Newsletter Chirurgie Orthopädie 1/2012 - Spital Oberengadin
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Operationen – kurz und bündig:<br />
Osteosynthesematerialentfernung (OSME)<br />
Einleitung Die OSME ist keineswegs ein banaler<br />
Eingriff. Die OP birgt ein nicht unerhebliches<br />
Komplikationenspektrum. Vor dem<br />
Hintergrund, dass die vorhandenen Osteosynthesematerialien<br />
(OSM) sehr gut vertragen<br />
werden, soll eine differenzierte Indikationsstellung<br />
zur OSME erfolgen. Vor der OSME<br />
soll intensiv die Beschwerdeursache gesucht<br />
werden, nicht immer ist das OSM verantwortlich.<br />
Fragen rund um die OSME sind häufig.<br />
Die folgenden Gedanken, für Sie als unsere<br />
Zuweiser gedacht, gelten für Erwachsene. Bei<br />
Kindern gilt, dass das OSM dann entfernt wird,<br />
wenn die Fraktur konsolidiert ist.<br />
Indikation für die OSME Das OSM ist ein<br />
temporärer Kraftträger. Die OSME erfolgt, wenn<br />
der Frakturspalt verschwunden ist und die<br />
Kortikalis sich wieder als kompaktes Band<br />
abzeichnet.<br />
Abbildung: Radiologischer Heilungsverlauf am<br />
Beispiel einer Klavikulafraktur.<br />
Ab diesem Moment ist das OSM eigentlich nur<br />
noch ein Fremdkörper. Die Knochenheilung<br />
dauert 3 - 18 Monaten, ist stark von Frakturlokalisation/Frakturtyp<br />
abhängig. Die Indikation<br />
zur OSME leitet sich jedoch nicht nur von dem<br />
Ausmass der knöchernen Heilung und dem<br />
Faktor Zeit nach dem operativen Eingriff ab.<br />
Metallurgische Aspekte: OSM bestehen aus<br />
Titan oder Stahl. Titan ist im Gewebe inert,<br />
Gewebereaktionen höchstens durch<br />
mechanische Irritation, Allergien sind nicht<br />
bekannt. Titan-OSM zeichnen sich aus durch<br />
eine gute Osteointegration. Dieser an sich<br />
positive Effekt kann andererseits die OSME<br />
deutlich erschweren, wenn Schrauben, Platten<br />
oder Marknägel von umgebendem Knochengewebe<br />
befreit werden müssen. Bei Stahl- und<br />
Titan-OSM tritt in Abhängigkeit der Liegezeit<br />
Korrosion an der Kontaktstelle zwischen Platte<br />
und Schraube auf. Reaktionsprodukte der<br />
Korrosion, Oxyde und Hydroxide führen zu<br />
einer Metallionenfreisetzung im Körper. Diese<br />
Reaktion manifestiert sich intraoperativ durch<br />
eine schwarzbraune Verfärbung des periimplantären<br />
Gewebes. Die aus Stahl-OSM<br />
losgelösten Nickel und Chrom erreichen zwar<br />
sehr geringe Gewebekonzentrationen, können<br />
aber eine klinische Relevanz haben, da die<br />
beiden Elemente zu den häufigsten Auslösern<br />
von Kontaktallergien zählen. Klinische Zeichen<br />
einer OSM-Unverträglichkeiten sind lokale<br />
Ekzeme, Wundheilungsstörungen, Urtikaria<br />
oder Schwellungen.<br />
Interferenz zwischen OSM und Knochen: OSM<br />
führen zu Strukturveränderungen im Knochen.<br />
Vor allem bei der klassischen Plattenosteosynthese.<br />
Es entsteht ein unnatürliches<br />
Bone remodelling mit lokaler Osteopenie<br />
plattennahe und es kann zu Sollbruchstellen an<br />
den Implantaträndern kommen.<br />
Die neuen winkelstabilen OSM, die bewusst die<br />
