglied der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe<br />

Hessen-Thüringen. Darüber hinaus ist sie Teil der Luftaufnahme der Hauptstelle der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> aus dem Jahr 2009. <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

200 201


Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Im Firmenkundengeschäft werden Gewerbekunden<br />

und Firmenkunden sowie Freiberufler / Heilberufe betreut.<br />

Ob klassische Kredit- oder Spezialfinanzierung in Form von<br />

Leasing, internationales Geschäft, Gründungsberatung oder<br />

Factoring: vom kleinen Handwerksbetrieb bis hin zum interdeutschen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe. Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

arbeitet vertrauensvoll mit den Verbundpartnern der <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe<br />

zusammen.<br />

Geschäftsgebiet<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> bekennt sich <strong>als</strong> kommunale <strong>Sparkasse</strong><br />

zum Regionalitätsprinzip. Sie hat ihren Sitz in <strong>Hanau</strong>. Das<br />

Geschäftsgebiet ergibt sich aus der Satzung und umfasst die<br />

Städte Bruchköbel, Erlensee, <strong>Hanau</strong>, Langenselbold, Maintal<br />

und Nidderau sowie die Gemeinden Großkrotzenburg, Hammersbach,<br />

Neuberg, Niederdorfelden, Rodenbach, Ronneburg<br />

und Schöneck. Das Geschäftsgebiet der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist<br />

Teil des Rhein-Main-Gebietes und damit Teil eines der bundesweit<br />

stärksten Wirtschaftsräume.<br />

Zielgruppen und Geschäftsfelder<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> ist im Wesentlichen in drei Geschäftsfeldern<br />

aktiv:<br />

• Privatkundengeschäft<br />

• Firmenkundengeschäft<br />

• Kommunalkundengeschäft<br />

Produkt- und Dienstleistungsangebot<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> bietet grundsätzlich alle Finanzdienstleistungen<br />

an. Es ist das Ziel, die Kunden stets bedarfsgerecht,<br />

umfassend und auf hohem Niveau zu beraten. Dies<br />

erfolgt über die Bereitstellung eines umfassenden und bedürfnisorientierten<br />

Produkt- und Dienstleistungsange botes für alle<br />

Zielgruppen und der engen Kooperation mit den Verbundinstituten<br />

(z.B. im Wertpapiergeschäft, bei Leasing, Bausparen<br />

oder Versicherung). Die <strong>Sparkasse</strong> hat einen flächendeckenden<br />

Marktauftritt. Die Filialen stellen in Verbindung mit<br />

den Fachmärkten wichtige Kanäle dar, um den Kunden zu<br />

erreichen und zu beraten. Neben einem modernen und servicestarken<br />

Fili<strong>als</strong>ystem nutzt die <strong>Sparkasse</strong> weitere Wege, um<br />

bei allen Zielgruppen und in allen Geschäftsfeldern Potenziale<br />

zu erschließen. Dies sind der an Bedeutung gewinnende<br />

Online-Vertrieb sowie die Beratung im mobilen Vertrieb.<br />

Die Geschäftsfelder Versicherungs- und Bauspargeschäft sowie<br />

das Maklergeschäft und der mobile Vertrieb werden in der<br />

100-prozentigen Tochtergesellschaft S-FinanzCenter <strong>Hanau</strong><br />

betrieben.<br />

Der zunehmenden Nachfrage nach Online-Angeboten<br />

wird mit einem Ausbau des Online-Auftritts begegnet. Neben<br />

einem regelmäßigen eMail-Newsletter werden Informationen<br />

tagesaktuell auf der Homepage der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

zur Verfügung gestellt. Die Möglichkeiten der Online-Kontoführung<br />

und des Online-Verkaufs sind durch das Rechenzentrum<br />

der Finanzinformatik gegeben. Ergänzend besteht über<br />

die Homepage der <strong>Sparkasse</strong> die Verlinkung zu Transaktionsplattformen<br />

der Verbundpartner. Dies sind beispielsweise die<br />

DekaBank, der S-broker und Kreditkartengesellschaften.<br />

Zur Komplettierung des Marktauftritts werden Instrumente<br />

des ‚Web 2.0’ genutzt (etwa Facebook, Twitter oder XING).<br />

Die Geschäftsfelder im Überblick:<br />

Das Privatkundengeschäft betreibt die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

flächendeckend in Filialen, die in jedem Ort ihres Geschäftsgebietes<br />

zu finden sind. Darüber hinaus ist sie im<br />

individuellen Privatkundengeschäft in den Fachmärkten Vermögensmanagement<br />

und Private Banking, die in der <strong>Sparkasse</strong>n-Villa<br />

in der Philippsruher Allee in <strong>Hanau</strong> angesiedelt sind,<br />

Die Filiale der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> in Ronneburg kurz nach der Eröffnung 1987.<br />

aktiv. Dort bietet die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> alles, was für ein erfolgreiches<br />

Wertpapiergeschäft notwendig ist: Klar strukturierte<br />

Prozesse, ein effizientes Portfoliomanagement, gute und<br />

transparente Produkte, eine ganzheitliche Beratung sowie<br />

Kompetenz, Verlässlichkeit und Kundenorientierung.<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

202 203


Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

national agierenden Mittelständler kennen wir die Herausforderungen<br />

und Chancen der heimischen Wirtschaft und setzen<br />

unsere Stärken für den Erfolg unserer Firmenkunden ein.<br />

Im Kommunalkundengeschäft ist die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

die Hausbank der Kommunen, kommunaler Unternehmen<br />

und lokaler Baugenossenschaften in ihrem Geschäftsgebiet.<br />

Aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Orientierung, der regionalen<br />

