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Rundschreiben 08/2005 Betriebsbedingte Kündigung ...

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<strong>Rundschreiben</strong> <strong>08</strong>/<strong>2005</strong><strong>Betriebsbedingte</strong> <strong>Kündigung</strong> - Gemeinschaftsbetrieb - SozialauswahlBAG-Urteil vom 24. Februar <strong>2005</strong>, Az: 2 AZR 214/04Die Parteien streiten über eine ordentliche, auf betriebsbedingte Gründe gestützte<strong>Kündigung</strong>.Die bei Klageerhebung 54 Jahre alte Klägerin trat im Jahre 1966 als Bürokauffrauin die Dienste der E GmbH in H, über deren Vermögen 1997 das Konkursverfahreneröffnet wurde. Aus diesem Verfahren gingen als Rechtsnachfolgerinnendie E A GmbH (im Folgenden: Armaturentechnik), die E M GmbH (imFolgenden: Presswerk) und die E E GmbH (im Folgenden: Engineering) hervor.Die drei Unternehmen standen unter einheitlicher Leitung und hatten einen gemeinsamenBetriebsrat sowie eine gemeinsame kaufmännische Verwaltung,angesiedelt bei der Armaturentechnik. Zu dieser stand die Klägerin bis zur <strong>Kündigung</strong>im Arbeitsverhältnis. Über die Vermögen aller drei Auffangsgesellschaftenwurden durch Beschlüsse des Amtsgerichts vom 1. August 2002 Insolvenzverfahreneröffnet. Der jetzige Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter aller dreiSchuldnerinnen bestellt.Er teilte dem “Betriebsrat der E-Gruppe”mit, es habe sich weder für die Armaturentechniknoch für die Engineering ein Übernehmer gefunden. Sämtliche zudiesen beiden Unternehmen bestehenden Arbeitsverhältnisse werde er deshalbkündigen. Dagegen habe sich für die “Produktionsstätte in der Färberstraße”(Presswerk) ein Kaufinteressent gemeldet, der allerdings nur bei einer Reduzierungder Belegschaft auf 12 bis 13 Mitarbeiter zur Übernahme bereit sei.Daraufhin kündigte der Beklagte allen Arbeitnehmern der Armaturentechnik,darunter auch der Klägerin.Unter den gekündigten Mitarbeitern der Armaturentechnik befand sich auch diekaufmännische Angestellte Frau B. Frau B ist sechs Jahre jünger als die Klägerinund weist eine um neun Jahre geringere Beschäftigungszeit auf. Sie wurdevom Beklagten im Zusammenhang mit der <strong>Kündigung</strong> rückwirkend ab 1. August2002 auf die Gehaltsliste des weiter geführten Presswerks gesetzt und auf dieserGrundlage weiterbeschäftigt.Die Klägerin hält die <strong>Kündigung</strong> für unwirksam. Der Beschäftigungsbedarf fürsie sei nicht entfallen. Es habe eine soziale Auswahl stattfinden müssen, bei derihr gegenüber Frau B, mit der sie vergleichbar sei, der Vorzug gebührt habe.Das Bundesarbeitsgericht teilt grundsätzlich der Auffassung der Klägerin:


Seite 2 des BR-<strong>Rundschreiben</strong>s <strong>08</strong>/<strong>2005</strong> der Rechtsanwälte SWPWird bei einem gemeinschaftlichen Betrieb einer der den Gemeinschaftsbetrieb bildendenTeile stillgelegt, so ist die <strong>Kündigung</strong> gegenüber den Arbeitnehmern dieses Teils durchdringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn - was regelmäßig der Fall ist - mit derStilllegung des Teils auch die Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs, insbesondere dereinheitlichen personellen Leitung verbunden ist.Allerdings blieb die einheitliche Leitung im vorliegenden Fall erhalten und wurde vom Beklagtenausgeübt. Der Beklagte nutzte die in seiner Person für die - an sich getrennten -Vermögensmassen aller drei Schuldnerinnen zusammenfließende Leitungsmacht einheitlich.Dadurch erhielt er die vor Insolvenzeröffnung bestehende einheitliche Leitung aufrechtund vermied die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens u.U. eintretende Auflösungdes Gemeinschaftsbetriebs. Ihren deutlichsten Ausdruck findet die vom Beklagten für alleSchuldnerinnen fortgeführte gemeinsame personelle Leitung in der Umsetzung von Frau B.Dass bei faktischer Fortführung der einheitlichen personellen Leitung der Gemeinschaftsbetriebals Bezugsrahmen arbeitsrechtlicher Pflichten bestehen bleiben kann, hat dasBundesarbeitsgericht auch in anderen Fällen angenommen.Gleichwohl liegt ein betriebsbedingter <strong>Kündigung</strong>sgrund vor. Voraussetzung für die Betriebsbedingtheiteiner <strong>Kündigung</strong> ist nicht der Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes, sonderndie Verringerung des Beschäftigungsbedarfs für bestimmte Tätigkeiten. Der Beschäftigungsbedarfim Bereich “kaufmännische Verwaltung”, in dem die Klägerin tätig war, hatsich durch die Schließung der Produktion der Armaturentechnik und die Schließung derEngineering in der Weise verringert, dass er nur noch im Umfang einer Arbeitskraft fortbesteht.Die Frage, welchem der in diesem Betätigungsbereich beschäftigten Arbeitnehmerzu kündigen ist, ist demgegenüber eine Frage der Sozialauswahl.Ob die <strong>Kündigung</strong> nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, weil der Beklagtebei der Auswahl der Klägerin als der zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nichtausreichend berücksichtigt hat, kann noch nicht festgestellt werden. Zu einer Auswahlnach sozialen Gesichtspunkten war die Beklagte verpflichtet.Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Kreis der in die sozialeAuswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenenMerkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. An einer Vergleichbarkeitfehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderenArbeitsplatz um- oder versetzen kann.Die Tätigkeit der Klägerin umfasst auch diejenigen kaufmännischen Verwaltungsarbeiten,die sich auf das Presswerk bezogen. Der Arbeitgeber der Klägerin war arbeitsrechtlichberechtigt, der Klägerin eben diese Arbeiten zuzuweisen. Danach umfasste das Direktionsrechtdes Beklagten auch die Tätigkeiten für das Presswerk.Die Vergleichbarkeit der Klägerin mit Frau B war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weilder Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst worden wäre.Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb, so ist die Sozialauswahlbis zu einer etwaigen Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs auf den gesamten Betrieb zuerstrecken. Eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl ist dann nicht vorzunehmen,wenn der Gemeinschaftsbetrieb im Zeitpunkt der <strong>Kündigung</strong> nicht mehr besteht. Ist imZeitpunkt der <strong>Kündigung</strong> einer der Betriebe, die einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben,stillgelegt, so sind damit idR die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen undpersonellen Angelegenheiten sowie die unternehmerischen Funktionen im Bereich derwirtschaftlichen Angelegenheiten dem vormals einheitlichen Leitungsapparat der beteiligtenUnternehmen entzogen, der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst. In diesem Fall ist die


