OhO-anzeiger - St. Galler Tagblatt
OhO-anzeiger - St. Galler Tagblatt
OhO-anzeiger - St. Galler Tagblatt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Leute Engagement<br />
Bilder: Franziska Messner-Rast<br />
Seit Anfang November 2012 ist die Herisauerin Marianne Kleiner (links) Präsidentin des Beirats von «Ostschweizer helfen Ostschweizern». Aktuarin<br />
Doris Lew unterstützt sie tatkräftig bei der Arbeit und beantwortet ihre vielen Fragen.<br />
Mit Freude viel<br />
Geld verteilen<br />
Erstmals kann FDP-Frau<br />
Marianne Kleiner öffentlich<br />
Geld grosszügig<br />
ausgeben: Als Beiratspräsidentin<br />
der <strong>St</strong>iftung<br />
<strong>OhO</strong> – Ostschweizer helfen<br />
Ostschweizern.<br />
von Daniela Huijser<br />
<strong>anzeiger</strong>: Frau Kleiner, wie viele<br />
Gesuche haben Sie in den vergangenen<br />
sechs Wochen geprüft?<br />
Marianne Kleiner: Es waren rund<br />
80 Gesuche, und die beantragten<br />
Summen beliefen sich auf<br />
zwischen 150 und 38 000 Franken.<br />
Über Anträge auf mehr als<br />
2000 Franken entscheidet der gesamte<br />
Beirat. Als Präsidentin bearbeite<br />
ich etwas weniger Fälle<br />
als die anderen Beiräte; wir alle<br />
arbeiten ehrenamtlich und kümmern<br />
uns intensiv um diese<br />
Anträge. Gesuche seriös zu behandeln,<br />
ist aufwendig.<br />
Welches war der grösste Betrag,<br />
um den gebeten wurde?<br />
Ein selbständiger Unternehmer,<br />
der in finanzielle Schwierigkeiten<br />
geraten war, bat um 38 000 Franken.<br />
Das Geld benötigt er, um die<br />
neu anfallenden Sozialabgaben<br />
und <strong>St</strong>euern zu bezahlen, nachdem<br />
sich sein Geschäftsergebnis<br />
durch einen grosszügigen Schuldenerlass<br />
der Bank verbessert hat<br />
te. Nach Rücksprache habe ich<br />
dieses Gesuch abgelehnt und<br />
dem Antragsteller eine ausführliche<br />
Begründung gegeben.<br />
Weshalb die Ablehnung?<br />
Ich bin der Meinung, dass eine<br />
solch hohe Auszahlung nicht im<br />
Sinne unserer vielen Spenderinnen<br />
und Spender gewesen wäre.<br />
Genau wie die Bitte um ein Auto.<br />
8000 Franken wären dafür<br />
notwendig, doch ich fand, dass<br />
diese – zwar behinderte – Frau in<br />
24 www.<strong>anzeiger</strong>.biz 16. Januar 2013 Nr. 3
Leute Engagement<br />
der Lage ist, den öV zu nutzen.<br />
Auch hier habe ich mit der Gesuchstellerin<br />
lange telefoniert.<br />
Gibt es ein Problem, das immer<br />
wieder auftritt?<br />
Zahnarztrechnungen und Musikstunden<br />
für Kinder – diese Themen<br />
kommen immer wieder vor.<br />
Auch um Unterstützung für Skilager<br />
wird oft nachgesucht sowie<br />
um die Miete einer Ausrüstung<br />
für diese Zeit. Hier sagen wir häufig<br />
ja, wobei wir nicht immer die<br />
gesamte Summe bewilligen. Bei<br />
Zahnarztrechnungen übernehmen<br />
wir in der Regel die Hälfte<br />
des Sozialtarifs. Besonders gern<br />
unterstützen wir Gesuche von<br />
Menschen, die um jeden Preis<br />
versuchen, ohne Sozialhilfe über<br />
die Runden zu kommen. Geschieht<br />
in solchen Fällen etwas<br />
Unvorhergesehenes wie eine<br />
Zahnarztbehandlung, dann<br />
reicht das Geld gar nicht mehr<br />
zum Leben.<br />
Gibt es einen Fall, der Sie besonders<br />
berührte?<br />
Davon gibt es viele. Speziell war<br />
zum Beispiel der Antrag einer Familie<br />
für ein Zugbillett. Die Eltern<br />
Ein Mann arbeitet selbständig<br />
als Maler und hat einen kleinen<br />
Verdienst. Doch er ist gesundheitlich<br />
angeschlagen und oft<br />
bettlägrig. Nun ist er bei der IV<br />
angemeldet, aber die Anspruchsprüfung<br />
dauert noch. Seine<br />