Verbundenheit und der starken Präsenz der <strong>Sparkasse</strong><br />

vor Ort haben diese Adressen eine besondere Bedeutung für<br />

die <strong>Sparkasse</strong>.<br />

Fazit:<br />

Der 2008 errichtete Neubau der Filiale der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> in Kesselstadt.<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die <strong>Sparkasse</strong> hat stets die Region <strong>als</strong> Ganzes im Blick.<br />

Sie fördert den Wohlstand der Menschen, das Wachstum der<br />

Wirtschaft und damit auch das eigene Geschäft. Die <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> steht in enger Verbindung mit ihren Firmen- und<br />

Privatkunden vor Ort. Das ist gut für die Kunden, gut für<br />

das Geschäft der <strong>Sparkasse</strong> und gut für die Region. Denn die<br />

Einlagen der <strong>Sparkasse</strong>n-Kunden fließen wieder zurück in die<br />

örtliche Wirtschaft und stehen für die wirtschaftliche, kulturelle<br />

und soziale Förderung vor Ort zur Verfügung.<br />

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist das gesellschaftliche<br />

Engagement der <strong>Sparkasse</strong>. Sie übernimmt im Rahmen<br />

ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten Verantwortung für die<br />

Attraktivität und Entwicklung ihres Geschäftsgebiets. Die<br />

<strong>Sparkasse</strong> engagiert sich mit Fördermaßnahmen in den Bereichen<br />

Sport, Kultur, Umwelt, Wissenschaft und Bildung.<br />

Darüber hinaus hat die <strong>Sparkasse</strong> drei Stiftungen gegründet<br />

beziehungsweise wesentlich mit Kapital ausgestattet. Ihre<br />

Erträge werden ebenfalls für Projekte im Geschäftsgebiet<br />

eingesetzt. Darüber berichtet ein separates Kapitel in dieser<br />

Chronik.<br />

Der Eingang der Filiale der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> in Dörnigheim im Jahr<br />

2003. <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

204 205


Die <strong>Sparkasse</strong>n und ihre Stiftungen<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>n und ihre Stiftungen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n und Stiftungen haben einen gemeinsamen Ursprung.<br />

Die ersten <strong>Sparkasse</strong>ngründungen gehen auf private<br />

Stiftungen zurück, die sich der Armenfürsorge verschrieben<br />

hatten. So hat die <strong>Sparkasse</strong>nidee selbst den Charakter einer<br />

Stiftung. Beide Begriffe beruhen auf einer gemeinnützigen<br />

Tradition und gehören naturgemäß zusammen. Das hat<br />

zu einer beachtlichen Entwicklung geführt. Inzwischen sind<br />

die <strong>Sparkasse</strong>n der größte Förderer von Kunst und Kultur in<br />

Deutschland.<br />

Eine weitere Übereinstimmung ergibt sich aus der lokalen<br />

und regionalen Verankerung der <strong>Sparkasse</strong>n. So konzentrieren<br />

sich auch die Stiftungen auf die regionale Förderung. Das<br />

liegt auf der Hand. Denn die Existenz der <strong>Sparkasse</strong>n ist eng<br />

verflochten mit der regionalen Wirtschaft und der Zukunft<br />

der Menschen in ihrem Geschäftsgebiet. Daraus leitet sich<br />

eine gesellschaftliche Verantwortung ab, die sich folgerichtig<br />

auf die Region bezieht.<br />

So engagiert sich auch die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> im eigenen Geschäftsgebiet<br />

mit ihren Stiftungen. Dazu zählt die Bürgerstiftung<br />

<strong>Hanau</strong> Stadt und Land – eine Gründungsinitiative der<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, die Stiftung der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> sowie die<br />

<strong>Sparkasse</strong>n-Sportstiftung Main-Kinzig. An der Sportstiftung<br />

sind auch die Kreissparkassen Gelnhausen und Schlüchtern<br />

beteiligt.<br />

Bürgerstiftung <strong>Hanau</strong> Stadt und Land – Eine Gründungsinitiative<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die Bürgerstiftung <strong>Hanau</strong> Stadt und Land – Eine Gründungsinitiative<br />

der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> wurde am 13. Oktober<br />

2004 gegründet. Der Zweck der Stiftung ist die Förderung<br />

von ehrenamtlichem Engagement, lokalen Initiativen und<br />

Projekten. Das Anfangsvermögen der Bürgerstiftung betrug<br />

250.000 Euro und wurde seit der Gründung jährlich durch<br />

weitere Zustiftungen erhöht. Aktuell verfügt die Bürgerstiftung<br />

über ein Vermögen von rund 5,1 Mio. Euro.<br />

Grundgedanke einer Bürgerstiftung ist immer eine Förderung<br />

vor Ort. Das Fördergebiet ist somit begrenzt: Bei der<br />

Bürgerstiftung <strong>Hanau</strong> Stadt und Land auf den westlichen<br />

Main-Kinzig-Kreis, den ehemaligen Kreis <strong>Hanau</strong>. Der Stiftungszweck<br />

hingegen ist breit gefächert. Von A wie Altenhilfe<br />

bis W wie Wissenschaft ist alles möglich, was gemeinnützig<br />

ist. Hier soll sich jeder Zustifter wiederfinden können. Denn<br />

eine Bürgerstiftung ist darauf angelegt, jederzeit neue Stifter<br />

aufzunehmen. Immer sind Zustiftungen willkommen, gerade<br />

auch mit Beträgen, für die sich keine eigene Stiftung lohnt.<br />

Diese Zustiftungen können mit einer speziellen Zweckbestimmung<br />

getätigt werden. Einzige Voraussetzung: Die Absicht<br />

muss sich im Stiftungszweck wiederfinden und das<br />

Fördergebiet muss übereinstimmen.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> <strong>als</strong> Gründungsstifterin hat beispielsweise<br />