Seite 3 des BR-<strong>Rundschreiben</strong>s <strong>08</strong>/<strong>2005</strong> der Rechtsanwälte SWP“gemeinsame Klammer”, die eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl veranlassthat, entfallen.Gleiches gilt, wenn im Zeitpunkt der <strong>Kündigung</strong> einer der Betriebe, die zusammen einenGemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischenEntscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht,dass er bei Ablauf der <strong>Kündigung</strong>sfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird. <strong>Kündigung</strong>sgrundist in einem solchen Fall das dringende betriebliche Erfordernis, das einerWeiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem stillzulegenden Betrieb nach Ablauf seiner<strong>Kündigung</strong>sfrist entgegensteht. Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem biszur Stilllegung des einen Betriebsteils zwischen beiden Unternehmen gebildeten Gemeinschaftsbetriebkommt damit nicht mehr in Betracht. Wird, wie dies regelmäßig geschieht,mit der Stilllegung des einen Betriebs auch die gemeinsame Leitungsstruktur beseitigt, sobesteht ab dem Stilllegungszeitpunkt nur noch ein Betrieb fort, in dessen Führung durchden Unternehmer, dessen Betrieb stillgelegt worden ist, nicht mehr eingegriffen werdenkann. Der Inhaber des stillzulegenden Betriebs ist damit nicht mehr in der Lage, eine Weiterbeschäftigungseiner Arbeitnehmer, denen wegen der Stilllegung betriebsbedingt zukündigen ist, in dem fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmers rechtlich durchzusetzen.Damit fehlt es für eine Sozialauswahl zwischen den Arbeitnehmern des ursprünglichenGemeinschaftsbetriebs an der Vergleichbarkeit.Im vorliegenden Fall ist jedoch die, wie ausgeführt, einheitliche personelle Leitung und damitdie “gemeinsame Klammer”, durch die die unternehmensübergreifende Sozialauswahlermöglicht wird, erhalten geblieben. Der Beklagte war rechtlich in der Lage, der Klägerindie Arbeit für das Presswerk zuzuweisen und konnte dies auch gegenüber der von ihm zuverwaltenden Vermögensmasse des Presswerks durchsetzen. Deshalb besteht nicht dieSchwierigkeit, eine Weiterbeschäftigung in dem fortgeführten Betriebsteil durchzusetzen.Die einheitliche personelle Leitung hat im vorliegenden Fall weiter bestanden. Von dieserRechtsmacht hat der Beklagte auch Gebrauch gemacht, indem er nämlich - noch vor derStilllegung - Frau B rückwirkend “auf die Lohnliste”des Presswerks setzte. Der Auswahlnach sozialen Gesichtspunkten im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG stand demnach nichts imWege. Der Beklagte war rechtlich nicht gehindert, der Klägerin die Frau B übertrageneArbeit zuzuweisen. Der Fall ist vergleichbar dem einer beabsichtigten Teilbetriebsstilllegung.Auch in diesem Fall muss eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahlstattfinden.Ob der Beklagte bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigthat, steht noch nicht fest.Hat der Arbeitgeber entgegen § 1 Abs. 3 KSchG keine Sozialauswahl vorgenommen, sosteht damit zwar noch nicht fest, dass die Sozialauswahl tatsächlich fehlerhaft ist, da auchunrichtige Verhaltensweisen zufällig zu richtigen Ergebnissen führen können. Es sprichtjedoch in einem solchen Fall eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutungdafür, dass die Auswahl dann auch im Ergebnis sozialwidrig ist. Es ist dann Aufgabedes Arbeitgebers, näher darzulegen, weshalb trotz der gegen § 1 Satz 3 KSchG verstoßendenÜberlegungen ausnahmsweise im Ergebnis soziale Gesichtspunkte ausreichendberücksichtigt sein sollen.Im Ergebnis dürfte die Klägerin auf Grund der eingangs beschriebenen Sozialdaten gegenüberFrau B schützenswerter sein.Fazit:Wichtig ist somit im Ergebnis zweierlei:


Seite 4 des BR-<strong>Rundschreiben</strong>s <strong>08</strong>/<strong>2005</strong> der Rechtsanwälte SWPZum einen kann Mitarbeitern im Falle einer (geplanten) Betriebsstilllegung bereits währendder Planungsphase des Arbeitgebers gekündigt werden, solange die Betriebsänderung nurkonkrete Formen angenommen hat. Zum anderen braucht der Arbeitgeber im Falle derStilllegung eines Unternehmens und Teils eines gemeinsamen Betriebs eine Sozialauswahlmit den verbleibenden Mitarbeitern des anderen Betriebsteils nur dann nicht durchzuführen,wenn der gemeinsame Betrieb nur von 2 Unternehmen gebildet wird und/oder dieBetriebsstruktur der verbleibenden Unternehmen nicht erhalten bleibt.

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