Stellung der Arbeitnehmer im Nachlassverfahren - Transliq AG
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NACHLASS<br />
Dr. Jürg Rieben/Reto Aschenberger · <strong>Stellung</strong> <strong>der</strong> <strong>Arbeitnehmer</strong> <strong>im</strong> <strong>Nachlassverfahren</strong><br />
gen aus dem Sozialversicherungsrecht<br />
(AHV 4 , IV 5 , UV 6 , EO 7 und AlV 8 ). Alle nicht<br />
in <strong>der</strong> ersten o<strong>der</strong> zweiten Klasse privilegierten<br />
For<strong>der</strong>ungen fallen in die dritte<br />
Klasse.<br />
Innerhalb je<strong>der</strong> Klasse sind die Gläubiger<br />
gleichberechtigt. Sind in einer Klasse<br />
nicht alle For<strong>der</strong>ungen vollumfänglich gedeckt,<br />
wird <strong>der</strong> Erlös <strong>im</strong> Verhältnis zu den<br />
For<strong>der</strong>ungsbeträgen anteilsmässig verteilt<br />
(Nachlassdividende). Die Gläubiger einer<br />
nachfolgenden Klasse haben erst dann Anspruch<br />
auf einen Erlös, wenn diejenigen<br />
<strong>der</strong> vorhergehenden Klasse voll befriedigt<br />
sind (Art. 220 SchKG). Die vollständige<br />
Deckung <strong>der</strong> privilegierten For<strong>der</strong>ungen<br />
ist Voraussetzung für die Genehmigung<br />
eines Nachlassvertrags (Art. 306 SchKG).<br />
Während <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong> Nachlassstundung<br />
sind alle Gläubiger unabhängig von<br />
ihrer Klassierung gleich zu behandeln.<br />
Erst <strong>im</strong> Verteilungsprozess resultiert aus<br />
<strong>der</strong> gesetzlichen Rangordnung eine bevorzugte<br />
Behandlung einzelner Gläubigergruppen.<br />
c) Neue Verbindlichkeiten<br />
Verbindlichkeiten, welche <strong>der</strong> Schuldner<br />
während <strong>der</strong> Nachlassstundung ohne Zust<strong>im</strong>mung<br />
des Sachwalters (sie kann auch<br />
nachträglich o<strong>der</strong> stillschweigend erfolgen)<br />
eingeht, sind rechtsgültig. Sie geniessen<br />
aber keine bevorzugte Behandlung.<br />
Die Gläubiger haben während <strong>der</strong><br />
Nachlassstundung keine Möglichkeit zur<br />
rechtlichen Durchsetzung ihrer For<strong>der</strong>ungen<br />
(ausg. Betreibung für Lohnfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Betreibung auf Grundpfandverwertung;<br />
Art. 297 SchKG). Sie riskieren,<br />
be<strong>im</strong> Abschluss von neuen Geschäften<br />
mit dem Schuldner während <strong>der</strong><br />
Nachlassstundung mit ihren For<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>im</strong> Kollokationsplan nur anteilsmässig gedeckt<br />
zu sein.<br />
Um dem Schuldner die Weiterführung<br />
seiner Geschäfte auch <strong>im</strong> Fall eines angestrebten<br />
Liquidationsvergleichs zu ermöglichen,<br />
sieht Art. 310 Abs. 2 SchKG die Begründung<br />
sogenannter Masseverbindlichkeiten<br />
vor. Dies sind Verbindlichkeiten,<br />
welche während <strong>der</strong> Nachlassstundung<br />
mit Zust<strong>im</strong>mung des Sachwalters eingegangen<br />
werden. Sie verpflichten die Masse<br />
und werden vorab und ungekürzt befriedigt<br />
9 .<br />
Vor Erteilung seiner Zust<strong>im</strong>mung wird<br />
sich <strong>der</strong> Sachwalter vergewissern, dass die<br />
Gläubiger durch die zusätzliche Verpflichtung<br />
nicht schlechter gestellt werden 10 .<br />
Voraussetzung dafür ist, dass aus <strong>der</strong> neuen<br />
Verpflichtung in unmittelbarer Zukunft<br />
und mit grosser Sicherheit eine mindestens<br />
äquivalente Gegenleistung erwächst.<br />
2. Das <strong>Arbeitnehmer</strong>privileg<br />
Die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Arbeitnehmer</strong> werden<br />
in <strong>der</strong> 1. Klasse kolloziert. Dieses Privileg<br />
wird einerseits sozialpolitisch begründet,<br />
an<strong>der</strong>erseits auch mit dem beson<strong>der</strong>en<br />
Abhängigkeitsverhältnis des<br />
<strong>Arbeitnehmer</strong>s zum Schuldner 11 . Die Vorzugsstellung<br />
<strong>der</strong> <strong>Arbeitnehmer</strong> ist in zeitlicher,<br />
sachlicher und funktioneller Hinsicht<br />
beschränkt.<br />
a) Zeitlicher Umfang<br />
In die erste Klasse fallen For<strong>der</strong>ungen aus<br />
dem Arbeitsverhältnis, welche in den letzten<br />
sechs Monaten vor <strong>der</strong> Gewährung <strong>der</strong><br />