Frau arbeitet Teilzeit, verdient<br />
rund 1900 Franken, zwei Kinder<br />
leben noch zuhause. Ein erwachsener<br />
Sohn steuerte sein gutes,<br />
regelmässiges Einkommen zum<br />
Haushalt bei, doch er verstarb<br />
urplötzlich vor wenigen Monaten.<br />
Hier sprechen wir einen<br />
Überbrückungsbeitrag, bis die<br />
IV-Abklärung fertig ist.<br />
•<br />
Eine ältere Frau mit IV-Rente und<br />
Ergänzungsleistungen betreut<br />
ihre oft kranke Enkelin, um die<br />
sich ihre Mutter nicht kümmert.<br />
Beispiele aus dem <strong>OhO</strong>-Alltag<br />
(geschildert von Marianne Kleiner)<br />
Die Tochter meldet sich nie und<br />
holt auch die Sozialhilfe der Gemeinde<br />
für ihr Kind nicht ab, wodurch<br />
der Grossmutter, die ebenfalls<br />
mit sehr wenig Geld leben<br />
muss, die Mittel fehlen. Auch<br />
hier helfen wir durch <strong>OhO</strong>. Grosseltern<br />
wollen ihren Enkeln oft<br />
helfen, geraten aber dann selber<br />
in finanzielle Schwierigkeiten.<br />
•<br />
Manchmal stehen mir auch die<br />
Haare zu Berge. Beim Gesuch einer<br />
Frau etwa, die fünf Kinder<br />
hat, alle kurz nacheinander geboren,<br />
das Jüngste noch kein<br />
Jahr alt und nun haben sich die<br />
Eheleute getrennt. Das empfinde<br />
ich als verantwortungslos.<br />
Man kann doch nicht ein Kind<br />
nach dem anderen auf die Welt<br />
stellen und dann vom <strong>St</strong>aat verlangen,<br />
er solle sich darum kümmern.<br />
Solche Verhaltensweisen<br />
stören mich, auch aufgrund meiner<br />
liberalen Einstellung. Ich bin<br />
der Meinung, ein Mensch sollte<br />
zuerst selber versuchen für sich<br />
und seine Handlungen einzustehen.<br />
Es gibt Leute, die tragen<br />
schon etwas wenig dazu bei, damit<br />
sie selber über die Runden<br />
kommen. Als Psychologin und<br />
Psychotherapeutin, verstehe ich<br />
zwar vieles, kann aber nicht alles<br />
entschuldigen.<br />
•<br />
Eine 79jährige mittellose Frau<br />
lebt im Altersheim. Die Heimleitung<br />
bittet nun um einen Beitrag<br />
an die jährliche gemeinsame Ferienwoche<br />
der Bewohner. Diesem<br />
Gesuch haben wir entsprochen.<br />
möchten mit den vier Kindern zu<br />
den Grosseltern nach Zermatt<br />
fahren, um einige Tage Winterferien<br />
zu machen. Doch für die<br />
Zug reise haben sie kein Geld. Oft<br />
können wir mit relativ kleinen<br />
Beträgen Gutes bewirken.<br />
Mit 65 erlebt die ehemalige<br />
Ausserrhoder<br />
Finanzdirektorin und<br />
Nationalrätin Marianne<br />
Kleiner etwas ganz<br />
Neues: Sie kann als<br />
Mitglied verschiedener<br />
<strong>St</strong>iftungen viel Geld<br />
ausgeben.<br />
www.<strong>anzeiger</strong>.biz 16. Januar 2013 Nr. 3<br />
Sie selber leben in wirtschaftlich<br />
guten Verhältnissen. Was geht<br />
Ihnen beim Lesen dieser Hilferufe<br />
durch den Kopf?<br />
Es gibt mir schon zu denken. Die<br />
Arbeit bei <strong>OhO</strong> öffnet uns Beiräten<br />
die Augen für die unsichtbaren<br />
Facetten von Armut. Wir haben<br />
in der Schweiz ein solides,<br />
tragendes Sozialnetz, niemand<br />
muss in völliger Armut leben.<br />
Aber es gibt Menschen, die mit<br />
extrem wenig Geld auskommen<br />
müssen – ich weiss nicht, wie sie<br />
das schaffen. Da tut es mir schon<br />
weh, wenn die Bahnfahrt zu den<br />
Grosseltern vom Bodensee nach<br />
Zermatt bereits das Budget<br />
sprengt. Für viele von uns gilt<br />
doch: Wüssten wir, dass Bekannte<br />
oder Nachbarn ein solches Problem<br />
haben, würden wir sofort<br />
helfen – aber wir wissen es nicht.<br />
Diese Verbindungsfunktion übernimmt<br />
<strong>OhO</strong>. ➔<br />
25
Leute Engagement<br />
