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P.T. MAGAZIN 06/2012

Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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Das Buch zum<br />

Thema<br />

■ Unternehmen in der Psychofalle.<br />

Wege hinein. Wege hinaus - Mein<br />

Coach. Mein Therapeut. Mein<br />

Chef. BusinessVillage <strong>2012</strong>, ISBN<br />

978-3-86901872, 24.80 Euro<br />

(Foto: Business Village)<br />

konsensfähig. Im Angebot des Artikels<br />

ist auch ein „Idioten-Test“. Mit seiner<br />

Hilfe können Mitarbeitende „prüfen“, ob<br />

– wer denn sonst? – eigene Vorgesetzte<br />

Idioten sind – wahlweise auch „wahnsinnig“<br />

oder „irre“.<br />

Um- und Befragungen dieser Art<br />

kreiden regelmäßig an, Chefs und Chefinnen<br />

würden zu wenig loben und<br />

wertschätzen, seien keine Charismatiker<br />

und kümmerten sich zu wenig um das<br />

umfassende Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden.<br />

„Streichelzoo“ Büro?<br />

Man mache sich klar: Da antworten<br />

erwachsene Menschen, die einerseits<br />

„auf Augenhöhe“ mit Führenden interagieren,<br />

bei unternehmerischen Entscheidungen<br />

mitreden wollen und sich<br />

gleichzeitig danach sehnen, von einem<br />

hierarchisch höher Gestellten Streicheleinheiten<br />

zu erhalten, und zwar häufig,<br />

persönlich und keineswegs nur für<br />

außergewöhnliche Leistungen, sondern<br />

dafür, dass sie das tun, was zu tun sie<br />

sich verpflichtet haben.<br />

„Burnout“ markiert den vorläufigen<br />

Gipfel der Psychologisierung.<br />

Die Psychologisierung der Arbeitswelt<br />

wird seit Jahrzehnten durch eine<br />

Gemengelage begünstigt, deren Kennzeichen<br />

das Anwachsen von Komplexität<br />

ist. Insbesondere die Zunahme von Spezialisierung<br />

und Internationalisierung<br />

veränderte das Verständnis von Führen<br />

und Geführten. „Untergebene“ werden<br />

„Mitarbeiter“, und „Vorgesetzte“ werden<br />

„Führungskräfte“ bzw. Coaches, Leader,<br />

Kulturmanager, Mentoren, Moderatoren<br />

und ähnliches. Das psychologische<br />

Moment erhält zunehmendes Gewicht.<br />

Beispielsweise reüssierte das Modell von<br />

der partizipatorischen Führung. Es fordert<br />

unter anderem, dass Führende „auf<br />

Augenhöhe“ und zugleich psychologisch<br />

reflektiert und in heiklen Führungssituationen<br />

in quasitherapeutischer Manier<br />

mit Mitarbeitenden sprechen und ihnen<br />

„das Gefühl“ geben, an Entscheidungen<br />

maßgeblich beteiligt zu sein. Oder die<br />

Rolle des Coaches, dessen Hauptaufgabe<br />

darin liegt, sich jedem Mitarbeitenden<br />

empathisch, individuell, feinfühlig und<br />

hellhörig zu widmen.<br />

Retter wider Willen<br />

Der Gipfel von Psychologisierung und<br />

Therapeutisierung ist mit dem Thema<br />

Burnout erklommen. Führungskräfte<br />

werden als Verursacher verunglimpft<br />

und Mitarbeitende als Opfer unfähiger,<br />

kaltherziger, narzisstischer Führung<br />

gehätschelt. Gleichzeitig werden Führende<br />

von einer Allianz aus Psychoexperten,<br />

Medizinern, Personalern und<br />

Weiterbildnern zu Rettern auserkoren.<br />

Das ist konsequent. Denn gerade weil<br />

sie Schuld am Leid von Mitarbeitenden<br />

sind, müssen sie für Besserung sorgen:<br />