Nachlassstundung o<strong>der</strong> während <strong>der</strong><br />
Nachlassstundung (z.B. infolge vorzeitiger<br />
Auflösung des Arbeitsverhältnisses)<br />
entstanden sind (Art. 219 SchKG). Ausstände,<br />
welche vor dieser Periode begründet<br />
wurden, gehören in die dritte<br />
Klasse.<br />
b) Sachlicher Umfang<br />
Das <strong>Arbeitnehmer</strong>privileg umfasst grundsätzlich<br />
alle For<strong>der</strong>ungen aus dem Arbeitsverhältnis<br />
12 . In Betracht fällt in erster<br />
Linie <strong>der</strong> Lohnanspruch. Dazu gehört <strong>der</strong><br />
dreizehnte Monatslohn, welcher als Lohnbestandteil<br />
gilt 13 . Dieser Anspruch entsteht<br />
– wenn nichts an<strong>der</strong>es vereinbart –<br />
pro rata temporis mit <strong>der</strong> Erbringung <strong>der</strong><br />
geschuldeten Arbeitsleistung.<br />
Mit Bezug auf Spesenfor<strong>der</strong>ungen gilt,<br />
dass <strong>der</strong> Arbeitgeber seinen Angestellten<br />
die <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Arbeitsleistung<br />
entstehenden Auslagen zu ersetzen<br />
hat (Art. 327a OR). Der Anspruch<br />
gehört zur privilegierten <strong>Arbeitnehmer</strong>for<strong>der</strong>ung.<br />
Mittels schriftlicher Abrede<br />
kann für den Auslagenersatz eine feste<br />
Entschädigung verabredet werden. Nach<br />
<strong>der</strong> Bewilligung <strong>der</strong> Nachlassstundung<br />
sind dem <strong>Arbeitnehmer</strong>, dessen Arbeitsverhältnis<br />
nicht weitergeführt wird, als<br />
Spesen aber nur noch diejenigen Aufwendungen<br />
zu ersetzen, welche ihm tatsächlich<br />
anfallen. Der <strong>Arbeitnehmer</strong> hat sich<br />
denjenigen Betrag anrechnen zu lassen,<br />
den er infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
einspart.<br />
Für geleistete Überstundenarbeit entsteht<br />
ein Anspruch auf Vergütung, sofern<br />
nicht ein Ausgleich durch Freizeit vereinbart<br />
wurde. Der Vergütungsanspruch ist<br />
ebenfalls <strong>im</strong> <strong>Arbeitnehmer</strong>privileg eingeschlossen.<br />
Haben <strong>Arbeitnehmer</strong> und Arbeitgeber<br />
eine Kompensation durch Freizeit<br />
vereinbart, ist <strong>der</strong> entsprechende<br />
Anspruch wie ein Ferienguthaben zu behandeln.<br />
Bei <strong>der</strong> Anrechnung von Freizeitansprüchen<br />
bei Freistellung des <strong>Arbeitnehmer</strong>s<br />
ist zu beachten, dass <strong>der</strong><br />
Ausgleich durch Freizeit innert eines angemessenen<br />
Zeitraumes 14 zu erfolgen<br />
hat 15 .<br />
Beson<strong>der</strong>e Bedeutung hat die Befristung<br />
des <strong>Arbeitnehmer</strong>privileges bei <strong>der</strong><br />
Behandlung von Ferienguthaben. Der Ferienanspruch<br />
des <strong>Arbeitnehmer</strong>s entsteht<br />
fortlaufend während <strong>der</strong> Dauer des Arbeitsvertrages<br />
16 . Ferienguthaben, welche<br />
vor <strong>der</strong> für die Privilegierung massgeblichen<br />
Frist von sechs Monaten entstanden,<br />
sind in <strong>der</strong> dritten Klasse zu kollozieren<br />
17 . Gemäss Art. 329d Abs. 2 OR ist<br />
4 BG über die Alters- und Hinterbliebenenversicherung<br />
(AHVG), SR 831.10<br />
5 BG über die Invalidenversicherung (IVG), SR<br />
831.20<br />
6 BG über die Unfallversicherung (UVG), SR 832.20<br />
7 Erwerbsersatzgesetz (EOG), SR 834.1<br />
8 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG), SR 837<br />
9 JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, a.a.O., Art. 310<br />
N 35 f<br />
10 Vgl. SchKG-HARDMEIER, Art. 310 N 20<br />
11 AMMONN/GASSER, Grundriss des SchKG, 6. Aufl.,<br />
Bern 1997, § 42 N 66<br />
12 Vgl. SchKG-PETER, Art. 219 N 34<br />
13 BRUNI, Die <strong>Stellung</strong> des <strong>Arbeitnehmer</strong>s <strong>im</strong> Konkurs<br />
des Arbeitgebers, BJM 1982, 281, 299, § 4<br />
IV lit. a (BJM = Basler Juristische Mitteilungen,<br />
herausgegeben vom Basler Juristenverein).<br />
14 Art. 25 Abs. 2 ArGV 1 nennt mit Bezug auf Art. 13<br />
Abs. 2 ArG (für Überzeit) eine durch Abrede verlängerbare<br />
Frist von 14 Wochen (max. 12 Monate).<br />
15 BK-REHBINDER, Art. 321c OR N 8 ff<br />
16 BK-REHBINDER, Art. 329a OR N 9<br />
17 A.M. BRUNI (a.a.O., 301 f., § 4 III lit. d)<br />
106 Insolvenz- und Wirtschaftsrecht<br />
§<br />
· 3/2002