BR-Rundschreiben 02/2006 Unterlassungsanspruch des ...
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<strong>BR</strong>-<strong>Rundschreiben</strong> <strong>02</strong>/<strong>2006</strong><br />
<strong>Unterlassungsanspruch</strong> <strong>des</strong> Betriebsrates vor Interessenausgleich?<br />
Lan<strong>des</strong>arbeitsgericht Düsseldorf 12. Kammer, Beschluss vom 14. Dezember<br />
2005, Az.: 12 TaBV 60/05<br />
Sachverhalt<br />
Der Antrag stellende Betriebsrat begehrt durch Erlass einer einstweiligen<br />
Verfügung, dass der Arbeitgeberin untersagt wird, bis zum Abschluss der<br />
Verhandlungen über einen Interessenausgleich den Abbau von Arbeitsplätzen<br />
wegen <strong>des</strong> Verlustes eines Großauftrages durchzuführen.<br />
Der Antragsteller ist der in der Niederlassung E. der Arbeitgeberin gebildete<br />
Betriebsrat. Zum 31.08.2005 waren in der Niederlassung 108 Arbeitnehmer<br />
beschäftigt.<br />
Wegen Wegfalls eines Großauftrages zum 31.12.2004 und daraufhin geplanten<br />
Personalabbaus nahm die Arbeitgeberin zum Jahreswechsel 2004/2005<br />
mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen<br />
Sozialplan auf. Nachdem der Betriebsrat sich dem Personalabbau widersetzt<br />
hatte und auch die Auftragslage im Januar 2005 sich besser als erwartet<br />
gestaltete, stellte die Arbeitgeberin die beabsichtigte Personalanpassung<br />
zurück.<br />
Bis Ende Mai 2005 schieden in der Niederlassung drei Mitarbeiter durch Aufhebungsvertrag<br />
aus. Drei weitere Mitarbeiter wechselten mit der Übernahme<br />
<strong>des</strong> Spezialfahrzeuges „Luftförderanlage“ zur Firma X-GmbH. Zwei Arbeitnehmer<br />
gingen in Ruhestand. Einige Mitarbeiter wurden vorübergehend von<br />
der Niederlassung L. beschäftigt.<br />
Im August 2005 beschloss die Arbeitgeberin, den Personalbestand der<br />
Niederlassung E. um 10 Mitarbeiter zu reduzieren, und erklärte am<br />
31.08.2005 die entsprechende Anzahl von Kündigungen, verbunden mit<br />
einem Versetzungsangebot nach F. 9 Arbeitnehmer lehnten das Änderungsangebot<br />
ab; mit 3 Arbeitnehmern schloss die Arbeitgeberin einen gerichtlichen<br />
Auflösungsvergleich. Am 31.10.2005 sprach sie gegenüber 5 Arbeitnehmern<br />
eine Nachkündigung aus.<br />
Am 29.08.2005 hat der Betriebsrat beim Arbeitsgericht Duisburg den Erlass<br />
einer einstweiligen Verfügung beantragt. Durch Beschluss vom 01.09.2005<br />
hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit der Beschwerde verfolgt<br />
der Betriebsrat den Untersagungsantrag weiter. Er sieht die Veranlassung<br />
sämtlicher Entlassungen seit Dezember 2004 in dem Wegfall <strong>des</strong> Großauftrages<br />
und einem daraufhin von der Arbeitgeberin beschlossenen Personalabbau.<br />
Der Betriebsrat meint, dass, weil von der Maßnahme mehr als 10<br />
% der Beschäftigten betroffen seien, die Arbeitgeberin vor einem Interessenausgleich<br />
keine Kündigungen aussprechen, Eigenkündigungen anregen oder<br />
Aufhebungsverträge abschließen dürfe.
Seite 2 <strong>des</strong> <strong>BR</strong>-<strong>Rundschreiben</strong>s <strong>02</strong>/<strong>2006</strong> der Rechtsanwälte SWP<br />
Die Arbeitgeberin behauptet, nach den durchgeführten Personalmaßnahmen Entlassungen<br />
nicht mehr zu beabsichtigen. Im Übrigen sei der Schwellenwert für eine interessenausgleichspflichtige<br />
Betriebsänderung nicht erreicht.<br />
Entscheidungsgründe<br />
Das Lan<strong>des</strong>arbeitsgericht Düsseldorf hat den Antrag <strong>des</strong> Betriebsrates - ebenso wie<br />
bereits das Arbeitsgericht Duisburg - zurückgewiesen.<br />
Das Arbeitsgericht Duisburg habe in Übereinstimmung mit der Spruchpraxis <strong>des</strong> LAG<br />
Düsseldorf und anderer Lan<strong>des</strong>arbeitsgerichte (LAG Köln, LAG München, LAG Sachsen-<br />
Anhalt) zutreffend angenommen, dass dem Betriebsrat kein Verfügungsanspruch auf<br />
Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen<br />
Interessenausgleich zustehe. Der Verweis <strong>des</strong> Betriebsrates auf gegenteilige Rechtsprechung<br />
(z. B. LAG Hamm) sowie auf die durch die EuGH-Entscheidung vom<br />
27.01.2005 gestärkten Konsultationspflichten <strong>des</strong> Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat<br />
griffen nicht durch.<br />
Die Frage, ob dem Betriebsrat ein <strong>Unterlassungsanspruch</strong> zusteht, ist in Instanzrechtsprechung<br />
und Literatur umstritten. Das Lan<strong>des</strong>arbeitsgericht Düsseldorf ist dabei der<br />
BAG-Rechtsprechung gefolgt. Diese hat ausgeführt, dass<br />