psychologisch, präventiv, kurativ, ganzheitlich.<br />

Unabhängig von der Frage, ob sich<br />

Führungskräfte (und Unternehmen)<br />

als Adressaten für die Forderung nach<br />

gesamthafter Arbeits- und Lebenszufriedenheit<br />

eignen, übersteigt dieses<br />

Pensum qualitativ und quantitativ das<br />

Leistungsvermögen. Folglich stellt sich<br />

die Frage, wie Führende aus den Fängen<br />

psychologischer Zumutungen herauskommen.<br />

Zwei Optionen liegen nahe: die Konzentration<br />

auf Verhalten und Folgen<br />

und die Beschränkung auf die berufliche<br />

Rolle. Die Konzentration auf Handeln,<br />

Verhalten und Folgen fußt auf verhaltenspsychologischen<br />

Erkenntnissen,<br />

verbindet sich mit Pragmatismus und<br />

ist Basis für Verhaltensökonomie. Ihr<br />

Vorteil liegt darin, dass sich alle Beteiligten<br />

darauf einigen können, dass das<br />

zählt, was offenkundig ist und Auswirkungen<br />

von Handlungen im Blick stehen.<br />

Damit ist der Abschied von psychologischen<br />

Imperativen eingeleitet, die<br />

Innerseelisches, Selbstverwirklichung<br />

und Unbewusstes anvisieren. Führende<br />

können darauf verzichten, aus Mimik,<br />

Gestik, Sprachmelodie und anderen nonund<br />

verbalen Anzeichen oder Andeutungen<br />

Bedeutung „herauszulesen“ und<br />

psychologische Vermutungen über innere<br />

Befindlichkeiten, mögliche Motive etc.<br />

anzustellen.<br />

Konzentriert Euch!<br />

Die Reduktion auf Rollen ist noch handfester.<br />

Die Rollen Führungskraft und Mitarbeiter<br />

haben einen allgemeingültigen<br />

Kern an Pflichten und Rechten, an legitimen<br />

Erwartungen und Anforderungen;<br />

sie stellen zudem ein Set an Inhalten<br />

bereit, die Gegenstand von Kommunikation<br />

werden können, weil sie zu den<br />

Rollen gehören.<br />

Beispiel: Verlangt eine Führungskraft<br />

von Mitarbeitenden, dass diese im<br />

Bedarfsfall in der Kinderbetreuung assistieren,<br />

bewegt sie sich außerhalb der<br />

definierten Rolle und legitimer Anforderungen.<br />

Erwartet eine Mitarbeiterin,<br />

die durch familiäre Konflikte belastet<br />

ist, dass die Führungskraft moderativ<br />

interveniert, bewegt sie sich ebenfalls<br />

außerhalb des Legitimen. Das Gleiche<br />

gilt, wenn eine Führungskraft entscheidet,<br />

für Konflikte im Team grundsätzlich<br />

nicht zur Verfügung zu stehen, weil<br />

Konflikte für sie zu bedrückend seien.<br />

Oder wenn ein Mitarbeiter sich weigert,<br />

Routineaufgaben zu erledigen, weil er<br />

meint, damit würge er seine kreative<br />

Lebensenergie ab.<br />

Fazit: Psychologisiertes Führen im<br />

Sinn des „Pamperns“ ist weder ein unerlässliches<br />

Gebot noch alternativlos. ■<br />

Dr. Regina Mahlmann<br />

Über die Autorin<br />

■ Dr. Regina Mahlmann, promovierte<br />

Soziologin und Philosophin,<br />

arbeitet als Coach, Beraterin und<br />

Referentin in und für Unternehmen<br />

– als Sparringpartnerin für<br />

das Topmanagement und als<br />

Impulsgeberin und Begleiterin<br />

von Gruppen, insbesondere in<br />

veränderungsreichen und daher<br />

spannungsreichen Phasen eines<br />

Unternehmens.<br />

www.dr-mahlmann.de<br />

6/<strong>2012</strong> P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 53

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