ihre Zustiftungen für Förderungen im sozialen Bereich<br />

vorgesehen. Andere Zustifter haben ihre Zustiftungen regional<br />

eingegrenzt: Die <strong>als</strong> Stiftungsfonds errichtete Stiftung<br />

„Leben in Kesselstadt“ unterstützt beispielsweise ausschließlich<br />

Projekte und Institutionen in <strong>Hanau</strong>-Kesselstadt. Die<br />

Mittelvergabe aus diesem Teil der Bürgerstiftung erfolgt auf<br />

Empfehlung eines Beirats, der von den Stiftern gebildet wird.<br />

So bleibt der Einfluss der Stifter sichergestellt. Ansonsten ist<br />

die Bürgerstiftung unabhängig von Unternehmen, Verbänden<br />

oder Kommunen. Die <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> beispielsweise unterstützt<br />

die Bürgerstiftung operativ bei der Stiftungsverwaltung<br />

und steht somit für Kontinuität. Eine Bürgerstiftung ist in ihrer<br />

Leitung und ihren Gremien unabhängig sowohl von Kommunalverwaltungen,<br />

staatlichen Instanzen oder politischen<br />

Organisationen <strong>als</strong> auch von einzelnen Stiftern. Die Leitung<br />

übernimmt ein unabhängiges Führungsgremium, das sich aus<br />

Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt, die dazu aufgrund<br />

ihres persönlichen Einsatzes für öffentliche Angelegenheiten<br />

qualifiziert sind. Auch dies ist ein wesentliches Merkmal von<br />

Bürgerstiftungen. Das Gütesiegel des Bundesverbands Deutscher<br />

Stiftungen bestätigt der Bürgerstiftung <strong>Hanau</strong> Stadt<br />

und Land, alle Merkmale und Empfehlungen für eine Bürgerstiftung<br />

zu erfüllen. In den Jahren 2004 bis 2012 wurden<br />

etwa 1.000 Projekte und Maßnahmen mit rund 1,3 Mio. Euro<br />

gefördert.<br />

Förderpreis „Wir leben gemeinsam – gegen Gewalt<br />

unter Jugendlichen“<br />

Seit 2008 vergibt die Bürgerstiftung den mit 6.000 Euro<br />

dotierten Förderpreis „Wir leben gemeinsam – gegen Gewalt<br />

unter Jugendlichen“. Ziel des Förderpreises ist es, Schulen,<br />

Vereine, aber auch Kindergärten oder Kindertagesstätten im<br />

Gebiet der Stadt <strong>Hanau</strong> und des Altkreises <strong>Hanau</strong> auszuzeichnen,<br />

die sich durch Gewaltpräventionsprojekte um ein friedliches<br />

Zusammenleben von Kindern und Jugendlichen bemühen.<br />

Die Stiftung der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Die Stiftung der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong> wurde 1984 <strong>als</strong> „Gemeinnützige<br />

Stiftung der Stadtsparkasse und Landesleihbank<br />

<strong>Hanau</strong>“ gegründet. Oberbürgermeister Claus Kaminsky und<br />

Landrat Erich Pipa bilden heute mit vier weiteren Mitgliedern<br />

den Vorstand. Daneben gibt es ein Kuratorium von elf Mitgliedern,<br />

das auf Vorschlag des Vorstandes über die Vergabe<br />

der Fördermittel entscheidet.<br />

Das Stiftungskapital hat sich von anfänglich 400.000 DM<br />

(rund 204.500 Euro) auf zuletzt 4,85 Mio. Euro erhöht. In<br />

gleichem Maße haben die Förderprojekte stark zugenommen.<br />

Der Zweck der Stiftung ist die Förderung der Kunst, von<br />

Kulturwerten, des Denkm<strong>als</strong>chutzes und des Heimatgedankens.<br />

Es würde den Umfang sprengen, alle Maßnahmen ein-<br />

206 207


Die <strong>Sparkasse</strong>n und ihre Stiftungen<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>n und ihre Stiftungen<br />

zeln zu nennen. Gefördert werden kulturelle Aktivitäten der<br />

Schulen, vor allem der Musik- und Kunstschulen, der Chöre<br />

und Theatergruppen, sowie der Vereine, die sich kulturellen<br />

Aufgaben widmen. Gefördert werden auch Ausstellungen<br />

und Forschungsarbeiten, darüber hinaus die unterschiedlichsten<br />

Projekte und Institutionen, angefangen vom Rock-Nachwuchswettbewerb<br />

bis hin zum Hessischen Puppenmuseum.<br />

Seit ihrer Gründung im Jahr 1984 bis zum Jahr 2012 haben<br />

die Stiftungsgremien 517 Anträge mit einer Summe von rund<br />

2,5 Mio. Euro bewilligt.<br />

Förderung des musikalischen Nachwuchses<br />

Die Bedeutung der Musik innerhalb des kulturellen Lebens<br />

hat die Stiftung ernst genommen und selbst einen Nachwuchs-Wettbewerb<br />

ins Leben gerufen, und das schon zu Beginn<br />

ihrer Tätigkeit 1985.<br />

Dabei handelt es sich um den Willy-Bissing-Wettbewerb<br />

für Kinder und Jugendliche. Willy Bissing (3.2.1905 –<br />

24.04.1972) – ein gebürtiger <strong>Hanau</strong>er – war <strong>als</strong> Pianist und<br />

