Wolfgang Niedecken
Wolfgang Niedecken
Wolfgang Niedecken
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
aktuell | jazz 16<br />
17 jazz | aktuell<br />
Anzeige<br />
Stark verwurzelt in der<br />
Tradition von gospel,<br />
Jazz, Soul und Blues:<br />
Shooting Star<br />
Gregory Porter<br />
© Foto: Caterina di Perri/ECM Records<br />
Als Komponistin erfuhr Carla Bley für den Jazz Anerkennung. Ihr Streben<br />
ist geprägt von der unerschöpflichen Lust an Entdeckungen, die sie bis in<br />
den Grenzbereich zur Neuen Musik geführt hat. Für ihre aktuelle Einspielung<br />
TRIOS hat die Pianistin einige ihrer schönsten Kompositionen neu<br />
eingespielt. Herausgekommen ist eine imposante kleine Werkschau, die<br />
vor allem eines belegt: die Zeitlosigkeit dieser längst als moderne Klassiker<br />
zu bezeichnenden Kompositionen.<br />
Carla Bley<br />
Unkonventionelle Grande Dame<br />
gregory Porter<br />
Ein Bariton im Aufwind<br />
© Foto: Shawn Peters<br />
Carla Bley, die in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag gefeiert<br />
hat, zog es bereits als Teenager nach New York, wo sie zwar<br />
gelegentlich mit Größen wie Pharoah Sanders spielte, ihren<br />
Lebensunterhalt aber zunächst als Zigarettenverkäuferin<br />
im Jazzclub Birdland verdienen musste. Dort traf sie ihren<br />
späteren Mann, den Pianisten Paul Bley, für den sie erste<br />
Kompositionen zu schreiben begann.<br />
Mit Mitte Zwanzig gründete sie mit Mike Mantler das<br />
Jazz Composer’s Orchestra und erhielt zunehmend Kompositionsaufträge,<br />
u.a. von Gary Burton und Art Farmer. Mit ‘Escalator<br />
Over The Hill‘ (Libretto: Paul Haines) veröffentlichte<br />
sie 1971 ein brillantes und vielfach ausgezeichnetes Stück<br />
Musiktheater. Weitere Popularität erlangte Bley als Arrangeurin<br />
und Komponistin des von Charlie Haden initiierten,<br />
CD-Tipp | Jazz<br />
Carla Bley/Andy Sheppard/<br />
Steve Swallow<br />
Trios<br />
ECM/Universal Music 006025 372 4551 (2)<br />
Steve Swallow Quintet<br />
Into the Woodwork<br />
XtraWatt 13/ECM/Universal Music 006025 279 8380 (6)<br />
stark politisierten Projekts „Liberation Music Orchestra“ sowie durch eigene<br />
unkonventionelle Big-Band-Projekte, die mit einer nachhaltigen Erweiterung<br />
der Klangsprache einhergingen.<br />
Perfekte Symbiose<br />
Zu Carla Bleys wichtigstem Partner wurde, spätestens seit der epochalen<br />
Aufnahme ‘Duets‘ (1988), sowohl musikalisch wie auch privat, Steve Swallow.<br />
In den Großprojekten und ihrer kammermusikalischen Arbeit ist der E-Bassist<br />
mit seinem lyrischen und unaufdringlich akkuraten Ton ein Fixpunkt. Nahezu<br />
zeitgleich zur Trio-Aufnahme von Bley erscheint auch ein neues Album von<br />
Swallow: INTO THE WOODWORK, ein fulminant rhythmisierter und dabei<br />
wunderbar leicht pulsierender Modern Jazz mit Bley ausschließlich an der Orgel,<br />
Saxophonist Chris Cheek, Gitarrist Steve Cardenas und dem langjährigen<br />
Brad-Mehldau-Schlagzeuger Jorge Rossy.<br />
Fernab gängiger Zitierkunst<br />
Carla Bleys schlagzeugloses neues Werk TRIOS wurde mit dem englischen<br />
Saxophonisten Andy Sheppard, ebenfalls ein alter Weggefährte, und wiederum<br />
Partner Swallow aufgenommen. Es beeindruckt durch seinen unnachahmlichen<br />
Mix aus handwerklicher Brillanz, mit geradezu geschmeidig formulierten<br />