plattennahe Kortikalis schonen, verringern<br />
diesen Nachteil der klassischen Plattenosteosynthese.<br />
Räumliche Aspekte: An der Peripherie der<br />
Extremitäten mit dünnem Weichteilmantel<br />
stören OSM und behindern bzw. verdrängen die<br />
umgebenden Weichteile (Sehnen, Bänder,<br />
Gelenkskapsel). Adhäsionen zwischen den<br />
Gleitschichten, bursaähnliche<br />
I<br />
Reizerscheinungen<br />
und Behinderung des Gelenkspiels sind<br />
die Folge. Ein Nachteil der neuen winkelstabilen<br />
OSM ist die, für eine sichere Verbindung<br />
zwischen Schrauben und Platte notwendige,<br />
stärkere Plattendicke. Diese Platten, tragen<br />
unter der Haut auf und müssen deshalb meist<br />
nach der Knochenheilung entfernt werden.<br />
Subjektive Aspekte: Viele Patienten empfinden<br />
OSM als subjektiven Fremdkörper der sich<br />
störend auf Körpergefühl/ psychisches Wohlbefinden<br />
auswirkt. Für viele Patienten ist die<br />
Traumaverabeitung erst mit der OSME abgeschlossen.<br />
An der unteren Extremität führt<br />
die OSM-bedingte Rigidität des Knochens zu<br />
belastungsabhängigen Beschwerden. Gewisse<br />
Sportarten wie Joggen können erst wieder ausgeführt<br />
werden wenn durch die OSME die<br />
Elastizität des Knochens wiederhergestellt ist.<br />
Absolute Indikationen zur OSME<br />
• OSM-Bruch: Gebrochene OSM sind oft<br />
Hinweis auf eine gestörte Frakturheilung, so<br />
dass sich in diesen Situationen im Rahmen<br />
einer Reosteosynthese eine OSME<br />
aufdrängt.<br />
• Kirschnerdrähte: Können im Körper<br />
wandern.<br />
• Spätinfektionen: Hier ist die OSME Teil der<br />
Behandlungsstrategie.<br />
Zeitliche Richtwerte zur OSME:<br />
• Klavikula 12 Monate<br />
• Humeruskopf (Platte) 12 Monate<br />
• Humerusschaft (Platte) belassen<br />
• Humerus distal (Platte) 12 Monate<br />
• Unterarm (Platte) 24 Monate<br />
• Distaler Radius (Platte) 6 – 12 Monate<br />
• Distaler Radius (Spickdrähte) 6 Wochen<br />
• Metacarpalia und Phalangen (Spickdrähte)<br />
6 – 8 Wochen<br />
• Metacarpalia und Phalangen (Platten)<br />
4 – 6 Monate<br />
• Schenkelhalsfraktur (Schrauben) 12 Monate<br />
• Pertrochantäre Femurfraktur (ITN, DHS)<br />
12 – 18 Monate<br />
• Femurschaft (Platte/Nagel) 24 – 36 Monate<br />
• Patella 6 – 12 Monate<br />
• Tibiakopf (Platte) 12 – 18 Monate<br />
• Tibiaschaft (Platte/Nagel) 18 – 24 Monate<br />
• Pilon tibial (Platte) 6 - 12 Monate<br />
• Malleolarfraktur 6 – 12 Monate<br />
• Malleolarfraktur (Stellschraube) 6 Wochen<br />
Kontraindikationen für eine OSME Reizlos<br />
liegende, beschwerdefrei eingeheilte<br />
Einzelschrauben, unabhängig vom Metalltyp.<br />
Sehr tief liegende Implantate - Entfernung mit<br />
einem unverhältnismässigen technischen<br />
Aufwand oder Risiko verbunden.<br />
Ältere Patienten mit eingeschränkter<br />
Lebenserwartung – Der Knochen erreicht bei<br />
diesen Patienten oft seine ursprüngliche<br />
Festigkeit nicht mehr zurück.<br />
Humerusschaft und proximaler Radius - Gefahr<br />
der Verletzung des Nervus radialis.<br />
Patientenaufklärung und Planung der<br />
OSME<br />
• Vor der OSME aktuelles Röntgenbild .<br />