Verleihung des Förderpreises 2012<br />

an die Gebeschusschule in <strong>Hanau</strong>,<br />

die Messdiener der katholischen<br />

Pfarrei Heilig Geist in <strong>Hanau</strong> und<br />

die Schule an der Gründau in Langenselbold.<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

mehr noch vielleicht <strong>als</strong> Pädagoge eine unverwechselbare Erscheinung<br />

im <strong>Hanau</strong>er Musikleben, dem er wesentliche Akzente<br />

verliehen hat. Er sah es <strong>als</strong> seine vordringliche Aufgabe<br />

an, junge Leute an die Musik heranzuführen. Ihm zu Ehren<br />

ist dieser Wettbewerb benannt.<br />

Bis zu 40 Kinder und Jugendliche beteiligen sich jedes Jahr<br />

am Wettbewerb, getrennt nach Altersstufen, spielen ein Werk<br />

freier Wahl, das auch eine Eigenkomposition sein kann. Selbst<br />

Improvisationen in Jazz oder Popularmusik sind willkommen.<br />

Der Wettbewerb endet mit einem Abschlusskonzert.<br />

Für einen jungen Menschen mag dies die Förderung seiner<br />

individuellen Laufbahn sein. Für die Stiftung der <strong>Sparkasse</strong><br />

<strong>Hanau</strong> bedeutet es kulturelle Basisarbeit.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>n-Sportstiftung Main-Kinzig<br />

Den Grundstein für die damalige Sportstiftung Main-Kinzig<br />

legten am 27. Dezember 1984 der Main-Kinzig-Kreis und<br />

der Hessische Journalistenverband, <strong>Hanau</strong>. Die <strong>Sparkasse</strong>n-Sportstiftung<br />

Main-Kinzig hat sich von Anfang an die<br />

Aufgabe gestellt, Nachwuchstalente aus dem Amateurbereich<br />

zu unterstützen, „die sich im Leistungssport über einen längeren<br />

Zeitraum ausgezeichnet haben und auf Grund ihres Talentes<br />

besonders förderungswürdig erscheinen. Sie sollten für<br />

einen dem Landessportbund Hessen angeschlossenen Verein<br />

im Main-Kinzig-Kreis starten und von keiner anderen Seite<br />

finanziell unterstützt werden“, heißt es wörtlich in den Vergaberichtlinien.<br />

Dem Stiftungsgedanken liegt zu Grunde, dass viele Amateurvereine,<br />

nicht zuletzt wegen ihrer eingeschränkten Finanzkraft,<br />

keine besondere Talentförderung leisten können.<br />

Mit den von der Stiftung bereit gestellten Mitteln soll auch<br />

erreicht werden, dass talentierte Nachwuchssportler, die über<br />

Jahre hinweg von ehrenamtlichen Trainern, Übungsleitern<br />

und Helfern ausgebildet wurden, „ihren“ Vereinen und damit<br />

dem Heimatsport <strong>als</strong> Leistungsträger erhalten bleiben. Seit<br />

Gründung der Stiftung liegt daher der Schwerpunkt der Stiftungsaktivitäten<br />

eindeutig im Bereich der Talentförderung in<br />

den 580 Turn- und Sportvereinen des Main-Kinzig-Kreises<br />

mit annähernd 150.000 Mitgliedern.<br />

Was die geförderten Sportarten betrifft, nimmt die<br />

Leichtathletik einen breiten Raum ein. Das ist nicht überraschend,<br />

denn dieser Sportart kommt im Main-Kinzig-Kreis<br />

besondere Bedeutung zu. Daneben genießt das Rudern eine<br />

überdurchschnittliche Förderung. Auch das ist nicht verwunderlich,<br />

sondern beruht auf den Flüssen, die sich auch im Kreisnamen<br />

wiederfinden. Auf den weiteren Plätzen (um es sportlich<br />

zu sagen) folgen in der Förderung Schwimmen, Schießen,<br />

Turnen, Tennis und Tischtennis. Doch es gibt auch andere<br />

Sportarten, wie Triathlon, Olympisches Windsurfen, Rollkunstlauf<br />

und Taekwon-Do, um nur einige zu nennen, die in<br />

den Genuss von Förderungen gekommen sind. In den ersten<br />

Jahren nach der Gründung waren für die Stiftung neben den<br />

Erträgen aus dem Stiftungskapital die wesentlichen Finanzierungsquellen<br />

ab 1985 die „Sport-Presse-Bälle“ in <strong>Hanau</strong> und<br />

Bad Orb und ab 1990 die „Sport-Gala“ in der August-Schärttner-Halle.<br />

Bedeutende Zustiftungen der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

und der Kreissparkassen Gelnhausen und Schlüchtern ermöglichten<br />

es ab 1998, die Förderaktivitäten über den Bereich der<br />

Talentförderung hinaus zu erweitern und neue Schwerpunkte<br />

wie den Behindertensport oder die Integration ausländischer<br />

Jugendlicher in den Vereinen zu setzen. Seitdem trägt die Organisation<br />

den Namen <strong>Sparkasse</strong>n-Sportstiftung Main-Kinzig,<br />

<strong>Hanau</strong>, Gelnhausen, Schlüchtern.<br />

Stele von Frieder Heinze „Aufsteigen – Stürzen“; Landesgartenschau<br />

2002, Standort Ulanenplatz in <strong>Hanau</strong>. <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

208 209


Einige sparkassentechnische Begriffe<br />

Aktiengesellschaft<br />

AG. Das Grundkapital ist in Aktien zerlegt. Die Gesellschafter<br />

(= Aktionäre) sind am Grundkapital mit ihrer Einlage beteiligt.<br />

Organe: Hauptversammlung, Aufsichtsrat, Vorstand.<br />

Anstalt des öffentlichen Rechts<br />

Juristische Person des öffentlichen Rechts, die dadurch gekennzeichnet<br />

ist, dass sie Benutzer hat. Zur Durchführung<br />

eines öffentlichen Auftrags aufgrund eines Gesetzes oder einer<br />

Satzung errichtet. Rechtsform der öffentlich-rechtlichen <strong>Sparkasse</strong>n<br />

und der Landesbanken/Girozentralen.<br />

Bürgschaft<br />

Durch einen Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber<br />

dem Gläubiger eines Dritten, für die Verbindlichkeit<br />

des Dritten einzustehen. Die Bürgschaft ist <strong>als</strong>o akzessorisch<br />