Tönen, einem irritierenden kompositorischen Beziehungsreichtum fernab der<br />
gängigen Zitierkunst und einer formvollendeten Dramaturgie. „Dieses Album“,<br />
konstatiert Carla Bley, „hat eine wirklich ernst zu nehmende Persönlichkeit.<br />
Und außerdem ist es ein bisschen nostalgisch.“ Es lässt einen staunen, wie<br />
sich beispielsweise das Stück ‘Vashkar‘, das sie vor immerhin 50 Jahren geschrieben<br />
hat, von einer angedeuteten Variation auf Ravels Boléro langsam in<br />
einen indisch anmutenden Duktus bewegt, um dann in einer Zwischenwelt<br />
heimisch zu werden, die beides mitführt, aber, am Ende völlig autonom, nichts<br />
von beidem ist. Es sind diese magischen Momente, die Carla Bleys Musik immer<br />
wieder zu einem Erlebnis machen.<br />
Volker Doberstein II<br />
Das ist die Jazz-Stimme, über die derzeit alle reden: Gregory Porter, ein zwei-Meter-Hüne, der<br />
bereits auf dem Weg zu einer Karriere als Football-Profi war, wurde aus dem Stand zum Kritiker-<br />
Liebling und Shooting Star des Vocal Jazz. Mit seiner neuen Veröffentlichung LiQUiD SPiRiT bestätigt<br />
er dieses Prädikat eindrucksvoll.<br />
Wo war diese Stimme so lange? Gregory Porter musste<br />
fast 40 Jahre alt werden, ehe er 2010 sein erstes eigenes<br />
Werk einsingen durfte. Zuvor war er 15 Jahre lang höchstens<br />
sporadisch aufgetaucht: als Nat-King-Cole-Interpret<br />
beim Flötisten Hubert Laws oder in der Hauptrolle eines<br />
Broadway-Musicals. Dann verschwand der Mann jedes<br />
Mal wieder, über den die renommierte Kollegin Dee Dee<br />
Bridgewater in den Worten schwärmt: „Ein Sänger wie wir<br />
ihn schon lange nicht mehr gehabt haben.“ Unweigerlich<br />
fallen einem dazu sofort Namen wie etwa Jon Hendricks,<br />
Andy Bey oder der ehemalige Count Basie-Sänger Joe Williams<br />
ein.<br />
Für Porter war diese Phase der Entwicklung in relativer<br />
Ruhe ein Glücksfall. Selten hat ein Musiker mit derart<br />
hoch entwickeltem Talent debütiert – als Sänger, Autor und<br />
Komponist. Er hatte seinen Stil bereits gefunden, ehe er die<br />
erste Note unter eigenem Namen eingesungen hat. Die-<br />
CD-Tipp | Jazz<br />
Gregory Porter<br />
Liquid Spirit<br />
Blue note/Universal Music 0602537410538<br />
se Selbstsicherheit gibt seiner Musik<br />
etwas Überzeitliches. Egal, ob für<br />
ein kleines Label oder jetzt für das<br />
führende Blue Note-Label: Porter ist<br />
und bleibt Porter – mit klarer Selbstdefinition:<br />
„Ich betrachte mich definitiv<br />
als Jazzsänger, aber ich liebe den<br />
Blues, schwarzen Southern Soul und<br />
Gospelmusik nicht weniger. Diese<br />
Elemente finden immer ihren Weg<br />
in meine Musik.“<br />
Sakrale Strahlkraft<br />
Wer die Stimme dieses US-Amerikaners<br />
gehört hat, der vergisst sie<br />
nicht mehr. Selbst unter hohem Druck<br />
bleibt sie flexibel und geschmeidig. Sie<br />
stellt sich nie in den Vordergrund, sondern<br />
bleibt ein Werkzeug der Melodie.<br />
Daraus entsteht eine fast sakrale<br />
Strahlkraft, die einen ebenso berührt<br />
wie staunend wieder in die reale Welt<br />
entlässt. Wer diese Stimme nie gehört<br />
hat, läuft Gefahr, nie zu erfahren, was<br />
eine Stimme auszulösen vermag.<br />
Volker Doberstein II<br />
3 | 2013<br />
www.tonartmagazin.de