Braver Junge - Alfred-Adler-Schule

WIR - VON UNS - ÜBER UNS
Gibt es Olivia wirklich?
Heute mache ich Unterricht mit
einer neuen Schülerin namens
Olivia – das habe ich mir
fest vorgenommen. Gestern und
vorgestern und vorvorgestern
habe ich es schon versucht, aber
das Bett war immer leer und niemand
wusste so richtig, wo Olivia
ist. Vielleicht bei der Physiotherapie?
Oder ist sie in ihrem Rollstuhl
im Park vor der Klinik unterwegs?
Vielleicht hat sie ja auch Besuch
und ist mit ihm in der Cafeteria?
Könnte auch sein, dass wieder
ihr Verband an den Beinen
gewechselt wird. Dann schaue
ich im Spielzimmer nach – aber
So langsam habe ich ein seltsames
Gefühl. Will mich vielleicht
jemand auf den Arm nehmen?
Wer hat Olivia eigentlich
schon einmal gesehen? Eine Zimmernachbarin
zuckt mit den Achseln
als ich nach Olivia frage. Einen
Moment lang glaube ich, dass
es Olivia gar nicht gibt, dass sie
sich jemand ausgedacht hat. Aber
dann treffe ich eine Kollegin, die
auch an der Alfred-Adler-Schule
unterrichtet und sie erzählt mir,
sie habe schon einmal Unterricht
mit Olivia gemacht. Also muss es
sie doch geben. – Aber wo?
Erst viel viel später stellt sich
heraus, wo Olivia die ganze
Zeit über gewesen ist: bei der
Physiotherapie. Dort übt sie zu
stehen und zu laufen. Das ist
nach ihren vielen Operationen
nicht ganz einfach. Sie muss viele
Übungen machen, damit sich ihre
Muskeln aufbauen und damit sie
wieder beweglicher wird. - Besonders
ihr steifer Zeh macht ihr
zu schaffen. Olivia übt jeden Tag
eine Stunde. Und danach ist sie
meistens erst einmal ziemlich
fertig, denn Physiotherapie kann
ganz schön anstrengend sein.
Was aber macht Olivia eigentlich
im Krankenhaus?
Ich habe sie gefragt und sie erzählte
Folgendes:
Ich habe schon lange Entzündungen
im Bein. Deswegen musste
mir schon öfters Haut transplantiert
werden. Bis heute bin ich
bereits neun Mal wegen dieser
Krankheit operiert worden. Die
Haut wurde von meinem anderen
Bein genommen. Jedes Mal dauert
die Heilung sehr lange. Auch
jetzt bin ich schon wieder acht
Monate im Krankenhaus. Am
schlechtesten ist es mir gegangen,
als ich auf der Intensivstation
gelegen habe. Dort lag ich eine
längere Zeit in einem künstlichen
Koma (das ist wie ein sehr sehr
langer, sehr tiefer Schlaf, in den
Ärzte einen versetzen können,
damit man sich nach einer längeren
Krankheit wieder erholt). Ich
musste durch eine Magensonde
ernährt werden, weil ich nichts
mehr essen konnte. Die Magensonde
führte durch ein Nasenloch
in den Magen – und das war sehr
unangenehm.
In meinem Zimmer vertreibe ich
mir die Zeit mit Fernsehen. Oder
ich unterhalte mich mit meinen
Zimmernachbarinnen. Öfters telefoniere
ich auch mit meinen Eltern
und ich freue mich sehr, wenn
sie mich besuchen. Ich bastle
gerne. Manchmal singe ich auch
zu Hause, am liebsten gemeinsam
mit meiner Cousine. Und
noch etwas kann ich ganz gut: Ich
spreche drei Sprachen! Deutsch
natürlich, aber außerdem noch
Polnisch und Roma.
Roma? Ja, diese Sprache gibt
es auch – und das ist eine
sehr interessante Sprache, die
zum Beispiel viele Gemeinsamkeiten
mit dem Indischen hat.
Auch die Flagge der Roma und die
der Inder ähneln sich. Beide Flaggen
zeigen ein Rad. Das ist kein
Zufall, denn die Sinti und Roma
sind vor mehreren hundert Jahren
aus Indien nach Europa eingewandert.
Meine Familie ist vor
ein paar Jahren aus Polen nach
Deutschland gekommen. Polnisch
habe ich aber nicht dort gelernt,
sondern bei meiner Cousine. Wir
unterhalten uns auch heute noch
auf Polnisch miteinander.
In den letzten Monaten konnte
ich manchmal für ein paar Tage
zu Hause sein. Ich habe Weihnachten
und Silvester zu Hause
gefeiert und ich war sehr glücklich
darüber, dass ich die Hochzeit
meiner Cousine mitfeiern konnte.
Dort habe ich sogar ein bisschen
getanzt.
Ich habe übrigens noch Großes
vor: ich freue mich gemeinsam
mit meinem Vater auf einen Besuch
im Disneyland Paris, wenn
ich wieder gesund bin.
Mein allergrößter Wunsch ist
aber ein anderer: Endlich
wieder zu Hause bei meiner Familie
zu sein!!! – Wann es so weit
sein wird, ist aber noch unklar.
Olivia, 11
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