(§765 Abs. 1 BGB). Die Bürgschaftserklärung muss schriftlich<br />

erfolgen. Ausnahme: Kaufleute können sich im Rahmen ihres<br />

Handelsgewerbes mündlich verbürgen. Der Bürge hat grundsätzlich<br />

die gleiche Leistung wie der Schuldner zu erbringen.<br />

Zahlt der Bürge, so erfüllt er damit sowohl die Verpflichtung<br />

des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger <strong>als</strong> auch seine<br />

eigene durch die Übernahme der Bürgschaft eingegangene<br />

Verpflichtung. Die Forderung des Gläubigers gegen den<br />

Hauptschuldner geht auf ihn über.<br />

Darlehen<br />

Rechtsgeschäft, bei dem ein Darlehensgeber (Gläubiger) einem<br />

Darlehensnehmer (Schuldner) eine fungible Sache (z.B. eine<br />

Geldsumme) befristet zur Verfügung stellt und der Schuldner<br />

sich zur Rückgabe des Empfangenen in Sachen von gleicher<br />

Art, Qualität und Menge bei Fälligkeit verpflichtet. (FWL)<br />

Deutsche Girozentrale/Deutsche Kommunalbank<br />

DGZ. Zentralinstitut der <strong>Sparkasse</strong>norganisation. Geschäftseröffnung<br />

1918, rechtliche Verselbständigung <strong>als</strong> Anstalt des<br />

öffentlichen Rechts 1931, faktischer Untergang mit dem Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs (1945). Anerkennung <strong>als</strong> »Verlagertes<br />

Kreditinstitut« 1949, Zulassung zu allen Geschäften 1954 (in<br />

Düsseldorf), Sitzverlegung nach Frankfurt (Main) 1965. Heutiger<br />

Sitz: Berlin und Frankfurt (Main).<br />

Deutsche <strong>Sparkasse</strong>nakademie<br />

Zentrale Bildungsstätte der <strong>Sparkasse</strong>norganisation. Einrichtung<br />

des Deutschen <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbandes.<br />

Deutscher <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverband e.V.<br />

DSGV. Spitzenverband der deutschen <strong>Sparkasse</strong>norganisation.<br />

Ordentliche Mitglieder: Regionale <strong>Sparkasse</strong>n- und Giroverbände,<br />

Landes banken/Girozentralen, Deutsche Girozentrale/<br />

Deutsche Kommu nalbank, Sitz Bonn.<br />

Geldwertstabilität<br />

Als Geldwertstabilität bezeichnet man einen Zustand, bei<br />

dem die Kaufkraft des Geldes stabil ist. Dies ist dann der Fall,<br />

wenn das Preisniveau (= gewo gener Durchschnitt aller Güterpreise)<br />

stabil ist. Man misst dies meist am Preisindex für<br />

die Lebenshaltung. Angestrebt wird nicht eine Stabilität von 0<br />

(das wäre utopisch, schon wegen der Schwierigkeiten der statistischen<br />

Erfassung). Geldwertstabilität liegt nach allgemeiner<br />

Auffassung bereits dann vor, wenn der Preisindex für die<br />

Lebenshaltung in einem Jahr um nicht mehr <strong>als</strong> 2 % steigt.<br />

Liegt die Preissteigerungsrate über 2 %, so spricht man von<br />

Inflation.<br />

Gemeinnützigkeit<br />

Unbestimmter Rechtsbegriff, der z. B. im Steuerrecht (»steuerliche<br />

Gemeinnützigkeit«) und im <strong>Sparkasse</strong>nrecht unterschiedlich<br />

interpretiert wird. Gemeinnützigkeit von <strong>Sparkasse</strong>n<br />

bedeutet, dass diese nicht nach Gewinnmaximierung<br />

streben, sondern dem gemeinen (im Sinne von allgemeinen)<br />

Nutzen in ihrem Geschäftsgebiet dienen sollen.<br />

Gewährträgerhaftung<br />

Unbeschränkte Haftung der Träger öffentlich-rechtlicher<br />

Kreditinstitute für die Verbindlichkeiten dieser Institute. Es<br />

bestand z.B. eine Gewährträgerhaftung der kommunalen Gewährträger<br />

für ihre <strong>Sparkasse</strong>n.<br />

Girozentrale<br />

Traditionelle Bezeichnung für die Zentralinstitute der <strong>Sparkasse</strong>norganisation,<br />

denen in der Regel zugleich die Funktionen<br />

<strong>als</strong> Hausbank des jeweiligen Bundeslandes, Emissionsinstitut<br />