„ein Interessenausgleich keinen Anspruch <strong>des</strong> Betriebsrats auf <strong>des</strong>sen<br />
Einhaltung erzeugt. Weicht der Arbeitgeber von einem vereinbarten<br />
Interessenausgleich ab, so kann dies zwar Ansprüche der betroffenen<br />
Arbeitnehmer gem. § 113 BetrVG zur Folge haben ... In<strong>des</strong>sen kann der<br />
Betriebsrat seinerseits gegenüber dem Arbeitgeber aus eigenem Recht die<br />
Einhaltung <strong>des</strong> Interessenausgleichs nicht erzwingen, weil es sich ihm<br />
gegenüber lediglich um eine Naturalobligation handelt... Hat aber der<br />
Betriebsrat kein eigenes Recht auf Einhaltung <strong>des</strong> Interessenausgleichs, so<br />
steht ihm auch kein Verfügungsanspruch zur Sicherung eines solchen - nicht<br />
bestehenden - Rechtes zu“.<br />
An dieser Rechtsprechung hat das LAG Düsseldorf auch in dem hier zu entscheidenden<br />
Fall festgehalten, obwohl die Befürwortung eines <strong>Unterlassungsanspruch</strong>s ebenfalls<br />
begründbar sei.<br />
Was den gegenständlichen <strong>Unterlassungsanspruch</strong> <strong>des</strong> Betriebsrates anbelange, wiegten<br />
die gegen einen derartigen Anspruch streitenden Gründe jedoch schwerer. Denn<br />
Betriebsänderungen könnten gemäß §§ 111 ff. BetrVG letztlich ohne Einigung der<br />
Betriebsparteien nach den Vorstellungen <strong>des</strong> Arbeitgebers durchgeführt werden. Zum<br />
Schutz der Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sei<br />
gesetzlich die Verhandlungspflicht <strong>des</strong> Arbeitgebers mit dem Betriebsrat vorgesehen. Die<br />
(mittelbare) Sicherung der Verhandlungspflicht übernehme § 113 BetrVG, indem betriebsverfassungswidriges<br />
Verhalten <strong>des</strong> Arbeitgebers Ansprüche der Arbeitnehmer auf<br />
Nachteilsausgleich auslösten und diese Ansprüche Sanktionscharakter haben dürften.<br />
Da kein <strong>Unterlassungsanspruch</strong> bestehe, brauche nicht geklärt zu werden, ob die<br />
Betriebsänderung seitens der Arbeitgeberin bereits durchgeführt sei. Insoweit sei anerkannt,<br />
dass ein etwaiger <strong>Unterlassungsanspruch</strong> jedenfalls dann entfalle, wenn die<br />
Betriebsänderung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollzogen sei.<br />
Ebenso könne dahin stehen, ob der Personalabbau den Zahlen in § 17 Abs. 1 KSchG<br />
entspreche und daher eine Betriebseinschränkung i. S. v. § 111 Nr. 1 BetrVG darstelle.
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Der Betriebsrat sehe richtig, dass den zuletzt gekündigten 10 Mitarbeitern die seit Ende<br />
Dezember 2004 ausgeschiedenen Mitarbeiter zuzurechnen wären, soweit sie „stufenweise“von<br />
einer ansonsten einheitlichen unternehmerischen Planung betroffen gewesen<br />
seien. In<strong>des</strong>sen ist im vorliegenden Verfügungsverfahren nicht hinreichend ersichtlich<br />
geworden, dass die Entlassungen auf einer einheitlichen Maßnahme der Arbeitgeberin<br />
beruhten.<br />
‣ Fazit:<br />
Das LAG Düsseldorf verbleibt bei seiner Rechtsprechung, dass dem Betriebsrat kein<br />
arbeitsgerichtlich durchsetzbarer Anspruch gegen den Arbeitgeber zusteht, Betriebsänderungen<br />
bis zum Abschluss von Interessenausgleichsverhandlungen zu unterlassen.<br />
Wir halten diese Rechtsprechung für falsch, weil hierdurch der gesetzlich bestehende<br />
Beratungsanspruch <strong>des</strong> Betriebsrates auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich<br />
bei Arbeitgebern, die sich hieran nicht halten, ins Leere läuft.<br />
Wir weisen an dieser Stelle aber darauf hin, dass die Gerichte einen <strong>Unterlassungsanspruch</strong><br />
über § 23 Absatz 3 BetrVG aber ggf. dann anerkennen, wenn der Arbeitgeber<br />
grob gegen die Mitbestimmungsrechte <strong>des</strong> Betriebsrates verstoßen hat. Des weiteren hat<br />
der Betriebsrat die Möglichkeit, seinen Anspruch auf vollständige Unterrichtung nach §<br />
111 BetrVG arbeitsgerichtlich durchzusetzen.<br />
Schließlich kann es sich je nach Fallkonstellation anbieten, dass der Betriebsrat frühzeitig<br />
das Scheitern der Verhandlungen erklärt und über das beschleunigte Verfahren nach § 98<br />
ArbGG die Errichtung einer Einigungsstelle betreibt.<br />
Entscheidend bei all dem ist, dass der Betriebsrat zur Sicherung seiner Rechte aus § 111<br />
BetrVG, die zu seinen wesentlichen Mitbestimmungsrechten nach dem BetrVG zählen, so<br />
früh wie möglich entsprechende Wege beschreitet, da er anderenfalls Gefahr läuft, vom<br />
Arbeitgeber „überrumpelt“und damit seiner Beratungsrechte zum Nachteil der Belegschaft<br />
beraubt zu werden.