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Band 3 - thule-italia.net

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"Du hast damals am Nile vielen Kranken geholfen; Isla hat es uns erzählt. Daher bat ich vorhin den<br />

Gehilfen, mit dir zu sprechen, aber er will es nicht tun; er sagte, daß diese Krankheit öfters erscheine, aber<br />

stets nach zwei Tagen wieder vorübergehe. Willst du nicht einmal nach ihm sehen?"<br />

"Nein. Er wünscht es nicht, und ich bin auch kein wirklicher Hekim."<br />

Als der junge Mann sich entfernt hatte, hörte ich einzelne Töne des Klaviers erklingen; es war eine leise<br />

forschende Hand, welche die Tasten niederdrückte, und bald darauf kam der Dschibuktschi und bat mich,<br />

hinauf zu kommen. Droben stand eine der beiden Töchter; sie kam mir mit bittender Gebärde entgegen:<br />

"Effendi, verzeihe mir! Ich sehne mich, das Lied noch einmal zu hören, welches du gestern zuletzt gespielt<br />

hast."<br />

"Du sollst es hören."<br />

Sie setzte sich in einem Winkel nieder und lehnte den Kopf an die Wand. Ich aber spielte. Es war das<br />

herrliche Kirchenlied: "Hier liegt vor deiner Majestät im Staub die Christen- schar [Christenschar]." Ich<br />

spielte diese Melodie einigemal und sang dann auch mehrere Strophen des Liedes. Das Mädchen hielt die<br />

Augen geschlossen und die Lippen leise geöff<strong>net</strong>, wie um die frommen, feierlichen Töne leichter in ihr<br />

Inneres dringen zu lassen.<br />

"Soll ich noch etwas spielen?" fragte ich am Schlusse.<br />

Sie erhob sich wieder und trat herbei.<br />

"Nein, Effendi, denn diese Musik soll durch keine andere beeinträchtigt werden. Wer ist es bei euch, der<br />

solche Worte und Töne singen darf?"<br />

"Sie werden von Männern, Frauen und Kindern in jedem Gotteshause der Christen gesungen. Und wer ein<br />

frommer Vater ist, singt mit den Seinen auch daheim solche Lieder."<br />

"Herr, es muß schön bei euch sein! Ihr gewährt Freiheit euren Lieben. Eure Priester, welche euch erlauben,<br />

solche Lieder mit den Eurigen zu singen, müssen besser sein und freundlicher als die unserigen, welche<br />

behaupten, daß Allah dem Weibe keine Seele gegeben habe. Allah strafe sie und den Propheten für diese<br />

Lüge! Dir aber, Effendi, danke ich!"<br />

Sie ging hinaus, und ich blickte ihr schweigend nach. Ja, der Orient schmachtet nach Erlösung aus<br />

schweren, tausendjährigen <strong>Band</strong>en. Wann wird sie ihm werden? -<br />

Ich schloß das Instrument; ich konnte nicht weiter spielen, denn ein jeder Ton, welcher zu ihr drang, mußte<br />

den Eindruck des frommen Liedes verwischen, den sie sich bewahren wollte. Ich ging hinunter und ließ<br />

satteln, um mit Halef einige kleine Einkäufe zu machen.<br />

Da wir nichts zu versäumen hatten, so beeilten wir uns nicht, machten einen Ritt der Wißbegierde durch die<br />

Gassen und drangen sogar in das enge, schmutzige Judenviertel ein. Da gab es genug Trümmer und Elend.<br />

Zwischen den Resten ehemaliger Prachtbauten klebten halbverfallene Butiken; die Männer gingen in<br />

abgeschabten, aus den Nähten reißenden Kaftanen, und die Kinder in Fetzen und Lumpen; die Frauen aber<br />

trugen über ihren verschossenen Prachtgewändern all ihren echten oder unechten Schmuck zur Schau. Ich<br />

glaube, grad so müssen sich die Frauen und Töchter der Juden auch damals getragen haben, als der Prophet<br />

(* Jesaias 3, 17-23.) ihnen verkündigte: "Der Herr wird den Scheitel der Töchter Zions kahl machen und<br />

ihnen ihr Geschmeide wegnehmen. In dieser Zeit wird der Herr den Schmuck an den kostbaren Schuhen<br />

fortnehmen, die Heftel und die Spangen, die Ketten und Armbänder, den Flitter, die Hauben, das Gebräme,<br />

die Schnuren, Bisamäpfel und Ohrenspangen, die Ringe und Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel, die

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