Panoramafahrt zum Aussichtspunkt - Technikgeschichte der ETH ...
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dass die Fernsicht nicht stückweise<br />
erscheint, son<strong>der</strong>n lange verborgen<br />
bleibt», schreibt Heinrich<br />
Heidegger in <strong>der</strong> i8i8er-Ausgabe<br />
seines «Handbuchs für Reisende in<br />
<strong>der</strong> Schweiz». 29 Im Einklang mit den<br />
Reiseführern seiner Zeit empfiehlt er<br />
den Fussreisenden Wege <strong>der</strong><br />
Morgenseite, ausgehend von Lauerz<br />
o<strong>der</strong> Arth. Nicht nur, weil diese mehr<br />
erholsamen Schatten spenden<br />
würden. Beson<strong>der</strong>s betont wird auch,<br />
dass diese Zugänge das<br />
Gipfelpanorama <strong>der</strong> Rigi nicht<br />
sukzessive vorwegnehmen, son<strong>der</strong>n<br />
den Reisenden schlagartig - einer<br />
Belohnung gleich - mit diesem<br />
beglücken.<br />
Konträr zu diesem Prinzip <strong>der</strong><br />
belohnenden Gipfelandacht verfahren<br />
die Anleitungen für Bahnreisende, die<br />
ab 1871 auf den Markt kamen: Hier<br />
wird <strong>der</strong> stetige, das Gipfelpanorama<br />
<strong>der</strong> Rigi Kulm vorwegnehmende und<br />
verlängernde Aussichtsgenuss <strong>zum</strong><br />
eigentlichen Vergnügen erhoben.<br />
«Wenn sekundenlang auch die<br />
Aussicht durch Einschnitte geraubt<br />
wird, so geschieht es nur, um den<br />
Ausblick im nächsten Moment um<br />
so imposanter zu erschliessen o<strong>der</strong><br />
um Durchblicke zu gestatten, die<br />
gerade durch die augenblickliche<br />
Begränzheit um so grössern Reiz haben»,<br />
erklärt <strong>der</strong> bereits erwähnte<br />
Bahnreiseführer von Hermann<br />
Berlepsch. 30 Der handliche Reiseleiter<br />
beschreibt die Fahrt mit <strong>der</strong> Vitznau-<br />
Rigi-Bahn als durchkomponiertes<br />
Wechselspiel von «schaurigschönen<br />
Nie<strong>der</strong>blicken», eingeschobenen<br />
«Vogel-Perspectiv-Blicken»,<br />
bewun<strong>der</strong>nswerten «Panoramen-<br />
Ausschnitten» und «märchenhaft<br />
schönen Tunnel-Durchblicken». 31<br />
nicht nur als spannungsvolles<br />
Naturschauspiel. Indem die<br />
Reiseführer technische Leistungen<br />
wie Tunnel- und Brückenbauten als<br />
«Gelän<strong>der</strong>» 32 <strong>der</strong> Landschaftswahrnehmung<br />
propagierten, verband sich<br />
das Naturschöne mit dem<br />
Technikschönen, verschmolzen die<br />
Erleichterungen <strong>der</strong> Bergbahn mit den<br />
Tugenden <strong>der</strong> Fussreise. In dieser<br />
blicklenkenden Vermittlung und<br />
Verdichtung geriet die Bahn selbst zur<br />
Sehenswürdigkeit,<br />
<strong>zum</strong><br />
bil<strong>der</strong>stiftenden Medium einer<br />
neuartigen Verzahnung von<br />
Landschafts- und Technikgenuss.<br />
Die Leistungen <strong>der</strong> Vitznau-Rigi-<br />
Bahn beschränkten sich keineswegs<br />
auf eine Industrialisierung des<br />
Personen- und Gütertransports.<br />
Vielmehr wurde <strong>der</strong> Aussichtsgenuss,<br />
<strong>der</strong> längst als Höhepunkt einer Rigi-<br />
Reise galt, durch die Anlage einer<br />
Panoramabahn auf ähnliche Weise<br />
verlängert und weiterentwickelt wie<br />
durch den zeitgleichen Bau von<br />
Panoramahotels auf den Aussichtsund<br />
Sonnenterrassen über dem<br />
Genfer-, Thuner- und Vierwaldstättersee.<br />
Monika Burri, geboren 1970, studierte Geschichte<br />
und Philosophie an <strong>der</strong><br />
Universität Zürich. Seit vier Jahren schreibt<br />
sie regelmässig für die Kulturredaktion des<br />
«Tages-Anzeigers» und arbeitet seit 1999<br />
als wissenschaftliche Mitarbeiterin an <strong>der</strong><br />
Professur für <strong>Technikgeschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>ETH</strong><br />
Zürich.<br />
Ausgerüstet mit Sehanleitungen<br />
dieser Art erlebten die Bahn<br />
reisenden die aus dem Zugfenster<br />
ersichtliche Landschaft<br />
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