➔ Sind Sie persönlich eine regelmässige<br />
Spenderin?<br />
Ja, ich spende sehr viel, mein<br />
Mann meint, man könne mich<br />
ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.<br />
(lacht) Schwergewichtig unterstütze<br />
ich Menschen aus der<br />
Region, die Hilfswerke aufgebaut<br />
haben.<br />
Wie fühlen Sie sich als FDPFrau<br />
in einer Position, in der Sie plötzlich<br />
Geld mit vollen Händen ausgeben<br />
können?<br />
Gut! Als Ausserrhoder Finanzdirektorin<br />
musste ich dauernd<br />
sparen, in der Finanzkommis sion<br />
des Bundes musste ich sparen –<br />
und jetzt bin ich in verschiedenen<br />
<strong>St</strong>iftungen und darf überall<br />
Geld ausgeben. (lacht) Also das<br />
Gegenteil von meiner ganzen politischen<br />
Tätigkeit.<br />
Über grosse Summen entscheidet<br />
der 14köpfige Beirat – kann ein<br />
so grosses Gremium effizient entscheiden?<br />
Ja sehr, denn durch die unterschiedlichen<br />
Fachkenntnisse erkennen<br />
wir rasch, ob andere<br />
Wege möglich wären, ob alle gesetzlichen<br />
Unterstützungen beantragt<br />
sind und so weiter.<br />
Wie viele Gesuche sind höher als<br />
2000 Franken?<br />
Nicht sehr viele, rund zwei Prozent<br />
der 1250 eingegangenen Gesuche.<br />
Die Spenden belaufen sich derzeit<br />
auf rund 1,1 Millionen Franken<br />
– ein neuer Rekord. Können Sie so<br />
viel Geld überhaupt ausgeben?<br />
Wem <strong>OhO</strong> hilft<br />
Mit der Weihnachtsaktion Ostschweizer<br />
helfen Ostschweizern<br />
(<strong>OhO</strong>) wollen das <strong>St</strong>. <strong>Galler</strong><br />
<strong>Tagblatt</strong> und seine<br />
Partnerzeitungen die Solidarität<br />
unter den Ostschweizerinnen<br />
und Ostschweizern fördern.<br />
Die Spenden kommen<br />
Menschen zugute, denen<br />
Noch sind die «weltweiten» Gesuche,<br />
also jene von Ostschweizern,<br />
die irgendwo in der Welt<br />
ein Hilfsprojekt leiten, nicht bearbeitet.<br />
Diese erledigen wir zum<br />
Schluss und schauen dann, wie<br />
weit wir ihnen entsprechen können.<br />
Es ist auch noch Geld vom<br />
vergangenen Jahr übrig, und es<br />
ist unser Ziel, alle Spenden Bedürftigen<br />
sinnvoll zukommen zu<br />
lassen. Wir wollen kein Geld anhäufen.<br />
Ich bin gespannt, wie die<br />
Rechnung letztlich aussieht.<br />
sonst niemand hilft oder helfen<br />
kann. Die Beiträge gehen<br />
an Einzelpersonen und Familien<br />
aus der Ostschweiz sowie<br />
an Ostschweizer, die irgendwo<br />
in der Welt für Notleidende tätig<br />
sind. Die Beiträge sind in<br />
der Regel einmalig.<br />
www.tagblatt.ch/oho<br />
Haben die Gesuche zugenommen?<br />
Ja. So wie es mehr Spenden geworden<br />
sind, kommen auch jedes<br />
Jahr mehr Gesuche.<br />
Würden Sie nach den ersten<br />
Erfahrungen etwas Optimieren<br />
bei <strong>OhO</strong>?<br />
<strong>OhO</strong> hat nun eine achtjährige Erfahrung.<br />
Wenn alle Gesuche bearbeitet<br />
sind und wir den Überblick<br />
haben, werden wir aber<br />
erneut prüfen, ob alle Abläufe,<br />
Richtlinien und Vorgaben so<br />
stimmen. Zudem beschäftigt<br />
mich, wie wir vermehrt an jene<br />
Menschen herankommen, die<br />
sich nicht an Sozialberatungsstellen<br />
wenden, sondern mit aller<br />
Kraft versuchen, mit kleinem<br />
Lohn und wenig Geld selbständig<br />
über die Runden zu kommen.<br />
Bisher haben sich eher wenige<br />
Einzelpersonen gemeldet – und<br />
ich bin überzeugt davon, dass es<br />
viele gibt, denen <strong>OhO</strong> gerne helfen<br />
würde, einen Engpass zu überwinden<br />
oder eine kleine Freude<br />
zu bereiten. Das wäre sicher im<br />
Sinne unserer Spendenden. ■