• Hinweis auf das mögliche Verbleiben von<br />
Restmetall (Schraubenbruch)<br />
• Hinweis auf das neuerliche, unter<br />
Umständen grössere Operationstrauma<br />
• Komplikationen: Allgemeine<br />
Komplikationen, Nervenverletzungen,<br />
revisionsbedürftige<br />
Hä-matome,<br />
Infektionen, Refrakturen.<br />
• Präoperative Dokumentation der peripheren<br />
Sensibilität, Durchblutung und Bewegungsumfang<br />
.<br />
• Bei allfälligen neurologischen Problemen<br />
vorgängige fachärztliche neurologische<br />
Beurteilung.<br />
• Zurückhaltung mit Versprechen, dass nach<br />
OSME Beschwerdefreiheit besteht.<br />
Besonders bei Gelenkfrakturen kann Anteil<br />
einer posttraumatischen Arthrose oft erst<br />
post festum beurteilt werden.<br />
• Studium des ursprünglichen OP-Berichts.<br />
Idealerweise nennt der Erstoperateur Beziehung<br />
des Implantates zu wichtigen<br />
Strukturen (Nerven, Sehnen, Gefässe) und<br />
die genaue Spezifikation des verwendeten<br />
OSM (Metalltyp, Name des OSM,<br />
Hersteller).<br />
• Operateur muss sich bezüglich des OSM im<br />
Klaren sein und das entsprechende Material<br />
im OP verfügbar sein.<br />
• Für Problemfälle empfiehlt sich das<br />
Vorhalten eines speziellen Extraktionsset.<br />
Probleme bei der OSME<br />
• Verletzungen des N. radialis bei OSME von<br />
Humerusschaftplatten,<br />
• Verletzung des ramus profundus N. radialis<br />
bei OSME von proximalen Radiusplatten<br />
• Verletzung des ramus superficialis N.<br />
radialis bei OSME von Kirschnerdrähten am<br />
distalen Radius.<br />
• Nervus medianus ist gefährdet bei OSME<br />
von palmaren distalen Radiusplatten.<br />
• Verletzung des ramus superficialis des<br />
Nervus peronaeus bei OSME von Platten an<br />
der distalen Fibula häufig.<br />
• Winkelstabile OSM: Gelegentlich haben wir<br />
Schwierigkeiten, einzelne Schrauben aus<br />
der Verbindung zur Platte zu lösen. Dieses<br />
Phänomen beruht auf einer plastischen<br />
Deformierung des Metalls. Durch konsequentes<br />
Verwenden eines Drehmomentbegrenzers<br />
bei der Erstoperation kann die<br />
übermässige Kraftanwendung beim Eindrehen<br />
der Schrauben und damit die<br />
plastische Deformierung vermieden werden.<br />
Technik und Nachbehandlung<br />
• Als Zugang wird meist der gleiche gewählt<br />
wie bei erster Operation.<br />
• Narbe muss oft nur partiell eröffnet werden.<br />
Subcutan liegende Schrauben werden durch<br />
Stichinzisionen entfernt.<br />
• Überall, wo zwischen Haut und Implantat<br />
empfindliche Weichteile wie Sehnen und<br />
Nervenäste verletzt werden können, ist<br />
dieses Vorgehen jedoch nicht statthaft, hier<br />
muss die gesamte Narbe eröffnet werden,<br />
manchmal wegen Vernarbung sogar<br />
Schnitt-erweiterungen notwendig.<br />
• Die komplette Entfernung des Materials<br />
muss radiologisch bestätigt werden<br />
(intraoperatives BV-Bild oder<br />
postoperatives Röntgen).<br />
• Nach OSME an den Röhrenknochen soll für<br />
3 Monate eine stärkere Belastung (z.B. Skifahren)<br />
vermieden werden, um eine Remodelling<br />
des Knochens zu gewährleisten.