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Emmanuel Joseph Sieyès, Was ist der Dritte Stand? - Franz Steiner ...

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Rezensionen<br />

121<br />

OLIVER SENSEN. Kant on Human Dignity, De Gruyter, Berlin/Boston 2011, 230 S.<br />

Kants Begriff <strong>der</strong> Menschenwürde <strong>ist</strong> eines<br />

<strong>der</strong> großen Inspirationsquellen für das<br />

rechtliche Konzept <strong>der</strong> Menschenwürde. In<br />

Anlehnung an Kants zweite Formel des kategorischen<br />

Imperativs, <strong>der</strong> Zweck-an-sich-<br />

Formel, 1 formuliert das Bundesverfassungsgericht<br />

in ständiger Rechtsprechung:<br />

»Die Menschenwürde <strong>ist</strong> betroffen, wenn<br />

<strong>der</strong> konkrete Mensch zum Objekt, zu einem<br />

bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe<br />

herabgewürdigt wird«. 2<br />

Umstritten <strong>ist</strong> allerdings, ob sich diese Bezugnahme<br />

auf Kant mit den Kantischen Auffassungen<br />

zum Begriff <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

vereinbaren lässt. Oliver Sensen, Professor<br />

für Philosophie an <strong>der</strong> Tulane University in<br />

New Orleans, bringt mit seinem Buch »Kant<br />

on Human Dignity« Klarheit. Das Buch stellt<br />

die erweiterte Fassung seiner Dissertation<br />

dar, mit <strong>der</strong> er im Jahre 2004 bei Onora<br />

O`Neill an <strong>der</strong> Cambridge University promoviert<br />

wurde. Sensens Hauptthese <strong>ist</strong>, dass<br />

Kant ein traditionelles Verständnis von Menschenwürde<br />

hat, das größtenteils auf Cicero<br />

zurückgeht (S. 164 ff.). Diese traditionelle<br />

Verständnis von Menschenwürde unterscheide<br />

sich vom zeitgenössischen Verständnis<br />

in vielfacher Weise (S. 161 f.): Entscheidend<br />

sei, dass Würde nicht als ein absoluter Wert<br />

verstanden werde, <strong>der</strong> eine metaphysische<br />

Eigenschaft des Menschen sei und Rechte<br />

begründe. Zu einer eigenständigen Begründung<br />

von Rechten sei <strong>der</strong> traditionelle Begriff<br />

<strong>der</strong> Würde überhaupt nicht in <strong>der</strong> Lage. Es<br />

bestehe vielmehr allein die Pflicht gegen sich<br />

selbst, seiner ursprünglichen Würde gerecht<br />

zu werden, indem man bestimmte Fähigkeiten<br />

(wie Vernunft o<strong>der</strong> Freiheit) nutze und dadurch<br />

seine ursprüngliche Würde realisiere.<br />

Die Würde des Menschen habe nach dem<br />

traditionellen Verständnis somit einen zwe<strong>ist</strong>ufigen<br />

Charakter: eine jedem Menschen<br />

zukommende ursprüngliche Würde (erste<br />

Stufe), die es zu verwirklichen gelte (zweite<br />

Stufe). Der Begriff <strong>der</strong> Würde drücke nach<br />

dem traditionellen Verständnis von Kant damit<br />

lediglich aus, dass moralisches, d.h.<br />

vernunftgesteuertes, Verhalten besser und<br />

wichtiger sei als nicht-moralisches Verhalten<br />

(S. 202).<br />

Folgt man dieser Interpretation Sensens,<br />

so kann sich das maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht<br />

entwickelte rechtliche<br />

Konzept <strong>der</strong> Menschenwürde zumindest<br />

nicht unmittelbar auf Kants Begriff <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

stützen. Der Mensch <strong>ist</strong> bei Kant<br />

nicht zu achten, weil er Würde hat, son<strong>der</strong>n<br />

umkehrt: Weil <strong>der</strong> Mensch zu achten <strong>ist</strong>,<br />

kommt dem Menschen Würde zu. Als Textbeleg<br />

für diese Kant-Interpretation Sensens<br />

lässt sich folgende Stelle aus <strong>der</strong> Tugendlehre,<br />

dem zweiten Teil <strong>der</strong> Metaphysik <strong>der</strong> Sitten,<br />

anführen:<br />

»Die Menschheit selbst <strong>ist</strong> eine Würde;<br />

denn <strong>der</strong> Mensch kann von keinem Menschen<br />

(we<strong>der</strong> von An<strong>der</strong>en noch sogar<br />

von sich selbst) blos als Mittel, son<strong>der</strong>n<br />

muß je<strong>der</strong>zeit zugleich als Zweck gebraucht<br />

werden, und darin besteht eben<br />

seine Würde (Persönlichkeit), dadurch<br />

er sich über alle an<strong>der</strong>en Weltwesen, die<br />

nicht Menschen sind und doch gebraucht<br />

werden können, mithin über alle Sachen<br />

erhebt«. 3<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Menschenwürde bei Kant<br />

stellt damit, so Sensen, lediglich ein »secondary<br />

concept« dar (S. 202). Moralische<br />

Rechte würden bei Kant einzig durch den<br />

kategorischen Imperativ begründet. Mit einer<br />

differenzierten und überzeugenden Begründung<br />

vertritt Sensen dabei im dritten Kapitel<br />

seines Buches die These, dass die erste Formel<br />

des kategorischen Imperativs, die Allgemeine-Gesetzes-Formel,<br />

4 und dessen zweite<br />

1 Die Zweck-an-sich-Formel lautet: »Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als<br />

in <strong>der</strong> Person eines jeden an<strong>der</strong>n je<strong>der</strong>zeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst«<br />

(Kant, Grundlegung zur Metaphysik <strong>der</strong> Sitten, Akademieausgabe Bd. 4, S. 429).<br />

2 BVerfGE 9, 89 (95); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 45, 187 /228); 50, 125 (133); 50, 166 (175); 50, 205<br />

(215); 72, 105 (116); 87, 209 (228); 109, 133 (150); 109, 279 (312).<br />

3 Kant, Metaphysik <strong>der</strong> Sitten, Akademieausgabe Bd. 6, S. 462 – Hervorhebung vom Verfasser.<br />

4 Die Allgemeine-Gesetzes-Formel lautet: »Handle nur nach <strong>der</strong>jenigen Maxime, durch die du zugleich<br />

wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde« (Kant, Grundlegung zur Metaphysik<br />

<strong>der</strong> Sitten, Akademieausgabe Bd. 4, S. 421).<br />

ARSP (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie), Band 99/1 (2013)<br />

© <strong>Franz</strong> <strong>Steiner</strong> Verlag, Stuttgart<br />

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Das gilt insbeson<strong>der</strong>e für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen.<br />

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