P.T. MAGAZIN 05/2012
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
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Gnadenlos gerecht?<br />
Von der Schwierigkeit der Wahrheitsfindung<br />
Gesellschaft<br />
(Foto: Wikimedia/CC-3.0/CHR!S)<br />
Was ist Wahrheit? Immanuel Kant<br />
sagte, Wahrheit hängt von der Quelle<br />
der jeweiligen Erkenntnis ab. Deshalb<br />
sorgt in einem Rechtsstaat die Justiz als<br />
unabhängige und neutrale Instanz für<br />
Gerechtigkeit. Kommt die Justiz selbst in<br />
die Kritik, mahlen ihre Mühlen besonders<br />
langsam. Die Unfehlbarkeit des Systems<br />
scheint über der Gerechtigkeit zu stehen.<br />
Im Nachhinein ein klares Fehlurteil<br />
Vor kurzer Zeit war der Fall des Lehrers<br />
Horst Arnold in den Medien. Der wegen<br />
Vergewaltigung verurteilte und später<br />
wieder freigesprochene Mann ist im<br />
Juni verstorben. Nach einem zehn Jahre<br />
andauernden Kampf gegen die Justiz,<br />
den er schon zu Beginn verloren hatte.<br />
In diesem Fall ist die ungerechtfertigte<br />
Beschuldigung der Vergewaltigung<br />
beinahe das geringere Übel. Arnold saß<br />
unschuldig fünf Jahre im Gefängnis. Weil<br />
der Lehrer während der Haft stets seine<br />
Unschuld beteuerte, wurde an ihm eine<br />
charakterliche Schwäche diagnostiziert.<br />
Die Konsequenz, die für alle unschuldig<br />
Verurteilten gilt, die für ihr Recht kämpfen:<br />
sie erwartet eine besonders harte<br />
Vollstreckung des Urteils. Keine vorzeitige<br />
Entlassung, kein Freigang und harte<br />
Behandlung durch die Vollzugsbeamten.<br />
Wegen Uneinsichtigkeit.<br />
Gebrandmarkt durch ein falsches Urteil<br />
Erst nach zehn Jahren und nach beharrlichem<br />
Kampf erreichte Arnolds Anwalt<br />
den verdienten Freispruch. Doch das<br />
Leben des Lehrers war bereits zerstört.<br />
Das typische Schicksal eines zu unrecht<br />
Verurteilten hatte ihn ereilt. Finanziell<br />
war er ruiniert, hatte sein Haus verkaufen<br />
müssen. Beruflich war er chancenlos. Als<br />
Lehrer wollte ihn niemand mehr einstellen.<br />
Das gesellschaftliche Ansehen war<br />
vollkommen zerstört. Gebrandmarkt<br />
durch ein falsches Urteil.<br />
Der weiße Neger vom Hasenbergl<br />
Schlagzeilen machte auch der Fall des<br />
Schauspielers Günter Kaufmann. Als er<br />
die Belastung der Verhöre in der Untersuchungshaft<br />
nicht mehr ertrug, „gestand“<br />
er am 27. November 2002 eine versuchte<br />
schwere räuberische Erpressung mit<br />
Todesfolge. 15 Jahre Haft lautete das<br />
Urteil. Drei Jahre später wurden die wahren<br />
Täter entdeckt und verurteilt. Kaufmann<br />
widerrief sein Geständnis, erreichte<br />
eines der seltenen Wiederaufnahmeverfahren<br />
und wurde am 26. Januar 20<strong>05</strong><br />
freigesprochen, nachdem er 1.000 Tage<br />
unschuldig im Gefängnis saß. Haftentschädigung<br />
erhielt er deshalb nicht, weil<br />
er ja durch sein „falsches“ Geständnis die<br />
Inhaftierung selbst verschuldet habe. Im<br />
Gegenteil: Er wurde aber zwei Monate<br />
später wegen einer Freiheitsberaubung<br />
in einem besonders schweren Fall zu<br />
einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt,<br />
da zwei angebliche Mittäter aufgrund<br />
seiner Falschaussage drei Wochen<br />
unschuldig in Untersuchungshaft saßen.<br />