(Pfandbriefe, Kommunalobligationen, sonstige<br />

Inhaberschuldverschreibungen), Landesbausparkasse und allgemeine<br />

Geschäftsbank obliegen.<br />

Hypothek<br />

Belastung eines Grundstücks in der Weise, „daß an denjenigen,<br />

zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, eine bestimmte<br />

Geldsumme zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden<br />

Forderung aus dem Grundstücke zu zahlen ist“ (§ 1113 BGB).<br />

Die Belastung eines Grundstücks durch eine Hypothek geschieht<br />

<strong>als</strong>o wegen einer dem Berechtigten zustehenden Forderung.<br />

Die Forderung ist das Hauptrecht, die Hypothek ein<br />

abhängiges Nebenrecht, das zum Hauptrecht hinzutritt. Die<br />

Hypothek spielt in der Beleihungspraxis der Kreditinstitute<br />

heute kaum noch eine Rolle. Zumeist wird die Grundschuld<br />

der Hypothek vorgezogen.<br />

Einige sparkassentechnische Begriffe<br />

Kontokorrentkonto<br />

Konto in laufender Rechnung gemäß § 355 HGB. Mindestens<br />

eine der beiden Parteien muss Kaufmann sein. Die entstehenden<br />

Zinsen und sonstige Ansprüche werden regelmäßig durch<br />

Kontoabschluss in Rechnung gestellt und gehen im Saldo unter.<br />

Nicht mehr die einzelnen Umsätze sind maßgeblich, sondern<br />

der Saldo des (meist vierteljährlichen, zum Teil auch monatlichen)<br />

Kontoabschlusses.<br />

Kontokorrentkredit<br />

Vertraglich vereinbarte Möglichkeit, das Geschäftsgirokonto<br />

(=Kontokorrentkonto) bis zu einem bestimmten Limit zu<br />

überziehen. Verzinst wird nur der tatsächlich in Anspruch genommene<br />

Kredit (Dispositionskredit).<br />

Kredit<br />

Allgemein die Überlassung von Geld oder Sachmitteln auf<br />

Zeit gegen Zahlung eines Zinses.<br />

Kreditwürdigkeit<br />

Kreditwürdig ist derjenige, bei dem man davon ausgehen<br />

kann, dass er gewillt ist, künftige Kreditverpflichtungen zuverlässig<br />

zu erfüllen (persönliche Kreditwürdigkeit). Hinzu<br />

kommen muss die materielle Kreditwürdigkeit: Ist zu erwarten,<br />

dass der Kreditnehmer auch in der Lage sein wird, seinen<br />

Verpflichtungen vertragsgemäß nachzukommen? Die Bonitätsprüfung<br />

ist nicht ein einmaliger Akt (bei der Kreditvergabe),<br />

sondern eine permanente Aufgabe während der gesamten<br />

Kreditlaufzeit.<br />

Obligation (<strong>Sparkasse</strong>nobligation)<br />

Anleihe oder Schuldverschreibung; festverzinsliches Wertpapier,<br />

mit dem der Schuldner dem Gläubiger laufende Zinszahlungen<br />

und die Rückzahlung des zur Verfügung gestellten<br />

Kapit<strong>als</strong> zu einem bestimmten Zeitpunkt zusichert; Obligationen<br />

stellen somit Gläubigerpapiere dar. Eine Obligation<br />

wird typischerweise gestückelt und die so entstandenen Teilverschuldungen<br />

werden in aller Regel an der Börse gehandelt<br />

und notiert. Obligationen werden von Bund, Ländern, Gemeinden<br />

sowie von Bodenkreditinstituten und Industrieunternehmen<br />

ausgegeben. (FWL)<br />

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Einige sparkassentechnische Begriffe<br />

Regionalprinzip<br />

Grundsatz, wonach eine <strong>Sparkasse</strong> sich i. d. R. aktiv geschäftlich<br />

nur auf dem in ihrer Satzung festgelegten Gebiet (Geschäftsbezirk)<br />

betätigen darf. Dieses Gebiet entspricht meist<br />

dem Gebiet des kommunalen Gewährträgers. Der Ausleihbezirk<br />

geht häufig etwas darüber hinaus. <strong>Sparkasse</strong>n dürfen<br />

außerhalb ihres Geschäftsbezirks keine Geschäftsstellen eröffnen.<br />

Sie müssen jedoch satzungsgemäß Einlagen von jedermann<br />

entgegennehmen, ohne Rücksicht auf dessen Wohnort<br />

oder Geschäftssitz. Im Kreditgeschäft dürfen sie ihren Kunden<br />

folgen, z.B. auch, wenn ein zu beleihendes Immobilienobjekt<br />

außerhalb des Ausleihbezirks liegt (Anknüpfungstheorie).<br />

Das Regionalprinzip ist an vielen Stellen durch historisch gewachsene<br />

Gegebenheiten (z.B. Geschäftsstellen außerhalb des<br />

heutigen Geschäftsbezirks) durchbrochen. Insgesamt stellt das<br />

Regionalprinzip sicher, dass <strong>Sparkasse</strong>n miteinander im allgemeinen<br />

nicht oder nur sehr begrenzt im Wettbewerb stehen<br />

und sich deshalb primär <strong>als</strong> Schwesterninstitute und nicht<br />

<strong>als</strong> Konkurrenzinstitute verstehen. Dies ist die Grundlage des<br />

sparkassenwirtschaftlichen Verbundes.<br />

Sparbuch<br />

Übliche Form der Sparurkunde, die auszustellen ist. Übliche<br />

Angaben: Bezeichnung des ausgebenden Instituts, Name und<br />

Wohnung des Gläubigers der Spareinlage, Nummer des Sparbuchs,<br />

Hinweis auf Bestimmungen für den Sparverkehr, ggf.<br />

Kennwort, Kündigungsvermerk.<br />

Spareinlagen<br />

Einlagen, die der Ansammlung oder Anlage von Vermögen<br />

dienen und durch Ausfertigung einer Sparurkunde (eines<br />

Sparbuchs) gekennzeichnet sind. Kündigungsfrist: mindestens<br />

drei Monate.<br />

<strong>Sparkasse</strong><br />

Kreditinstitut im Sinne des Bundesgesetzes über das Kreditwesen.<br />

Besondere Kennzeichnen: i. d. R. öffentliche Rechtsform<br />

(Anstalt d. öffentlichen Rechts), kommunale Gewährträgerschaft,<br />

Regionalprinzip, öffentlicher Auftrag, Gemeinnützigkeit.<br />

Historisch bedingt gibt es noch freie <strong>Sparkasse</strong>n (in<br />

privater Rechtsform), die weitgehend nach den gleichen Prinzipien<br />

geführt werden. Die Bezeichnung „<strong>Sparkasse</strong>“ ist geschützt.<br />

