Mai 2013 - a tempo
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10 | 11 augenblicke<br />
05 | <strong>2013</strong><br />
Vokale mit Genuss von<br />
Maria A. Kafitz (Text) & Sebastian Hoch (Fotos)<br />
Ein neues Land erwartete mich – unbekannt und entdeckungsbereit.<br />
Wenngleich die weite Ferne ja stets verlockend ist und gesehen,<br />
gerochen, genossen werden will, lagen diesmal keine abertausend<br />
Kilometer und Stunden zwischen Zuhause und Fremde –<br />
und trotzdem eröffnete sich eine mehrfach andere Welt.<br />
Wie aber nähert man sich einer fremden Gegend? Mit offenen<br />
Augen und neugierigem, noch offnerem Herzen – das ist klar.<br />
Was aber begegnet einem, wenn das Vertraute, das Sicher -<br />
geglaubte zwar vorhanden, aber nicht mehr verstehbar ist?<br />
Überall waren sie noch sichtbar, die 30 (29 für die ß-verzichtenden<br />
Schweizer Freunde) vertrauten, liebgewonnenen Zeichen, die ich<br />
auch beim Schreiben dieser Zeilen nutze. Überall waren sie<br />
vorhanden – und dennoch landete ich schon am Flughafen<br />
in einem Meer nie gesehener Kombinationen: Lentokenttä.<br />
Matkalaukkujen. Vessa. Ulostulo …<br />
Dass hinter diesen Vokal- und Konsonantenreihen solch schlichte<br />
Begriffe wie Flughafen, Gepäck, Toilette und Ausgang verborgen<br />
liegen, ließ sich zwar an den dazugehörigen Symbolen und den<br />
immer dazugereichten englischen Varianten ableiten und lösten<br />
das staunende Rätselraten rasch auf, die empfundene Freude an<br />
diesen «Fabelworten» aber traf mitten ins jubelnde Sprachherz<br />
und blieb die ganzen Reisetage über – und bleibt. Nie zuvor<br />
habe ich freiwillig und lustvoll derart viele Schilder und<br />
Werbeplakate gelesen (nun ja, es versucht) und mich daran<br />
berauscht! Wunderbare Vokalvervielfachungen und das Zusatz -<br />
glück, dass mir nichts verkauft und aufgeschwatzt werden konnte.<br />
Denn ich verstand ja nichts. Ich erfreute mich nur an den Zeichen -<br />
folgen und ihrem erahnten Klang.<br />
Ja, die Freude ist selbst beim Erinnern an die «Finnentage» gegenwärtig:<br />
Das vokal- und umlaut-, seen- und mücken-, insel- und<br />
wald-, architektur- und designreiche Land zwischen Ostsee und<br />
Polarkreis, das in Rovaniemi auch noch den ersten Wohnsitz des<br />
Weihnachtsmanns für sich beansprucht, war das auserkorene Ziel.<br />
In der Ruhe liegt nicht nur die Kraft<br />
«Finnen sind anders», so überschrieb die Reporterin Ines Trams<br />
einen Beitrag, den sie fürs ZDF machte. Sie seien die «Exzentriker<br />
Europas … unnötiger Smalltalk werde vermieden, Fremde würden<br />
nicht gegrüßt und es gelte als höflich, jemanden in Ruhe zu<br />
lassen.» Dass sich Exzentrik derart äußert, scheint in der Tat ein<br />
exzentrischer Wesenzug. Und die Aussage stimmt und stimmt in<br />
gleichem Maße nicht. Sie stimmt für die Ruhe und Einsamkeit<br />
auf dem Land und findet ihre Gegenbewegung in einer trubeligen,<br />
Trends kreierenden Stadt wie Helsinki oder dem lebenslustigen<br />
Turku. Wer in Turku einmal den «Tanz der Alten» am Ufer des<br />
Aurajoki miterlebt hat, die sich dort regelmäßig zum ausgelassenen<br />
«Schwof bei Livemusik» treffen, der widerspricht besonders der<br />
Aussage, «es gelte als höflich, jemanden in Ruhe zu lassen», heftig<br />
und mit wiederkehrendem Drehschwindel aus der Erinnerung.<br />
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