Im Mai <strong>2012</strong> starb Kaufmann an den<br />
Folgen eines Herzinfarkts, mitten auf der<br />
Straße im Berliner Stadtteil Grunewald.<br />
Angebliche Steuernachzahlungen<br />
Gerät ein Unternehmen in die Mühlen<br />
des Rechtsapparates, sind gleich mehrere<br />
Existenzen bedroht. Wie im Falle<br />
von Jochen Köhn aus dem brandenburgischen<br />
Templin. Dieser beschäftigte<br />
Anfang der 90er Jahre in seinem Baubetrieb<br />
rund 200 Mitarbeiter, schrieb<br />
schwarze Zahlen und hatte ein Eigenkapital<br />
von über einer Millionen Euro, als<br />
das Finanzamt ihm wegen einer angeblich<br />
sechsstelligen Umsatzsteuernachzahlung<br />
die Konten pfändete. Sofort<br />
kündigten die Banken ihm die Kredite,<br />
der damalige Bürgermeister Ulrich<br />
Schöneich entzog ihm auf Drängen des<br />
Finanzamts die Gewerbeerlaubnis. Köhn<br />
ging Pleite und die 200 zusätzlichen<br />
Arbeitslosen kosteten Staat und Sozialkassen<br />
jährlich fünf bis sechs Mio. Euro.<br />
Das Recht auf Recht ist nicht umsonst<br />
Jahre später wurde zwar höchstrichterlich<br />
festgestellt, dass Köhn zum Zeitpunkt<br />
der Pfändung beim Finanzamt<br />
gar keine Schulden hatte. Im Gegenteil:<br />
Das Finanzamt schuldete ihm damals<br />
eine Rückzahlung. Eigentlich also ein<br />
klarer Fall der Staatshaftung. Doch das<br />
Recht auf Recht kostete Geld, das Köhn<br />
nicht mehr hatte. Von den 331 Euro ALG<br />
II konnte er keinen Anwalt bezahlen.<br />
Und auf eigene Kosten gegen den Staat<br />
streiten? Das macht weder ein geistig<br />
gesunder Anwalt noch eine auf Ertrag<br />
orientierte Prozesskostenfinanzierung.<br />
Alle Versuche Köhns auf Wiedergutmachung<br />
scheiterten. Er blieb bettelarm,<br />
wurde herzkrank, wohnte in einer Sozialwohnung.<br />
Im Frühjahr 2010 verstarb<br />
er schließlich. So erledigte sich das fiskalische<br />
Problem „auf natürliche Weise“.<br />
Kein Brot für die Tafel<br />
Solange musste Bäckermeister Roland<br />
Ermer, der ehrenamtlich als Präsident<br />
der Handwerkskammer Dresden vorsteht,<br />
nicht warten. Er hatte folgendes<br />
Problem: Er spendete die bis zum Abend<br />
nicht verkauften Brote und Brötchen an<br />
die Hoyerswerdaer „Tafel“, die die Backwaren<br />
Bedürftigen weitergab. Auf der<br />
Spendenquittung stand ein Wert größer<br />
Null, denn anderenfalls, so verlangte die<br />
Hygienekontrolle, müsse man ja Abfall<br />
vermuten, und der darf nicht als Lebensmittel<br />
dienen. Da bekam ein Betriebsprüfer<br />
des Finanzamts Dollarzeichen in<br />
den Augen: Ob der Bäcker für diese<br />
Lieferungen Geld erhielt oder nicht,<br />
(Foto: Carlo Schrodt/pixelio.de)<br />
ist nämlich nach Umsatzsteuergesetz<br />
egal. Es wurde „geleistet“. Und da fällt<br />
Umsatzsteuer an. Und die belief sich im<br />
Fall des Bäckers Ermer auf 5.000 Euro,<br />
rückwirkend. Die Nichterklärung dieser<br />
Steuern ist Steuerhinterziehung! Nach<br />
einer großen Medienaktion im Sommer,<br />
an der sich auch www.kompetenznetzmittelstand.de<br />
beteiligt hatte, lenkte<br />
das Bundesfinanzministerium ein. Im<br />
Herbst soll nun endlich Rechtsklarheit<br />
und Rechtssicherheit geschaffen werden.<br />
n<br />
Boris Kunofski<br />
14 P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 5/<strong>2012</strong>