Zinsen<br />

Vergütung für die Überlassung von Kapital. Die Berechnung<br />

erfolgt unter Berücksichtigung der Größen Kapital, Zinssatz<br />

und Zeit (ausgedrückt in Tagen, Monaten oder Jahren).<br />

Aus: G. Ashauer, Kleines Banklexikon, Stuttgart 1998, und Bert<br />

Rürup, Fischer Wirtschaftslexikon, 5. Auflage, Frankfurt 2000.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>nfiliale in Niederdorfelden.<br />

<strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

Literatur zum Thema – eine Auswahl<br />

Memoiren / Zeitgenössische Darstellungen<br />

Alberus, Erasmus, LOB DER WETTERAU, Enthaltend die „Kurze<br />

Beschreibung der Wetterau“ (1552), zwölf auserlesene Fabeln aus<br />

Wetterau und Hessenland sowie <strong>als</strong> Anhang fünf geistliche Lieder.<br />

Mit Rohrfederzeichnungen und Holzschnitten von Archibald Bajorat.<br />

Textgestaltung, Einführung und Nachwort von Helmut Bode, Frankfurt<br />

am Main 1978.<br />

Die Fahrt des Pfarrers Hebelius Potter von der niederländischen Gemeinde<br />

in <strong>Hanau</strong> von Friedberg nach <strong>Hanau</strong> 1810, in: <strong>Hanau</strong>er Historische<br />

Hefte 1 (2010).<br />

Dielhelm, Johann Hermann Wetterauischer Geographus, Frankfurt<br />

1747.<br />

Eberhard, Bernhard, Aus meinem Leben. Erinnerungen des † Oberbürgermeisters<br />

von <strong>Hanau</strong> und Kurhess. Staatsrates Bernhard Eberhard,<br />

in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 1 (1911), S. 1 ff.<br />

Landau, Georg, Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen, Kassel<br />

1842.<br />

Merian, Matthäus, Theatrum Europaeum, III. Band, Frankfurt 1639.<br />

Zur Geschichte von <strong>Hanau</strong> und seinem Umland<br />

Auswirkungen einer Stadtgründung, hrsg. vom Magistrat der Stadt<br />

<strong>Hanau</strong>, der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde und dem <strong>Hanau</strong>er<br />

Geschichtsverein 1844 e.V., <strong>Hanau</strong> 1997.<br />

Bilz, Wolfgang, Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Eine<br />

Studie über die Rheinbundzeit, Würzburg 1969.<br />

Blome, Helmut (Red.), <strong>Hanau</strong> - Zerstörung und Wiederaufbau. Eine<br />

Dokumentation des <strong>Hanau</strong>er Anzeiger zum 19. März 1945, <strong>Hanau</strong><br />

1985.<br />

Bott, Heinrich, Gründung und Anfänge der Neustadt <strong>Hanau</strong>, 1596-<br />

1620, zwei Bände, <strong>Hanau</strong> 1970 und 1971 (=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter,<br />

Bde. 22 und 23).<br />

Brandt, Harm-Hinrich, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Raum<br />

<strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 1963.<br />

Bus, Erhard, Nicht nur an Main und Kinzig. Ein Überblick zur Entwicklung<br />

des Territoriums der Herren und Grafen von <strong>Hanau</strong> vom<br />

Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, in: stadtzeit 6, <strong>Hanau</strong> 2003, S. 20ff.<br />

Ders. und Martin Hoppe (Red.), Der Dreißigjährige Krieg in <strong>Hanau</strong><br />

und Umgebung. Herausgegeben vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein 1844<br />

e.V. anlässlich der 375.Wiederkehr des Entsatzes der Stadt, <strong>Hanau</strong> 2011<br />

(=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter, Bd. 45).<br />

Darmstaedter, Paul, Das Großherzogtum Frankfurt, Frankfurt 1901.<br />

Flämig, Gerhard, <strong>Hanau</strong> im Dritten Reich, 3 Bde., Band I (1930-1934)<br />

Wie es dazu kam – Die Machtergreifung; Band II: (1933-1945) Verfolgung<br />

und Widerstand; Band III: (1933-1945) Der Alltag, <strong>Hanau</strong> 1983-<br />

1991.<br />

Frei, Richard, Die Bedeutung der niederländischen Einwanderer für<br />

die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt <strong>Hanau</strong>, (Diss.) Gießen 1926.<br />

Heitzenröder, Wolfram, Die Arbeiterbewegung in <strong>Hanau</strong> und Umgebung,<br />

1848 bis 1878, <strong>Hanau</strong> 2002.<br />

Klueting, Harm, Dalbergs Großherzogtum Frankfurt – ein napoleonischer<br />

Modellstaat? Zu den rheinbündischen Reformen in Frankfurt,<br />

Aschaffenburg und Großherzogtum Frankfurt, in: Aschaffenburger<br />

Jahrbuch 11/12 (1989), S. 359 ff.<br />

Löwenstein, Uta, Die Grafschaft <strong>Hanau</strong> vom Ende des 16. Jahrhunderts<br />

bis zum Anfall an Hessen, in: Neues Magazin für <strong>Hanau</strong>ische<br />

Geschichte 2005, S. 11 ff.<br />

Lübbecke, Fried, <strong>Hanau</strong> Stadt und Grafschaft, Köln 1951.<br />

Magistrat der Stadt <strong>Hanau</strong>, Hauptamt, In 150 Jahren 13 gewählte<br />

Oberbürgermeister, Red. Karlheinz Hoppe, <strong>Hanau</strong> 1984.<br />

Meise, Eckhard (Red.), 675 Jahre Altstadt <strong>Hanau</strong>. Festschrift zum<br />

Stadtjubiläum und Katalog zur Ausstellung, hg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein,<br />

<strong>Hanau</strong> 1978.<br />

Rauch, Günter, „Tammo de Hagenowa“. Zur ersten urkundlichen Erwähnung<br />

des Namens <strong>Hanau</strong> vor 850 Jahren, in: Neues Magazin für<br />

<strong>Hanau</strong>ische Geschichte 1993, S. 4 ff.<br />

Schwind, Fred, Zu den Anfängen von Herrschaft und Stadt <strong>Hanau</strong>, in:<br />

675 Jahre Altstadt <strong>Hanau</strong>, hrsg. vom <strong>Hanau</strong>er Geschichtsverein, <strong>Hanau</strong><br />

1978, S. 20 ff.<br />

Stubbe-Da Luz, Helmut, Kurt Blaum (1884-1970) – <strong>Hanau</strong>s Stadtoberhaupt<br />

vor und nach der Hitlerzeit. Skizze einer exemplarischen<br />

Oberbürgermeisterbiographie der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts,<br />

in: <strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter 30 (1988), S. 591 ff.<br />

Tapp, Alfred, <strong>Hanau</strong> im Vormärz und in der Revolution von 1848-<br />

1849, <strong>Hanau</strong> 1976.<br />

212 213


Literatur<br />

Wille, Richard, <strong>Hanau</strong> im dreißigjährigen Kriege, <strong>Hanau</strong> 1886.<br />

Zimmermann, Ernst J., <strong>Hanau</strong> – Stadt und Land. Kulturgeschichte<br />

und Chronik einer fränkisch-wetterauischen Stadt und ehemaligen<br />

Grafschaft. Unveränderter Nachdruck d. vermehrten Ausgabe von<br />

1919, <strong>Hanau</strong> 1978.<br />

Zum <strong>Sparkasse</strong>nwesen<br />

Ashauer, Günter, Von der Ersparungscasse zur <strong>Sparkasse</strong>n-Finanzgruppe,<br />

Stuttgart 1991.<br />

Born, Karl Erich, Geld und Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart<br />

1977.<br />

Jachmich, Gabriele, Die Geschichte des Hessischen <strong>Sparkasse</strong>n- und<br />

Giroverbandes, Frankfurt 1995.<br />

Mura, Jürgen, Entwicklungslinien der deutschen <strong>Sparkasse</strong>ngeschichte,<br />

Stuttgart 1987.<br />

Pohl, Hans, und Günther Schulz, Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

der deutschen <strong>Sparkasse</strong>n im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005.<br />

Strube, Hans, Geschichte des <strong>Sparkasse</strong>nwesens und der <strong>Sparkasse</strong>n in<br />

Kurhessen 1819 – 1866, Stuttgart 1973.<br />

Wehber, Thorsten (Bearb.), Wenn‘s um die Region geht ... <strong>Sparkasse</strong>,<br />

Stuttgart 2009 (<strong>Sparkasse</strong>n in der Geschichte. R.1, 30).<br />

Wysocki, Josef, Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

der deutschen <strong>Sparkasse</strong>n im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1980.<br />

Zu <strong>Hanau</strong>s <strong>Sparkasse</strong>n<br />

Auf Werte bauen: Eine Dokumentation zum Hauptstellen-Erweiterungsbau,<br />

1990.<br />

125 Jahre Stadtsparkasse und Landesleihbank <strong>Hanau</strong>. Zugleich historischer<br />

Bericht und aktueller Bilanzstatus per 30. Juni 1966, <strong>Hanau</strong><br />

1966.<br />

50 Jahre Öffentliche mündelsichere <strong>Sparkasse</strong> - Kreissparkasse zu <strong>Hanau</strong>,<br />

1899-1949, 1949<br />

Gottwald, Eckehard, <strong>Hanau</strong>er Notgeld, <strong>Hanau</strong> 2001 (=<strong>Hanau</strong>er Geschichtsblätter,<br />

Bd. 39).<br />

Suchier, Reinhard, Die Münzen der Grafen von <strong>Hanau</strong> zum dreihundertjährigen<br />

Jubiläum der Neustadt <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 1897 (Nachdruck<br />

1994).<br />

Unser Geld. Vom römischen Denar zum Euro, 2000 Jahre Geldgeschichte,<br />

hrsg. von der <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong>, <strong>Hanau</strong> 2001 (stadtzeit 4).<br />

Titelseite der landgräflichen Ordnung für die Leihbank zu <strong>Hanau</strong> aus Vorstand der Landesleihbank (Hrsg.), 200 Jahre Öffentliche <strong>Sparkasse</strong>.<br />

dem Jahr 1738. Hessisches Staatsarchiv Marburg Landesleihbank <strong>Hanau</strong> 1738-1938, <strong>Hanau</strong> 1938.<br />

Die <strong>Sparkasse</strong>n-Villa in der Philippsruher Allee <strong>Sparkasse</strong> <strong>Hanau</strong><br />

214 215


Der Titel der vorliegenden Chronik ist den im August 1850 verfassten Lebenserinnerungen<br />

des ehemaligen <strong>Hanau</strong>er Oberbürgermeisters Bernhard Eberhard (1795-1860) entnommen.<br />

Vollständig lautet die Passage:<br />

„Hat auch diese städtische <strong>Sparkasse</strong> mit manchen anderen minder zweckmäßigen Einrichtungen,<br />

so namentlich mit den in Wirtshäuser verlegten, mehr auf Spekulation berechneten Privat-<br />

Spar kassen zu kämpfen, und ist es auch bis jetzt weniger gelungen, ihr bei den Fabrikarbeitern<br />

Eingang zu verschaffen, so läßt sich doch ihr wohltätiger Einfluß, insbesondere für die dienende<br />

Klasse, nicht verkennen. Die Zahl der Einleger und die Summe der Einlagen ist im Steigen<br />

begriffen, und so wird auch, wie ich hoffen darf, diese mit Liebe gepflegte Anstalt ihren Zweck<br />

in immer größerer Ausdehnung erfüllen.“<br />

ISBN 978-3-00-041038-3

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